Zum Inhalt der Seite

Was wäre wenn...

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 7

Kapitel 7
 

Ziemlich kopflos lief ich vom Platz. Abstand war es, was ich jetzt brauchte, um meiner Verwirrung Herr zu werden. Abstand... Ich lief zurück ins Lager und geradewegs hindurch auf der anderen Seite wieder hinaus. Außer Atem von dem Kampf und der Rennerei hierher fand ich mich im Wald wieder, was an sich nicht schwer war, denn der ganze See war von Wald umgeben. Hier war es fast schon dämmerig, eher dunkel für diese Tageszeit. Schon allein durch die Anstrengung, die ganze Strecke vom Übungsplatz hierher gerannt zu sein, wurde ich ruhiger und das Licht tat sein übriges, um das noch zu verstärken. Ich wusste, dass in nicht allzu weiter Entfernung der Bach war, der den See speiste. Der Gedanke an frisches, kühles Wasser war verlockend. Schon deutlich langsamer ging ich weiter. Steve war noch immer das Hauptthema, um das meine Gedanken kreisten, aber inzwischen war ich soweit, wieder logisch an die Sache herangehen zu wollen, anstatt mich sinnlos in wirren Eindrücken von ihm zu verlieren.
 

Am Ufer angekommen kniete ich mich an die Wassergrenze und schöpfte mir mit der Hand das kalte Wasser ins Gesicht. Ich seufzte laut auf, so gut fühlte sich die eisige Kälte auf meiner noch erhitzten Haut an. Ohne groß zu zögern steckte ich einfach meinen ganzen Kopf ins Wasser. Das Wasser ließ wie ein Schock kurz alle meine Gedanken einfrieren, nur um dann wieder in erfrischender Klarheit umso schneller weiterzulaufen. Wen kümmerte es da schon, wenn man ein wenig nass wurde? Man wurde schließlich von alleine wieder trocken. Ein wenig des Wassers ausspuckend zog ich meinen Kopf aus dem Bach und streifte meine tropfenden Haare nach hinten. In dünnen Rinnsalen rann das Wasser aus meinen Haare über meinen Rücken und durchnässte jetzt wirklich meine Kleider. Ein frischer Windstoß ließ mich ein wenig frösteln. Es hieß nicht umsonst, dass alle Wärme vom Kopf ausging, und der hatte bis vor ein paar Sekunden noch im kalten Bach gesteckt. Dafür war ich jetzt wieder vollkommen klar.
 

Die Ursache für Steves Verhalten war mir noch unklar, aber ich würde mich auf keinen Fall von seinem netten Getue täuschen lassen. Er war ein viel zu guter Schauspieler, um ihm diese Farce glauben zu können. Es war schlicht unmöglich, dass es wirklich wahr war. Das letzte Mal, dass ich Steve vertraut hatte, war Mr. Crepsley dafür gestorben, und ich hatte selbst nur mit Glück und mit Hilfe meiner verbliebenen Freunde entkommen können. Zwar hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewusst, dass Steve inzwischen ein Halbvampyr und der Lord der Vampyre war, aber das machte die Sache nicht besser. Damals hatte ich daran geglaubt, dass er mir meinen angeblichen Verrat verziehen hatte, aber es war nur eine geschickte Falle gewesen; ein Rachefeldzug... Nein, ich würde nicht nochmal den gleichen Fehler machen und ihm vertrauen, auch wenn ich mir lange Zeit gewünscht hatte, und es zu meiner eigenen Schande immer noch tat, dass Steve wieder mein Freund werden würde, auch wenn es ein völlig irrationaler Wunsch war. Besser, ich würde wachsam bleiben und ihn weiter im Auge behalten. Irgendwann, da war ich mir sicher, würde ich einen Riss in seiner Maske finden. Und wie sein Verhalten mit seinem früherem Ich zusammen passte und was Steve damit bezweckte, das würde ich auch noch herausfinden.
 

