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Was wäre wenn...

von

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Kapitel 9

Kapitel 9
 

Ich versuchte den unteren Teil von Steves Körper so gut es ging nicht zu beachten, nachdem mein Blick zuerst unwillkürlich direkt zu seiner Körpermitte gewandert war. Natürlich zogen derartige Regionen immer Aufmerksamkeit und Neugierde auf sich, aber es war mehr meine Reaktion darauf, die mich irritierte. Schließlich schlug einem nicht alle Tage das Herz höher, wenn sein nackter Feind einen mit großen Augen hilflos ansah, und vor allem dann nicht, wenn man seine ‚Größe’ prinzipiell fast schon im Gesicht hatte, freiwillig oder unfreiwillig. Auf jeden Fall mied ich es hinterher, mich auch nur in die Nähe dieses gefährlichen Gebiets zu begeben. Zum meiner Schande musste ich zugeben, dass ich in diesem Moment selbst ein wenig rot anlief...
 

Nach einem kurzen Augenblick des Zögerns ging ich dann doch zu ihm hinüber, um ihm zu zeigen, wie er das Wasser der Dusche zum fließen brachte. Ich verstand zwar nicht, wie die Konstruktion zu schwer sein konnte, um nicht von selbst auf die Idee zu kommen, einfach an der Leine zu ziehen, aber ich war ja auch schon länger hier und hatte es beim ersten Besuch hier auch gezeigt bekommen.
 

Den ganzen, glücklicherweise kurzen Weg zu ihm, sah Steve mich unentwegt an, bis er peinlich berührt den Kopf abwandte, als ich bei ihm ankam. Mit wenigen Worten erklärte ich ihm den Mechanismus und ging dann zurück zu meiner eigenen Dusche. Im Nachhinein fiel mir auf, dass ich auch zu einer anderen, weiter entfernt liegenden hätte gehen können, aber vermutlich war ich einfach nicht ganz bei mir. Mir fiel auch auf, dass Steve während meiner ganzen Erklärung gebannt an meinen Lippen hing ohne sich zu rühren, nur mit auf mein Gesicht gebannten Blick lauschte und alles in allem aussah, als würde er nicht ein Wort von dem mitkriegen, was ich sagte.
 

Ohne weiter unterbrochen zu werden zog ich an der Leine und genoss das warme Wasser, nach dem es mich so dringend verlangt hatte. Ich war schon längst nicht mehr in der Stimmung, die mich hierher geführt hatte; sie hatte sich irgendwann im Laufe meines Kontakts mit Steve verflüchtigt. Oder sie war von den Bildern, die Steves Anblick mir beschert hatte, einfach weggebrannt worden, das konnte natürlich auch sein. Aber so genau wollte ich darüber nicht nachdenken. Trotzdem war das Gefühl der Wärme auf meiner Haut sehr willkommen. Ich fühlte, dass Steve mich beobachtete. Aber ich hatte keine Lust, mich umzudrehen und zurückzustarren, in der Hoffnung er würde aufhören, oder mich anderweitig jetzt mit ihm zu beschäftigen.
 

Eine gute Zeit später, in der ich kein Wort gesagt hatte, sondern regelrecht in meinen Bewegungen versank, war ich sauber gewaschen, merklich erfrischt und das Wasser alle. Fast schon entspannt ging ich zu dem Stück Gras, auf dem ich meine Kleider und das Handtuch zurückgelassen hatte. Steve folgte meinem Beispiel. In seltsamen Einigkeit trockneten wir uns beide ab und zogen die frischen Sachen aus groben Stoff und Leder an. Inzwischen war es dunkel, aber ich bezweifelte, dass das Fehlen von Licht einen von uns stören würde, schließlich war die Nacht unser eigentliches Territorium anstelle des Tages. Der Mond war eine kaum am Himmel zu sehende Sichel, bald war Neumond. Nicht, dass das für uns etwas bedeutete. Vielleicht für Werwölfe, aber ich hatte in meinem ganzen Leben noch keinen gesehen, also hielt ich es für gut möglich, dass es keine gab.
 

