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Auf See

Sherlock BBC
von

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Es gibt Momente, da hasst John Sherlock. Der Mann ist eine Bedrohung für sich selbst und jeden in seiner Umgebung. Idiot. Verfluchter, dämlicher Vollidiot! John war bereits klar, dass Sherlock verrückt genug ist, ein Auto zu Fuß zu verfolgen, aber in die Nordsee zu springen, um ein ablegendes Schiff einzuholen, erreicht neue Höhen des Wahnsinns. Es ist März, es ist dunkel und das Wasser ist eiskalt.
 

John möchte jedem ins Gesicht lachen, der ihm jemals vorgeworfen hat, er habe einen unterenwickelten Selbsterhaltungstrieb. Sieh dir Sherlock Holmes an und dann wiederhole das.
 

John ist Sherlock nicht direkt gefolgt, irgendjemand musste den besseren Plan haben. Er hat Sherlocks Mantel vom Pier aufgehoben und nach einem Boot gesucht, dass er leihen könnte. Es stellte sich als unmöglich heraus, in einem winzigen Hafen in Norfolk mitten in der Nacht ein Boot zu leihen, also hat er eines gestohlen. Und nun ist er auf See, in einem Motorboot von der ungefähren Größe einer Nussschale und hält Ausschau nach dem Schiff der Schmuggler oder der an der Oberfläche treibenden Leiche seines besten Freundes. Wenn das keine großartige Weise ist einen Abend zu verbringen. Im fahlen Mondlicht sieht jedes Fleckchen Schaum auf den Wellen aus wie Sherlocks blassgraues Hemd.
 

Und dann sieht er das Fischerboot der Schmuggler, vollkommen unbeleuchtet und steuerlos auf dem Wasser treibend. Er stellt den Motor ab und legt längsseits an. Er kann keine Geräusche von dort oben ausmachen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sherlock an Bord ist, ist gering, aber er sucht lieber auf dem Schiff als auf dem Meer, also klettert er so lautlos er kann hoch.
 

Das Schiff ist nicht groß und er kann auf einen Blick sehen, dass das Deck verlassen ist. Die Räume unter Deck sind so leer wie die Brücke und mit wachsender Verzweiflung stellt John fest, dass das das Dümmste ist, was Sherlock je getan hat. Noch dümmer als die Sache mit dem Stock und der Schlange und das war unfassbar dumm. Er rennt zurück auf Deck, hält dann inne. Was nun? Zurück zu seinem Boot? Zurück an Land und die Polizei darüber informieren, dass Sherlock entführt wurde? Wurde er entführt? Sollte John seine Suche nach ihm besser auf dem dunklen Meer in einem winizigen Motorboot fortsetzen, ohne die geringste Ahnung, was er tut?
 

Das Mondlicht wird ein wenig heller, als es durch ein Loch in den Wolken fällt und John bemerkt einen Blutfleck direkt vor seinen Füßen auf dem weiß gestrichenen Metall. Mehr Blut ein paar Schritte weiter und dann fällt Johns Blick auf eine Luke und er eilt dorthin. Sie ist von außen verriegelt, John öffnet sie hastig und klettert hinein. Hier unten ist es kälter als oben, eisig und dunkel und der Gestank nach Fisch ist so stark, dass er John für einen Moment würgen lässt. “Sherlock?”, ruft er.
 

Ein schwaches Murmeln kommt aus dem kohlrabenschwarzen Teil des Raums. Dieser Teil beinhaltet alles abgesehen von dem Quadratmeter oder so, der sich direkt unter der Luke befindet und nur stockdunkel ist. Ein Scharren erklingt und John wagt ein paar Schritte in die Richtung. “Sherlock, bist du das? Ich sehe nichts.”
 

“John.” Sherlocks Atem stockt in der einen Silbe und John folgt vorsichtig seiner Stimme.
 

Obwohl er es beinah erwartet, zuckt er zusammen, als er Sherlocks Hand spührt, wie sie gegen seine streift. Er greift danach, registriert, dass sie viel zu kalt ist. Er sinkt neben Sherlock zu Boden. Vielleicht gewöhnen sich seine Augen an die Finsternis, vielleicht gaukeln ihm die Informationen, die er über Spürsinn und Gehört erhält, Formen in der Dunkelheit vor, aber er begreift, dass Sherlock sitzt, die Beine so weit es geht an seinen Körper gezogen.
 

