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Verloren in der Einsamkeit

von

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Rettungsmaßnahmen

Am nächsten Morgen fühlte sich Yuyan wie gerädert, in seinem Mund haftete ein ekelerregender Geschmack, den er am liebsten auf den Traum geschoben hätte, wenn das nicht bedeutet hätte, dass er real gewesen wäre. Genauso glaubte er die ganze Zeit über, einen überdimensionalen Penis in seinem Rectum stecken zu haben. Jedes Mal, wenn er unwillkürlich danach tastete, stellte er fest, dass es eine Einbildung war und zog seine Hand wie ertappt wieder zurück. Die anderen sollten nichts von seinem inneren Konflikt bemerken.

Eine böse Überlegung kroch in seinen Verstand: Vielleicht fühlte es sich alles so echt an, weil es sich tatsächlich abgespielt hatte; vielleicht hatten ihn Yin und Gavin doch vergewaltigt, während er geschlafen hatte…

Nein, so einen Wahnsinn ließ er sich nicht in seinen Kopf pflanzen, das bildete nur den perfekten Nährboden für ein nicht mehr zu heilendes Misstrauen gegenüber seinen neuen Begleitern.

„Yuyan, ist alles in Ordnung bei dir?“, erkundigte sich Gavin vorsorglich, weil Yuyan seit dem Aufstehen noch stiller als sonst vor sich hinstarrte. „Du bist so blass. Wenn etwas ist, musst du es sagen.“

„Nein, es ist nichts.“ Und wieder musste er lügen, um nicht sein völlig kaputtes Seelenleben zu offenbaren; jedes Mal, wenn er es Gavin gegenüber tat, fühlte er sich danach schlecht, aber diese Selbstschutzreaktion war nur eine verständliche Handlung, immerhin wollte er auch seine neuen Begleiter schonen und nicht sein Martyrium bei jeder sich bietenden Gelegenheit vortragen.

Sie glaubten ihm oder gaben es zumindest vor, wie schon davor, wenn er ihnen nicht beichten wollte, was ihn quälte und zu unverständlichen Taten zwang. Einerseits war Yuyan ihnen für dieses stumme Verständnis dankbar, andererseits ärgerte er sich über seine eigene Unfähigkeit, Normalität vorzutäuschen.

Kein Wunder, dass ihn andere Jungen immer schlecht behandelt hatten, wenn er nicht in der Lage dazu gewesen war, sich wie einer von ihnen zu benehmen.
 

Die Tage unterschieden sich nicht großartig voneinander; man wachte auf, meistens in einem von Morgentau getränkten Grasbett, betrachtete den Himmel und die Wolken und begab sich zum Sack mit den Nahrungsmitteln, um sich und den anderen ein Frühstück zu bereiten. Man nahm es immer zusammen ein, wie in einer kleinen Familie; das hatte es in Nijagata kaum noch gegeben, jeder hatte sein eigenes Frühstück zu seiner individuellen Tages- und auch Nachtzeit in sich hineingeschaufelt und sich wieder seinen Tätigkeiten zugewandt.

Darauf folgte meistens unerwartete Langweile, außer wenn man den Wald erkundete oder mit einem der drei ein Gespräch begann, das aber schon nach kurzer Zeit wieder abbrach, da man sich ehrlich gesagt nichts zu sagen hatte. Man hatte noch zu wenig miteinander erlebt.

Yuyan empfand dieses Leben als unerwartet trostlos, weil man einfach allein und mit den Gedanken bei sich selbst in den Tag hinein lebte, immer nur dieselben drei kränklichen Gesichter im Blickfeld hatte und sich eine feste Bleibe und ein Dach über dem Kopf wünschte, weil man es einfach von früher gewohnt war, obwohl man es in diesem Wald nicht brauchte.

Langsam verstand Yuyan, warum Gavin öfter als nötig zum See ging und dort auch seinem dünnen Körper die Freude bereitete, die er ansonsten im Alltag nicht finden konnte. Alles erschien auf seine Weise hoffnungslos; Jael litt leise, aber deutlich sichtbar vor sich hin, Yin schien die ganze Welt zu hassen und zu verfluchen, so wie seine negative Ausstrahlung auf Yuyan wirkte, und sogar Gavin, der Normalste von ihnen, bekam oft seine Phasen, in denen er in die Ferne starrte und sich leise murmelnd Vorwürfe machte.

Es war ein auf unbegrenzte Zeit laufendes Trauerspiel und es tat Yuyan leid, dass er ihnen nicht helfen konnte, aus dieser Spirale der Entmutigung zu entfliehen, aber er wollte ihnen nicht vorschlagen, ihre Sachen zu packen und von hier wegzuziehen. Dann wäre sein einziger Zufluchtsort, der nicht in Sevens Nähe lag und in dem noch andere Menschen lebten, verloren.

Dabei hatte er sich schon in den wenigen Tagen so an das Zusammenleben mit den dreien gewöhnt; einfach, weil sie ihn akzeptierten und ihn nicht auf einer Stufe unter ihnen ansiedelten.

Aber seine Angst konnte er trotz allem nicht ablegen, die Sorge, die ihn durch diesen grauenhaften Traum befallen hatte, ließ sich nicht so leicht abschütteln, wie er es gerne gehabt hätte, dabei wusste er einfach, dass sie es nicht getan haben konnten. Es hatte keinerlei Beweise gegeben, dass es sich in der Realität abgespielt hatte, außer dieses merkwürdige Gefühl und das konnte auch eine Täuschung sein.

„Yuyan, kommst du mit, ich will für uns ein Tier zum Essen fangen.“ Gavin wollte ihn wieder einmal in eine Tätigkeit involvieren, doch Yuyan bezweifelte, dass er ihm auch nur in irgendeiner Weise behilflich sein könnte; eher verschreckte er das Tier im ungünstigen Augenblick und Gavin durfte sich eine neue Beute suchen und sich an sie anschleichen.

„Nein, ich bleib lieber hier.“ Und suchte sich etwas anderes, womit er sich beschäftigen konnte, was auch Gewinn für die anderen einbrachte.

„Irgendwann wist du auch mal jagen müssen“, stellte Yin, der ihr Gespräch mitverfolgt hatte, klar. „Du kannst dich nicht ewig darum drücken.“

„Lass ihn doch, Yin.“ Gavin sah schon wieder, dass Yin das nur aus reiner Provokation sagte. „Ich kann das und bevor wir ihm etwas aufzwingen, mach ich das besser.“

„Tu, was du nicht lassen kannst“, brummte Yin missmutig. „Ich suche neues Moos für Jael. Du bleibst hier und passt auf Jael auf, Yuyan.“

Das bedeutete, er dufte sich auf einen Fleck setzen, sich am besten nicht bewegen und darauf achten, dass sich Jael Zustand nicht veränderte. Im Endeffekt glitt er dann wieder in seine trüben Gedanken ab und fühlte sich danach schlecht, weswegen er diese Aufgabe am aller wenigsten mochte. Aber er protestierte nicht, Yin wurde viel zu schnell sehr giftig und teilweise ungerecht, wenn man sich nicht nach seinen Anweisungen richtete. Nur Gavin bildete da eine Ausnahme, aber wohl auch nur, weil Yin wusste, dass er das sich bei ihm nicht andauernd leisten durfte.

Gavin und Yin zogen los, um sich ihren Aufgaben zu widmen und Yuyan machte es sich neben Jael bequem.

„Was ist los mit dir?“, fragte ihn Jael unerwartet und drehte ihm mit großer Anstrengung den Kopf zu. „Du bist immer schweigsamer geworden, seitdem du hier bist. Wir machen uns Sorgen um dich. Auch Yin, auch wenn du es nicht glauben wirst. Aber er hat leider eine seltsame Art, es auszudrücken.“

„Es ist nichts.“ Das sagte er jedes Mal und jedes Mal glaubte es ihm keiner, aber niemand von ihnen verstand, dass er darüber nicht offen reden konnte.

„Wir wollen dir… doch nur helfen.“ Das von Jael zu hören, der selbst ununterbrochen Hilfe benötigte, fand Yuyan fast schon paradox. „Es muss Gründe geben, warum du freiwillig… hier her gekommen und auch geblieben bist. Und ich… glaube auch, dass sie etwas damit zu tun haben, warum… du dich so benimmst, wie du dich benimmst.“

„Bitte, lasst mich einfach in Ruhe.“ Irgendwann verzweifelte er noch an dieser Besorgnis, die Jael und Gavin ihm entgegen brachte. Wie sollte er auch damit umgehen, wenn er sonst nur Ignoranz und Arroganz ihm gegenüber wahrgenommen hatte? Sonst hatten alle weggesehen, wenn man ihn gequält hatte; und plötzlich stand er sozusagen mit seinen Problemen im Mittelpunkt, diesen extremen Umschwung verkraftete er nicht.

