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Voll erwischt

von

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Kapitel 14
 

Er war perfekt. Wenn ich aufstand, stand das Frühstück bereit, das hatte er auch vorher schon gemacht. Aber er half Philipp auch geduldig bei seinen Vorbereitungen für das Abitur, denn dieser konnte sich seit der Sache mit Dom anscheinend nicht mehr richtig konzentrieren. Konstantin wartete nach der Uni auf mich, obwohl seine Vorlesungen oft schon viel früher beendet waren als meine. Er behauptete dann, dass er so Gelegenheit hätte, sich in der Bibliothek nach neuem Stoff umzusehen, aber ich wusste es besser. Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals so zuvorkommend behandelt worden zu sein. Es war, als ob ich in einem Traum wäre, aus dem ich definitiv nicht wieder erwachen wollte. Konstantins ruhige Art machte es einem leicht, mit ihm auszukommen. Aber noch dazu war er liebevoll und manchmal auch sehr nachsichtig. Mit jeder zusammen verbrachten Sekunde verliebte ich mich mehr in ihn und das auf erschreckend intensive Weise.

Im Wohnzimmer hatten wir ein prasselndes Kaminfeuer angezündet, obwohl es schon fast zu warm dafür war. Immerhin standen wir kurz vor dem offiziellen Sommeranfang und damit rückten meine ersten Prüfungen näher. Ich hatte oft das Gefühl, dass ich Konstantin mit meinen Belanglosigkeiten vollquatschte, aber wenn ich aufhörte zu erzählen, nickte er mir immer aufmunternd zu und ich laberte weiter. Doch auch er schien sich langsam zu öffnen, immer öfter unterhielten wir uns über seine Fantasybücher und mittlerweile hatte ich mich sogar dazu hinreißen lassen, mal eins anzufangen. Schließlich wollte ich wissen, wovon er so fasziniert war und es brachte ihn zum Reden. Es lenkte uns beide vom Unialltag ab. Doch heute hatten wir etwas anderes geplant. Seine Eltern kamen am Wochenende zu Besuch und der Gedanke daran machte mich immer noch nervös. Schließlich war ich nicht der Vorzeigefreund, auch wenn Konstantin versuchte, mir etwas anderes einzureden. Ich hatte ihn darum gebeten, dass wir uns die Photoalben anschauten, die ich in seinem Bücherregal entdeckt hatte. Das gab mir die Chance mehr über ihn und gleichzeitig etwas über seine Eltern zu erfahren.

„Mit welchem wollen wir anfangen?“ Wir hatten uns mit einem Berg der Photoalben zu unseren Füßen bequem vor der Couch zusammengekuschelt und ich angelte nach dem ersten Band. Natürlich waren sie penibel beschriftet und ich musste über diese Eigenart schmunzeln. Die wenigen Photos, die ich besaß, waren allesamt in einem Pappkarton verstaut und ich schaute sie mir selten an. Soweit ich mich erinnerte, hatte ich sie nach hinten in den Kleiderschrank getan. Sie weckten zu viele unschöne Erinnerungen.

„Ich möchte die Kinderbilder sehen.“ Er musste damals sicher schon genauso toll gewesen sein wie jetzt. Er griff sich den dicksten Band und schlug ihn auf. Im Kamin knisterte das Feuer und tauchte alles in weiches oranges Licht. Konstantin saß im Schneidersitz, während ich auf dem Bauch lag. Auf der ersten Seite befand sich ein Bild mit einer lachenden, warmherzig aussehenden Frau, die einen Säugling auf dem Arm hielt. Die Überschrift war in einer schönen geschwungenen Handschrift geschrieben. Unser Baby. Darunter die üblichen Angaben über Größe und Körpergewicht.

Seine Mutter war auf dem Photo sehr jung, vielleicht Anfang zwanzig. Sie sah ihr Baby derart verliebt an, dass mir ganz warm ums Herz wurde. Das hätte ich auch gern gehabt. Ein bisschen neidisch war ich ja schon. Und das beim ersten Bild. Wir blätterten weiter, zu den wirklich lustigen Kindergartenphotos. Auf ihnen war er oft mit irgendwelchem Essen bekleckert, was ich nicht wirklich mit meinem heutigen Bild von ihm in Einklang bringen konnte. Dann kamen wir zu einem Bild, bei dem ich stutzig wurde. Es zeigte Konstantin und einen definitiv sehr verheulten und schmutzigen Philipp.

„Was ist denn da passiert?“ Ich tippte auf das Bild in der Ecke und sah ihn fragend an. Er runzelte die Stirn und schien ernsthaft nachzudenken.

„Ich glaube, das war, als wir uns im Supf verlaufen hatten. Ist lange her.“

„Sumpf?!“, echote ich und er nickte.

„Wir wollten eigentlich Pilze suchen gehen. Natürlich haben unsere Eltern uns gewarnt, dass wir nicht zu tief in den Wald gehen sollen. Eigentlich durften wir nur soweit, dass wir die Häuser noch sehen konnten. Aber wir sind einer Spur Pilze gefolgt. Es war einfach zu verlockend mit einem prall gefüllten Körbchen zurückzukommen, anstatt nur mit der sonstigen mageren Ausbeute. Philipp schafft es immer die kleinen Dinger zu übersehen und niederzutrampeln.“ Er schüttelte belustigt den Kopf.

