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Bad News

von

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Nichlas Huldery

Nichlas Huldery
 

Die ersten drei Anrufe blieben erfolglos. Zwei waren kinderlos und der dritte hatte nur eine Tochter. Die nächsten vier Telefonate verliefen ähnlich. Robs Finger wurden zittrig und wollten die Wähltasten nicht mehr richtig bedienen.

/Noch fünf... komm schon, er muss da ja irgendwo dabei sein... drückt schon die Tasten und spielt mir keinen Streich... /

Schließlich managte er die achte Telefonnummer doch noch. Es klingelte.

Einmal, zweimal, dreimal,... nach dem vierten Klingeln erklang eine tiefe Männerstimme.

"Huldery."

"Guten Morgen, Mr. Huldery."

Rob pausierte kurz.

"Mein Name ist Rob Stevensen. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie belästigen sollte, aber haben Sie einen Sohn namens Nichlas?"

Am anderen Ende der Leitung war es still. Nur das leise Rauschen des Telefons konnte Rob vernehmen.

"Also..."

Der Mann verstummte erneut.

Rob wartete.

"Mein Sohn hieß Nichlas, aber er ist vor fünf Jahren an Krebs gestorben."

/Krebs.../

"Oh, tut mir aufrichtig Leid. Ich wollte Sie nicht damit konfrontieren. Bitte, entschuldigen Sie meine Aufdringlichkeit."

"Schon gut. Wiederhören."

Es wurde aufgelegt und das gleichmäßige Tuten drang in Robs Ohr.

/Dieser verdammte Krebs... so viele Menschen müssen deswegen sterben... mein Dad, er wird auch... /

Rob schüttelte den Kopf, um den Gedanken daran zu verdrängen.

Ihm blieben noch vier Telefonnummern. Langsam verließ ihn der Mut, weiterzumachen. Nach wenigen Minuten hatte er sich aber wieder besonnen und wählte schon die nächste Nummer. Eine Frau hob ab und Rob fragte nach dem Jungen. Erfolglos.

/... wieder nicht... /

Die Liste wurde immer kleiner, auch der darauf folgende Anruf brachte kein positives Ergebnis mit sich.

/Nur noch zwei. Wenn seine Familie gar nicht im Telefonbuch steht?... Was mache ich dann? Was.../

"Robby?"

Erschrocken blickte er auf.

"Mandy?"

"Was machst du denn schon hier? Solltest du nicht noch neben Niki im Bett liegen?", fragte sie mit einem frechen Grinsen auf den Lippen.

Rob hatte sich vor einiger Zeit mit ihr ausgesprochen. Nach langem Hin und Her hatte sie ihm verziehen, auch wenn nur mit größter Mühe. Seitdem hatten sie sich auch öfter bei ihrem Vater getroffen und das Verhältnis hatte sich mit der Zeit geglättet. Zwar konnten sie noch nicht wie früher miteinander umgehen, aber es verbesserte sich von Mal zu Mal, wo sie sich sahen.

"Ich... ich versuche Vici zu helfen."

Sie machte große Augen. Er hatte ihr davon erzählt, aber sie hatte nicht glauben wollen, dass er es so ernst meinte.

"Dein Enthusiasmus erstaunt mich."

Rob lächelte und blickte seine Schwester liebevoll in die Augen.

"Na dann viel Erfolg, Rob! Ich werde jetzt zu Dad gehen... er leidet sehr."

Bekümmert sah sie zu Boden.

"Ich war gestern bei ihm, ich weiß, wie es um ihn steht und..."

Er legte eine Hand auf ihre Schulter.

"Ich will es nicht hören. Sei still!"

"Tut... tut mir Leid!"

Sie löste sich von ihm und lief davon.
 

/Es ist so schwierig, die Wahrheit glauben zu wollen, man kehrt ihr den Rücken zu und geht rückwärts.

Die Vergangenheit kann man nicht herbeiwünschen, sie ist vorbei und die Zukunft naht, auch wenn sie nicht dem entspricht, was man sich vorstellt, was man sich wünscht oder begehrt.

