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Das andere Ich

von

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Aus und Vorbei

Kiara konnte sich nicht vom Fleck rühren. Ras Ansprache behagte ihr überhaupt nicht. In ihrem Innersten tobte ein schweres Unwetter, hervorgerufen durch die schrecklichen Bilder, die vor ihren Augen aufblitzten und statt tröstender Worte nur weitere unerfreuliche Offenbarungen auf sie niederprasseln ließen.

Sollte sie es nicht schaffe, ihren Mut und ihre Zuversicht zurückzugewinnen, würde Ra sie verlassen. Und Kiara war sich nicht sicher, ob sie das verkraften würde.
 

Gedanken, über die sie sich den Kopf zerbrach.

.... und die Person, die mehrere Meter über ihr auf dem Dach des Hochhauses saß, nicht bemerkte.

Die Frau blickte auf sie herab, der Blick voller Verachtung und Hohn.

Tatsächlich war sie enttäuscht. Seit Jahren hieß es in ihren Kreisen, Kiara hätte Ra, einen Gott, gebändigt und nun stünde ebendieser Gott unter ihrem Schutz.

Verächtlich biss sie sich auf die Unterlippe.

Dabei war diese Göre in Wahrheit keine Gegnerin für sie. Würde sie tatsächlich Atem gegenüberstehen, wie es zweifellos ihre Visionen vorausgesagt hatten, wäre das ihr Untergang, soviel stand fest.

„Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, diese Gottheit in deinen Bann zu ziehen, dass er sich derart dazu herabgelassen hat, die Stellung eines Schoßhündchens einzunehmen, aber mit dem, was du mir momentan bietest, kannst du keine große Gefahr gewesen sein.“, murmelte sie leise.

Lächelnd schlug sie ihre langen, schlanken Beine übereinander.

Ra, dieser Narr, wollte ihr beistehen. Dabei würde selbst er es nicht schaffen, sie zu bezwingen. Verweichlicht, wie er war. Einem Menschen ergeben. Das Schoßhündchen eines kleinen Mädchens.

Verächtlich rümpfte sie die Nase. Sollten die Menschen erfahren, dass es möglich war, die Götter derart zu unterwerfen, würde keine Angst mehr auf dieser Welt herrschen. Keiner würde mehr den Zorn der Götter fürchten, Opfer darbieten und auf die Gunst ihrer Beschützer hoffen, wenn publik wurde, dass es einem Menschen gelungen war, eine Gottheit zu bändigen. Von den Religionskriegen, die ausbrechen könnten, und der drohenden Gefahr, dass Menschen beginnen würden, Jagd auf die Götter zu machen, ganz zu schweigen. Sicher ... sie konnten das Ganze umgehen, immerhin müssten sie sich erst einmal zeigen, um unterworfen werden zu können, doch im Prinzip wären sie nicht mehr als ein Stück Beute. Und einer Allmacht wie den Göttern ... widersetzte man sich nicht ungestraft oder machte sie zu einem Beutetier.

„Du bist ein so verdammter Narr, Ra! Du hast uns alle in Gefahr gebracht.“, fauchte sie und traktierte mit ihren krallenhaften Fingernägeln die Backsteinmauer.

„Um uns zu dienen ... uns anzubeten ... ihre Unterlegenheit anzuerkennen, dazu sind die Menschen da. Was du da veranstaltest ... ist der Beginn einer Hetzjagd auf uns.“

Lächelnd blickte sie gen Himmel. „Aber das treibe ich dir schon noch aus, keine Sorge. Zu allererst jedoch ... kümmere ich mich um deine kleine Beschützerin. Ihr Pech, dass sie zwischen uns steht, sonst könnte ich erwägen, sie in Ruhe zu lassen. Aber da du sie ja unbedingt in diese Sache mit hineinziehen musstest, werde ich ihr den Leidensweg, den sie noch gehen wird, wohl nicht ersparen können.“
 

Die Sonne war schon untergegangen, als Kiara sich auf den Heimweg machte. Ohne jegliche Kraft schlurfte sie weiter. Das heillose Durcheinander in ihrem Kopf verursachte höllische Kopfschmerzen, erinnerte sie allerdings auch daran, dass sie noch lebte. Tatsächlich jedoch wünschte sie sich momentan nichts sehnlicher, als all dem entfliehen zu können. Die Flut der Bilder riss nicht ab, strömte mit brutaler Gewalt auf sie ein und verhinderte, dass sie in der Lage war, die Visionen abzuschütteln.

Nur wenige Schritte von der Gasse entfernt, blieb sie schon wieder stehen und lehnte sich keuchend gegen die Mauer. In einer solchen Verfassung konnte sie weder Atem noch Yugi gegenübertreten, das stand fest.

Langsam begann sie damit, ruhig zu atmen, sog kraftvoll die Luft in ihre Lungen und ließ sie ebenso kraftvoll entweichen.

Es funktionierte, wenn auch nur mühsam.

Und so setzte sie ihren Weg fort.

.... blieb aber Sekunden später schon wieder vollkommen erstarrt stehen.

