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Blood Moon - Bis(s) in alle Ewigkeit

Fortsetzung von Rising Sun - Bis(s) das Licht der Sonne erstrahlt
von

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Vampire weinen nicht

Disclaimer:

=> Ich verdiene kein Geld mit meiner Fanfiction.

=> Alle Charaktere die schon in den Twilight-Bänden ihren Auftritt hatten, gehören Stephenie Meyer. Alle Anderen, wie etwa Schüler, Lehrer und vor allem Renesmees und Jakes Kinder, habe ich selbst erfunden.
 

Weitere Infos zur FF, Trailer, Cover & mehr

http://www.renesmee-und-jacob.de.vu

http://www.chaela.info
 

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Kapitel 3

Vampire weinen nicht
 

Jeder Tag im Leben ist einzigartig. Ganz gleich, wie viele wir davon erleben. Ganz gleich, wie oft wir aus dem Schlaf erwachen, die Sonne am Horizont aufgeht, wenn wir die Augen aufschlagen, können wir nie genau sagen, was der Tag für uns parat hält. Ob es vielleicht einer der Schönsten in unserem Leben werden wird – oder ob uns ein einziges Desaster erwartet.

Ich für meinen Teil, war mir an diesem Morgen ziemlich sicher, dass es vielleicht besser war, einfach im Bett liegen zu bleiben, anstatt der Welt entgegenzutreten. Ich wollte mir einfach die Decke über den Kopf ziehen und weiterschlafen, wollte mich nicht der Welt stellen und vor allem nicht meinem Vater begegnen. Aber ich war Jemand, der es nicht lange in geschlossenen Räumen aushielt.

Auf dem Rücken liegen, verschränkte ich die Arme vor der Brust und betrachtete für einen Moment meine Zimmerdecke, sah Muster und Bilder im Putz, die gar nicht da waren, dann drehte ich mich frustriert auf die Seite. Zuerst starrte ich nur an die Zimmertür, dann wanderte mein Blick zu meinem Nachttisch, auf dem das kleine Döschen mit den Kontaktlinsen lag.

Ruckartig erhob ich mich und ging rasch zum nächsten Spiegel. Meine Augen waren noch immer feuerrot und kamen durch mein dunkles Haar, dass mir ins Gesicht fiel und meine helle Haut, extrem zur Geltung. Ein unangenehmes Kribbeln durchfuhr meinen Körper. Im ersten Moment, hätte ich noch gedacht, es war das mir bis dato unbekannte Gefühl von Frost, doch ich merkte schnell, dass dieses Unwohlsein von den gestrigen Ereignissen herrührte.

Ich ging zurück zum Nachttisch, nahm die Dose und begab mich mit ihr ins Bad, wo ich mich sofort unter die Dusche stellte, in dem verzweifelten Versuch, meine Taten im wahrsten Sinne des Wortes reinzuwaschen. Dass das Wasser dazu nicht in der Lage war, wusste ich selbst. Ich stellte mich direkt unter den Wasserstrahl, ließ das warme Wasser von oben auf mich herabrieseln und schloss die Augen, so wie ich es immer tat, um mich zu beruhigen.

Vor meinem inneren Auge, sah ich Bilder...

Ich weiß nicht warum, aber in diesem Moment, erinnerte ich mich an ein ganz bestimmtes Ereignis aus der Vergangenheit...
 

Es war der Tag, an dem Will zum ersten Mal in den Kindergarten durfte. Wir waren zu dieser Zeit gerade in Cleveland, Ohio, unweit von jenem Ort, an dem Carlisle vor fast 150 Jahren sein Leben in den Vereinigten Staaten begann. Will war gerade drei Jahre alt und verhielt sich auch so. Mariella und ich waren natürlich ebenfalls drei, sahen jedoch eher aus wie Fünf oder Sechs und waren geistig noch ein Stück weiter.

Mit Menschen zusammen zu sein, bevor wir vollkommen ausgewachsen waren, war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit für Halbvampire. Zumindest hatte meine Mutter nie einen Kindergarten von Innen gesehen. Ursprünglich hatte man das für uns auch so beibehalten wollen, aber da Will sich fast ganz normal entwickelte, setzte sich Leah dafür ein, dass ihr Schützling eine möglichst normale Kindheit haben konnte. Sie redete so lang auf meine Familie ein, bis sie sich dazu breitschlagen ließen, Will im Kindergarten anzumelden. Da er immer wieder Gefahr laufen konnte, sich zu verwandeln, wenn ein anderes Kind ihm das Sandkastenförmchen klaute, begann Leah mit ein wenig 'Unterstützung' in eben jenem Kindergarten eine Ausbildung, in dem auch Will war und passte so rund um die Uhr auf ihn auf. Ich weiß noch, dass Mariella und ich an diesem Tag ebenfalls im Auto gesessen hatten, aber meine Mutter und mein Vater fuhren danach mit uns zum einkaufen. Nachdem Will und Leah ausgestiegen waren und meine Mutter sich von ihnen ausgiebig verabschiedet hatte, hatte ich den Kindergarten nur noch sporadisch gesehen.

William entwickelte sich ausgezeichnet. Kein Mensch wäre jemals darauf gekommen, dass er nicht menschlich sein konnte. Er war ein sehr umgängliches Kind, das aber gelegentlich auch ordentlich Temperament besaß. Wenn er etwas haben wollte, begann er schonmal sich auf dem Boden zu rollen und zu quängeln. Mir war Niemand bekannt, der sich ihm entziehen hätte können. Für die ganze Welt war er ein niedlicher, kleiner Junge mit wunderschönen grünen Augen und bronzenem Haar. Verwandeln tat er sich in Leahs Obhut nie, wodurch er nach und nach zu seinem normalen Wachstum angelangte, welches minimal schneller war, als das eines normalen Menschen. Das fiel aber Niemandem sonderlich auf. Meistens wurde es auf Esmes gute Küche geschoben.

Ich weiß noch, dass wir im zweiten Jahr in Cleveland eine Geburtstagsfeier im Haus hatten. Leah hatte sich auch hier durchgesetzt und so bekam Klein-William seine eigene Party mit Luftschlangen, Kuchen und Pinata-Spielen.

Es mochte ein kleiner Haufen Fünfjähriger gewesen sein, die im Haus herum rannten und spielten, während ich mit meinen geistigen Zehn in meinem Zimmer saß, aber es grämte mich.

