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Das Vermächtnis des Kain

Vergessene Magie
von

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Sonnenlicht

Harry geriet in Panik. Luca konnte ihn doch nicht einfach so allein lassen! Was war mit den vereinbarten drei Monaten? Er war noch nicht so weit! Wo sollte er denn jetzt hin? Die Sonne ging auf und auch wenn ihr Licht ihn nicht sofort zu Staub verbrennen würde, brauchte er doch so schnell wie möglich einen Unterschlupf!

Okay, Harry, ganz ruhig, sagte er zu sich selbst. Du hast doch deinen Mantel, der schützt den größten Teil von dir. Erinnere dich an deine Lehrstunden... Was ist in einem solchen Fall zu tun?

Harry tastete nach seinem Zauberstab. Er könnte einen Schattenzauber auf seine Kapuze legen, dann wäre sein Gesicht vor der Sonne geschützt. Allerdings würde dann auch das Ministerium erfahren, wo er war. Da er noch nicht volljährig war, lag die Spur auf ihm. Außerhalb des Hauptquartiers war sie ein effektives Mittel, ihn zu finden und das wollte er auch nicht riskieren. Aus demselben Grund kam Apparieren nicht infrage – dann würde er die Zwielichtigen ihren größten Feinden ausliefern.

Gut, dann ein Gebäude. Ein leer stehendes, am besten mit Keller, wo er den Tag verbringen könnte. Aber er befand sich in einer Wohngegend, hier gab es keine leer stehenden Häuser.

Was dann? Luca hatte ihm von Vampirverstecken erzählt. Es gab in großen Städten meist Orte, die ständig tagsüber von Vampiren benutzt wurden. Und die für Ihresgleichen als solche gekennzeichnet waren. 'Sichere Plätze' nannten sie sie. Das Ministerium wusste nichts von ihnen und jeder Vampir war dort willkommen. Zusammenhalt der Rasse oder so. Das Problem war, dass sowohl dunkle als auch zwielichtige Vampire dort Zutritt hatten. Egal! Harry musste hoffen, dass ihn niemand erkannte. Wenn er nur ein solches Versteck finden würde... Überleg, Harry, wo in London sind die? Luca hatte ihm einmal eine Karte gezeigt... Wenn er nur wüsste, wo genau er sich hier befand!

Harry sah hoch zu den langsam verblassenden Sternen. Er hatte noch knapp eine Stunde.

Der einzige Sichere Ort, der ihm einfiel, war der auf dem Londoner Friedhof. Vor dem hatte Luca ihn nämlich besonders gewarnt, weil sich dort so viele Dunkle herumtrieben, nur deshalb war der Ort ihm im Gedächtnis haften geblieben. Aber es half nichts.

Nur, wie sollte er dahin kommen? Hierfür endlich fiel ihm sofort eine Lösung ein. Rasch konzentrierte er sich, legte seine Hände überkreuzt auf seine Schultern, wie Solom es ihm gezeigt hatte und rief nach seiner Magie. Etwas kitzelte in seinem Nacken, als sein Haar begann zu wachsen. Seine Haut wurde warm, als er sie mit Farbe überdeckte, ebenso seine fast durchsichtigen Fingernägel. Er ließ seine Blitznarbe verschwinden und wuchs um ein paar Zentimeter. Zum Glück konnte das Gestaltwandeln der Vampire nicht zurückverfolgt werden.

Das musste erreichen. Für mehr hatte er keine Zeit. Harry stellte sich an den Straßenrand und zog seinen Zauberstab. Er streckte ihn seitlich aus und wartete.

KNALL!

Ein riesiger Doppeldeckerbus erschien wie aus dem Nichts auf der Straße. Die großen Räder quietschten, eine Laterne hüpfte zur Seite und der Fahrende Ritter hielt vor Harry an.

Ein Junge in Uniform sprang aus der Fahrertür. „Willkommen im Fahrenden Ritter, dem Nottransporter für gestrandete... Ach, is ja auch egal. Steig ein, Junge, ich will endlich Feierabend machen.“

Harry schlich die Treppen hoch, so unauffällig wie möglich, murmelte ein Danke und drückte dem Jungen ein paar Münzen in die Hand.

„Wo soll's denn hingehen?“

„Gladstone-Friedhof“, murmelte er.

„Hä? Biste sicher? Da treibt sich echt übles Zeug rum, Zombies und so.“

Harry wurde ungeduldig. Nur noch eine Dreiviertelstunde! Er musste endlich los!

Der Jungvampir hob den Blick, ganz wenig nur, damit der Typ – Stan hieß er, richtig? - seine unnatürlich leuchtenden, grünen Augen sah. Sogar den Farbschein nahm er ein wenig von seiner Haut herunter, nur für eine Sekunde. Er gab seiner Stimme einen rauen Klang und flüsterte drohend: „Genau da bin ich richtig.“

Stan zuckte zusammen. Er machte ein Gesicht, als hätte er herausgefunden, dass sein Blind Date ein Dementor war.

Harry konnte sich nur vage an seiner Fahrt mit dem Ritter erinnern, als er von seiner Tante abgehauen war. Dem Bus waren zwar alle Mugglehäuser aus dem Weg gesprungen, aber irgendwann war das Fahrzeug gegen ein neu errichtetes Zaubererhaus mit so starken Abwehrzaubern gekracht, dass es einen Totalschaden gegeben hatte. Die Folge war ein Andrang an Ministeriumszauberern und Harry hatte nicht warten wollen, bis der Bus repariert wurde. Also war er per Besen weitergeflogen. Aber er wusste noch, dass Stan nett zu ihm gewesen war und eigentlich tat es ihm Leid, den armen Kerl so zu erschrecken. Aber er hatte es eben eilig!

Stan starrte ihn und schluckte einmal.