Keine fünf Meter von ihr entfernt, stand Atem.

Und er war nicht allein.

Verwirrt blinzelte sie zu der jungen Frau hinüber, die sich – für ihren Geschmack – eindeutig zu nah bei Atem befand.

Im Bruchteil einer Sekunde entschied sie, dass sie nicht von den beiden entdeckt werden wollte und huschte eiligst in die nächstbeste Gasse.

Vorsichtig lugte sie hinter der Backsteinmauer hervor und beobachtete, was sich nur wenige Meter von ihr entfernt abspielte.

Die Frau lächelte kokett. Hübsch war sie ja, das musste Kiara widerwillig zugeben. Hochgewachsen, Top-Figur, glänzende blonde Haare, die leicht gelockt bis auf ihre Hüfte fiel und gleichzeitig liebevoll ihr zartes Gesicht umschmeichelten. Haselnussbraune Augen betrachteten in voller Flirtlaune Atem.

Kiara wurde übel.

Die Art, wie die Fremde ihre Wimpern klimpern ließ, die natürlich ebenfalls vollkommen perfekt waren, gefiel ihr in keinster Weise.

Zähneknirschend beobachtete sie, wie ihre langen Finger sachte über Atems Wange streichelten.

Und er ließ es sich gefallen!

Kiara krallte sich in der Mauer fest.

Seit sie sich kannten, herrschten unentwegt gewisse Schwingungen zwischen ihnen, die keiner von ihnen verleugnen konnte.

Yugi, Joey, Thea ... ihnen allen war klar, dass zwischen Kiara und dem Pharao immer etwas Besonderes geherrscht hatte.

Die Gefühle, die sie füreinander empfanden, wurden vielleicht nicht klar ausgesprochen ... aber sie waren da. Und sie waren jedem bekannt.

Und jetzt musste sie beobachten, wie Atem von diesem Blondchen umschmeichelt wurde, so kokett, dass es einem schlecht werden konnte.

So wütend, wie jetzt, war sie noch nie. So wütend, dass sie ihren Kopf mehrmals gegen die Mauer krachen ließ in der Hoffnung, dieses Bild in die richtige Richtung lenken zu können, doch es funktionierte nicht.

Die Szene war echt. Und sie tat weh.

Und es schmerzte umso mehr, als Atem der Fremden so nah kam, dass sich ihre Nasenspitzen berührten. Sein Lächeln war echt und es war voller Charme. Dieses spezielle Lächeln war es, was sie bisher immer aus der Fassung gebracht hatte. Das bislang immer nur ihr gegolten hatte.

Es brachte sie auch jetzt aus der Fassung. Jedoch nicht aus denselben Gründen.

Kiara wusste nicht ganz, ob sie erleichtert oder wütend sein sollte, als beide gemeinsam davonschlenderten. Hand in Hand und ganz offensichtlich vollkommen ineinander verliebt.

Traurig sank sie auf die Knie und sah ihnen nach. Das Gefühl, hässlich und niemals wirklich gut genug für einen Pharao gewesen zu sein, bemächtigte sich ihrer.

Was auch immer Atem und sie verband oder verbunden hatte, schien mit einem Mal wie weggewischt, vollkommen in Vergessenheit geraten.

Atem hatte gewählt.

Und er hatte nicht sie gewählt.
 

Weit über dem ganzen Geschehen, lächelte sie hämisch. „Oh, Kiara! Und sei versichert ... das ist erst der Anfang.“
 

„Himmel, wo warst du denn? Wir haben dich überall gesucht? Ist alles in Ordnung?“, fragte Yugi, als Kiara durch die Tür in den Flur trat und ihre Jacke an die dafür vorgesehenen Wandhaken hing.

Müde blickte sie ihn an. „Ich ... wollte einfach nur allein sein. Entschuldige, aber ... mir geht’s grad nicht so besonders.“ „Du hättest doch ins Krankenhaus fahren sollen.“ „Nein ... es ist ... nicht körperlich. Ich ... fühl mich grad einfach nicht. Sagst du Großvater, dass ich mich schon schlafengelegt habe?“

Verwirrt blickte Yugi seiner Schwester nach, als diese immer noch vollkommen kraftlos die Treppe erklomm, um ihr Zimmer aufzusuchen.

Kaum war sie verschwunden, tauchte Atem neben ihm auf. „War das eben Kiara?“

Yugi verzog das Gesicht. „Da ... bin ich mir ehrlich gesagt grad gar nicht so sicher.“

Als Yugi den verwirrten Blick des Pharao auffing, zuckte er die Schultern. „Vermutlich ist sie einfach nur erledigt. Immerhin ... wurde sie von einem Auto überfahren.“, murmelte er und verließ den Flur Richtung Wohnzimmer.

Atem blieb vor der Treppe stehen und sah hinauf. „Was stimmt nur nicht mit dir?“, flüsterte er, beschloss allerdings, es für heute gut sein zu lassen und folgte Yugi.
 

