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Tausend Gründe

- Ja und Nein zu sagen -
von

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Weil sie dich liebt

„Jonathan! Would you please come downstairs? Breakfast is ready!”
 

Murrend drehe ich mich noch einmal in meinem Bett herum, bis es schließlich an meiner Tür klopft und mein liebevoller Vater den Kopf in mein Zimmer schiebt. Ein sanftes Lächeln ziert seine Züge, bei dem ich mich am liebsten übergeben würde.
 

„Hey Großer, ist das Englisch schon eingerostet?“
 

„Ha ha, Dad“, maule ich, werfe ihm einen verschlafenen Blick zu und winke ihn schließlich zu mir heran. Ich weiß, dass ich meinem Vater vertrauen kann und dass ich mit jemandem darüber reden muss, dass ich den vermutlich größten Fehler meines Lebens gemacht habe.
 

„Dad?“
 

„Hm?“
 

„Kann ich dir mal eine rein hypothetische Frage stellen?“
 

„Aber sicher.“
 

„Wenn du mit jemandem geschlafen hast der in dich verliebt ist und du dann erfährst, dass einer deiner Freunde in diesen jemand verknallt ist, was würdest du tun?“
 

„Bin ich auch in diesen jemand verliebt?“
 

„Weiß nicht.“
 

„Hm“, macht mein Vater nachdenklich, zieht mir die Decke weg und schiebt mich aus meinem Bett, während er sich an die Zimmerwand lehnt. Sein Blick ruht auf mir, verfolgt mich in mein angrenzendes Badezimmer. Er wirft mir eine Jeans und ein Shirt zu, auch den Pullover fange ich auf.
 

„Ich würde mit meinem Freund reden. Lieber von Anfang an sagen, dass wir eventuell beide etwas von demselben jemand wollen“, lautet schließlich seine Antwort.
 

Auch wenn mein Vater meistens Recht hat, weiß ich nicht, ob ich seinem Rat dieses Mal folgen will. Damit würde ich Melanie doch mit Sicherheit wehtun. Und die Freundschaft mit ihr will ich nicht gefährden. Und wenn ich mich nicht verliebe, dann ist doch alles in Ordnung, oder?
 

„So, jetzt komm aber. Deine Mutter wartet.“
 

„There you are“, raunt meine Mutter, als wir die Küche betreten, zieht mein Hemd zurecht und stellt mir dann eine dampfende Tasse Tee hin. „Egg?“
 

Ich schüttle den Kopf, schmiere mir ein Schwarzbrot mit Marmelade und beiße gerade hinein, als meine kleine Schwester in die Küche gefegt kommt und quietschend von ihrem neusten Traum erzählt, in dem es um fliegende Einhörner und böse Zauberer geht. Sie hat derzeit ihre Prinzessinnen-Phase.
 

Das Frühstück verläuft harmonisch und ist schließlich beendet, als mein Vater aufsteht und seine Jacke anzieht. Das Zeichen für mich, dass ich los muss. Allerdings regnet es heute in Strömen.
 

„Dad, fährst du mich heute?“
 

„Angst davor nass zu werden?“
 

„Ja“, gebe ich unumwunden zu, reiße die Haustüre auf um doch noch mal einen schnellen Blick nach draußen zu riskieren, halte dann aber erschrocken inne. Das ist nicht wahr, bitte nicht!
 

„Hi! Hast du mich erwartet?“
 

„Ähm, nein. Was willst du denn hier?“
 

„Dich abholen, bei dem Regen“, erklärt Lukas, deutet auf den zweiten Schirm in seiner Hand und lächelt mich undefinierbar an. Auch wenn das eine wirklich nette Geste ist, habe ich trotz allem nicht vor zu Fuß zu gehen.
 

„Dad“, rufe ich ins Haus rein, erhalte ein unstimmiges Brummen als Antwort. „Wir nehmen Lukas mit. Der hat auch Angst vor Regen.“
 

Ich grinse ihn an, bitte ihn dann herein und verschwinde im oberen Stockwerk. Schnell putze ich mir die Zähne und raffe dann die letzten Schulsachen zusammen. Als erneut an der Haustüre klingelt will ich mir fast ins Handgelenk beißen.
 

„Oh, wie nett, vielen Dank!“, höre ich meine Mutter flöten und atme erleichtert aus. Also nur die alte Nachbarin, die mal wieder irgendetwas im Garten geerntet hat und meiner Mutter schenkt. Als ob man unsere Familie bestechen könnte.
 