„Wir haben nicht bemerkt, wie weit wir schon in den Wald gegangen waren. Aber plötzlich war da Schilfrohr und wir haben uns einen Spaß daraus gemacht ein kleines Fechtspielchen zu veranstalten. Dabei sind wir unbewusst genau in das Sumpfgebiet reingelaufen. Es sieht gar nicht danach aus. Dadurch, dass an dieser Stelle alles dicht bewachsen ist, haben wir die Gefahr gar nicht gesehen.“ Ich hielt den Atem an. Das hätte wirklich schief gehen können. Mit fielen etliche Aussagen meiner Oma ein, die uns immer davor gewarnt hatte, nie ein unbekanntes Gebiet alleine zu betreten. Zu dieser Gelegenheit erzählte sie eindringlich die Geschichte ihrer Cousine. Diese war auf einen zugefrorenen See gelaufen und eingebrochen. Eine von den Horrorgeschichten, von denen Kinder immer glauben, dass Eltern sie nur erzählen, um einem Angst zu machen. Aber uns war es eine Lehre. Die Cousine hat das nämlich nicht überlebt. Sie war jämmerlich erfroren, weil niemand da war, der schnell zu Hilfe hätte eilen können.

„Philipp hat plötzlich gemosert, dass seine Schuhe nass wären und da haben wir gemerkt, dass wir mitten im Sumpf standen. Blöderweise ist das Schilf so dicht, dass wir im ersten Moment die Orientierung verloren haben und noch weiter rein sind. Mein Bruder ist regelrecht panisch geworden, immerhin war er noch klein. Trotzdem hatte er anscheinend begriffen, dass wir uns in Gefahr befanden. So sind wir dann im Affentempo raus da und hatten dabei sicherlich mehr Glück als Verstand. Schließlich ist uns nichts passiert.“ Er atmete tief aus und ich konnte die Erleichterung in seiner Stimme hören.

„Waren deine Eltern sehr böse? Immerhin sieht Philipp auf dem Photo so schlammbespritzt aus, dass ihr euch garantiert nicht rausreden konntet.“

„Ging so. Sie waren vor Allem erleichtert, dass uns nichts passiert war. Das Körbchen mit den Pilzen haben wir unterwegs verloren, so sehr sind wir nach Hause gerannt. Allerdings haben wir lebenslanges Verbot, diesen Waldabschnitt jemals wieder zu betreten. Auch wenn wir jetzt älter und klüger sind. Zumindest einer von uns…“ Er grinste mich frech an und ich konnte dieses süße Lächeln einfach nur erwidern. Er war wirklich unwiderstehlich.

„Ich war später noch einmal dort. Guck nicht so entsetzt!“ Mein ungläubiges Gesicht musste wirklich Bände gesprochen haben, denn er lachte mich regelrecht aus.

„Da war ich schon sehr viel älter. Der Sumpf ist mittlerweile fast ausgetrocknet und nur wenn es regnet, halte ich mich auch ganz sicher fern. Also keine Sorge. Aber verrate es nicht Philipp. Der hat solche Panik, dass er sofort auf mich losgehen würde. Da versteht er keinen Spaß.“ Damit blätterte er weiter und erzählte mir noch dies und das über seine Familie. Aus jedem Bild sprach absolute Einheit. Geborgenheit. Liebe.

Ich lag in dieser Nacht noch lange wach und fragte mich, warum das nicht in jeder Familie die Norm sein konnte. Als der Wecker 2 Uhr anzeigte, gab ich endgültig auf. Allein würde das ja doch nichts werden. Also schlich ich barfuß in Konstantins Zimmer. Natürlich war es stockfinster und ein wenig hatte ich schon ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn jetzt garantiert wecken würde. Doch darüber hätte ich mir keine Sorgen machen brauchen.

„Kannst du nicht schlafen?“ Seine leise Stimme lockte mich zum Bett. Er hatte einladend die Bettdecke zurückgeschlagen. Ich schüttelte den Kopf.

„Ich mach mir Sorgen. Was ist, wenn sie mich nicht mögen?“ Diesen Gedanken machten sich bestimmt fast alle Menschen, die die Eltern ihrer Freunde kennenlernen sollten. Aber bei mir war es schlimmer. Eine ausgewachsene Panikattacke traf es eher. Obwohl er mir gezeigt hatte, dass seine Eltern ganz anders als meine waren, konnte ich meine Ängste trotzdem nicht unterdrücken.

„Sie werden dich ganz sicher mögen. Glaub mir. Und jetzt komm her, damit wir schlafen können.“ Ich kuschelte mich an ihn und er hauchte mir einen Kuss auf die Lippen. Mit seinem Herzschlag an meinem Ohr, gelang es mir nun endlich einzuschlafen.
 