„Hey Ernie“, rief er dann, wenn auch etwas unsicher. „Fahr los, Mann!“

Es knallte erneut und jetzt zogen ganz andere Häuser und Straßen an den Fenstern vorbei. Harry setzte sich auf eines der Betten, möglichst weit weg von den anderen Fahrgästen: ein schnarchender alter Mann hinten in der Ecke und eine blonde Frau, die sich in einen Spucknapf übergab.

Die Fahrt kam ihm unendlich lang vor. Als die ersten Wolken am Horizont von einem zartrosa Hauch berührt wurden, war er kurz davor, die Notbremse zu ziehen und sich doch irgendwo anders zu verstecken.

„Gladstone-Friedhof.“

Harry sprang auf und hechtete an Stan vorbei, kaum das der die Tür geöffnet hatte.

Der Friedhof war uralt. Riesige Mausoleen und Gruften mit steinernen Wächterengeln wechselten sich mit schlichten Grabsteinen ab. Alles war mit Efeu überwuchert und einen Gärtner gab es offensichtlich schon lange nicht mehr. Harry ließ den Blick nur flüchtig über die Inschriften gleiten, als er zwischen den Gräbern hindurch rannte. Die Zahlen stammten ausnahmslos aus den vergangenen Jahrhunderten.

Es wurde heiß. Harry war schon manchmal im Sonnenlicht über den Hof des Hauptquartiers gerannt, um von einem Gebäude ins nächste abzukürzen. Das waren aber viel kürzere Strecken gewesen. Jetzt spürte Harry, wie sich der schwarze Mantel unangenehm erwärmte. Die Sonne brannte auf seinen Rücken und er zog die Kapuze tief ins Gesicht.

Und dann blieb er stehen.

Er wusste nicht genau warum, aber wie von selbst verlangsamte er seine Schritte, bis er schließlich ganz inne hielt. Wie lange hatte er die Sonne nicht mehr gesehen? Wenn er überhaupt das Hauptquartier verlassen hatte, dann nur bei Nacht oder starker Bewölkung. Nie hatte er sich erlauben können, sich von den sanften Strahlen der Sonne wachkitzeln zu lassen. Den Sonnenaufgang hatte er nie bis zum Ende sehen können. Wie schlimm konnte der Schmerz schon sein?

Harry drehte sich um.

Sofort blendete ihn das gleißende Licht der Sonne. Die Strahlen verbrannten seine Augen und er schrie auf. Hitze flammte über sein Gesicht und seine Hände, die nicht von dem Mantel geschützt waren. Von wegen starker Sonnenbrand! Seine Haut wurde krebsrot und fleckig. In Sekundenschnelle trocknete sie auf und Harry sah voller Entsetzen auf seine Hand, die Blasen warf, als würde das frische Blut darunter kochen. Und der Schmerz! Niemals hatte er solchen Schmerz verspürt. Es war, als hätte er sein Gesicht in pure Säure getaucht. Es brannte, es brannte so furchtbar. Am schlimmsten taten seine Augen weh. Bald schon konnte Harry gar nichts mehr sehen und obwohl er sich von der grässlichen Sonne abwendete, hörte es nicht auf zu schmerzen.

Da packte ihn etwas am Knöchel. Harry war blind, aber die kalten, dünnen, erdigen Finger auf seiner nackten Haut verhießen nichts Gutes. Ein Ruck ging durch Harrys ganzen Körper und sein Bein wurde in die Tiefe gezogen. Kalte Erde umschloss ihn und Harry geriet immer mehr in Panik. Er schlug um sich und versuchte sich freizukämpfen. Aber der Griff um seinen Knöchel war unerbittlich. Jetzt kam noch eine zweite Hand dazu, eine dritte und sie alle zerrten an seinem Bein und versuchten ihn hinunterzuziehen in etwas, von dem sich Harry sicher war, dass es ein frisches Grab war.

„Hilfe!“, wollte er schreien, aber seine Zunge war verbrannt und lag wie eine trockene Scheibe Toastbrot in seinem Mund.

Dann ein weiterer Ruck. Erde. Herrlich kalte, feuchte Erde. Luft. Und ein schmerzhafter Aufprall.

Die Hände hatten ihn losgelassen. Trotzdem schlug Harry noch eine Weile um sich, bis er das wirklich registriert hatte. Leises Getuschel war zu hören.

„Äh“, machte er mühsam. Jetzt war es Angst, die ihm die Kehle zuschnürte. „Äh, ich bin ein Vampir... ich schmecke ganz scheußlich, wirklich!“

Ein spöttisches Lachen. „Wir wissen, dass du ein Vampir bist. Und wenn du die Augen aufmachen würdest, könntest du vielleicht erkennen, dass wir keine Inferi, sondern deinesgleichen sind.“

„Aber... ich kann nichts sehen!“

„Ja, du Depp, weil du Erde in den Augen hast.“

Verwirrt wischte Harry sich über das Gesicht. Der Schmerz hatte zwar nachgelassen, aber als er seine Haut berührte, spürte er gleich wieder das Brennen. Aber der Vampir hatte recht, als er erst einmal die Erde aus den Augenwinkeln gewischt hatte, konnte er wieder sehen.

Viel brachte ihm das allerdings auch nicht. Er musste sich in einer Art Höhle oder einem Geheimgang unterhalb des Friedhofs befinden. Es war fast ein wenig wie bei der Teufelsschlinge in seinem ersten Jahr, die hatte auch in einen ähnlichen Eingang verborgen. Aber hier gab es keinerlei Beleuchtung. Harry hatte zwar bessere Nachtaugen als Menschen, aber alles was er hier erkennen konnte, waren vier oder fünf weiße Flecken, die vor ihm in der Luft schwebten. Die Gesichter der Vampire. Er hatte ihren Sicheren Ort gefunden.

„Wer... Wer seid ihr?“ Harry rappelte sich auf, froh eine Wand im Rücken zu haben und beobachtete die blassen Gestalten vorsichtig. Wahrscheinlich war es der, der ihm am nächsten stand, der ihn in das feuchtkalte Grab und damit aus der Sonne gezogen hatte. Aber die Vampire schienen das Interesse an ihm verloren zu haben. Nach und nach wandten sie sich ab. Ihre schlurfenden Schritte verhallten in der Ferne.

