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Blood Deal

Even if saving you sends me to heaven
von

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Harte, aber klärende Worte

Antonin

Der nächste Morgen schwankte ebenfalls. Von sehr seltsam und dem Gefühl nichts richtig zu machen, bis hin zu einer Art Normalität in Form von kleinen Neckereien. Und je länger sich das hinzog, desto mehr breitete sich das Gefühl von Angst in Antonins Magen aus. Die Angst nicht mehr genügen zu können. Die Angst über Zeit hinweg doch weniger wert zu sein als vorher. Die Angst dass es den Leuten um ihn herum, vor allem aber Cole bald zu anstrengend werden würde.

Und genau das war es, was es ihm verbat zu erwähnen, wenn er sich erinnerte. Was er tat. Regelmäßig. Manchmal kam es mit einem Schwindelgefühl wenn er bestimmte Dinge ansah, manchmal war es einfach da und hin und wieder wurde ihm sogar übel. Aber er erwähnte es nicht, denn es hätte keine Auswirkungen. Es waren Dinge, die nichts mit Cole oder Tayra zu tun hatten. Hin und wieder kam Nicholas darin vor und deutlich häufiger machten ihm diese Erinnerungen zu schaffen. Er tat sich schwer einige seiner Gedankengänge und Taten nachzuvollziehen, konnte es nicht mit sich selbst übereinbringen. Konnte sich selbst nicht verstehen. Das gleiche galt auch für die Situationen, an die er sich erinnerte. Es ließ sich einfach nichts in eine bestimmte Reihenfolge bringen und das wiederrum machte ihn zornig, was ihn auch einmal direkt sehr pampig auf eine einfache Frage von Cole reagieren ließ. Wen interessierte es, ob er jetzt Kaffee oder Tee oder wusste der Geier was trinken wollte?!

Natürlich entschuldigte er sich sofort dafür, wollte sein Unverständnis mit sich selbst, mit der Situation und überhaupt mit allem eigentlich unter keinen Umständen an Cole auslassen. Wo doch gerade die Gegenwart von dem Mann das einzige akzeptable Beruhigungsmittel zu sein schien. Er tobte nicht herum wie ein Berserker oder versank in zu tiefer Melancholie. Etwas an Cole hielt ihn halbwegs konstant, ließ ihn nie zu unaufmerksam werden. Noch so eine 'Kleinigkeit', die ihm an sich selbst auffiel. Er beobachtete Cole. Aber nicht nur ein einfaches Beobachten. Er merkte sich Gesten, Mimiken ja sogar bestimmte Stimmlagen. Er konnte sagen wie jener seinen Kaffee trank ohne wirklich hingesehen zu haben, sondern es mehr aus den Augenwinkeln erahnend. Er sah die Veränderungen in dessen Augen in dem Moment, wenn sie auftraten. War das normal? War das was eine Beziehung ausmachte, oder war es was einen Guard ausmachte?

Was immer es auch war, er bat Cole ihn nach Hause zu fahren, da er sich momentan nicht gut genug fühlte für eine Sightseeing-Tour. Es schmerzte Antonin, aber er konnte sich nicht anders behelfen als davonzulaufen. Er konnte nicht immer stark sein und er war es, seitdem er aufgewacht war bis auf den Zusammenbruch gestern Nacht immer gewesen. Er war stark für Menschen, die ihm etwas zu bedeuten schienen. Oder die ihm das zumindest glaubhaft versicherten. Aber sein überraschend großer Pool an Geduld, Stärke und Ausdauer war erschöpft. Absolut erschöpft und er wünschte sich nichts sehnlicher als sich die Decke über den Kopf zu ziehen und sich zu verstecken. Darauf zu hoffen, dass ein Wunder geschehen würde. Ein Wunder, das ihm endlich erzählte, wer er war, was er fühlte und was ihn ausmachte.
 


 

Cole

"Meld dich", sagte Cole eindringlich und blickte Antonin an. "Meld dich, wenn du mich brauchst oder wenn ich irgendetwas für dich tun kann." Dann blickte er Antonin nach. Auch als dieser im Hauseingang verschwunden war, blickte er noch zu jener Tür, die sich langsam schloss. Er hatte kein gutes Gefühl, gar kein gutes Gefühl. Antonin hatte sich den Morgen wie ein scheuer Hund verhalten, der ängstlich am Zaun entlang streift, weil er den Ausgang aus seinem Gefängnis suchte. Oder bewertete er das Verhalten über? Sah er es übertrieben? Aber wieso hatte jener dann gleich zugebissen, nur weil er eine einfache Frage gestellt hatte? Nun gut, er wusste, dass Antonin Kaffee liebte, aber angesichts der Umstände wollte er eben sicher gehen. Und eigentlich hatten sie doch sehen wollen, ob Antonin sich an bestimmten Orten an verschiedene Dinge erinnern konnte. Doch dieser hatte ihn gebeten, ihn nach Hause zu bringen.

Antonin schien den gesamten Morgen mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, als mit dem hier und jetzt. Ob jener nicht gut hatte schlafen können? Ob jener jetzt vielleicht schon bereute, sich auf ihn eingelassen zu haben? Ob er am Ende seine Anwesenheit als störend empfunden hatte? Vielleicht war es doch zu nah gewesen alles. Vielleicht war es nur Einbildung gewesen, dass er auch seine Nähe gesucht hatte.

Scheiße.
 

Cole fuhr nachdenklich zum Lady-Dream. Dort bemühte er sich konzentriert zu arbeiten, was teilweise nicht so einfach war, was allerdings einfacher wurde, nachdem er mit dem recht verkaterten Ragnar sich ein wenig ausgetauscht hatte. Jener riet ihm, das Ganze gelassener zu sehen, nicht überrascht zu sein, wenn Antonin eben nicht immer nur ein Sonnenschein sein konnte. Er musste sich immer wieder im Klaren darüber sein, dass Antonin sein Gedächtnis verloren hatte. Und so ein Verlust ist etwas, was einen sehr beschäftigt. Cole sollte abwarten und Antonin signalisieren, dass er für ihn da war.

