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Der Mensch ist frei geboren

und überall liegt er in Ketten.
von

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Porcellio

Es war kein kompletter Fehlschlag gewesen, resümierte das inoffizielle Regierungsteam. Zwei Leichen waren in der Bar von Karol Chatten nicht zu finden gewesen, obwohl Paul Albrecht und Maximilian Reichenbach laut den Aussagen des Barbesitzers, eine Information, die er nach einem Scheck bereitwillig zur Verfügung gestellt hatte, zum Zeitpunkt auf jeden Fall im Lokal anwesend gewesen waren. Sie waren also entkommen, und wie hätte man entkommen können, wenn man nicht angeworbenes Mitglied der Rebellen war? Wenn man davon ausging, dass die beiden geflohen waren und daher nicht tot waren, sondern lebendig, kannte man die Identität von zwei Rebellen.
 

Das war zumindest ein Anhaltspunkt. Über die interstellaren Telegraphenleitungen wurden in Windeseile Porträts der beiden und persönliche Informationen weitergeleitet, eine Aufgabe, die vom Chef persönlich ausgeführt wurde. Ludwig Beilschmidt hatte entschieden, dass diese Sache oberste Priorität hatte und dass man nur ihm genügend vertrauen könne, diese höchst wichtigen Informationen fehlerfrei an alle Soldaten der FAG zu verteilen.

Die restlichen Verantwortlichen kannten also zu diesem Zeitpunkt die Identität jener beiden Rebellen abgesehen von ihrem Namen noch nicht. Sie konnten sie jedoch nur wenige Stunden später erfahren, als in jedem AFK-Regierungsgebäude in jeder Stadt zwei Fahndungsplakate, so groß wie Bettlaken, hingen und Flugblätter in allen Städten verteilt wurden, die die Bevölkerung aufforderten, die beiden Subjekte, sollten sie gesehen werden, sofort zu melden.
 

Zenzie, ihre Assistentin, sowie ein Feldwebel und ein Gefreiter – die die Leibgarde der beiden auf dieser Reise darstellten – waren zu einem Fliegenden Händler geflogen. Diese Händler besaßen gegenüber denjenigen auf den Planeten viele Vorteile: ein Zollschlupfloch ermöglichte es ihnen, permanent billigere Waren anzubieten als die Konkurrenz auf den Planeten; sie waren im All zu erreichen, man musste nicht extra energieaufwendig landen; und sie boten mehr an als Waren, für ein paar Scheine wussten sie meistens eine ganze Menge zu erzählen.

Der Fliegende Händler, den Zenzie hatte auftreiben können, hieß Peschendorf und kam aus dem vierten Quadranten des Gebiets der AFK. Bis heute war Zenzie sich nicht sicher, welches Geschlecht die andere Person besaß, weswegen sie sie immer nur als „Sie“ oder „es“ ansprach; sie kam nicht wirklich mit dieser Ambivalenz klar, Zenzie mochte es, eine klar definierte Welt vor Augen zu haben, die sie nur noch bewerten musste.
 

Nachdem die beiden Raumschiffe sich verbunden hatten, war Zenzie mit Entourage zu Peschendorf in den Verkaufsraum gekommen.

Es war eng. Von der Decke baumelten skurrile Gegenstände in Erdtönen, mit Formen, die man nicht bestimmen konnte. Aus einer Ecke drang der beißende Geruch von Öl, ein klebriges Material, das kaum erforscht war. Über den Köpfen der Anwesenden sammelten sich Kellerasseln, und hin und wieder fiel eine hinab und huschte verschreckt in eine dunkle Ecke zurück. Zenzie saß auf einer Art Sitzsack. Grete, ihr Feldwebel, und Leopold, der Soldat, hatten in ihren schweren Uniformen zu stehen; Loreley, die nach außen zuckersüße Assistentin, die Zenzie schon seit Kindertagen begleitete, lehnte an dem Tisch, hinter dem Peschendorf saß und die Scheine zählte, die Zenzie achtlos auf den Tisch geworfen hatte.
 

„Ich will Informationen über die beiden Männer.“, hatte sie gesagt und dabei die Fahnungsbilder über den Tisch geschoben. Peschendorf blickte sie an, blickte das Geld, blickte die Bilder an, dann wurde der Kopf geschüttelt.

