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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil

Das Tagebuch eines Gesuchten
von

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Das erste Duell

Wir setzten uns wieder in Bewegung und mit einem Mal lag der Tod schwer vor uns in der Luft. Der Saal schien riesig, aber kaum genutzt. Bis auf den Richter und ein paar Rotröcke war niemand im Raum, nicht einmal Geschworene oder dergleichen. Nur eine einzelne, kleine Frau saß auf einer der Zuschauerbänke. Als sie uns bemerkte, stand sie auf und starrte uns suchend an. Sie trug ein weinrotes Kleid, mit einem dunklen, schwarzen Ledermieder über der Hüfte, gefolgt vom beachtlichen Ausschnitt. Selbst von Weiten erkannte ich den übergroßen, gezeichneten Schönheitsfleck zwischen ihren Brüsten und über den viel zu roten Lippen. Ihr Gesicht war umrahmt von dunkelblonden Locken und ihr restliches Haar hatte sie zu einer beeindruckenden Frisur hoch gesteckt. Auf dem ersten Blick wirkte sie wie eine billige, für Annonce typische Prostituierte auf mich.

Black stöhnte leise: „Heiliger Jesus, wenn es ihn denn gibt, reicht ein Teufel denn nicht aus? Muss auch noch die Hölle dazu kommen?“, er zog seinen Dreispitz tiefer ins Gesicht und lief rechts neben mir, um sich zu verstecken. Ich musste grinsen, als ich verstand.

Blacks Frau reckte den Hals und versuchte den Seebären zu erkennen, aber vor lauter Rotröcke funktionierte es scheinbar nicht.

Der Richter und O’Hagan begrüßten sich sehr freundlich. Sie nickten sich zu und tauschten unwichtige, kaum ernst gemeinte Höflichkeiten aus. Ich nutzte die Chance, den Richter genauer zu mustern. Er wirkte im Sitzen recht klein und seine Lockenperücke hing an den Seiten hinunter bis zu seinen Schultern. Er war Richter mit Leib und Seele, das sah man ihm an. Obwohl die Anhörung nicht einmal begonnen hatte, hielt er bereits den Hammer in der Hand. Auf einem kleinen Schild vor ihm stand groß und lesbar Even Fulligan und ich erinnerte mich an den Mann im Käfig am Kai. Auf dem Schild hatte gestanden, dass das Urteil von Fulligan gesprochen worden war. Vielleicht hatte ich Glück und musste nicht an den Galgen, sondern wurde lediglich in einen kleinen Käfig gesperrt, schmerzhaft gebeugt mit Krähen, die mich zerpickten und versuchten, an meine Eingeweide zu kommen. Wunderbar!

Panik überkam mich und ich atmete etwas schneller. Ich wollte nicht sterben und schon gar nicht so!

Sie stellten uns in einer Reihe auf und O’Hagan stellte sich etwas abseits, rechts hinter uns. Der Richter musterte unsere Gruppe mehr als nur missgelaunt und lies seinen zusammengekniffenen Blick in aller Ruhe schweifen. Er erinnerte mich an einen Maulwurf. Sein Kopf ging von links, nach rechts. Er zuckte einige Male mit seiner blass gepuderten Nase, die an der Spitze leicht nach oben ging, doch dann stockte er und fuhr mit seinem Kopf zurück an den Anfang der Reihe. Verdutzt beugte der alte Mann sich vor und kniff die Augen noch ein Stücken weiter zusammen. Ich wurde unsicher, ob er mich anstarrte, doch als er sich die Brille aufsetzte, verstand ich.

„Mathew Hullingtan Black!“, rief er erstaunt.

Der alte Pirat grinste und hob den Hut an, eine Verbeugung andeutend. „Aye, stets zu Diensten, Käpt’n, Fulligan, Sir.“

„Aber seid-… Seid Ihr nicht verurteilt worden?“, verwirrt blätterte Fulligan in den Pergamenten neben sich herum, er konnte es nicht fassen und hielt seine Brille fest. Blacks Grinsen wurde breiter.

„Muss wohl ein Irrtum gewesen sein, Käpt’n, Sir. Bin lebendiger, als ’ne Heckwelle.“, und dabei setzte er sich den Hut wieder auf und stützte sich lässig auf seine Krücke.

Fulligan sah ihn an, wie einen Geist, dann blätterte er weiter. Irgendwann gab er auf und rückte seine Perücke zurecht, während er sich vernehmlich räusperte.