Lange saß ich im Kies und beobachtete die seichten Wellen, die der Bach in seinem schnellen Fluss warf, und dachte über Steve nach. Hier im Wald war er jetzt tatsächlich schon dunkel. Im Westen blitzte die Sonne noch zwischen den Baumstämmen hindurch, wo sie schon fast den Horizont berührte und in weniger als einer Stunde untergegangen sein würde. Die Tage waren schon merklich kürzer als zur Zeit seiner Ankunft. Es wurde schon langsam Herbst, auch wenn die Blätter sich noch nicht rot und gelb färbten. Ich nahm an, dass sie das noch taten, aber genau wusste ich es in dieser veränderten Welt nicht. Inzwischen war mir sogar ein bisschen kalt. Kein Wunder, hatte ich doch bestimmt eine gute Stunde in nassen Kleidern herumgesessen, ohne mich merklich zu bewegen.
 

Kurzerhand entledigte ich mich meines Hemds. Das weiche Leder war in trockenem Zustand zwar wirklich angenehm auf der Haut, aber im Moment war es ohne es wärmer als mit ihm. Ich hatte für meine Flucht keine Wechselkleider mitgenommen, also würde ich eben so zurück ins Lager gehen. Bevor ich mich in mein Zelt zurückzog (André war momentan nicht im Lager sondern unterwegs) machte ich noch einen kurzen Umweg über die Wäscherei und holte mir gleich frische Kleider für den morgigen Tag. Das Abendessen hatte ich wohl in meiner Grübelei verpasst, also würde ich heute nicht mehr fortgehen, es sein denn, ich musste noch ein paar dringende Geschäfte erledigen, wie mir die Nase zu pudern.
 

Die Sonne stand tatsächlich nur noch eine Handbreit über dem Horizont, als ich endlich bei mir‚ zu Hause ankam. Seufzend setzte ich mich auf mein Bett. Ich war schon fast erleichtert, wieder hier zu sein. In der Zeit, die ich jetzt schon hier wohnte, hatte ich mich an all das hier gewöhnt; ein Ort, an dem ich nach dem Haus meiner Eltern und dem Berg der Vampire die längste Zeit meiner Lebens an einem Fleck verbracht hatte. In Anbetracht dessen, dass ich erst ein paar Monate hier war, eine fast schon bestürzende Erkenntnis. Bevor ich diesen Gedanken weiterverfolgen konnte, machte sich mein Magen fordernd bemerkbar. Ich wollte schon dazu ansetzen, ihn mit ein paar Worten darauf aufmerksam zu machen, dass er heute kein Essen mehr bekommen würde, und er sich deshalb sein Grummeln sparen konnte, als eine leise, durch das Leder des Zeltes ein wenig verzerrte Stimme, meinen Namen rief. In der Vermutung, es wäre einer meiner Freunde, sagte ich einfach nur laut: „Komm rein.“, ohne noch lange zu zögern. Umso überraschter war ich, als die mir so bekannte Gestalt Steves die Plane vor dem Eingang zur Seite schob und vorsichtig eintrat.
 

Sofort spannten sich unwillkürlich meine Muskeln an und mit unbeweglicher Miene sah ich ihm zu, wie er auf mich zu trat, aber hätte er mich angreifen wollen, dann hätte er mich sicherlich nicht durch höfliches Anklopfen vorgewarnt. In einer Hand balancierte er einen Teller. Und auf dem Teller lagen ordentlich arrangiert eine Auswahl von Häufchen der verschiedenen Speisen, die es Abends im Essenszelt immer gab. Wenn Steve mir den Teller nicht um die Ohren schlagen, oder mich mit Essen bewerfen wollte, dann fiel mir keine Möglichkeit ein, was mir damit antun wollen könnte.
 

