Zum Inhalt der Seite

Der unerwünschte Mieter

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 14

Kapitel 14
 

„Hi Mama.“
 

Keine Ahnung, ob das ein guter Moment ist, mit meiner Mutter zu telefonieren, aber wenn ich sie nicht zurückrufe, dann nimmt sie mir das übel. Da kann ich noch so alt sein, für sie werde ich immer ihre Jüngste sein, ihr Nesthäkchen, selbst wenn meine Geschwister gar nicht so viel älter sind als ich. Mit diesem Los muss ich wohl leben, ob ich möchte oder nicht – mal abgesehen davon, dass dies auch oft seine Vorzüge haben kann.
 

„Du hast vorhin angerufen?“, frage ich vorsichtig an.
 

„Habe ich? Nein, nicht dass ich wüsste. Spinnt dein Telefon etwa schon wieder?“
 

Meine Augen verengen sich mit einem Mal zu schmalen Schlitzen. Hat sich Joshua das einfach nur ausgedacht, um mich aufzuziehen? Ich ruckel auf meinem Bett ein bisschen hin und her und strample die Decke von meinen Füßen. An sich sollte ich ja froh sein, dass es anscheinend niemals ein Gespräch zwischen ihm und meiner Mama gegeben hat, aber ich bin es nicht.
 

„Bist du dir sicher, Mama?“, frage ich dann doch noch mal vorsichtshalber nach, denn ich möchte trotzdem des Stechens in meiner Brust nicht glauben, dass mich Joshua angelogen hat.
 

„Vielleicht solltest du dir doch endlich mal ein neues Telefon zulegen. Dieses Piepsen in der Leitung, das nur ertönt, wenn ich mit dir telefoniere, ist ohnehin nicht schön. Aber wenn ich dich schon mal dran habe, könnten wir eigentlich gleich mal vereinbaren, an welchem Wochenende du wieder zu uns kommst. Wie du weißt sind die nächsten beiden Wochenenden bei uns ziemlich verplant, aber wie wäre das zweite Juni-Wochenende? Passt das bei dir?“
 

Innerlich seufze ich unablässig und es kostet mich alle Mühe, den Worten meiner Mutter zu folgen. Warum tut Joshua so etwas? Meine Familie ist mir heilig und da verstehe ich keinen Spaß. Schlimm genug, dass ich angenommen habe, dass meine Mama mich jetzt zusammenstauchen würde, obwohl es hier um mein Leben geht und nicht um ihres, aber dass Joshua diese ganze Farce nur erfunden hat, trifft mich noch viel mehr. Dann wäre es mir doch lieber gewesen, er hätte unerlaubterweise abgehoben, als mein Telefon geklingelt hat. Sofern es geklingelt hätte ...
 

„Ähm … lass mich mal überlegen“, versuche ich sie hinzuhalten, denn ich besitze gerade nicht den Nerv, mir Gedanken darüber zu machen, an welchem Wochenende ich mal wieder nach Hause fahre.

Ich fühle den Kuss noch regelrecht auf meinen Lippen. Verletzt lege ich meinen Kopf zurück ins Kissen und starre auf den Drachen an der Dachschräge, die halb über das Bett reicht.

Wer weiß, was in den nächsten Wochen hier noch alles passiert. Momentan kann ich hier einfach nicht weg. Derart auf den Kopf gestellt war mein Leben bisher noch nie.

„Kann ich dir das nächste Woche sagen? Gerade kann ich noch nicht so weit vorausplanen, zumal mir auf Arbeit jetzt die stressigste Zeit bevorsteht. Oder musst du das gleich wissen?“ Meine Eltern planen gerne im Voraus und halten sich grundsätzlich die wenigen Wochenenden im Jahr, in denen ich da bin, frei, damit sie genug Zeit für mich haben. Auch wenn ich ihnen immer sage, dass das nicht nötig ist und dass sie ruhig abends ausgehen können, lassen sie sich in dieser Hinsicht nicht belehren. Natürlich finde ich es schön, wenn wir zusammen etwas unternehmen, doch manchmal bekomme ich schon ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihre gesamte Wochenendplanung von mir abhängig machen.
 

„Kein Problem. Melde dich einfach, sobald du abschätzen kannst, wann es bei dir reinpasst.“
 

„Mach ich“, verspreche ich schnell, ehe sie noch wittert, dass bei mir gerade gar nichts in Ordnung ist und abschätzbar erst recht nicht.
 