Doch irgendwann muss man sich stellen, der Schmerz ist leider unvermeidbar...

Sieh es ein, Mandy! Er wird... /
 

Eine warme Hand auf seiner Schulter riss Rob aus seinen Gedanken.

"Wollen Sie hier noch telefonieren?"

Ein breitschultriger Mann Ende Dreißig schaute ihn fragend an.

"Ehm, ja. Ich muss noch ein Gespräch führen. Es dauert aber nicht lange, nur..."

"Lassen Sie sich Zeit, es eilt nicht.", warf jener ein. "Nur keine Hast."

"Danke."

Robs Blick heftete sich auf die zwei übrig gebliebenen Telefonnummern. Schweren Herzens suchte er sich eine von beiden aus und tippte die Zahlen ab. Es läutete. Ein Adrenalinstoß durchströmte ihn. Ihm wurde heiß, seine Hände schwitzten.

"Ja?"

"Hallo, spreche ich mit Josephine Huldery?"

"Ja und..."

"Mein Name ist Rob Stevensen.", fügte er gleich hinzu. "Ich möchte keinesfalls eine Belästigung für Sie sein, doch haben Sie einen Sohn,... Nichlas?"

Die Frau stutzte.

"Was hat er denn angestellt? Hat er Sie beleidigt oder..."

/Endlich!/

"Nein, nein. Wenn ich ehrlich sein darf, kenne ich ihn nicht einmal. Ich bin ihm nur zufällig einmal begegnet, und zwar im Krankenhaus."

"Und warum..."

"Das ist nicht so leicht zu erklären..."

Eine Pause trat ein. Er hatte gar nicht darüber nachgedacht, wie er sein Anliegen der Mutter nahe bringen könnte, wenn er sie fand. Nun hatte er sie endlich am anderen Ende der Leitung und sie wartete.

"... ich habe hier vor einigen Wochen ein kleines Mädchen kennen gelernt, deren Bruder vor einem knappen Jahr bei einem Autounfall ums Leben kam... Sie hat, wie soll ich sagen, psychische Probleme damit... Sie müssen bedenken, sie ist nicht einmal sechs Jahre alt und..."

Er konnte nicht weiterreden. Ein Kloß steckte in seinem Hals.

"Ich verstehe nicht... was hat denn mein Sohn damit zu tun?"

"Er... es ist so schwer, das am Telefon zu besprechen. Wären Sie so nett, sich mit mir zu treffen, damit ich Ihnen die ganze Angelegenheit erklären kann?"

Nun trat eine Pause ihrerseits ein. Ein leises Seufzen entwich ihr.

"Okay."

Sie verabredeten sich für diesen Nachmittag im Gray-Warrn-Hospital.
 

Rob hängte auf und starrte auf seine Hand, die den Hörer immer noch fest umklammert hielt. Ein paar Haarsträhnen fielen ihm in die Stirn und er schloss seine Augen.

/Ich habe nicht einmal die Erlaubnis von Lucy und David. Über ihren Kopf hinweg habe ich entschieden... und wie wird Mrs. Huldery reagieren, wenn ich ihren Sohn 'benutzen' möchte als Lösung für Vicis Leiden?...

Ich wollte die Macht darüber nicht einfach so an mich reißen, doch es musste endlich etwas geschehen. In drei Tagen hat sie Geburtstag und ihr geht es immer schlechter. Selbst tagsüber bricht sie schon ab und an in Schreikrämpfen aus... sie isst kaum noch, sie ist traurig und ihr Lachen erfreut die Welt nur noch selten... ich musste etwas tun!/

Seine freie Hand ballte er zur Faust.

/Ich musste etwas tun!/
 

In der Überzeugung, sich für den richtigen Weg entschieden zu haben, öffnete er die Augen wieder. Er notierte sich die Nummer von Mrs. Huldery, falls er sich noch einmal benötigte. Sie hatten 15.30 Uhr vereinbart und nun war es erst kurz nach zehn. Rob hatte also noch über fünf Stunden Zeit.