William hatte keine Unsterblichkeit, er war nicht so schnell wie ich, wuchs nicht so schnell wie ich und trank kein Blut, aber zum ersten Mal in meinem Leben, hatte ich gespürt, dass mein Bruder etwas hatte, was ich nie besitzen konnte: Freunde.

Ich war schon immer ziemlich verschlossen gewesen, hatte mich nie sonderlich nach Gesellschaft gesehnt, aber aus mir unbekannten Gründen, hatte dieser Moment mir sehr weh getan. Ich mochte geistig weiter gewesen sein, als so manch anderes Kind in meinem geistigen oder körperlichen Alter, aber es wollte mir nicht in den Kopf, warum Will Freunde haben durfte und ich immerzu im Haus eingesperrt sein musste oder nur in Begleitung raus durfte.

Als ich frustriert, mit angewinkelten Beinen im Bett kauerte, hatte sich die Tür geöffnet und meine Mutter betrat das Zimmer. Sie hielt ein kleines, blaues Tablett auf dem ein Stück Geburtstagstorte stand. Unseren richtigen Geburtstag hatten wir einige Tage zuvor schon gefeiert gehabt, daher war dies nicht die erste Torte in diesen Tagen, trotzdem war das nicht der Grund, warum ich sie, wie auch jedes darauf folgende Jahr, nicht annahm.

„Möchtest du nicht mit runter kommen?“, hatte meine Mutter einfühlsam gefragt, das Tablett auf mein Bett gestellt, sich neben mich gesetzt und mir über den Rücken gestrichen.

Ich hatte den Kopf geschüttelt.

„Rose und Emmett sind auch da, und Mariella und Seth.“

Ich schüttelte erneut den Kopf.

„Na dann...“, seufzte meine Mutter traurig und erhob sich.

Ich hob nun ebenfalls meinen Kopf.

„Mum?“, hatte ich gesagt und sofort hatte sie sich wieder umgedreht.

„Ja?“

„Wann darf ich zum ersten Mal in die Schule?“

Die Frage hatte meine Mutter wohl etwas überrumpelt. Sie hatte einen Moment gebraucht, um die richtigen Worte zu finden.

„Nun... Spatz... weisst du, es ist noch etwas zu früh.“

„Aber andere Kinder kommen doch auch in meinem Alter in die Schule“, hatte ich gekontert.

„Ich weiß“, sagte meine Mutter traurig. „Aber ihr seid nicht wie die anderen Kinder, ihr seid etwas Besonderes.“

Ich hatte sie nur traurig und fragend angesehen.

„Etwas besonders Schlechtes?“

„Was?!“, erwiderte meine Mutter erschrocken und ließ das Tablett fast fallen. „Um Himmels willen, nein, mein Schatz, natürlich nicht! Ihr seid unser Ein und Alles. Ihr seid wundervoll und wir lieben euch. Ihr seid nicht schlecht, ihr seid nicht böse, ihr seid nur... nur Anders.“

Die Augen meiner Mutter wurden glasig, sie rückte näher an mich heran und nahm mich in den Arm. Sie schluchzte, als sie mir über den Rücken und den Kopf strich.
 

Noch am selben Abend brachte meine Mutter Mariella und mich in Carlisles Arbeitszimmer, wo auch meine Großeltern, Seth und mein Vater warteten.

Meine Mutter ging mit mir in die Mitte des Raumes, wo sich Carlisle zu mir herunter kniete.

„Hallo Ani“, sagte er sanft und lächelte mich ruhig und freundlich an. „Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir dir ein paar wichtige Dinge beibringen, die du nie vergessen darfst.“

Ich nickte verständnisvoll, war aber sehr gespannt, was nun kommen würde.

„Was isst du am Liebsten?“, fragte er.

„Lasagne“, antwortete ich sofort.

Carlisle lachte.

„Ja, das ist die Standardantwort, die du geben sollst, wenn dich das Jemand fragt, der nicht zur Familie gehört, aber was isst du wirklich am liebsten?“

„Puma“, antwortete ich etwas langsamer.

„Richtig.“

„Und was isst dein Bruder?“

„Waffeln“, sagte ich.

Wieder lächelte Carlisle.

„Und isst dein Bruder auch gern Puma?“

„Nein, er mag keine Tiere.“

„Richtig.“

„Also bin ich etwas 'Besonderes', weil ich Puma mag? Ich kann auch normales Essen essen. Ich versprechs.“

Meine Mutter sah in diesem Moment ein bisschen gequält aus, aber Carlisle lächelte weiter.

„Nein, das verlangt keiner von dir. Du tust bereits das Richtige, in dem du Tiere jagst.“

„Was sollte ich denn sonst tun?“, fragte ich verdutzt. Ich hatte nie etwas Anderes kennengelernt. Wir waren immer nur zum Jagen in den Wald gegangen und waren Tieren nachgejagt. Auf die Idee einen Menschen zu töten, war ich nie wirklich gekommen. Wahrscheinlich, weil ich nie einem lange genug nah gekommen war, um den Geruch wahrzunehmen, den vorzüglichen Geruch menschlichen Blutes.

„Was für eine Augenfarbe habe ich?“, fragte Carlisle.

„Gold“, sagte ich.

„Genau, und die haben wir, weil wir Tiere jagen. Aber es gibt noch andere Vampire da draußen und die haben dann rote Augen, weil sie Menschen jagen.“

„Sie bringen Menschen um und trinken sie leer?“, hackte ich nach.

Carlisle nickte.

„So ist es.“

„Warum?“, wollte ich wissen. „Schmecken ihnen Tiere nicht?“

„Nein“, antwortete mein Gegenüber. „Sie haben sich einfach für diesen Weg entschieden.“

„Das ist aber kein guter Weg“, stellte ich dann fest.

Carlisle nickte zufrieden.

„Genau so sehen wir das auch, deswegen machen wir das nicht.“

„Nein,“, antwortete ich. „Machen wir nicht. Keine Menschen. Nur Tiere.“

Meine Mutter kniete sich neben mich. Ihre Augen glitzerten wieder und sie umarmte mich behutsam.