Als Cole wieder allein im Büro war, griff er zum Handy. Eigentlich wusste er, dass SMS-Schreiben auch fatale Folgen haben konnte, und daher bastelte er ewig an dem Text rum, den er schließlich Antonin schickte:

Hey Antonin! Ich wollte dir nur sagen, dass ich es sehr schön fand, dass du heute Nacht bei mir warst. Ich weiß, wie schwierig das alles für dich sein muss. Sei dir gewiss, dass ich für dich da bin, wenn du mich brauchst, und dass ich gerne warte, bis du soweit bist, auf die Spurensuche zu gehen. Fühl dich umarmt von Cole
 

Die Leute aus Chicago kamen am frühen Abend. Sie hatten einiges zu besprechen und das war unter Anderem ein wichtiger Deal, der in den nächsten Tagen stattfinden sollte. Stoff aus Kolumbien, der über ihren Hafen kommen und nach Chicago gebracht werden musste. Nach den geschäftlichen Dingen ließen die Beteiligten den Abend im Lady-Dream ausklingen, wo einiges getrunken wurde, einige Frauen im Hinterzimmer verschwanden, wo viel geredet wurde, und zu Coles Bedauern das Geschäftliche auch in die Gespräche einfloss. Etwas, das er eigentlich nicht wollte, denn er hielt seine Gespräche gerne unter Verschluss, bis es soweit war. Die Ratte hatte ihm Vorsicht gelehrt.

Und noch etwas nervte ihn an diesem Abend. Einer der Typen aus Chicago hatte ihn angemacht. Cole hatte eigentlich nie etwas mit Geschäftsleuten, eines seiner Prinzipien. Doch diesmal hatte er sich schwer getan, sich zurück zu halten. War er einsam? Nein, er brauchte nur Sex... Cole nahm sich vor, seinen Bedürfnissen in den nächsten Tagen nachzukommen, doch heute war er zu müde.

Als er sehr spät nach Hause kam, legte er sich aufs Sofa und zückte das Handy. Ragnar hatte ihm befohlen, sich noch einmal bei Antonin zu melden. Nun gut, wenn dieser meinte, dass es so richtig war... Und so lauschte er dem Freizeichen. Eigentlich war es schon spät. Ob er doch auflegen sollte?

Doch als Antonin ran ging, spürte er, wie er lächeln musste. "Hey! Ich hoffe ich habe dich nicht aufgeweckt. Ich weiß es ist spät, aber ich wollte... ich wollte deine Stimme noch einmal hören und wissen, wie es dir geht." Er entspannte sich, legte sich zurück und schloss die Augen, um den Worten des anderen besser folgen zu können.
 


 

Antonin

Er sah von seinem Laptop auf als er sein Handy klingeln hörte und überlegte kurz bevor er aufstand und den Anrufer überprüfte. Tief durchatmend ging er ran und lauschte der Begrüßung. Sie brachte ihn zum lächeln und ließ ihn sich schlecht fühlen, die SMS nicht beantwortet zu haben.

"Heya Cole, du hast mich nicht geweckt. Um ehrlich zu sein arbeite ich gerade. Und ich möchte mich dafür entschuldigen, nicht auf deine SMS reagiert zu haben, obwohl alleine das Wissen darum mir heute eine große Stütze war", begann er und trat zurück an seinen Küchentisch, sah auf das Bild, das sich gerade auf seinem Laptop zeigte und atmete noch einmal tief durch. "Ich habe eine Menge zu erzählen, gerade im Hinblick darauf, wie es mir geht. Wenn du dafür nicht zu müde bist?", er lauschte der Antwort und nickte dann.

"Du erinnerst dich, mir gesagt zu haben, dass du mich angelogen hast, um mich zu schützen? Nun, im Grunde habe ich das Gleiche ebenfalls getan. Obwohl ich nicht direkt gelogen, sondern vielmehr verschwiegen habe." Er stockte und biss sich auf die Unterlippe. Aber einmal angefangen gab es kein Zurück mehr, eine der neuen goldenen Regeln. "Im Grunde hat mich auch niemand danach gefragt. Es hat mich niemand gefragt, was ich gesehen habe, um Dinge nach Nicholas zu werfen, oder warum ich ihn nicht leiden kann. Ja, du hast mich gefragt, an was ich mich erinnere und ich habe nicht gelogen. Ich erinnere mich an die Dinge, die ich dir aufgezählt habe. Aber da ist mehr. Viel mehr", gestand er und griff nach dem Glas Wasser, um einen Schluck zu nehmen und danach den Kopf in den Nacken zu legen, um an die Decke zu sehen.

"Und diese Dinge machen mir Angst." Er stolperte ein wenig über das Wort, sprach jedoch weiterhin mit besser kontrollierter Stimme weiter. "Es ist das eine zu hören was man war, dass man sich besser nicht mit sich selbst angelegt hätte, dass man gefoltert wurde oder dass man dafür in psychiatrischer Behandlung ist, aber es ist etwas gänzlich anderes, Dinge davon wieder als wahr zu empfinden." Antonin schluckte und schloss die Augen, lauschte dem Atem von Cole und versuchte den roten Faden nicht zu verlieren. "Und das ist nicht das Einzige was einem... nein was mir Angst macht. Es macht mich nicht nur panisch, diese Dinge einfach so in meinem Kopf aufpoppen zu haben, sondern es lässt mich fragen, was für eine Art von Mensch ich bin. Was für ein unsäglich kaputter Mann scheinbar aus mir geworden ist. Jemand, der keine Angst davor hat den Abzug einer Waffe zu betätigen und ein anderes Menschenleben auszulöschen? Jemand, der keine Bedenken hat, eine nicht mehr nachweisbare Droge zu entwickeln? Jemand, dem es egal war, dass in dem Prozess vermutlich mehr Menschen draufgegangen sind, als ich tatsächlich selbst umgebracht habe? Weißt du wie ich das nenne, Cole? Ich nenne das Belastung und ich bin nicht mehr sicher, ihr standhalten zu können. Was den Grund dafür darstellt, dass ich es weiterhin nicht wahrhaben wollte." Er öffnete die Augen wieder und richtete den Kopf gerade. Sah abermals auf den Bildschirm.

"Und selbst wenn ich es könnte, so ahne ich bereits, dass ich es nicht alleine schaffen werde. Womit wir auch schon auf dem nächsten Punkt der Tagesordnung im Falle des zerstörten Lebens von Antonin Marakow wären." Es klang genauso sarkastisch wie es sich anfühlte. Aber er konnte nicht anders damit umgehen. Irgendwie musste er sich schützen. Irgendwie..