Als erstes stand die Benachrichtigung der Familie Kingsley auf dem Programm. Im Glauben, sie hier im Gray-Warrn-Hospital zu finden, machte er sich auf den Weg. Tatsächlich fand er David vor der Intensivstation. Lucy war bei ihrer Tochter und Rob konnte die Situation für sich nutzen. Da Rob ihn einweihen wollte, bat er ihn sich zu setzen, was jener auch widerstandslos tat.

Mit fragendem Blick betrachtete David seinen Gegenüber. Zwar hatte er eine Vorahnung, wollte ihn aber nicht von selbst darauf ansprechen. In gewisser Weise wollte Mr. Kingsley ihn damit testen, ob er auch wirklich dazu befähigt war, seinem einzigen Kind zu helfen und ob er sie ihm anvertrauen konnte. Seit Roberts Tod war er sehr vorsichtig geworden, was er aber gegenüber Lucy nicht so offen zeigen konnte.

Nervös wand Rob eine Hand um die andere. Er wusste nicht so recht, wie er ihm die Angelegenheit beibringen sollte. Als fast Fremder hatte er eine Entscheidung getroffen, die das Leben der gesamten Familie Kingsley verändern könnte. War David bereit, dies zu befürworten oder würde er die Sache strikt ablehnen?

Rob kämpfte mit sich und um die richtigen Worte.

"David,", begann er. Seine Stimme bebte. "ich habe vor wenigen Minuten mit Mrs. Huldery gesprochen."

Vicis Vater sah ihn immer noch unwissend an.

/Spielt er die Unwissenheit nur vor?/

"Sie ist die Mutter von Nichlas,... dem Jungen, der Ihrem Sohn so ähnlich sieht."

Auf eine Reaktion von David wartend unterbrach er sich, doch vergebens. Dieser saß ihm unverändert mit gleichgültiger Miene gegenüber.

/Soll ich weiterreden? Vielleicht wäre es.../

"Ich", er entschied sich nicht zu schweigen. "habe mit ihr ein Treffen für heute Nachmittag vereinbart." Er atmete ein. "Ich weiß. Ich hätte dies erst mit Ihnen beiden abklären müssen, doch uns bleibt keine Zeit für solche..."

'Haarspaltereien' hätte Rob beinahe gesagt, unterdrückte sich diesen Ausdruck aber.

"zeitraubenden Aspekte. Seid mir bitte nicht böse, aber..."

"...es ist für Vici das Beste.", schloss David das Plädoyer.

Rob sah ihn erleichtert an, denn ihm fiel ein großer Stein vom Herzen, als er in seinem Gesichtsausdruck lesen konnte, dass er auf seiner Seite war.

/Die Qual hatte ich verdient. Er ist so sehr um seine Tochter besorgt... wie ich... doch er ist nun mal der Vater, nicht ich... das muss ich so akzeptieren./

"Rob, ich möchte Ihnen gewiss keinen Vorwurf machen. Diesen hätten Sie nicht verdient. Wir werden ewig in Ihrer Schuld stehen, wenn dies alles überstanden ist... wenn alles wieder in Ordnung ist, so wie früher..."

Eine bedrückende Atmosphäre umgab die beiden. Die Luft war stickig und ihre Herzen waren für einen Moment in Finsternis gehüllt. Doch ein Schimmer Zuversicht und Hoffnung kämpfte in ihnen, um schon bald die Oberhand zu gewinnen. Schon bald...

David legte seine rechte Hand auf Robs Schulter und sah ihm fest in die kirschbaumbraunen Augen.

"Sie sind ein mutiger, hilfsbereiter junger Mann. Wir danken Gott, dass wir Sie kennen gelernt haben. Glauben Sie mir, es gibt nicht viele solcher Menschen wie Sie."

Nun lächelte er ihn an. "Wenn ich Ihr Vater wäre, wäre ich unendlich stolz auf Sie."

Rob war gerührt. Er ahnte nicht, dass Mr. Kingsley ihn dermaßen schätzte.

/Wenn mein Dad auch mal so mit mir geredet hätte.../

"Danke."

Mehr wollte er nicht sagen, denn er war den Tränen nahe; Tränen der Freude, Freude über dieses Verhalten, über Davids Offenheit und seinem Respekt.