„Du bist nicht böse, du bist genauso wie wir auf dem guten Weg.“

„Jetzt weiß ich aber immer noch nicht, warum Will in den Kindergarten darf, ich aber nicht in die Schule. Ich tue den anderen Kindern doch nichts.“

„Nein, natürlich tust du ihnen nichts“, meldete sich nun mein Großvater zu Wort. „Aber du wächst schneller, als dein Bruder und das würden die anderen Kinder merken. Du musst noch ein paar Jahre warten, bevor du in die Schule kannst.“

Ich nickte traurig.

Sofort schaltete sich Emmett ein. „Hey, Kopf hoch, Kurzer. Andere Jungs in deinem Alter sind auch nicht sonderlich scharf auf die Schule. Du lernst bei uns, das ist besser als jede Schule der Welt!“

Zur Antwort, schenkte ich meiner Familie ein gezwungenes Lächeln.

Nach diesem Tag, hatte ich nie wieder gefragt, ob ich in die Schule durfte...
 

Heute, mehr als zwei Jahrzehnte später, ist die Schule für mich eine Notwendigkeit. Etwas, das ich tat, um mich vor der Langeweile abzulenken und vor allem, um den Menschen keinen Grund zu geben, darüber nachzudenken, was wir waren.
 

Natürlich war es mir nicht gelungen, meine Taten mit Wasser wieder rein zu waschen, aber immerhin, kam ich mir nach dem Duschen ein bisschen 'sauberer' vor, auch wenn ich vom Wohlsein noch weit entfernt war.

Nachdem ich mich angezogen hatte, stellte ich mich erst mal vor den Spiegeln und setzte mir die Kontaktlinsen in die Augen. Am liebsten wäre ich anschließend einfach durch meine Klappe verschwunden, aber dann hätte sich meine Familie wahrscheinlich Gedanken darüber gemacht, wohin ich verschwunden war. Das konnte ich insbesondere meiner Schwester und meiner Mutter nicht antun, nachdem sie sich gestern so um mich gekümmert hatten, also ging ich schweren Schrittes die wenigen Stufen ins Erdgeschoss hoch. In unserer großen Küche saßen Seth und Mariella, ebenso, wie sie es jeden Tag taten. Mir war natürlich klar, dass meine Familie jetzt krampfhaft versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sich etwas verändert hatte: ich.

Seth aß wie jeden Morgen sein Frühstück und meine Schwester leistete ihm Gesellschaft, auch wenn sie selbst das Essen nicht anrührte.

„Schatz“, sagte er dann und strahlte Mariella an. „Musst du heute wieder den ganzen Tag arbeiten? Oder nur Halbtags?“

„Den Ganzen“, antwortete sie und schlang von hinten ihre Arme um seinen Hals, dann legte sie ihr Kinn auf seinen Kopf.

„Schade...“, erwiderte Seth. „Aber vergiss nicht, wenn sie neue Kochbücher haben...“

„... dann setze ich dich sofort auf die Liste“, beendete sie den Satz.

Mich wunderte es immer wieder, dass er sich nicht einfach, wie die meisten anderen Menschen auch, einen E-Book-Reader kaufte oder gleich ein iPad. Das wir in der Schule noch alte zerfetzte Bücher hatten, die wahrscheinlich schon so mancher Großvater meiner Mitschüler mit Fettfingern beschmiert hatte, fand ich ja gerade noch so verständlich, aber wenn es uns hier an einem nicht mangelte, dann war es das liebe Geld. Das wir dafür viele andere Dinge, die man eben mit Geld nicht kaufen konnte, opfern mussten, das sah von Außen Keiner.

Ich spürte, dass mein eigener Großvater sich gerade näherte und drehte mich bereits vorher um. Mariella sah etwas verdutzt drein, sie schien es erst viel später gemerkt zu haben.

Edward stellte sich direkt neben mich. „Ani, hast du einen Moment?“

Ich nickte. „Ciao“, sagte ich noch zu Mariella und Seth, dann folgte ich ihm.

Edward ging mit mir einige Schritte durch den Flur und blieb dann stehen. Ich stand ihm gegenüber, mit dem Rücken zur Wand.

„Eine Sache noch“, begann er nachdenklich. „Das Mädchen, das mich angerufen hat, war als wir eintrafen, nicht mehr da. Meinst du, sie hat Hilfe geholt und ist dann weggelaufen oder gibt es Grund zur der Befürchtung, dass die Volturi sie haben könnten?“

„Mädchen?“, fragte ich verwundert. Jetzt erst fiel mir auf, dass ich gestern gar nicht gefragt hatte, wie sie mich eigentlich gefunden hatten.

„Ja“, antwortete Edward ruhig. „Sie rief mich von deinem Handy aus an. Sie war sehr aufgeregt und hat nur abgehackte Sätze gestammelt, aber sie meinte was von wegen ihr wärt 'spazieren' gewesen.“

Wahrscheinlich wurden meine Augen just im Moment größer. Mein Herz begann zu rasen und Panik kroch in mir hoch, doch ich gab mir alle Mühe, meinem Gegenüber die Ruhe in Person vorzuspielen. Catriona hatte meinen Großvater mit meinem Handy kontaktiert und war danach verschwunden? In meinem Kopf überschlugen sich die Ereignisse vom Vortrag. Immer wieder hallten die Worte der Volturi in ihm wider: „... die könnte uns noch von Nutzen sein ...“

Hatten sie womöglich Catriona in ihrer Gewalt?

„Ani?“ Edwards Worte rissen mich aus meinem Gedankenwirrwarr. „Hältst du das für möglich?“

Ich schüttelte eifrig den Kopf und schürzte die Lippen.

„Nein, nein. Sie haben sie gar nicht gesehen, wir hatten uns schon davor voneinander verabschiedet“, log ich.

Edward nickte. Ich meinte aber noch einen leichten Hauch Misstrauens in seinem Blick zu sehen. „Alles klar... also sie hat dich definitiv hinterher gesehen. Meinst du, du kannst dir was einfallen lassen?“

„Ja, ja“, beteuerte ich. „Ich komm damit klar. Ich erledige das. Ich mach mich gleich mal auf den Weg.“

Und dann eilte ich aus dem Haus und zu meinem Wagen, stieg ein und fuhr mit einem Affenzahn über die Landstraßen. Dieses Mal wollte ich nicht bis kurz vor Stundenbeginn warten. Es war schwierig, etwas so bald wie möglich in Erfahrung bringen zu wollen und dabei nicht übernatürlich schnell über den Schulhof zu fegen. Ich riss die Tür meines schwarzen BMW noch beinahe aus den Angeln, als ich aus dem Wagen stieg. Ob ich überhaupt abgeschlossen hatte, wusste ich nicht. Viel wichtiger war es für mich nun, ins Schulgebäude zu kommen. Was, wenn Catriona nicht hier war? Sollte ich dann sofort alles stehen und liegen lassen und nach Italien gehen? Sollte ich meine Familie einweihen? Oder sie vielleicht doch ihrem Schicksal überlassen? Sie war nur ein einzelner Mensch. Jeder normale Vampir tötete Tausende in seinem Leben...