„Idiot“, murmelte einer von ihnen in Harrys Richtung.

Der Vampir, der ihn herunter gezogen hatte, winkte einmal mit seiner weißen Hand, bevor auch er sich abwandte.

Etwas überrumpelt blieb Harry noch einige Sekunden an Ort und Stelle stehen. Dann erst folgte er langsam seinen Artgenossen. Zum Glück ließ auch der Schmerz in seinem Gesicht nach.
 

Der Gladstone-Friedhof war ein unterirdisches Labyrinth. Jedenfalls kam es Harry so vor, als er in völliger Finsternis durch die Gänge stolperte. Bald schon hatte er die anderen verloren. Allerdings wusste er nicht, ob er deswegen froh sein sollte oder nicht. Hin und wieder kam er an einem Schacht vorbei, ein viereckiges Loch in der Decke. Vermutlich Verbindungen zu alten Gräbern wie das, durch das auch er gekommen war. Es schien zwei oder drei Hauptgänge zu geben, alles andere waren Sackgassen.

Endlich stieg der Weg an und Harrys seit seiner Verwandlung gestärkter Geruchssinn nahm den kaum wahrnehmbaren Hauch der Vampire wieder auf. Er stieg eine Treppe hinauf und gelangte in einen düsteren Raum. Einen Raum, der direkt einem Horrorfilm hätte entsprungen sein können.

Es schien so etwas wie eine Familiengruft zu sein. Uralte Steinsärge waren in einigem Abstand voneinander hier aufgestellt und leere Truhen erzählten von den Grabbeilagen, die es hier einst gegeben haben mochte. Das Mausoleum war offensichtlich oberirdisch. Das Steindach hatte einige Löcher und so gab es einige Stellen, an denen Sonnenstrahlen wie Messer durch die Finsternis stachen.

Auf den Särgen verteilt hockten gut ein Dutzend Vampire. Einige spielten Karten, andere redeten leise. Ein paar lasen, und wieder andere saßen nur stumm da und warteten auf die Nacht. Einige Särge, fiel Harry auf, waren beschädigt oder die Deckel schief aufgesetzt. In der rechten Ecke des Raumes lag ein Stapel Skelette und lumpige Leichentücher, die jemand achtlos dorthin geworfen hatte. Die Vampire hatten die Särge geleert, um eine sichere Schlafstatt zu haben.

Die Gruft schien so etwas wie der Gemeinschaftsraum der Gladstone-Vampire zu sein, trotzdem er über der Erde lag. Es war der einzige Raum, der genug Platz für sie alle bot. Also versteckten sie sich hier und suchten sich eine Ecke so weit weg wie möglich von den Sonnenstrahlen, die im Verlauf des Tages ihren Winkel wechseln würden.

Harry glaubte auch, seinen Retter zwischen den Vampiren zu erkennen, aber sicher war er sich nicht. Nur der Geruch kam ihm bekannt vor.

Unschlüssig blieb der Junge im Eingang stehen. Nur wenige warfen ihm einen Blick zu, Neuzugang war hier offensichtlich alltäglich. Harry hatte keine Lust, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, also hockte er sich in die Ecke, die am weitesten von den Skeletten entfernt lag und tat das, was er bei den Dursleys schon so oft tun musste: Er machte keinen Mucks und tat so, als ob er nicht da wäre.

Das ging genau sechs Stunden lang gut.

Dann flogen die Türen zur Gruft auf und Sonnenlicht flutete herein.

Die Vampire fauchten entsetzt auf. Schnell wie Raubkatzen huschten sie an den Rand und verbargen sich im Schatten, als das Licht ihre Haut versengte. Harry hatte Glück, dass er außerhalb der Reichweite der Sonnenstrahlen saß. Trotzdem hatte er einen relativ guten Blick auf die Gestalt im Rahmen des Portals. Pechschwarz zunächst, da sie von hinten angestrahlt wurde, kam die Person nun mit wehendem Umhang und energischen Schritten herein, sodass er sie besser erkennen konnte.

Es war eine Frau, höchstens fünfundzwanzig Jahre alt. Plus-minus ein paar hundert Jahre, denn sie war eindeutig ein Vampir. Ihr schwarzer Kapuzenmantel verhüllte sie fast vollständig. Sie trug lange schwarze Handschuhe und eine dunkle Sonnenbrille, die sie jetzt schwungvoll von der Nase riss und leuchtend blaue Augen enthüllte.

„Jetzt habt euch doch nicht so, ihr Memmen!“, fuhr sie die Vampire in herrischem Tonfall an. Mit einem Schnips eines garantiert unautorisierten Zauberstabs ließ sie das Portal wieder zuknallen. Nun, wo die Sonne ausgesperrt war, nahm sie auch ihre Kapuze ab und nachtschwarzes Haar fiel ihr über die Schultern.

Die anderen Vampire schienen sie zu kennen. Abscheu, Furcht und widerwilliger Respekt spiegelte sich auf ihren Gesichtern, als sie nach und nach wieder in die Mitte des Raumes traten.

Die Frau kümmerte sich nicht darum, dass sie ganz nah bei einem der Deckenlöcher stand, die die Sonne herunter scheinen ließen. Sie wandte sich an die anderen finsteren Gestalten:

„Bei Merlins Höllenfeuer, ihr benehmt euch ja wie Jungvampire. Ein paar Sekunden Sonnenlicht bringen euch nicht um. Selbst schuld, wenn ihr euch nicht ausreichend schützt.“

Die Vampirin sah sich nach einer Sitzgelegenheit um und rümpfte bei Anblick der mit Spinnweben bedeckten Särge die Nase. Kurzerhand ging sie zu der Statue eines fast zwei Meter hohen steinernen Engels hinüber. Mit ihren dünnen Fingern packte sie einen der Flügel mit festem Griff. Es gab ein schauderhaftes Knacken, das Harry einen Schauer über den Rücken jagte. Den abgebrochenen Flügel rammte die Vampirin mit einer unglaublichen Kraft in das Mauerwerk der Gruft und setzte sich auf den nun senkrecht abstehenden Flügel. Harry hatte nicht viel mit Religion am Hut, aber dieses Verhalten kam ihm unglaublich respektlos und menschenverachtend vor. Es wurde nicht viel besser, als sie einen abgebrochenen Fingerknochen vom Boden aufhob und damit zwischen ihren Eckzähnen herumstocherte.