Er ist nass, beunruhigend kalt und zittert heftig. Mit seiner rechten Hand drückt John Sherlocks Hand an seine Brust, um sie zu wärmen – sinnlos, ineffizient, aber er kann nicht anders – die linke streckt er nach Sherlock aus, um seinen Puls zu nehmen. Statt seines Halses trifft er auf nasses, wirres Haar, ein Ohr, fühlt seinen Weg hinunter bis er die Halsschlagader findet. Ist der Herzschlag zu langsam oder ist Johns Atem zu schnell? Er gibt es auf und legt seine Hand auf Sherlocks Sternum. Es fühlt sich nicht wesentlich wärmer an als der Rest von ihm.
 

Er spürt, wie Sherlock sich bewegt, sich gegen ihn sacken lässt, ihn fast aus dem Gleichgewicht bringt. “Wusste, dass du kommst”, murmelt er.
 

John wusste es nicht und manchmal will er Sherlock einfach nur schütteln bis er es begreift, aber das ist jetzt nicht wichtig. “Kannst du aufstehen?”
 

“Ah”, macht Sherlock und John kann nicht sagen, ob es eine Art nachdenkliche Interjektion ist oder eine Antwort sein soll.
 

“Wir versuchen es”, sagt er und zieht Sherlock mit sich in die Senkrechte. Unter den Armen fühlt sich Sherlock etwas wärmer an, was John als gutes Zeichen wertet. Sherlock stützt sich mit seinem ganzem Gewicht auf ihm ab und stolpert mehrmals als John ihn zur Luke schleppt.
 

“John, mir ist kalt”, wimmert er.
 

“Ich weiß”, erwidert John beruhigend, einen Arm immer noch um Sherlocks Schultern gelegt. “Wir tun etwas dagegen. Du weißt, was los ist, oder? Wir müssen hier raus. Hochklettern? Draußen ist es wärmer.”
 

“Ich will nach Hause.”
 

“Die Stiege hoch”, sagt John.
 

Sherlock geht, aber seine Bewegungen sind unkoordiniert und er scheint keine Kraft in den Händen zu haben, sodass John am Ende seinen schlacksigen Körper hochzerren muss. Draußen angekommen ist Sherlocks Zittern noch stärker und er ist beinah bewusstlos von der Anstrengung.
 

“Bleib wach, Sherlock, nicht schlafen. Sag was.”
 

“Sie haben mich eingesperrt.”
 

“Ja, bist du verletzt?” John schleift Sherlock zur Tür, die unter Deck führt.
 

“So dunkel.”
 

John drückt ihn näher an sich. Es ist ein Wunder, dass sie nicht die schmale Treppe herunterfallen. John führt Sherlock zu einer winzigen Kajüte, die er vorhin gefunden hat. Die Räume sind schlecht geheizt, aber immerhin ist es wärmer als draußen. John setzt Sherlock auf der Koje ab. Auf dem kleinen Regal daneben steht eine Lampe. Als er sie anmacht, blendet ihn die plötzliche Helligkeit zeitweilig.
 

Sherlock macht ein gequältes Geräusch und kneift seine Augen zusammen. Die linke Seite seines Gesichts ist zerschrammt und blutunterlaufen und getrocknetes Blut klebt unter seiner Nase, aber es sieht aus, als hätte es ziemlich schnell aufgehört zu bluten. Das einzige, was John wirklich Sorgen macht, ist die Unterkühlung.
 

“Wie lange warst du da unten?”, fragt er ohne sich große Hoffnung auf eine brauchbare Antwort zu machen.
 

Sherlock starrt ihn für einen langen Moment mit leerem Gesicht an, denkt nach, während John die Knöpfe seines durchnässten Hemds öffnet. “Vier Stunden”, sagt er schließlich.
 

“Das kann nicht sein.” Sherlock ist vor nicht einmal zwei Stunden vom Pier gesprungen.
 

Sherlock sieht für eine Sekunde unsicher aus, weicht dann Johns Blick aus.
 

John seufzt und zieht ihm das Hemd aus. Sherlocks Oberkörper ist so ungesund blass wie sein Gesicht. John zieht die Deck vom Bett und wickelt sie fest um Sherlocks Schultern, bevor er sich seinen Hosen zuwendet.
 

“Ich stehe nicht unter Schock”, sagt Sherlock und versucht die Decke loszuwerden.
 

“Lass das!” John hält ihn an den Schultern fest, bis er stillhält. “Du stehst sehr wohl unter Schock.”
 

Er zieht Sherlocks Hosen zusammen mit seinen Unterhosen und Socken aus, es ist alles klitschnass und er lässt es einfach auf den Boden fallen. Von seinen Schuhen fehlt jede Spur.
 

“Leg dich hin.”
 

Sherlock lässt sich einfach zur Seite fallen und rollt sich immer noch zittern zusammen. John nimmt die Decke von der zweiten Koje und deckt ihn zu.
 

