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Slave of the Mitleidslove

oder so
von

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Fail am Nachmittag

Der Wind wehte; das tat er öfters, aber heute eindeutig stärker, aufdringlicher und lauter als in den letzten 365 Tagen. Zumindest kam es Noëlle so vor, als ihr zum fünften Mal die aufwendig gestaltete Frisur zerstört und zu einem angehenden Berg Stroh geformt, ihr Schal fast den Berg hinuntergeblasen und die Lust, auf diesen dämlich Hügel zu kraxeln und dort ein Picknick zu veranstalten, endgültig in Luft aufgelöst wurde.

Wer zum Henker kam auch auf diese blödsinnige Idee, Ende Oktober solche verrückten Aktionen zu starten? Mit Sicherheit nicht sie selbst; wenn man sich nach ihr gerichtet hätte, wäre das Treffen nicht in dieser Eiseskälte, sondern in ihrem Zimmer abgelaufen. Ohne Wind. Und ohne das störende kleine Etwas, dass sich wie selbstverständlich an sie gehängt hatte und versuchte, ihren Gehörsinn zu töten.

„Findest du es auch so saukalt hier? Ich bin ja dafür, dass wir umdrehen und zu mir nach Hause gehen, da können wir dann chillen und ich mach uns einen Kakao und irgendwo hab ich auch noch einen Film, den wir uns reinziehen können, wenn du willst, kennst du „Zombieland“. der soll voll gut sein...“

Automatisch richtete Noëlle ihre Aufmerksamkeit auf alles andere um sich herum, nur nicht auf Leszek, der wie immer nicht merkte, wie sehr ihr seine Alleinunterhaltung inklusive Klammeraffenattacke auf den Wecker ging. Sogar die Blattschicht auf dem Boden wirkte auf sie anziehender als dieser kleine Gartenzwerg, der aus irgendwelchen Gründen annahm, dass sie nur im Doppelpack abhängen konnten.

Er hatte sich auch heute selbst auf ihren Ausflug mit Cassandra eingeladen, einfach weil er es konnte und selbst Noëlle fragte sich langsam, wie unverschämt ein Mensch nur sein konnte, besonders wenn er sonst nicht einmal durch ein fettes Ego auffiel. Das besaß Leszek nämlich definitiv nicht.

Allerdings befürchtete Noëlle, dass seine unglaubliche Fixierung auf sie einen ganz bestimmten Grund hatte, den sie sich gar nicht genauer ausmalen wollte.

„Komm, Cassy wird es verstehen, wenn wir das hier abbrechen und...“

„Leszek, halt mal für fünf Sekunden den Schnabel.“ Noch länger hielt Noëlle diesen anhaltenden Einzelmonolog im Schnelldurchgang von ihm nicht mehr aus, da wurde jeder halbwegs normale Mensch verrückt und trat die Flucht an.

Beleidigt löcherte er sie mit seinem Lieblingsblick, den man zum Glück durch sein Kunstwerk namens Frisur vor den Augen nur erahnen konnte, und drehte sich von ihr weg, um zu schmollen. Noëlle störte das wenig, je länger er sie in Frieden ließ, desto besser für ihre Gesundheit.

„Cassy, wollen wir nicht umdrehen? Es ist kalt, der Wind nervt und Lessi kann seine Klappe mal wieder nicht halten.“

„Ach Mann, Noëlle, du willst doch nur wieder zuhause vor dieser dummen Kiste vergammeln, sei doch froh, dass ich endlich mal da bin, und mach was mit mir“, schmetterte Cassandra sofort alle vorgetragenen Beschwerden ab. „Sag deinem kleinen Fan das nächste Mal doch einfach, dass er nervig, dumm, ätzend und ein Volltrottel ist, vielleicht läuft er uns dann nicht hinterher, obwohl ihn keiner dabeihaben will.“

„Ja, aber...“

„Fürs nächste Mal weißt du es. Du bist doch sonst nicht so nett im Umgang mit Nervensägen“ Cassandra ignorierte jedes weitere nur gedachte Argument mit einem fast schon unheimlichen Grinsen, bei dem Noëlle schon vorher wusste, dass sie nicht dagegen ankam. Seufzend ergab sie sich ihrem Schicksal und stolperte wenig begeistert weiter über Äste und tote Insekten.