Die Vampire hatten nur zum Schein ihre Tätigkeiten wieder aufgenommen. Harry sah genau, wie sie immer wieder einen Blick zu der Schwarzhaarigen hinüber warfen und ganz offensichtlich auf etwas warteten.

„Jetzt rück schon raus mit der Sprache“, forderte schließlich einer von ihnen. Es war der große Vampir mit den schwarzen Haaren, der Harry gerettet hatte. War es nur das Licht oder wirkte er wirklich unnatürlich dünn?

„Du hast doch wieder irgendwelche Nachrichten, sonst wärst du nicht so spät gekommen.“

„Ausnahmsweise kommt mal was Kluges aus deinem Mund, Bruder. Richtig, es gibt Nachrichten und wie üblich sind sie nicht besonders gut.“ Sie spuckte das Knöchelchen aus und warf einen finsteren Blick in die Runde. Sämtliche Aufmerksamkeit galt ihr. „Dass wir seit dem Krieg des Dunklen Lords keine Zauberstäbe mehr benutzen dürfen, ist ja noch zu verkraften. Solange wir den Besitzer eines Stabes töten, geht der ja trotzdem auf uns über, da macht es nichts aus, dass wir keinen mehr kaufen dürfen. Aber jetzt haben sie ein neues Anti-Vampir-Gesetz.“ Sie legte eine unheilvolle Pause ein. „Vampiren ist es fortan verboten, magisches Blut zu kaufen.“

Wütendes Zischen, ungläubiges Japsen und zornige Ausrufe wurden laut. Harry wusste, dass das Ministerium den Vampiren nicht verbieten konnte, Menschenblut von den Krankenhäusern zu kaufen. Aber magisches Blut, sei es nun von Hexen und Zauberern oder von anderen magischen Kreaturen, schmeckte nicht nur viel besser, es spendete auch mehr Kraft und man hatte einen geringeren Verbrauch,

„Die Blutbanken werden geschlossen“, fuhr die Vampirin mit den leuchtend blauen Augen ungerührt fort, „in der Nocturngasse findet in diesem Moment eine Reinigung durch die Auroren statt. Diesmal werden sie auch die illegalen entdecken, daran hab ich keinen Zweifel. Der Beschluss kam relativ spontan.“

„Aber das ist Unsinn! Diese Idioten sollten froh sein, wenn wir magisches Blut kaufen! Wenn wir eine mächtige Quelle, an die wir sonst nicht herankommen, kaufen können, müssen wir schließlich weniger auf die Jagd gehen und fallen auch weniger Zauberer an.“

Ein anderer Vampir rief: „Also, ich für meinen Teil habe die Zauberer sowieso immer gejagt, seit sie die Preise so hochgejagt haben. Aber ohne die Würze des Drachenblutes werde ich doppelt so vielen Hexen die Kehle aufreißen. Das haben die im Ministerium ja wieder super hingekriegt.“

„Wir sind die letzten Jahre doch wenigstens einigermaßen mit den Menschen klargekommen! Warum machen sie jetzt so einen Unsinn?!“

Auf die letzte Frage hin schlug die Vampirin die Beine übereinander und ließ ihren Blick lässig über die empörten Gesichter schweifen.

„Lest ihr denn keine Zeitung? Es geht um einen Vorfall, der vor ein paar Wochen stattfand. So wie es aussieht, haben sich Jake und Antony das falsche Opfer ausgesucht. Sie haben Den-Jungen-der-lebt angefallen, den Liebling der Zaubererwelt. Traurigerweise gerieten sie in einen Streit darüber, wer ihn töten darf, und zwar mit diesem Flüchtling, Sirius Black.“

„Zeitunglesen ist ein bisschen schwer im Dunkeln“, tönte der dürre Vampir, den sie als Bruder bezeichnet hatte. „Außerdem schreibt der Tagesprophet ohnehin nur diskriminierenden Schwachsinn.“

„Das kann ich bestätigen“, fügte ein weiterer Vampir sarkastisch bei, ein ziemlich junges Mädchen, kaum älter als Harry, mit dunkelbraunem, hochgestecktem Haar, goldenen Augen, engen Lederstiefeln bis zu den Knien und schwarzem Umhang. „Von wegen um die Beute gestritten. Dieser Typ wollte den Jungen beschützen. Deswegen hat er Jackie und Tony ermordet.“

„Das stimmt“, pflichtete ihr ein muskelbepackter Kerl mit Rastalocken bei, „ich hab's auch gesehen. Wäre ja gleich hin und hätt' ihm den Kopf abgerissen, aber Antony und Jake waren schon tot und da habe ich erst einmal Jasmin in Sicherheit gebracht. Als ich wiedergekommen bin, waren beide schon weg.“

„Warum hast du dann nicht die Spuren beseitigt, Romero?“, fauchte die Schwarzhaarige böse. „Warum hast du Antony und Jake nicht weggeschafft? So haben die Ministeriumszauberer sie gefunden und jetzt geben sie uns die Schuld an dem Verschwinden des Jungen. Sie wissen, dass es Black war, aber das kümmert sie nicht. Es ist immer toll, den Vampiren etwas nachweisen zu können. Deshalb haben sie die Chance für ein neues Gesetz genutzt. 'Damit Vampire nicht in Versuchung geraten, magisches Blut zu trinken', um 'die blutrünstige Rasse' zu schwächen und 'um die Zahl der freiwilligen Verwandlungen einzudämmen'. Ich habe es euch schon hundert Mal gesagt: Bringt um wen ihr wollt, aber lasst euch nicht dabei erwischen! Wann kapiert ihr das endlich, ihr Schwachköpfe!?“

