I
Ambivalence
"Was ist los, Schnuckeltittchen?"
Jyou grinste breit, als sie auf Omi zukam und auch als diese sie finster ansah, wich sie kein Stück zurück.
"Du weißt genau, dass du mich nicht so nennen sollst!"
Die Gitarristin hasste diesen Spitznamen, den ihr die Sängerin aufgrund ihrer geringen Körbchengröße verpasst hatte wie die Pest.
Fast schon so sehr wie Jyou manchmal selbst.
Klar konnte die Sängerin nett sein. Aber in der Regel war sie das nicht zu ihr. Omi hatte mehr das Gefühl, regelrecht das Biest in Jyou zu wecken. Das behagte ihr nicht.
"Ach komm schon... sei nicht immer gleich pissig deswegen. Du weißt doch, dass es nur Spaß ist."
Jyou schüttelte ihr hellbraungefärbtes Haar und sah zu ihr herüber.
"Lass du erstmal deinen Busen wachsen, dann können wir weiter reden", meinte die Gitarristin daraufhin, was die Sängern schlucken und daraufhin rot werden ließ.
Klatsch!
Das hatte gesessen.
Omi staunte nicht schlecht, als Jyou ihr gehörig eine schepperte.
"Wie kannst du es wagen!",fauchte die Sängerin und ihr Blick war voller Zorn, was Omi von ihr gar nicht gewohnt war.
Okay, sie wusste, dass Jyou regelrechte Minderwertigkeitskomplexe wegen ihrer Oberweite hatte, doch dass diese gleich so ausrasten würde?
Ihre Wange schmerzte ganz schön von der Ohrfeige.
"Krieg dich wieder ein, das war doch nur ein Scherz!", murrte Omi daraufhin, doch die Sängerin schien ihr nicht verzeihen zu wollen.
"Jaja, Scherz... glaubst du, ich hätte nicht gern Titten wie Miko? Ich seh doch, wie alle ihr hinterher gaffen... wie du ihr hinterher gaffst... also verarsch mich nicht!"
Jyou war richtig sauer, das wusste Omi nun. Doch sie verstand nicht ganz, worauf diese hinaus wollte.
"Was soll das denn jetzt? Miko hat damit gar nichts zu tun... also halt sie da raus!"
Omi konnte es partout nicht leiden, wenn jemand ihre Freunde angriff. Auch wenn es sich selbst dabei um eine Freundin handelte.
Nur gut, dass die zwei nach der Probe noch allein im Raum waren. Sonst hätte es wohl richtig Stress gegeben.
"Es... es tut mir leid..."
Nun sah Jyou schon regelrecht geknickt aus, so dass es Omi fast leid tat.
"Hey... schon gut. Was ist denn los? Erklär es mir."
Die Gitarristin war es nicht gewohnt, ihre Sängerin so zu sehen, was wohl bedeutete, dass mit dieser etwas Ernsthaftes los war.
Und sie sollte Recht behalten.
"Du bist so blind...", meinte Jyou verbittert und eine kleine Träne funkelte in ihrem rechten Augenwinkel.
Jetzt verstand Omi gar nichts mehr.
"Was hab ich denn jetzt schon wieder Falsches gema...", doch weiter kam sie nicht, da Jyou auf sie zu trat, die Arme um ihren Hals schlang und ihr einen brutal schönen Kuss auf die Lippen drückte.
Für einen Moment schien die Welt still zu stehen.
In Omi's Kopf herrschte pures Chaos.
Dann machte sie Jyou von sich los und schon sie weg.
"Du spinnst doch...", murmelte die Gitarristin sauer, woraufhin die Sängerin sie nur kalt ansah, sich umdrehte und wortlos ging.
Zurück blieb eine vollkommen verwirrte Omi.
Es dauerte ziemlich lange, bis sie ihre Gedanken halbwegs ordnen konnte und sich endlich auf den Weg nach Hause machte.
Dabei ging ihr Jyou und der Kuss einfach nicht aus dem Kopf.
Sie war am überlegen, ob sie nun sauer sein sollte oder nicht. Doch noch war sie zu durcheinander, um wirklich wütend zu sein. Wahrscheinlich kam das am nächsten Tag.
Omi überlegte, was sie nun tun sollte, doch als ihr Blick auf die Uhr fiel, wurde ihr erst bewusst wie spät und wie müde sie war.
Also legte sie sich ins Bett und versuchte, ihrem Körper und ihrem Geiste ein wenig Ruhe zu gönnen.
Viertel vor Eins.
Omi drehte sich herum.
Zwei Uhr.
Noch immer kein Schlaf.
Drei Uhr.
Doofe Jyou.
Halb Fünf.
Es reichte.
Omi schwang die Beine über die Betkante und erhob sich schwerfällig von ihrer Ruhestätte. Sie wusste, dass sie diese Nacht keine Ruhe finden würde, wenn sie die Sache mit Jyou nicht aus der Welt schaffte.
Also beschloss sie, diese an ihrer Schlaflosigkeit teil haben zu lassen und sie gezwungenermaßen aus dem Bett zu klingeln.
Eilig schlüpfte die Gitarristin in ihre Klamotten und stürmte aus der Wohnung. Ungekämmt und vollkommen zerzaust stand sie alsbald vor der Tür ihrer Sängerin und holte nochmal tief Luft, ehe sie Sturm klingelte und das Klingelschild fast schon eindrückte.
Es dauerte eine Weile, bis eine total verheult aussehende und zerknirscht wirkende Jyou die Tür öffnete. Beim Anblick ihrer Gitarristin wurde ihr Blick wieder kalt und abweisend.
"Hast du 'ne Ahnung, wie spät es ist?", maulte sie und versuchte wieder die Tür zu schließen, doch Omi hatte wohlweislich einen Fuß zwischen Tür und Rahmen gestellt, um genau dies zu verhindern.
"Warum hast du das gemacht?"
Omi klang mehr außer Atem als beabsichtigt, doch das störte sie gerade nicht im Geringsten.
Sie musste es einfach wissen.
"Was?"
Jyou spielte also die Unwissende. Das konnte sie haben.
"Der Kuss. Warum?"
"Ich hatte gerade nichts besseres zu tun. Gespräch beendet."
Jyou wurde immer gereizter. Doch noch würde Omi nicht aufgeben.
"Liebst du mich?"
Die Sängerin sah sie entgeistert an.
"Liebst du mich?", wiederholte die Gitarristin noch einmal, woraufhin Jyou schluckte.
"Vielleicht mag ich dich...", murmelte diese dann und senkte den Blick.
Sie schämte sich also.
Es war ein ungewohntes Gefühl diese Worte von Jyou zu hören, doch es fühlte sich ganz wider Erwarten nicht schlimm an.
Irgendwie machte es Omi fast schon ein wenig glücklich.
"Du weißt, dass ich dich nicht liebe."
Omi wusste, dass ihre Worte für die Andere hart klingen mussten.
Die Sängerin nickte zerknirscht.
"Ich weiß."
"Aber vielleicht könnte ich es. Wenn du mir Zeit gibst."
Jyou sah auf und ihr Blick lag ungläubig auf Omi's Gesicht.
"Verarsch mich nicht..."
Sie klang fast, als würde sie gleich anfangen zu weinen.
Die Gitarristin drückte sanft die Tür auf und zog die Sängerin in ihre Arme.
"Glaub mir... ich könnte es."
Fest presste sie Jyou's warmen Körper an sich und drückte ihr vorsichtig einen Kuss auf's Haar.
"Gib mir Zeit."