In Schweigen gingen wir zurück zu unserem jetzt gemeinsamen Zelt. Langsam und schleichend kehrten auf dem Weg meine Gedanken und meine Zweifel wieder zu mir zurück. Während der Dusche war ich angreifbar gewesen, doch es war nichts passiert, auch wenn ich sicher Brandspuren auf dem Rücken von seinen Blicken bekommen hatte, aber Schlafen war eine gänzlich andere Sache. Ich konnte Steve nicht trauen. Zu unsicher war ich, auch wenn bisher alles darauf hingedeutet hatte, dass Steve sich wirklich in dem Zustand befand, den ich die ganze Zeit beobachten konnte. Andererseits hatte er es schon einmal geschafft, mit und sogar Mr. Crepsley etwas vorzuspielen... Also was sollte ich tun?
 

Bis wir angekommen waren, war meine Wachsamkeit vollständig wieder aufgebaut und ich hatte den Entschluss gefasst, diese Nacht beim Schlafen so viel Aufmerksamkeit wie es ging auf Steve zu konzentrieren. Er würde es nicht schaffen, sich im Traum auch nur umzudrehen, ohne dass ich es bemerken würde, und schon gar nicht so nahe an mich herankommen, um irgendetwas zu versuchen! Ich würde auch nicht zulassen, dass er sich aus dem Zelt schlich, um Leute des Lagers anzugreifen. Nicht, wenn ich es verhindern konnte!
 

Steve trat als erster ein, nur um mir hinterher die Zeltklappe aufzuhalten. Er hatte schon die ganze Zeit ein fröhliches Lächeln auf den Lippen gehabt und strahlte mich auch jetzt offen an. Unwillkürlich erwiderte ich seine Geste, bis ich mich wiedervöllig unter Kontrolle hatte. Aber dieses Lächeln war auch ohnegleichen gewesen. Wie als hätte es die Macht, andere Menschen zu verzaubern, so schön war es gewesen, so seltsam das jetzt auch aus meinem Mund klingen mag.
 

Beschwingt wandte Steve sich um, nachdem er den Eingang wieder geschlossen hatte, und sprang munter auf sein Bett, von wo er mich auffordernd ansah.
 

„Wollen wir noch ein bisschen üben? Die Sprache meine ich. Ich bin schon recht gut, aber so schwer ist es auch nicht. Sogar unterhalten kann ich mich schon ein bisschen!“
 

Ach ja, hier sprach man ja eine andere Sprache. Das hatte ich fast vergessen, nachdem ich den ganzen Tag mit Steve und Arson Englisch geredet hatte. Mir würde ein wenig Übung ganz sicher auch nicht schaden.
 

„Na gut.“, stimmte ich mit einem begleitenden Nicken zu und setzte mich Steve zugewandt auf mein eigenes Bett. Den Rest des Abends verbrachten wir dann noch in friedlicher Stimmung während des Lernens. Steve war wirklich schon überraschend weit fortgeschritten, sodass wir kaum noch Englisch brauchten, um ein anständiges Gespräch zu führen. Ich war froh darüber, dass ich nicht wirklich versuchen musste, Esperanto jemand anderem beizubringen. Damit hätte ich mich eindeutig überfordert gefühlt.
 

Die Nacht war schon ein wenig fortgeschritten, als Steve sind hinlegte und verkündete, dass er jetzt schlafen würde. Ich zog meine Decken unter mit hervor und deckte mich zu. Ein leises „Gute Nacht“ vom Nachbarbett, das ich unbeantwortet ließ, war das letzte, was ich von Steve vernahm, wenn man von seinen immer tiefer und gleichmäßiger werdenden Atemzügen einmal absah. Offensichtlich war Steve eine der Personen, die schnell einschlafen konnten. Ich hingegen lag noch lang wach, innerlich unruhig, und voller Gedanken, die ich nicht auf einen Punkt bringen konnte. Jetzt stand mir mein voriger Entschluss, wachsam zu bleiben, eindeutig im Weg.
 

Einerseits war ich davon überzeugt, dass es gefährlich war, einfach zu schlafen, mit Steve nur ein paar Zentimeter von mir entfernt. Ich wäre so angreifbar, wie sonst selten, und dadurch wäre alle anderen hier auch verwundbar. Andererseits versuchte eine immer lauter werdende Gegenstimme in meinem Inneren mit klarzumachen, dass Steve keineswegs gefährlich war, sondern einfach nur jemand, der mit seinem Gedächtnis alle Konflikte und bösen Erinnerungen einfach vergessen hatte. Und dass das damit einhergehende Vampyrproblem sicher ganz einfach gelöst werden könnte.
 

Und so lag ich da, konnte mich weder für die eine noch für die andere Seite entscheiden, während Steve seelenruhig, entspannt und mit einem Engelsgesicht neben mir schlief. Und im Schlaf sah er wirklich so aus, wie als wäre er gerade an einem Ort, der besser war, als ich es je erlebt hatte. Menschen würden in ihrer kitschigen Art vielleicht ‚Himmel’ dazu sagen, aber das ist nichts, woran ich glaube. Der See schien mir da wesentlich realer.
 

Und irgendwann zwischen all diesen Gedanken schlief ich ein...
 

***
 

Der nächste Morgen brachte keine Überraschungen. Steve war noch nicht wach, als ich aufstand, und er sah aus, als hätte er die ganze Nacht ruhig geschlafen. Zumindest hatte ich nichts bemerkt, was auf etwas anderes hinwies.
 

Mein Tagesablauf änderte sich nur geringfügig. Frühstück, Arbeit, Mittagessen, Trainingsplatz, Abendessen, Schlafen. Die geringfügige Änderung bestand nur darin, dass ich statt Arbeit jetzt auch auf den Trainingsplatz ging, und dass ich die ganze Zeit Steve um mich hatte.
 

In den folgenden Tagen (oder Wochen, zu der Zeit verlor ich ein wenig den Überblick) versuchte ich meinem neuen Partner so gut ich konnte, die Kunst des Kämpfens nahe zu bringen. Im Gegensatz zu den abendlichen Sprachübungen lernte er hier nicht so schnell, und brauchte mehr Zeit, als ich in meinen Anfangszeiten. Aber es machte ihm immer Spaß, egal wie oft ich ihn mit einem zu lernenden Griff niederrang, das Holzschwert aus der Hand schlug, oder ihn dieselbe Übung immer wieder machen ließ.
 

Wirklich schockierend war jedoch, dass Steve mich fragte, ob ich nicht auch mit ihm Schießen üben wollte. Natürlich lehnte ich ab, das gehörte zum Kodex. Steve jedoch nickte meine Antwort enttäuscht ab und begann dann, mit einem der anderen Anwesenden die Strohscheiben zu malträtieren. Wenn ich als Halbvampir schon keine Schusswaffen in die Hand nahm (die Wurfmesser waren schon grenzwertig), wie kam dann der Anführer der Vampyre, die den Kodex noch viel strenger nahmen als die Vampire, dazu, Schusswaffen zu benutzen? Konnte ich das als Zeichen werten, dass Steve mir wirklich nichts vorspielte? Oder war es nur eine über alle Maßen geschickte Täuschung?
 

Mit all diesen Hintergedanken versuchte ich, trotz meiner halben Überzeugung Abstand zu ihm zu wahren, mich zu distanzieren und immer sein Beobachter zu sein. Steve schien es nichts auszumachen, dass ich ihn beobachtete, im Gegenteil, er hieß es oft mit einem absolut hinreißenden Lächeln willkommen (man verzeihe mir meine Wortwahl, aber anders lässt es sich einfach nicht beschreiben) und oft fing ich seinen Blick auf, wenn ich mich gerade ihm zuwandte. Genauso oft drehte er schnell seinen Kopf, wenn er merkte, dass ich es bemerkt hatte.
 