„Die kenne ich nicht. Was tun sie?“
 

Zenzie räusperte sich, aber Loreley sprach schon, bevor sie überhaupt zu Wort kam. Ihre Stimme zitterte aufgeregt. „Sie sind Rebellen!!“ Sie war beinahe als Waise gestorben, nachdem ihr Vater in einem Bergwerk sein Leben gelassen hatte und ihre Mutter bei der Geburt ihrem Mann nachgefolgt war, aber die damals sechsjährige Zenzie aus privilegiertem Bourgeoisieelternhaus hatte sie als Babypuppe zu sich aufgenommen und als Dienstmädchen aufgezogen, und seitdem war sie ihr treu ergeben. Es war nur natürlich, dass alle, die Zenzies Macht zu brechen suchten, wie die Rebellen, in Loreleys Gunst nicht besonders hoch standen. Zenzie nutzte diese Ergebenheit gerne aus, aber auch ihr war das Mädchen ans Herz gewachsen, die einzige, von der sie sicher sein konnte, dass sie ihr immer loyal sein würde; ein Mädchen, das ihr immer das Gefühl gegeben hatte, sie sei für das Universum verantwortlich, und niemand anders. Ein Gefühl, das Zenzie später zu ihren Gunsten hatte anwenden können, als sie rücksichtslos andere Regierungsbeamte ausschaltete, um das zu werden, was sie heute war. Stolz.
 

Peschendorf nickte nachdenklich.
 

„Rebellen kenne ich nicht.“
 

Dabei wurde Augenkontakt zu Zenzie aufgebaut.

Mehr Geld wechselte den Besitzer. Noch immer schüttelte Peschendorf den Kopf. „Ich kenne sie nicht, wieviel Geld du auch hast, Zenzie.“ Wer hatte diesem Wesen überhaupt erlaubt, sie beim Vornamen zu nennen?!

„Telegraphiere uns, wenn du etwas herausfindest. Das sind genug Kronen für ein neues Raumschiff.“, verlangte Zenzie. Peschendorf beugte sich nach vorne.

„Ich brauche das Geld nicht, ich will es nicht. Aber ich brauche Hilfe. Für ein wenig Hilfe bin ich bereit, selbst meine Hilfe anzubieten.“

Zenzie hatte sich schon halb zum Gehen erhoben, aber sie blieb im Sitzsack sitzen und musterte Peschendorf, ohne etwas zu sagen. Die Person hatte kurze braune Haare, braune Augen, einen normalen Teint. Sie würde nirgends auffallen, wäre immer still und ruhig und zurückhaltend. Kein Mensch, der charismatisch Massen anzieht, sondern die Verkörperung des Durchschnitts. Die Objekte im Verkaufsraum zeugten allerdings von einer tieferen Verschrobenheit, als es von außen den Eindruck machte.

„Piraten. Sie sind geschäftsschädigend. Leute, die von Piraten überfallen werden, zahlen nicht. Und ich wurde auch schon überfallen. Sie müssen gestoppt werden.“
 

Zenzie musste fast lachen. Tränen standen ihr in den Augen.

„So ein Schmarrn! Wir versuchen seit Jahren, den Piraten Herr zu werden, aber es sind zu viele, haben wir ein Schiff zum Absturz gebracht, kommt gleich das nächste nach. Das ist eine Sisyphosarbeit. Unmöglich.“

Peschendorf lehnte sich zurück. „Dann haben wir keinen Deal.“
 

Zenzie biss die Zähne zusammen. „Wissen Sie überhaupt, mit wem Sie reden. Ich bin Unterratsratsministerin.“

Peschendorf zuckte mit den Schultern. „Und meine Lieblingsfarbe ist Grün. Und? Im Moment sind wir zwei Menschen, die einen Deal machen wollen, alles andere ist nicht von Interesse.“

Zenzie seufzte. Sie würde sich nicht mit diesem niederen Gewürm anlegen, nicht, wenn sie alle Macht der Welten in ihren Händen hielt. Bald schon würde sie die anderen hohen Tiere ausgeschaltet haben und allein über die Geschicke der AFK entscheiden. Ihr Ehrgeiz war groß. Sie würde sich dabei nicht von einem unbedeutenden Händler aufhalten lassen.
 

„In Ordnung. Wir kümmern uns um die Piraten. Sobald wir Infos haben.“
 

Peschendorf wirkte nachdenklich, dann schlug die Person die Hand auf den Tisch. Das war die Geste, die anzeigte, dass der Handel vollendet war.

„Einverstanden.“
 

Zenzie verließ den Fliegenden Händler, Peschendorf sah ihr nach. Keiner der beiden ahnte, wie bald schon der Händler wie auch die Unterratsministerin würden zeigen müssen, wie sehr ihnen die Einhaltung von Geschäften am Herzen lagen.



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