Ich sollte jetzt glücklich sein, das seligste Lächeln auf den Lippen tragen, doch stattdessen runzle ich die Stirn und habe keine Ahnung, wie alles weitergehen soll.

Was ist das nur zwischen Joshua und mir? Das ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Da spüre ich endlich mal wieder Schmetterlinge in mir und gleichzeitig quält mich diese Ungewissheit über seine wahre Identität. Wie soll ich ihm vertrauen, wenn er mir alles verschweigt?
 

„Hast du mir überhaupt zugehört?“
 

Oh! „Sorry, ich war gerade ein bisschen abgelenkt“, entgegne ich schuldbewusst. „Kannst es vielleicht wiederholen?“

Wenn ich nicht bald Klarheit komme, gerät mein ganzes Leben aus den Fugen!
 

Gerade als meine Mutter irgendwas von Geburtstag und Geschenken erzählt, klopft es an der Tür. Drei zaghafte Laute. Mein Blick rauscht umgehend zum weißen Holz.
 

„Am besten machst du das. Du, sei mir nicht böse, es hat eben an der Tür geklingelt. Soll ich dich später noch mal anrufen?“

So unrecht habe ich damit ja gar nicht.
 

„Da sind wir nicht da. Wir telefonieren einfach in den nächsten Tagen wieder.“
 

„Okay. Wir hören uns.“
 

Kaum dass ich aufgelegt habe, richte ich mich in meinem Bett auf, ohne auch nur eine Millisekunde die Tür aus den Augen zu lassen.

„Kommst du endlich meinem zweiten Wunsch nach?“, rufe ich.

Angespannt knete ich die Bettdecke zwischen meinen Fingern, die neben mir liegt.
 

Die Klinke wird heruntergedrückt und die Tür langsam geöffnet. Joshua tritt herein und in seinem Blick liegt etwas, das mir eine Gänsehaut beschert und meine Finger noch fester die Decke umklammern lässt.
 

„Was ich dir zusagen habe, wird dir nicht gefallen“, meint er leise, aber bestimmt.
 

„Das kannst du nicht wissen.“ Keine Ahnung, wen ich mehr beruhigen möchte, ihn oder mich.
 

„Ich weiß es.“ Der Nachdruck in seiner Stimme lässt keinerlei Zweifel zu.
 

Ich schlucke, als er sich neben mir auf dem Bett niederlässt und mich mit seinen tiefgrünen Augen ansieht. Seine Linke umfasst meine Hand, die sich noch immer in der Decke verkrallt. Die Berührung durchzuckt mich und beschleunigt meinen Atem. Hastig hebt und senkt sich meine Brust und mein Herz pocht so laut, dass es mich fast schon wahnsinnig macht.
 

„Es war von Beginn an eine dumme Idee und ich hätte nie auf ihr beharren sollen. Aber ich habe jahrelang so hart gekämpft, so verzweifelt versucht, endlich Fuß zu fassen und Erfolg zu haben.“ Für einen kleinen Moment schaut er zur Seite und gibt mich frei, ehe er meinen Blick erneut einfängt. Ich sitze reglos da und kämpfe damit, meinen Herzschlag zu verlangsamen, damit das Rauschen in meinen Ohren endlich nachlässt. „Meine Welt, in der ich lebe, ist hart und man muss über sich hinauswachsen, um etwas zu erreichen. Und du kannst dir gar nicht vorstellen, welche Entbehrungen ich bisher in Kauf genommen habe. Alles dreht sich nur um meinen Job und ich hatte ganz vergessen, wie es ist … nicht so wichtig“, schüttelt er leicht den Kopf. „Doch du bist anders als ich dachte. Du bist nicht das, was ich suchte.“
 

In meinem Kopf dreht sich alles. Ich bin nicht das, was er suchte …
 

„Was bin ich dann? Ein dummes Gör, das dich zuerst in seine Wohnung und sich dann auch noch von dir küssen lässt?“
 

„Nein, Milly, du verstehst das falsch.“
 

„Ach ja?“

Ich entziehe ihm meine Hand und balle sie zu einer Faust.

„Was ist daran falsch zu verstehen?“
 

Er beugt sich vor und fährt mit seinen Fingern über mein Gesicht. Doch kaum, dass sie meine Wange berühren, schlage ich sie weg. Trotz allem hat diese flüchtige Berührung ausgereicht, ein Brennen auf meiner Haut zu hinterlassen. Wie von selbst wandern meine Augen zu seinen Lippen, die er gerade mit seinen Zähnen malträtiert.
 