"Und dieser nächste Punkt nennt sich Verlustangst. Bin ich momentan nicht nur eine furchtbar abgespeckte Version von mir selbst? Selbst ich finde mich anstrengend, wie muss es da erst Tayra gehen. Oder dir?" Die letzten beiden Worte flüsterte er, aus Angst seine Stimme doch wegbrechen zu lassen. Ja, dass Cole sich wieder von ihm abwenden, ihn wieder von sich stoßen würde… diese Angst saß seit gestern tief. Sehr tief. Irgendwas in dem Vertrauensfluss, den er für den anderen Mann zu besitzen schien, war gebrochen und alleine dieser Gedanke machte ihn panisch. "Was wenn ich nie wieder 'der alte Antonin' werden kann oder möchte? Was wenn ich nicht mehr genug bin? Was ist, wenn die Person, die ich momentan bin, nicht ausreicht?" Alleine diese Gedanken auszusprechen war schmerzhaft, aber sie waren die Wahrheit. Es waren seine Gedanken und Gefühle und er wollte Cole nicht anlügen. Jeden, aber nicht Cole.

"Ich bin nicht stark. Im Grunde bin ich gerade das Gegenteil davon. Und weil ich das erkenne, habe ich zumindest damit begonnen an einer meiner vielen Baustellen aufzuräumen. Weißt du was CI-2, CI-2 und CI-4 eigentlich sind? Es sind Nachfolger. Im Grunde sind es Abfallprodukte, die mir genügend Geld einbringen sollten für CI-1. Und CI-1 ist nach all den Jahren der investierten Zeit und Forschung noch immer nicht fertig. Denn ich bin nicht das Genie, das mir Tayra weismachen möchte. Ich bin nur jemand, der hart arbeiten kann, wenn er sich etwas erhofft. Die Lösung für das CI-4 Problem kam mir mehr durch Zufall und ja, es war ein Geniestreich, aber es war Glück. Pures, dummes Glück. Genauso ein Glück, als dass ich mich daran erinnere. Traurig aber wahr, ich erinnere mich eher an eine Droge, als an Menschen, die mir sehr viel bedeuten. Aber Tatsache", und hier wurde er etwas lauter, deutlicher, vielleicht wollte man es auch leidenschaftlicher nennen, "Tatsache ist, das CI-1 ein Schmerzmittel der besonderen Art werden sollte. Für Drogenabhängige, Cole. Für so Arschlöcher wie meinen Vater, der mein gesamtes Leben aus dem Knast heraus ruiniert hat, nur weil er nicht auf seine Drogen verzichten konnte oder wollte. CI-1 ist dazu gedacht, den Schmerz eines kalten Entzuges auf das absolute Minimum zu reduzieren, ohne den Körper für ein neues Mittel süchtig zu machen. Das weiß ich wiederum, weil ich meine Emails gelesen habe, da ich in Kontakt mit anderen Chemikern, Biochemikern und weiß der Geier mit wem noch alles stehe. Und dort beginne ich mich zu fragen, ob ich wirklich so ein verschissenes Arschloch bin, das erst eine Droge herstellen muss, um andere wieder davon runterbringen zu wollen. Du siehst... mein Kopf ist voller Gedanken, Ängste, Ängste und noch mehr Ängste." Er atmete ein paar Mal tief durch, musste sich selbst davon abhalten zu hyperventilieren und versuchte sich wieder runter zu bringen.

"Und das Schlimmste daran ist, dass ich noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen bin. Wenn ich dir und den anderen beiden glaube, dann kommt da noch viel Schlimmeres auf mich zu. Und ja.. ja verflucht nochmal ich würde wirklich alles darum geben, mich wieder an dich erinnern zu können. An mehr als das, was ich bisher weiß. An einfach alles aber ich habe eine Scheißangst davor und darum bin ich heute auch geflüchtet. Weil ich das Gefühl habe, es nicht zu schaffen. Nicht alleine. Aber dazu kommt dann noch das Gefühl nicht nur mich, sondern auch dich zu überfordern. Die dumpfe Ahnung, dass du dem vielleicht genauso wenig gewachsen bist wie ich und dass du mich dann doch wieder rauswirfst. Denn das würde ich nicht noch einmal ertragen."
 


 

Cole

"Klar, ich höre dir gerne zu", erwiderte Cole ohne lange nachzudenken. Er wollte schließlich nur zu gerne hören, dass Antonin Fortschritte machte, dass er sich an mehr, vielleicht auch an sie erinnerte. Und wenn Antonin von seinem Gesundheitszustand sprechen wollte, wäre er doch der letzte, der etwas dagegen hätte.

Also hörte er zu, fiel Antonin nicht einmal ins Wort, unterbrach ihn auch nicht, als jener sich wieder beruhigen musste, als jener kurz zögerte, mit den Worten rang, als jener leise wurde. Er hörte ihm zu und seine Augen, die er eigentlich geschlossen hatte, um zu entspannen, öffneten sich schnell wieder, zeugten von dem Wechselbad an Gefühlen, die die Worte des anderen in ihm auslösten.

Denn Cole wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte.

Teilweise konnte er sehr gut nachvollziehen, wie sich Antonin fühlte, konnte seine Angst, sein Gefühl der Überforderung, der ungeheuren Belastung verstehen. Teilweise spürte er aber, wie die selbstkritische Betrachtungsweise ihn in gewisser Weise kränkte. Denn wenn Antonin ein kaputter Mann war, was war er dann? Er sah sein Leben also als zerstört an? Sollte er jetzt Mitleid haben? Noch mehr Mitleid aufbringen? Cole wusste es nicht. Es machte ihn ärgerlich. Und dann das erste Mal dieses Wort: allein. Er konnte es nicht allein tragen. Verlustangst. Cole hatte das Gefühl, als würde sich die Schlinge um seinen Hals immer mehr zuschnüren, obwohl er jetzt schon kaum Luft bekam. Diesmal konnte er die Gefühle des anderen nicht nachvollziehen. Hatte sich Antonin wirklich so sehr verändert, dass er Angst haben musste, dass er ihm nicht mehr 'reichte'? Irgendwie war ihm der Gedanke noch nie gekommen. Aber vielleicht hatte Antonin recht, wenn er sagte, dass er ihm nicht genügen konnte. Aber nur wenn es einzig und allein um Sex ging. Und machte eine Beziehung nicht wesentlich mehr aus? Wie sollte er ihm dabei helfen, wenn er doch selbst überhaupt keine Ahnung hatte, wie es funktionierte?