Neben diesem seltsamen Verhalten blieb Steve, wie er schon die ganze Zeit gewesen war: ruhig, freundlich und fröhlich bei seinen Freunden, gleichzeitig schüchtern und schweigsam in meiner Anwesenheit. Letzteres war ein wenig seltsam, war ich doch den Steve gewohnt, der nie ein Blatt vor den Mund nahm. Stattdessen sprach er eher leise, und schien oft seinen Mut zusammen nehmen zu müssen, bevor er überhaupt zu sprechen begann. Vor allem interessierten ihn Dinge, die sein altes Leben betrafen, und was ich alles erlebt hatte. Vieles davon hatte mit ihm zu tun, aber das verschwieg ich weiterhin. Entweder er wusste es schon, oder es war besser, wenn er nicht davor erfuhr. Wieso also alles erzählen?
 

Zusätzlich zu seiner Schüchternheit war da noch das seltsame Rotwerden, wann immer er mit mir zu tun hatte. Es war fast schon so, als wäre das sein neues Hobby, oder eine Angewohnheit. Bei niemand Anderem im Lager hatte er eine dermaßen gute Wangendurchblutung. Manchmal fragte ich mich, ob ich etwas besonderes im Gesicht hatte, oder irgendwelche Flecken. Aber das war nie der Fall. Was also machte mich besonders, dass er so reagierte? Ich spürte auch immer wieder seine Blicke, wenn wir uns Abends am Fluss wuschen, oder wenn ich mich umzog. Nicht, dass mich das gestört hätte, schließlich hatte ich prinzipiell mein ganzes Leben in Gesellschaft von Männern verbracht, die von Privatsphäre nur selten gehört hatten, aber es schien mir doch ein wenig eigenartig.
 

Sonst gab es nichts außergewöhnliches zu berichten, was Steve betraf, auch wenn ich über die Sache mit dem Bogenschießen wirklich verwundert war...
 

***
 

Steve war schon seit gut zwei Monaten hier im Lager, also war ich ungefähr ein Monat lang schon sein Partner, als er begann, unruhiger zu werden. Er war nicht plötzlich da, nein, es war eher schleichend: erst immer wieder unaufmerksame Momente bei den Übungskämpfen, bei denen er über die Zeit laufen besser geworden war, dann kleine Augenblicke, in denen er erstarrte und sein Blick in ganz weit entfernte Bereiche entflüchtete, und das immer nervöser werdende Herumwälzen im Schlaf, wie als würde er zu lebendig Träumen. Es begann sogar so schleichend, dass er zuerst nicht einmal ich bemerkte, bis Arson ihn einmal nach den täglichen Übungen beiseite nahm, und ihn fragte, ob etwas nicht in Ordnung sei. Steve versicherte ihm, dass es ihm gut ginge, dass er nur in letzter Zeit nicht ganz so gut schlafe, was bei seinem ehemaligen Partner ein freches Grinsen hervorrief und er nur meinte, dass dann ja wirklich alles in Ordnung sei. Steves Mund klappte auf und ein sogar für seine Verhältnisse kräftiger Rot-Ton zierte sein Wangen. Ein paar Sekunden rang er um Worte, dann drehte er sich mit einem frustrierten Schnauben um und ging zurück auf den runden Platz, um mit Eifer weiter seine Gegner fertig zu machen. Was er inzwischen fast so gut konnte wie ich, in dem Fall war ich stolz auch mich selbst. Nur aus dem Dialog der beiden wurde ich nicht so recht schlau.
 

Danach jedenfalls bemerkte auch ich die kleinen Veränderungen, die sich in Steves Verhalten zeigten. Sie waren nicht groß, aber ich beobachtete ihn jetzt schon lange genug, um sie klar zu sehen. An dem Abend des Tages, an dem Arson mit ihm gesprochen hatte, fragte Steve mich, ob es kein Mittel gäbe, dass ihn ruhiger schlafen ließe. Einen Besuch in einem der Krankenzelte später hatte er ein paar Kräuter in der Hand, die ihn als Teeaufguss beruhigen sollten, und der kurze Check von einem der Anwesenden Pfleger hatte auch nichts feststellen können, was die Schlafstörungen hervorrief. Es stellte sich heraus, dass der Aufguss leider nichts an Steves Unruhe hatte ändern können, denn er schlief weniger denn je und war sogar früher wach als ich. Ich war immer noch wachsam und bemerkte es auch im Schlaf. Er fluchte leise, aber er blieb bis zum Morgengrauen im Bett und wartete, bis ich aufgewacht war.
 

Als ich meine Augen öffnete, traf mein Blick direkt seinen.
 

„Du hast wieder nicht schlafen können, oder?“, wollte ich eine Bestätigung von ihm. Steve nickte nur. Er schien geknickt, dass etwas nicht mit ihm stimmte und er war wohl ein wenig angespannt wegen des Schlafmangels.
 

„Wir machen einen Tag Pause mit dem Training. Deine Fortschritte sind gut genug. Vielleicht hilft dir die Ruhe, damit du dich entspannen kannst.“, schlug ich vor.
 

„Darren, es geht mir gut... Ich bin nur irgendwie... Ich fühle mich seltsam.“ Nach eine kleinen Pause fuhr er fort: „Vielleicht hilft eine Pause ja wirklich... Aber nur, wenn es nichts ausmacht! Ich meine, wenn es wirklich Ok ist für dich, dann vielleicht....“
 

Irgendwie konnte ich nicht anders, als bei diesen Worten zu schmunzeln: „Es ist in Ordnung. Ich hätte es nicht vorgeschlagen, wenn es Probleme geben würde.“
 

Auf Steves Gesicht breitet sich ein erleichterter Gesichtsausdruck aus und ein absolut niedliches Lächeln schmückte seinen Mund. „Dann ist es ja gut.“, meinte er nur.
 

Nach diesem Beschluss ließen wir den Tag langsam angehen, blieben beim Frühstück länger sitzen, liefen einfach nur durch die sonnenbeschienene Gegend (namentlich der Bereich zwischen Lager und Wald) ohne dabei viel zu reden und kehrten dann zum Mittagessen zurück. Den Nachmittag schaffte Steve es endlich, sich so weit zu entspannen, dass er unter einem Baum auf einem Stück moosigen Grases einschlief, wenn auch immer noch nicht ganz ruhig. Wir waren ein gutes Stück vom Lager entfernt. Niemand war zu sehen. Für eine Tag im Spätherbst war es warm. Die Vögel, die die Invasion der Drachen bis jetzt erfolgreich überlebt hatten, sammelten sich, um noch weiter in den Süden zu ziehen. Es waren nur wenige Wolken am Himmel. Ohne eine Beschäftigung legte ich mich einfach ein wenig entfernt von Steve ebenfalls ins Gras begann zu dösen.
 

So verging auch der Nachmittag ohne weitere Ereignisse. Ich muss sagen, dass dieser Tag auch für mich entspannend war. So friedlich war es schon lange nicht mehr gewesen. Normalerweise sorgten die Trainingskämpfe dafür, dass ich nie ganz zur Ruhe kam. Doch jetzt kam es mir so vor, als wäre alles einfach nur so, wie es immer sein sollte. Und wenn ich gewusst hätte, was bald passieren würde, dann hätte ich Steve sicher nicht schon am frühen Abend geweckt, um ihn zum Abendessen mitzunehmen...
 

Steve war nach seinem Mittagsschlaf so erfrischt, dass seine sprühende, gute Laune fast schon ansteckend war. Er war so energiegeladen, dass er am Tisch fröhlich mit seinen Freunden redete, und fast gar nicht zum Essen kam. Ich war irgendwie froh, dass es Steve gut ging. Einerseits hieß es, dass er wohl diese Nacht ruhig schlafen würde, was auch gut für mich war, andererseits hatte dieses Erleichterungsgefühl irgendwie nichts mit mir zu tun, sondern bezog sich gänzlich auf Steve. Während ich also am Tisch saß und meinen Partner beobachtete, versuchte ich, herauszufinden, warum ich so seltsam erleichtert war und was das mit Steve zu tun hatte, kam aber zu keinem Ergebnis.
 