„Halts Maul! Hast du Tomaten auf den Ohren? Ich will dich nicht sehen. Nein, es ist mir egal, was du zu deiner Verteidigung zu sagen hast.“ …

„Manchmal sagen Taten mehr aus als Worte.“…

„Nein. Ich will die scheiß Geschichte nicht hören. Schließlich habe ich alles mit eigenen Augen gesehen, Domenik!“ Ich hörte das Telefon gegen die Wand krachen. Na toll, da hatte jemand ja super Laune. Ich wälzte ich im Bett umher und fragte mich, wo die Bettdecke abgeblieben war.

Nach ein wenig Suchen, entdeckte ich sie am anderen Fußende unter dem Bett. Kein Wunder, dass es hier so zog. Das wütende Stapfen nebenan erinnerte mich daran, warum ich wach geworden war. Wenn die beiden das nicht schnell auf die Reihe bekamen, dann sah ich schwarz für sie. Dom war wirklich nicht von der geduldigen Sorte. Dass er Philipp angerufen hatte, obwohl Konstantin ihm gesagt hatte, dass er ihn in Ruhe lassen sollte, war schon Indiz genug, dass ihm demnächst der Kragen platzen würde. Ich seufzte lautlos. Das würde noch unschön werden, da war ich mir sicher. Konstantin war anscheinend schon aufgestanden und nach unten in die Küche gegangen. Heute war unser freier Tag und ich wollte noch für die Uni lernen, auch wenn ich wirklich keine Lust hatte. Immerhin schrieben die Prüfungen sich nicht von selbst. Aber zuerst musste Koffein her. In der Küche war der Kaffee schon durchgelaufen und nur noch lauwarm. Wann war Konstantin aufgestanden? Den fast kalten Kaffee stürzte ich hinunter und machte mich auf die Suche. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte.

Ich ging zunächst nach oben und sah auf dem Dachboden nach. Doch das Einzige, was ich entdecken konnte, waren Staubflusen, Wollmäuse und Spinnweben, aus denen mich vereinzelt Bewohner anschauten. Die Treppe hatten wir wirklich gut repariert, sie knarrte nicht einmal mehr. Doch ich musste weiter. Ich ging durch das ganze Haus. In Philipps Zimmer traute ich mich nicht. Als ich dort nicht fündig wurde, ging ich hinaus und zum Weiler. Dort sah ich ein Boot am Ufer schaukeln, als ob bis vor Kurzem noch jemand darin gesessen hätte.

„Konstantin?!“, rief ich, doch ich bekam keine Antwort. Wirklich eigenartig. Vielleicht war er zum Bäcker gegangen. Irgendwie wusste ich, dass das nicht wahr war. Frustriert ging ich zum Haus zurück und wartete dort weiter. Nach 2 Stunden, in denen ich erfolglos versucht hatte, zu lernen, hörte ich die Tür schlagen. Aber ich würde nicht runtergehen. Das würde ja so aussehen, als ob ich es wie ein Hündchen nicht abwarten konnte, bis das Herrchen wieder erscheint.

Nach einer halben Stunde klopfte es an der Tür und Konstantin trat leise ein.

„Ah, du lernst?“

„Mehr oder weniger. Ich hab dich vorhin gesucht.“ Ich biss mir auf die Lippen, das klang so weinerlich.

„Ich war im Wald. Musste was nachgucken. Tut mir Leid, dass du dir Sorgen gemacht hast.“ Seine Haare waren nass und glitzerten im Sonnenlicht. Immer noch beschlich mich das Gefühl, dass das nicht die ganze Wahrheit war, aber ich ließ es auf sich beruhen. Er würde schon mit der Sprache rausrücken, wenn er es wollte.

„Was hältst du von einer Lernpause?“ Sein Lächeln zeigte wieder diese winzigen Grübchen, die ich so toll fand und natürlich nahm ich seinen Vorschlag begeistert an. Mein Bett war dafür natürlich hervorragend geeignet und er schaffte es spielend mich von meinen Grübeleien abzubringen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Evilsmile
2013-01-17T18:18:01+00:00 17.01.2013 19:18
Konstantin ist tooooolll <3
Ist das schön zu lesen, wie sie nach so vielen Kapiteln endlich als Paar auftreten und sich fast wie ein Ehepaar benehmen...und im eigenen Haus wohnen sie auch schon :P
Was wollen die Eltern da noch sagen; trenne nie ST. Also, Jona, nicht zuviel grübeln!
Das mit dem Sumpf klingt wirklich gruselig. Dort wird sich doch wohl nicht noch mal was abspielen? *mulmig*
Haha, ich liebe Philipps unorthodoxe Art. Hier fliegen ja ganz schön die Fetzen oder auch mal ein Telefoen gegen die Wand. Er und sein Bruder sind wie Feuer und Wasser.

LG, Evilsmile
Von:  tenshi_90
2013-01-17T15:36:15+00:00 17.01.2013 16:36
Huhu das war ein super Kapitel :-)

Aber was hat Konstantin bloß gemacht? Das würde mich jetzt mal interessieren


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