In ihrem Zimmer angekommen, nahm Kiara die Kette ab und betrachtete sie eingehend. Das silberfarbene Medaillon zeigte keinerlei Spuren von Verschleiß. Zu schätzen, wie alt es war, würde selbst einem Profi nicht möglich sein.

Ra.

Seit der Pharaonenzeit, seit ihrer Zeit als Pharaonenprinzessin, war er ihr Beschützer. Eine Tatsache, die sie bis vor einigen Jahren noch nicht gewusst hatte, sie jetzt jedoch immer wieder beruhigte.

Und er wollte sie verlassen.

Kiara wusste, dass sie nicht einfach aufgeben durfte. Doch die Bilder und die Szene, die sie beobachtet hatte, gaben ihr das Gefühl, verraten worden zu sein. Wofür hatte sie all die Jahre gekämpft, wenn es ihr jetzt einfach so genommen wurde?

Sicher ... wenn es das war, was Atem wollte und glücklich machte, so sollte es auch so sein. Doch irgendwo kroch das Gefühl in ihr hoch, dass an dieser ganzen Szene etwas falsch gewesen war.

Es war zu perfekt ... zu einstudiert. Und es war genau in dem Moment passiert, als Kiara sich keine fünf Meter von ihnen entfernt in derselben Straße befunden hatte.

Wütend ballte sie die Hand zur Faust, das Medaillon fest umklammernd. „Mistkerl. Du hast ganz genau gewusst, dass ich in deiner Nähe bin und du ziehst so eine Nummer ab.“

„Du sprichst nicht zufällig von mir?“

Kiara sah auf und erblickte Atem, der ihr gegenüberstand, die Hände locker in den Hosentaschen vergraben.

„Was willst du?“

Abwehrend hob er die Hände. „Ich wollte nur nach dir schauen. Du warst nach dem Unfall so verschreckt, da ...“

Kiara fuhr hoch. „Spar dir dein Gesülze, ja? Ich weiß ja nicht, was du hier für eine Show abziehst, aber das hier ist echt das Letzte!“

Atem prallte zurück. „Du scheinst auf der Motorhabe heftiger aufgeschlagen zu sein, als ich bislang dachte.“ „Das hat mit dem Unfall überhaupt nichts zu tun.“

Interessiert hob er die Augenbrauen. „Sondern?“ „Ich weiß nicht, vielleicht mit deiner Vorliebe für Blonde Schnittchen im Barby-Look? Ich hab euch gesehen, Atem, und...“ „Ich weiß.“

Jetzt war es an Kiara, überrascht dreinzublicken. „Wie bitte?“ „Ich weiß, dass du uns gesehen hast.“

Völlig sprachlos stand sie ihm gegenüber. Die Worte, die er ihr da gerade entgegenwarf, konnten doch nicht wirklich einen Sinn ergeben. Er hatte sie gesehen? Und trotz allem ...

„Du ... wusstest, dass ich da bin?“ „Natürlich.“ „Aber warum ...“ „Warum ich das nicht offenbart habe? Warum ich weitergemacht habe?“

Kiara schluckte mehrmals. Die Panik, die sich gerade in ihr hocharbeitete, schnürte ihr die Kehle ab.

„Ich dachte, so würdest du es besser verstehen.“

„Was denn ... verstehen?“

Atem seufzte ergeben und ließ sich auf das Bett sinken. Den Kopf in die Hände gestützt, sprach er weiter. „Ich ... wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte, Kiara. Es tut mir ehrlich leid. Ich hab immer gedacht ...“

Kiara hatte das Gefühl, platzen zu müssen, als ihr alles klar wurde. Die Szene war echt gewesen, so echt wie die Person, die ihr gerade gegenüber saß. Kein Schauspiel. Nichts, was man falsch verstehen konnte. Sondern eine ganz normale Szene, wie man sie überall anders hätte beobachten können. Ein Junge und ein Mädchen, schwer verliebt und nur aufeinander fixiert. „Du brauchst nichts mehr zu sagen.“, unterbracht sie ihn. „Du hast Recht ... ich hab es verstanden.“

Atem blickte auf. Tränen glitzerten in seinen Augen. „Hast du das?“

Jetzt schimmerten auch in Kiaras Augen Tränen als sie mühsam nickte. „Du ... hast dich in jemand anderen verliebt. Und da hab ich ... kein Platz mehr.“

Der Pharao ließ den Kopf hängen, ballte jedoch gleichzeitig die Hände zu Fäusten. „Es tut mir leid, Kiara. Es tut mir wirklich schrecklich leid. Ich wünschte, es wäre anders gekommen. Ich wünschte ... ich könnte dir sagen, dass es ein Irrtum war, dass ich nur gedacht habe, mich verliebt zu haben, aber ... ich kann es nicht.“

Kiara legte den Kopf in den Nacken. Alles um sie herum begann sich plötzlich zu drehen. Ein Zittern erfasste ihre Glieder. Ein Zittern, das nicht von der Kälte herrührte. „Das heißt dann wohl...“

Atem sah sie kurz an und schlug dann die Augen nieder. „... es gibt kein wir beide mehr.“



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