Ich schüttelte den Gedanken weg. Sie durfte einfach nirgendwo anders sein, als hier.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich um die nächste Ecke bog – und tatsächlich. Da stand sie, an ihrem Spind, damit beschäftigt, mit einer Klassenkameradin zu reden, als wäre nichts gewesen. Dieses Mädchen war offenbar sehr hart im nehmen.

Kaum hatte ich sie gesund und munter da stehen sehen, verflog die Angst. Was zurück blieb war Wut. Wut darüber, dass sie nicht auf mich gehört hatte. Und die brauchte jetzt ganz dringend ein Ventil.

Zielsicher ging ich auf die Mädchen zu. Catriona drehte sich sofort um. Ihr zuvor noch entspanntes Gesicht wurde bleich, als hätte sie einen Geist gesehen. Ich ließ mich von ihrem starrenden Blick nicht abschrecken. Ich packte sie am Oberarm und zog sie einfach hinter mir her. Einige Schritte weiter, befand sich zu unserer Rechten eine abgeschlossene Klassenzimmertür. Ich drehte am Griff, bis es ein knackendes Geräusch gab – das zerberstende Türschloss -, öffnete die Tür, schob Cat in den halb abgedunkelten leeren Raum und schloss die Tür hinter uns.

Ich hatte mich kaum umgedreht, da war sie schon auf mich zu gestürmt und hatte ihre Finger in meine Jacke gekrallt. „Du lebst!“, stellte sie erleichtert fest. „Bist du verletzt? Was machst du hier? Du musst dich doch ausruhen!“

Ich schüttelte den Kopf, nahm ihre Hände von mir und drückte sie ein wenig weg. „Es geht mir gut.“

Ihre blauen Augen wanderten schnell hin und her, als sie mit leicht geöffnetem Mund weiter zu mir auf sah. „Ich hab mir Sorgen gemacht“, flüsterte sie.

„Es geht mir gut“, antwortete ich wieder. Ich wollte ihr nicht das Gefühl geben, dass ich auf ihre beginnende sentimentale Schiene abrutschte. Wo war das störrische Mädchen geblieben, dass mich mit Käsebrötchengestank ärgerte? Hatte sie sich so schnell verflüchtigt?

„Aber... das Blut“, meinte sie dann. Als sie Anstalten machte, wieder nach meiner Jacke zu greifen, schob ich sie ein ganzes Stück weg, bis sie mit dem Rücken gegen einen Tisch lehnte und sich mit den Händen abstützte.

„Warum hast du nicht getan, was ich dir gesagt habe?“, fragte ich tonlos. „Warum bist du zurückgekommen?“

„Du brauchtest Hilfe“, antwortete sie. „Zwei gegen Einen. Ich MUSSTE dir helfen.“

Ich schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. Wie naiv. „Und du meinst du hättest etwas ausrichten können?“

„Hab ich ja!“, antwortete sie empört.

Ich sah sie fragend an.

„Ich hab Hilfe gerufen“, klärte sie mich auf.

„Schön. Und damit dein eigenes Leben in Gefahr gebracht.“

„An-“, begann sie wieder einen leisen Satz, doch ich machte einen Satz auf sie zu, bis ich nur wenige Millimeter von ihr entfernt war.

„Vergiss alles, was du an diesem Tag gesehen hast. Alles.“

„Alles?“, fragte sie zittrig und ich sah, wie in ihren Augen Tränen aufstiegen. Ich war mir sicher, dass das ihr wirkliches Wesen war. Genauso sensibel und verletzbar, wie die meisten Menschen. Genauso schnell zu brechen.

„Alles“, bestätigte ich, dann drehte ich mich um und verließ den Raum.

Als ich eine halbe Stunde im Klassenzimmer saß, saß Catriona in der dritten Reihe auf dem fünften Stuhl von links...
 

***
 

Auf der Heimfahrt am Nachmittag, stellte ich fest, wie sehr sich mein Leben binnen vierundzwanzig Stunden gewandelt hatte. Vor kurzem noch, war meine größte Sorge der übliche Zank mit meinem Vater gewesen. Nun hatte ich ein Menschenleben auf dem Gewissen und das Blut dieses Menschen floss durch meine Adern...

Ich parkte mitten in der Auffahrt unseres Anwesens. Ich drehte den Zündschlüssel herum und der ohnehin schon flüsterleiserne Motor verstummte völlig. Ich hatte kein sonderliches Bedürfnis danach, meinen Vater zu sehen, also blieb ich erst mal hier sitzen, wollte wenigstens noch ein paar Minuten das Unausweichliche herauszögern. Im Rückspiegel meines Autos, sah ich, dass meine Augen wieder rot waren. Die Kontaktlinsen hatten sich aufgelöst.

Plötzlich vernahm ich ein Klopfen an der Scheibe zu meiner Linken und zuckte kurz zusammen. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie meine Schwester sich dem Wagen genähert hatte. Mariella stand lächelnd neben meinem BMW und strahlte mich an. Ich zog den Schlüssel aus dem Schloss und stieg aus.

„Hey, Anilein“, sagte sie freudig und umarmte mich. Ich strich ihr etwas verhalten über den Rücken. Als wir uns voneinander lösten, wanderte mein Blick zum Haus.

„Du hast Angst reinzugehen, nicht wahr?“

Wie Recht sie doch immer hatte. Ich senkte den Blick und nickte.

„Dann lass uns einfach nicht reingehen.“

Mariella griff nach meiner Hand und zog mich hinter sich her. „Was hast du denn vor?“, fragte ich verdutzt.

„Zeit schinden und dich dabei auf andere Gedanken bringen“, antwortete sie.