Unsicher von einem Bein auf das andere trippelnd stand Steve vor mir. Ich sah ihn einfach nur an. Ein paar Sekunden herrschte eine laute Stille, bis der Hellhaarige anscheinend genug Mut aufgebracht hatte, seinen Mund aufzumachen. Dann hielt er mir schüchtern mit beiden Händen den Teller hin und begann leise und fast schon unverständlich zu sprechen:
 

„Ich... Ich hab dich heute Abend beim Essen nicht gesehen und da dachte ich... na ja, dass du vielleicht, äh, vielleicht Hunger hast...!“, haspelte er schnell herunter. „Und ich wollte mich entschuldigen, wenn ich vorher... du weißt schon, wenn ich was falsch gemacht hab und du deshalb sauer warst, oder... ich dich irgendwie... ach, ich weiß auch nicht... auf jeden Fall, es tut mir Leid!“
 

Immernoch den Teller haltend senkte er den Blick in Richtung seiner Schuhe und eine leichte Rotfärbung erschien in seinen Wangen. Alles in allem sah er in diesem Moment aus wie die Unschuld in Person und nur eine scharfe gedankliche Zurechtweisung meinerseits hielt mich davon ab, jetzt den Teller zu nehmen, und ihm zu sagen, dass er nichts falsch gemacht hatte und dass er sich keine Sorgen zu machen bräuchte. Stattdessen schwieg ich. Wieder wurde es ein paar Sekunden still im Raum, bis sich mein Magen wieder lautstark zu Wort meldete, und damit den ganzen Effekt verdarb. Ich schwor ihm innerlich, dass er sich nachher auf eine Lektion gefasst machen konnte.
 

Obwohl Steve den Kopf immer noch abgewandt hatte, zeichnete sich jetzt ein kleines Lächeln in seinem Gesicht ab. Sorgsam stellte er den Teller auf dem kleinen Tisch ab und platzierte eine Gabel daneben.
 

„Ich hab die Sachen genommen, die du sonst auch gerne isst. Ich hoffe, es schmeckt dir...“, nicht mehr ganz so unsicher richtete er wieder das Wort an mich, wenn auch immer noch leise und ein wenig hastig. Zuletzt brachte er noch ein hastiges: „Gute Nacht!“ hervor, bevor er mit schnellen Schritten aus dem Zelt stürzte. Ich hatte die ganze Zeit über weder ein Wort gesprochen, noch einen Muskel bewegt (außer vielleicht meinen Magen, aber das sicher nicht freiwillig).
 

Ich war völlig überfordert mit der ganzen Situation. Mein größter Feind hatte mir gerade Abendessen gebracht, sich für etwas entschuldigt, dass er nicht getan hatte und sich benommen wie ein kleines, verliebtes Mädchen. Ein paar Minuten saß ich einfach nur da und sammelte die Scherben meines Weltbilds wieder ein. Irgendwo in meinem Hinterkopf regte sich der Gedanke, dass das alles nur gespielt war, und dieser Gedanke eignete sich hervorragend dafür, es sorgsam wieder zusammenzukleben. Kritisch den Teller beäugend stand ich auf, und ging zum Tisch hinüber. Sowohl der Teller als auch die Gabel lagen perfekt auf Kante. Und Steve hatte tatsächlich alle Gerichte herausgesucht, die ich auch ausgewählt hätte. Ein wenig perplex über diese Tatsachen setzte ich mich wieder, diesmal auf den Stuhl. Mir war nicht bewusst gewesen, dass Steve mich so genau beobachtet hatte.
 

Dies regte natürlich sofort mein Misstrauen an. Warum sollte mir STEVE etwas zu Essen bringen? Wohl kaum einfach aus gutem Willen oder weil er sich Sorgen um mich machte. Aber er hatte mich nicht angegriffen... Vielleicht hatte er ja das Essen vergiftet. Im angrenzenden Wald gab es genug Pflanzen, die ich während seinen Touren auf der Suche nach anderen Überlebenden als giftig abgestempelt hatte, und ein paar Tropfen von Steves Blut im Essen würden mir auch schon Schmerzen bereiten, schließlich war es zur Hälfte Vampyrblut und somit giftig für alle Vampire. Auf jeden Fall würde ich das Essen nicht anrühren, so schade es auch darum war. Wieder knurrte sein Magen. Leicht missgestimmt hob ich die Gabel an und stocherte ein wenig in den kleinen Häufchen herum. Es roch wirklich lecker und Hunger hatte er auch... Mit einem genervten Seufzer warf ich die Gabel auf den Teller und stand auf. Mit aller Macht verbannte ich alle Gedanken an Steve aus meinem Kopf, während ich mich für die Nacht fertig machte, und legte mich schließlich ins Bett. Es dauerte nicht lange, bis mich ein nicht ganz leises Grummeln wieder auf meinen Magen aufmerksam machte. ‚Nein, heute gibt es nichts zu Essen mehr, egal wie viel du grummelst, und jetzt gib Ruhe!’, schickte ich als stumme Botschaft zu dem Organ, bevor ich endgültig meine Augen schloss, und ich einen wachsamen Schlaf fiel.
 