„Kommst du, Nathan?“
 

„Bin schon da!“, stürme ich die Treppen hinunter, reiße im vorbeigehen eine Jacke vom Haken, drücke meine kleine Schwester kurz an mich und sprinte dann die wenigen Meter von unsere Haustür zum Auto. Lukas sitzt bereits drin und hält mir die Tür auf.
 

„Danke. Bin drin. Los geht’s!“
 

Mein Vater lacht daraufhin, winkt noch einmal und fährt an.
 

Und mir wird auf einmal bewusst wie nahe mir Lukas ist.
 

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„Anhand dieses Schriftstückes können Sie erkennen, dass die Überlieferung von Historie stark davon abhängig ist mit wem wir uns befassen. Denken Sie nur einmal an sich selbst. Stellt man zwanzig Schülern ein und dieselbe Frage, so werden Sie im Ergebnis rund fünf unterschiedliche Antworten erhalten. Dieses Phänomen…“
 

Das Schrillen der Schulglocke unterbricht meinen Geschichtslehrer in seinen sterbenslangweiligen Ausführungen über die Geschichte und ihre Überlieferung. Nicht das es jemanden gestört hätte.
 

„Jonnyboy!“, ertönt es hinter mir und ich wende mich meiner besten Freundin zu, die, ganz Mädchen, ihre Handtasche am Handgelenk baumeln lässt und in ihren hochhakigen Schuhen auf mich zugestakst kommt.
 

„Guten morgen, mein Schatz. Wie geht es dir?“
 

„Gut. Und selbst?“
 

„Furchtbar“, lautet ihre Antwort, gefolgt von einem entzückenden Lächeln. „Liebeskummer. Du kennst das ja.“
 

Eigentlich nicht. Und das weiß sie auch. Ich war noch nie verliebt.
 

„Hast du Englisch gemacht, Honey?“
 

Darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Melanie ist einfach zu bezaubernd, denn ansonsten hätte ich ihr meine Notizen in diesem Fach schon längst verwehrt. Aber ohne sie wäre ich in Biologie komplett aufgeschmissen. Und für mich ist Englisch nun mal wirklich ein Klacks. Mit einer Amerikanerin als Mutter.
 

„Sicher. Kommst du mit in die Raucherecke?“
 

„Rauchen ist ungesund, Schätzchen!“
 

„Ich weiß.“ Und es stört mich nicht im Geringsten.
 

Gemeinsam mit Melanie mache ich mich auf den Weg durch die engen Flure, remple dabei mehrmals gegen Mitschüler. Diese Schule ist viel zu klein für mehr als tausend Menschen, die hier täglich ein und ausgehen.
 

Ich stoße die Tür zum Außengelände auf und lasse mich schließlich auf einer Holzbank nieder. Ziehe erst meine Zigarettenpackung, dann mein Englischheft aus meinem Rucksack. Ihr gebe ich letzteres.
 

„Hast du Feuer?“, frage ich, auf der Suche nach meinem eigenen, das vermutlich wieder auf meinem Schreibtisch zu Hause liegt. Ich soll zwar nicht bei uns rauchen, aber am offenen Fenster ist mir diese Regel vollkommen schnuppe.
 

„Ich rauche nicht, falls du es vergessen haben solltest“, kommt Melanies leicht eingeschnappte Antwort zurück, auf die ich kaum noch achte. So ist sie eben. Ich habe gelernt mit ihren Allüren zu leben. Sie kann ja auch nett sein. Manchmal.
 

„Thomas“, rufe ich einen Jungen in meiner Nähe, der sich auch prompt umdreht. „Feuer?“
 

„Klar“, wirft er mir seinen Zipper rüber. Als der Glimmstängel angezündet ist nehme ich einen befreienden Zug und werfe Thomas das Feuerzeug wieder rüber. „Danke.“
 

Nun herrscht schweigen zwischen mir und Melanie. Denn entgegen aller Behauptungen ist sie absolut nicht multi-tasking fähig. Zumindest kann sie nicht schreiben und reden gleichzeitig. Telefonieren und Shoppen geht gut zusammen.
 