Erleichtert hörte er Antonin zu, als dieser von der CI-Reihe sprach und er konnte sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Doch lange hielt es nicht, als Antonin wieder in dieser für Cole unbekannten Form des Selbstmitleids endete. Er konnte ihn ja ein Stück weit verstehen, aber eben nur ein Stück weit. Und nun schnürte sich die Schlinge wieder weiter zu. Denn Antonin sprach plötzlich eine größere Wahrheit aus, als es jenem wahrscheinlich bewusst war: 'Überforderung'

Cole schwieg einen Moment, als Antonin geendet hatte.

"Hör zu, Antonin", begann er langsam, aber selbstsicher. "Hör mir genau zu und lass mich zu Ende reden. Wir haben nämlich ein massives Talent aneinander vorbei zu reden und ich möchte nicht, dass du mich falsch verstehst. Genauso, wie du selbst nicht falsch verstanden werden möchtest." Kurz dachte er nach. Wie sollte er anfangen.

"Erstens, bist du kein verschissenes Arschloch und auch kein unsäglich kaputter Mensch. Du bist eigentlich das Gegenteil davon. Denn dein Antrieb für alles was du tust ist immer der gleiche. Sei es, dass du mordest, sei es, dass du Drogen herstellst. Das ist nur meine Meinung, so wie ich es sehe und ich möchte, dass du das einfach so akzeptierst, auch wenn ich mir sicher bin, dass du nur darüber lachen würdest, weil du eine viel zu negative Einstellung zu dir hast. Das, was dich antreibt, zu tun, was du tust, ist nichts anderes als Liebe. Du hast den Schänder deiner Mutter umgebracht, aus Liebe. Du produzierst CI-1 aus Liebe, zu deinem Scheiß-Vater. Du hast mich beschützt, aus dem Gefühl der Zuneigung heraus. Nichts anderes hat dich jemals angetrieben. Vielmehr hast du aufgehört, wenn du eben nicht durch Liebe angetrieben wurdest. Was letztlich wohl zu deiner Folter geführt hat, die als Strafe gedient hatte, einen Befehl nicht zu befolgen. Du bist ein Mensch voll Liebe, der auch sehr liebenswürdig ist. Das einzige Problem bei der Geschichte ist nur, dass du dich selbst nicht liebst. Und bevor du wieder zu dir selbst findest, solltest du genau an diesem Punkt beginnen zu arbeiten." Cole schwieg einen Moment rekapitulierte noch einmal, was er noch sagen wollte, was Antonin noch gesagt hatte.

"Zweitens. Ich begreife deine Ängste, ich verstehe deine Panik, ich kann deine Sorgen nachvollziehen. Aber mich nervt dein Selbstmitleid. Entschuldige Antonin, aber ich habe auch verdammt viel Scheiße erlebt, mehr als du dir träumen kannst. Und das einzige was mir geholfen hat, diesen riesigen Berg Scheiße zu überwinden war, dass ich niemals aufgehört habe an mich selbst zu glauben, an meine Kraft, an meine Stärken und auch an meine Schwächen. Ich ahne nur, wie es für dich sein muss, welches Gefühl es ist, sich an vieles nicht mehr zu erinnern, aber zu wissen, dass alle verschwunden Erinnerungen nur mit Brutalität, Schmerz, Gewalt und Kriminalität zu tun haben. Aber da hilft es dir absolut gar nicht, wenn du dich selbst bemitleidest. Ich stand in meinem Leben auch schon einmal vor einem riesengroßen Scherbenhaufen - Cole schnaubte - Du kannst dir gar nicht vorstellen, was alles zerstört war, meine ganze Existenz, alles, was mir Halt gegeben hatte, alles, einfach alles war innerhalb einer verfluchten Stunde weg. Ich war neun Jahre alt, und ich habe mich einfach nur nicht unterkriegen lassen. Ich habe nicht vor meiner Angst, meiner Panik und meinen Sorgen kapituliert, sondern mich ihnen gestellt, sie versucht zu verarbeiten, oder eben erfolgreich verdrängt. Ich bin ein guter Verdränger. Ich weiß, dass du das nicht bist, also musst du dich diesen Ängsten stellen, ihnen begegnen und sie überwinden. Und das kannst du, und da wären wir sowohl beim ersten Punkt wieder, und wohl auch schon beim nächsten Punkt. Denn das kannst du nur, wenn du dich so akzeptierst, wie du bist, dass du lernst, dich selbst zu lieben, mit allem was dazu gehört, mit Haut und Haar, mit deinen Narben und vor allem mit einem viel zu großen Herz. Nun und der letzte Punkt, den ich dir sagen muss, der hängt mit deinem Gefühl zusammen, es nicht alleine zu schaffen. Wann bitte warst du jemals alleine? Außer, wenn du geflohen bist, wie heute Morgen? Antonin, du bist nicht eine Sekunde deines Lebens alleine. Es gibt Menschen, die ständig an deiner Seite sind, die dich lieben. Deine Mutter, Tayra, Nicholas und ich sind ständig für dich da, wann immer du uns brauchst, wann immer du jemanden an dich heranlässt. Wie kannst du mir in ein und dem selben Satz sagen, dass du es nicht alleine schaffst, und vor mir geflohen bist? Antonin, du musst dir endlich in deinen Knackarsch treten und dir selbst helfen. Denn bevor du nicht begreifst, dass du erstens sehr viel wert bist, zweitens du sehr viel Kraft hast und drittens jeder für dich da ist, wann immer du ihn brauchst, werden dich deine Ängste nur zerfressen und runterdrücken. Es lässt sich vielleicht leicht reden, aber ich weiß wovon ich spreche. Also hör bitte auf, dir selbst leid zu tun und stell dich deinen Ängsten. Vorher wird sich niemals etwas ändern." Er schluckte kurz. War er zu hart? Aber er hatte das dringende Bedürfnis Antonin in den Arsch zu treten. "Und zuletzt was uns beide, dich und mich betrifft." Er holte tief Luft, um seiner Wut keinen Platz zu geben. "Ich gebe offen zu, dass ich teilweise wirklich überfordert bin. Das liegt einzig und allein daran, dass ich keine Ahnung habe, wie man eine Beziehung führt, denn ich bin eigentlich ein Mensch, der sich niemals auf feste Bindungen einlässt. Ganz im Gegenteil. Das ist aber mein Problem, und nicht dein Problem. Und ich werde mich diesem Problem stellen, genauso wie ich möchte, dass du dich deinen Problemen stellst. Ich bin dem Ganzen wirklich wenig gewachsen, weil ich so etwas noch nie erlebt habe. Dieses Gefühl, dich immer bei mir haben zu wollen, gemischt mit dem Gefühl, dass du dich an nichts mehr erinnerst… Natürlich weiß ich nicht genau, wie ich damit umgehen muss. Es sind Gefühle, die ich noch nie hatte. Und vor deinem Unfall warst du es, der mich da ein wenig an die Hand genommen hat, um mir zu zeigen, dass meine Gefühle für dich nichts sind, was mir die Luft zum Atmen nimmt. Aber jetzt hast du eine andere Aufgabe. Und nun muss ich selbst schauen, wie ich mit mir klar komme, mit den Veränderungen in meinem Leben. Und das bedeutet nicht, dass ich weglaufen werde und daher werde ich dich niemals von mir stoßen oder dich rauswerfen, Antonin, niemals. Es kann nur sein, dass ich eben auch oft nicht weiß, wie es weitergeht. Ich habe vorhin gesagt, dass ich gerne verdränge. Aber ich habe mir einmal geschworen, dass ich das bei dir nicht mehr machen möchte. Also verlass dich darauf, dass ich mit meiner Überforderung selbst ganz gut klar kommen werde. Das ist nichts, womit du dich belasten musst. Du musst einzig und allein schauen, dass du mit dir selbst zurecht kommst. Und dabei bist du nicht alleine."

