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Ein Leben im Todesrausch

Der Tod ist ihr Freund
von

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Der Anfang des Weges

Hallo. Ich bin Silvana, ihr kennt mich wohl eher nicht. Jedenfalls nicht, wenn ihr noch am Leben seit. Aber das ist nicht so wichtig, jemanden zu kennen hat mich noch nie an… dem eben gehindert.

Wieso ich das hier schreibe? Weil ich wohl bald sterben werde. Nicht freiwillig, oh nein. Aber ich werde es wohl kaum verhindern können. Hätte ich mich an das gehalten, was mein Meister damals immer sagte, würde ich jetzt nicht hier sitzen und den anderen zuschauen, wie sie sich vorbereiten. Die würden dann nämlich schon längst nicht mehr leben.
 

Schöne Andeutungen nicht wahr? Aber ich denke ich sollte jetzt wirklich anfangen… ich weiß nicht wieso, aber ich musste vor kurzem an meine Mutter denken. Sie sagte oft, dass alle Geschichten es wert seien erzählt zu werden, weil sie alle zum Geflecht des Lebens gehören. Ich weiß nicht ob es so ist, aber ich möchte erzählen, weil es eine Tat wäre, auf die meine Mutter auch mal stolz sein könnte.

Falls sie es denn sieht.

Ich kam im Winter 2345 auf die Welt, als Tochter eines kormanischen Bauers und einer rubianischen Landarbeiterin. Unehelich.

Mutters Landarbeiterfreundin, die bei der Geburt als einzige anwesend war, meinte, ich sei still wie ein Fisch gewesen. Hätte nur geguckt. Und getrunken. Ich weiß das nicht, wisst ihr noch alles von eurer Geburt?

Meine Mutter war eine sehr liebe Frau. Mütterlich und so, obwohl sie wusste, das es für sie leichter wäre mich abzugeben oder einfach in den weiten Steppen Rubias zurückzulassen, hat sie mich mitgenommen. Sie hat mich vor ihren Arbeitgebern versteckt, was nicht weiter schwer war. Die interessieren sich nur für die Arbeit und bei den jungen und hübschen für… andere Sachen halt.

Als ich so in etwa sechs Jahre alt war, konnte man mich aber nicht mehr verstecken. Also stellte sie mich überall als Waise vor, die ihr über den Weg gelaufen war, und die seitdem mit auf den Feldern arbeitete. In den Vorstellungen der Farmbesitzer war ich zehn, denn die Firma achtete sehr streng auf das Alter der Landarbeiter. Muss wohl was mit der Sicherheit zutun haben, so ganz weiß und wusste das niemand.

Dieses Versteckspiel ging vier Jahre über gut. In dieser Zeit brachte meine Mutter mir alles bei, was ich ihrer Meinung nach können musste, um durchs Leben zu kommen: Meine Stellung in der Gesellschaft- knapp über Vieh, aber ziemlich weit unter dem niedersten Stadtbewohner. Ich war eine unbekannte Größe, da bei uns die Kinder meist nach dem Vater beurteilt wurden. Das vereinfachte die Sache nicht gerade. Außerdem brachte sie mir alles Notwendige über Ackerbewirtung, Viehzucht, die Erntezyklen und, das Wichtigste überhaupt: Die Firma bei.

Die Firma… wie soll man das erklären? Die Firma besteht im Kern aus den Nachfahren der Überlebenden der Katastrophe, die vor zwei Jahrhunderten die alte Welt und ihre Ordnung zerstörte, das Land aufwühlte und tausende Bestien schuf, die von da an durch die Welt streiften, mit einem Hunger beschenkt, der sie zu absolut tödlichen Gegnern machte, die nichts kannten- weder Angst noch Gefahr.

Die Firma besteht aber nicht nur aus diesen Menschen- wäre dem so, wären sie eigentlich recht ungefährlich. Was sie gefährlich machte, waren die zahlreichen Gruppierungen unter ihnen, die die Drecksarbeit erledigten. Diese Gruppierungen mordeten und entführten, und das alles für das große Ziel der Firma: Die alte Ordnung wiederherzustellen, damit sie wieder reich wären. Außerdem beherrschte Die Firma alle Fabriken, die es damals bei uns gab. Die Leute brauchten sie für Versuche… grausame Versuche, in deren Verlauf einige von ihnen zu Kampfmaschinen wurden, die nicht aufzuhalten waren und denen jegliche Menschlichkeit geraubt war.

Die anderen starben.