Zumindest so lange, bis Leszek aufs Neue an ihr klebte, sie darüber informierte, wie toll er ihre neue Jacke fand – die sie im übrigen seit knapp zwei Jahren besaß – und die ersten Regentropfen den Tagesausflug mit dem geplanten gemütlichen Zusammensein endgültig zunichte machten.

Am liebsten hätte Noëlle in die Tischplatte ihres Schreibtischs gebissen, wenn dieser in der Nähe gewesen wäre; so blieb ihr nichts anderes übrig, als sie still zu ärgern und in Gedanken Leszek mit einer Schere zu erstechen. Der Junge ging ihr tierisch auf den Wecker mit seiner mitteilungsbedürftigen Ader.

Inzwischen hatte das Wetter beschlossen, ihnen mit vollem Einsatz die Laune zu verderben, und der kleine Regeschauer mutierte innerhalb von wenigen Minuten in eine unschöne, kalte Dusche, der es gar nicht in den Sinn kam, heute noch zu enden.

„Caaaassy, ich werde nass“, klagte Leszek verzweifelt und versuchte, sich mit seiner dünnen Stoffjacke vor der nahenden Apokalypse durch Überflutung zu retten, doch da hätte nicht einmal ein Regenschirm geholfen.

„Glaubst du, wir nicht?“ Noëlle hätte ihn am liebten an den nächsten Baum gehängt und dort gelassen für diese überflüssige Feststellung. „Cassy, ich will ja nichts sagen, aber jetzt wäre es wirklich besser, nach Hause zu gehen.“ Wahlweise konnten sie auch schwimmen, so wie der letzte überlebende Käfer, der an ihr auf einem Blatt vorbeitrieb. Mit Weiterwandern wurde das nichts mehr.

„Das dauert viel zu lange, wir müssen uns was zum Drunterstellen suchen. Mann, das ist eine Verschwörung gegen das Picknick, ich weiß es genau... Naja, egal, kann man nichts machen, auf gehts!“ Ohne auf den Rest Rücksicht zu nehmen, stürmte Cassandra den restlichen Hügel hinauf, während Noëlle hinterher schlich; Leszek hing an ihrem Arm und beschimpfte die Wolken über ihnen.

Womit hatte sie dieses Chaos verdient?
 

„Wow, da ist ein Haus!“, rief Cassandra überrascht, als sie direkt auf dem Hügel standen und nach unten sehen konnten. „Wer wohnt den freiwillig hier am Arsch der Welt?“

„Ist doch egal, gehen wir hin und fragen, ob wir reindürfen.“ Leszek fand seine eigene Idee grandios, packte Noëlle und zerrte sie den Weg, den sie eben hinaufgewandert waren, wieder hinunter, nur mit der Schwierigkeit, dass sie fast hinflogen. Nasse Blätter waren eindeutig nicht rutschfest oder nur ansatzweise geeignet für Laufrekorde.

„Leszek, bist du wahnsinnig?“, fluchte Noëlle gereizt und versuchte sich von ihm loszureißen, nur hielt er davon wenig, packte stattdessen noch ein wenig fester zu. Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als nicht Bekanntschaft mit der Matschschicht unter sich zu schließen.

Hinter ihr lachte Cassandra; sie fand die ganze Situation mal wieder übelst lustig. Wie immer, wenn Noëlle sich von Leszek auf der Nase herumtanzen ließ.

Knapp vor der Tür blieb Leszek schlitternd stehen. „Hallo, ist da jemand?“ Er schlug so lange gegen die Tür, bis ihm auffiel, dass man auch einfach das Klingelknöpfchen betätigen konnte. Um den Effekt zu steigern, benutzte er einfach beide Techniken gleichzeitig.