Cole seufzte tief. "Ich fürchte dir wird nicht gefallen haben, was ich dir zu sagen hatte, aber das ist das was ich denke."
 


 

Antonin

Spätestens bei 'Schänder deiner Mutter' wäre ihm fast das Telefon aus der Hand geglitten, weshalb er es kurzentschlossen aber mit verengten Augen auf Lautsprecher umstellte und auf den Küchentisch legte. Er schluckte hart und wünschte sich einen Knopf, um das Gespräch auf Pause stellen zu können. Doch so etwas gab es leider nicht, weshalb er das kurzentschlossen aber mir sehr viel Kraft beiseiteschob und Coles nun durch den Lautsprecher etwas dunkleren Stimme weiterhin aufmerksam zuhörte. Sich dabei auf einen Stuhl setzte, die Arme vor der Brust verschränkte und auf das Handy stierte. Liebe zu seinem Vater? Was wusste Cole schon davon? Sein Motiv dahinter war dann wohl vielmehr seine 'Liebe' zur Menschheit, denn kein anderes Kind sollte wegen so einem Vater durch die gleiche Hölle gehen müssen. Das mit der Zuneigung zu Cole mochte stimmen, nein tat es sehr wahrscheinlich sogar. Und abermals bekam er eine neue Information zu seinen beiden Narben, auch wenn es ihn ein wenig wunderte wie Cole von ihm dachte, so hörte er es sich ohne zu unterbrechen an. Dabei stark darum bemüht, den Griff um seine Emotionen nicht zu verlieren. Hin und wieder weiteten sich seine Augen erstaunt, während sie zu anderen Zeitpunkten vor Zorn zu sprühen schienen. Er liebte sich selbst nicht, ja? Womöglich. Aber er könnte schwören, dass Cole das auch nicht tat. Etwas, worin er nur bestärkt wurde als er weiter zuhörte.

Nur weil man an sich selbst glaubte, bedeutete das nicht, dass man sich selbst auch liebte. Und wo bemitleidete er sich selbst? Abermals verengten sich seine Augen. Angst nicht nur zu besitzen, sondern sie auch zuzugeben war also neuerdings mit Selbstmitleid gleich zu setzen? Na vielen Dank auch, Professor Cole. Doch was darauf folgte, ließ ihn seine zwigespaltenen Gefühle abermals beiseiteschieben und nachdenken. Was genau konnte passieren, um einem neunjährigem alles zu nehmen? Innerhalb einer Stunde? Sein erstes Bauchgefühl ging zu einem Familiendrama, aber noch bevor er sich entscheiden konnte dort nachzufragen, sprach Cole auch schon weiter.

Erfolgreich verdrängt? Na ob verdrängen an und für sich überhaupt als Erfolg benannt werden konnte? Das war im Grunde auch nichts anderes, als davonlaufen oder wo sollte da der große Unterschied sein? Und schon wieder der Hinweis auf die Selbstliebe, diesmal verpackt mit einem großen Herz, das er angeblich zu besitzen schien. Er hätte den anderen eigentlich nicht für jemanden gehalten der mit einer rosa Brille durch die Welt lief.. Doch wenn Antonin gedacht hätte, damit jetzt durch zu sein, dann bekam er gleich darauf die nächste mentale Ohrfeige. Er wäre nie alleine, weil er geliebt werden würde. Der nächste große Bullshit, den er eher in Liebesromanen als aus Coles Mund erwartet hätte. Ob jener das ganze Zeug eigentlich selbst glaubte? Aber immerhin hörte er dann einen der ersten wirklich sinnigen Sätze: Er musste sich selbst helfen. Und das müsste er wohl tatsächlich, wenn ihn nicht einmal derjenige verstand, von dem er es sich am meisten erhofft hatte. 'Stell dich deinen Ängsten.' Ja, gar kein Problem. Es war ja schließlich nicht so, dass er nicht alle paar Minuten daran erinnert wurde, dass er sich eben nicht erinnerte. Wie sollte man sich dem stellen, wenn es einen verunsicherte mit den Personen, die einem nahe standen zu tun zu haben, aus Angst falsch zu handeln? Oder meinte Cole genau diese Angst, wenn er ihm befahl sich dem Ganzen zu stellen? Nun, das klang immerhin ein ganzes Stück sinniger und nachvollziehbar. Wenn er das richtig verstand, bot Cole ihm gerade mehr oder weniger an, sich so viele Fehltritte erlauben zu können wie er wollte, wenn er nur mutig genug war überhaupt auf Fehltritte einzugehen.