Meine Mutter sagte oft, dass das ganze gar nicht so schlimm wäre, wenn sie durch ihre Bohrungen nicht die Erde zerstören würden und immer neue, noch größere Bestien erschaffen würden. Es gab Gebiete, in denen flüssiges Feuer wie Wasser über den Boden strömte. An anderen Orten brachen plötzlich Spalten auf, die viele hundert Menschen auf einmal verschlucken könnten. Wieder andere Landschaften wurden von einem milchigen Nebel bedeckt, der aus Gift bestehen musste, jedenfalls starb jeder, der diese Landschaften betrat.

Die Firma zerstörte also unsere Erde- aber niemand konnte etwas dagegen machen. Die Patrouillen der Firma durchstreiften alle Länder, und das einzige freie Land, in dem sie nicht unterwegs waren, hatte die Grenzen geschlossen und ließ niemanden mehr rein. Sie hatten Angst vor Verrätern.
 

Nach vier ereignislosen Jahren- meine Mutter und ich waren mit einigen anderen Landarbeitern auf dem Weg zur nächsten Farm, um zu arbeiten- kam uns eine dieser Patrouillen entgegen. Als sie uns sahen, schwärmten sie aus womit sie unsere Lastwagen zum Stehen zwangen. Einer der Kämpfer stieg von seinem Rebhak ab und baute sich vor den vordersten Wagen auf . „Wohin des Weges?“ fragte er mit einer herrischen, tiefen Stimme. „ Z-zur nächsten Farm, Sir“, antwortete der Fahrer des Wagens, der ebenfalls ausgestiegen war, den Blick demütig zu Boden gesenkt. Er war ein großer, starker Mann mit riesigen Muskeln, doch in diesem Moment sah er aus wie ein kleiner Junge. Wir alle wussten wieso- jeder sah die Waffen, die die Mitglieder der Patrouille auf dem Rücken oder an der Hüfte trugen und jeder wusste, das unser Anführer, muskulös wie er auch war, nicht kämpfen konnte und zudem auch keine Waffe hatte.

Der Anführer der Patrouille ließ seinen Blich inzwischen über die Lastwagen schweifen- kurz erfasste sein Blick mich und die anderen Kinder, dann befahl er mit harscher Stimme „ Alle runter von den Lastern und in einer Reihe aufstellen.“ Hastig taten wir wie geheißen. Als alle so standen, wie er es befohlen hatte, schritt er langsam an uns vorbei, wobei er sich jeden einzelnen genau ansah. Bei manchen nickte er lediglich, bei anderen ließ er ein leises Brummen ertönen; dies alles ohne jeglichen Anreiz.

Schließlich hatte er das Ende der Reihe erreicht. Hier standen die Kinder, zitternd vor Angst und einige mit Tränen in den Augen. Ihr könnt euch vielleicht nicht vorstellen wieso: Unsere Eltern haben uns oft Geschichten erzählt, wie die Patrouillen Kinder mitgenommen haben, um sie in ihre Hauptstadt zu bringen und dort wer-weiß-was mit ihnen zu tun.

Uns kam es so vor, als würde er jeden von uns besonders genau ansehen und dabei im Kopf eine Liste durchgehen und abhaken.

Ich stand am Anfang der Reihe, da ich mit meinen „14“ Jahren theoretisch die Älteste von uns wäre. Als er vor mir stand, mich mit kalten grauen Augen musternd, wagte ich es nicht weiter ihn anzusehen und senkte den Blick schnell auf den Boden. Dies ließ er jedoch nicht zu. Sanft und zugleich unheimlich kraftvoll hob er mein Kinn und sah mir direkt in die Augen. Die anderen Arbeiter und seine Patrouille besahen sich alles schweigend; die einen voller Angst und die anderen schlichtweg gelangweilt.

Ich konnte seinem Blick nicht standhalten und schloss schließlich die Augen. Seine Augen waren unheimlich: kalt und tot und dennoch, als ob ein Feuer in ihnen wäre das jeden verbrannte, der diesem Blick zulange standhielt.

Mit einem abfälligen Schnauben ging er weiter. Manche der anderen unterzog er der gleichen gründlichen Betrachtung wie mich, andere schien er schon auf dem ersten Blick für untauglich befunden zu haben. Untauglich… nur für was? Was wollte er von uns? Ich wollte einfach nicht glauben, das er mich… uns für irgendwelche Versuche mitnehmen konnte.

Als er schließlich mit seiner Inspizierung fertig war, trat er wieder vor die versammelten Erwachsenen. Er ließ seinen Blick über die Gruppe schweifen, dann fragte er „Haben diese Kinder alle Eltern? Ich wünsche, das diese sich hinter ihre Kinder aufstellen.“ Dies sagte er in einem ruhigen und friedlichen Ton, der aber gleichzeitig keinerlei Widerstand zu dulden schien.