Jasmin verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Ich wäre bei der Sache fast draufgegangen, da soll ich noch ans Spurenverwischen denken!? Und Romero hatte genug damit zu tun, einen Sicheren Ort zu finden, immerhin war es ja nicht mehr lang bis zum Sonnenaufgang! Es war halt zu spät, das kann doch mal passieren.“

„Er hätte dich nicht extra zu einem Sicheren Ort bringen müssen, wenn du dich ausreichend geschützt hättest! Beim Höllenfeuer, Jasmin, du bist dreihundert Jahre alt und benimmst dich immer noch wie ein kleines Kind. Nur weil du nach deiner Verwandlung beschlossen hast, nicht bis zu deiner Bestform zu altern, heißt das noch lange nicht, dass du dir ewig die Rechte eines Jungvampirs herausnehmen kannst.“

Jasmin drehte beleidigt den Kopf weg und sagte nichts mehr.

„Wir müssen jetzt alle vorsichtiger sein“, wandte die Schwarzhaarige sich jetzt wieder an die anderen. „Greift keine Menschengruppen mehr an, jemand könnte entkommen. Spürt sie einzeln und an dunklen Orten auf. Die Nocturngasse ist nicht mehr sicher. Lebt von Nichtmagiern, solange ihr könnt. Und repariert diese verdammten Deckenlöcher.“

Die Vampirin beendete ihre Predigt und wandte sich übergangslos an den Dünnen, um leise mit ihm zu reden. Neben Harry nahmen ein paar Vampire ihr Kartenspiel wieder auf. Er spürte, dass sich die Atmosphäre entspannte und die Bedrohung wich.

Ungeduldig sah er zu den Löchern in der Decke auf. Wie lange es wohl noch bis Sonnenaufgang dauerte?

Ein paar Minuten verstrichen. Harry wäre fast eingedöst, als er plötzlich jemanden auf sich zukommen hörte.

„Dich hab ich hier noch nie gesehen“, sagte die kalte Vampirin und sah ihn aus blau funkelnden Augen an. „Wie alt bist du?“

Dreizehn, wollte Harry sagen, bis ihm einfiel, dass sie vermutlich nicht sein menschliches Alter meinte.

„Ein paar Wochen“, antwortete er deshalb ausweichend.

„Wer ist dein Schirmherr?“

Harry sah sie verständnislos an.

Die Schwarzhaarige rollte mit den Augen. „Du bist ein Jungvampir. Jemand muss dich verwandelt haben. Dir alles beigebracht. Dir erzählt haben, wo du diesen Ort finden kannst.“

Harry wusste nicht, ob es klug war, Luca's Namen zu erwähnen. Sicher, der hatte ihn im Stich gelassen und eigentlich war er nicht so gut auf ihn zu sprechen. Trotzdem, die Zwielichtigen waren alles, was er im Moment hatte.

„Er heißt Dean“, antwortete er nach kurzem Zögern. Es war der erste Name der ihm einfiel und der hoffentlich gewöhnlich genug war, dass es unter den dunklen Vampiren einen gab. Denn zu dieser Gruppe gehörte die Frau vor ihm, da hatte er keinen Zweifel.

Die Vampirin verschränkte die Arme und drehte sich lässig um. „Jasmin, hast du nicht gesagt, sie hätten Dean vor zwei Monaten erwischt?“

Das Mädchen mit den Lederstiefeln hielt darin inne, sich die Fingernägel zu feilen. „Ja, die Auroren haben ihn einkassiert. Vermutlich verbrannt. Wieso?“

Harry schluckte.

„Du bist ein Zwielichtiger, nicht wahr?“ Sie zog die Lippen zurück, sodass Harry ihre Fangzähne sehen konnte. Er war sich nicht sicher, ob es ein Zähnefletschen oder ein bedrohliches Lächeln war. „Weißt du, wir haben öfters Zwielichtige hier. Wir mögen sie nicht besonders, aber wir dulden sie. Das hier ist schließlich ein Sicherer Ort. Aber so kleine verschissene Lügner wie dich können wir nicht ausstehen.“

Das Mädchen trat an die Seite der Anführerin und deutete mit der Feile auf Harry. „Bist ja nicht gerade der Hellste, was?“, höhnte sie. „Glaubst, uns so einfach austricksen zu können. Geh doch einfach zurück in die Sonne und verbrenne da!“

Die Worte waren nichts Besonderes. Es war einfach eine höhnische Beleidigung und vielleicht hätte sich Harry herausreden und doch bleiben können.

Aber da geschah etwas Merkwürdiges.

Ohne Harrys Zutun, ohne dass er daran dachte oder es gar befahl, bewegten sich plötzlich seine Beine. Er stand auf, langsam und ein wenig ungelenk, aber unaufhaltsam. Einen Fuß vor den anderen setzend ging er an den beiden Vampirinnen vorbei.

Harry fühlte sich höchst unwohl. Was war hier los? Was sollte das? Warum hatte er seinen Körper nicht unter Kontrolle? Er bewegte sich zwar, aber er wollte sich gar nicht bewegen. Es war, als wäre er Zuschauer einer Marionettenshow. Seine Bewegungen schienen von fremder Hand gelenkt zu werden.

Plötzlich lag seine Hand auf dem Riegel, der den Eingang zur Gruft verschloss. Alle Vampire hatten in ihren Tätigkeiten innegehalten und starrten ihn an.

Plötzlich wurde Harry heiß. Ihm war klar, was hier passierte.

„Mach das weg!“, bat er in Panik, als seine Hand ganz von allein den Riegel beiseite schob.

Das Mädchen hatte gesagt, er solle in die Sonne gehen und verbrennen. Und aus irgendeinem Grund gehorchte sein Körper ihr.