„Du kannst nicht ewig vor der Wahrheit weglaufen“, flüsterte Jael heiser. „Irgendwann kommt sie ans Licht und du… gehst daran kaputt. Wenn das nicht schon lässt… passiert ist. Yuyan, ob du es willst oder nicht, wenn wir ein… richtiges Zusammenleben haben wollen, dann müssen wir… zumindest teilweise deine Vergangenheit kennen. Sonst ist das kein Miteinander… nur ein Nebeneinander, das irgendwann zerbricht. Und das willst du doch nicht.“

Vor Erschöpfung schloss er die Augen und schwieg; so viel hatte er noch nie geredet, seitdem Yuyan ihn kannte und er hätte es ihm nicht zugetraut.

Aber das schlimmste war, dass Jael recht hatte und Yuyan es nicht wahrhaben wollte.

Er nahm das kleine Wasserschüsselchen neben dem Lager und drückte es Jael an den Mund, weil er ihm ansah, dass sein Hals durch die vielen Worte schmerzhaft trocken geworden war.

„Ihr wollt es gar nicht wissen, was alles passiert ist.“ Er stellte die Schale wieder weg, nachdem Jael fast den ganzen Inhalt hinuntergeschluckt hatte.

„Und trotzdem müssen wir es, um dich besser zu verstehen. Du musst auch Sachen von uns wissen, um uns besser einschätzen zu können.“ Jael schenkte ihm ein schwaches Lächeln.

„Erzähl es mir später, sonst überanstrengst du dich.“ Und dann wäre Yuyan wieder schuldig und Yin hätte einen guten Grund, sich über ihn aufzuregen. Nein, das ließ er lieber nicht zu. Jael hatte für die nächste Zeit genug gesprochen, er brauchte wirklich erst einmal Erholung, bevor er ihn in die Vergangenheit der anderen einweihen sollte.

Jael kam seinem Ratschlag nach, schien sogar einzudösen, sodass Yuyan wieder auf sich selbst gestellt war und sich von seinen eigenen Gedanken ablenken musste, weshalb er sich ein Messer aus dem Sack mit den wild zusammen gewürfelten Gegenständen zog, sich einen etwas dickeren Ast von einem Baum abbrach und seinen ganzen Verstand darauf konzentrierte, aus diesem Stück Holz eine Art übergroßen Zahnstocher zu schnitzen. Er hatte keinerlei Erfahrung in solchen Arbeiten, musste sich ganz auf sein Gefühl und die Möglichkeiten, die das Messer ihm boten, verlassen.

Vielleicht war das Ergebnis in irgendeiner Weise ansehnlich und hilfreich; dann hätte er sogar noch etwas Nützliches zustande gebracht und gleichzeitig seine Aufgabe erfüllt. Mehr als darauf zu achten, dass Jael genügend Wasser bekam oder kleine Stückchen von den Waldäpfel essen konnte, war hier nicht möglich, das musste sogar ein überanstrenger Yin einsehen.

Nach ungefähr einer halben Stunde wachte Jael wieder auf; Yuyan hatte inzwischen seinen dritten Ast angefangen und frustriert feststellen müssen, dass man die Äste nicht einmal als Dekoration in den Boden stecken konnte, so verkorkst sahen sie aus.

„Jetzt musst du mir zuhören, ob du willst… oder nicht“, warnte ihn Jael vor und stützte sich auf die Ellbogen, um nicht ganz so schwächlich zu wirken, nahm Yuyan an. Der letzte Funke von männlichem Ego, das in ihm aufglomm. „Am wichtigsten ist für dich, dass Yin… nicht so bösartig ist, weil es ihm Spaß macht… er kommt mit allem nicht zurecht. Dauernd hat er Angst, dass ich… sterben werde und er nichts… dagegen tun kann. Aber er kann seine Verzweiflung nicht… richtig ausdrücken und deswegen… leiden immer die anderen darunter. Früher war es… meistens Gavin, jetzt du, weil du… neu bist und immer so angreifbar wirkst. Bitte… nimm es ihm nicht übel, eigentlich… ist alles, was er sagt, gegen… sich selbst gerichtet.“

Zwar war es für Yuyan ein wenig unverständlich, warum Yin diesen Selbsthass, den er wohl wegen seiner Hilflosigkeit auf sich empfand, auf andere umleiten musste, aber es erklärte wenigstens, warum er immer so feindselig und reizbar erschien.

„Ich bin leider schon immer… gesundheitlich angeschlagen, das war schon in Nijagata so… aber da kannte mich Yin nur… flüchtig und hat es nicht so extrem mitbekommen. Aber ich bin mir sicher, ich werde… das hier überstehen, ich hab schon… andere Krankheiten irgendwie überlebt.“ Er seufzte vor Anstrengung und bat Yuyan um einen weiteren Schluck Wasser.

„Bei Gavin wird dir auch bestimmt aufgefallen sein, dass bei ihm… nicht alles im grünen Bereich ist. Aber er gibt sich die Hauptschuld, dass alle… an den giftigen Beeren gestorben sind. Und er nimmt an, dass Yin… ihn insgeheim dafür hasst, das ich… dadurch auch schon so ewig lang leide. Das Problem ist, Gavin hat uns aufgetragen, die Beeren, zu pflücken und zu… essen, deshalb kann man ihm sagen, was man will, er wird… sich für immer Vorwürfe für seinen Fehler machen.“

Mehr packte Jaels Stimme endgültig nicht mehr, selbst wenn ihm noch so vieles auf dem Herzen gelegen hatte, sie versagte ihm einfach und außer einem leisen Krächzen brachte er nichts mehr hervor. Unglücklich presste er die Lippen aufeinander und schien zu warten, dass Yuyan nun es als seine Pflicht ansah, ihm von seiner Vergangenheit und den Gründen für sein Handeln berichtete.

Yin, der mit einem Stapel Moos auf dem Arm zu ihnen angestapft kam, befreite Yuyan davon, denn er forderte ihn auf, mit ihm zusammen das Moos auszutauschen.

Während Yin also Jael auf seinen Schoß zog, war Yuyan damit beschäftigt, das Lager zu erneuern. Zum ersten Mal war er wirklich dankbar über Yins plötzliches Auftauchen, der wohl nicht davon begeistert gewesen wäre, wenn er Jael mit seinen Erlebnissen überschüttet hätte, denn laut Yin musste Jael rund um die Uhr geschont und versorgt und auf keinen Fall beunruhigt werden.

Solange also Yin um sie herum wäre, hätte Jael gar keine Chance, die Wahrheit aus ihm herauszubekommen.
 

Yuyan hatte es versucht, die ganze Zeit zu vermeiden, aber irgendwann ließ es sich nicht mehr aufschieben; ein Bad im See in der Anwesenheit von Gavin. Er hätte es so gerne ohne Schwierigkeiten angenommen, das Wasser sah so verführerisch klar aus, aber die Angst, sein ständiger Begleiter, ließ ihn nicht los.

Während Gavin sich schon flink wie ein Fisch im See vergnügte und nur auf ihn wartete, stand Yuyan am Rand, die Unschlüssigkeit, welchem Gefühl er nachkommen sollte, lähmte seine Handlung, statt Gavins Beispiel bedenkenlos zu folgen, sah er nur auf die Wasseroberfläche, in der sich seine traurige Miene widerspiegelte, und stellte betrübt fest, was für ein Verlierer er war.

„Komm, Yuyan, es wird dich nicht fressen“, hörte er die aufmunternden Worte und ein Rauschen von Wasser; Gavin kam auf ihn zugeschwommen, bis er den Rand erreicht hatte, seine Hände auf die Erde legte und zu ihm aufblickte. „Du brauchst keine Angst zu haben, ehrlich.“ Aus Gewohnheit streckte er die Hand nach ihm aus, bis er sich an Yuyans übliche Reaktionen erinnerte und seine Hand schließlich halb in der Luft hing.

„Ich… kann nicht.“ Er schämte sich so für seine Schwächlichkeit, dass er am liebsten davon gerannt wäre, aber es hätte ein weiteres Mal bewiesen, dass er sich von allem unterdrücken ließ.

Einen kurzen Augenblick überlegte Gavin intensiv. „Ich kann mich auch umdrehen. Dann kannst du dich umzuziehen und ins Wasser steigen und ich seh dich nicht.“ Er vermutete, dass Yuyan einfach ein allgemeines Problem mit Nacktheit oder seinem Körper hatte. Wie versprochen drehte er ihm den Rücken zu und hoffte, mit seiner Rücksichtnahme auf Erfolg zu stoßen.

Yuyan atmete tief durch, bevor er sich dazu zwang, Ruhe in seinen Verstand zu bringen und mit langsamen Bewegungen seine Kleidung abzustreifen. Darunter kamen die Kratzer, blauen Flecken und Erinnerung der Zeit zum Vorscheinen, die er nur zu gerne rückgängig gemacht hätte. Aber vergessen war nicht möglich.

Seine Finger prüften die Temperatur des Wasser, sie hielt sich in einem angenehmen Bereich auf, der ihm gut tun sollte; er setzte sich auf die Kante und landete mit einem deutlichen Platschen im See.

Er hatte es geschafft, seine Furcht teilweise zu überwinden.

Das Geräusch nahm Gavin als Signal, sich ihm wieder zuwenden zu dürfen, und als Yuyan die fremden Augen seinen sichtbaren Teil des Oberkörpers streifen sah, tauchte er reflexartig noch ein ganzes Stück tiefer ein.

Yuyan rubbelte sich ausgiebig über Arme, Beine und Bauch, um die dünne Schmutzschicht, die sich dank des Waldes viel zu schnell über einen legte, zu entfernen und sich wohler zu fühlen. Auch seine Haare mussten diese Prozedur auf sich nehmen, in ihnen hingen nämlich einige Pollen, Baumrindenstückchen und Grashalme. Kleine Tiere hatten sich zum Glück nicht dort eingenistet.

Obwohl er früher nicht oft geschwommen war, bewegte er sich schon nach kurzer Zeit wie selbstverständlich durch die kleinen Wellen und tauchte ab und zu sogar ab, um zu erkunden, was sich am Grund des Gewässers befand, ob dort Pflanzen oder kleine Tiere ihren Lebensraum aufgeschlagen hatten.

Gavin war immer in seiner Nähe, aber er kam ihn nie so nahe, dass er sich bedrängt vorkam oder die Überlegung der Flucht in ihm aufstieg; vielleicht hatte er sich aus seinen Beobachtungen zusammengereimt, mit welchen Hindernisse Yuyan zu kämpfen hatte.

Nach über einer Stunde und einigen unfreiwilligen Schlucken Seewasser beschloss Yuyan, sich endlich genug ausgetobt zu haben und schlug Gavin vor, wieder zu den anderen zurückzukehren, die bestimmt schon auf sie warteten. Yin hätte solcher wieder Arbeit für ihn, der er noch auf sich nehmen sollte.

„Wenn du meinst. Ich mags hier drin.“ Trotzdem zog sich Gavin ans Ufer und hielt Yuyan seine Hand hin, damit er leichter herausklettern konnte.

Natürlich ging Yuyan nicht darauf ein, so euphorisch hatte ihn diese Wohltat nun auch nicht gemacht, dass er übermütig wurde und nicht mehr an auf der Hut war.

„Was hast du da?“ Gavin sah auf eine nicht vom Wasser bedeckte Stelle an Yuyans Hals. „Hast du dich verletzt?“

Erschrocken legte Yuyan seine Hand über die Schramme und wandte sich ab, um ihm mögliche Blicke zu verwehren. Allerdings wusste er, dass sich durch diese reflexartige Reaktion alle Erklärungen mit dem Inhalt, es handle sich um eine zu vernachlässigende Verletzung, schon im Voraus als gelogen herausstellen würden.

„Yuyan, bitte, du kannst nicht immer weglaufen.“ Gavin schwankte zwischen Ärger, Ratlosigkeit und Mitleid, wobei letzteres überwog. „Ich will doch nur, dass du die Wahrheit sagst. Ich geh hier erst weg, bist du mir alles erzählst.“

Yuyan konnte ihm diesen Erpressungsversuch nicht einmal übel nehmen und trotzdem spürte er zum ersten Mal Wut in sich aufsteigen. Niemand achtete darauf, wie es ihm ging, alle dachten in erster Linie an ihren Vorteil und nicht an ihn, der litt und unterdrückt wurde und einfach nicht mit seinem Dasein zurechtkam.

Ohne genau nachzudenken, zog er sich aus dem See, stieß Gavin zur Seite, der ihn an der Schulter packen wollte, und rannte in Richtung Lager davon, obwohl ihm in seinem Hinterkopf eine Stimme anschrie, wieso er sich immer tiefer ins Unglück stürzte.

Gavin reagierte schneller auf seinen Versuch des Entkommens als er ihm zugetraut hatte, denn nach nicht einmal zwanzig Meter schwangen sich zwei Arme um Yuyans Hüfte und das Gewicht des Anderen brachte ihn nicht sehr sanft zu Fall, drückte ihn auf den von Gras bewachsenen Boden und pressten ihm die Luft aus dem Lungen.

„Geh runter!“ Verzweifelt wand sich Yuyan, sein Brustkorb begann zu schmerzen.

Beschämt über sein übertriebenes Verhalten rutschte Gavin von ihm herunter, hielt ihn aber weiterhin am Handgelenk fest, um zu verhindern, dass er noch ein weiteres Mal vor ihm davon laufen wollte.

Yuyan blieb zusammengekrümmt liegen, schlimmer konnte es zwar nicht mehr werden, aber es genügte, dass Gavin seinen zerkratzten Rücken in Augenschein nehmen konnte. Seinen Bauch musste er ihm nicht auch noch präsentieren.

Er spürte, wie Gavin zögernd über seine Haut tastete, die Ränder der noch blass zu erkennenden Flecken nachfuhr; seine Finger zitterten, er schien zu begreifen, wie das Geheimnis aussehen musste, was Yuyan seit seiner Ankunft vor ihnen verbarg.

Die Stille zwischen ihnen verriet, welche Betroffenheit immer mehr von Gavin Besitz ergriff. Vorsichtig hob er Yuyan hoch, damit er nicht mehr vor ihm wie ein sterbendes Tier lag, und biss sich auf die Lippe, als er das ganze Ausmaß der Unmenschlichkeit, die Yuyan so lange erduldet hatte, direkt ansehen konnte.

Yuyan setzte sich in eine bequemere Position und legte die Arme um seine Knie, um wieder sein Gefühl von Schutz hervorzuzaubern. Er wollte Gavin nicht belasten, noch weniger, seitdem Jael ihm die genauen Verhältnisse hier erläutert hatte, aber Gavin ließ ihn nicht von hier weg, bis er ihm alle wichtigen Fakten geschildert hatte. Stockend und mit aufsteigender Übelkeit flüsterte er ihm zu, was sich im Wasserstamm zugetragen hatte, wie Inume und Seven ihn zu diesen Schatten seiner selbst gemacht hatten, welche Angst er deshalb vor Berührungen und Zärtlichkeiten aller Art empfand.

Jedes grausame Detail schien Gavin körperliche Schmerzen zu bereiten, er war inzwischen mindestens so blass wie Yuyan und fast genauso den Tränen nahe. Obwohl er es nicht selbst erlebt hatte, verfügte er über genügend Empathie, um sich Yuyans Seelenqualen auszumalen.

Immer wieder erweckte er den Eindruck, als wollte er Yuyan zur Beruhigung umarmen, ihm damit zeigen, nicht mehr alleine mit seinem Schicksal und der Vergangenheit dazustehen, aber rechtzeitig erinnerte er sich daran, ihm dadurch keinen Gefallen zu tun, ihn sogar noch zusätzlich einzuschüchtern und vielleicht unter Druck zu setzen.

„Aber sag es nicht Yin und Jael, bitte.“ Lieber sollt er sie anlügen anstatt ihnen mit diesem Geheimnis das Leben unnötig schwer zu machen.

Gavin nickte nur stumm, zum Zeichen, dass er ihn verstanden hatte, aber seine versagende Stimme wollte er ihm nicht antun.

„Ich hoffe, du verstehst jetzt, warum ich so bin, wie ich bin. Warum ich nachts nicht bei euch schlafen kann…“ Und dauernd von der Erkenntnis überflutet wurde, nichts in seinem Leben erreichen zu können.

Sie saßen noch lange beieinander, den Blick auf die Wiese oder den Himmel gerichtet, mit den Gedanken in weiter Ferne und der Gewissheit, durch das gemeinsame Wissen verbunden zu sein.

Schließlich räusperte sich Gavin, etwas verschämt, diese Stille zu stören. „Ich weiß, dass es sich dumm anhört… aber ich würde dir gerne helfen, darüber hinweg zu kommen. Irgendwie.“ Er schien seine Worte schon zu bereuen, kaum dass er sie ausgesprochen hatte. „Vielleicht können wir üben, damit du nicht mehr so viel Angst davor hast. Natürlich nur, wenn du willst. Und auch nicht sofort.“

Es war ein merkwürdiges Angebot, auf das Yuyan nicht vorbereitet gewesen war und von dem er nicht sagen konnte, ob es überhaupt etwas brachte. Vielleicht machte er Fortschritte, vielleicht verschlimmerte es alles noch, vielleicht wirkte der positive Effekt nur, wenn Gavin ihn dann berührte. Man konnte es nicht abschätzen; ihnen blieb zum Feststellen nur die Möglichkeit, es auszuprobieren.

„Nicht heute.“ Wenn er sich mit dem Gedanken vertraut gemacht und sich seelisch darauf vorbereitet hatte, konnten sie einen Versuch starten. „Ich sage dir, wann.“

Gavin nickte zur Bestätigung, höhere Erwartungen legte er gar nicht an ihn. Übertreibungen waren schädlich und endeten darin, dass sie unverrichteter Dinge abbrechen mussten. Nichts, womit Yuyan geholfen wäre.
 

Es dauerte eine geschlagene Woche, in der Gavin schon befürchtete, seine Idee wäre doch nur als wahnsinnige Folter und nicht als gutgemeinte Hilfe aufgenommen worden, bis Yuyan eine Entscheidung traf. Er ließ sich darauf ein, stellte sich endlich dieser Angst, die ihm so Vieles erschwerte, aber mit der Bedingung, sofort abbrechen zu dürfen, falls es ihm zu viel wurde.

Yin und Jael bekamen von ihrem Vorhaben nichts mit, keiner von ihnen erzählte ihnen, was tatsächlich am Seeufer geschehen sollte; stattdessen nahm Yin an, nach seinen gehässigen Bemerkungen schließend, dass Gavin und Yuyan sich die Zeit anderweitig versüßten. Yuyan verzieh ihm diese Dreistigkeit, weil er von ihm solche Äußerungen inzwischen gewohnt und er nicht der Eingeweihte war, der seinen inneren Konflikt kannte.

Gavin saß schon am Rand des Sees, seine Füße hingen im Wasser und an seiner angespannten Haltung las Yuyan, dass dieser Augenblick für ihn fast genauso bedeutsam war wie für ihn. Es fühlte sich gut an zu spüren, nicht allein zu sein.

„Setz dich zu mir.“ Mit seiner Hand klopfte er auf die Erde neben sich. „Sag Beschied, wenn wir anfangen können.“

Nervosität flutete Yuyans Verstand, als er der Aufforderung nachkam, sich mit ein wenig Abstand zu ihm niederließ und auf seiner Lippe herumkaute, als verflöge dadurch das schnelle Schlagen seines aufgeregten Herzens. Seine gesamten Sinne richteten sich auf den Moment, wenn Haut auf Haut traf und seine Gefühle wieder überhand nahmen.

Die erste Berührung ihrer Fingerspitzen weckte mehr Überraschung als Schrecken in Yuyan, was ihn hoffen ließ, doch je mehr Finger sich auf seine Hand schoben, um sie einzuschließen, desto mehr verfiel er in die alten Muster und es hätte nicht viel gefehlt und er hätte sich losgerissen.

Zu schnell wurde ihm alles zu viel.

Hastig rückte Gavin von ihm ab, in seinen Augen lag der Fehler bei ihm, die falsche Methode hatte er angewandt. Wenn sogar er ihn einengte, war es kein Wunder, dass er sich an früher zu stark erinnerte und abblockte, sich vor ihm verschloss und sich wegducken wollte.

„Es tut mir leid.“ Yuyans beschämter Blick ruhte auf der Wasseroberfläche, den Mut, Gavins direkt anzusehen brachte er nicht hervor. Seiner Meinung nach trug er die alleinige Verantwortung, wenn er versagte, sonst niemand, am allerwenigsten Gavin.

„Das muss es nicht. Für den Anfang ist es ganz normal, wenn du noch Angst hast, auch wenn du weißt, dass ich es bin. Das sind bei dir so etwas wie erlernte Reflexe, die werden wir mit viel Übung sicher los.“ Er sprach darüber, als hätte er ungeheure Ahnung, das schon tausend Mal ausprobiert; Yuyan wusste, dass dem nicht so war und trotzdem beruhigte ihn Gavins Zuversicht. Er gab ihm nicht auf, obwohl er ein hoffnungsloser Fall war.

Der nächste Probelauf wurde gestartet, dieses Mal umfasste Gavin von unten Yuyans Hand, um ihr nach oben hin Freiraum zu lassen. Er konnte sogar über die Handwurzel an den Unterarm entlang wandern, ohne eine negative Rückmeldung zu erhalten. Er sah eine gewisse Abneigung in Yuyans Gesicht, aber sie wandelte sich noch nicht in haltlose Panik und das freute ihn.
 

Die darauf folgenden Fortschritte waren winzig und ohne Gavins aufbauende Worte hätte Yuyan das Projekt vorzeitig beendet; sobald die fremde Hand die Mitte seines Unterarms erreichte, hielt er es nicht mehr aus und schüttelte sie ab, immer wieder, selbst wenn er sich selbst immer wieder sagte, sich nicht fürchten zu müssen, sich lieber zu entspannen.

„Es ist sinnlos.“ Yuyan biss sich so heftig auf die Lippe, dass der Schmerz durch sein ganzes Nervensystem schoss. „Ich werde das nie schaffen…“ Ärgerlich besah er sich seine zitternden Finger.

„Sag das nicht. Wenn du dich selbst unter Druck setzt, bist du zu angespannt, um normal auf mich reagieren zu können.“ Gavin überlegte einen Augenblick, seine Miene verzog sich nachdenklich. „Wir können es auch andersrum versuchen.“

„Wie meinst du das?“ In Yuyan machte sich schon wieder die Hoffnungslosigkeit breit. „Es wird nichts, ich muss es akzeptieren.“

„Hör mir wenigstens mal zu. Vielleicht solltest du erst mal in der Lage sein, andere zu berühren, bevor du es bei anderen zulässt.“

Es klang vernünftig, in diesem Fall hätte er wesentlich mehr Kontrolle über die Situation und konnte einen Rückzieher machen, so wie es ihm beliebte.

„Zwing dich zu nichts. Alles ist deine freie Entscheidung.“

Gavin streckte ihm seine Hand entgegen; nah genug, dass er sie erreichen konnte, weit genug entfernt, um sich durch sie belästigt zu fühlen.

Yuyan betrachtete sie; die eingerissenen Nägel, kleine Narben und Kerben bedeckten die Haut. Man sah ihnen das harte Leben in diesem Wald an, sie verbargen nichts. Seine eigenen ähnelten ihnen, aber sie waren blasser, wie sein gesamter Hautton.

Er umfasste Gavins Fingerkuppen, die Assoziation mit Holz schwebte in seinen Verstand, bevor er an ihnen entlang strich. Diese Hände würden sich hoffentlich nie gegen ihn erheben, er war darauf angewiesen, auf ihnen sein schwaches Gerüst des Vertrauens neu zu erbauen.

Wie in Trance hockte Gavin vor ihm, fasziniert von dieser Sanftheit, mit der Yuyan seine Handflächen erkundeten, die Handlinien nachfuhr und die Bögen und Schleifen der Fingerbeere ansah. Noch nie hatte sich jemand so lange und intensiv seinen Händen zugewandt und die leichten Berührungen, wie ein schwacher Windhauch, ließen ihm unwillkürlich Schauer über den Rücken laufen.

Nach langem Nachdenken löste Yuyan seine Hände von den hunderten von Linien, die wie in einer geheimnisvolle Landkarte vereint vor ihm lagen, und legte seine Finger an seinen Hals. Fast glaubte er zu ertasten, wie das Blut durch die Adern lief, der schnelle Herzschlag bis dort pochte. Selbst wenn es Einbildung wäre, das störte ihn nicht, in Yuyan wuchs eine viel zu selten erlebte Entspanntheit heran.

Er durfte fühlen, er durfte bestimmen, wo er Gavin berührte, es lag in seiner Hand, wie lange dieses Spiel der Sinne andauern konnte.

Sein Blick traf den von Gavin und in den Tiefen schimmerte eine Sehnsucht, auf die er bei ihm nicht vorbereitet war, ein Bedürfnis nach echter, aufrichtiger menschlicher Nähe, die er in diesem Dreiergrüppchen nie erhalten hatte, denn Yin hatte Jael, Jael hatte Yin. Nur er ging leer aus und blieb einsam.

Vielleicht brauchte Yuyan nicht nur ihn; vielleicht brauchte Gavin ihn mindestens genauso sehr, auch wenn er es ihm nicht sagen konnte.
 

Ratlos stand Yuyan mitten im tiefen Wald. Nach langer Diskussion hatte sich Yin durchgesetzt und Gavin dazu gebracht, sein Einverständnis zu geben, dass Yuyan zum ersten Mal selbst allein auf die Jagd gehen sollte.

Er hielt davon nichts, Yuyans Meinung nach endete es nur darin, dass er das Tier wieder laufen ließ, weil er Mitleid ihm gegenüber empfand, obwohl es Nahrung bedeutet. Solange sie sich mit Beeren, Kräutern und Blumennektar eindecken konnte, bestand nicht der Zwang, ein Tier zu töten, egal wie gerne er Fleisch aß.

In seiner Hand hielt Yuyan eines der Messer, die noch aus Nijagata stammten, es erschien ihm zu klein und unhandlich für die bevorstehende Tätigkeit. Die Abnutzung hatte keinen Bogen um es geschlagen.

Leise und auf jeden Schritt bedachte pirschte Yuyan durch das Unterholz, hielt teilweise den Atem an, um Geräusche besser zu lokalisieren und ihren Ursprung zu erkennen. Wenn er sich zu hektisch bewegte oder Äste unter seinem Gewicht knackten, schreckte das jedes Lebewesen hier auf und er erschwerte sich seine Aufgabe nur.

Vögel zwitscherten in einer Baumkrone, aber Säugetiere kreuzten nicht zufällig seinen Weg, sie weideten nicht auf einer Lichtung oder löschten ihren Durst am See. Seine Chancen steigerten sich, wenn er sich auf die Lauer legte und wartete.

Die Sonne rückte am Himmel immer weiter nach Westen, während Yuyan steif wie ein Brett auf dem Boden halb von einem Strauch verdeckt lag, die Augen offen hielt und seinen Standort schon längst bereute. Ein Ameisennest war wohl nicht weit und die Bewohner davon nahmen öfter den Gang über seine nackten Arme und Beine; das Kitzeln lenkte immer wieder seine Gedanken ab und schmälerte seine Konzentration.

Ein Rascheln ließ ihn aufhorchen, es konnte Einbildung oder nur der Wind sein, genauso gut aber auch potentielle Beute, auf die Yin so hartnäckig wartete.

Langsam und darauf achtend, keinen Lärm zu verursachen, richtete Yuyan sich ein Stück auf und krabbelte nach vorne, das Messer drückte unangenehm in seine Seite, in der Hand halten wollte er es nicht, sonst verletzte er sich noch.

Auf dem baumfreien Fleck vor ihm graste tatsächlich ein Tier, schlank, mit langen Beinen, hellbraunem Fell und wachen Augen, die selbst beim Fressen die Umgebung sondierte.

Sein Mut sank, das Tier wirkte zu wachsam, um es aus dem Hinterhalt überrumpeln zu können, vor allem weil zu allem Überfluss sein Bein durch die ungemütliche Position eingeschlafen war und nun ein unangenehmes Kribbeln in seinem ganzen Körper verteilte.

Sein erster Jagdversuch würde in einer Niederlage enden.

Gavin verübelte es ihm bestimmt nicht, er fand immer Entschuldigungen für seine Unfähigkeit, während Yin ihm fast wieder den Kopf abriss.

Ein Grund mehr, sich heute richtig ins Zeug zu legen und nicht gleich den Kopf in den Sand zu stecken. Wenn er das zu oft tat, erstickte er noch an seinem Traurigkeit über seine Fehler.

Er richtete sich Millimeter um Millimeter auf, seine Hand umklammerte das Messer vor Nervosität, aber da hörte sein Wissen schon auf. Wenn er sich kopflos auf dieses grasverspeisende Tier stürzte, rannte es ihm davon und hängte ihn schon nach wenigen Metern ab. Dann hätt er es versiebt. Aber auch wenn er sich still wie ein Geist an es heranschlich, konnte es die Bewegung wahrnehmen und seinen Fluchtinstinkten nachgehen.

Seine Möglichkeiten sahen ziemlich beschränkt aus; doch nur wenn er das Risiko einging und sich der Aufgabe stellte, konnte er stolz ein erlegtes Tier ins Lager bringen. Wenn er das übers Herz brachte.

Ohne lange zu überlegen tat er das, was ihm gerade am Sinnvollsten erschien: Er warf das Messer nach dem Tier, in der Hoffnung, es so zu treffen, dass es nicht mehr fliehen konnte.

Der Plan schlug fehl, das Messer verfehlte es um einen halben Meter und panisch ergriff es die Flucht. Das hatte er wieder grandios erledigt, wenigstens hatte er es nicht so verletzt, dass es mit dem Messer in der Seite das Weite gesucht hatte, das wäre der schlimmste Fall gewesen; Yin hätte ihn tagelang im ganzen Wald das Messer suchen lassen, denn viele hatten sie nicht.

Nun hatte er die Wahl; aufgeben und mit gesenktem Kopf ins Lager zurückkehren, bereit auf Ärger und Gereiztheit oder noch mehrer Stunden durch das Gras kriechen, sein Bestens versuchen und nichts erlangen.

Er überließ das Jagen vielleicht besser denen, die das wirklich konnten und auch ein Tier töten konnten, weil Fleisch für sie ein wichtiger Bestandteil der Nahrung, gleichzeitig aber auch ein seltener Luxus war.
 

„Du machst das wirklich gut, Yuyan“, lobte ihn Gavin zufrieden, als sich wie so oft in den letzten Tagen ihre Finger ineinander verhakten und Yuyan ihm ohne allzu große Scheu von sich aus näher kam. „Wir hätten das von Anfang an so machen sollen.“

In Yuyan stieg Stolz auf, als seine die Unterarme von Gavin berührten und er es nicht vorläufig abbrechen musste oder den Kontakt als angsteinflößend wahrnahm. Jede seiner Berührungen ging bewusst von ihm aus und gleichzeitig war Gavin glücklich darüber, sie erfahren zu dürfen, das steigerte noch einmal Yuyans Antrieb, sich nicht entmutigen zu lassen. In Gavins Körpersprache las er keine Sekunde lang einen Anflug von sexueller Erregung, keine verwerfliche Begierde nach ihm. Er genoss einfach den Moment, den er mit ihm erlebte.

Jael hatte ihn schon zweimal gefragt, was sie tatsächlich am See unternahmen, er glaubte zu Recht den Unterstellungen Yins nicht, die er zwar schon ein wenig zurückgeschraubt, aber immer noch nicht unterlassen hatte. Ihm bereitete es einfach eine gewisse Genugtuung, Yuyan klein zuhalten und ihm zu zeigen, dass er der Stärkere von ihnen beiden war und es auch immer sein würde.

Aber Jael besaß keine konkreten Vorstellungen, ob Gavin ihn dort etwas zeigte, ihm etwas beibrachte, ob sie nur über alte Zeiten redeten oder er ihm vielleicht Trost in Augenblicken des Selbstmitleides spenden sollte. Jael war weitgehend ahnungslos und diese Tatsache gefiel ihm nicht.

„Wenn ich schon nichts mit eigenen Augen sehen kann, dann wäre es ganz nett, wenn… du mir wenigstens sagst, was ihr macht.“ Gavin hielt nämlich wie versprochen dicht, kein Fetzen ihrer Unterhaltung drang aus dem Kreis der Zweisamkeit nach außen.

So leid es Yuyan tat, er blieb eisern und verschwieg ihm die Unternehmungen, denen sie immer wieder nachgingen und die ihnen beiden Vorteile brachte. Irgendwann, wenn er die Herausforderung bestanden hatte, durfte auch der Rest daran teilhaben. Davor nicht.

„Ich weiß, das ist eine dumme Frage, aber hattest du schon mal eine Freundin?“, fragte Gavin vorsichtig, als sie nach getaner Arbeit auf einer Schicht Moos im Schatten lagen und wieder in die harte Wirklichkeit zurückfanden. „Es geht mich ja nichts an und es ist auch eigentlich egal, ich bin nur neugierig.“

Yuyan schüttelte den Kopf; solche Erfahrungen hatte er nie gemacht. Nicht, weil er keine Interesse gehabt hätte, die allerdings auch erst spät entflammt war, sondern weil viele Mädchen in ihm eher einen guten Freund statt einen möglicherweise attraktiven Jungen gesehen hatten. Da hatte ihm seine leicht feminine äußere Erscheinung einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Mädchen, die immer in seiner Nähe herumgeschwirrt waren, hatten sich für ältere, selbstbewusster wirkende Jungs aufgehoben.

Aber vielleicht war es ihm Rückblick betrachtet ganz gut, dass vor dem Unfall in Nijagata nicht mit Mädchen in einer solch engen und unzertrennbaren Beziehung gestanden hatte, sonst hätte die plötzliche Umstellung ihn vielleicht noch härter getroffen als ohnehin schon.

Wenn er von Anfang an nur mit Mädchen geschlafen und das als einzige Art angesehen hätte, seine Sexualität auszuleben, wäre der Zwang, sich von ihnen fernzuhalten und nur noch andere Jungen an sich heran zu lassen noch unangenehmer gewesen.

So war er einfach zum Spielball von diversen männlichen Wesen gemacht worden, die wohl auch einen gewissen Reiz in seinem zierlichen Erscheinungsbild gefunden hatten, ohne zu wissen, wie es anders hätte sein können.

„Ich hatte mal eine Freundin, aber das ist schon länger her. Ich weiß nicht einmal, ob sie noch lebt.“ Seufzend rückte sich Gavin zurecht, ein Stein bohrte sich sonst unbequem zwischen seine Rippen. „Aber das ist ja auch egal, heute ist das eh kaum möglich. Was bringt es mir, wenn ich ein Mädchen liebe und mit ihr längere Zeit zusammen sein will, wenn ich sie nicht einmal anfassen darf? Da lass ich es gleich bleiben.“

Irgendwie konnte sich Yuyan nicht Gavin in weiblicher Begleitung vorstellen, was daran lag, dass er Gavin immer nur als jemanden sah, der allein durchs Leben ging. Selbst seine Befriedigung suchte er sich allein, denn sonst gab es niemand, der nicht versorgt war. Sich selbst zählte Yuyan natürlich nicht mit, er wäre der letzte, der sich ihm hingab, nicht einmal, um Gavin eine Freude zu bereiten. Da endete seine Bereitschaft, ihn nicht allein zu lassen.

„Hast du dir schon mal einen runtergeholt?“, durchbrach Gavin plötzlich die vom leisen Gluckern des Wassers unterbrochene Ruhe.

Sofort schossen Yuyan wieder die Bilder in den Kopf, von Gavin, wie er genau an diesem See lag, sich hingebungsvoll zum Höhepunkt rieb und Geräusche von sich gab, die Yuyan ihm gar nicht zugetraut hätte. Bis zu diesem schicksalshaften Moment hätte er Gavin schon fast eine ausgeprägte asexuelle Natur unterstellt. Diese einschneidenden Bilder hatten diese Vorstellung verändert.

„Gavin, hör auf.“ Es lag nicht unbedingt am Thema, mit 12 hatte er sich häufiger selbst befriedigt, manchmal sogar heimlich in der Nachmittagsschule, weil ihn das Gerede der Lehrer so leer und dumm vorkam und er lieber in andere Ebenen abtauchen wollte, aber diese Szenen in seinem Kopf störten ihn. Er wollte Gavin nicht für immer in solcher Erinnerung haben.

„Tut mir leid.“ Gavin nahm an, dass Yuyan es auch mit negativen Erfahrungen verband. „Das war dumm von mir, vergiss es einfach.“ Beschämt über seine eigene Gedankenlosigkeit biss er sch auf die Lippe.

Nun befand sich Yuyan in einer Zwickmühle; entweder erklärte er Gavin das eigentliche Problem an der Sache oder er ließ ihn in seiner betretenen Stimmung, die überhaupt nicht nötig wäre. Letzteres wäre nicht gerecht, ersteres gestaltete sich leider etwas kompliziert. Die wichtigen Gründe kamen hier nicht zur Sprache, das führte erst recht zu peinlichen Reaktionen oder Fragen.

Schließlich entscheid er sich für die erste leicht abgewandelte Variante; er rückte zu Gavin auf und fasste ihn leicht an der Schulter an, um seine Aussage zu bekräftigen. Zum ersten Mal wandte er das Geübte außerhalb ihres Trainings an, es wäre nicht einmal notwendig, aber es zeigte die Anfänge der Wandlung, die er dank Gavin durchlebte.

„Es liegt nicht an dem… was früher passiert ist. Ich spreche einfach nicht gerne über so etwas.“ Es erinnerte ihn außerdem immer daran, dass er selbst früher solchen Gelüsten nachgegangen war, ohne sich dabei etwas zu denken, überhaupt zu verstehen, wie selbstverständlich es für ihn war, sich manchmal vier Mal am Tag ohne Rücksicht auf Verluste selbst zum Höhepunkt zu treiben. Heute wäre das nicht mehr möglich, allein das Verlangen danach lag so tief an einem dunklen Ort verschüttet, vielleicht fand es nie wieder den Weg von ort hinaus.

„Du brauchst deswegen wirklich kein schlechtes Gewissen haben.“ Er lächelte Gavin schwach an.

Dieser nickte zur Bestätigungen, dass er verstanden hatte. Trotzdem nahm er sich vor, solche Themen nicht mehr leichtfertig anzuschneiden, zum Schluss hatte er tatsächlich eine wunde Stelle getroffen und verleitet Yuyan dazu, sich ihm nicht weiter zu öffnen.
 

Die Stunden vergingen, in denen sie dalagen, nicht mehr lange und sie mussten wieder in das Alltagsgeschehen zurückkehren, sich um ihr Überleben kümmern und die anderen beiden nicht allzu lange allein lassen, obwohl sie es vielleicht nutzen, für eine Weile ungestört zu sein. Wenn Jael einen guten Tag hatte, konnte sich Yuyan das vorstellen, immerhin war er schon einmal Zeuge davon geworden.

Trotz allem waren die beiden auch nur zwei pubertäre Jungs, obwohl sie das oft hinter Verantwortung und Arbeit zurücksteckten.

„Yuyan, willst du noch mal?“, fragte Gavin ihn, während er sich auf den Bauch rollte, um sich in Position zum Aufstehen zu begeben.

Je mehr Übung, desto besser, selbst schadete er sich nicht; das taten nur andere. Denen er hoffentlich nie mehr begegnen musste.

Er kroch zu Gavin, das Gras hinterließ feine Spuren auf seiner Hose, sie saßen sich gegenüber. Nichts würde geschehe, was einer von ihnen nicht wollte, auch wenn es Gavin zu viel wurde, konnten sie es sein lassen.

Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit überkam Yuyan ein Gedanke, den er von sich selbst nicht kannte, den er nicht einmal wirklich verstand, wieso er ausgerechnet nun auftauchte und ihn nicht mehr losließ. Er wollte Gavin umarmen und diese unsichtbare Verbundenheit zwischen ihnen spüren, die er nicht leugnen konnte.

Unsicher fragte er sich, was das zu bedeuten hatte, ob er in ein Abhängigkeitsverhältnis zu ihm rutschte, weil er glaubte, nur er hatte die Kraft, ihn zu heilen, dabei wäre es nichts negatives, Gavin so nah zu sein. Immerhin mochte er ihn und es schien, als wurde dies auch erwidert.

Das einzige, was ihn davon abhielt, sich Gavin schlagartig so zu nähern, war die Unkenntnis, was seine Handlung in ihm auslöste. Ob er vielleicht mehr dahinter sah als eigentlich beabsichtigt war und sich dadurch ihr Verhältnis verkomplizierte.

Natürlich bemerkte Gavin den inneren Konflikt in Yuyan, er war sich nur nicht sicher, was der Grund dafür sein konnte; mit sich selbst brachte er das nicht in Verbindung, für so wichtig hielt er sich für Yuyan nicht.