David nickte und versprach, sogleich mit seiner Frau zu sprechen. Er stand auf und ging durch die große weiße Tür, die ihn direkt zu Vici und Lucy führte.

/Danke David. Ich werde alles geben, das verspreche ich./

Gedankenverloren saß Rob auf dem Stuhl und spielte mit einem Schlüssel in seinen Händen.

/Dad, ich hatte mir immer gewünscht, dass du so etwas sagst, doch... doch diese Worte kamen nie über deine Lippen. Habe ich dich etwa enttäuscht? Bin ich wohl nicht der perfekte Sohn, den du immer wolltest? Niemand ist perfekt und wird es auch niemals sein. Fehler sind jedem zu eigen, auch dir. Also verlange nicht von mir, so zu sein, wie ich es niemals sein kann... ich wäre es gerne für dich, doch dann wäre ich nicht ich selbst. Könntest du das verantworten?/
 

David kam mit Lucy zurück. Es waren nur wenige Minuten vergangen, doch Rob kam jede einzelne wie eine halbe Ewigkeit vor.

"Guten Morgen, Mrs. Kingsley."

"Guten Morgen.", erwiderte sie sanft, doch man sah ihr gleich an, dass es ihr nicht gut ging. Neben der Sorge um ihre Tochter hatte sie sich noch eine kleine Erkältung eingefangen, was ihre rote Nase verriet, ebenso die tränenden Augen, die nicht auf Trauer zurückzuführen waren. Ein paar Strähnen ihres blonden Haares hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und fielen nun in kleinen Locken seitlich ihres Gesichts. Lucy war noch recht jung, Anfang dreißig, und Rob fand sie durchaus attraktiv. Aber an diesem Tag büßte sie einen großen Teil ihrer Ausstrahlung ein, sie sah abgekämpft und krank aus.

/Sie leidet ununterbrochen. Nichts kann sie mehr berühren, nichts kann zu ihr durchdringen... nicht mal David schafft es, sie zu beruhigen oder sie einmal auf einen anderen Gedanken zu bringen. Ihr widerstrebt jede Art von Ablenkung. Kann ich sie überzeugen, dass Nichlas vielleicht der Ausweg ist? Der Ausweg, den sie seit knapp einem Jahr ersehnt? - Ich hoffe es für uns alle./

"Mein Mann meinte, Sie wollen mit mir sprechen. Ein wichtiges Anliegen wollen Sie mir verkünden?"

Rob nickte zustimmend und er spürte sein pochendes Herz in seiner linken Brust.

"Das stimmt. Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen, was Sie zunächst beunruhigen könnte."

Mit unsicherem Gesichtsausdruck sah sie ihn an, doch sagte nichts.

"Es geht um folgendes: Ihre Tochter benötigt ein Medium, das sie die Vergangenheit bewältigen lässt. Da ich es nicht verkörpern kann, habe ich jemanden gesucht, der diese Rolle übernehmen kann. Als Sie mir das Foto von Ihrem Sohn zeigten, bemerkte ich die Ähnlichkeit mit einem Jungen, Nichlas Huldery, den ich hier im Krankenhaus mal gesehen hatte. Er gleicht Robert fast bis auf wenige Unterschiede. Vici könnte zu ihm eine Verbindung aufbauen, die ihr über den Schmerz hinweghilft."

Kraftlos sank Lucy zu Boden. Sie weinte. Sollte es tatsächlich einen Jungen geben, der ihrem so ähnlich sah?

/Ich könnte diesen Anblick nie verkraften./

Jegliche Erinnerungen an Robert kamen in ihr hoch.

David half ihr auf einen Stuhl.

"Das wollte ich nicht.", sagte Rob einfühlsam.

"Bitte lassen Sie uns allein.", bat Mr. Kingsley und dessen Bestürzung schnürte Rob die Kehle zu.

Gesenkten Hauptes wandte er den beiden den Rücken zu und schritt den Flur entlang.

/Das stand nicht in meiner Absicht. Ich wollte doch nur helfen, nicht noch mehr Kummer säen./

Er strich sich durch die dunklen Haare.