„Verdammt, mach das weg!“, wiederholte er, als das Tor sich langsam öffnete. Er konnte nicht einmal den Kopf zurück wenden, aber er wusste, dass ihn alle anstarrten.

Dann kam der Schmerz.

Harry schrie auf, als der Lichtstrahl ihn voll ins Gesicht traf. Es schien ihm noch schrecklicher als das erste Mal. Seine Haut stand in Flammen und löste sich von seinem Fleisch. Wie winzige Bisse tausender Insekten, wie reine Säure, wie glühende Lava.

„Komm rein und mach die Tür zu.“

Errettung!

Sofort schlug Harry die Tür zu und wirbelte herum. Keuchend sank er an der Tür herunter, wagte nicht sein brennendes Gesicht zu betasten.

Er hörte das leise Klackern von Lederstiefeln.

„Hast du in letzter Zeit mal einen Vampir verwandelt?“, fragte die Anführerin tonlos.

Die helle Stimme des Mädchens antwortete: „Nein. Du weißt doch, dass das nur Vampire in ihrer Bestform können. Ich war das nicht.“

Harry blinzelte. Langsam konnte er wieder etwas erkennen. Heftig zuckte er zurück, als direkt vor ihm das Gesicht der Schwarzhaarigen auftauchte. „Wer ist dein Erzeuger?“, fragte sie und Harry wusste, dass sie den Vampir meinte, der ihn gebissen hatte. Er zuckte mit den Schultern und wünschte sich ganz, ganz weit weg.

Die Anführerin packte ihn bei den Haaren und Harry wurde herumgewirbelt. Sie schleuderte ihn gegen eine Wand, ohne ihn loszulassen und Schmerz schoss durch Harrys Rücken. Er schlug mit den Armen um sich, erwischte aber nur sein eigenes Gesicht und schrie nochmals auf, als seine Hand dort auf kaum verheilte Brandwunden traf. Blut klebte an seinen Fingern.

„Was für ein Fang“, knurrte die Anführerin und wirbelte Harry ein zweites Mal umher, sodass er vor ihr auf den Boden geschleudert wurde.

„Darf ich euch vorstellen... Der Junge-der-lebt!“, verkündete sie triumphierend.

Einige der dunklen Vampire keuchten erschrocken auf. Andere machten sich sofort kampfbereit und wirkten, als könnten sie sich nur mit Mühe davon abhalten, sich auf ihn zu stürzen. Nur wenige sahen komplett unbeteiligt drein.

„Wie kommst du darauf, dass er es ist?“, fragte der Dünne, der Harry als erstes vor der Sonne gerettet hatte. „Bei dem Gesicht kann man seine Narbe nicht erkennen.“

„Antony und Jake sind bei dem Versuch draufgegangen, Harry Potter anzufallen, richtig?“ Die Schwarzhaarige nickte zu dem Typen mit den Rastalocken hinüber. „Und Romero kam erst später dazu. Wenn Potter ein Vampir ist, muss einer der beiden sein Erzeuger sein. Aber da war noch jemand, richtig? Sie haben zu dritt von ihm getrunken.“ Sie warf einen Blick zu dem Mädchen. „Jasmin mag nicht stark genug gewesen sein, selbst einen Vampir aus ihm zu machen. Aber zusammen mit Antony und Jake hat auch ihr Gift zu seiner Verwandlung beigetragen. Sie besitzt ebenfalls Anteile an ihm. Und jetzt, da die beiden tot sind...“ Wieder zog sie Harry an den Haaren hoch und schleuderte ihn diesmal mit übermenschlicher Kraft vor die Füße des verdutzten Mädchens. Die Sonne hatte ihn so sehr geschwächt, dass er nicht einmal den Versuch startete, etwas dagegen zu unternehmen.

„Das ist deiner“, meinte die Anführerin gehässig.

„Aber... Ich will ihn nicht!“, meinte Jasmin sofort, als sie die vielen feindseligen Blicke der anderen auf sich spürte. „Ich bin doch überhaupt erst so jung geblieben, damit ich keine Vampire verwandle.“

Die Anführerin hob eine Augenbraue. „Du verweigerst ihm seinen Schutz als seine Erzeugerin?“

„Ich bin ja wohl nicht seine Mutter!“

Die Schwarzhaarige hob ihren Zauberstab. „Tja, wenn das so ist... Was haltet ihr davon, wenn wir dieses Lichtsymbol aus unseren Reihen entfernen?“

Das war zu viel.

Harry hatte sich bisher zurückgehalten. Einerseits hatte er Angst vor der schieren Übermacht der Vampire auf der einen und den Strahlen der Sonne auf der anderen Seite. Aber hier war er nicht mehr sicher. Diese Typen wollten ihn umbringen. Wenn er überleben wollte, musste er entweder bis zum Tor kommen und in die Sonne fliehen, oder sich so lange im Kampf behaupten, bis die Sonne unterging. In beiden Fällen brauchte er Waffen.

Während die Anführerin langsam ihren Zauberstab hob, zweifellos um den Todesfluch auszusprechen, fuhr Harry mit seinen noch immer mit Blut bedeckten Fingern über seine rechte Handfläche. Er hatte seinen Zauberstab zwar dabei, aber der war irgendwo in den Tiefen seines Wolfshaarmantels verborgen und unerreichbar. Aber Luca hatte ihm nicht nur das Jagen beigebracht. Nein, in einem der endlosen Gespräche an seiner Bar hatte er ihm auch über die Blutmagie der Vampire erzählt. Ein sehr altes und magisches Fachgebiet, von dem Harry keine Ahnung hatte. Aber einen Trick hatte er sich zeigen lassen: Wie er mithilfe von Blut etwas heraufbeschwor. Das war noch der am leichtesten zu verstehende Zauber gewesen. Während die Schwarzhaarige und das Mädchen noch über sein Schicksal diskutierten, hatte er ein kleines Kreuz aus Blut auf seine Handfläche gemalt und presste sie jetzt auf den Boden. Er konzentrierte sich und rezitierte in Gedanken die Zauberformel. Gerade als die Anführerin den Zauberstab hob, sprühten grüne Funken vor Harry auf. Er sagte nur ein Wort:

„Attacke!“

Sodom und Gomorrha fuhren hoch wie entfesselte Naturgewalten. Einer verbiss sich in das Bein der Schwarzhaarigen und die andere schaffte es irgendwie, bis zu ihrer ausgestrecken Zauberstabhand hochzuschnellen.

