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Blood Moon - Bis(s) in alle Ewigkeit

Fortsetzung von Rising Sun - Bis(s) das Licht der Sonne erstrahlt
von

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Für die Ewigkeit

Angesäuert ließ ich mich mit dem Gesicht voraus auf mein Bett fallen. Ohne aufzusehen, griff ich nach dem nächstbesten Kissen, kniff die Augen zusammen, legte mir den Stoff, gefüllt mit Daunenfedern, gegen den Hinterkopf und presste die Enden des Kissens dann gegen die Ohren.

Aber es wäre naiv von mir, zu glauben, dass es die Geräusche würde schlucken können. Ich hörte noch immer ganz genau, was ich zu ersticken versuchte, was ich nicht hören wollte: meine Familie und unsere Verbündeten bei ihrem Aufbruch in Richtung unserer Feinde.

Ich vernahm jeden einzelnen ihrer Schritte, obwohl ich es nicht wollte – oder gerade deswegen. Es war als wolle man an nichts denken. Man dachte doch immer etwas. Ich wollte sie nicht hören und konzentrierte mich dadurch umso mehr auf sie.

Die Vampire waren am leisesten. Cats Vater konnte ich unter ihnen nicht wirklich einzeln ausmachen. Vielleicht war er einer von jenen, die minimal lauter waren, als der große Rest, vielleicht war es aber auch einfach nur Rosalie, die nicht so kampferprobt wie beispielsweise Jasper war. Die Wölfe hingegen hörte ich ziemlich gut. Ich war selbst einer von ihnen. Ich kannte das Geräusch auf dem Waldboden kratzender Krallen und Pfoten.

Kurze Zeit später teilten sie sich alle in mehrere kleine Gruppen, gemischt aus Vampiren und Gestaltwandlern, auf.
 

Und dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, war auch der letzte von ihnen aus meinem Radius verschwunden und ich atmete aus irgendeinem, mir unerfindlichen Grund erleichtert auf.

Seufzend lockerte ich den Druck auf mein Kissen, drehte mich auf den Rücken und schob es mir unter den Kopf.

Einige Minuten starrte ich zur Decke, betrachtete den Putz und die zarten Risse darin. Für menschliche Augen waren sie wahrscheinlich unsichtbar. Nicht mal ein kleiner Käfer würde sich durch sie quetschen können, so winzig waren sie.

Irgendwie fühlte ich mich gerade selbst ziemlich winzig, wenn ich so darüber nachdachte. Obwohl ich kämpfen konnte und es auch wollte, hatten sie mich hier mit den Mädchen zurückgelassen. Natürlich hatten sie es so hingedreht, als müsse ich hier bleiben, um das schwache Geschlecht zu beschützen, aber erstens war ich relativ sicher, dass die Gefahr nun eher da draußen war als hier drinnen und zweitens war ich dem Alter, in dem man mir auf diese Art Honig um den Mund schmieren konnte, längst entwachsen.

Es war wie beim Untergang der Titanic: Frauen und Kinder zuerst. Mich hatten sie mit ins Rettungsboot gesetzt. Lächerlich.
 

Als ich hörte, dass jemand die Treppe hinab in den Keller nahm, schloss ich erneut die Augen und versuchte mich zu beruhigen.

Ich wusste genau, wer sich da meinem Zimmer näherte. Ich wusste, wessen wunderschönen Körper diese Füße trugen. Ich kannte den Grauton ihrer Augen. Ich wusste, wie es sich anfühlte, ihre seidenen braunen Haare durch meine Finger gleiten zu lassen. Sie salzte menschliche Nahrung in aller Regel nach und trank, wie auch meine Mutter, am liebsten Blutorangensaft. Sie las gern und mochte keine Horrorfilme. Ihre Lieblingsfarbe war Rot.
 

Sangreal öffnete vorsichtig die Tür, trat flüsterleise ein und schloss sie hinter sich. Sie lief um das Bett herum und krabbelte auf meiner rechten Seite darauf. Ihr Gewicht ließ die Matratze auf einer Seite leicht absinken.

Dann spürte ich, wie ihre Finger mein Gesicht streichelten. Ich öffnete langsam meine Augen und musterte sie, ohne etwas zu sagen. Sie schenkte mir ein warmes Lächeln. „Es tut mir Leid, dass ich die geweckt habe. Schlaf ruhig weiter.“

Ich schüttelte den Kopf, legte meine Hand an ihre. „Es ist komisch. Körperlich fühlt es sich so an, als hätte ich die letzten Monate geschlafen und sei endlich aufgewacht. Geistig ist es, als hätte jemand mit einem Kochlöffel in meinen Gedanken und Erinnerungen herum gerührt.“
 

Ihre Augen wurden mit einem Mal glasig. „Ich dachte, ich hätte dich verloren“, flüsterte sie. Ein paar Tränen quollen aus ihren Augen hervor und rannen über ihre zarte Haut.

Ich setzte mich auf, nahm ihr Gesicht in meine Hände und wusch sie mit den Daumen weg. „Hast du nicht.“

Doch sie ließ sich nicht wirklich davon beruhigen. „Wenn Catriona nicht... wenn sie... ich meine... ich weiß nicht, was ich getan hätte...“

„Scht... scht...“, redete ich weiter auf sie ein. „Ich bin hier. Und ich werde bei dir bleiben, wenn du mich noch haben willst.“

Ihr Schluchzen verstummte plötzlich. „Was?“, fragte sie. „Warum sollte ich das nicht wollen?“

Sie zog die Nase hoch und sah mich verwundert an.

Ich ließ sie los, stützte mich mit den Unterarmen auf der Matratze ab und hob den Oberkörper. „Nun, bevor das alles passiert ist, wolltest du mich verlassen, erinnerst du dich nicht?“

„Doch“, antwortete sie. „Aber... aber das war weil ich wütend war und enttäuscht.“

Sie wand den Blick von mir ab und musterte stattdessen das Bettlaken.

In mir kroch ein unwohles Gefühl empor. Hatte ich jetzt alte Wunden aufgerissen, die besser hätten verschlossen bleiben sollen? Erwartungsvoll fixierte ich das Mädchen vor mir. Ich konnte gar nicht anders, als sie anzusehen, während mein Herz schneller zu schlagen begann.

„Okay“, ergriff sie dann wieder das Wort und sah mich an. „Ich kann dir verzeihen, was du getan hast, aber ich kann die Bilder nicht vergessen, die ich vor meinem inneren Auge gesehen hatte, als ich den Brief las. Ich glaube, ich habe nur eine Wahl, um sie loszuwerden.“

„Und die wäre?“, fragte ich.

