Zum Inhalt der Seite

Lebende Sekunden

Leere Stunden
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Neunundzwanzig Prozent

Manchmal fragt sie sich, wie lange es her ist, dass sie den Regen genießen konnte, der sich in der Nacht auf dem schrägen Fenster, über ihrem Bett, seinen Weg erkämpft. Wann löste das Prasseln das letzte Mal ein gewisses Gefühl in ihr aus, wann nahm sie es zum letzten Mal als melodisch war? Zu tief ist das Meer und zu erdrückend die Kraft, die die brechenden Wolken auf sie ausüben. Täglich fragt sie sich, wie lange es her ist, dass ein Spatziergang sich nach unendlicher Freiheit anfühlte. Einfach nur gehen und nicht stehen bleiben, auf nichts achten, als die Musik, deren Lautstärke durch die hindurch Kopfhörer nicht nur sie hörte. Erreichen tun die Worte niemanden mehr. Nein, es gibt keine Melodie mehr und keine Probleme, denen es zu zuhören gilt.

Erneut hat sie es nicht geschafft, trocken zu Hause anzukommen. Auch wenn es nicht normal für sie ist, blieb sie trotzdem auf dem regenüberschwemmten Asphalt stehen und sah auf ihre Turnschuhe herab, deren unterste Ösen unter der Wasserschicht verschwammen. Jetzt machte sie schon was Untypisches und trotzdem wusste sie, dass es egal war. Es fühlte sich nicht einmal frustrierend an, denn alles was sie tat, brachte sie nicht aus der Monotonie heraus. Die braungrünen Augen öffneten sich weiter, sahen kurz gen Himmel, doch schmerzen schnell. Die nassen Hände wurden erhoben und wollten den Schmerz heraus reiben, doch es verklärte nur ihr Sichtfeld, als sie wieder aufsah. Der Regen wurde nicht stärker, er wurde nicht schwächer. Er prasselte weiter vor sich hin, so wie die Menschen weiter in ihren Türen standen und versuchten ihre Heimat vor der Natur zu schützen. Kräzend erklang ihre Stimme: „Ich soll mich neu erfinden, etwas anderes machen! Soll ich auf die verdammte Straße rennen?“. Blicklos beschimpfte sie niemanden. Nicht sich selbst, nicht jene, die ihr die Ratschläge gaben. „Jetzt führ ich Selbstgespräche und versuche mich aufzuregen und doch bleibt alles gleich“. Schaute sie jemand an? Sie sah nicht nach und ging einfach weiter. Es hatte nichts gebracht. Das Stehenbleiben war so sinnlos wie das Selbstgespräch, denn die drückende Stille blieb. Nie hatte sie sich wirklich auf eine Straße gestellt. Es war das Letzte, was sie ausprobieren wollte, um sich lebendig zu fühlen und doch war es nicht real. Wie konnte es auch wirklich ein Weg sein, wenn sie es noch nicht getan hatte, wo alles andere schon probiert wurde?

Mit dem Bauchgefühl alles schon zu kennen, erreichte sie das große weiße Haus, indem sie seit 17 Jahren lebte. Sie fragte sich, ob ein Gebäude schön sein konnte und erinnerte sich daran, dass sie ihr zu Hause schön gefunden hatte. Warum verspürte sie keine Gefühle mehr? Alles hängt am seidenen Faden der Erinnerung, wie ein Erfolgserlebnis, was man sich einredete, wenn alles schief ging. Ihre nasse Jacke hängte sie im Flur weg und zog ihre Schuhe aus, um sie auf die Heizung zu legen. Nachdem sie auch ihre Jeans auf diese gelegt hatte, verließ sie die kalten Fliesen und lief mit erhobenem Blick zu den Geräuschen, die aus der Küche kamen. „Ich bin wieder da“, kündigte das Mädchen ihrer Mutter an, welche besorgt um ihre Gesundheit war: „Geh am Besten gleich in die Wanne und pack dich dann warm ein“. Da ihr Gegenüber lächelte, lächelte aus sie: „Mach ich“. Und doch war schon lange ausgesprochen, dass es keine ehrliche Mimik war. „Sag mal, haben wir einzelne Rasierklingen?“, fragte die jüngere kurz darauf nach, woraufhin sie einen verwirrten Blick erntete: „Im Badezimmerschrank…. Aber wofür brauchst du die?“. Für die Antwort brauchte sie nicht lange: „Ich will mir die Adern aufschneiden“. Das Mädchen verließ den Raum und die Mutter wünschte ihr viel Spaß, doch ernst nahm keine von Beiden die Angelegenheit. Es hatte nie Schnitte auf der jungen Haut gegeben, doch vielleicht sollte es mal geändert werden. Vielleicht würde sie darin die Erlösung finden, das Gefühl, was sie als Gefühl beschreiben würde. Im Badezimmer angekommen, ließ sie sich ein Bad ein und entkleidete sich, ohne die Tür zu versperren. Zu oft wollten die Eltern sie kontrollieren, als dass es den Stress wert währe, seine Ruhe zu haben. „Und so, meine Damen und Herren, verlieren wir das Schamgefühl“, berichtete sie dem Spiegel. Sie verstand die Angst ihrer Eltern und doch wollte sie nicht verstehen. Sie wollte sich nicht die Rasierklinge aus dem Schrank nehmen und nicht in das heiße Wasser steigen. Der Vergleich zu einer Krabbe im Kochtopf fiel ihr ein, als sie sich nicht mehr vor den Schmerzen schütze. Nur war das Tier tot und konnte deswegen nicht spüren, wie sein Körper sich dagegen werte. Sie spürte es und spürte doch kein Verlangen es zu ändern. Nun saß das Mädchen in dem heißen Wasser, dessen Temperatur sie nicht geregelt hatte, mit der Rasierklinge, mit der sie nichts anzufangen wusste, in einem Körper, der nicht schwimmen und nicht untergehen konnte.