Auch später am Abend, nach dem Essen, als wir schon zurück in unserem Zelt waren, nicht. Steve war nach seinem Gute-Laune-Ausbruch schnell müde geworden und hatte sich schon bald hingelegt, um weiter Schlaf nachzuholen. Ein Weile beobachtete ich ihn einfach wie er so dalag. Ein wenig unruhig drehte er sich immer wieder um, aber nicht so schlimm, wie es in den letzten Tage gewesen war.
 

Ich versuchte, noch ein bisschen wach zu bleiben, indem ich meine Kleider nach dem umziehen sorgsam in meine Kiste einordnete, aber das stellte sich als eine nicht besonders spannende Tätigkeit heraus, also kroch auch ich bald in mein Bett und schlief ein.
 

Mitten in der Nacht wachte ich auf, als sich Steve plötzlich heftig bewegte und mit einem lauten Geräusch, das tief aus seiner Kehle zu kommen schien, aus seinem Bett sprang. Bevor ich auch nur reagieren konnte, war er aus dem Zelt und nach draußen gelaufen. All seine Bewegungen erinnerten mich an ein Tier auf Beutezug. Langsam wurde mir auch bewusst, was hier eigentlich gerade geschah. Die Anzeichen waren deutlich gewesen, auch wenn Steve sie sicher gut versteckt hatte. Aber die Nervosität in der Nähe von Menschen, die Unruhe, das alles hatte deutlich darauf hingewiesen.
 

So schnell ich konnte stand ich auf und rannte ich Steve hinterher. Ich musste zu ihm, bevor er denjenigen fand, den seine schlafenden Vampyinstinkte ausgewählt hatten. Ich musste ihn zuerst finden. Ich musste ihn beschützen. Beide.
 

Das Geräusch von reißendem Leder lenkte mich in die richtige Richtung. Die vielen Zelte, die in diesem Moment einfach nur im Weg waren, verlangsamten mich. Ich trauerte um die verlorenen Sekunden. Fieberhaft dachte ich nach, um eine Lösung zu finden, wie ich es verhindern konnte, dass Steve...
 

Ich bog um eine Zelt, dessen Seite lange Risse aufwies. Mein Geruchssinn sagte mir, dass Steve genau dort war. Zusammen mit einer zweiten Person. Einem Menschen. Es war leise. Eigentlich hörte ich nur mein vom Adrenalin klopfendes Herz und meine schnellen Atemzüge. Und genau das ließ jetzt, wo ich doch schnell reagieren müsste, alle meine Glieder schwer werden. Was, wenn ich zu spät war? Wenn es schon passiert war? Wenn Steve schon...?
 

Es kostete mich viel Mühe, mich langsam auf das Zelt zu zu bewegen bis in durch die Risse sehen konnte. Und was ich sah ließ meine Gedanken gefrieren. Alles stand still, bis auf dieses eine Bild, das sich vor meinen Augen auftat.
 

Steve. Ein Körper in seinen Armen, rot von Blut. Sein Gesicht gierig an einen tiefen Schnitt an dessen Hals gepresst. Das Auf und Ab seines Adamsapfels, während er trank, mehr und immer mehr. Seine geschlossenen Augen. Die kleinen Tropfen, die aus seinem Mundwinkel rannen.
 

Für ein paar Sekunden war das alles, was für mich existierte. Dann setzte mein Herz wieder ein, Luft wurde in meine Lungen gesogen und meine Lider flatterten kurz. Und obwohl das der Moment war, auf den ich jetzt so lange gewartet hatte, auf den ich meinte vorbereitet gewesen zu sein, war die einzige Reaktion, die ich hervorbrachte, mit zittriger Stimme seinen Namen zu rufen.
 

„Steve...?“
 

Die Schluckbewegungen hörten auf. Wie im Traum öffneten sich seine Augen. Tranceartig drehte er seinen Kopf, bis er mich bemerkte. Das war der Moment, in dem das Bewusstsein wieder in seine Augen zurückkehrte.



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