Aber das war leichter gesagt als getan, besonders da er einige der Reaktionen vom gestrigen Abend noch gut im Gedächtnis hatte. Die Unsicherheit auf Seiten Coles. Die Verlegenheit und den Versuch das Ganze zu überspielen. Und seltsamerweise gab jener genau das auch gerade zu. Verflucht! Dann kam jedoch die Erklärung sich nicht auf Beziehungen einzulassen - niemals. Was zum Henker war er dann?! Ein Kuscheltier fürs Bett?! Abermals tobte ein grauer Sturm durch seine Augen und wenn er übersinnliche Fähigkeiten besessen hätte, dann wäre sein unschuldiges Handy gerade zu Staub zerfallen. Doch dann hörte er, dass er Cole mehr oder weniger bei der Hand genommen hatte, um jenem zu zeigen, dass es keinen Grund zur Verunsicherung gab. Tatsächlich? Vielleicht war er ja doch so großherzig wie ihm alle weißmachen wollten. Andererseits.. es ging hier um Cole, der ihn selbst mit seiner Präsenz zu erfüllen schien, wenn er gar nicht hier war. An den er stündlich denken musste. Dessen Wärme ihm über die Nacht wirklich gut getan hatte. Es wäre also gut möglich, dass dem wirklich der Fall war. Die nächsten Worte taten ihm gut, zumindest bis er das 'niemals' hörte. Und was war das gestern gewesen? Coles Gedächtnis schien kurzlebiger zu sein als Antonins. Er hörte zu, bis der andere geendet hatte, sich überlegend wie genau er jetzt auf das alles reagieren sollte. Cole hatte so ruhig und bedacht geklungen, was ihm einerseits einen kleinen Halt gab, ihn aber andererseits auch irritierte.

"Oookay...", murmelte er und zog sein Handy näher zu sich am Tisch, bevor er die Arme auf der Tischplatte verschränkte und den Kopf darauf ablegte. So war er näher dran am Gerät und konnte so weitersprechen. "Zuerst habe ich keine Ahnung wo der Unterschied zwischen verdrängen und weglaufen ist, aber der Rest ist angekommen." Er überlegte kurz, um einen korrekten Ansatz zu finden, aber im Grunde war es ja jetzt auch schon egal. "Ich bin dir dankbar für deine Offenheit, versteh mich nicht falsch, aber denkst du nicht, dass du der Falsche bist, um mir zu sagen, dass ich mich selbst lieben sollte? Natürlich weiß ich nicht, was geschehen ist als du neun warst und ich bezweifle keines deiner Worte dazu. Ich bezweifle auch den Scherbenhaufe nicht und dass du nicht aufgegeben hast, aber was ich bezweifle ist, dass du dich dem Ganzen gestellt hast. Du knallst mir um die Ohren, dass ich mich selbst bemitleide, während du dir dafür selbst nie die Chance gegeben hast. Du bist genauso weggelaufen wie ich es heute Morgen getan habe, aber im Gegensatz zu mir wirst du das auch weiterhin tun, weil verdrängen ja sooo viel besser ist." Antonin war es in diesem Moment egal, ob er unfair war oder ob er schonungslos war. Cole hatte ihm das gleiche zukommen lassen und er fühlte sich nicht dazu verpflichtet jenen jetzt mit Samthandschuhen anzufassen, nachdem jener sie ihm verwehrt hatte.

"Dann sagst du ich wäre nicht alleine, weil ich geliebt werde. Und das ist der allergrößte Bullshit, den ich in meinem ganzen Leben gehört habe. Möglicherweise kommen meine Gefühle für dich nahe an so ein Wort heran. Vielleicht waren sie auch schon einmal weiter und kannst du wirklich behaupten, dich nie alleine zu fühlen? Kannst du wirklich behaupten immer mit allem klar zu kommen, nur weil du mit jemandem darüber sprichst? Ach nein... halt... ich vergas ja: Du sprichst ja nicht darüber.“ Es gab seiner Stimme nichts anderes als Ruhe mit. Eine Ruhe, die er nicht empfand, aber diese Worte würden ihn an Coles Stelle treffen, hart treffen, da gab es keinen Grund das Ganze noch mit emotionaler Schärfe zu unterlegen.

"Und ja, vielleicht verurteile ich mich zu hart und mir ist bewusst, dass ich dein Leben gleich mit verurteile, aber diese Fragen existieren nun einmal. Ob ich sie ausspreche oder nicht. Möglicherweise habe ich das meiste wirklich aus Liebe getan, das Ganze hat eine gewisse Logik, allerdings ist da keine Liebe für meinen Vater vorhanden. Da hast du falsch getippt. Aber ich möchte mich für deine Offenheit bedanken und für die Ehrlichkeit, die du mir damit entgegen gebracht hast. Es ist dein gutes Recht so über alles zu denken, zudem du mich ja besser kennst als ich mich selbst gerade. Daher bewerte ich das durchaus als positiv." Er atmete tief durch und hob die leicht zitternde Hand, um das Telefon wieder zur Hand zu nehmen.

"So... nachdem wir das geklärt haben", und als er wieder zum sprechen anfing war seine Stimme kalt geworden und sein gesamter Gesichtsausdruck hatte sich verhärtet: "Was heißt, ich habe den Schänder meiner Mutter umgebracht? Von welcher Art ... Schändung sprechen wir hier?"
 


 

Cole

Und wie diese Worte trafen. Wie ein perfekt gesetzter linker Haken. Doch Cole blieb ruhig. Letztlich sprach Antonin nur Wahrheiten aus, die er für sich selbst kannte, die er durch ihn schon lange festgestellt hatte. Doch sie taten nichts zur Sache. Nicht im Moment. Er hatte Antonin gerade abgewatscht und daher hatte dieser auch das Recht, ihn abzuwatschen.

Und in gewisser Weise war Cole auch erleichtert. Erleichtert, weil Antonin nicht aufgelegt und ihn zum Teufel gejagt hatte. Und er war erleichtert, weil er zumindest geschafft hat, den anderen zum Nachdenken zu bringen. Und das war letztlich das Ziel der harten Worte gewesen.