Vor einem offenen Feld, das nur durch eine Baumreihe von unserem Anwesen getrennt wurde, blieb sie stehen. „Was hältst du von einem Rennen? Wer als Erster den Fluss überquert?“

„Okay“, antwortete ich. Das hatten wir schon häufig gemacht. Ich war dank meiner Werwolfgene deutlich schneller, als alle meine Familienmitglieder, aber ich ließ meine Schwester in regelmäßigen Abständen gewinnen. Sie wusste zwar immer, dass ich sie gewinnen ließ, aber irgendwie freute sie sich trotzdem jedes Mal. Im Grunde war ihr der Sieg aber egal. Es machte ihr einfach nur Spaß, mit mir herumzualbern. Seit wir älter waren, taten wir das nur noch selten. Die meiste Zeit verbrachte Mariella mit Seth. Und genauso wie sie die Zeit mit mir genoss, genoss ich die Zeit mit ihr.

Beim Startsignal zischten wir also los. Nur wenige Sekunden nach Beginn unseres Rennens, hatte ich meine Schwester schon weit überholt. An sich war das zwar immer so, aber diesmal, erschrak ich sogar selbst. Ich war noch schneller, als sonst. So würde mich sogar mein Vater in Wolfsgestalt nicht kriegen. Meine Beine trugen mich so schnell, dass ich selbst die Umgebung kaum wahrnahm. Es verschwamm alles. Ruckartig blieb ich stehen und drehte mich um. Ich wartete einen Moment, weil ich dachte, dass Mariella sicher gleich kommen würde. Dann musterte ich die Gegend. Mariella würde nicht kommen. Ich hatte den Fluss bereits überquert. Eilig lief ich wieder zurück. Am Fluss saß meine Schwester auf einem Stein und badete ihre nackten Füße im kühlen Nass. Mit dem fleckigen Schnee um sie herum, war das ein seltsames Bild.

„Ich hatte Fluss gesagt, nicht Meer“, sagte sie kichernd.

Ich setzte ein gezwungenes Lächeln auf. Ich fand es nicht lustig, hatte ich diese Geschwindigkeit doch dem Blut in meinen Venen zu verdanken. Dem Blut, das nicht mir gehörte. Ich watete durch den Fluss auf Mariella zu. Im seichten Wasser blieb ich stehen und ging in die Hocke. Mariella sah mich weiter an. Ich nahm einen kleinen Stein aus dem Fluss und drehte ihn in den Fingern, ehe ich ihn mit ein klein wenig Druck zerbröselte. Wie Puderzucker rieselte der Stein zurück ins Wasser. „Ich bin ein Monster.“

„Sag so was nicht“, sagte Mariella und sah mich traurig an.

„Wie würdest du denn etwas beschreiben, das ohne zu zögern ein Menschenleben auslöscht?“

Mariella stand von ihrem Stein auf und kniete sich zu mir ins Eiswasser. Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände und sah mich eindringlich an. „Du bist wunderschön.“

„Äußerlich vielleicht“, antwortete ich bitter.

„Nein“, erklärte meine Schwester und legte ihre Hand an jene Stelle, an der mein Herz schlug. „Hier drin.“

„Ich hab sie umgebracht“, erwiderte ich.

„Du bereust es. Und das ist alles was zählt. Ein Monster bereut nicht. Tá cathú orm“, wiederholte sie meine gestrigen Worte.

Ich nickte. Sie würde ihren Standpunkt behalten. Und ich Meinen.

Jetzt galt es erst mal, die kommenden Stunden zu überstehen, denn die Begegnung mit meinem Vater stand noch aus.

Als ich mit Mariella das Haus betrat, durchfuhr mich ein starkes Gefühl von Unbehagen. Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich gleich übergeben, so schlecht wurde mir bei dem Gedanken, die bösen Blicke meines Vaters nochmal sehen zu müssen. Das Gestern hatte mir eigentlich gereicht.

Zunächst geschah jedoch erst mal gar nichts. Mariella nahm mich wieder bei der Hand und ging mit mir in die Küche. Seth saß hier bereits mit einem Teller Pasta. Nachdem wir die Küche betreten hatten, ließ meine Schwester mich los, ging um den langen Tisch herum und gab Seth einen zarten Kuss.

„Guten Abend, ihr Zwei“, sagte Seth zufrieden futternd.

„Hat Dad schon gegessen?“, fragte Mariella gelassen. Wieder durchfuhr mich ein unangenehmes Gefühl.

„Ich glaub schon. Der ist mit Nessie ziemlich fix verschwunden“, antwortete Seth und drehte die nächste Gabel Spagetti.

In mir machte sich Erleichterung breit. Meine Mutter hatte ihn wahrscheinlich davon abgehalten, hier auf mich zu warten und verbrachte den Abend mit ihm in unserem Teil des Anwesens.
 

Fünf Tage später war diese abendliche Erleichterung schon fast ein wenig Routine. Jeden Tag verbrachte ich angespannt damit, an den Abend zu denken. Und jeden Abend stellte ich fest, dass meine Mutter meinen Vater weiter von mir fern hielt. Eigentlich war ich froh darüber, doch nach und nach, machte mir dieses Wechselbad zu schaffen.

Tagsüber ging ich zur Schule oder spazierte durch den Wald. Immer wieder wurde ich mir meiner neuen Kräfte bewusst. Immer wieder schafften die kurzen Erkenntnisse, mich von dem was noch kommen würde abzulenken. Doch ein Dauerzustand konnte das nicht werden.

Am sechsten Tag, fasste ich einen Entschluss: wenn mein Vater nicht zu mir kam, dann musste ich zu ihm gehen.

Wie jeden Abend, saß ich mit Mariella und Seth noch in der Küche. Zwischendurch hatten uns andere Familienmitglieder Gesellschaft geleistet, aber heute waren wir nur zu Dritt. Als die Beiden sich für die Nacht verabschiedet hatten, saß ich noch eine Weile da und starrte auf die schwarze Marmortischplatte. Genau wie die meisten anderen Dinge, fühlte sie sich für mich eiskalt an. So kalt, wie mir in diesen Minuten wurde, jetzt da ich wusste, was gleich kommen würde.

Angespannt erhob ich mich und ging in den Keller. Der Keller war gleichzeitig der für das Haupthaus, wie auch für die anderen Häuser unseres Anwesens. Ich hatte also direkten Zugang zu allen Teilen.

Als ich aus der Kellertür im Haus meiner Eltern trat, stand ich in völliger Dunkelheit. Es war gerade mal neun Uhr und normalerweise schliefen meine Eltern nicht so früh. Ich entschloss mich, erst mal im Wohnzimmer nach zu sehen und tatsächlich hörte ich, dass der Fernseher in Betrieb war.

