Zum Inhalt der Seite

Mou ii yo

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Mou ii yo

Mou ii yo
 

Shigeru stand wie so oft am Fenster; in seinem Blick lag etwas Starres und zugleich Gelöstes. Ein Ausdruck zwischen Lächeln und Trauer. Er verspürte Erleichterung, während er die Aussicht betrachtete, die er so gut kannte, mit der er aufgewachsen, in die er hineingewachsen war. Er stand da und im Zeitlupentempo tat er nichts. Dann gähnte er. Zwischen roten Dächern, blauen Dächern, ausgestelltem Neonlicht und orangefarbenen Fernsehantennen gab es siebenhundertdreiundfünfzig Variationen von Grau. Wenn die Sonne schien oder unterging, sah es gar nicht so schlimm aus, aber wenn der Himmel mit dichten Wolken verhangen war, war es furchtbar. Die vielen Grautöne zogen in seine Seele ein, die vom unsicheren Dasein der schnell hochgezogenen Häuser durchdrungen war, die ebenso schnell wieder abgerissen werden konnten. Der Duft des Kaffees, der erst vor eine Stunde gebrüht worden war, verflog bereits.

„Warum tut er das?“, fragte Shigeru sein Spiegelbild. „Keine Ahnung“, antwortete er zwei Oktaven tiefer als normal und stemmte dabei die Hände in die Hüften. Er sah zu, wie die Wanne voll lief, und goss eine ganze Flasche Shampoo in den Wasserstrahl. Auf dem Wasser bildete sich cremiger Schaum. Schaumberge, Melonenduft. Seine Lider standen still. Er wusste, es war unschön, was er vorhatte. „Badezeit“, sagte er tonlos zu seinem Spiegelbild, das unter dem beschlagenen Glas nur noch als verschwommener Umriss zu erkennen war. Shigeru musste lächeln, als er mit der Hand über den Spiegel wischte. Die Bewegung ähnelte einem großen, verzweifelten Abschiedswinken.

Nur Kopf, Knie und Schultern gucken aus dem Wasser heraus, wie abgeschnitten und ausgestellt. Das Wasser war ein bisschen zu heiß: perfekt.

Der Schnitt wurde zaghaft und vertikal entlang der Ader ausgeführt. Aus Angst, einen Fehler zu machen, drückte er die Klinge ganz langsam durch die Haut, als könnte sie durch zu viel Druck abbrechen. Die Haut schob sich zurück, riss sofort auf und Blut schoss heraus und färbte das Wasser in tropischem Rosa.

Ein Gemüsemesser erschien ihm als sehr banales Werkzeug seinem Leben ein Ende zu setzen. Er hätte lieber ein gesegnetes Schwert gehabt, etwas Dekoratives – eine Einlegearbeit mit Achat und Jade.

Er reckte den Hals, legte den Kopf in den Nacken und stabilisierte so das Gleichgewicht. Dabei verlängerte sich auf schöne Weise der Brustkorb, während der Seifenschaum lieblich seine Taille umspielte. Er wollte, dass seine Leiche einen ordentlichen Anblick bot, keinen unschönen Haufen Mensch.

Das Blut des Neunzehnjährigen bildete im Wasser Kringel, ein Bild, das an Werbeclips für rechtsdrehenden Joghurt erinnert. Die Schaumblasen platzten eine nach der anderen ... manchmal auch mehrere auf einmal.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2010-12-19T02:49:57+00:00 19.12.2010 03:49
Das mit dem Joghurt ist eine witzige Idee ^^ Also ich kenne die Gefühle sehr, wirklich sehr genau. Aber im Grunde sind diese Gefühle nur ein Tod auf Raten, saugen aus. Wie bei einem Ballon mit einem winzigen Loch drin... Gut geschrieben ist es meiner Meinung nach auf jeden Fall.


Zurück