„Du hast immer genau das Gegenteil von dem getan, was ich erwartet habe. Ich konnte nicht damit rechnen, dass du ihr nicht gerecht wirst, dass du so anders bist, obwohl du ihr fast aufs Haar gleichst.“
 

Ihr?“, wiederhole ich verstört. Vergleicht er mich gerade mit einem Mädchen, das er von früher her kennt oder so? Seiner verflossenen Liebe? Mittlerweile traue ich ihm ja alles zu.

Reflexartig weiche ich ein paar Zentimeter vor ihm zurück.
 

„Meine Beweggründe für all das hier sind egoistisch und selbstsüchtig, obwohl ich das von der ersten Minute an wusste, habe ich nicht einmal mit der Wimper gezuckt, bis ...“ Abermals bricht er ab.
 

„Und ich habe alles kaputt gemacht“, meine ich, der festen Überzeugung, dass er das bald ohnehin noch hinzugefügt hätte.
 

„In gewisser Weise ja.“
 

Nun ballt sich auch noch meine andere Hand zu einer Faust.

„Warum sagst du mir nicht direkt, dass ich nicht gut genug für dich bin? Dass du den Kuss bereust und auch alles andere?“

Kann er mir nicht einfach ins Gesicht sagen, was er in Wahrheit von mir hält?
 

„Das kann ich nicht.“
 

„Das kannst du also nicht“, entgegne ich geringschätzig.
 

„Bitte hör mir erst mal zu.“
 

„Ich habe dich schon verstanden: Ich habe alles zerstört und bin nicht die, nach der du gesucht hast.“
 

„Du reißt das aus dem Zusammenhang.“
 

Auch wenn ich den Rest nicht ganz begriffen habe, diese Fakten waren unmissvertändlich.
 

„Milly!“, flucht er und rollt mit den Augen. „Hast du es dir gewünscht oder nicht?“
 

„Ja, habe ich“, erwidere ich ebenso genervt.
 

„Dann sei endlich still und hör mir zu.“
 

Ich wünschte, dass er mir nicht so verdammt nahe wäre. Seine Worte wühlen mich schon auf, doch seine bloße Anwesenheit – so dicht bei mir – macht mich gänzlich kirre. Auf so konträre Art und Weise.
 

„Warum hast du behauptet, dass du mit meiner Mama telefoniert hättest?“, frage ich und missachte seine Aufforderung, ihm weiterhin zuzuhören.
 

„Genau das meine ich. Du tust nie das, was du sollst, was sie von dir verlangt.“
 

„Wer ist sie? Und beantworte gefälligst meine Frage.“
 

„Das versuche ich ja schon die ganze Zeit.“ Ein wenig resigniert seufzt er auf und schließt die Augen.
 

Mit einem Toben in mir betrachte ich ihn, sein verführerisches Haar, seine dunklen Wimpern, die lederne Kette um seinen Hals, den silbernen Anhänger, die Schlange, die sich züngelnd um den Halbkreis windet. Ob ich will oder nicht, meine Hände entkrampfen sich allmählich und steuern wie von selbst auf ihn zu. Kurz vor seinem Gesicht breche ich die Bewegung abrupt ab und verharre. Abermals an diesem Abend steigen Tränen in mir auf. Ich schaue nach links, nach rechts, nach oben und dann wieder zu Joshua. Was mache ich hier nur?

Und mit einem Mal öffnet er die Augen, sieht meine Hände vor sich schweben und umpackt sie fest, ehe ich sie zurückziehen kann.

Ich möchte schreien.

Ich möchte um mich schlagen.

Ich möchte ihn spüren.

Ich möchte ihn fühlen, auf jeder Stelle meines Körpers.
 

„Bist du jetzt bereit, mir bis zum bitteren Ende zuzuhören?“
 

Ich schüttele vehement den Kopf, denn in diesem Moment will ich nicht, dass verletzende Worte zwischen uns stehen. Von ihnen hatte ich heute schon genug, schließlich hallt du bist nicht das, was ich suchte seit Minuten unaufhörlich in mir wider.

Als ich unsere ineinander verschlungenen Hände erblicke, sammeln sich noch mehr Tränen in meinen Augen, die sich alsbald einen Weg ins Freie suchen und lautlos über meine Wangen perlen.