Fett schwimmt oben. Zu schade, dass sie nicht fett war, sonst hätte sie einen netten lyrischen Vergleich für diesen Zustand gefunden. Zumindest war sie mit der Klinge genauso ratlos wie diese Emos, die sich aufschnitten und doch nichts davon hatten. Wie es sich wohl anfühlte Schmerz zu lieben? Das Mädchen schloss die Augen, atmete tief durch und versuchte dieses Gefühl zu finden, was sie als störend war nahm, wodurch sie sich schutzlos fühlen sollte, was sie dazu bringen sollte sich unwohl zu fühlen: Schmerz. „Ich fühle mich immer unwohl, niemand beschützt mich vor mir selbst und mich stört mein ganzes Leben“, murmelte sie daraufhin vor sich hin: „Und trotzdem tut es nicht weh“. Was machte Schmerz dann aus? Sie nahm sich vor in einem Synonymwörterbuch nachzuschlagen, um eine Definition zu finden, damit sie es vielleicht schaffte für ein paar Minuten wie ein Ritzer zu sein. Aber tat ihr denn wirklich gar nichts weh? Es war noch keine Stunde her, als sie die Augen zusammen gekniffen hatte, weil der Regen auf diese hinauf geprasselt hatte. Sie erinnerte sich an den Schmerz und tauchte ab. Mit dem Kopf unter Wasser und den Knien im Freien, öffneten sich ihre Augenlieder, wodurch es hell wurde. Doch es änderte sich nicht nur ihr Blickfeld, denn es gestaltete sich schwer für sie den Drang zu unterdrücken die Augen wieder zu schließen und auch wieder aufzutauchen, um durch zu atmen. Es schmerze und sie grinste. In diesem Moment fragte sie sich nicht, warum es nicht unangenehm war und auch nicht, ob dieses Gefühl ihr Leben ändern würde. Es war ihr egal, dass es nicht befreiend war, wie es sein sollte, wenn man sich die Haut aufschnitt und auch, dass sie sich über sich selber lustig machte.

Mit einem lauten Platschen tauchte sie wieder aus und einige Liter Wasser fanden sich außerhalb der Badewanne wieder. Sogleich war ein lautes Lachen aus ihr zu hören, während sie noch nach Luft japste. Dieses ungewohnte Geräusch war ebenso im Korridor zu hören, weshalb die Badezimmertür sofort von der Mutter aufgerissen wurde, die es nicht gewohnt war ein Lachen zu hören. „Was hast du?“, fragte sie mit panischer Stimme nach und starrte mit geweiteten Augen auf die Lachende. Das Mädchen beruhigte sich durch den Schreck schlagartig und grinste die Fragende an: „Wasser tut weh“. Mit einem Nicken verdeutlichte sie ihre Aussage, ehe sie auch schon wieder kicherte.
 

Die Erde besteht zu 71% aus Wasser.

Nun musste sie weiter heraus finden, wo die 29% waren, die sie nicht quälten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Eskimoese
2010-11-19T17:58:33+00:00 19.11.2010 18:58
So jetzt meine Kritik.

Ich schreib ja jetzt schon eine Weile mit dir in RPGs und kenn daher deinen Schreibstil, den du auch bei der FF beibehalten hast. Das ist aber nicht schlecht :)
Trotz der Rechtschreibfehler und dem Zeitsprung hat mir dein Schreibstil aber gefallen. Er war ab und zu etwas holperig(es flüssig zu lesen gestaltete sich ab und zu als schwierig), aber doch gelungen.

Das Thema, das du gewählt hast, gefällt mir persönlich ziemlich gut. Der Schluss und die Überschrift passen einfach und verleihen deinem Geschreibsel den letzten Schliff. Außerdem können sich wohl viele mit der Protagonistin identifizieren und das ist immer gut. Mir warf das Kapitel viele Fragen auf, was natürlich wünschenswert ist. Wenn jemand fragt, beschäftigt er sich mit deinem Text. Ich hab aber trotzdem nicht verstanden, warum es ihr weh tut, wenn sie unter Wasser zu lange die Luft anhält. Man ist verzweifelt und wird sicher panisch, aber sind das Schmerzen? Ich hab das noch nie gemacht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es weh tut…

Aber! Jetzt musst du regelmäßig dran schreiben, denn ich will wissen, wie’s mit der Lady weitergeht! :D

Hab dich lieb!


Zurück