„Ich muss sie mit der Wahrheit überschreiben.“

„Was?“

„Ja“ betonte sie. „Ich möchte, dass du mir – bis ins Detail – erzählst, was du mit ihr gemacht hast.“

Jetzt war ich es, der schluckte. War sie masochistisch veranlagt? War das wirklich ihr voller Ernst?

„Bist du dir sicher?“, hakte ich vorsichtig nach.

„Ja“, versicherte Sangi mir.

Ich schluckte nochmal leise. Jetzt war ich es, der das Laken anstarrte.

„Okay... wo fange ich an...?“, fragte ich eher mich selbst als sie, doch sie antwortete darauf, als hätte ich die Frage an sie gerichtet.

„Am besten vorne.“

„A- also... das war an dem Tag, an dem ich behauptet hatte, in die Stadt zu fahren, um nachzusehen, ob unsere Gäste auch ja abseits jagten.“

Während ich sprach, sah ich genau, dass die aufgedeckte Lüge sie traf, doch sie hörte tapfer zu und schwieg.

„Ich bin stattdessen zu Cat gegangen, weil ich sie um Unterstützung bitten wollte. Sie und ihren Vater. Ich wusste, dass er dazu fähig war, Vampire zur Strecke zu bringen und deswegen wollte ich sie beide für unser Vorhaben gewinnen.

Als ich bei ihr ankam, war ihr Vater zum Glück gerade weggefahren. Ich wollte also mit ihr allein sprechen und bin über das Fenster in ihr Haus eingestiegen. Sie...“, ich unterbrach kurz.

„Sie war gerade unter der Dusche.“

Sangreal sah kurz verstört weg, nickte mir dann aber zu und deutete mir damit an, dass ich weitererzählen solle.

„Wir hatten einander kaum gekannt, da hatte sie mich schon küssen wollen, daher wusste ich, dass sie etwas von mir wollte und es war für mich der einfachste und schnellste Weg, sie davon zu überzeugen, mir zu helfen, also... also hab ich es auf der Schiene probiert und bin ganz gut damit gefahren. Sie ist ziemlich schnell darauf angesprungen. Wir haben uns geküsst und sie fing an mich auszuziehen.“

Sangi sah erneut weg.

„Als ich merkte, was ich da tat, habe ich gezögert, aber Cat hat sich nicht beirren lassen.“

Ich hielt inne. Nun war er also da, der Moment der Wahrheit, aber da musste ich wohl durch. In vollem Bewusstsein, das meine nächsten Worte das Aus für ein Leben mit Sangreal bedeuten konnten, fuhr ich fort.

„Ich wusste, dass es falsch war, was ich tat. Dass es dir gegenüber nicht fair war und das ich alles aufs Spiel setzte, was mir etwas bedeutet, aber die Volturi haben mir auch vieles genommen, was mir etwas bedeutet hatte und sie fallen zu sehen, war mir in diesem Moment wichtiger als alles andere. Dafür wäre mir fast jedes Mittel recht gewesen und wäre ihr Vater dann nicht aufgekreuzt...“ - ich hielt erneut inne, jetzt gab es kein zurück mehr - „wäre ihr Vater nicht aufgekreuzt, hätte ich wahrscheinlich sogar mit ihr geschlafen.“

Ich wusste nicht, warum ich auch noch einen drauf setzte und ihr statt dem tatsächlich Geschehenen auch noch erzählte, was hätte passieren können. Vielleicht war ich es ja, der masochistisch veranlagt war. Vielleicht war ich aber auch einfach nur dumm.

Sangreal hatte mich die ganze Zeit über nicht mehr angesehen. Sie schloss die Lider und vergoss abermals einige dicke Tränen, doch ich wagte es nicht, mich zu bewegen, um sie wegzuwischen.

„Es tut mir Leid“, war alles, was ich noch sagen konnte, dann schwiegen wir einander an.

Zuerst nur ein paar Sekunden, aus denen dann Minuten wurden. Minuten die mir wie Stunden oder gar Tage vorkamen.
 

„Ich weiß“, sagte sie schließlich. Ihre Worte waren zeitlich derart versetzt zu meinen, dass ich einen Moment brauchte, um sie zuzuordnen. Meine Mundwinkel hoben sich zögernd zu einem unsicheren, leichten Lächeln, sanken dann aber wieder rasch, als Sangi wieder nach unten sah.

Zwei ihrer Finger griffen nach einem Zipfel meiner Jacke, dann sah sie mich wieder an.

„Empfindest du etwas für sie?“

Ich haderte einen Moment mit mir selbst. Sollte ich wirklich noch ein weiteres Mal die volle Wahrheit sagen oder sie mit einer Lüge schonen?

„Da gab es...“, die Worte fielen mir schwer, hatte ich doch das Gefühl, dass sie mich weiter von ihr entfernten. Andererseits jedoch musste ich sie aussprechen, sonst würde immer etwas zwischen uns stehen, „eine gewisse Anziehung, zwischen ihr... und mir.“

Ihre Finger lösten sich von mir, doch es waren kaum zwei Zentimeter zwischen ihrer Haut und dem Stoff gekommen, da griff ich nach ihrer Hand. „Aber das ist gar nichts, im Vergleich zu dem, was ich für dich empfinde.“

Sie starrte mich an und warf einen flüchtigen Blick auf meine Hand, die ihre festhielt. „Was ist es?“

Ich ließ ihre Hand los, rückte vorsichtig noch etwas näher an sie heran und nahm ihr Gesicht wieder in meine Hände, dann sah ich sie eindringlich an.

„Ich liebe dich.“

Diese drei Worte. Die magischen drei Worte. Die Worte, die ich nie zuvor zu jemandem gesagt hatte. Meine Eltern sagten sie einander tagtäglich. Meine Schwester und Seth ebenso. Carlisle und Esme, Alice und Jasper, Rose und Emmett, meine Großeltern. Ich hörte sie andauernd. Aber ich selbst hatte nie das Bedürfnis gehabt, sie auszusprechen. Es hatte in meinem Leben nie jemanden gegeben, dem ich sie hätte sagen können. Es hatte nie jemandem gegeben, für den ich so empfunden hatte. Dreißig Jahre lang nicht, trotz all der Menschen, denen ich begegnet war und nun saß sie da, auf meinem Bett und starrte mich an. Ich war mir nicht ganz sicher, ob sie wusste, was das bedeutete. Ob sie wusste, dass sie die Einzige war in dreißig Jahren.

Plötzlich zog sie meine Hände von ihrem Gesicht, legte sie stattdessen an ihre Taille, umschlang mit ihren Armen meinen Hals und küsste mich derart stürmisch, dass ich nach hinten kippte und mit ihr auf mir zurück auf die Kissen sank. Das Gefühl ihrer Lippen auf meinen, war in diesem Moment weit schöner noch als der Genuss menschlichen Blutes.

Ich legte meine Hände an ihren Rücken und tauschte dann in einer einzigen fließenden Bewegung die Position mit ihr, ohne dass wir uns dazu voneinander lösen

mussten. Anschließend ließ ich von ihren Lippen ab und küsste stattdessen zunächst ihren Hals, dann ihr Schlüsselbein, während ich mit den Händen unter ihren Pullover fuhr. Durch meine Berührung von einer Gänsehaut erfasst, krümmte sie kurz den Rücken und meine Finger nutzten, mehr instinktiv denn gezielt, die Chance und öffneten die kleinen Häkchen ihres BHs, den ich daraufhin unter ihrem Pullover hervor zog und zur Seite legte.

Warum ich ausgerechnet jetzt so eine Lust nach ihr verspürte, wusste ich nicht. Vielleicht war es allein dem befreienden Gefühl geschuldet, dass sich in mir ausgebreitet hatte, nun da ich wieder eine gemeinsame Zukunft mit ihr vor mir sah. Vielleicht war es aber auch das dringende Bedürfnis zu vergessen, dass ich eigentlich zu meinem Vater auf das Schlachtfeld wollte.

Sangreal jedenfalls, schien es ähnlich zu gehen. Bereitwillig strich sie sich die Hausschuhe von den Füßen, als ich ihr die Hose auszog und ihre Beine streichelte. Ich beugte mich noch einmal zu ihr herab und küsste ihren Hals, dann wanderte ich langsam immer tiefer, bis hin zu ihrem Bauchnabel. Mit einem Mal überkam mich währenddessen ein seltsames Gefühl. Ursprünglich hatte ich natürlich im Sinn gehabt, noch tiefer zu wandern, aber aus irgendeinem Grund, hielt ich nun inne. War es wirklich ein kleiner, flatternder Herzschlag, den mein feines Gehör da wahrnahm?

Mein Herz begann bei dem Geräusch selbst etwas zu rasen und dann erstarrte ich plötzlich.

„Ani?“, fragte Sangreal besorgt und hob den Kopf etwas, um nach mir zu schauen. „Ist alles okay?“ Ich antwortete nicht und horchte stattdessen. Es war aber nicht der Herzschlag meines Kindes, der mich nun so fesselte, sondern das kaum hörbare Quietschen des Scharniers eines Fensters im ersten Stock. Das Gästezimmer befand sich zwar ebenfalls dort, doch konnte ich durch die Schritte, Herzschläge und Stimmen der Personen, die mit mir hier geblieben waren, deren Standort ausmachen. Zum jetzigen Zeitpunkt befanden sie sich alle im Erdgeschoss. Ein Geruch, den ich vage zu kennen glaubte, der jedoch keinesfalls auf eines meiner Familienmitglieder passte, bestätigte meinen Verdacht.

„Ani?“, fragte Sangreal erneut und hatte sich inzwischen aufgesetzt.

„Da ist jemand im Haus“, antwortete ich leise.

„Was?“, fragte sie verwundert.

Ich gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. „Warte hier.“

„Ani warte!“, rief sie mir nach, als ich aus dem Zimmer fegte.
 

Die Eindringlinge waren inzwischen im Erdgeschoss und in jenem Augenblick, in dem sie das Wohnzimmer betraten und Mariella, Esme und meine Mutter sie entsetzt anstarrten, raste ich auf eine der beiden zu und presste sie knurrend gegen die gegenüberliegende Wand.

„Athenodora!“, brüllte die zweite Vampirin sogleich.

In der Tat, vor mir versuchte Caius Gefährtin vergebens sich aus meinem Griff zu befreien.

„Sulpicia“, röchelte diese zur Antwort ihrer Freundin zu.

„Wer ist das?“, fragte meine Mutter.

„Die Ehefrauen der Volturi-Oberhäupter“, antwortete Esme.

Athenodoras Augen starrten mich angsterfüllt an, während ihre Hände weiterhin an meinem Arm zerrten.

„Na, wie ist das?“, zischte ich unter zusammengebissenen Zähnen wütend hervor. „Dieses Gefühl von Hilflosigkeit, das man verspürt, wenn man auf die Gnade anderer angewiesen ist, während diese es regelrecht genießen, dich leiden zu sehen?“

„Bitte lass sie los!“, schrie die Zweite mich an. Sie schienen alles andere als Kampferprobt zu sein. Wie sonst war es zu erklären, dass sie keine Anstalten machte, mich mit Gewalt von Athenodora wegzuzerren?

Dann hörte ich schnelle Schritte. Sangreal rannte die Kellertreppe hinauf, blieb kurz im Türrahmen stehen und eilte dann zu mir. Zu meiner Verwunderung griff nun auch sie nach meinem Arm. „Ani, bitte lass sie los!“

Ich starrte sie mit großen Augen an. Sie atmete hastig und trug meinen schwarzen Morgenmantel. Wahrscheinlich hatte sie sich das erstbeste übergezogen.

„Warum?“, fragte ich ungläubig. „Hast du vergessen, was sie getan hat?!“

„Das war doch nicht sie! Das war Caius!“

„Es tut mir aufrichtig leid“, presste Athenodora nun hervor. „Was mein Gefährte dir antat, ist mit Worten keinesfalls zu entschuldigen. Ich kann dir aber versichern, dass es nicht seine sadistische Ader ist, die ich an ihm schätze. Hätte ich die Möglichkeit gehabt, hätte ich ihn aufgehalten.“

Aus meiner Kehle kam unwillkürlich ein erneutes Knurren.

„Ani, bitte!“, bat Sangi erneut.

Widerwillig löste ich meinen Griff um Athenodoras Hals und machte einen Schritt zurück. Sangreal stellte sich direkt vor mich, legte ihre Hände auf meine Brust und ihren Kopf seitlich auf ihre Handrücken.

Caius Gefährtin rieb sich erleichtert den Hals. „Danke“, flüsterte sie.

„Dank nicht mir“, antwortete ich und drückte meine Freundin beschützend an mich.

Sulpicia näherte sich zaghaft und umarmte ihre Athenodora, bevor sie das Wort an mich richtete:

„Wir hatten nicht damit gerechnet, dass hier noch jemand ist, nachdem wir gesehen hatten, wie alle das Haus verließen.“

Zweifellos hatte das behütete Leben in Volterra ihren Tribut gefordert. Jeder normale Vampir hätte gehört und gerochen, dass sich Personen im Haus befanden, egal wie leise diese waren.

„Wie auch immer“, sagte ich. „Ich würde euch raten, jetzt ganz schnell das Weite zu suchen.“

Die Vampirfrauen nickten und verließen dann eilig das Haus durch die Terrassentür, ohne sich noch einmal umzudrehen.
 

Ich seufzte, als sie außer Hörweite gelaufen waren.

„Sie waren allein. Das bedeutet wohl, das Corin tot sein muss“, mutmaßte Sangreal.

„Möglicherweise“, antwortete ich.

„Sie werden bald alle tot sein“, sagte Mariella.

„Möglicherweise“, wiederholte ich mich.
 

Hinter uns vernahm ich ein leises Stöhnen.

„Sie kommt zu sich“, rief Esme und ging hinüber zum Sofa, auf dem Catriona, eingewickelt in eine dunkelblaue Decke aus Angorawolle lag. Meine einstige Schulkameradin hielt sich müde die Hand an ihren, offensichtlich brummenden Kopf und setzte sich langsam auf.

„Wie fühlst du dich?“ Esme hatte sich an die Kante gesetzt und reichte ihr ein Glas mit klarem stillem Wasser.

„Wie nach einer durchzechten Nacht“, antwortete Cat und nahm das Glas entgegen.

Ich lachte kurz auf. Ihre Schlagfertigkeit war schon immer einer jener Charakterzüge gewesen, die mich am meisten fasziniert hatten.

Als ich mich ihr näherte, sah sie auf. „Du bist ja noch da.“

Ich nickte. „Dank dir.“

„Das meine ich nicht“, korrigierte sie mich.

„Soll ich dich in dein Zimmer bringen?“, fragte ich, nur um dem leidigen Thema zu entgehen, dass sich da anbahnte. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie es nicht verstand, dass ich nicht mitkämpfte. Wie sollte sie, ich verstand es ja selbst nicht?

„Schon in Ordnung“, meldete sich Esme. „Ich mache das.“

Sie half Cat auf, welche ihren Arm um Esmes Hals legte, dann gingen beide in den ersten Stock.

Als ich aufgehört hatte, ihnen hinterher zu gucken, sah ich gerade noch, wie Sangreal sich aufs Sofa setzte und die Arme um die Beine schlang. Ich setzte mich neben sie.

„Bist du nicht müde?“

„Doch“, antwortete sie. „Aber ich kann nicht schlafen, wenn ich weiß, dass deine Familie da draußen ist und ihr Leben riskiert.“

Ich nickte. Sie ließ sich leicht zur Seite kippen und lehnte sich an mich.

„Darf ich dir jetzt mal eine Frage stellen?“, fragte ich sie nun.

Sie hob den Kopf und sah mich verwundert an.

„Was ist passiert, nach dem du nach La Push geflogen warst?“

Sie überlegte kurz. „Nun... mir war schon im Flugzeug ziemlich schlecht, aber ich hab es auf die Nervosität geschoben. Jedenfalls hab ich Nayeli wie besprochen bei Leahs Babysitterin abgeliefert. Und dann, im Bad, da war dieser Schwangerschaftstest.“ Sie gestikulierte mit den Händen.

„Mir war langweilig und er war auch schon etwas älter. Ich dachte zuerst er sei kaputt, als ich das Plus sah und dann bin ich zum Spiegel gegangen. Da war diese Wölbung und auf einmal ergab alles einen Sinn und meine Wut auf dich war wie weggeblasen. Ich wollte nur noch zurück. Also bin ich in den Flieger nach Irland gestiegen.“ Sie nahm einen Augenblick Luft.

„Auf der Taxifahrt fingen sie mich dann ab. Sie standen plötzlich auf der Straße. Dann töteten sie den Fahrer und zerrten mich aus dem Wagen. Sie zwangen mich dazu, Nahuel zum Flughafen zu lotsen. Ich hab sie angefleht, ihn und dich da rauszuhalten. Naiv wie ich war, glaubte ich, dass ich euch schützen könnte, wenn ich ihnen anbot, sie nach Volterra zu begleiten. Ich war bereit, das Leben meines Kindes und mein eigenes Leben dafür zu opfern, aber es war ihnen egal.“

Erneut begann Sangreal zu weinen.

„Im Wald fingen sie dann Nahuel ab. Zu allem Übel, war er in Begleitung deiner Mutter und deiner Schwester. Für die Volturi war das ein Glücksgriff. Sie töteten Nahuel und nahmen uns alle als Köder für dich.“

Meine Augen weiteten sich. „Du weißt, dass Nahuel tot ist?“

Sie nickte zaghaft und strich sich eine Träne vom Gesicht. „Er war wie ein großer Bruder für mich. Ich spüre, dass er nicht mehr da ist.“

Ich nickte abermals. Ich wusste genau, wovon sie sprach. Dieses Gefühl von Leere, wenn eine wichtige Person ging. Es gab nichts auf der Welt, das dieses Loch jemals gänzlich würde füllen können. Mein Bruder hatte ein solches in meinem und den Herzen meiner Familie hinterlassen. Und in diesen Sekunden war stets die Angst davor in mir präsent, dass es noch mehr werden könnten. Ich war mir sicher, dass wir, die wir hier zurückgelassen wurden, alle diese Angst gerade spürten und doch saßen wir nur stumm da oder unterhielten uns, als warteten wir darauf, dass unsere Familienmitglieder vom Einkaufen zurückkamen. Es machte mich wahnsinnig.
 

Ruckartig erhob ich mich. Sangreal sah verwundert zu mir hinauf.

„Ich gehe“, sagte ich zu meiner Mutter und meiner Schwester gerichtet, die sich derart langsam umdrehten, als hätten sie einen Geist gesehen.

Mariella ging energisch auf mich zu. „Nein!“, presste sie unter zusammengebissenen Zähnen

hervor.

Ich ignorierte sie und sah stattdessen weiter unsere Mutter an. „Ich muss.“

Renesmee schritt stumm an mir vorbei und setzte sich neben Sangreal auf das Sofa.

„Mum“, schimpfte Mariella, doch sagte diese nach wie vor kein Wort und starrte ins Leere. Ich trat vor sie, kniete mich auf den Fußboden und sah zu ihr hinauf. „Ich fühle, dass sie Probleme haben und ich weiß, dass du es auch fühlen kannst, Mutter.“

Sie hob ganz langsam den Blick. Ihre schokoladenbraunen Augen blickten traurig in die meinen, als sie ihre zarte Hand an meine Wange legte. Die Bilder schossen mir sofort in den Kopf und nahmen vor meinem inneren Auge Gestalt an. Innerhalb weniger Sekundenbruchteile sah ich mich mehrfach bewusstlos irgendwo liegen. Ich sah beide Male, in denen Caius mich biss und ebenso sah ich mich deswegen zwei Mal zusammenbrechen. Ich sah mich selbst in meiner Tierform. Zunächst als Wolf, dann als Vogel. Ich sah wie die Wälder immer kleiner wurden, je höher der Vogel stieg und dann sah ich, wie die Erde wieder näher kam. Es war seltsam alles aus der Perspektive eines anderen zu sehen. Als ich dann sah, wie Mariella verzweifelt an meinem leblosen Körper rüttelte, nahm ich ihre Hand aus meinem Gesicht, hielt sie fest und legte meine zweite Hand schützend darüber. „Es wird kein drittes Mal geben, Mutter. Ich werde ihm dazu keine Chance geben.“ Sie begann zu schluchzen, als ich sie ansah. „Ich verspreche es“, versicherte ich ihr, doch sie hörte nicht auf zu weinen.

Schweren Herzens ließ ich meine Mutter los und stand auf. Als ich mich zum Gehen umdrehte, griff Mariella nach meinem Unterarm. „Nein!“, sagte sie bestimmt. Unbeeindruckt von ihrem Befehlston drehte ich mich um und sah sie ausdruckslos an. Sie ließ sich davon jedoch nicht beirren. „Du kannst nicht gehen. Du bist Sangreal zu liebe hier geblieben also zieh das auch bis zum Ende durch!“

„Seit wann scherst du dich um Sangreal, Mariella?“

Sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder und begann dann, unsicher zu stammeln. „Ich... seit... ähm... ich. Schon immer.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Ich habe dir immer schon gesagt, dass ich sie schätze, weil du sie schätzt. Ich weiß wir hatten unsere Differenzen, aber angesichts der aktuellen Situation-“

„Die aktuelle Situation?“, hakte ich nach und betonte dabei ihre Worte. „Redest du davon, dass dein Seth gerade da draußen ist und sein Leben riskiert und unser Vater ebenso?“

„Mir ist auch nicht wohl bei dem Gedanken, aber was kann ich tun? Ich bin nur ein Halbvampir der keinerlei Kampferfahrung hat. Ich wäre nur im weg und ich wollte Seth nicht dazu zwingen hier zu bleiben, während sein Rudel da draußen kämpft.“

„Ach, so ist das“, sagte ich. „Aber bei mir geht das in Ordnung?“

„Das ist etwas anderes!“, protestierte meine kleine große Schwester energisch. „Du bist erst seit kurzem im Rudel.“

„Mein Vater ist Teil dieses Rudels, Mariella“, erinnerte ich sie.

„Du wärst im letzten Jahr zweimal durch Caius' Biss fast gestorben!“

„Aber ich bin es nicht. Ich stehe immer noch hier.“

„Ja“, bestätigte sie. „Weil du verdammt viel Glück hattest, dass Cat solche Fähigkeiten hat.“

Langsam trieb sie mich zur Weißglut. Ich erinnerte mich nicht an all zu viele Konfliktsituationen mit meiner Schwester, traten sie dann aber doch ein, konnten sie durchaus ausschweifender werden. „Hättest du getan, was man dir gesagt hat und statt aller zehn nur sieben Spritzen mitgenommen, hätte ich weder das Glück noch Cats Fähigkeiten gebraucht!“

Und da hatte ich ihn prompt erwischt. Mariellas wunden Punkt. Es war nicht so, als hätte ich es gezielt darauf abgesehen gehabt, es war mir mehr einfach so heraus gerutscht. Dementsprechend tat es mir auch direkt wieder Leid, was ich soeben gesagt hatte, nun da auch meine Schwester bitterlich zu weinen begann. Mit zittrigen Lippen drehte sie sich um, hielt sich dann eine Hand vor den Mund und lief davon.

Einen Augenblick lang spielte ich mit dem Gedanken, ihr hinterher zu laufen, ließ es dann jedoch sein. Vielleicht war es besser so. Niedergeschlagen wand ich mich erneut zum Gehen um.

„Warte“, sagte meine Mutter und stand vom Sofa auf. Im ersten Moment dachte ich, sie wolle mich wegen meiner Worte tadeln oder gar aufhalten. „Ich komme mit.“

Mir klappte der Mund auf. „Was?“

Sie nickte als hätte sie mir etwas Nichtiges bestätigt. „Du hast recht. Irgendetwas stimmt nicht und die Ungewissheit ist kaum erträglich.“

„Also gut“, sagte ich und ging anschließend zu Sangreal zurück, die inzwischen aufgestanden war. „Kannst du bitte nach Mariella schauen?“

„Natürlich“, sagte sie.

„Es tut mir Leid“, gab ich zu. „Ich hatte mir wirklich vorgenommen deinetwegen hier zu bleiben.“

Sie schüttelte den Kopf, stand auf die Zehenspitzen und strich mir dann eine Haarsträhne meines Ponys zur Seite. „Schon in Ordnung. Das ist eben deine Natur. Bitte komm einfach nur heil wieder.“

Ich nahm ihr Gesicht in meine Hände, beugte mich zu ihr hinab und küsste sie zum Abschied.

„Ich gebe mein Bestes.“
 

***
 

Auf der Wiese vor dem Haus standen wir dann gemeinsam in dem kleinen Lichtkegel, den das Wohnzimmerlicht nach draußen warf. Ich gab meiner Mutter wortlos einen Teil meiner Kleidung, damit er meiner Verwandlung nicht zum Opfer fallen musste. Sie nahm ihn ebenso stumm entgegen und verstaute alles sorgsam in ihrem Rucksack.

„Bereit?“, fragte ich zur Sicherheit ein letztes Mal.

Sie nickte, zog den Reißverschluss zu und schlüpfte in die Trageriemen des Rucksacks.

Ich verwandelte mich fast aus dem Stand heraus. Um es ihr leichter zu machen, aufzusteigen, kauerte ich mich auf den Boden und stand mit meiner Mutter auf dem Rücken wieder auf. Mit meinem Vater war sie auf diese Weise unzählige Male unterwegs gewesen, aber ich war nicht er und so fühlte es sich für mich ein wenig seltsam an. Sie dagegen schien etwas Vertrautes darin zu sehen. Ich spürte es deutlich, als sie ihre Hände in meinem Nackenfell vergrub. Sie wusste genau, an welcher Stelle etwas mehr davon war, sodass sie sich problemlos festhalten konnte.

Als ich mich kurz darauf in Bewegung setzte, zuckte sie weder zusammen, noch war sie unsicher. Für sie war diese Art der Fortbewegung offensichtlich das Natürlichste auf der Welt – und genau das stand mir bei meinem Vorhaben ein wenig im Weg. Ich würde wohl improvisieren müssen.
 

Zunächst galt es, die anderen ausfindig zu machen. Der Tumult in meinem Kopf war, kaum dass ich versuchte, mich auf deren Standort zu konzentrierten, fast nicht auszuhalten. Die Gedanken des Rudels, obgleich es kleiner als Sams war, irrten durch mein Hirn, wie ein Haufen aufgeschreckter Hühner. Ich hörte viele verzweifelte Rufe, unter anderem auch von Leah und als ich sie dann den Namen meines Vaters rufen hörte, entfuhr mir unwillkürlich ein leises Winseln.

Mutters Finger gruben sich sogleich tiefer in mein Fell. Sie war ohne Zweifel angespannt und ich konnte es ihr nicht verdenken. Trotzdem wäre es mir lieber gewesen, sie wäre bei Sangreal geblieben. Aber daran konnte ich jetzt nichts mehr ändern. Ich musste das Beste aus der Situation machen und das bestand für mich darin, sie aus der Gefahrenzone zu bringen. Ob sie nun wollte oder nicht, war mir gleich.

Ich hoffte inständig, dass mein Großvater meine Stimme in diesem Chaos würde heraushören können. 'Edward' dachte ich angestrengt, als wir nur noch etwa einen halben Kilometer von ihnen entfernt waren. 'Bitte, kümmert euch um Mum.'
 

Wenig später konnte ich sie in der Ferne ausmachen. Dieser Anblick passte durchaus zu dem, was ich zuvor wahrgenommen hatte. Überall rannten Vampire und Werwölfe durch die Gegend. Bella stand mit Rose etwas außerhalb, wahrscheinlich um die Fähigkeiten der Volturi zu blockieren.

'JACOB!' brüllte Leah dann lauthals in meinem Kopf. Ich legte noch einen Zahn zu, trieb meine vier Pfoten an, noch schneller zu laufen.

In den wenigen Sekunden, in denen ich an Bella vorbei lief, nahm diese mir geistesgegenwärtig ihre Tochter vom Rücken und hielt sich auch dann tapfer fest, als sie sich wehrte und ihren Arm nach mir ausstreckte. „Nein! Ani, was tust du?!“, hörte ich sie mir nachrufen.

Doch ich hatte keine Wahl. Ich musste weiterlaufen. Ich musste meinem Vater helfen.

Ich verließ den großen Tumult, sah noch im Augenwinkel, wie Cats Vater Jane zu Boden zwang. Die Nächste, die meine Augen erblickten, war Leah. Sie wirbelte aufgeschreckt herum, als ich an ihr vorbei preschte. 'Was machst du hier?!', fragte sie perplex.

'Unwichtig', wimmelte ich sie ab.

Und dann war da mein Vater. Ich sah ihn in ein paar Metern Entfernung auf dem Boden liegen. Er schien verletzt zu sein und da Caius direkt vor ihm stand, konnte ich nur beten, dass er ihn nicht gebissen hatte.

Vom Zorn auf diesen einen sadistischen Vampir getrieben, sprang ich Caius an, vergrub meine Reißzähne in seinem linken Arm und schleuderte ihn weg, dann stellte ich mich zwischen ihn und meinen Vater und knurrte.

Keuchend rappelte Caius sich auf und funkelte mich mit seinem lasch herunterbaumelnden Arm an. Zu meinem Bedauern war er noch dran, aber ich sehnte mich danach, ihn zu zerfetzen, spürte wie die Hitze in mir empor kroch und mein Körper zu beben begann. Ich wollte ihn töten. Mit. Jeder. Einzelnen. Faser.

'Anthony, ich hatte dich doch darum gebeten, zuhause zu bleiben!', mahnte Vater.

'Hat er dich gebissen?', ignorierte ich sein Tadeln.

'Nein'.

Die Erleichterung kühlte mein erhitztes Gemüt ein wenig ab. Zumindest so weit, dass ich wieder klar denken konnte. Noch immer stand er vor mir, rührte sich kaum. Ich sah wie sich die klare Flüssigkeit in seinem Mund ansammelte und sogar ein wenig aus dessen Winkeln heraus quoll.

Ohne Zweifel, er wusste ganz genau, wer ich war.
 

Hinter mir hörte ich Schritte. Meine Familie und unsere Verbündeten kamen auf uns zu und versammelten sich einige Meter hinter meinem Vater. Von den Volturi schien keiner mehr übrig zu sein, zumindest konnte ich keinen unter ihnen ausmachen.

Mit dem monotonen Knurren der Wölfe als einziges Hintergrundgeräusch, rührte sich für ein paar Minuten niemand mehr, bis mein Vater sich aufrappelte und einen Schritt auf mich zuging.

„Jacob“, sagte Edward dann in normalem Tonfall. Als dieser sich zu ihm umdrehte, schüttelte Edward den Kopf. „Nicht.“

Dad schnaubte kurz, blieb ansonsten aber stehen.
 

„Ich... habe dich getötet.“ Caius Worte ließen alle aufhorchen und auch ich wand mich wieder meinem Gegenüber zu. Er hob zwei Finger. „Zweimal.“ Aus seiner Stimme hörte ich Verzweiflung und Wut.

'Es wird kein drittes Mal geben', dachte ich und knurrte, um meine Gedanken zu unterstreichen. Das Knurren war selbstverständlich alles, was Caius hörte. Nur Edward und das Rudel hörten tatsächlich meine Gedanken.

„Es wird kein drittes Mal geben“, übersetzte Edward, sodass alle sie hören konnten.

Caius sah ihn finster an, dann verstand er und fixierte mich erneut.

„Bastard“, presste er heraus und spukte sein Gift in den Matsch.

'Im Gegensatz zu dir, habe ich wenigstens eine Zukunft.'

„Im Gegensatz zu dir, habe ich wenigstens eine Zukunft“, wiederholte Edward mich erneut.

„Wir werden sehen“, provozierte Caius, dann hechtete er frontal auf mich zu, machte einen schnellen Satz nach oben, sprang auf meinen Rücken und griff nach meiner Schnauze.

Offensichtlich hatte er die Absicht, mir den Kiefer zu brechen, damit ich ihn nicht mehr beißen konnte. Ich spürte, wie er daran zog und rüttelte und stemmte mich dagegen, indem ich zubiss. Wenige Sekunden später hatte ich seine Hand zwischen meinen Zähnen. Er schrie kurz auf, dann drehte ich mich einmal um mich selbst und kugelte ihm dabei den Arm aus. Als er schließlich vor mir auf dem Boden lag, seine Hand noch immer zwischen den Zähnen, biss ich gänzlich zu und riss sie ab. Sie splitterte ab wie Marmor. Ich spuckte das widerliche Stück Vampirfleisch aus und hörte den dumpfen Schlag, als es in der Erde landete, auf der ihr Besitzer just vor mir kauerte und ängstlich auf allen Vieren zurückwich.

Aber das war nur der Anfang. Ich wollte noch so viel mehr...

Ich trat drei Schritte nach vorn. Zwischen meinen Vorderpfoten sah ich das im Mondlicht schimmernde Vampirgift, das er zuvor verächtlich dorthin gespuckt hatte. Ich sog dessen Duft ein und erinnerte mich dabei an den Schmerz, den es mir verursacht hatte. An die Pein und das Feuer. An sein hämisch grinsendes Gesicht. Und dann sah ich die Hallen der Volturi vor mir. Ich sah Wills Blut auf dem Boden und an meiner Hand. Ich sah wie das letzte Licht aus seinen Augen wich.

Und dann wurde mir bewusst, dass nicht ich es war, der unter Caius am meisten gelitten hatte. Ja, er hatte mich gequält, mehr als einmal, aber letztlich war ich hier. Ich hatte eine Zukunft. Aber Will hatte keine und seine Kinder hatten eine ohne ihren Vater, Leah eine ohne ihren Mann. Sie hatte den für sie wichtigsten Menschen auf der Welt verloren. Caius' Tod würde ihn nicht wieder ins Leben holen, aber wenigstens konnte sie sich dessen gewiss sein, dass er für den Mord an Will gerichtet wurde. Dass er nicht weiterlebte und mordete und andere Familien in zwei riss.

Ich machte langsam einige Schritte zurück, bis auch ich in den Reihen meiner Familie stand.

Caius sah mir mit großen Augen nach. Vielleicht dachte er für einen Augenblick, ich würde ihn verschonen wollen. Ich wand meinen Blick von ihm ab und sah stattdessen hinüber zu Leah. Sie zögerte zunächst, doch dann verstand sie.

„Caius“, begann Edward dann mit dem Versuch, meine Gedanken, Empfindungen und Erinnerungen in Worte zu packen. „Du magst Anthony in der Vergangenheit viel Schmerz zugefügt haben... aber kein Schmerz war so groß, wie die Trauer um seinen Bruder, meinen Enkel, ihren Ehemann.“ Er zeigte auf mich, sich und schließlich auf Leah. „Du nahmst Geschwistern den Bruder, Eltern den Sohn und schlimmer noch, Kindern den Vater. Wir können nur ahnen, wie groß dieser Verlust für Leah gewesen sein muss und noch immer ist.“

Der Volturi schüttelte den Kopf. Plötzlich versuchte er eilig sich aufzurappeln und zu flüchten.

Ich machte einen Satz nach vorn und presste ihn mit meinen Pfoten im Rücken zu Boden.

Leah schritt auf ihn zu, ihre Pfoten sanken in der weichen Erde leicht ein, als diese nachgab. Sie sah Caius eindringlich an. Ihr Gesicht hatte einen fast friedlichen Ausdruck, doch dann zeigte sie plötzlich ihre gewaltigen Zähne. Sie waren das Letzte, was Caius sah, bevor sie ihm den Kopf vom Körper riss und diesen anschließend ähnlich angewidert fallen ließ, wie ich es zuvor mit seiner Hand getan hatte.

„Benjamin“, sagte Edward dann, woraufhin dieser das einstige Volturi Gründungsmitglied in Brand steckte. Und so wie der schwarze Qualm von Caius Überresten in den Himmel stieg, breitete sich die Erleichterung in mir aus.

Der Hass war verschwunden.

Es war vorbei.

Ich war wieder frei.
 

***
 

Eine Weile hatten wir dort gestanden und gemeinsam ins Feuer gesehen. Erst als sein Leichnam so weit heruntergebrannt war, dass er sich nicht mehr zusammensetzen konnte, hatte Benjamin das Feuer gelöscht. Danach war er losgezogen, um auch die übrigen, noch brennenden Körper zu löschen. Leider befanden sich darunter auch einer unserer Verbündeten. Niemand wusste, ob es der blinde Wahn gewesen war, der Stefan dazu angetrieben hatte, Jane blindlings anzugreifen oder doch die Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod, nun da er einer Zukunft ohne seinen engsten Freund entgegen gesehen hatte.
 

Der Weg zurück zum Haus fühlte sich seltsam an. Einerseits war es wie ein wahrlicher Triumphmarsch, schließlich hatten wir gesiegt. Andererseits war das, was hinter uns lag, noch zu unwirklich, sodass wir selbst mit vampirischer Auffassungsgabe nicht in der Lage waren, es in all seiner Gänze zu begreifen.

Wir hatten einen der größten und gefährlichsten Vampirclans von ihrem Thron gestoßen. Die Ära der Volturi war vorüber und eine Neue lag vor uns. Es war selten, dass Vampire von einem Umschwung wirklich mitgenommen wurden. Jahrzehnte, Jahrhunderte, gar Jahrtausende zogen an ihnen vorüber. Manche von ihnen hatten den Aufstieg und Fall mehrerer Dynastien erlebt, hatten Epochen kommen und gehen sehen. Veränderungen beeindruckten sie selten, Jubiläen feierten sie nicht. Es wären zu viele. Aber diese eine Situation war so bedeutend für die Vampirwelt, dass auch sie davon erfasst wurden, wie es ein Mensch sein mochte, der gerade seinen 100. Geburtstag feiert oder den Korken einer Sektflasche knallen lässt, um ein neues Millennium zu begrüßen.
 