***
 

Am nächsten Morgen erwachte ich wie üblich mit der Sonne, wenn auch meine Nacht nicht ganz so erholsam gewesen war. Immer wieder war ich aufgewacht, wenn sich der Hunger im Traum mal wieder besonders deutlich hervorgetan hatte. Deshalb blieb ich noch ein wenig liegen, nur um die Wärme meines Betts zu genießen und noch ein wenig Ruhe zu haben, bevor ich mich in der morgendlichen Kälte umziehen und mich wieder der Welt stellen musste. Bei dem letzten Gedanken lächelte ich leicht. Die Welt war momentan nicht das Problem, eigentlich musste ich mich nur dem sonderbaren Steve stellen.
 

Schließlich begab ich mich dann doch schwungvoll aus dem Bett in meine frischen Kleider und anschließend auf direktem Weg ins Essenszelt, um endlich das verpasste Abendessen nachzuholen. Den Teller, den ich nicht angerührt hatte, stellte ich einfach auf die Geschirrablage. Es war wirklich schade um das Essen. Dafür nahm ich mir jetzt besonders reichlich von allem. An diesem Morgen bleib ich länger in dem großen Zelt, schon allein deshalb, weil ich die größere Essensmenge bewältigen musste, und so war es schon ziemlich voll, als ich endlich fertig war. Steve und sein Partner waren noch nicht aufgetaucht. Stattdessen tippte mir gegen Ende meines Gelages ein Mann auf die Schulter, den ich nur vom sehen kannte und mit dem ich noch nie ein Wort gewechselt hatte, und teilte mir mit, dass die Alten mich sehen wollte. Warum man mich zum Ältestenrat zitierte war mir schleierhaft. Wegen dem Teller verschmähten Essen würde es doch wohl nicht sein, auch wenn alle Bewohner des Lagers dazu angehalten wurden, nicht verschwenderisch zu sein. Als ich mich von meinem Platz erhob und mein Geschirr aufräumte, hatte die Sonne die Luft draußen schon leicht erwärmt. Ich machte mich auf den Weg zum Zelt der Alten.
 

Obwohl ich langsam ging, wer wurde schon gerne zur Obrigkeit zitiert, brauchte ich keine zehn Minuten. Aber auch in den zehn Minuten fand ich keinen plausiblen Grund, warum meine Anwesenheit im Ratszelt erwünscht werden könnte. Die Alten selbst waren immer noch dieselben, wie sie es bei seinen letzten Besuchen gewesen waren; warum sollten sie sich auch verändert haben? Die Ratsmitglieder, die anwesend waren, saßen im Zelt verteil auf Stühlen. Es waren nicht alle da, sehr zu meiner Erleichterung, denn dann konnte das Anliegen nicht so wichtig sein. Nach meinem Eintreten grüßte ich alle zusammen mit einem Nicken und einem „Guten Morgen.“, wie es eben zum guten Ton gehörte. Die Alten erwiderten das Nicken, manche lächelten sogar, was ich als gutes Zeichen deutete. Dann begann einer der Männer, der relativ zentral vor mir saß, zu sprechen:
 