/Warum muss alles so tragisch verlaufen? Warum bringt die Liebe so viel Leid mit sich?/

Im Aufenthaltsraum kaufte er sich einen Kaffee und er ließ sich am großen Fenster des Zimmers nieder. Wie am Vortag sah er am Himmel die Vögel kreisen. Hoch oben sahen sie wie schwarze Unreinheiten des strahlend blauen Himmels aus. Dunkle Flecken, die ständig den Ort wechselten, die wanderten.

/Viele sind nach Süden geflogen, wo es warm ist. Sie verließen ihre Heimat, um zu überleben. Im Frühjahr kommen die meisten wieder und gründen neue Familien. Es leitet sie ihr Instinkt... Instinkt?/

Rob zwinkerte, so dass das Braun seiner Iris nur ab und zu die Welt erblickte.

/Mein Instinkt hat mich dazu gebracht, diesen Nichlas ausfindig zu machen. Also warum sollte ich dann nicht das zu ende bringen, was ich angefangen habe!?

Es wird Zeit, dass ich wieder mehr darauf vertraue, was mein Herz mir sagt. Ich gebe nicht klein bei, ich kämpfe für mein Recht. Ich kämpfe für Vici!/

Wie gerufen standen plötzlich Lucy und David vor ihm.

Voller Ernst sah er die beiden an. Lucys Anblick erschreckte ihn jedoch. Ihre Augen waren gerötet und ihr blasser Teint ließ sie schwach und verletzlich erscheinen. Doch Rob kümmerte sich nicht darum. Seiner Ansicht nach war Vici das Opfer, dessen Heilung sich in seinen Händen befand. Er war der Drahtzieher und musste dort weitermachen, wo er aufgehört hatte.

"Ich werde nachher mit Mrs. Kingsley sprechen. Keiner wird mich daran hindern können."

Er nahm Lucy fest ins Visier.

"Keiner wird mich aufhalten können. Denn ich werde mein Versprechen Vici gegenüber nicht brechen!

Ich dachte, Sie würden alles für Ihre Tochter tun, doch da habe ich mich anscheinend getäuscht."

Rob wandte den Blick ab und entfernte sich ein paar Schritte von ihnen.

"Warten Sie!"

Er hielt inne, als er Lucys zittrige Stimme vernahm.

"Wir wollen Ihnen nicht im Wege stehen."

Nun drehte er sich um und sah ihre Tränen, die eifrig die Wangen hinab liefen.

"Gut."

Er entfernte sich endgültig.
 

/Ich weiß, mein Weg ist hart und erscheint unfair. Aber ich lasse mich nicht mehr beirren, ich lasse mich nicht mehr von meiner Aufgabe abbringen.../
 

/In ein paar Minuten kommt sie. Werde ich sie überzeugen können?/

Die Eingangshalle auf- und abschreitend wartete er auf die Ankunft von Josephine Huldery. Jedwede Zweifel in ihm waren erloschen, der Kampf hatte begonnen. Nichts und niemand könnte ihn an seiner Mission jetzt noch hindern...

Punkt halb vier stellte sich Rob neben die Tür, die zur Mensa führte.

/Hoffentlich kommt sie auch und hat es sich nicht anders überlegt./

Seine kirschbaumbraunen Augen schweiften von rechts nach links und wieder nach rechts. Nach wenigen Augenblicken sah er eine kleine, rothaarige Frau auf sich zukommen. Sie lächelte verhalten und Rob fühlte ihre Unsicherheit. Als sie nahe genug war, fragte er:

"Josephine Huldery?"

"Ja, Mr. Stevensen.".

Der Klang ihrer harten Stimme war unerwartet. Rob staunte über die Kraft darin.

"Sie haben mich hierher gebeten ohne eine vernünftige Erklärung dafür abzugeben."

Sollte das ein Tadel sein?

"Es tut mir Leid, wenn ich Sie so überrumpelt habe, aber es ist sehr, sehr wichtig."

Das Flehen war ungewollt, doch es brach aus ihm heraus.

"Wollen wir uns nicht irgendwo hinsetzen und etwas Warmes trinken?"