Die Schwarzhaarige schrie vor Schmerz auf, als die giftigen Zähne der Brasil-Basilisken sich in ihr Fleisch bohrten. Sie stolperte zurück und auch die anderen Vampire wirkten verunsichert.

„Sodom, zu mir!“

Die männliche Schlange ließ zischend von der Schwarzhaarigen ab. Harry streckte seine Hand zum Boden, damit Sodom sich an seinem Arm empor schlängeln konnte und eine Sekunde später hielt er einen scharfen Dolch in der Hand.

Harry erhob sich, spreizte leicht die Beine und hielt die Hände in einer Verteidigungsposition vor sich. 'Kommt nur her', sagte seine Haltung.

Doch die Schwarzhaarige hatte Gomorrha abgeschüttelt und schleuderte die Schlange quer durch den Raum. Harry wusste, dass das Gift sie als Vampirin nicht töten würde. Brennen durfte es trotzdem und danach zu urteilen, wie grün sie im Gesicht war, spürte sie den Schmerz bereits.

Sie fauchte zornig und überwand den ersten Schrecken. Plötzlich hatte sie ebenfalls ein Messer in der Hand. Ein silbernes, erkannte Harry, für die Werwolfjagd. Wenn sie damit sein Herz traf, würde es ihn trotzdem töten, aber er wertete es als gutes Zeichen, dass sie seiner vergifteten Klinge nicht begegnen wollte.

Blitzschnell griff die Vampirin an, aber darauf war Harry vorbereitet. Er duckte sich unter ihr hinweg und hieb mit Sodom nach ihrem Bauch. Die Schlange streckte sich, sodass die Klinge ein kleines bisschen wuchs. Trotzdem reichte es nicht aus, um sie zu erreichen, denn sie sprang über ihn hinweg und war plötzlich in seinem Rücken. Da war Gomorrha zur Stelle und verbiss sich in ihre Ferse. Das lenkte sie genug ab, damit Harry nach ihrer Schulter zielen konnte. Es gelang ihm, sie zu verletzten aber die anderen Vampire blieben nicht untätig. Auf einmal packte ihn jemand von hinten. Harry trat ihm heftig auf den Fuß, hieb mit dem Dolch um sich und sprang dann kräftig ab. Kopfüber, wie eine Spinne an der Decke, krallte er seine unmenschlich starken Finger in die Mauerritzen. Er kauerte so nah bei einem der Lichtlöcher, dass niemand ihm zu folgen wagte. Aber die Anführerin warf ihr Messer und Harry hatte so keine Möglichkeit zum Ausweichen. Kurzentschlossen entschied er sich dagegen und fing die Waffe mitten im Flug auf. Sie durchstieß ihm beinahe die Hand und Blut floss zwischen seinem Zeige- und Mittelfinger hervor, aber er wusste, diese kleine Wunde würde schnell heilen.

Harry zückte jetzt auch den Zauberstab. Gerade wollte er Gomorrha mit einem Aufrufezauber zu sich holen, da sie gerade von drei Vampiren zugleich bedrängt wurde. Aber dazu kam er nicht mehr, denn plötzlich brach die Decke ein.

Erst dachte der Jungevampir, sein Gewicht sei zu viel für das Gemäuer gewesen. Begleitet von einem krachenden Getöse brachen die Steine weg und haufenweise Staub wirbelte durcheinander. Harry fiel herunter und wurde zwischen ein paar schweren Steinplatten eingequetscht. Das rettete ihn vermutlich vor noch mehr Schmerzen, denn jetzt flutete das Licht ungehindert in die Gruft. Die Vampire zischten auf. Einige flüchteten sich in die nach unten abführenden Tunnel, andere zogen rasch einen Sargdeckel über sich zu. Die Anführerin warf sich die Kapuze über, aber das braunhaarige Mädchen schrie wie am Spieß, als das Licht ihr Gesicht traf.

„Verbrenne ihn!“, schrie die Schwarzhaarige die junge Vampirin an, „befiehl ihm zu sterben, schnell!“

Aber Jasmin konnte nicht. Harry wusste nur zu gut, wie groß der Schmerz war. Grausige Brandblasen entstellten das Gesicht des Mädchens. Verzweifelt versuchte sie, sich einen schützenden Vorhang aus Haaren um ihr Gesicht zu schaffen und wenigstens so weit etwas erkennen zu können, um irgendwo unterzutauchen.

„Töte ihn!“, schrie die Anführerin wieder. „Jetzt!“ Aber das Mädchen konnte nicht und so zückte die Schwarzhaarige wieder ihren Zauberstab. Harry konnte sie nur durch einen Spalt zwischen den Steinen, die ihn zerquetschten, erkennen. Er war gefangen. Wenn er die Steine bewegte, war er dem Sonnenlicht ausgesetzt und zu sehr abgelenkt, um den Angriff erwidern zu können. Und wenn er nichts unternahm...

„Tu das und du wirst brennen.“

Die Stimme war kalt und schneidend. Eine unverhohlene Grausamkeit ohne den geringsten Skrupel schwang darin mit. Eine Stimme, die nicht nur ein Versprechen gab. Sondern die den Tod feststellte, als wäre er bereits eingetreten.

Harry stemmte sich mühsam gegen die Steinplatten, bis schließlich eine Lücke entstand, durch die das Licht nicht direkt auf ihn fiel, durch die er aber den Besitzer der Stimme sehen konnte. Nein, sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht, auch wenn er diesen Tonfall noch nie bei ihm gehört hatte.