„Guten Morgen, Darren. Wir haben dich heute hierher rufen lassen, weil wir eine Bitte an dich richten wollen. Uns ist zu Ohren gekommen, dass du dem Neuling Steve ebenbürtig bist, was die Kraftverteilung angeht. Er ist ein sehr starker junger Mann. Sein derzeitiger Partner, Arson, kann ihm nicht mehr viel entgegen halten, obwohl seine Technik noch nicht sehr ausgereift ist. Deshalb wollen wir dich bitten, ab jetzt seine Ausbildung fortzusetzen. Natürlich steht es dir frei, dieses Angebot anzunehmen oder nicht, wie du willst.“
 

Stumm lauschte ich den Worten des Mannes, dessen Name mir unbekannt war. Mein erster Impuls war, sofort abzulehnen. Aber wenn ich das tat, würde ich meine Entscheidung begründen müssen, und meine Gründe konnte ich nicht preisgeben, ohne mich selbst zu verraten. Es war schon schlimm genug, dass ich meine Kräfte so offenbart hatte. Zum anderen konnte ich mein Misstrauen nicht belegen, denn Steve hatte sich, bis jetzt, nichts zuschulden kommen lassen, außer vielleicht ein paar blaue Flecke während der Übungskämpfe. Außerdem würde ich definitiv in einem schlechten Licht dastehen, wenn ich einen anscheinend extra für mich ausgewählten Job einfach so ausschlagen würde. Die Alten warteten noch immer auf meine Antwort. Zischend entließ ich die Luft durch meine zusammengebissenen Zähne, bevor ich schließlich antwortete.
 

„Ich nehme an.“, meinte ich nur. Mehr zu sagen war auch nicht nötig. Erfreut sprach jetzt wieder der Alte, der schon vorher das Wort an mich gerichtet hatte.
 

„Gut. Sehr gut. Wir werden mit Arson sprechen und ihm unsere Entscheidung mitteilen. Er hat sich schon erkundigt, ob es nicht einen geeigneteren Partner für Steve geben würde. Dass du zugestimmt hast, wird ihn sicher freuen. Darren, du solltest mit Arson das Zelt tauschen und in Zukunft mit deinem neuen Partner zusammen wohnen.“ Bei dieser verdeckten Aufforderung rollte ich innerlich die Augen. Jetzt hatte ich wirklich keine ruhige Minute mehr, wenn ich den ganzen, lieben, langen Tag mit Steve verbringen musste.
 

„Natürlich wirst du von deiner jetzigen Arbeit freigestellt.“, fuhr der Alte fort. „Ich hoffe, du kannst Steves Ausbildung erfolgreich fortsetzen. Deine Fähigkeiten im Kampf werden von vielen gelobt, also sollte es eigentlich kein Problem sein, diese zu vermitteln.“ Er machte eine kurze Pause, dann fügte er mit einem kleinen Lächeln an: „Und du solltest nicht so leichtfertig mit den Nahrungsmitteln umgehen. Ich wünsche dir noch einen guten Tag, Darren.“ Mit diesen Worten und einem erneuten Nicken entließ mich der Rat. Auch ich grüßte zurück, und ging dann zielstrebig nach draußen. ‚Na super’, gratulierte ich mir zu meiner neuen Arbeit. ‚Jetzt hast du genau den Job, den du nie wolltest, mit genau der Person, mit der du am wenigsten zu tun haben willst. Und woher wissen die Alten von dem Teller?!’ Dieser Tag begann ja wirklich super. Nun, ändern konnte ich es jetzt nicht mehr, zumindest nicht in diesem Moment. Resigniert machte ich mich auf den Weg zurück zu meinem Zelt, um meine Sachen zu holen, viele waren es ja nicht, und sie in meine neue Behausung zu transportieren.
 