„Nun… Dann fangen wir an. Was liegt vor?“

Noch ehe er überhaupt aufsah trat O’Hagan vor. Mit den Armen hintenrum verschränkt und gestrafften Rücken gab er lautstark bekannt:

„Neun Männer, angeklagt der Piraterie, des mehrfachen Mordes, Raubes, des Angriffs auf Land und Krone, des Widerstands gegen die heilige, allmächtige Mutter Kirche, der Schändung gottesfürchtiger Frauen, der Blasphemie, der Meuterei und des öffentlichen Fluchens, sowie unsittlichen Verhaltens in der Öffentlichkeit.“

Fulligan nickte, nahm ein Pergament und begann etwas zu kritzeln. O’Hagan trat wieder zurück. Gespannte Stille lag im Raum, keiner wagte es auch nur laut zu atmen. Als Fulligan dann wieder aufsah, hielten alle die Luft an.

„Gut, bringt sie zum Galgen.“, sprach er lediglich.

Die Rotröcke packten uns an den Armen und wollten uns weg führen. Geschockt starrte ich den Richter an, dann den hinaus gehenden O’Hagan. War das alles?! Das sollte die Anhörung gewesen sein?! Dafür hatte ich fast zwei Monate gelitten und geschuftet?!

Ich schrie:

„Halt! Das ist nicht wahr, das ist gelogen! Lügen! Ich kann es beweisen!“

„Ruhe!“, donnerte der alte Mann und schlug mit seinem Hammer. „Ruhe im Saal!“

O’Hagan hielt und drehte sich auf dem Absatz herum und auch die Rotröcke blieben unsicher stehen. Black lachte leise:

„Aye, jetzt geht’s rund!“

„Wer wagt es hier so herum zu brüllen?!“, schrie der Richter.

„Ich!“, man stieß mich vor, meine Hände waren noch immer gefesselt und erst jetzt merkte ich, dass Fulligan etwas höher saß, als ich stand. Dennoch fühlte ich mich nicht schwächer oder kleiner. „Das ist gelogen.“, sprach ich ruhig.

Fulligan beugte sich etwas vor und musterte mich genaustens. „So? Und wer sagt das?“

„Oliver Sullivan O’Neil, Sir.“, und ich sprach meinen Namen voller Stolz aus. „Bruder Oliver Sullivan O’Neil.“

Der Richter rümpfte jedoch nur die Nase. „Der Anführer, war ja klar. Die sind immer die Schlimmsten.“, er sah wieder auf sein Schreiben, als wäre unser Gespräch damit beendet.

„Ich bin nicht ihr Anführer.“, stellte ich kühl fest. „Ich kann ja nicht mal einen Knoten binden.“

Fulligan sah wieder auf. „Aber Ihr wisst, dass man einen Knoten binden muss auf See.“, Er zog eine Augenbraue hoch und rückte seine Brille zurecht. „Das erscheint mir jetzt nicht so, als wenn Ihr nichts wüsstet von der Seefahrt.“

„Mit allem Respekt, Euer Ehren.“, begann ich. „Einen Knoten binden, das muss man fast überall können. Sogar im Kloster.“

„Also könnt Ihr doch einen Knoten binden?“, der Richter wirkte amüsiert.

„Ich bin Mönch!“, ignorierte ich seine stichelnde Frage. „Ich wurde schanghait! Es gibt Zeugen!“

„Das ist wahr.“, bestätigte Black.

Der Richter warf ihm einen finsteren und drohenden Blick zu. „Ihr seid leise, Black! Von Euch habe ich allmählich genug!“, und das „Aye, Käpt’n.“, vom Seebären ignorierend, wiederholte der Richter spöttisch: „Schanghait.“, er sah zu O’Hagan. „Schanghait, mein Freund, habt Ihr das gehört?“

O’Hagan lächelte emotionslos. „Höchst amüsant, Euer Ehren.“

Fulligan wandte sich wieder an mich: „Wenn Ihr entführt worden wärt, hättet Ihr einen Antrag auf Befreiung bei mir abgeben müssen.“

Kurz stockte ich. „Einen was?!“

„Oder eine Entführung melden oder was der Teufel was! Wenn man entführt wird, dann will man befreit werden. So sieht es nun einmal aus. Und jetzt, hinaus mit ihnen!“

„Das könnt Ihr nicht machen!“, brüllte ich los und wehrte mich mit aller Kraft. „Ich bin unschuldig! Ich habe den Kodex nicht unterschrieben! Seht nach! So seht doch nach!“

Fulligan stöhnte entnervt und erneut hielt alles inne. Er griff einen Stapel altes Papier, blätterte abermals herum und warf ihn dann achtlos zurück auf den Tisch.