Ich wollte gerade um die Ecke biegen, als meine Mutter plötzlich vor mir stand. Sie schien aber erschrockener darüber zu sein, als ich. Sie machte ein erschrockenes Geräusch, wich einen Schritt zurück und umfasste die Schüssel, die sie mit dem linken Arm umschloss, fester. Mit der Rechten schaltete sie schlagartig das Licht ein. „Ani!“, stieß sie hervor.

„Tut mir Leid, Mum. Ich wollte dich nicht erschrecken.“

Sie wollte gerade etwas antworten, da hörten wir beide, wie mein Vater eilig näher kam.

„Nessie, alles okay?“, fragte er, als er sorgend zu meiner Mutter rannte. Offensichtlich dachte er, es sei etwas passiert – was ja nicht ganz falsch war. Kaum hatte er mich erblickt, erstarrte auch er. Ich konnte seinen Blick nicht deuten und wartete einige wenige Sekunden auf seine Reaktion. Meine Mutter bewegte sich ebenfalls nicht.

„Ach du bist es nur“, sagte mein Vater, als sei es ganz normal, dass ich nach sechs Tagen zum ersten Mal wieder mit meinen Eltern Kontakt hatte. Gelangweilt drehte er sich um und ging zurück ins Wohnzimmer. Ich verstand die Welt nicht mehr. Eigentlich hatte ich mir ja eine solch gelassene Reaktion gewünscht, aber irgendwas war hier faul. Jetzt stand ich schon hier, also wollte ich auch diese Aussprache haben.

„Vater“, rief ich ihm nach, aber er ging unbeirrt weiter. Ich wollte ihm folgen, doch meine Mutter hielt mich zurück. Sie legte eine Hand an meine Brust und schüttelte eindringlich den Kopf. Ich schürzte die Lippen und überlege kurz, dann nahm ich ihre Hand weg und ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer.

„Warum gehst du mir seit Tagen aus dem Weg?“, fragte ich etwas mürrisch. Mein Vater drehte sich auf dem Sofa sitzend zu mir um und zuckte mit den Achseln. „Tu ich? Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Das weisst du ganz genau“, zischte ich fast und sah zu ihm herab.

Jetzt drehte er sich ganz zu mir herum. „Hör mal, was ist daran so ungewöhnlich, wenn wir uns ein paar Tage nicht sehen? Ich meine, du hast dein Leben. Ich hab meins. Du bist erwachsen. Das ist normal.“

Ich trat näher an ihn heran und beugte mich ein wenig zu ihm herab. Meine Augen verengten sich ein wenig zu Schlitzen, aber ich wusste, dass er das Rot deutlich sah.

„Vor wenigen Tagen erst, hab ich ein unschuldiges Mädchen umgebracht. Das ist nicht normal.“

Jacob sagte erst mal gar nichts. Sein Gesicht war vollkommen entspannt, er sah mich jedoch an, ohne auch nur ein Lid zu bewegen. Es war ein kurzer Moment der Stille. Dann meldete er sich wieder zu Wort. „Doch. Ist es. Du bist ein Vampir. Ich hab mir sagen lassen, sowas machen die öfter.“ Seine Stimme war gespielt heiter und fröhlich. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, er hätte was getrunken. Es war so falsch, dass es mir jetzt nur noch mehr hochkam. Ich stellte mich wieder aufrecht hin. Ich spürte die Wut in mir aufkeimen, meine Hände ballten sich zu Fäusten und meine eigenen Fingernägel, bohrten sich in meine Haut. Ich begann zu zittern, spürte die Hitze. Ebenso wie mein Körper langsam bebte, bebten auch meine Lippen. Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte. Ich wünschte mir, er hätte mich angebrüllt oder mir einfach einen Schlag ins Gesicht verpasst. Alles, nur nicht das.

Meine Mutter trat besorgt neben mich und wollte mich wegschieben. „Es ist besser, wenn du jetzt gehst, Ani“, sagte sie leise.

Ich blieb wie angewurzelt stehen, starrte weiter meinen Vater an, der wiederum in den Fernseher starrte, als wäre ich gar nicht mehr da.

„Ani“, wiederholte meine Mutter.

„Ah!“, sagte mein Vater dann. Meine Mutter und ich sahen gleichzeitig zu ihm. „Noch was.“ Jetzt stand mein Vater auf und trat etwas näher an mich heran. Diese Worte waren jetzt mehr ein Flüstern, doch sie waren nicht mehr länger gespielt. „Du kannst froh sein, dass wir deinem Bruder Nichts erzählt haben, der hätte dir nämlich garantiert mehr dazu zu sagen gehabt, als wir.“

Wieder fühlte ich mich wie Abschaum. Wieder war mein Bruder der Engel, der der alles richtig machte und den ich als Vorbild sehen sollte. Ein Vorbild, dem ich niemals würde nacheifern können. Mein Vater machte mir immer wieder unmissverständlich klar, wo ich in seiner Gunst stand. Irgendwo ganz unten – oder auch nirgendwo. Da war ich mir schon lange nicht mehr sicher. Meine Mutter funkelte meinen Vater böse an, dann sah sie wieder zu mir und wartete auf meine Reaktion.

Ich machte ruckartig auf dem Absatz kehrt, verließ den Raum, begab mich wieder in den Keller und fegte wütend davon. Den ganzen geraden Weg zurück zu meinem Zimmer blieb ich nicht stehen. Ich riss meine ohnehin schon stabilisierte Tür auf, knallte sie hinter mir wieder zu und lief einige Male quer durch mein Zimmer. Mir zu sagen ich sei ein Vampir, war in meinen Augen ebenso, als hätte er mir gesagt, ich sei nicht länger sein Sohn.

Zittrig stellte ich mich vor den Spiegel, stemmte meine Hände links und rechts von ihm gegen die Wand, schloss die Augen und versuchte mich zu beruhigen, aber es gelang mir nicht wirklich. Ich spürte, wie ein paar wütende heiße Tränen in meinen Augen aufstiegen. Langsam hob ich den Blick und sah in den Spiegel. Für einen Moment sah ich das Rot aufblitzen, dann schlug ich plötzlich, ohne es direkt zu wollen, mit der bloßen Faust mein Ebenbild. Der Spiegel zerbrach in hunderte von Scherben, die klirrend auf meinem Fußboden landeten. Blut quoll aus den Schnittwunden an meiner Hand. Zittrig sah ich zu, wie der rote Saft den Boden benetzte, ehe die Wunde rückstandslos verschwand.