„Mann, was geht?“, hörte Noëlle es drinnen aus dem Haus schreien; ruckartig wurde die Tür aufgerissen und ein mysteriöser Typ stand vor ihnen und musterte sie teils gereizt, teils überrascht von oben bis unten. „Wer seid ihr denn? Wenn ihr was verkaufen wollt, sucht euch einen anderen Vollidioten, der das nimmt, ich brauch mein Geld.“

„Nein, wollen wir nicht“, verscheuchte Cassandra sofort die seltsame Idee des Menschen vor ihnen. „Können wir reinkommen? Es regnet so stark und bis wir zuhause sind, sind wir krank oder ertrunken oder...“

„Ist das mein Problem?“ Knallhart wollte er sich aus der Affäre winden und sie im Kalten und Nassen stehen lassen, doch Cassandra quetschte sich hastig zwischen Tür und Angel, setzte ihr nettestes Lächeln auf und begann ihn so lange mit den Nachteilen, die ihm durch sein Handeln entstanden, zuzutexten, bis er genervt einsah, dass er sie entweder rein ließ oder solange belagert wurde, bis er es trotzdem tat. Eine Wahl hatte er nicht, denn auch Leszek fand, dass er sich unbedingt einmischen musste. Und zwei Schwatztanten hielt man nicht lange freiwillig aus.

„Ja, verdammt, dann kommt halt rein. Aber wehe, ihr macht was kaputt oder geht mir zu sehr auf den Geist.“

Stolz über ihren Erfolg stolzierte Cassandra nach drinnen in den kleinen Flur, gefolgt von Leszek, der sich über den trockenen Ort freute. Noëlle trat als letzte ein, ihr war weder dieses gammlige Haus noch dieser ominöse Kerl mit seiner unfreundlichen Miene und den komplett schwarzen Klamotten geheuer, aber allein im Regen stehen bleiben gefiel ihr noch weniger. Also entschied sie sich für das geringere Übel.

„Okay, dann erzählt mal, wer ihr überhaupt seid“, forderte Herr Unbekannt auf, nachdem er sie in das nächste Zimmer – ein Miniaturwohnzimmer mit zerrupfter Couch, uraltem TV, verblassten Tapeten und einsturzgefährdeten Regalen – bugsiert hatte.

„Ich bin Cassandra, alle nennen mich aber Cassy, das ist meine beste Freundin Noëlle und der komische Vogel ist Leszek, ihr größter Fan, der sie überall hinverfolgt.“ Cassandra hielt es wohl für besser, Leszek von Anfang an als lästiges Anhängsel zu betiteln. „Und wer bist du?“

„Marian.“

„Kann ich ein Handtuch haben? Mir ist so kalt“, mischte sich Leszek in die abgehackt Konversation ein. Sein Standardverhalten.

Der Blick, mit dem Marian ihn dafür grillte, gefiel Noëlle sehr; den müsste sie auch mal bei ihm anwenden, vielleicht funktionierte er auf Dauer bei ihm.

Keine fünf Minuten später hatte sich jeder von ihnen in ein Handtuch gewickelt, auf die Couch geworfen und wartete auf das ultimative Trocknen.

Cassandra vertrieb sich die Zeit, indem sie Marian ihre und Noëlles halbe Lebensgeschichte erzählte, angefangen von ihrem Wohnort, über den Grund ihrer fehlgeschlagenen Wanderung bis zu Familiendetails. Marian nickte ab und zu, funkelte ab und zu Leszek böse an, wenn er seine unqualifizierten Kommentare nicht zurückhalten konnte, erwähnte ebenfalls die ein oder andere Tatsache über sein spannendes Leben – dass er ein cooler Schulabbrecher war und hier wohnte, weil er individuell sein wollte – und fühlte sich wohl insgesamt in ihrer Gegenwart höchst toll und erhaben.

Noëlle störte das zwar, aber eher hielt sie sein großes Ego aus als im Regen zu tanzen.

„Okay, ich hab eine Idee“, schlug Marian nach einiger Zeit intensivem Kennenlernens vor und schob Leszek zur Seite, um sich noch zu ihnen auf die Couch zu zwängen; Noëlle hoffte, dass das Möbelstück nicht aus Protest unter ihnen zusammenbrach. Auf jeden Fall knarzte es schon verdächtig.

„Ihr könnt euch hier noch etwas aufwärmen und bleiben, bis dieses dämliche Wetter vorbei ist, und dafür guckt ihr euch mit mir etwas an.“

„Kommt immer drauf an, was.“ Auf keinen Fall wollte sich Noëlle eine Dokumentation über Keramiktöpfe antun.

„Ihr werdet es sehen. Es ist auf seine Weise sehr unterhaltsam.“ Marians selbstzufriedenes Grinsen fand sie nicht gerade beruhigend.



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