Joshua senkt den Kopf, um meinen Blick aufzufangen, in seinem liegt eindeutig Sorge und Zerknirschung. Obwohl ich gegen das salzige Nass ankämpfe, strömt es weiter aus mir heraus. Langsam beugt er sich vor und haucht eine Träne von meiner Wange. Sein heißer Atem auf meiner Haut ist wie ein Stromschlag. Und auch wenn ich es besser weiß, und obgleich er eben Dinge gesagt hat, die mir wehtun, drehe ich mein Gesicht und presse meine Lippen auf seinen Mund. Als sich jedoch seine gegen meine bewegen, ziehe ich mich wieder zurück. Ich kann das einfach nicht, so sehr ich auch danach begehre. Er kommt mir hinterher und legt seine Stirn an meine.

„Das geht so nicht“, wispert er.
 

Wem sagt er das nur?
 

„Du solltest jetzt besser aus meinem Schlafzimmer gehen.“ Meine Stimme ist ein zaghaftes Flüstern.
 

Langsam löst er jedwede Berührung zwischen uns, steht aber nicht auf. „Du solltest wissen, dass das so nicht gewollt war.“ Erst als ich ihn ansehe, erhebt er sich und geht.
 

Wie in Trance greife ich nach meinem Handy und wähle Jessis Nummer.

„Wir müssen reden“, sage ich gleich, als Jessi abhebt.
 

„Milly? Was ist passiert?“
 

„Alles und nichts.“, erwidere ich verzweifelt und unter Tränen. „Ich weiß auch nicht, was los ist. Es ist alles so verquer. Nichts ist mehr, wie es mal war. Er hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt, von jetzt auf nachher. Ich bin so verwirrt.“
 

Und ehe Jessi auch nur sonstwie darauf reagieren kann, erzähle ich ihr alles. Haarklein und unzensiert. „Und jetzt kauere ich in meinem Bett und erzähle dir das alles“, ende ich.
 

In der Leitung ist es totenstill.
 

„Jessi?“, frage ich behutsam an.
 

„Warum hast du ihn nicht ausreden lassen?“, erkundigt sie sich plötzlich.
 

Weil sich seine Worte in mein Fleisch brannten, weil sie mein Herz drangsalierten. „Weil ich mal wieder zu impulsiv war“, seufze ich.
 

„Wenn ich dich richtig verstanden habe, war er drauf und dran, dir alles zu erzählen.“
 

„Bohr nur weiter in meiner Wunde. Ich weiß ja, dass ich alles kaputt mache, das hat er schließlich oft genug gesagt.“
 

„Du fängst doch schon wieder damit an.“
 

Mein Kopf sinkt zur Brust und hauche ein „tut mir leid.“

Aber es ist auch so verdammt schwer, solche Worte nicht auf die Goldwaage zu legen.
 

„Du gehst jetzt zu ihm und forderst ihn erneut auf, dir deinen zweiten Wunsch zu erfüllen. Und dieses Mal hörst du zu und quatschst nichts wieder dazwischen.“
 

„Kann ja nicht jeder so beherrscht sein wie du.“
 

„Milly!“
 

„Ja ja, du hast ja recht.“
 

„Und fall nicht wieder gleich über ihn her.“
 

Das musste ja jetzt kommen.

„Keine Sorge, das passiert mir kein drittes Mal.“
 

„Bei dir weiß man nie.“
 

„Sehr witzig.“
 

„Stimmt aber.“
 

„Ich schmeiß dich jetzt besser aus der Leitung.“
 

„Bleib ruhig und hör ihm zu“, ermahnt mich Jessi ein weiteres Mal.
 

„Ja, Madame. Ich melde mich nachher noch mal.“
 

„Pass auf dich auf.“
 

Ich dachte ja, dass ich das tue, doch anscheinend gelingt mir das nicht so ganz. „Ich versuch's“, entgegne ich und lege auf.

Ich sitze noch eine Weile da und starre Löcher in die Luft. Dann atme ich ein paar Mal tief ein und aus. Jetzt oder nie.
 

Doch als ich den Wohnbereich betrete, schlägt mir Totenstille entgegen. Irritiert laufe ich die gesamte Wohnung ab, doch von Joshua fehlt jede Spur. Während ich die Treppe hinuntergehe, fällt mein Blick auf eine Art Flyer, der neben einem gelben Notizzettel auf dem gläsernen Esszimmertisch liegt. Mit einem unguten Gefühl steuere ich direkt auf den Tisch zu und lasse meine Augen über die drei Worte schweifen, die er geschrieben hat.
 

Das ist 'sie'.
 

Ein Pfeil deutet auf die Broschüre, die ich nun als solche erkenne.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück