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Blood Moon - Bis(s) in alle Ewigkeit

Fortsetzung von Rising Sun - Bis(s) das Licht der Sonne erstrahlt
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
b]Disclaimer:
=> Ich verdiene kein Geld mit meiner Fanfiction.
=> Alle Charaktere die schon in den Twilight-Bänden ihren Auftritt hatten, gehören Stephenie Meyer. Alle Anderen, wie etwa Schüler, Lehrer und vor allem Renesmees und Jakes Kinder, habe ich selbst erfunden.

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[Leah] Erinnerungen

Kapitel 14 - "Erinnerungen"
 

[Leah's Sicht]
 

„Ich bin wieder da!“ rief ich, kaum dass ich die Wohnungstür hinter mir geschlossen hatte. Mein Ruf war nicht mehr so enthusiastisch wie früher. Mit seinem Verschwinden, war eine schreckliche Leere eingekehrt. In dieses Haus, wie auch in unsere Herzen.

Ich legte die Autoschlüssel auf die Kommode im Flur, direkt vor das Foto mit dem silberfarbenen Alurahmen. Es war ein Hochzeitsfoto, unser Hochzeitsfoto. Aufgenommen vor zwölf Jahren in La Push, zeigte es mich in einem cremefarbenen Brautkleid und meinen Bräutigam in einem, nicht ganz klassischen, weinroten Anzug. Unsere ganze Hochzeit hatte eigentlich absolut nicht der Norm entsprochen. Im Grunde hatten wir einen Topf gehabt, in den jeder von uns seine Wünsche geworfen hatte und daraus hatten wir uns unsere eigene Traumhochzeit gemixt. Und das war sie auch geworden. Wenn ich das Bild ansah, spürte ich wieder seine Hand, die zärtlich meine hielt, während er mir den goldenen Ring auf den Finger streifte. Wir hatten uns mit Torte gefüttert und zu den rhythmischen Klängen der Quileute getanzt. Wir hatten unseren Treueschwur zweisprachig vorgetragen. Anstelle eines Pastors, hatte das Stammesoberhaupt, Billy Black, uns getraut. Seine Augen hatten gestrahlt, wann immer er von seinen Notizen aufgesehen hatte. Er war so stolz darauf gewesen, dass sein Enkel sich dazu entschlossen hatte, ein richtiger Quileute zu werden. Nie hätte sich Billy nach Jakes Prägung auf Renesmee träumen lassen, einen Nachfolger in seiner direkten Blutlinie zu finden, der auch noch in der Lage war, sich zu verwandeln. Und nun war nicht nur Billy von uns gegangen...
 

Ich wischte mir eine kleine Träne von der Wange, kurz bevor Rain mit der kleinen Billy-Sue auf dem Arm um die Ecke kam und mich freudig begrüßte.

„Willkommen zurück, Leah“, rief sie mir zu. „Die Kleine konnte es kaum erwarten, ihre Mommy wieder zu sehen!“ Rachels jüngste Tochter hatte zwar ursprünglich, gemeinsam mit ihrer älteren Schwester, das Quileute Head Start Programm geleitet, eine Organisation für einkommensschwachere Familien unseres Stammes, doch nach Wills Tod hatte sie sich sofort bereit erklärt, mir mit den Kindern unter die Arme zu greifen. Nun konnte ich sie als meine persönliche Nanny bezeichnen, aber sie war viel mehr als das. Sie war auch meine beste Freundin und hatte immer ein offenes Ohr für mich. Ohne sie wäre das schwarze Loch, in das ich kurz nach der Beerdigung gefallen war, sicher bodenlos gewesen, doch sie hatte es geschafft mich irgendwie aufzufangen. Ich konnte die schlaflosen Nächte gar nicht mehr zählen, in denen wir beide im Halbdunkel der Nachttischlampe im Schneidersitz auf meinem Bett gesessen und geredet hatten.
 

„Ich kann nicht mehr“, hatte ich in einer solchen Nacht, etwa zwei Wochen nach seinem Tod, zu ihr gesagt.

„Doch, du kannst“, konterte sie.

Ich schüttelte den Kopf.

„Du musst“, plädierte sie weiter.

„Er war alles, was ich immer wollte und jetzt ist er weg“, heulte ich. „Einfach... weg...“

Sie packte mich an den Schultern und schüttelte mich. „Was redest du denn da! Hast du deine Kinder vergessen? Madeleine, Harry, Billy-Sue? Sie sind ein Teil von dir und ein Teil von ihm und sie brauchen dich!“

„Ich weiß aber nicht, ob ich das schaffe.“

„Natürlich schaffst du das. Du bist eine starke Frau mit einem großen Herzen. Und... du bist nicht allein.“ Ich hatte versucht zu lächeln, aber es kamen nur noch mehr Tränen. „Er hätte sicher nicht gewollt, dass du dich aufgibst.“

„Nein“, ich hatte den Kopf geschüttelt und das Portrait meines Mannes von meinem Nachttisch genommen und angeschaut. „Er hätte gewollt, dass ich weitermache.“ Und dann hatte Rain es mir weggenommen. Sie hatte es zur Decke empor gehoben und angegrinst, mit ihrer gelegentlich aufkeimenden, unglaublichen kindlichen Art und Weise.

„Allerliebster Cousin Will, ich schwöre, dass ich mich um deine tolle Frau kümmern werde und auf gar keinen Fall zulasse, dass sie sich einigelt!“

Und da hatte sogar ich lachen müssen, trotz all der Tränen, die ich bis dahin vergossen hatte und die noch folgten. Bis heute.
 

„Danke, Rain“, sagte ich und nahm ihr mein Töchterchen ab. „War sie auch schön brav?“

„Aber ja. Traumhaftes Baby. Absolut pflegeleicht.“

Ich lächelte Billy-Sue an und stupste die Spitze ihres Näschens mit meinem Zeigefinger leicht an. „Braves, Mädchen.“

Rain verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Das ist sie.“

„Ach“, fügte sie dann hinzu. „Wenn du gleich einkaufen gehst, könntest du noch ein paar Dosen Futter für Millicent Bulstrode mitbringen? Sie fängt sonst eventuell an, die Schüssel demnächst ohne Inhalt zu verspeisen.“

Ich musste tatsächlich ein klein wenig kichern. Millicent Bulstrode war die dicke, hell- und dunkelbraun gestreife Langhaar-Katze, die uns irgendwann zugelaufen war. Irgendwie fand Will es lustig, als pferdegroßer Wolf eine Katze als Haustier zu haben und bestand darauf, sie zu behalten. Den gewöhnungsbedürftigen Namen hatte er einem Harry Potter-Roman entnommen. Inzwischen war sie schon achtzehn Jahre alt, aber immer noch so gefräßig, wie am ersten Tag. Ich seufzte. „Ja, kein Problem“, sagte ich und notierte das Futter auf meiner Einkaufsliste.
 

Zum Einkaufen begab ich mich mit Billy-Sue nach Port Angeles. Das Meiste, was wir zum Leben brauchten, hatten wir normalerweise im Reservat oder in den kleinen Läden in Forks bekommen, aber seit Wills Tod vermied ich es weitgehend, auf die Straße zu gehen. Die Mitleitbekundungen waren zwar mittlerweile abgeebbt, doch ihre Blicke spürte ich immer noch im Nacken. Früher war ich die arme Leah gewesen, die einfach keinen abkriegt. Nun war ich die arme Leah, die endlich jemanden gefunden und ihn direkt wieder verloren hatte. Die Witwe, mit den drei Kindern. In Port Angeles dagegen, war ich einfach nur eine Frau, die einen Einkaufswagen mit einem Baby durch die Gegend schob.

Will hatte sich im Reservat immer sehr wohl gefühlt. Gerade das familiäre Miteinander, das wir untereinander pflegten, hatte ihm sehr gefallen. Ich glaube, ich habe nie einen größeren Familienmenschen gekannt, abgesehen vielleicht von Sam und Emily, mit ihrer Fußballmannschaft. Und doch war er mir zuliebe in das tausende Kilometer entfernte La Push gezogen, hatte seine Familie verlassen, um eine neue, kleine mit mir aufzubauen, hatte für das Kinderlachen Sehnsucht in Kauf genommen und sich nie darüber beschwert.

Ich erinnerte mich noch genau an den Tag, an dem ich von meinem Arzt die Bestätigung erhielt, dass ich schwanger war. Will hatte mir meinen allergrößten Wunsch erfüllt. Neun Monate später wurde unsere Tochter geboren. Für mich, die immer davon überzeugt gewesen war unfruchtbar zu sein, war es ein Wunder gewesen und zwar eines, das sich noch zweimal wiederholte...
 

Und nun war ich mit meinen kleinen Wundern allein. Und jeder Tag schien, trotz ihrer Anwesenheit, so trostlos zu sein, wie der vorherige. Ich sah sie aufwachsen und spürte doch keine wirkliche Freude. Wann immer Madeleine eine Note nach Hause brachte, lächelte ich sie an und fragte mich insgeheim, was wohl mein Mann dazu gesagt hätte, wenn sie eine gute oder schlechte Zensur vorzeigte. Wahrscheinlich hätte er sie bei Letzterem behutsam getadelt. Das hörte sich vielleicht komisch an, aber Will war ein toller Daddy gewesen. Er hatte die Waage zwischen ermahnen und fördern nahezu perfekt gemeistert. Ich dagegen fühlte mich nun viel zu oft überfordert. Und das wo es eigentlich mein Beruf war, mit Kindern umzugehen und sie zu schulen. Jeden Morgen fuhr ich mit meinen Sprösslingen zur Schule und während sie dort Vollzeit unterrichtet wurden, ging es für mich am Mittag wieder nach Hause, um Rain mit Billy-Sue abzulösen. Am Nachmittag und Abend dagegen, bereitete ich den Stoff für den kommenden Tag vor, sofern ich nicht für den Nachmittagsunterricht eingeteilt war.

Die Donnerstage nutzte ich zum Einkaufen. Ich hatte es mir angewöhnt, meine Tage möglichst geregelt ablaufen zu lassen, damit meine Kinder wenigstens etwas Ordnung im Leben hatten, wenn ihre Mutter schon so häufig zerstreut war. Außerdem blieb mir so weniger Zeit zum Nachdenken. Nachdenken war für mich fatal. Wann immer ich es tat, endete es in einem Fiasko. Ich muss zugeben, ich hatte sogar mal mit dem Gedanken gespielt, mich umzubringen, es aber nie in die Tat umgesetzt. Der Gedanke reichte aus, um mich dazu zu bringen, am nächsten Tag an Sam's und Emily's Esstisch zu sitzen und eine Packung Taschentücher zu verbrauchen. Wenn mir zu der Zeit, in der Jake noch Bella herjagte, jemand gesagt hätte, dass ich ausgerechnet an Sams Tisch hocken und mich mit ihm über Prägung unterhalten würde, hätte ich ihm den Vogel gezeigt. Obwohl er nur vage erahnen konnte, wie es sich anfühlen musste, wenn man die Person verliert, auf die man geprägt ist, war er mir eine unglaubliche Hilfe gewesen. Wir wussten nur wenig über die Prägung, aber man erzählte sich, dass der Tod der Person in den allermeisten Fällen auch gleichsam der Tod des Wolfes bedeutete. Es brach einem sprichwörtlich das Herz. Und genauso fühlte ich mich auch. Es war absolut nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den ich gefühlt hatte, als mich Sam verlassen hatte. Und nun war genau er es, der mich in den Arm genommen und mir gesagt hatte, wie stolz er auf mich war, dass ich die Kraft aufbringen wollte, nicht aufzugeben. Für Madeleine. Für Harry. Und für Billy-Sue.
 

Ich hatte mich darauf eingestellt, dass dieser Donnerstag genauso eintönig verlaufen würde, wie die anderen Donnerstage davor. Nach meiner Rückkehr mit einem vollen Einkaufskorb war allerdings das Erste, was mir beim Betreten des Flurs auffiel, dass kleine rot-blinkende Licht des Anrufbeantworters. Ich stellte also erstmal meinen Korb in der Küche ab und befreite mein Töchterlein aus ihrem Baggy, ehe ich ,mit ihr auf dem Arm, das Band abhörte. Allein schon Embry's sanfte Stimme aus den Lautsprechern zu hören, machte mich stutzig:

„Hey, Leah. Dein Handy ist ja mal wieder aus, deswegen hab ich es mal hier probiert. Bitte ruf mich doch zurück. Es geht um Seth und Jake.“

Mein Herz begann mit einem Mal in meiner Brust zu rasen. Ich nahm das Telefon aus der Basis und wählte eilig seinen Namen aus der Kontaktliste. Das Freizeichen allein reichte aber nicht, um mich zu beruhigen und selbst als er abnahm, war ich noch total außer mir.

„Embry!“, brüllte ich ihn fast an. „Was ist mit Seth? Geht es ihm gut? Ist er verletzt? Was hat er angestellt?!“ Ich konnte nicht mal sagen, warum ich so reagierte. Es war einfach zu viel schlimmes passiert in den letzten Monaten. Nun brachte mich jede Kleinigkeit zum Ausrasten.

„Wow, Leah“, antwortete Embry. Er hörte sich etwas überfahren an. „Immer mit der Ruhe. Den beiden geht es gut.“

„Warum sprichst du mir dann auf den Anrufbeantworter?“, fragte ich empört.

„Na... weil du auf deinem Handy nicht erreichbar warst. Leah, meinst du nicht, ich wäre persönlich bei dir vorbei gekommen, wenn ich etwas schlimmes zu berichten hätte?“

Ich begann allmählich, mich wieder zu beruhigen und setzte mich mit meinem Kind in die Küche, wo auch mein armes, vergessenes, ausgelaugtes Smartphone auf dem Tisch lag. Ich nahm mir vor, es direkt nach meinem Gespräch mit Embry an die Steckdose zu stecken und fuhr fort:

„Also was gibt es?“

„Nun, ich wollte ein bisschen als Wolf die Gegend unsicher machen. Aber kaum, dass ich mich verwandelt hatte, konnte ich gerade noch so ein paar Gesprächsfetzen von einer Unterhaltung zwischen Jake und Seth aufschnappen. Es war irgendwie seltsam. Sie haben sich über die Prägung unterhalten und darüber, dass Jake Nessie vermisst. Also... wenn ich es richtig mitbekommen habe, war Jake zu der Zeit in Ägypten und Seth in Frankreich.“

„Ägypten?“, hakte ich nach. Die Zahnrädchen in meinem Hirn arbeiteten auf Hochtouren. Ägypten, ägyptischer Zirkel, Benjamin, Elemente. Es brauchte nicht viel um eins und eins zusammen zu zählen: sie formierten wieder eine kleine Armee aus Freunden und Bekannten von Carlisle.

„Leah?“, riss Embry mich aus meinen Gedanken. „Weißt du, was das zu bedeuten hat?“

„Nicht direkt“, log ich. „Aber ich werd's schon raus finden. Verlass dich drauf. Danke für die Info Embry. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde.“

Dann legte ich auf.
 

Mein nächster Weg führte mich ohne Umschweife zu Sam's Haus. Schon als ich mit dem Wagen dort hielt und mein Baby abschnallte, ging die Haustür auf.

„Leah!“, begrüßte Sam mich mit einer Mischung aus Freude und bösen Vorahnungen im Gesicht. Er gab Billy-Sue einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, als ich an ihm vorbei ins Haus wollte. Emily setzte sofort einen Tee auf und Sam gesellte sich zu mir an den Tisch. „Was führt dich zu uns?“, wollte er sofort wissen.

„Embry hat es dir nicht erzählt?“

„Was erzählt?“

Ich nickte. Er war also ahnungslos. Embry hatte Sam's Rudel genauso verlassen wie mein Bruder und ich. Er war lange Zeit ranghöchster nach mir gewesen. Nun, da ich mich seit Jahren nicht mehr verwandelt hatte, war er sicher aufgestiegen. Natürlich war er Loyal seinem Rudel gegenüber und verriet seine Informationen erst mal nur mir, egal wie nah wir Sam's Rudel standen.

„Leah?“, fragte Sam besorgt.

Ich begann etwas nervös mit einem Knie zu wippen. Mein Baby wurde leicht geschüttelt, störte sich aber nicht daran. Im Gegenteil. Es schien ihr sogar zu gefallen. „Jake ist in Ägypten, Seth in Frankreich.“

Er sah mich entgeistert an.

„Du weißt, was das heißt“, flüsterte ich eindringlich. Nun war es Sam, der nickte. „Meinst du, sie werden wieder angegriffen, oder meinst du, sie sind dieses Mal die Angreifer?“, fragte ich. Beides war plausibel, wenn man die Ereignisse in den letzten Monaten betrachtete.

„Ich denke, für uns spielt das keine Rolle. Wenn unsere Brüder und Schwestern in Gefahr sind, haben wir keine andere Wahl, als sie so gut es geht zu unterstützen.“

Mir war klar, dass er mit Brüdern und Schwestern Jake, Seth und Anthony und diejenigen, auf die sie geprägt waren, Renesmee und Mariella, meinte. Und als er von 'wir' sprach, ließ er mich insgeheim sicherlich außen vor. „Warum hat Jake uns nichts gesagt?“

Sam zuckte mit den Schultern. „Er hatte sicher gute Gründe uns das zu verheimlichen. Die Meisten von uns haben sich seit Jahren nicht mehr verwandelt und würden eine Familie zurücklassen, wenn sie im Kampf fallen sollten.“

Ich nickte abermals. Da hatte er Recht. Und doch war ich mir absolut sicher, dass das ganze Rudel in den Kampf ziehen würde.

„Nun“, setzte Sam wieder an. „Unter diesen Umständen, muss ich wohl meinen Angelausflug kanzeln und unsere Brüder zusammenrufen.“

Ich setzte ein Lächeln auf. Brüder. Natürlich ließ er mich außen vor.
 

Sam begleitete mich noch bis zu meinem Wagen. Kurz bevor ich einsteigen wollte, nahm er mich in den Arm und strich mir über den Rücken. „Keine Angst, Leah. Wir lassen sie nicht im Stich.“

„Wann soll's losgehen?“, fragte ich, nachdem er mich wieder losgelassen hatte.

„Am Montagmorgen brechen wir auf“, sagte er. „Ich denke, das sollte reichen, um alle zusammen zu trommeln und noch ein klein wenig zu üben.“

„Okay.“

Mit einem mulmigen Gefühl startete ich den Motor und fuhr wieder zurück nach Hause. Es grämte mich nicht wirklich, dass er mich nicht mitnehmen wollte. Ich hatte drei kleine Kinder und war psychisch labil. Ganz zu schweigen davon, dass ich mich seit über einem Jahrzehnt nicht mehr verwandelt hatte. Ich hatte mir nie gewünscht, ein Werwolf zu werden. Ich wollte immer ein normales Leben. Auf die Verwandlungen zu verzichten fiel mir leicht. Ich verband nicht viel Gutes mit dem Dasein als Wolf. Man hatte wenig Privatsphäre, wenn das ganze Rudel im eigenen Kopf herumschwirrte, die Klamotten litten darunter und meine langen Haare waren mir auch lieb und teuer.
 

Und trotzdem... das Wochenende nach meinem Gespräch mit Sam umfasste wahrscheinlich die zwiespältigsten zwei Tage meines Lebens. Ich liebte meine Kinder. Ich wollte immer in ihrer Nähe sein. Aber der Gedanke, die Anderen allein nach Irland fliegen zu lassen und hier zurück zu bleiben und um sie bangen zu müssen, war noch unerträglicher, als meine Kinder zu verlassen. Und dann war da noch dieses Verlangen in meinem Innern. Es war ein tiefes Verlangen. Es hatte sich an jenem Tag, an dem ich von Wills Tod erfahren hatte, in meine Seele gefressen, wie ätzende Säure: das Verlangen nach Vergeltung. Ich wollte Rache. Ich wollte Caius Kopf zwischen meinen kräftigen Kiefermuskeln zermalmen. Ich wollte den Vampir töten, der mir das Zentrum meines Universums genommen hatte. Aber war Rache wirklich die richtige Intention, um meine Kinder zu verlassen?
 

Zwei Tage haderte ich mit mir. Lies mein Gewissen seinen inneren Kampf austragen, nur um letztlich doch Rain Sonntagnacht um zehn zu mir zu bitten. Sie eilte zu mir, so schnell sie konnte, dachte sie doch, ich sei mal wieder zusammen gebrochen. Umso überraschter hatte sie geschaut, als sie sah, dass ich in meinem Schlafzimmer damit beschäftigt war, die blaue Sporttasche mit ein paar Klamotten zu füllen. Ja, es war genau jene Tasche, die Will immer liebevoll die 'Geburtstasche' genannt hatte. Und nun nahm ich sie mit auf meinen wahrscheinlich letzten großen Kampf, denn selbst wenn wir gewinnen sollten, einen weiteren würde ich in meinem Leben nicht mehr kämpfen. Ich hatte genug Vampirkörper wie Porzellan zerschellen sehen.

„Was hast du vor?“, fragte Rachels Tochter besorgt.

Ich lächelte sie warm an. „Ich fliege zu meinem Bruder.“

„Du willst nach Irland? Aber... warum?“

„Hör zu“, bat ich. Ich nahm sie an den Schultern und gab leicht Druck, so dass sie sich aufs Bett setzte und mich erwartungsvoll musterte. „Es gibt da noch etwas, was ich tun möchte und es kann sein, dass ich nicht zurückkommen werde.“

„Was?! Aber Leah!“, rief sie entsetzt.

Ich nahm ihr Gesicht in meine Hände. „Scht... scht...“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Ich werde alles tun, um meine Kinder wiederzusehen, das verspreche ich dir.“

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Was kann denn so wichtig sein, dass du so ein Risiko eingehst?“

„Will“, antwortete ich.

„Will ist tot, Leah“, wimmerte sie. „Rache bringt ihn nicht zurück.“

Ich lächelte. Sie war eine unglaublich intelligente Frau. Während die Tränen ihr hübsches Gesicht hinunterliefen, beobachtete sie, wie ich nach dem Foto auf Wills Nachttisch griff. Ich strich sanft darüber. Es war ein sehr altes Familienfoto der Cullens. In der hinteren Reihe standen die Jungs, in der vorderen saßen die Mädels auf Stühlen. Als es aufgenommen wurde, waren die Drillinge noch ziemlich klein gewesen. Auf meinem Schoß lag Will. Er war körperlich und geistig der Jüngste und hatte das Shooting verschlafen. Auf dem Stuhl zu meiner Linken saß Esme. Hinter ihr stand Seth, auf dessen Schultern Mariella thronte. Ihre kleinen Finger griffen in sein kurzes schwarze Haar und sie strahlte. Sie alle strahlten. Alle, bis auf das Kind auf Renesmee's Schoß: Ani.

Wenn ich so zurückdachte, hatte ich ihn eigentlich selten lachen sehen. Und wenn seine Mundwinkel doch mal nach oben wanderten, dann meistens aus Sarkasmus oder Ironie. Er hatte immer etwas düsteres an sich gehabt. Nie hatte ich seine Gegenwart als sonderlich angenehm empfunden. Weder als er ein Baby war, noch in den Jahren danach. Aber Will hatte ihn geliebt. Er hatte in seinem Bruder etwas gesehen, was mir stets verborgen geblieben war.

Ich richtete meinen Blick wieder auf Rain und schüttelte sachte den Kopf. „Es geht mir nicht nur um Rache. Da ist noch etwas anderes.“
 

***

Am Montagmorgen fuhr ich wieder zu Sam. Es regnete wie so oft. Es war als würde der Himmel mit mir weinen, als ich meine Kinder im Morgengrauen verließ. Ich ging, als sie noch schliefen. Ein Kuss auf die Stirn, ein Strich durch ihre Haare, mehr erlaubte ich mir nicht.

Als ich bei Sam ankam, waren die Anderen alle schon da. Sie wuselten wild durcheinander und verstauten die letzten Taschen in den Autos. Sam lächelte mich an, als ich aus meinem Wagen stieg. Als ich aber dann meine Tasche vom Rücksitz zog, entwich ihm das Lächeln prompt.

„Was wird das, Leah?“, knurrte er überrumpelt.

„Ich komme mit“, antwortete ich entschlossen.

„Nein!“, fuhr er mich an.

„Ich bin erwachsen, Sam. Ich kann für mich selbst entscheiden.“

„Du bist nicht zurechnungsfähig!“

„Denkst du, ja?“, fragte ich mit leicht bebenden Lippen. Das tat weh.

„Ja, Leah. Das hier ist kein Rachefeldzug. Ich versuche nur zu retten, was noch zu retten ist.“

„Aber Seth-“

„-ist ebenfalls erwachsen“, unterbrach er mich. Er legte seine Hände an meine Schultern und sah mich eindringlich an. „Leah, willst du wirklich riskieren, deine Kinder zu Vollwaisen zu machen?“

„Manche Dinge, sind ein Risiko wert“, antwortete ich noch immer zitternd. Der Regen prasselte weiter erbarmungslos auf uns herab, aber es war nicht die Kälte, die meinen Körper schaudern ließ. „Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn ich jetzt nicht mitginge.“

Sam schüttelte den Kopf. „Rache ist es nicht wert.“

„Ich würde lügen“, antwortete ich. „Wenn ich sagte, dass ich nicht auch deswegen mitgehe.“

„Aber?“

Nun war ich diejenige, die Sam tief in die Augen sah. „Ich will retten, was noch zu retten ist“, wiederholte ich seine Worte. Sam sah mich fragend an. Ich fuhr fort: „Will hat sein Leben verloren, als er seinen Bruder beschützen wollte. Alles was ich will ist, dass dieses Opfer nicht umsonst gewesen ist. Wenn er in diesem Kampf stirbt, will ich wenigstens sagen können, dass ich alles versucht habe, um das zu verhindern und wenn es bedeutet, mich selbst vor ihn zu werfen.“

Stille trat ein. In Sams Gesicht änderte sich etwas. Seine Kiefermuskel entspannten sich. „Und du meinst, dass das in Will's Sinn wäre?“

„Nein“, sagte ich kopfschüttelnd. „Aber er hätte es so getan.
 

***
 

Während Sam draußen letzte Anweisungen gab, bat ich Emily, mir die Haare zu schneiden. Wenn ich schon untrainiert war, wollte ich wenigstens nicht über mein langes Fell stolpern. Es war seltsam, nach so vielen Jahren wieder mit einer Kurzhaarfrisur herumzulaufen. Will hatte meine langen ,seidigen ,schwarzen Haare immer so sehr gemocht und nun lag ein Großteil davon auf Emilys Fußboden. Sie sah mich missmutig an, als sie den Besen nahm, um sie zu einem Haufen zusammen zu fegen. Ich zwang mich zu einem optimistischen Lächeln.
 

Als ich Stunden später meine Füße nach Monaten mal wieder auf irländischen Boden setzte, waren die verlorenen Haare wieder nebensächlich. Ein mulmiges Gefühl stieg ihn mir auf. Jenes Gefühl, dass in mir den Gedanken aufkeimen ließ, dass ich nie wieder nach La Push zurückkehren würde. Ich schluckte und folgte den Anderen.

Die nahe Umgebung der Cullens roch nun besonders stark nach Vampir. Ich hatte den Geruch bei unseren regelmäßigen Besuchen schon als extrem penetrant empfunden. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass ich es nicht mehr gewöhnt war, oder am hohen Vampiraufkommen an diesem Ort, jedenfalls brannte der süßliche Geruch in meiner Nase.

„Weiter“, trieb Sam uns an, nachdem wir angehalten hatten, weil uns der Gestank kurz erschaudern lies.