Er bleibt für eine lange Zeit neben dem Bett hocken, sein Gesicht nahe an Sherlocks. “Ich geh und suche nach mehr Decken, okay?”, fragt er, als er endlich aufsteht.
 

“Geh nicht”, sagt Sherlock fast ängstlich.
 

“Nur ganz kurz. Bin im Handumdrehen zurück.”
 

Er sucht in allen Schränken, die er finden kann, aber es gibt keine weiteren Decken. Auch keine Warmflaschen. John kommt mit einem Handtuch zu Sherlock zurück und wickelt es um sein nasses Haar. Dann sitzt er neben ihm auf der Bettkante und rubbelt Sherlocks Rücken durch die Decke hindurch.
 

“Wird dir wärmer?”
 

Sherlock schüttelt den Kopf. “Ich will Tee.”
 

“Ja”, seufzt John, “das wäre fantastisch.” Er streckt seine Hand aus, um Sherlocks Gesicht ins Licht zu drehen, sodass er einen näheren Blick auf die Verletzung werfen kann, aber Sherlock drückt seine Wange gegen Johns Handfläche.
 

“Du bist so warm”, sagt er.
 

Sie wechseln einen langen Blick. Sherlock hebt die Decke und hält sie offen, weniger eine Einladung als eine Forderung, aber es ist näher an seinem normalen Verhalten als die Apathie, die er bisher gezeigt hat, sodass John ein bisschen erleichtern ist.
 

“Okay”, stößt er hervor. Er zieht seine Jacke aus und breitet sie über Sherlocks Schultern aus, legt sich dann neben ihn und zieht die Decken über sie beide.
 

Er hat es sich noch nichtmal bequem gemacht als er spürt, wie Sherlock seinen Hosenstall öffnet. “Was!” Er greift hastig nach seinen Handgelenken. “Das ist nicht- Ich meine, wir-”
 

“Komm schon, John, meine Füße frieren ab”, jammert Sherlock und rückt näher, um sein Gesicht (feuchter, kühler Atem, noch kältere Nase) zwischen Johns Schulter und Hals zu vergraben. John fröstelt und lässt Sherlocks Hände nach kurzem Zögern los.
 

Er braucht einen Moment, um zu bemerken, dass Sherlock mit den Knöpfen seiner Strickjacke und seines Hemds angefangen hat, während er sich noch aus seiner Hose schält. Einen Moment und eiskalte Finger, die seine Brustwarze streifen.

“Sherlock, was-”
 

“'Tschuldigung”, sagt Sherlock ohne besonders danach zu klingen als täte es ihm leid und dann wickelt er seinen ganzen Körper um John wie ein riesiger, feuchtkalter Kraken. Es ist scheußlich, Sherlocks klamme Haut auf seiner gesamten Vorderseite und kalte Arme, die sich unter seinem Hemd um seine Brust schlingen, halb erfrorene Finger auf seinen Schulterblättern und eisige Füße, die sich gegen seine Waden pressen. John zittert und japst und muss aktiv den Impuls bekämpfen, Sherlock von sich zu stoßen.
 

“Okay”, keucht er nach einer Weile. “In Ordnung.” Er legt seine eigenen Arme um Sherlocks Taille und zieht ihn näher.
 

Und dann küsst John ihn, knapp unterhalb des Ohrs. Er weiß nicht genau, warum, es sind all die langen Minuten auf dem dunklen Meer, die ihn verfolgen. Es ist Sherlock, hier in seinen Armen, so idiotisch wie immer und am Leben.
 

Sherlock schiebt sich ein wenig von ihm weg. “John”, sagt er, unbehaglich und zögerlich. “Das ist nicht- Ich bin nicht, das heißt-”
 

“Nein, ich weiß. Ich auch nicht. Es ist nur... Ich dachte wirklich, du hättest es dieses mal geschafft dich umzubringen”, flüstert er. Sherlock drückt ihn für einen Moment fester, aber erwidert nichts. Dann küsst er Johns Schulter, nur einmal, entschlossen, ein rascher Druck geschlossener Lippen. So nah an einer Entschuldigung wie Sherlock jemals kommen wird.
 

So liegen sie da, eng umschlungen, zittern zusammen und wärmen unter den schweren Decken langsam auf. John lächelt und lässt sich vom Schaukeln des Schiffs in den Schlaf wiegen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Rockryu
2012-05-14T18:47:34+00:00 14.05.2012 20:47
Gott, ist das süß!
Das ist echt eine bedingungslose, unverbrüchliche Freundschaft. Wahre Liebe ist bedingungslose Zuneigung. Also ist das wahre Liebe. Sexuelle Anziehung ist dafür nicht nötig.


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