Eine Entscheidung musste gefällt werden und Yuyan ließ das zu, zu dem sein Herz ihn drängte; seine Arme legten sich um Gavin, sein Kopf lehnte gegen dessen Schultern und er fühlte sich in Sicherheit, obwohl Gavin sich nicht regte. Den hatte nämlich Yuyans plötzlicher Ausbruch so verwirrt, dass er stocksteif verharrte, denn wie würde Yuyan wohl reagieren, wenn er diese Umarmung erwiderte? Bestimmt wieder mit Angst und Flucht, weil er es nicht hatte kommen sehen. Ihm blieb also nur die Option, einen Baum zu imitieren und die Wärme, die von Yuyan ausging, zu genießen. Er konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann ihn zum letzten Mal jemand in den Arm genommen hatte; von Yin konnte man das nicht erwarten, der brauchte selbst Trost, auch wenn er zu stolz war, das zuzugeben, und Jael war krankheitsbedingt auch nicht in der Lage.

Im Klartext: Er hatte keine Ahnung, wer es beim letzten Mal gewesen war.

Dafür war er umso glücklicher, dass Yuyan dem ein Ende setzte.
 

Yuyan merkte, dass der Tag heute anders war als sonst, alle benahmen sich etwas seltsam und fanden irgendwelche Begründungen, wieso er es heute unbedingt noch einmal wagen sollte, allein im Wald jagen zu gehen.

Einen guten Anlass dafür gab es nicht, das letzte Tier hatte Yin erst vor zwei Tagen angeschleppt, einen noch jungen, aber recht großen Hirsch, der bei ihrem durchschnittlichen Verzehr noch mindestens eine halbe Woche hielt. Sie brauchten also kein frisches Fleisch.

Yuyan vermutete hinter dieser Aktion ganz andere Beweggründe, die ihren tieferen Ursprung im Verlangen nach Sex hatten. Denn nichts störte dabei mehr als ein unbeschäftigter Junge, der ausversehen dazwischenplatzte, wenn Yin und Jael ausnahmsweise einmal miteinander schliefen; Jaels momentane körperliche Verfassung ließ das jedenfalls zu, weswegen sie es ohne Kopfzerbrechen wagen konnte.

So musste es sein, aber er nahm es hin, würde so tun, als bemerkte er die Sinnlosigkeit seines Auftrags nicht, und lief daher über Blätter und durch Gebüsche, um die Zeit tot zu schlagen. Eine wirkliche Jagd zu starten wäre ohne Nutzen, was sollten sie mit dem zweiten Tier außer es schließlich wieder ungebraucht loszuwerden und sich selbst Vergeudung zu unterstellen.

Yuyan seufzte; sie hätten die Sache auch anders regeln können, er war alt genug, um zu wissen, was sich da zwischen ihnen abspielte, auch wenn es ihn nicht besonders interessierte. Mit dem Thema sollte man ihn sowieso in Ruhe lassen.

Die Langweile, die ihm beim Gang durch das Unterholz heimsuchte, fraß an ihm, er war es kaum noch gewohnt, einsam zu sein, fast ununterbrochen umgab ihn jemand, besonders Gavin, aber der hatte sich auch heimlich und leise verdrückt, lag mit Sicherheit in der Sonne am See und fingerte an sich herum, es wäre nicht das erste Mal. Denn das war etwas, was Yuyan ihn nie geben konnte, zu mehr als zu dieser Umarmung vor einigen Tagen wäre er nie fähig, selbst mit ausgedehnter Übung.

Mit dem für das Jagen vorgesehene Messer kletterte Yuyan auf einen Baum, setzte sich in einen der oberen Äste, brach einen Zweig ab und ritzte in ihn feine Kerben; seine Beschäftigung für die nächsten Stunden. Natürlich konnte er auch schon den Rückzug antreten, nur wären davon zwei gewisse Menschen wohl kaum einverstanden.

Doch mit der Zeit wurde die einfache Schnitzarbeit uninteressant, auch der Blick über einen kleinen Bereich des sich weit erstreckenden Waldes erfüllte Yuyan nur kurze Zeit mit dem Gefühl von Freiheit, bevor ihm wieder klar wurde, dass sie trotzdem weiterhin von einer unüberwindbaren Barriere von der Außenwelt abgeschnitten waren, hier in ihrem Wald, vier Menschen auf sich gestellt. Der Gedanke war niederschmetternd und vertrieb den letzten zufriedenen Hauch aus seinem Kopf.

Deprimiert steckte er das Messer zurück in seine Hosentasche und hangelte sich wieder an Ästen entlang, den Stamm hinab, um wieder mit beiden Beinen auf fester Erde zu stehen; einmal rutschte er leicht ab und schürfte sich den Handrücken an der rissigen Rinde auf. Es blutete nicht, dafür brannte es.

Wütend auf sich selbst über seine Ungeschicktheit erreichte Yuyan den sicheren Boden, prüfte ein letztes Mal, ob er tierische Geräusche in seiner Nähe vernehmen konnte, und machte sich auf zum See.

Er wusste, er sollte es nicht tun, seine Absichten spiegelten Unmoral und eine deutliche Spur Dreistigkeit wider, aber erstens wollte er die Verletzung an seiner Hand abwaschen und zweitens wollte er mit eigenen Augen sehen, was Gavin trieb. Seine Fantasie gaukelte ihm sowieso genügend Bilder vor, die alle der Wahrheit entsprechen konnten, da machte es keinen großen Unterschied, ob er sich nun persönlich von ihrer Authentizität überzeugte.

Fast wie von selbst fanden seine Füße den Weg, so oft hatte er sich schon allein in dieser grünen, fast menschenleeren Wildnis zurechtfinden müssen. Verlaufen hatte er sich schon lange nicht mehr.

Eigentlich sollte er sich schämen, Gavin mit Absicht zu beobachten, in einer Situation, die ganz ihm alleine gehören sollte, aber ein innerer Antrieb, gegen den er sich kaum zur Wehr setzen konnte, lenkte ihn und wisperte ihm ins Ohr, dass er vielleicht durch den Anblick langsam Normalität darin erkennen konnte, nichts falsches steckte dahinter.

Er wollte doch auch nur ein normaler Junge sein, der sich nicht vor den selbstverständlichsten Dingen des Lebens fürchtete und nie in den Genuss käme, mit der Person, die er irgendwann sicher liebte, schlafen zu können.

Wie erwartet kniete Gavin auf dem Gras, völlig nackt und in seine Tätigkeit versunken, als wäre es eine für in immer wiederkehrende Prozedur, die schon fast routiniert verlief; eine Hand strich an seiner Spitze entlang, um sie zu reizen, die andere wusste anscheinend nicht, ob sie wie so oft seine Brust mit Berührungen überhäufen oder den Ast ergreifen sollte, der an seinem Knie lehnte. Was er damit vorhatte, konnte sich Yuyan denken und er fragte sich, wie man auf solche abwegige Idee kam. Aber es war nicht seine Angelegenheit.

Es wäre am besten, ihm den Rücken zuzukehren und sich mit anderen Dingen im Leben beschäftigen, es wäre gerechter als dieses selbstsüchtige Beobachten, während der Neid schleichend und flüsternd in Yuyan hochkroch. Er würde auch gerne eine gesunde Sexualität oder zumindest ein Interesse an seinem eigenen Körper entwickeln oder eher wiederentdecken.

Stattdessen empfand er nicht einmal so etwas wie Erregung, während er hinterhältig seinen Blick über Gavins entblößte Genitalien gleiten ließ. Es fühlte sich eher an wie das Zusehen bei einem neuartigen Experiment.

Gavin biss vor Schmerz die Zähne zusammen, als der Ast viel zu heftig seinen Anus penetrierte, er hatte sich verschätzt und musste hoffen, sich nicht selbst verletzt zu haben, sonst hätte er ein gewaltiges Problem. Niemand hier könnte ihm dann helfen, wenn die Lage ernst wurde und es sich vielleicht entzündete.

Es dauerte noch einige Stöße, bis er das Eindringen in sein Inneres als angenehm, lustvoll empfand und sich ganz der Welle an Gefühlen hingab, die sich von seiner stimulierten Stelle ausbreiteten.

Das Verlangen, noch mehr von diesem Holzstück tief in sich zu haben, es fast mit sich verschmelzen zu lassen verleitete ihn dazu, den Druck zu verstärken, das Herausziehen und Hineinschieben zu verschnellern. Hoffentlich bereute er es nicht, wenn er nachher einen von Holzsplittern gespickten After vorzuweisen hatte, aber der Mangel an Alternativen machte erfinderisch und risikobereit.