"Ich bin wahrscheinlich wirklich der Falsche, um dir diese Dinge zu sagen, aber ich glaube ich bin der einzige, dem du zuhörst", erwiderte er leise, nicht ganz verbergen könnend, dass es ihm schon weh tat. Nicht, weil er diese Dinge von Antonin hörte, sondern weil er sie generell einmal ausgesprochen hörte. "Du hast vollkommen recht, dass ich mich lange Zeit nicht geliebt habe, ich habe dieses Leben gehasst, und in gewisser Weise tue ich das immer noch. Aber ich versuche nicht mehr zu verdrängen, weil du mir gezeigt hast, dass ich es nicht verdrängen kann. Und du hast mir gezeigt, dass ich sehr wohl doch an meinem beschissenen Leben hänge. Und dafür bin ich dir mehr als dankbar." Kurz schwieg er fuhr sich mit seiner Hand über die Augen und er seufzte tief. "Ich bin wirklich nicht der richtige, um dir diese Sachen zu sagen. Du solltest mich wirklich nicht als Vorbild nehmen. Ich wollte nicht so klingen, als ob meine Art mit solchen Scherbenhaufen umzugehen, die einzig richtige ist. Ich wollte dir nur zeigen, dass man sich seinen Problemen stellen muss. Entschuldige." Er hatte die Augen wieder geschlossen und versuchte die innere Aufgewühltheit zu bändigen. "Und was den größten Bullshit angeht, den du je gehört hast. Du bist nicht ich, und ich bin nicht du, und um ehrlich zu sein, ist das verdammt gut so. Ich war mein Leben lang allein. Immer. Weil ich niemanden an mich heran gelassen habe, weil ich niemanden mir nahe wissen wollte. Denn ich habe schmerzlich gelernt, dass Nähe nur Verzweiflung bringt. Und daher war ich immer allein. Und ich hatte gedacht, dass mir nichts fehlt, dass das wunderbar so ist, dass es sicherer ist. Bis du gekommen bist und mir das Gegenteil gezeigt hast. Du bist zu mir gekommen, hast mit einer leichten Handbewegung alle Schutzmauern durchbrochen und dich in mir niedergelassen. Und das hast du mit einer Selbstverständlichkeit getan, die mir ungeheure Angst gemacht hat. So große Angst, dass ich alles versucht habe, dagegen anzugehen, aber nichts hat geholfen, weil mir mein Herz gesagt hat, was für ein Arschloch ich war, dass ich jemals glauben konnte, allein zurecht zu kommen. Und mit einem Mal warst du da und warst mir nahe und mit einem Mal habe ich gesehen, wie nahe Ragnar immer bei mir war. Und ich fühle mich nicht allein, nicht mehr. Und alles, was es für mich zu klären gilt, was ich nicht mit dir oder mit Ragnar bereden kann, kläre ich für mich, allein. Aber deswegen bin ich dennoch nicht einsam. Mittlerweile spreche ich über diese Dinge und verdränge sie nicht. Nun sagen wir, ich versuche es. Ich habe ja schon gesagt, dass ich nicht als Vorbild fungieren kann, aber ich habe meine Lektion gelernt und vielleicht kann ich ja ein wenig davon an dich weitergeben." Er lächelte traurig. "Ich würde dich jetzt gerne küssen, weißt du das? Du hältst mich jetzt wahrscheinlich für völlig bescheuert, aber ich würde dich gerne so sehr küssen, dass du nicht mehr weißt, wo oben und unten ist. Aber damit muss ich mich wohl noch eine ganze Weile gedulden."

Er schluckte, als er sich die letzte Frage von Antonin ins Gedächtnis rief, seine kalte Stimme. "Und was deine Mutter betrifft" Er seufzte lautlos. Er hätte das nicht erwähnen sollen, aber jetzt gab es kein zurück. "Als du in Russland warst, wurde sie vergewaltigt. Euch wurde das Haus genommen, weil dein Vater ziemliche Schulden hinterlassen hatte. Und sie… Nun, du hast sie gerächt. Aber du hast es ihr nie gesagt." Kurz überlegte er. "Ich weiß leider nicht wirklich mehr davon, nur Kleinigkeiten, was den Mord betrifft, die ich nicht erläutern möchte." Nein, es wäre besser, wenn er nicht weiter ausholen würde. Antonin würde mit diesen Informationen genug zu schlucken haben. "Aber ich finde, du solltest selbst zu ihr fahren. Sie wird dir helfen, besser als ich das kann. Du hast mir gesagt, dass sie der wichtigste Mensch in deinem Leben ist. Und das hast du mit einer Wärme in deinen Augen gesagt, die mich vor Neid erblassen ließ. Du solltest so schnell wie möglich zu ihr fahren und ein wenig dort bleiben. Ich denke der Abstand zu dem hier würde dir mehr als gut tun. Es würde dir helfen, die Dinge klarer zu sehen. Und das wäre kein Weglaufen, nur manchmal ist ein Scherbenhaufen besser zu überblicken, wenn man einen Schritt zurücktritt und aus einem anderen Blickwinkel ihn betrachtet. Bitte, fahr zu ihr."
 


 

Antonin

Antonin seufzte tief, doch gleichzeitig begann er zu lächeln. "Du hast Recht. Ich würde dir immer zuhören, egal wie sehr ich vielleicht lieber gar nichts hören möchte. Und ich freue mich darüber, dass ich dir das gezeigt habe. Denn dein Leben bedeutet nicht nur dir etwas. Dich am Leben zu wissen ist mir sehr wichtig und ich glaube Ragnar auch. Und es tut mir leid, dass ich dir das alles um die Ohren geknallt habe, denn es war im Grunde nicht meine Absicht dich zu kritisieren. Schlussendlich kann jeder nur für sich selbst entscheiden, richtig? Aber ich hoffe darauf, dass du vielleicht irgendwann wirklich deinem eigenen Ratschlag nachkommst und wenn es soweit ist, dann bin ich hier um zuzuhören. Genauso wie du mir gerade zugehört hast, etwas, das mir schon immens weiterhilft." Er verzog den Mund ein wenig nachdenklich bevor er weiter sprach. "In den wenigen Minuten, die wir schon sprechen, habe ich jede Menge erfahren. Über dich, über mich auch über ein mögliches uns und daher möchte ich dir sagen, dass ich ein Idiot bin. Ich weiß, dass ihr mich nicht einfach so hängen lassen würdest, aber es ist manchmal der einfachere Weg, den Kopf in den Sand zu stecken. Nun, es war vielleicht nicht die einfühlsamste Methode, um mir die Augen zu öffnen, aber es hat funktioniert. Womöglich werde ich noch in Jahren daran zurückdenken und mich daran erinnern wie du mir gerade gesagt hast, dass ich dir geholfen habe. Und es wird mir die Kraft geben mir diesmal selbst zu helfen - mit Unterstützung. Das bedeutet mir eine Menge, Cole", murmelte er ins Telefon und überging das mit dem Küssen erst einmal, obwohl diese Worte ein unglaubliches Kribbeln in seinem Magen auslösten.