„Ja, dann habt Ihr das wohl nicht.“, brummte der alte Mann abfällig. „Ein Zettel weniger für unser Archiv.“ Er sah mich an und seine alten Augen wirkten entnervt. „Und jetzt genug. Hinaus mit ihm!“

„Aber ich habe nie einen Heuervertrag unterschrieben!“, ich gab nicht auf, ich wollte nicht. Dieser verfluchte Idiot musste doch einsehen, dass ich rein gelegt worden war!

„Das ist wahr, Käpt’n.“, pflichtete Black mir, ausgesprochen höflich, bei.

Der Richter sah ihn kurz an. Könnten Blicke töten, wäre Black wohl gestorben. Nachdem er ihn mit den Augen ein wenig bedroht und beschimpft hatte, drehte sich Fulligans Kopf zurück zu mit.

„Kein Heuervertrag? Also kommt wohl noch unerlaubtes Betreten eines fremden Schiffes hinzu.“

„Ich bin Mönch!“, schrie ich abermals. „Fragt im Kloster nach!“

„Fragt nach, guckt nach!“, keifte er plötzlich los und rang die Hände. „Genug, sage ich, genug!“

„Aber Käpt’n, Sir.“, Black trat einen Schritt vor und zog abermals den Hut, leicht entschuldigend. „Der Junge hat Recht, er ist unschuldig.“

Ich starrte Black an, dann den Richter. Dieser wiederum starrte nur zu Black. Für einige Sekunden herrschte Stille, ehe Fulligan leise, sich zur Ruhe zwingend sagte: „So? Gibt es denn mehr, als Euch, Black, die das bezeugen können?“, er sah in die Runde, aber natürlich antwortete keiner. Zufrieden lehnte er sich zurück. „Scheinbar nicht.“

Ich richtete mich etwas mehr auf und zog eine Augenbraue hoch. „Es gibt aber auch keinen, der das Gegenteil behauptet, außer Ihr!“

„Doch, mich.“, grinsend trat nun auch Robert einen Schritt vor. „Ich weiß, dass Sullivan O’Neil die Meuterei geplant und sich ausgedacht hat.“

In mir stieg von einer Sekunde zur anderen unbändiger Hass hoch. Er war so stark, dass ich begann zu schreien, als sei ich besessen. Zwei Rotröcke schossen vor und hielten mich, als könnte ich mich auf ihn stürzen.

„Weißt du nicht! Verräter! Mistkerl! Du hast meinen Namen auf die Liste geschrieben! Du warst das!“, ich riss mich los und stürmte an den Richterpult. „Euer Ehren!“, rief ich, fast schon flehend, aber eher verzweifelt. War dieser Kerl denn blind?! „Er war es! Er hat meinen Namen auf die Liste geschrieben!“

Der Richter zeigte sich jedoch eher unbeeindruckt. „Auf welche Liste?“

„Auf den runden Robin!“

„Ihr wisst davon... Sullivan, richtig?“, das war O’Hagan. Ich fuhr herum und starrte ihn an. Fast die ganze Zeit über hatte O’Hagan geschwiegen, aber nun stand sogar in seinem sonst so kalten Gesicht Schadenfreude. „Ihr wisst davon?“

„Natürlich. Ich war dabei, als er angefertigt wurde. Aber ich habe nicht unterschrieben! Sie wollten mich zwingen, aber ich habe verneint!“

„Wie armselig.“, der Inquisitions-Kapitän sah wieder nach vorn. Ich war seiner Blicke scheinbar nicht mehr würdig. „Es ist erbärmlich, wie sehr Ihr versucht, Euren Hals aus der Schlinge zu bekommen… So ist das mit den Piraten. Erst hinein in den Dreck und dann wieder hinaus wollen.“

Black lachte leise. „Ihr müsst ja wissen, wie es ist.“, aber keiner ging darauf ein.

Fulligan sah von einem zum anderen, dann räusperte er sich wieder und sagte nachdenklich:

„Nun… Dann schlage ich vor, nein, dann bestimmte ich sogar, jeder soll seine Version preisgeben und dann werde ich entscheiden, wer denn nun gehängt wird. Und die anderen sollen schon mal weg gebracht werden.“, alle schwiegen und sahen den Richter erwartungsvoll an, während die Besagten heraus gebracht wurden. Nun waren nur noch O’Hagan, natürlich der Richter, Black, Robert und ich im Raum. Abgesehen von der Frau hinter uns. Aber da sie niemand sah, wurde sie auch nicht weiter beachtet. Ich schätze, sie hatten ihren Mann neben mir nun bereits erkannt. Schon allein, weil man seinen Namen genannt hatte, aber er selbst schien sie vergessen zu haben.