'Was du getan hast, war ziemlich leichtsinnig', meinte mein Vater, auf dem Heimweg.

Wir liefen Seite an Seite in Wolfsform. Die Finger in seinem Fell vergraben, die Augen geschlossen, lag Mutter auf seinem Rücken und schien längst eingeschlafen zu sein. Ich konnte es ihr nicht verdenken.

Ich antwortete nicht auf seinen Tadel.

'Aber ich danke dir dafür', fügte er hinzu.

Verwundert hob ich den Blick und sah ihn an.

'Ohne dich, wäre ich wahrscheinlich tot', mutmaßte er.

Irgendetwas hatte ich dann erwidern wollen. Vielleicht 'Gern geschehen'. Aber es war mir entglitten, als Sam, der vor uns hergelaufen war, plötzlich stehen geblieben war und ein Gebüsch anknurrte, aus dem wenige Sekunden später Marcus mit den Ehefrauen heraustrat.

'Ihr habt ihn nicht getötet?', fragte ich überrascht.

'Er war weg', antwortete Seth.

'Hat sich wahrscheinlich irgendwo verkrochen', knurrte Sam.

„Wartet“, sagte Edward und hob den Arm waagrecht, um zu symbolisieren, dass niemand die Drei angreifen sollte. Er ging ein paar Schritte auf sie zu. „Du hast dich versteckt?“

Marcus schüttelte kaum merklich den Kopf. Er sah wie immer ziemlich müde aus.

„Bitte versteht mich nicht falsch. Ich bin dem Tod keinesfalls abgeneigt. Im Gegenteil, manchmal, sehne ich mich nach ihm. Das Leben ist aussichtslos, trostlos, ohne sie.“

„Didyme“, hauchte Athenodora hinter ihm.

„Ihr wisst... wovon ich spreche... nicht wahr?“ Marcus Blick schweifte von Edward zu Bella, von Rosalie zu Emmett, von Alice zu Jasper, Benjamin zu Tia, Garrett zu Kate, Eleazar zu Carmen und schließlich zu meinen Eltern. Er sah deutlich die geknüpften Bande zwischen ihnen.

Das Brummen von Cats Vater war aus einer der hinteren Reihen zu hören. „Dann tun wir ihm doch den Gefallen“, sagte er mürrisch und trat hervor.

„Nein, bitte. Einen Augenblick, Fionn“, gebot Edward ihm Einhalt. Der Kantor blieb etwas widerwillig stehen und nickte.

Mein Großvater wand sich wieder dem Volturi zu. „Ist das wirklich dein Wunsch, Marcus?“

„Was sonst, könnte ich mir wünschen, Edward Cullen?“

„Vielleicht... etwas Gutes zu tun?“, entgegnete er. „Für sie?“

Marcus Blick wurde fragend.

„Ihr wart mit Aros und Caius Taten uneins. Das war es doch, was deine Gefährtin und dich dazu veranlasste, die Volturi verlassen zu wollen, oder nicht?“

Marcus nickte.

„Sie hatte eine Gabe“, sagte Edward. Es war eine Feststellung, keine Frage.

Marcus antwortete dennoch. „Sie machte die Personen um sich herum glücklich.“

„Jemand mit einer solchen Fähigkeit, kann unmöglich böser Natur sein. Sie wollte das alles nicht und musste dafür sterben. Aber wo liegt der Sinn darin, wenn du auch dafür stirbst? Hätte deine Liebste das wirklich so gewollt? Hätte sie sich nicht vielleicht gefreut, wenn du stattdessen ihrem Vermächtnis treu bliebst und hilfst, Andere glücklich zu machen?“

„Wie?“, wollte Marcus wissen.

„Die Volturi sind weg. Der Clan existiert nur noch in unserer Erinnerung. Aber diese Erinnerung wird eines Tages verblassen und es wird andere Vampire geben, die es ausnutzen werden, dass niemand mehr da ist, um sie zu kontrollieren. Nicht alles an den Volturi war schlecht. Ihr ursprünglicher Zweck war es, die Vampire zu kontrollieren und damit zu schützen. Nun da sie fort sind, sind ihre Gräueltaten vorbei, aber auch ihr Schutz ist verschwunden. Die Vampirwelt braucht diesen Schutz. Hilf mit, ihn wieder aufzubauen. Dieses mal richtig.“
 

Im Nachhinein, war mir bewusst geworden, dass ich durch einen einzigen Spaziergang – damals mit Cat, als mir in einer Gasse Jane und Felix begegneten – alles verändert hatte. Nicht nur mein eigenes Leben, sondern ebenso das Tausender Vampire. Es war wie eine Lawine über uns alle hereingebrochen und ließ sich nicht aufhalten. Selbst nun da die Volturi besiegt waren nicht.

Interessanterweise wurde mir dies ganz besonders klar, als ich wenige Minuten nach dem Gespräch zwischen Marcus und Edward, mit meinen Eltern und Seth vor unserer Veranda stand und Mariella auf Letzteren zugerannt kam, um ihr Gesicht in sein sandfarbenes Fell zu drücken.

In den letzten 30 Jahren war ich immerzu passiv daneben gestanden, doch dieses Mal war es anders. Hinter meiner Schwester trat Sangreal langsam aus der Tür. Sie war weniger schwungvoll als Mariella, doch ich konnte in ihren Augen dasselbe Strahlen sehen und das war mehr, als ich mir je erhofft hatte. Sie ging auf mich zu und legte ihre Hand vorsichtig auf meine Schnauze. Ich war nicht mehr allein.

Es war dieser Moment, in dem Sangreal sich auf meinen Rücken setzte, in dem ich mich meinem Vater so nah wie noch nie zuvor gefühlt hatte. Er sah mich warm an und obgleich er als Wolf nicht lächeln konnte, sah ich doch ganz genau sein verschmitztes Lächeln vor meinem inneren Auge. Nun wusste ich, wie es war, die Person, die einem am wichtigsten war, beschützen zu wollen. Eine Person, in deren Adern nicht dasselbe Blut floss und für die man dennoch alles tun würde. Ich war nicht auf sie geprägt worden, nein, aber es fühlte sich dennoch richtig an.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  jennalynn
2013-12-14T13:47:52+00:00 14.12.2013 14:47
Ein tolles Kapitel.
Das aber irgendwie bitterlich nach Ende schmeckt.
War es das letzte?
Oder kommt noch eins?
Vielleicht auch zwei oder drei?

Wenn nicht, dann danke ich dir von Herzen für die tolle Story.

GGGLG Alex


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