Die ganze Zeit, während ich lief und später, als ich meine Sachen packte, dachte ich über meine neue Situation nach. Natürlich würde ich Steve jetzt die ganze Zeit um mich haben, aber dafür hatte ich dann mehr Möglichkeiten, ihn zu beobachten und seinem Verhalten auf den Grund zu gehen. Er hätte keine Minute mehr, in der ich ihn nicht im Blick hätte, also keine Gelegenheit, auch nur für eine Sekunde seine Maske abzulegen. Und das würde es ihm sicher schwerer machen, sie auf Dauer und vor allem ohne Pause aufrecht zu erhalten. Nachteil an der ganze Sache war natürlich, dass ich selber auch noch viel mehr auf der Hut sein musste, denn jetzt hatte auch Steve mehr Möglichkeiten, an mich heranzukommen. Ganz kurz meldete sich eine leise Stimme, dass Steve da schon längst hätte tun können, wenn er es wirklich darauf angelegt hätte, und niemand hätte ihn verdächtigt. Aber diesen Gedankengang ignorierte ich geflissentlich.
 

Jetzt hatte ich alle meine Sachen zusammengepackt. Ich wusste natürlich, wo Steves und Arsons Zelt lag – nicht umsonst hatte ich sie die ganzen letzten drei Wochen beobachtet – und machte mich auf den Weg dorthin. Innerlich machte ich mich schon auf die nächste Begegnung mit Steve gefasst. Die würden in nächster Zeit eindeutig mehr werden, also konnte ich mich auch gleich an seine Anwesenheit gewöhnen, solange meine Aufmerksamkeit nicht nachließ. Es stellte sich heraus, dass ich mir das gefasst machen hätte sparen können, denn weder Steve noch Arson waren in dem Zelt, beziehungsweise sah es so aus, als würde Arson auch nicht mehr hierher kommen, denn eine Seite des Zelts war schon leer geräumt und mit neuem Bettzeug bestückt worden. Umso besser, dann konnte ich in Ruhe meine eigenen Habseligkeiten einräumen. Mir fiel auf, dass das jetzt schon das dritte Mal war, dass ich hier im Lager umzog. Ursprünglich hatte ich erwartet, in Zukunft ein ruhiges Leben zu haben, aber irgendwie hatte das bis jetzt noch nicht ganz so geklappt, wie ich mir das vorgestellt hatte. War es nicht Ironie, dass er jetzt fast so viel umherzog, wie in seinem früheren Leben?
 

Nachdem ich erfolgreich ausgepackt hatte, beschloss ich, meinem neuem Posten als Ausbilder gerecht zu werden, und nach meinem Schützling zu suchen. Wenn Steve noch mit Arson zusammen war, dann gab es nicht viele Möglichkeiten, wo er sein konnte, allerdings war es nicht unbedingt notwendig, dass Arson sich Steve noch verpflichtet fühlte, war er jetzt doch nicht mehr sein Partner, und dann konnte Steve tun, was er wollte und wo er wollte. Trotzdem ging ich zuerst zum Übungsplatz.
 

Dies war die richtige Entscheidung, denn eben dort befand sich tatsächlich auch Steve. Er war schon in einen Kampf mit dem Schwert verwickelt und schien Spaß an der Sache zu haben. Wie schon am Tag zuvor folgte ich ihm in seinen Bewegungen mit den Augen. Doch auch heute konnte ich nur pure Freude und ein offenes Lachen erkennen. Keine Risse in der Maske. Und das während einem Kampf. Entweder Steve hatte in der Zeit im See die absolute Selbstbeherrschung erlernt, oder... aber das konnte nicht sein, dass er wirklich nur genau das empfand, was sich da in seinem Gesicht abzeichnete. Es würde so gar nicht zu dem Wesen passen, das jahrelang der Schatten über meinem Leben gewesen war.
 

Ein paar Minuten lang sog ich intensiv jede von Steves Bewegungen in mich auf. Kraftvoll und mit rasanter Geschwindigkeit teilte er die Schläge aus, und wirkte doch immer noch ein wenig ungeschliffen, fast schon plump. Ja, seine Kraft hatte er offensichtlich wiedererlangt, aber seine Form war eine ganz andere als früher. Ob das an seiner Maske lag? Konnte man denn einfach so seine ganzen Kampfgewohnheiten ändern?
 