Als Ruhe eingekehrt war, wandte Fulligan sich an mich. Er wirkte eher desinteressiert, als wirklich neugierig. „Nun? Dann erzählt mal Eure Version dieser Geschichte.“, und mit einer weg werfenden Handbewegung fügt er hinzu: „Aber eilt Euch. Es warten noch andere darauf gehängt zu werden.“

Einige Sekunden schwieg ich. Ich hatte viel Zeit gehabt, mir meine Geschichte zu überlegen, aber nun war sie einfach weg. Mein Kopf war leer. Es gab nur noch Zorn und Wut. Wut auf den Richter, weil er so verdammt blind war. Wut auf O’Hagan und seine arrogante Art. Und Wut auf Robert, weil er mir meine Freilassung vermiest hatte. Als ich dann alles ein wenig sortiert hatte, erklärte ich:

„Ich bin unschuldig. Ich bin ein Mönch aus dem Kloster hier in Annonce, St. Magdalene. Ich bitte Euch, wenn Ihr mir nicht glaubt, so fragt doch nach! Der Abt kennt mich, Vater Mauritius wird es Euch sicher bestätigen! Ich sollte Erledigungen für das Kloster machen, in der Stadt und da wurde ich niedergeschlagen und entführt…! Von Wilkinson…!“

O’Hagan stieß abfällig die Luft aus. „Sehr amüsant.“, Fulligans Blick wechselte zu ihm. Er sah mich höhnisch an, während er fort fuhr: „Wer würde denn bitte einen Mönch für seine Crew entführen? Nicht einmal die Inquisition nimmt Mönche in die Reihen auf.“

„Aber es war so!“, beteuerte ich. „Fragt Black!“

Die Blicke wechselten zum alten Seebären.

Dieser räusperte sich, scheinbar durfte er endlich sprechen und trat einen Schritt vor.

Dann antwortete er, lang und ausgiebig:

„Aye.“

Und sofort sahen alle wieder mich an.

„Nun…“, Fulligan rückte seine Perücke zurecht. „Und was sagt Ihr dazu, McGohonnay?“, nun sahen alle ihn an. Ich knirschte die Zähne und ballte die Fäuste. Widerwillig trat ich einen Schritt zurück und er einen Schritt vor.

Nach einigen Sekunden erklärte er knapp und recht kühl:

„Son hat angeheuert, vor einem halben Jahr. Bei Wilkinson, als Schiffsjunge. Wollte die Stadt verlassen, Euer Ehren. Hat ’ne Menge Mist gebaut und einen Haufen Leute auf dem Gewissen.“

„Das ist nicht wahr!“, schrie ich ihn an.

„Ihr seid leise!“, als ich den Mund hielt, wandte sich Fulligan erneut an Robert. „Weiter.“

„Nun…“, der ehemalige Maat warf mir einen gehässigen Blick zu. „Er hat vier unserer besten Männer getötet, euer Ehren.“

„Mord…!“, stellte der Richter fest und sah mich an.

„Pirat.“, ergänzte O’Hagan missbilligend, als wäre das nichts Besonderes.

Mir fehlten die Worte. Sie glaubten ihm mehr, als mir?! „Das ist nicht wahr!“, protestierte ich abermals. „Ich habe niemals jemanden umgebracht!“

Fulligan sah mich skeptisch an und hob eine Augenbraue. „Würdet Ihr das auch unter Eid beschwören?“

Ich meinte auf Roberts Gesicht ein Grinsen zu sehen. Ich hätte damals in der Kombüse nicht angeben sollen, dass Kai durch mich umgekommen war. Unsicher starrte ich zum Richterpult und auf die dort liegende Bibel. „Ich-…“

Doch O’Hagan unterbrach mich kühl: „Der Schwur eines Piraten ist nichts wert.“, er machte sich nicht die Mühe, seine Abscheu mir gegenüber zu verbergen. Der Inquisitionsmann drehte sich nicht einmal zu mir, als er scheinbar von mir zu sprechen begann: „Er hat die Zeit bis zur Anhörung im Tollhaus gearbeitet, Euer Ehren.“, an dieser Stelle wurde der Blick des selbstverständlich völlig neutralen Richters angewidert und er lehnte sich etwas zurück, um Abstand zu gewinnen. „Der zuständige Zuchtmeister hat mehrere Beschwerden eingereicht. Der Angeklagte soll die Tollen geschlagen und zu gottlosem Verhalten angestiftet haben.“