Ich ging einige Schritte zurück und musterte dabei die Scherben, die Teils blutig, teils sauber im Licht meiner Deckenlampen glitzerten. Ich konnte hier keine Sekunde länger bleiben. Ich fühlte mich eingesperrt und fehl am Platz.

Durch die Klappe verließ ich mein Zimmer und trat hinaus in die finstere Nacht. Der Himmel war klar und der Schnee leuchtete im Licht des Mondes. Eine wunderbare Nacht zum fliegen.

Ich rannte los. Immer weiter weg von meinem Zuhause. Und dann sprang ich, verwandelte mich im Flug und sah nur noch wie die Bäume unter mir schnell vorbei zogen und stetig kleiner wurden...
 

***
 

Die nächsten Tage verbrachte ich allein in der Wildnis Irlands, fernab von den Städten und Dörfern. Es war mir nicht egal, was meine Familie dachte. Besonders, dass meine Mutter und Mariella sich sicher Sorgen machten, tat mir Leid. Aber ich bereute meinen Ausflug trotz allem nicht. Es tat mir gut. Der Abstand. Der Schmerz war in Tiergestalt nicht so stark wie in Menschenform. Er war schon noch da, aber er war anders. Leichter zu ertragen. Man durfte nur nicht Gefahr laufen, sich ganz dem Tiersein hinzugeben und seine menschlichen Züge vollkommen abzulegen. Mir fiel es momentan besonders schwer. Das menschliche Blut meines Opfers verhalf mir auch in dieser Gestalt zu unbekannten neuen Kräften. Nie zuvor war ich ausdauernder und schneller gerannt oder geflogen. Ich begann nach und nach meine neugewonnen Kräfte zu genießen. Sie verstärkten mein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit. Die Tatsache, dass dafür ein Mensch sein Leben ließ, verdrängte ich. Das fiel mir besonders in Tiergestalt leicht. Rationales denken war hier nicht von belang. Der Instinkt war wichtiger.

Umso erschrockener war ich, als ich knapp zehn Tage nach meinem Ausflug plötzlich landen musste. Meine Flügel waren schwer geworden. Ich landete in einem kleinen Acker. Der Bauer würde hier erst im Frühjahr wieder herkommen. Wir hatten Anfang Dezember und die Vogelscheuche in der Mitte des Ackers war fast völlig mit Schnee bedeckt. Um mich herum sah ich gelegentlich mal eine Krähe, die auf der Suche nach Futter herum piekte. Ich hatte kein sonderlich starkes Verlangen danach, es ihr gleich zu tun. Dass ich anders war als sie, merkten die Tiere übrigens auch. Auch wenn ich genauso aussehen mochte, wie sie, blieben sie mir fern. Sie spürten genau, dass ich kein Tier war und verhielten sich mir gegenüber immer sehr vorsichtig. Ich war mir über dies ziemlich sicher, dass Menschen auch sehen würden, dass ich kein normales Tier war, wenn sie genug Zeit haben würden, meine Augen zu studieren. Es heisst, die Augen seien der Spiegel der Seele. Wenn ich eine besaß, dann war sie es, die mein menschliches Wesen verriet.

Ich entschloss mich nach einer ausgiebigen Pause dazu, wieder den Rückweg anzutreten.

Zwei Tage später landete ich gegen Mittag in Ballinasloe, unweit von der Schule entfernt. Ich suchte eines meiner Kleider verstecke auf und verwandelte mich zurück. Mein Blick wanderte in Richtung Schule. Ein wenig noch, wollte ich meine Rückkehr zu unserem Anwesen herauszögern. Ich ging zu meinem Spind und kramte meine Sportsachen heraus. Meine Teilnahme am schulischen Sportunterricht fiel angesichts der Tatsache, dass ich sowieso alles gewinnen würde und mich anstrengen musste, nicht aufzufallen, nicht besonders üppig aus. Aber heute war ich ziemlich müde. Vielleicht hatte ich nun mal die Gelegenheit, mich zumindest kurz, nicht stärker als die Anderen zu fühlen. Für kurze Zeit, ein reiner Mensch zu sein. Mein nächster Gang führte mich zur Sporthalle. Unser Sportlehrer kannte mich kaum. Er wunderte sich zwar kurz über mein Erscheinen, hakte aber nicht weiter nach. Offenbar war er froh, dass ich überhaupt mal erschien.

Nun hatte ich zwei Optionen: ein Teil der Klasse spielte im Nebenraum Tischtennis, während der Andere Volleyball spielte. Ich entschied mich für Letzteres.

Die erste Viertelstunde spielte ich sehr zurückhaltend, weil ich noch immer Angst hatte aufzufallen. Unser Team lag einige Punkte im Rückstand und unser Teamkapitän ging mir mit seiner Brüllerei allmählich auf die Nerven. Zeit den Spieß umzudrehen.

Der nächste Ball, der in meine Nähe kam, fegte dann quer durch die Halle. Ich hatte irrtümlicherweise angenommen, ruhig etwas fester drauf hauen zu können, weil ich ja müde war. Ein Fehler. Der runde weiße Volleyball knallte zuerst gegen die Wand, prallte von dort aus ab und landete im nächsten Augenblick im Rücken eines Mädchens vom Gegnerteam. Ich wusste, dass sie in meiner Parallelklasse war, mehr aber auch nicht. Sie war ziemlich klein, sah aus wie höchstens Fünfzehn, war zierlich gebaut und hatte schulterlange blonde leicht gelockte Haare. Als mein Ball sie erwischt hatte, stolperte sie nach vorn und landete mit dem Gesicht auf dem Hallenboden. Zunächst rührte sie sich gar nicht und alle starrten sie an. Ich befürchtete bereits, ich hätte sie aus versehen erschlagen, da bewegte sie zaghaft die Hände.