Auf der anderen Seite des Platzes entdeckte ich Arson, der genau wie ich einfach nur dastand und den Kampf beobachtete. Langsam ging ich in einem großen Bogen um sämtliche Kämpfenden herum (Steve war schließlich nicht alleine auf dem Platz) und stellte mich zu Arson. Stumm standen wir eine Weile nebeneinander.
 

„Er ist gut, sehr schnell.“, begann schließlich Steves Partner. „Er wird nichts neues mehr lernen, wenn niemand ihm Paroli bieten kann, und bei solchem Talent wäre das schade.“ Also war Arson aus dem Grund Ausbilder geworden, weil er das Lehren an sich mochte. Er sah mich kurz direkt an, bevor er sich wieder dem Kampfgeschehen widmete. „Du bist genauso schnell wie er, aber du zeigst es nicht so offen. So gesehen passt ihr perfekt zueinander. Das wird ihn umso mehr fordern und dich auch.“ Bei seinen Worte musste ich lachen. Steve und ich passten nicht perfekt zueinander, wir waren eher zwei Seiten der gleichen Medaille. Licht und Dunkelheit, auch wenn wir beide dasselbe Schicksal teilten, den Untergang über die Menschheit zu bringen.
 

Arson wirkte sichtlich zufrieden mit Steves Leistung, denn dieser entwaffnete gerade seinen Übungspartner. Gespannt erwartete ich, was Steve mit dem Mann tun würde, aber es passierte nichts, außer dass er ihm freundlich die Waffe aufhob und reichte und sich für den Kampf bedankte. Dies entschärfte in meinen Augen die Situation, sodass ich nicht mehr erwartete, Steve jede Sekunde davon abhalten zu müssen, über den Mann herzufallen. Ein wenig außer Atem und mit einen zufriedenen Lächeln drehte Steve in unsere Richtung. Kaum dass er mich sah, zögerte er jedoch kurz in seinem Schritt, und schien unsicher, wie er sich jetzt verhalten sollte, kam dann aber doch auf uns zu. Mit einem lauten „Gut gemacht!“ winkte Arson ihn die letzten paar Meter heran. Ich sagte nichts, sondern beobachtete ihn nur. Steve erwiderte ein leises „Danke.“.
 

„Steve, ab heute ist Darren dein neuer Partner.“, meinte Arson mit einem fast schon bedauernden Lächeln. Steve entgleißten kurz die Gesichtszüge, nur um dann einem halb entsetzten, halb erfreuten Ausdruck Platz zu machen.
 

„Warum?“, hauchte er und sah Arson mit fragenden Augen an. Immer wieder wechselte sein Blick zwischen mir und seinem Ex-Partner hin und her, offensichtlich nicht sicher, was er von der Situation halten sollte.
 

„Ich kann dir mit meinen jetzigen Fähigkeiten nichts mehr beibringen. Darren hingegen ist ein besserer und schnellerer Kämpfer, also viel geeigneter, dich weiter Auszubilden. Die Alten haben dem Vorschlag schon zugestimmt. Wenn du also nichts dagegen hast, dann seid ihr jetzt Partner.“, schloss Arson seine Ausführungen. Steve blickte mich, inzwischen fast schon freudig, an und versuchte das Strahlen und die leihte Röte, welche jetzt in sein Gesicht traten, erfolglos zu verstecken. Aber als er wieder zu seinem Ex-Partner blickte, sah er kurz traurig aus.
 

„Wenn Darren mein Partner ist, was wird dann aus dir?“ Es kostete ihn ein wenig Überwindung, meinen Namen auszusprechen. Der Angesprochene lachte nur: „Ich werde ebenfalls einen neuen Partner bekommen. Aber das ändert ja nichts daran, dass du immer noch mein Freund bist, Steve, also sei unbesorgt. Und ich bin sicher, dass du für eine Weile erst mal mit Darren beschäftigt sein wirst.“ Bei seinem letzten Satz zwinkerte er Steve zu, was diesen noch röter werden und seinen Kopf leicht abwenden ließ. Der Sinn dieser Bemerkung blieb mir schleierhaft, aber Steve benahm sich schon wieder wie ein kleines Mädchen, und das war im Moment der Fokus meiner Aufmerksamkeit.
 