Und dann kam das Anwesen immer näher. So nah, dass schließlich Details sichtbar wurden. Ich weiß nicht, warum ich plötzlich Sam überholte und die Führung übernahm, als ich Anthony auf der Veranda erblickte. Er sah etwas niedergeschlagen aus, was ungewöhnlich war, denn normalerweise zeigte er seine Stimmung nie, aber wahrscheinlich hatte er sich hier draußen unbeobachtet gefühlt. Selbst als er aufblickte und uns, allen voran mich, anstarrte, ging ich weiter. Ich hatte nicht vergessen, was ich Rain und Sam anvertraut hatte und doch, jetzt wo ich ihn wieder vor mir hatte, kehrte die Erinnerung an unser Aufeinandertreffen im Flur zurück. Ich hatte nicht vergessen, wie ich ihn geschlagen, ihn angeschrien hatte. Er hatte es stumm hingenommen. Und auch jetzt sagte er keinen Ton, wich nur zurück. War er wirklich so naiv gewesen, anzunehmen, dass wir nicht davon erfahren würden, was sie vor hatten? Wie konnte er uns, Jakes und Seths Familie und Freunde, einfach so außen vor lassen? Hatten wir nicht auch ein Recht darauf, selbst zu entscheiden, ob wir unser Leben für sie riskierten oder nicht? Warum hatten sie Fremden aus aller Welt diese Möglichkeit gegeben, aber uns nicht? Wir hatten in der Vergangenheit gut gekämpft und waren im Kampf sicherlich nicht weniger wert, als ein Vampir es wäre.

Ohne, dass ich es so richtig wollte, drängte ich ihn gegen die Wand.

„Lee-Lee!“, brüllte Sam. Ich stoppte meinen wirren Gedanken und sah hoch zu Anthony. Ich sah in seine smaragdgrünen Augen. Es war als würde ich in Wills sehen. Das selbe schöne Grün. Ich ließ ihn los und strich mir über die Stirn. Was tat ich hier überhaupt? War ich nicht mit dem Gedanken hier her gekommen, ihm zu helfen, wie Will es getan hätte? Und nun knallte ich ihn prompt gegen die nächste Hauswand? Ich seufzte. Wenn ich wirklich mein Vorhaben würde umsetzen wollen, musste ich meinen inneren Groll irgendwie überwinden.

„Ani?“ Plötzlich stand ein Mädchen mit langem braunem Haar und grauen Augen neben uns. Ich kannte sie nicht, hatte keinen blassen Schimmer wer sie war, aber ihr Geruch verriet mir sofort, was sie war. Wie viele Halbvampire gab es denn noch und was machte dieses Mädchen hier? Und in welcher Beziehung stand sie zu Anthony? Und dann erblickten meine Augen das kleine Kind in ihren Armen. Sie zauberte mit ihrem Strahlen ein Lächeln in mein Gesicht. Sie war kein Mensch und wirkte doch menschlicher, als wir alle. Das kleine Mädchen in den Armen, der mir unbekannten Halbvampirin, erinnerte mich unweigerlich an Will, als er noch ein Baby gewesen war. Und in diesem Moment wurde mir klar, dass meine Entscheidung, hier her zu kommen, vielleicht gar nicht so schlecht war...
 

- Ende Kapitel 14 -



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  jennalynn
2013-07-24T06:28:09+00:00 24.07.2013 08:28
Guten Morgen…

Ich habe es auch mal wieder geschafft.
Leahs Kapitel hat mich ziemlich mitgerissen.
Ihre tiefe Verzweiflung tat weh und doch finde ich, hat sie ihren Kopf ganz gut gehalten.
Die Trauer ist riesig, aber sie würde für das richtige Kämpfen.
Hoffentlich wird sie ihren Rachegelüsten nicht zum Opfer fallen.

Bis gleich…

Von:  funnymarie
2013-05-07T15:41:27+00:00 07.05.2013 17:41
ein ganz tolles kapitel
und jetzt hat man auch erfahren, wie es leah in der langen zeit erging
wirklich sehr schön, authentisch und emotinal geschrieben
ich freu mich auf mehr
lg funnymarie
Von:  michelleka
2013-05-07T13:58:39+00:00 07.05.2013 15:58
Wow..wieder mal ein super kapitel! Hat mich echt begeistert. Hoffe du schreibst schnell weiter :D



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