Ich ging zu ihr und half ihr auf. Trotz der Anstrengungen beim Sport fühlten sich ihre kleinen Hände noch immer kalt für mich an. Wacklig rappelte das Mädchen sich auf. Ich wollte mich gerade Entschuldigen, da fing meine Kehle an fürchterlich zu brennen. Sie hob den Kopf, ihre Augen waren glasig und aus ihrer Nase lief Blut. Ich machte eine großen Schritt zurück. Meine Beine wollten nach vorn preschen, meine Hände sie packen und meine Zähne sich sofort in ihre Kehle bohren, aber ich gab mir alle Mühe, mich im Zaum zu halten.

Der Lehrer stellte sich neben die Kleine und reichte ihr ein Tuch. „Melanie, komm doch bitte mit ins Krankenzimmer“, sagte er sanft. „Der Rest macht einfach weiter!“

Er ging mit dem Mädchen fort, alles was blieb, war mein Verlangen und der süßliche Geruch ihres warmen Blutes.

Der Rest der Schüler spielte weiter. Ich hielt mich vornehm zurück. Wir verloren. Aber das verlorene Spiel war nicht der Grund, weswegen ich nach dem Unterricht noch in der Umkleidekabine saß. Vor meinem geistigen Auge, sah ich den Ball der durch die Halle sauste, das Mädchen traf und sie zu Fall brachte. Ich roch das Blut, das rote, köstliche Blut.

Ich schüttelte den Kopf und strich mir durch die Haare, ehe ich meine Hände betrachtete. Sie zitterten leicht. Ich legte müde mein Gesicht in meine Hände. Ich fühlte mich wie ein Süchtiger auf Entzug. Ich hatte Hunger. Der Vorfall mit den Volturi lag nunmehr fast zwanzig Tage zurück. Bei meinen letzten Ausflügen hatte ich immer wieder Tiere gerissen, aber nach wenigen Bissen, hatte ich sie liegen lassen. Ich brachte es einfach nicht runter. Ich wollte nicht erneut für den Tod eines Menschen verantwortlich sein. Ich wollte meiner Familie nicht noch mehr Gründe geben, mich zu hassen.

Ich ging einige Schritte und betrat das kleine angrenzende Gemeinschaftsbad. In dem Spiegel über dem Waschbecken, sah ich zwei grüne Augen, die mich müde musterten. Ich trug keine Kontaktlinsen. Das helle Rot, das meine Augen bekommen hatten, nachdem ich das erste Mal Blut getrunken hatte, hatte sich verabschiedet und ein etwas seltsames Grün hinterlassen. Es war noch immer nicht das Selbe, wie meine natürliche Farbe, aber es war Grün.

Und doch... so Grün meine Augen im Spiegel auch waren. Mein Vater würde in mir trotzdem einen Vampir sehen...

Ich verließ die Umkleidekabine deutlich später als die Anderen. Die ganze Sporthalle war leer. Ich ging die Stufen hinunter in den Eingangsbereich.

Ich wusste nicht, wieso das Schicksal so grausame Wege ging. Ob es nur mir so ging, oder auch Anderen. Aber in diesen Minuten verließ das von mir verwundete Mädchen das Gebäude und begab sich zu ihrem Fahrrad, dass sie an einem Fahrradständer vor der Halle fest gekettet hatte. Sie fuhr damit über den schmalen Backsteinweg, der Rechts an dem Gebäude entlang lief. In dieser Richtung lag nichts weiter als der Wald. Wahrscheinlich wohnte sie irgendwo dahinter. Warum ich nachgab und ihr folgte, wusste ich. Wie ich mein Gewissen aus geschalten hatte, wusste ich nicht.

Weil es Winter war, war es schon ziemlich Dunkel, als ich mich am Rand des Waldweges gegen einen Baum lehnte und wartete. Es schneite seit einigen Minuten und ich nahm an, dass sie mit ihrem Rad nicht sehr gut voran kam. Irgendwann sah ich dann die Scheinwerfer ihres Fahrrads. Sie hatte Glück, dass diese elektrisch waren, denn so wie sie ihren Drahtesel durch die Gegend schob, würde ein Dynamo niemals Licht geben. Sie sah müde, jedoch überrascht aus, als sie mich erblickte. Als ich näher an sie heran trat, kam mir sogleich wieder der Geruch ihres Blutes entgegen. Sie mochte alles sorgsam weggewischt und ihr Nasenbluten gestillt haben, doch meinem feinen Geruchssinn entging er nicht. Der süßliche Geruch benebelte mich und ließ meine Kehle erneut brennen. Ich wollte alles, jeden Tropfen.

Meine Beute hatte ich schon ausgesucht. Dass ich bereits Jagd auf sie machte, das ahnte das Mädchen nicht im geringsten. Dass es für sie schon jetzt keinen Ausweg mehr gab, dass würde sie jedoch bald merken.

„Guten Abend...“, ich zögerte einen Moment, tat so, als wäre mir ihr Name entfallen. „Ähm... Melanie, richtig?“

Sie nickte zaghaft.

„Ich wollte mich noch für den Schlag auf den Hinterkopf entschuldigen“, fuhr ich fort.

Melanie lächelte. „Schon in Ordnung“, sagte sie schüchtern. „Du hast es ja nicht mit Absicht getan.“

Nein, das mit dem Ball nicht. Aber das hier schon.

„Es schneit schon recht dicke Flocken. Soll ich dich ein Stück begleiten?“, fragte ich höflich.

Sie schüttelte den Kopf und lächelte. „Oh, das musst du nicht.“

„Oh, doch doch. Das ist das Mindeste, was ich für dich tun kann.“
 

- Ende Kapitel 03 -



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2011-08-18T14:39:27+00:00 18.08.2011 16:39
wow^^
ich hab das Kapitel schon vor ner Ewigkeit gelesen und nicht gedacht, dass du es noch irgendwann hier auf animexx hochlädst^^
ich werde diesmal kein ausführlichen ewig langen Kommentar hinterlassen, den bekommst du beim nächsten kapitel, alles was ich zu sagen haben ist, dass du mit diesen Kapitel mal wieder ein kleines Meisterwerk hingelegt hast :D
Von:  vamgirly89
2011-08-13T19:17:52+00:00 13.08.2011 21:17
Wow. Ein echt tolles Kapitel. Jacob sollte sich schämen. Bin schon auf das nächste gespannt.

Von:  jennalynn
2011-08-13T18:57:02+00:00 13.08.2011 20:57
WOW das Kapitel, ist so schön. Aber Ani wird sie doch nicht töten oder. Oh bitte nicht. Ich liebe deine Geschichten, du schreibst so wunderbar.

LG jennalynn


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