Arson wandte sich wieder mit zu, nachdem Steve stumm blieb. „Was wirst du jetzt tun?“, fragte er mich. Da es inzwischen fast nach Mittag und schon lange Essenszeit war, erwiderte ich: „Wir sollten zurück gehen. Ich habe Hunger und bald macht die Küche dicht.“ Auch die anderen Kämpfer hatten sich in den letzten Minuten verabschiedet. Ich nahm das zum Anlass, mich einfach zum Gehen zu wenden und es Arson und Steve zu überlassen, mir zu folgen oder es zu lassen. Ich war nicht besonders scharf darauf, schon jetzt immer Steve um mich zu haben, also konnte dieser ruhig noch ein wenig Zeit mit seinem Ex-Partner verbringen, zumindest bis nach dem Mittagessen. Tatsächlich hörte ich bald darauf Schritte und eine leise Unterhaltung, die ich nicht weiter belauschte, hinter mir.
 

Beim Essenszelt angekommen ließ ich die zwei Nachzügler zu mir aufschließen. Beide lächelten mich an und gingen an mir vorbei, direkt zu ihren üblichen Plätzen. Mit einem Seufzer wählte ich einen Platz ihnen gegenüber. Während der ganzen Mahlzeit sprachen die beiden miteinander und ich lauschte schweigend, auch wenn es nur um Banalitäten ging. Viel zu schnell ging das Essen vorbei, denn Arson hatte schon einen anderen Neuling zugewiesen bekommen und damit wäre ich dann mit Steve allein. Vorteile hin oder her, ich hatte keine Ahnung, wie ich mit ihm umgehen und was ich machen sollte. Vielleicht hatte ich die Bitte der Alten doch zu schnell angenommen...
 

Dann war es soweit; Arson verabschiedete sich und zog von dannen. Wir standen fast schon einträchtig nebeneinander und sahen ihm nach. Klebrig langsam zogen die Minuten ins Land. Keiner von uns machte den ersten Schritt, aber immer wieder spürte ich Steves Blicke in meinem Gesicht, die er aber stets schnell wieder abwandte, und sein nervöses Hin- und Hertippeln. Irgendwann wurde mir das Schweigen zuviel und ich drehte mich zu ihm um. Ich fing seinen letzten Blick aus den großen Augen ab, den er nicht mehr rechtzeitig senken konnte. Sofort war die inzwischen schon wohlbekannte Röte in seinen Wangen wieder da. Aber so sehr ich auch suchte, in seinen tiefen, klaren Augen konnte ich ebenfalls keine verräterische Regung finden.
 

Nach ein paar Sekunden löste ich mit einem erneuten Seufzer den intensiven Blick (irgendwie war ich seit gestern Abend sowieso nur noch am Seufzen, warum auch immer...). Langsam musste ich irgendetwas tun; das Herumstehen machte mich selbst ganz hibbelig und Steve wurde auch immer unruhiger. Nach kurzem Nachdenken beschloss ich, zurück in unser jetzt gemeinsames Zelt zu gehen. Mal sehen, wie Steve reagierte, wenn wir tatsächlich einmal alleine waren. Dass das gestern Abend schon der Fall gewesen war, schob ich in Gedanken beiseite.
 

Ihn auffordernd ansehend meinte ich nur: „Ich gehe jetzt zurück zu meinem... unserem Zelt.“, und ging los. Es fühlte sich sehr eigenartig an, ‚unser Zelt’ zu sagen, hatte ich mich doch immer noch nicht mit dem Gedanken abgefunden, jetzt mit ihm zusammen zu wohnen. Nach ein paar Metern stand Steve wieder neben mir, und folgte mir den Rest des Weges stumm wie mein persönlicher Schatten. Nur seine Blicke spürte ich die ganze Zeit deutlich auf mir brennen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück