7. Dezember - Einkaufsbummel
Ein entspannender Spaziergang durch die vollgestopften Straßen der Stadt, ein Halt am Trevi-Brunnen, um den vielen jungen Damen zuzulächeln.. Enrico konnte sich nichts Schöneres vorstellen, vor allem nicht, wenn er sonst eine Lateinarbeit zu schreiben hatte.
Wie weit Franco, der neue Bedienstete seiner Eltern, wohl inzwischen gekommen war bei der Hausdurchsuchung? Enrico hatte extra das Auto stehen lassen und war mit dem Bus aus der Pampa mitgefahren, um möglichst viel Zeit zu schinden.
Eine Gruppe japanischer Touristen strömte an ihm vorbei, quetschte sich um den Brunnen und machte ein Foto ums andere, alle mit dem sagenumwobenen Victory-Zeichen auf den Fingern. Ob das wohl eine geheime Sekte war?
Bestimmt liefen die Japaner noch weiter in Richtung Vatikan – immerhin war Rom das Zentrum der Welt. Die Stadt der Städte, die laut und geschäftig dem täglichen Trott folgte und Ströme von Touristen durch ihre Straßen fließen ließ. Rom zog Jahr um Jahr Besucher aus aller Welt an und präsentierte sich immer von ihrer besten Seite - auch wenn manchmal herbstlicher Smog über den Dächern hing oder Frühlingsregenfälle das Vorankommen nur in Gummistiefeln möglich machten.
Er spazierte weiter vor sich hin, sandte beiläufig den anwesenden Damen der Schöpfung eindeutig-zweideutige Blicke zu, während die allgegenwärtigen Tauben gurrend nach Krümeln der Briochés pickten.
Rom war nicht nur eine Stadt – es war die Stadt der Städte, manchmal launisch wie die dunkle, mysteriöse Liebhaberin mit den verführerisch roten Lippen, welche nur ans Küssen denken ließen. Rom war nicht nur irgendeine Stadt – Rom war die ewige Stadt.
Er lebte darin, schon solange er denken konnte, und kannte einen jeden Schlupfwinkel. Wenn er daran dachte – Enrico Giancarlo hatte sich schon so oft vor den Bediensteten seiner Eltern in den schmalen Seitengassen versteckt, dass er sich bei allen Wetterlagen die entlegensten Verstecke suchen konnte.
„Signor Tornatore!“, der Ruf hallte über den halben Platz. Der blonde Italiener konnte ein Zusammenzucken nur mühsam unterdrücken. Man musste es Franco schon lassen, dachte Enrico, während er möglichst unauffällig sein Barrett zurechtrückte, um das Zucken zu überspielen – ein Geschenk von Oliver, letztes Weihnachten – und eine andere Richtung einschlug. Wenn er sich recht entsann, war in der zweiten Seitengasse ein Hauseingang, von dem aus er über einen Hinterhof auf einen Balkon gelangen konnte..
Der Blondschopf schüttelte den Kopf. Was man denn nicht alles unternahm, um nicht entdeckt zu werden..
Unauffällig wandte Enrico sich um, blickte nach hinten, um festzustellen, wo sein Verfolger geblieben war, und fröstelte leicht. Der Tiber hatte heute Morgen Nebel über die Stadt gesandt, welcher sich noch immer nicht richtig verzogen hatte. Und dabei war nun später Nachmittag.
Eigentlich wollte er doch eigentlich nur seine Ruhe haben, während er nach geeigneten Geschenken Ausschau hielt. Immerhin war dies unter Freunden, die eigentlich bereits alles besaßen, immer eine besondere Aufgabe. Oder aber, Enrico hatte einfach keine besondere Ader für das Schenken. Eigentlich suchte er ja lieber die versteckten Geschenke in der Villa, statt sich in einer feuchten, ungemütlich winterlichen Stadt Italiens die Füße abzufrieren. Immerhin hatte es heute kühle fünf Grad!
Enrico schlenderte nun an den vielen Auslagen der kleinen Seitengassen vorüber, welcher Kitsch und Kostbarkeiten gleichermaßen beherbergte. Je nachdem, was man gerade suchte. Enrico wusste noch nicht so recht, was er für Oliver suchen sollte. Der Franzose hatte selbst genug guten Wein, von Parmesan hielt er nicht besonders viel, genauso wenig von Schokolade.
Enricos blaue Augen funkelten amüsiert, während er an seinen letzten Geschenk-Reinfall dachte. Der Gutschein für eine Ganzkörpermassage war eindeutig falsch verstanden worden. Oliver lud einfach manchmal zu diesen kleinen.. Tunten-Geschenken ein. Immerhin kleidete er sich wie eine: viel zu modebewusst. Und seine Fingernägel waren immer gemacht.
Der blonde Italiener betrachtete kurz seine eigenen. Nun gut, er war auch etwas übertrieben tuntig – doch er durfte das! Er war Italiener!
Urplötzlich schlich sich ihm in einer der Auslagen das perfekte Geschenk entgegen: ein kleines Plüsch-Einhorn verlangte mit traurigem Blick danach, endlich in ein Zuhause gebracht zu werden.. Ein schelmisch-neckisches Grinsen zog sich über Enricos Gesicht, während er schon die schmalen Treppen zum eigentlichen Laden hinunterstieg. Oliver hasste Einhörner – er konnte also nicht viel falsch machen.
Enrico lachte und pfiff leise ein „O sole mio“ vor sich hin, während er durch die kleine, enge Backsteingasse hindurch in Richtung Tiber wanderte. Die kleine Plastiktüte baumelte an seinem Arm und knisterte dabei leise vor sich hin. Der Ruf hinter ihm ließ ihn zusammenzucken und alle Vorsicht vergessen.
„Signor Tornatore!!“
„Der bin ich nicht!“, brüllte der Blondschopf, während er schon die Beine in die Hand genommen hatte und so schnell als irgend möglich das Weite suchte. Ihm blieb heute aber auch nichts erspart..