Frustriert von diesem Anblick biss sich Yuyan auf die Unterlippe, er quälte sich eigentlich nur damit, indem er sich immer wieder Gavin beim Masturbieren antat und ihn mit sich selbst verglich. Jedes Mal ein ernüchternder Augenblick.

Die Bewegungen wurden ruckartiger, die Geräusche verrieten, dass er nicht mehr lange die Beherrschung behielt; Yuyan hielt diese Anzeichen nicht mehr länger aus und gab mit deutlich hörbaren Astrascheln vor, kurz davor zu stehen, das Ufer zu erreichen. Es war nicht gerecht, Gavin die erhoffte Erlösung zu verweigern, so kurz wie er davorstand, alles an ihm schrie danach, den einen Moment auskosten zu können; stattdessen zog er, kaum hatte der seine Anwesenheit wahrgenommen, hastig und mit einem Stöhnen den Ast zwischen seinen Pobacken hervor, schleuderte ihn eilig weit von sich und ließ sich ins Wasser fallen, um nicht seine Nacktheit erklären zu müssen.

Aber von sich aus wäre Yuyan von diesem Anblick nicht losgekommen, er hatte sich nur selbst schützen wollen und trotzdem tat es ihm in der Seele weh, Gavin dafür leiden zu lassen; seine paradoxen Emotionen gehörten verboten und vergraben.

„Oh, Yuyan“, begrüßte ihn Gavin mit erzwungen normaler Stimme, er zauberte schnell ein Lächeln auf sein Gesicht, dabei hätte er sich gerade viel lieber an seinem Glied herumgespielt, um es von diesem Druck zu befreien, Yuyan wusste das und er verurteilte ihn nicht dafür.

Stattdessen ärgerte er sich über sich selbst und sein egoistisches Denken. Er war der einzige zu verurteilende hier.

Er ließ sich am Rand des Sees nieder und tauchte seinen Arm ins Wasser, um möglichen Dreck oder Rindenstückchen aus den Schürfwunden zu waschen; die ganze Zeit konnte er Gavin dabei nicht ins Gesicht sehen, weil er sich nicht sicher war, ob er sich sonst verriet.

„Und, hast du was gefangen?“, plauderte Gavin munter drauf los, während er unruhig hin und her schwamm und nicht wusste, wie sein durch Yuyan verursachtes Dilemma am besten zu beheben wäre. „Was ist mit deiner Hand passiert?“

„Ich bin einen Baum runtergeklettert und hab dabei nicht aufgepasst.“ Dummheit und Unachtsamkeit wurde schnell bestraft; genau wie unmoralisches Benehmen. „Es ist nichts schlimmes, ich wollte nur sicher gehen, dass es sich nicht entzündet.“ Mit einem Arzt konnte hier keiner dienen. „Tiere habe ich keine gesehen.“ Aber wirkliche Mühe hatte er sich schließlich nicht gegeben; wieso auch? Nutzlose Arbeit deprimierte nur anstatt zu motivieren. Niemand überstand gefahrenlos den Verzehr von zu lang gelagertem Fleisch.

„Das ist schade, da konntest du gar nicht üben.“

„War ja auch gar nicht eure Absicht.“ Er konnte seinen Unmut über diese permanente Lüge nicht verschweigen. „Wir sollten einfach weg sein, damit die beiden in Ruhe miteinander schlafen können. Ich bin nicht blöd.“

Gavins Ausdruck sprach Bände und präsentierte ihm unfreiwillig die Wahrheit, während er sich noch stammelnd eine Ausrede einfallen lassen wollte, schließlich aber einknickte und etwas verkniffen Yuyans Vermutung bestätigen musste.

„Yin wollte es dir ja knallhart ins Gesicht sagen, was Sache ist, so ist er ja, aber ich… ich war mir nicht sicher, ob das nicht zu viel für dich ist. Ich weiß ja, was du durchgemacht hast und wie abschreckend Sex und der ganze Krempel auf dich wirkt. Ich wollte dich einfach schützen, klingt bestimmt dumm, aber es war nicht böse gemeint.“

Sein Gespür für solche Dinge hatte Yuyan also wirklich nicht getäuscht, er schien fast einen Sensor dafür zu haben, nur brachte ihm das leider nichts, er geriet trotzdem oft genug in unschöne Lagen.

„Glaubst du, sie sind schon fertig?“ Ewig und drei Tage blieb er hier nicht tatenlos sitzen, nur weil zwei Jungen ihren Trieben freien Lauf lassen mussten und es nicht für nötig hielten, ihnen danach wieder Zutritt zu gewähren. .

„Kannst ja nachse- verdammt, Entschuldigung.“ Heute war nicht sein Tag oder seine Gedankenlosigkeit rührte weiterhin von mangelndem Blut im Gehirn her. „Vergiss es bitte.“

Dabei hatte er nicht einmal so Unrecht, immerhin konnte Yuyan sich auch wieder wegdrehen, wenn Yin und Jael noch auf irgendeine Art intensiv beschäftigt waren, niemand zwang ihn, es sich stundenlang aus nächster Nähe anzusehen. Hier war er frei genug, um solchen Bildern einen Riegel vorzuschieben.

Außerdem hätte Gavin während seiner Abwesenheit die nötige Privatsphäre, um seine sicherlich noch vorhandene Erregung loszuwerden oder sich noch einmal auf das ganz spezielle Erlebnis mithilfe des Astes einzulassen.

Gavin wollte ihn gar nicht davongehen lassen, er befürchtete, die Stabilität von Yuyans Psyche aufs Spiel zu setzen, wenn er Yin und Jael auch nur von Weitem hörte, was doch deutlich übertrieben war. Es verlief im Einverständnis von beiden, das gehörte noch einmal in eine andere Kategorie als Sevens Übergriffe. Es galt auch, dazwischen zu unterscheiden.

Diskretion war nun auch angebracht, Yins Zorn wegen einer solchen Peinlichkeit auf sich zu ziehen, vermied Yuyan nur zu gerne. Er selbst hätte in einer solchen Situation nicht anders gehandelt, nur dass Yin sich zu schnell zu weit hineinsteigerte und ihm die Hölle heißmachte. Das zu umgehen war die Kunst.

Die zwei Gestalten auf der Wiese ließen sich leicht zuordnen: Jael lag bequem auf einer Decke, während Yin auf seinem Becken saß und mit seinen Fingern die Wange seines Begleiters liebkoste; ob sie sich schon in einem Stadium des reinen Beisammenseins befanden oder das eine Komponente ihrer sexuellen Spielart war, wusste nur sie selbst, aber stören kam nicht infrage, dafür zierte ein viel zu glückliches Lächeln Jaels Gesicht, ein echtes, unerzwungenes, was eine solche Seltenheit darstellte, dass man es bewahren musste.

Leise drehte sich Yuyan um, um notgedrungen ein Plätzchen zum Bleiben ausfindig zu machen, doch ein zaghaftes Flüstern Yins, das an sein Ohr drang, ließ ihn aufhorchen.

„Ich liebe dich, Jael, verlass mich bitte niemals.“

Worte, mit denen Yuyan nie gerechnet hatte, weil diese Sanftheit, Verletzlichkeit nicht zu dem sonst so stichelnden Yin passten, genau wie diese drei magischen Worte, die nicht wie eine aus Gewohnheit angehängte Floskel klangen, sondern absolut ehrlich. Bisher hatte er nie mitbekommen, dass jemand aus seinem Stamm solche Worte beim Sex gewechselt hatte; dort hatte man sich einfach nur zum reinen Vergnügen bis zur Bewusstlosigkeit gevögelt.

Vielleicht hatte er es hier wirklich zum ersten Mal mit einem Paar zu tun, dass nicht aus bloßem Zweck, weil es einfach praktisch erschien, zusammen war, sondern weil sie tatsächlich Gefühle füreinander empfanden, die weit über Freundschaft gingen.

Nun verstand er erst recht, wieso Gavin sich dort so ausgeschlossen vorkam und froh war, seine Nähe erhalten zu dürfen. Wenn man Tag für Tag erkennen musste, was man wohl nie empfangen durfte, tat das wahnsinnig weh.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  eden-los
2012-06-24T10:02:28+00:00 24.06.2012 12:02
gavin und Yuyan wären wirklich ein niedliches Paar. ich hoffe Yyuyan hat jetzt seine ruhe bei den drein. Yin und Jael sind auch klasse.

freu mich auf den nächsten teil.
lg eden ^^


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