Zögernd traten einige der Erwachsenen vor, tauschten unsichere Blicke mit den zurückbleibenden, bis sie schließlich bei ihren jeweiligen Kindern angekommen waren. Diese drückten sich sofort eng an ihre Eltern.

Nur meine Mutter kam nicht.

Ich sah sie an, konnte nicht glauben das sie mich so verraten würde. Ich sah den Schmerz, die Bitte um Verzeihen in ihrem Gesicht. Ich war maßlos enttäuscht. Wieso verriet meine Mutter- meine liebe Mutter mich? Ich verstand es nicht, und auch heute… auch heute kann ich nicht verstehen wieso sie das tat.

Alle Kraft, alle Selbstsicherheit, die der Blick des Mannes noch nicht genommen hatte, verschwanden unter diesem traurigen, bittenden Blick meiner Mutter.

Ich wandte den Kopf ab. Er fühlte sich leer an, nichts war mehr da. Keine Empfindungen, keine Trauer… nichts. Es war, als ob ein Sturm im Inneren meines Kopfes gewütet hatte. Lautlos formte ich mit den Lippen das Wort „Mama“. Schielte in ihre Richtung. Sie guckte weg, hatte den Blick auf irgendeinen Stein oder imaginären Fleck zu ihren Füßen gerichtet. Plötzlich viel ein Schatten über mich. Ich schaute auf, wieder mal gezwungen von der Hand, die sanft und doch kraftvoll mein Kinn anhob. Ich sah in die Augen des Mannes. Eiskalt. Grau. Brennend. Und in diesen Augen sah ich mich. Ein junges Mädchen, das Gesicht dreckig vom Staub, die Augen feucht, Tränen, die lange Spuren durch den Staub zogen, die wie Adern wirkten. Den Mund zu einer Grimasse der Angst verzogen, des maßlosen Entsetzens im Angesicht dieser Person. Schutzlos. Ohne jede Möglichkeit, mich zu verteidigen und ohne irgendwen zu haben, der mir beistand.

Ich zitterte immer stärker.

Dann, es kam mir vor wie eine Ewigkeit, ließ er mein Kinn los. Er wandte sich an die Erwachsenen während ich weinend zusammensank.

„Dieses hat keine Eltern?“ fragte der Mann mit schneidender Stimme.

Er bekam keine Antwort, doch plötzlich meldete sich eines der jüngeren Mädchen zu Wort, das sich bisher an die Jacke ihres Vaters geklammert hat. „Aber Miare ist doch ihre Mutter!“, sagte das Mädchen laut, aber mit zitternder Stimme. Mit Tränen verschmiertem Gesicht sah ich erst sie, dann meine Mutter, dann den Mann an.

Dieser sah mit einem fast tadelnden Lächeln auf die Menge der Erwachsenen. „So so. Und wer von euch ist diese Miare?“ Keiner rührte sich, einzig die Reittiere der Patrouille scharten mit ihren spitzen Klauen im Sand, offensichtlich genauso gelangweilt von dem, was sich ihnen bot, wie ihre Reiter.

Ich wartete. Ein Teil von mir hoffte, das meine Mutter nun vortreten würde und sich zu mir bekennen würde. Das sie einfach sagen würde, das ich ihre Tochter war und die Männer dann weiter reiten würden und wir auch einfach weiterziehen würden. Als ob nichts gewesen wäre.

Aber meine Mutter trat nicht vor.

Ich sackte auf dem Boden zusammen, die Arme um die Beine gelegt, den Kopf auf den Knien.

Mit einem fiesen Grinsen auf den Lippen drehte der Mann sich mir zu. Mit samtweicher Stimme sagte er: „Waisenkinder können wir immer gut gebrauchen“. Mit diesen Worten bedeutete er einem der Patrouillenmitglieder , sich um mich zu kümmern. Vor Angst zitternd kroch ich in mir zusammen, als der Mann auf mich zuging und mich am Arm hochzog. Er lächelte mich an, dann zog er mich auf die wartenden Rebhak zu. Er half mir, auf eines der Tiere aufzusteigen, dann setzte er sich selber hinter mich. Ich ließ das alles mit mir machen. Was hätte ich auch tun sollen? Ich war 10 Jahre alt, meine eigene Mutter stand nicht zu mir… ich fühlte mich verraten und als wäre sämtliche Energie aus mir gewichen.

Der Mann mit den kalten Augen ließ mit einem zufriedenen Lächeln noch einen Blick über die Menge schweifen, dann drehte er sich um und stieg wieder auf sein Rebhak. Er gab das Zeichen zum Aufbruch und die Rebhaks brachten uns mit schnellen Schritten wieder raus in die Prärie, weg von den Arbeitern. Ich schaute nicht zurück.



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