Hope
Mit verträumtem Blick legte er den Kopf leicht schief und lehnte sich mit der Stirn an die kühle Fensterscheibe. Die Sonne war längst untergegangen und die Uhrzeiger neigten sich so langsam gen Mitternacht. Trotz dessen, dass der Himmel pechschwarz war konnte man noch alles gut erkennen. Aber Tokio war ja auch in der Nacht immer taghell erleuchtet, was nicht zuletzt an der unüberschaubaren Menge an Leuchtreklame lag. Viel Verkehr war nicht mehr auf den Straßen, nur ab und zu sah er ein Taxi vorbeifahren.
Wie lange war es jetzt her, dass sein bester Freund und Mitbewohner nicht mehr Heim kam? Zwei Wochen? Oder waren es schon drei? Es war egal, denn er fehlte ihm. Manchmal fing er schon nach wenigen Stunden an ihn zu vermissen.
Seit etwa zehn Jahren wohnten sie nun hier zusammen und auch wenn er es kannte, dass sein Freund oft und auch lange weg war, wollte er sich einfach nicht daran gewöhnen.
Kurz strich er über die Fensterscheibe und wandte dann den Kopf ab. Wehmütig sah er sich in der dunklen Wohnung um. Er hasste es wirklich, wenn er zu lange alleine war. Wann kam er denn endlich wieder? Er hatte doch gar nicht vorgehabt so lange wegzubleiben. Er wollte doch nur kurz in dem Laden um die Ecke etwas einkaufen.
Wohnungsschlüssel klapperten an der Tür und sogleich hob er den Kopf. War er endlich zurück?
Er sprang vom Fensterbrett, auf welchem er gesessen hatte und rannte schnell in den Flur. Jedoch wurde er enttäuscht. Das da war nicht sein Freund. Das war dessen Liebhaber. Sein Lebensgefährte.
Er mochte ihn sehr, er war immer lieb zu ihm. Aber er wollte einfach seinen besten Freund wieder haben!
Zero, so hieß der Lebensgefährte seines besten Freundes, legte die Schlüssel ab und ging dann vor ihm in die Hocke, strich ihm durch sein schwarzes glänzendes Fell.
"Es tut mir Leid, Ryuu. Karyu kommt noch nicht wieder."
Enttäuscht maunzte er und drehte sich dann um, tapste ins Wohnzimmer zurück. Gekonnt sprang er auf das Sofa und rollte sich genau in der Ecke zusammen, wo sein bester Freund, Karyu, immer saß.
Er würde also noch länger wegbleiben. Und wie lange? War denn nicht schon genug Zeit vergangen?
Ihm gefiel das alles gar nicht, vor allem, da er nicht wusste, wo Karyu eigentlich war.
Aus der Küche drangen Geräusche zu ihm heran. Wahrscheinlich machte Zero ihm etwas zu essen, wie jeden Abend, wenn er kurz vorbei schaute. Er blieb nie lange, vielleicht eine halbe Stunde.
In der Zeit füllte er seine Näpfe, lüftete einmal kurz durch die Wohnung und setzte sich ein paar Minuten zu ihm um ihm wenigstens ein paar Streicheleinheiten zu geben. Er war ihm auch wirklich dankbar dafür, aber ohne Karyu war es einfach nicht dasselbe.
Weitere zwei Wochen vergingen und noch immer war kein Zeichen von Karyu.
Wie jeden Tag saß Ryuutarou auf der Fensterbank und sah hinaus, beobachtete das bunte Treiben auf den Straßen. Die Zeit alleine hatte ihn merklich mitgenommen. Sein Hunger hielt sich in Grenzen, er schlief schlecht und sein Fell hatte an Glanz verloren. Alles in allem sah er richtig kränklich aus.
Auch Zero machte sich Sorgen um ihn, das spürte er. Aber Zero sah selbst nicht besser aus. Irgendwie wirkte auch er müde und mitgenommen. Auch war er oft mit den Gedanken ganz woanders. Irgendwas musste mit Karyu passiert sein, aber Zero erzählte nie was, egal wie kläglich er maunzte. Und er wusste wirklich nicht, ob es besser war, wenn er nicht wusste was los war.
Heute jedoch war es komisch.
Der neue Tag hatte schon längst begonnen und Zero war immer noch nicht da. Er hatte sich ziemlich verspätet und das passte irgendwie nicht zu ihm. Ein wenig unruhig machte Ryuutarou das ja schon. Ob wieder irgendetwas passiert war? Würde Zero ihn nun auch alleine lassen?
Unruhig tigerte er durch die Wohnung, hielt es einfach nicht auf dem Fensterbrett aus. Diese Warterei machte ihn noch fertig. Es konnte doch nicht sein, dass Zero nun auch noch weg war!
Vor Müdigkeit war er irgendwann auf Karyus Stammplatz auf dem Sofa eingeschlafen, jedoch sofort wieder wach, als die Wohnungstür geöffnet wurde. Er blinzelte zum Fenster und stellte fest, dass die Sonne bereits aufgegangen war. Neugierig, wer denn um diese Zeit herkommen würde, sah er zur Wohnungstür und spitzte die Ohren.
Diese Schritte... Nein, das war nicht Zero. Zero hatte einen etwas leichteren Gang als die Person, die gerade die Wohnung betreten hatte. Das klang sogar fast wie...
Freudig sprang er auf und rannte in den Flur, konnte kaum glauben, wen er dort stehen sah.
Überglücklich schnurrte er immer wieder um die Beine Karyus, den er endlich wieder hatte. Wo er solange war, war auf einmal gar nicht mehr wichtig. Hauptsache, er war wieder da.
Leise lachend bückte sich Karyu zu ihm und hob ihn hoch, drückte ihn dann fest an sich.
"Ich hab dich vermisst, Kleiner."
'Ich dich auch.', hätte er am liebsten geantwortet, wenn er es könnte. So begnügte er sich damit, weiter wohlig zu schnurren und Karyu über die Wange zu lecken, was dieser mit einem Schmunzeln quittierte.
Nein, Karyu war nicht nur sein Herrchen oder sein Mitbewohner. Karyu war sein bester Freund und der wichtigste Mensch in seinem Leben. Und ohne ihn würde er nie glücklich werden.