"Und ich.. naja ich weiß nicht genau wie ich es nennen soll, aber danke für die Wahrheit. Danke für die Wahrheit, die ich von dir erhalte, egal was ich davon halten mag. Denn ich ziehe sie einer Lüge zu jeder Zeit vor. Selbst wenn ich wieder in so ein depressives Loch fallen sollte. Weshalb ich deinem Vorschlag auch nachkommen werde. Ich mochte jetzt mehr denn je sehen, wie es meiner Mutter geht, auch wenn ich gerade dabei bin, halbwegs erfolgreich zu verdrängen. Aber ich kann mir jetzt keine Zusammenbrüche erlauben, die nur auf Vermutungen basieren. Was ein weiterer Grund dafür ist, dass ich tatsächlich zu ihr fahren werde." Er seufzte abermals und ohne dass jemand es sehen konnte wurden seine Augen wieder wärmer.

"Und dann wäre es sehr schön, wenn diese versprochenen Küsse noch auf mich warten würden bis ich zurückkomme, denn sie sind nicht bescheuert. Auch du nicht. Zudem du der allerletzte Mensch auf diesem Planeten bist, der diese Art von Neid zu haben braucht. Vielleicht solltest du einfach nur mal ein wenig genauer hinsehen, wenn ich über dich spreche." Er warf einen flüchtigen Blick auf seinen Mülleimer und hob eine Augenbraue. "Ich wünschte mir tatsächlich du wärst gerade hier um das umsetzen zu können. Das und noch mehr, denn es ist durchaus nicht nur die emotionale Achterbahn, die ich an dir anziehend finde." Antonin war ein wenig über sich selbst erstaunt, aber es fiel ihm beileibe nicht schwer, diese Worte auszusprechen. Inzwischen war er sich auch recht sicher, dass die Kondome, die er gefunden hatte, im Grunde nur zu Cole und ihm gehören konnten. Weshalb er sich sogar ein kurzes Grinsen erlaubte. "Zudem du ja gesagt hast, dass man manchmal durch gleiche oder ähnliche Geräusche wieder Erinnerungen zurückbekommen kann. Nun, vielleicht gilt das auch für Tätigkeiten."
 


 

Cole

Cole entspannte sich sichtlich wieder, als er die Worte des anderen hörte. Er war froh, dass er doch recht gnadenlos in seiner Wortwahl gewesen war, denn Antonin hatte zum Glück gesehen, was dahinter stand. Und er hatte nicht beleidigt reagiert. "Dir muss nichts leidtun, wir haben uns beiden einiges um die Ohren gehauen, aber das ist mir lieber, als wenn man alles nur in sich hineinfrisst und dann irgendwann hoffnungslos explodiert. Außerdem habe ich dir gesagt, dass ich immer ehrlich sein möchte zu dir. Und genauso möchte ich, dass du immer ehrlich zu mir bist." Die Erleichterung und die Freude waren in seiner Stimme sicher zu erkennen. "Ich freue mich, dass du für mich da sein wirst, wenn ich selbst an dem Punkt bin, dir noch mehr zu erklären. Und ich weiß, dass ich dich dann brauchen werde." Er lächelte noch immer. "Nenn dich nicht Idiot. Ich bin mindestens ein genauso großer. Ich glaube wir beide könnten einen Club gründen. Den Club der größten Idioten der Weltgeschichte. Und glaube mir, ich wäre der Vorsitzende." Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. "Aber ich freue mich, dass ich dir helfen kann, so wie du mir immer hilfst, meine Idiotie zu überwinden."

Als er die Worte des Danks hörte rollte er sich ein wenig ein, und meinte die Wärme spüren zu können, die Antonin ihm zuteilwerden ließ. "Das ist gut, das ist sehr gut, dass du zu ihr fährst. Und du kannst mich jederzeit anrufen. Und wenn du irgendwas brauchst, sag einfach Bescheid."

Die Worte, die folgten, ließen sein Herz spürbar schneller schlagen. Konnte es sein, dass sich Antonin an ihren Sex erinnerte? Nein, das sagte er ihm gerade. Aber offensichtlich schien Antonin nicht abgeneigt zu sein, diese Erfahrungen zu wiederholen. Dafür sagte er ihm aber, dass er ihn begehrte. Und das ist mehr, als er gestern noch geglaubt hatte. Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen. "Ich brauche genau 20 Minuten, um hier alles fertig zu machen und weitere 12 Minuten um bei dir zu sein", stellte er fest. "Und wenn es dir recht ist, würde ich gerne zu dir kommen, auch wenn das nicht bedeuten muss, dass wir wirklich umsetzen müssen, was du dir offenbar wünschst." Das verschmitzte Grinsen war in seiner Stimme zu hören. "Ich würde mich auch einfach nur, mit einem ruhigen Schlaf in deinen Armen zufrieden geben. Wenn du das möchtest."



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -Amber-
2010-08-19T15:38:33+00:00 19.08.2010 17:38
QAF ist toll ;) und es hat mich ziemlich inspiriert ;)
Cole ist letztlich Brian sehr ähnlich, aber doch auch wieder nicht ganz...
Aber die Geschichte hat nur bedingt Parallelen...

Wir hatten die Geschichte schon fertig, als ich mir überlegt hatte, dass es eigentlich eine schöne Fanfic wäre... ICh habe sie dann korrekturgelesen und online gestellt... Wobei immer noch einige Fehler drin sind, die ich hin und wieder retuschiere ;)
Eigentlich war die Geschichte ein RPG ;)
Von:  Tshioni
2010-08-17T21:56:00+00:00 17.08.2010 23:56
also der Antonin vor dem Unfall hat mir seeehr viel besser gefallen!!
ich will den alten zurückk!!!!

kann es sein, dass du ein Queer as folk fan bist?
Ich erkenne einige parallelen! nur hoffe ich, dass das Ende nicht ähnlich ist!!!

Hast du die Geschichte erst geschrieben und dann die kapitel on gestellt, oder warst du eine fleißige schreiberin?

lg Tshioni


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