Der Vampir war ganz in schwarz gekleidet. Sein weiter Mantel wehte leicht im Wind. Das dunkle Haar war im Schatten der Kapuze nicht zu erkennen und die grünen Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen, aber es gab dennoch keinen Zweifel. Diese Aura hätte Harry überall wieder erkannt.

Luca war endlich zurück gekommen, um ihm zu helfen.

Die Schwarzhaarige zischte und wich zurück. „Was hast du mir schon zu sagen!?“, fauchte sie und hob ihren Zauberstab. „Der Junge muss sterben! Er ist ein Symbol der Lichtseite, ohne ihn sind die Zauberer aufgeschmissen!“

„Ah, und wie gedenkst du, diese Schwäche auszunutzen?“; fragte Luca höhnisch. Harry fand es ziemlich unpassend, dass sie sich unterhielten. Konnten sie nicht einfach schnell von hier abhauen?

„Die Dunkle Seite, das ist nicht nur dieser eine Möchtegern-Magier. Wir sind die Dunkle Seite. Und wir sind so viel mächtiger als die Zauberer. Das sollten wir sie endlich wissen lassen!“

Ein leises Zischeln lenkte Harry ab. Er lächelte, als er sah, wie Gomorrha sich durch die Trümmer auf ihn zu schlängelte. Als die Schlange sich fest um seinen Hals geschlungen hatte, wandte er die Aufmerksamkeit wieder den Vampiren zu.

„Du bist zu schwach, mich aufzuhalten!“, rief die Schwarzhaarige über den inzwischen leeren Platz hinweg. „Ich bin einfach eine andere Klasse als du!“

Luca stieß ein wütendes Grollen aus. Und das Grollen rollte über den Platz, breitete sich wellenförmig aus und erfasste selbst Harry in seinem Schlupfwinkel. Er keuchte erschrocken auf, als eine feste, kalte Hand nach seinem Innersten griff. Es war, als würde sein ganzer Körper unter einer unglaublichen Spannung stehen. Die Haare standen ihm zu Berge, das Blut stockte ihm in den Adern und seine Augen waren weit aufgerissen.

Auch die Vampirin taumelte zurück, geschockt, gelähmt, von dieser unermesslichen Kraft. Aber sie stolperte zu Harry hinüber.

„Du kennst meine wahre Kraft nicht“, knurrte Luca und mit einem Mal bekam sogar Harry Angst vor ihm.

„Jetzt verschwinde und bete, dass du mich nie wieder siehst!“

Die Schwarzhaarige zögerte. Die Hand mit dem Zauberstab zitterte aber schließlich, Harry mochte es kaum fassen, ließ sie ihn wieder sinken.

„Ha“, machte sie, „ich hab dich unterschätzt. Deine Macht ist groß. Aber nicht groß genug.“ Sie wandte sich nur langsam um.

„Das wirst du bereuen“, hörte Harry sie leise flüstern. Das war ebenfalls kein Versprechen. Es war eine Feststellung. Grausam und berechnend.
 

Harry wartete noch etwa drei Minuten, bis er sich sicher war, dass die Vampirin fort war. Erst dann wühlte er sich unter dem Schutt hervor, sorgsam darauf achtend, dass seine Kapuze ihn vor der Sonne schützte. Er trat auf Luca zu und stieß ein erleichtertes „Danke!“ aus.

Der Vampir wandte ihm nur langsam den Kopf zu. Seine Miene war kalt wie Eis und trotz der Sonnenbrille glaube Harry, einen geradezu mörderischen Blick dahinter zu sehen. Wortlos packte Luca ihn bei der Schulter und Harry fühlte sich am Bauch empor gerissen.

Schwankend und keuchend stolperte er zurück. Gras statt Schutt und Bäume statt Gräbern sagten ihm, dass er appariert war. In der Ferne erhob sich das Hauptquartier und am Horizont dahinter ging die Sonne langsam unter.

„Du siehst, ich kann recht ungeduldig werden“, sagte Luca in einem Ton, der genauso gefährlich war wie der, mit dem er die Vampirin bedacht hatte. In diesem Moment wusste Harry, dass sein Meister noch immer sauer war – und es vermutlich noch die nächsten Wochen bleiben würde. Schließlich hatte er ihn mit voller Absicht allein in der Sonne zurückgelassen. Aber immerhin hatte er ihn auch wieder herausgeholt.

Während Harry dem nun wieder Schweigsamen hinauf zum Gebäude folgte, fragte er sich mehrmals, woher Luca die Anführerin der Dunklen wohl kennen mochte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  pingu
2011-10-09T18:44:54+00:00 09.10.2011 20:44
Ich muss sagen wow nachdem ich die letzten Wochen kein Internet hatte freu ich mich um so mehr nun gleich drei neue Kapitel zulesen, allesamt sehr interessant und gut geschrieben. Auch finde ich es gut wie du Harrys Talent sich in Schwierigkeiten zubringen darstellst, da erinnerte mich deine Geschichte wirklich an die Bücher.
Also wieder einmal großes Lob von meiner Seite und vorfreude auf das nächste Kapitel.
Von: abgemeldet
2011-10-08T19:01:40+00:00 08.10.2011 21:01
spannend ô__ô
Von:  Kagomee16
2011-10-01T22:07:31+00:00 02.10.2011 00:07
turbulent ^^
wie immer hat harry nix besseres zu tun als in schwirigkeiten zu geratten XD
aber naja er hat sich dennoch nicht schlecht geschlagen im kampf^^
bin gespannt ob luca sich wieder einkrigt^^
schreib schnell weiter^^
lg kagomee16
Von: abgemeldet
2011-10-01T19:39:48+00:00 01.10.2011 21:39
Ein super Kapitel!!!!
Richtig spannend, vor allem als Luca Harry rettet!!!
Schreib weiter so!!


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