Mrs. Huldery willigte ein und sie begaben sich in die kleine Cafeteria des Krankenhauses.

"Eines will ich von vorne herein klarstellen.", sprach sie. "Ich möchte nicht, dass Sie um den heißen Brei reden, denn das bin ich leid - mein Ex-Mann hat mich jedes Mal damit auf die Palme gebracht..."

/Wie der erste Eindruck täuschen kann./

"Also sagen Sie schon, was Sie von mir wollen."

Rob schluckte. Mit so einer starken Persönlichkeit hatte er nicht gerechnet. Am Telefon war sie ihm viel zurückhaltender vorgekommen.

/Nur keine Bedenken.../

"Auch wenn ich mich wiederholen sollte, ich entschuldige mich für meine Aufdringlichkeit, doch mir blieb keine andere Wahl. Wie gesagt, habe ich ein kleines Mädchen, Victoria Kingsley, kennen gelernt und sie hat Probleme mit der Verarbeitung des Todes ihres Bruders. Als ich ein Bild von diesem gesehen habe, wusste ich, er komme mir irgendwie bekannt vor. Ja, ihr Sohn besitzt eine sehr große Ähnlichkeit mit ihm."

"Ich verstehe immer noch nicht, was Sie damit überhaupt sagen wollen."

Sie hob ihre Tasse, setzte sie an den Mund und nahm einen großen Schluck. Rob fiel auf, dass ihre Fingernägel äußerst gepflegt waren. Ihre eigentlich zierlichen Hände wiesen einige Narben auf, die aus früheren Tagen stammen mussten. Dieses waren verblasst und nur im Lichtspiel der Sonne zu sehen.

"Vici benötigt einen Menschen, zu dem sie Vertrauen schöpfen kann. Da Ihr Sohn ihrem Bruder gleicht, dachte ich, dass er diese Person sein könnte."

Josephine wurde misstrauisch.

"Sehen Sie, Mrs. Huldery, wenn Vici zu einem Kind wieder Freundschaft und Vertrauen empfindet, dann erhoffen wir uns, dass sie das Ableben von Robert überwinden kann und sich damit die Schuld abspricht."

"Also, wenn ich ehrlich sein darf, halte ich gar nichts davon. Mein Sohn hat genug Probleme. Da kann er Ihre Sperenzchen nicht gebrauchen."

"Das hat gesessen.", sprach er ungewollt laut aus.

Er sah ihr die Überlegenheit an ihrem Blitzen in den hellblauen Augen an.

"Er ist aber unsere letzte Hoffnung. Es existiert kein anderer Ausweg aus dieser misslichen Lage. Selbst Doktor Higarty, ein Experte auf diesem Gebiet, weiß keinen Rat. Bitte lassen Sie uns nicht hängen... bitte!"

Ihr Blick wurde noch kühler und eiserner, fast einem kahlen Stein gleich.

"Ihre Gefühlsduselei berührt mich nicht. Da muss Ihnen schon etwas besseres einfallen."

Die Herausforderung stand.

"Wollen Sie mir weismachen, dass es Ihnen völlig egal ist, was mit dem Mädchen geschieht? Ich kann Ihnen nicht abnehmen, dass ihr Herz so kalt ist."

"Jetzt werden Sie aber unverschämt, Mr. Stevensen. Das muss ich mir nicht länger bieten lassen."

"Warten Sie! Wenn Sie tatsächlich so kaltherzig sein sollten, wie Sie gerade vorgeben, warum sind Sie dann überhaupt hierher gekommen?"

Sie stutzte. Rob wusste, dass er damit ins Schwarze getroffen hatte.

"Bitte überdenken Sie Ihre Entscheidung. Ich habe mich vorher noch nie dermaßen für einen Menschen eingesetzt. Sie müssen es doch eigentlich am besten wissen, wie es ist, sich für ein Kind aufzuopfern, es zu beschützen und sich Tag und Nacht um es zu sorgen?"

Er merkte, wie die Kälte langsam aus ihrem Blick verschwand.

"Nichlas kann bestimmt behaupten, eine großartige Mutter zu haben. Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen. Habe ich nicht Recht? Es entspricht doch der Wahrheit, dass Sie immer für ihn da sind?"

