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Mauerhase

Ivan/Gil
von

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Mauerhase

Mauerhase
 

Grau. Trist. Langweilig.

Das war seine Welt. Wie lange es nun schon so war wusste er nicht mehr. Aber aus diesem Unwissen schloss er, dass es schon zu lange so war. Wann war er das letzte Mal frei und unbesorgt draußen gewesen? Ohne sich gefangen zu fühlen? Ohne befürchten zu müssen, dass er mit diesem Handeln nicht doch etwas Falsches tat? Auch daran fehlte ihm die Erinnerung. Selbst wenn er durch seine Tagebücher blätterte war es, als wären all die Worte, die in ihnen niedergeschrieben waren, irreal. Nie passiert. Nur Teil einer Geschichte, die er sich einst ausgedacht und niedergeschrieben hatte. Fiktion.

Seufzend betrachtete er die Kaninchen, die sich um ein kleines Fleckchen Grün in diesem sonst leblosen Streifen Land drängten. Sie schienen zufrieden. Zumindest wirkten sie entspannt. Als würde es keinerlei Gefahr für sie geben. Dabei waren auch sie Gefangene. Wie er.

Wenn er so darüber nachdachte drohten ihnen allerdings nicht ansatzweise so viele Gefahren wie ihm. Warum auch? Waren doch bloß Kaninchen. Tiere, keine Menschen. Von den Grenzsoldaten wurden sie geduldet. Vielleicht sogar gemocht. Er hingegen hatte es sich mit ihnen von Anfang an verscherzt. Zu oft hatte er trotz aller Drohungen zu entkommen versucht. Peinlich eigentlich, dass eine Nation sich von seinem Volk so beherrschen zu lassen hatte. Jedoch waren diese Menschen in seinen Augen nicht sein Volk. Sie waren es nie gewesen. Auch wenn die Alliierten etwas anderes meinten, so war er noch immer Preußen. Nicht die Deutsch Demokratische Republik. Nie würde er jene sein. Zumindest nicht im Herzen. So hörte er auch nicht, wenn man ihm bei diesem Namen nannte. Damit würde er sich nur selbst verleugnen.
 

Er wusste nicht, wieso er Tag für Tag für Tag diese Tiere beobachtete. Sie machten doch ohnehin jeden Tag das gleiche. Schnüffeln, mümmeln, sich putzen, mümmeln, spielen, mümmeln, schlafen und dann wieder mümmeln. Tagein, tagaus. Inzwischen konnte er schon fast sagen, wann welches Kaninchen was machte. Es war doch einfach langweilig, oder? Keine wirkliche Beschäftigung. Da konnte er genauso gut Tagebuch führen. Oder Briefe schreiben. An seinen Bruder. Seine Freunde.

Obgleich er wusste, dass keiner dieser Briefe jemals bei seinem Empfänger ankommen würde.

Obgleich er ohnehin nur schreiben würde, dass es ihm gutging. Dass er großartig war. Dass ihm das Alleinsein nichts ausmachte.

Obgleich er im Endeffekt – ob er nun Briefe verfasste oder die Seiten seiner Tagebücher füllte – nur lügen würde.

Es ging ihm nicht gut. Das Alleinsein machte ihm sogar sehr viel aus – die Gesellschaft von einem kleinen Vögelchen war einfach kein Ersatz für ein menschliches Gegenüber. Insgeheim war er sich sogar recht sicher, dass er diese Umstände nicht mehr lange aushalten würde. Zu fest war zudem die Überzeugung, dass er sich nie mit ihnen abfinden könnte. Sich nie an sein jetziges Leben gewöhnen würde. Tatsachen in denen er die Karnickel draußen irgendwie beneidete. Sie kamen immerhin mit den neuen, einengenden Umständen zurecht.

Kopfschüttelnd wandte er sich ab. Er sollte aufhören, sich mit den Kaninchen zu vergleichen. Das war, als würde er Tag und Nacht miteinander gleichsetzen. Sinnwidrig. Anstelle dessen begab er sich aus seinem Zimmer. Steuerte die Küche an. Eigentlich könnte er jetzt einen Kaffee gebrauchen. Doch auf einen solchen würde er lange warten können. Mangelware. Wie alles. Wenn er Glück hatte, dann würde Ivan bei seinem nächsten Besuch – seiner nächsten Stippvisite – etwas mitbringen. Doch wirklich darauf hoffen wollte er nicht. Selbst wenn dem so wäre gäbe es sicherlich irgendwelche Haken. Humanität war von dem Russen wirklich nicht zu erwarten.
 

Trotzdessen, dass er sich vorgenommen hatte, die Kaninchen Kaninchen sein zu lassen und ihnen keine weitere Beachtung zu schenken saß er wieder da. Beobachtete die Mümmelmänner. Doch anders als einige Tagen – vielleicht sogar Wochen – zuvor wirkten sie weniger glücklich. Gelangweilt lagen sie zwischen Steinen, Staub und vereinzelten Grasbüscheln. Schienen fast schon apathisch zu sein. Und obwohl das eigentlich ein Anblick war, der sogar die Grenzposten merklich betrübte hatte sich ein Schmunzeln auf die blassen Lippen Gilberts geschmuggelt. Erklären konnte er es sich selbst nicht genau; vielleicht war es unterbewusste Schadenfreude. Schadenfreude darüber, dass es den Kaninchen gar nicht so gut ging, wie es – seit Jahren? – schien. Dass auch sie schlussendlich nur gefangen waren und in tagtäglicher Routine lebten. Wie Gilbert selbst. Spätestens seit Vollendung des Mauerbaus war das Leben einfach nicht mehr das, was es einst war. Es war nicht mehr lebenswert. Und das erkannten diese dummen Viecher nun auch endlich. Wie hätte er darüber nicht lächeln können?

Mit diesen Gedanken nippte er an der letzten Tasse Kaffee, die von Ivans ‚großzügigen Geschenk‘ noch übrig geblieben war. Dabei sei bemerkt, dass diese Umschreibung alles andere als zutreffend war. Denn geschenkt war der Kaffee nicht. Und großzügig war auch etwas vollkommen anderes. Die paar Gramm waren die damit verbundenen Schmerzen und Qualen absolut nicht wert gewesen. Doch hatte er keine andere Wahl gehabt. Aber davon war er auch nicht ausgegangen. Nicht bei Ivan. Trotzdessen und obwohl er um die Rarität des Kaffees wusste kippte er den Rest der eigentlich viel zu dünnen, wässrigen Brühe in den Ausguss des kleinen Küchenwaschbeckens. Trotz all der Umstände schmeckte das Zeug einfach nicht. Nicht in dem Verhältnis, in dem er sich dazu gezwungen sah, den Kaffee zu kochen um mehr als nur maximal eine Woche, in der er sich gerade einmal eine Tasse täglich genehmigte, etwas davon zu haben.
 

Eine ganze Weile hatte Gilbert den Kaninchen vor seinem Fenster wirklich keine Beachtung mehr geschenkt. Warum auch? Schließlich hatten sie zuvor drei Tage am Stück so anteilnahmslos herumgelegen, da würde sich so bald auch nichts wieder dran ändern. Und für solch einen Anblick brauchte er nicht nach draußen sehen. Da musste er sich nur selbst betrachten. Ob jetzt im Spiegel oder in Form dessen, dass er über sich und sein momentanes Leben nachdachte war dabei völlig egal. Er selbst vegetierte schließlich ebenso vor sich hin wie Meister Lampe und seine Familie dort draußen. Wo war da also der Unterschied?

Als er nun jedoch die Haustür öffnete – weil der Wagen dieses verdammten Russen vorgefahren war und dieser Gilbert dieses Verhalten wortwörtlich eingeprügelt hatte – bot sich ihm doch ein völlig anderer Anblick als er es erwartet hatte. Von den Kaninchen war nur vereinzelt eine Spur. Dicht an den Eingängen zu ihren Höhlen gedrängt kauerten sie da. Schauten hektisch umher. Beim genaueren Hinsehen erkannte er sogar vereinzelte Kaninchenkadaver, die knapp vor der Mauer lagen. Gilbert war davon ausgegangen, dass es Flüchtlinge waren auf die – wie ganz zu Anfang auch auf ihn – ab und an geschossen wurde. Doch dem schien doch nicht so gewesen zu sein. Die Karnickel waren die wahren Ziele der Grenzsoldaten gewesen.

„Sie wollten fliehen. Obwohl sie hier her gehören haben sie versucht sich unter der Mauer hindurch zu graben. Sie haben es gut hier. Keiner tut ihnen was. Sie werden sogar beschützt. Das ist nun die Konsequenz dafür, dass sie es nicht zu schätzen wissen.“, ertönte Ivans Stimme deutlich amüsiert zu Gilberts Linken.

Zwei der vermutlich frisch geschossenen Kaninchen an den Löffeln in der linken Hand haltend legte der Russe seine Rechte auf Gilberts Schulter und drängte ihn zurück in das kleine Haus. Zumindest das Essen würde heute Abend wohl etwas schmucker ausfallen als es sonst der Fall war. Ob das nun wirklich Grund zur Freude war wusste Gilbert allerdings nicht so recht.

„Warum lässt du T i e r e erschießen, weil sie von hier wegwollen? Glaubst du etwa allen Ernstes, dass sie das verstehen?“, knurrte er Ivan dunkel an, als dieser ihn bis in die Küche bugsiert hatte.

„Die Tiere vielleicht nicht. Aber die Menschen hier bestimmt. Und du.“, war die säuselnde Antwort während Ivan Gilbert die toten Tiere in die Hand drückte. Er hatte Hunger.

„Ich kann dir nicht folgen.“

Die Zurschaustellung seines Widerwillens für Ivan die Kochkraft zu spielen hatte Gilbert sich inzwischen abgewöhnt. Demzufolge nahm er die Tiere einfach entgegen um sie vorzubereiten. Eine verdammte Drecksarbeit. Aber ihm blieb nichts anderes Übrig als sie auszuführen.

„Ich kann doch nicht zulassen, dass Kaninchen hier tun und lassen was sie wollen und einfach mir nichts dir nichts unter der Mauer durchschlüpfen. Am Ende kommen die Menschen auf die Idee es ihnen gleichzutun, die Mauer und damit alles, was ich ihnen biete zu Untergraben und einfach abzuhauen.“

Ivans Stimme klang noch immer amüsiert – höchstzufrieden – während er den inzwischen blutigen Fingern Gilberts bei der Arbeit zuschaute.

„Du statuierst ein Exempel an Tieren? Wie erbärmlich bist du eigentlich?“

Doch diese unüberlegten Worte sollten sich schneller als folgeschwer erweisen als es dem Albino lieb war. Ehe er sich versah hatte Ivan ihn am Kragen zu sich gezogen. Ihn geschickt überwältigt, sodass er sich bäuchlings auf dem Küchentisch wiederfand. Zwar befand sich in seiner Rechten noch immer das Küchenmesser, mit dem er die Kaninchen eben noch gehäutet und ausgeweidet hatte, doch hatte Ivan ihn mindestens so schnell an den Handgelenken gepackt wie er ihn zuvor auf den Holztisch befördert hatte. Ihn somit fest im Griff habend lehnte er sich dicht über den etwas Kleineren. Berührte mit seinen Lippen beinahe dessen Ohrmuschel.

„Weißt du, Gilbert? Die Kaninchen wollen scheinbar nicht mehr hier leben. Aber wenn sie hier nicht mehr sesshaft sein wollen, dann sollen sie es auch nicht irgendwo anders sein. Genauso ist es mit dir. Warum sonst glaubst du, habe ich dir eine Bleibe so weit außerhalb organisiert? Selbst du gehst alleine ein. Verstehst du jetzt? Wenn du nicht mir gehören willst, dann soll dich auch niemand anders haben.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2011-08-11T16:32:13+00:00 11.08.2011 18:32
wow ich habe zwar nur flü7üchtig drübergelesen da ich im moment keine zeit habe, aber das ist so eine hammer ff.
ich hasse ivan wen er so ist ganz erlich. nichts gegeen deine ff aber wen ivan so ist werd ich immer sauer...
xD
aber super
Von:  8thDeadlySin
2011-08-11T07:56:30+00:00 11.08.2011 09:56
Aargh, warum ist denn bei dieser megatollen FF noch kein Kommi? >A<
Jetzt reich's aber! D:

Ich habe dir ja schon gesagt, wie toll ich die FF fand, noch bevor sie hier hochgeladen wurde *A*
Und das hat sich ja auch nicht geändert...
Sie ist einfach richtig,richtig,richtig,richtig gut geschrieben!
Die Idee allein schon finde ich super klasse! **
[By the way: Was man aus einer Doku nicht so machen kann? |D]

Ich hab mich in die FF verliebt D: <3




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