„Hast du denn mal mit ihm gesprochen?“, kann ich mir die Frage doch nicht verkneifen. Ihre Augenbrauen ziehen sich angestrengt zusammen und sie murmelt halbleise vor sich hin, ehe sie auf ein Wort deutet. Ich lehne mich zu ihr rüber.
 

„Responsibility“, lese ich ihr vor.
 

„Und das heißt?“ – „Verantwortung.“
 

Sie schreibt noch eine Weile schweigend weiter, klappt dann aber das Heft zu und verschraubt ihren Füller wieder, verstaut alles in ihrer Tasche.
 

„Nein, habe ich nicht“, sagt sie schließlich und setzt sich endgültig neben mich. „Ich wüsste auch nicht wie oder was ich genau sagen soll.“
 

„Frag ihn doch, ob er mit auf eine Party kommt. Kannst ja sagen, dass alle hingehen.“
 

„Da kennt er doch keinen.“
 

„Er kennt mich.“ Augenblicklich will ich mir auf die Zunge beißen. Aber da ich meine Aussage nicht rückgängig machen kann, erspare ich mir den Schmerz. Ich habe Melanie das nie sagen wollen. Weder das ich gemeinsam mit ihm im Sportklub bin, noch das er mir beinahe gegenüber wohnt.
 

„Ihr kennt euch? Und das sagst du erst jetzt?“, entrüstet sie sich, wirft ihre langen, feuerroten Haare über die Schulter und zieht ihre berüchtigte Schnute.
 

„Flüchtig“, weiche ich aus und revidiere mich damit selbst. „Vielleicht reicht es ja.“
 

Sie lacht. Ich liebe ihre Lachen.
 

„Du weißt doch wie ich auf Feten immer abgehe. Das muss er ja nun wirklich nicht von mir wissen. Das wäre ein schlechter erster Eindruck.“
 

Ich werfe meinen gerauchten Glimmstängel zu Boden und zertrete ihn mit einigem Genuss. Es knirscht unter meinem Schuh.
 

„Wenn ihr zusammen kommt wird er es eh erfahren oder wirst du mit einem Mal abstinent?“
 

„Wer weiß. Für ihn mit Sicherheit.“
 

Überrascht sehe ich auf.
 

Melanie hat sich noch nie geändert. Außer für mich. Aber schließlich kennen wir uns schon seit sieben Jahren und haben so einige Krisen hinter uns. Wir konnten immer ehrlich zueinander sein und haben uns gegenseitig beeinflusst.
 

Für einen anderen ist sie nie so weit gegangen. Nicht einmal für Klaas. Und mit dem war sie immerhin fast drei Jahre zusammen.
 

„Aber warum?“, frage ich verstört. Ihre Antwort ist erschreckend simpel.
 

„Weil ich ihn liebe, Jonny.“
 

Und dabei strahlt sie über das ganze Gesicht.
 

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2009-10-13T21:25:07+00:00 13.10.2009 23:25
Oh nein. Er hat doch nciht mit dem Kerl geschlafen, in den sie verliebt ist, oder? Mich beschleicht das gefühl, dass ich mit meiner Vermutung richtig liege...Schrecklich! Oh mein Gott, wie verzwickt ist das denn?

Aber abgesehen von diesem Thema ist es wieder toll geschrieben. Und du hast echt ein Talent, deine Geschichte lebendig zu machen. Du schreibst zwar echt viele Kleinigkeiten auf, aber sie wirken nicht störend, wie bei anderen Geschichten. So kann man sich einfach das Bild, welches du vermitteln möchtest sehr gut vorstellen. Man ist in der Geschichte drin, hat die Gesichter und Gesten vorm inneren Auge und das ist echt klasse. Ich mag deinen Schreibstil wirklich sehr!

Ich freue mich schon darauf, das nächste Kapi zu lesen^^ Bin gespannt wie es weiter geht!

Mach weiter so, echt sehr gute Arbeit!

LG Loona
Von:  Neville
2009-10-08T11:35:23+00:00 08.10.2009 13:35
Also ich find die Länge total in Ordnung!
Nicht zu lang und nicht zu kurz. Perfekt :)

Zu dem Inhalt:
Ich find es toll, wie du den morgendlichen Alltag beschreibst <3
Da will man gleich auch so den Morgen beginnen *lach*
Auch find ich Melanie auf einer Seite sympathisch auf der anderen Seite nicht, ich denke, dass das so beabsichtigt ist.
Ich freu mich schon auf's weiterlesen!!

LG Neville


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