"Aufhören!"

Sie hielt sich beide Ohren zu.

"Ich will das nicht hören."

"Es stimmt, nicht wahr?"

Josephine schüttelte den Kopf, als ob sie seine Worte weg schlagen wollte. Doch sie vernahm sie sehr deutlich.

"Ja, es stimmt. Ich sorge mich jede Minute um ihn, jede Sekunde. Seit sein Vater uns einfach verlassen hat, habe ich nichts anderes mehr getan. Als Nichlas gerade mal vier Jahre alt war, ist sein Dad abgehauen, über Nacht. Am nächsten Morgen fand ich einen Brief, in dem er schrieb, dass er die Verantwortung für ein kleines Kind nicht mehr tragen könne. Er war so feige, im Stich gelassen hat er uns."

Ihre blauen Augen schimmerten.

"Sind Sie nun zufrieden?"

"Ich..."

Rob verstummte. Anstatt noch was zu sagen ging er zu ihr und nahm sie in den Arm. Anfangs wehrte sie sich dagegen, doch dann ließ sie es zu. Die Wärme, die er ausstrahlte, ging zu ihr über; Tränen liefen an ihren Wangen hinab.

Als sie sich beruhigt hatte, nahmen beide wieder Platz. Ihre geröteten Augen sahen auf ihre Hände, die die Tasse umklammerten.

/Ein Bild der Verletztheit bietet sich mir dar; tiefe Enttäuschung erfüllt sie. Ich kann es ihr nicht verdenken./

"Ich wollte Sie damit nicht belästigen."

Rob winkte ab.

"Sie brauchen sich keine Gedanken machen. Schließlich sind Sie die Letzte, die sich für irgendwas entschuldigen müsste. Ich bin derjenige, der um Verzeihung zu beten hat."

"Nein, tun Sie das nicht. Es ist schon gut. Und ja, ich würde Ihnen und dem kleinen Mädchen gerne helfen. Wenn ich eines aus der Ehe gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass ich nicht so werden möchte wie Nichlas' Vater."

Dankbar sah sie Rob an, der ihren Blick mit einem freundlichen, aufrichtigen Lächeln erwiderte.

Das Eis war gebrochen.
 

"Können Sie mir noch mehr über Ihr Vorhaben erzählen?", bat sie aber.

"Natürlich. Aufgrund der Verständnisschwierigkeiten Vicis mit dem Tod und ihrer eigenen Schuldzuweisung kommt es bei ihr zu körperlichen Ausbrüchen. Zu Beginn äußerten sie sich nur nachts, indem sie zum Beispiel schrie, doch seit kurzem treten sie auch tagsüber auf. In drei Tagen hat sie Geburtstag und bis dahin werden sie bestimmt noch schlimmer werden. Ihr Bruder ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Er war auf dem Weg zum Einkaufszentrum, in dem er ihr Geburtstagsgeschenk kaufen wollte. Es war vor einem Jahr und wir wissen nicht, wie sie auf ihren Ehrentag reagieren wird. Es steht momentan schlecht um sie und Ihr Sohn ist unsere letzte Rettung."

"Oh.", mehr konnte Josephine Huldery nicht erwidern.

Rob holte das Foto aus seiner Tasche und legte es vor ihr auf den Tisch.

"Sehen Sie?"

"Mhhmm. In der Tat. Und Sie meinen, dass Nichlas Ihnen helfen kann?"

"Er ist meine einzige Hoffnung."

"Diese will ich Ihnen nicht nehmen. Ist es Ihnen recht, wenn ich mit meinem Sohn morgen früh hier ins Krankenhaus komme?"

Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem glücklichen Lachen.

"Mehr als das. Dankeschön."

"Morgen um zehn vor der Eingangstür, okay?"

"In Ordnung."

Sie packte ihre Sachen und ließ Rob allein.
 

/Ein Problem steht noch aus. Dieses Hindernis werde ich auch noch bewältigen. So viele habe ich nun schon aus dem Weg geräumt, dann wird das auch beseitigt werden können.../



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