„Euer Ehren!“, unterbrach ich ihn wütend und trat abermals vor. „Wie soll man Gottlose zu gottlosem Verhalten anstiften?!“

„Euer Ehren.“, unterbrach abermals O’Hagan, jedoch weiterhin völlig ruhig. Ein Duell begann. „Es ist die Aufgabe des Zuchtmeisters sie zu reinigen. Dieser Mann hat sämtliche Erfolge zunichte gemacht.“

„Erfolge?!“, ich schnaubte verächtlich. „Diese Menschen verhungern und erfrieren, ich sehe keinen einzigen Erfolg!“

„Menschen!“, O’Hagan wurde ein wenig aufgeregter, langsam verlor er die Fassung. Es gefiel ihm nicht, dass man die Zeit mit mir verschwendete und sein Können als Gerechtigkeitshüter anprangerte. Black und Robert, ebenso der Richter, sahen immer zu ihm, dann zu mir. Als würde ein kleiner Ball hin und her fliegen. Wir stattdessen sahen nur nach vorn. „Menschen nennt Ihr diese abtrünnigen Gestalten Satans?!“

„Wenn sie Satans Gestalten sind, dann verbrennt sie, statt sie reinigen zu wollen!“, zischte ich zurück. O’Hagans Augen funkelten verhasst, als er leise entgegnete:

„Ich verbiete Euch, der Kirche vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen hat!“

„Also schön?! Dann versucht weiter Menschen zu reinigen, die verkommen sind und voller Bösem!“

„Ihr zweifelt die Macht Gottes an…!“, fauchte der Gouverneur mir drohend zu, bemüht nicht laut zu werden.

„Eher die Macht des Teufels, wenn ich anmerken darf, denn diese Räumlichkeiten gleichen er Hölle!“

„Ihr wagt es, ein Haus Gottes Teufelswerk zu schimpfen?!“

„Ich nenne es lediglich beim Namen!“

„Beim Allmächtigen!“, O’Hagan rang die Hände. „Und Ihr sollt Mönch gewesen sein?!“

Ich fuhr herum und warf ihm den verächtlichsten Blick zu, den ich besaß. Erst jetzt sahen wir uns an, die Luft knisterte förmlich. „Seid Ihr jemals in einem solchen Tollzimmer gewesen…?! Jemals…?!“

„Es ist ein Haus Gottes! Ich muss nicht dort sein, um zu wissen, dass alles seine Richtigkeit hat und dem Wege des Herrn entsprechend gehandelt wird!“

„Mit allem Respekt, ich war fast zwei Monate dort! Und es gleicht der leibhaftigen Hölle!“

Er zischte bedrohlich:

„Es ist ein Zimmer voller Besessene, was erwartet Ihr?! Das Paradies?!“

„Also gebt Ihr zu, dass es wie in der Hölle ist?! Euer…göttliches Reinigungs-was-auch-immer?!“

„Er hat Pfiff!“, lachte Black und nickte anerkennend, doch keiner beachtete den alten Seebären, wie so oft.

O’Hagan drohte mir: „Unterbindet diese blasphemischen Äußerungen auf der Stelle oder Ihr werdet mit starken Konsequenzen rechnen müssen!“

Ich wollte gerade etwas entgegnen, ihn anschreien, dass ich doch scheinbar sowieso hängen würde, die Wut hatte mich förmlich in ihrem Besitz - aber Fulligan schnitt mir einfach das Wort ab:

„Genug!“, wir schwiegen. Der alte Richter war sichtlich schockiert und wusste nicht, wen von uns er länger anstarren sollte und noch weniger, wem von uns Glauben schenken. Er vergaß vor lauter Aufregung mit seinem Hammer zu klopfen und tat es nun nachdrücklich etwas verspätet, um Zeit zu gewinnen, sich eine Antwort zu überlegen. Dann schnaubte er und rückte seine Perücke zurecht. Sicherlich konnte man mir ansehen, wie ich mich beherrschen musste. Nur langsam konnten O’Hagan und ich die Blicke voneinander lösen und zum Pult zurück sehen. Die Luft um uns knackte förmlich und ich meinte, Blitze zwischen ihm und mir zu spüren. Unsichtbare Spannungen, verhasste, lautlose Botschaften, gedachte Todeswünsche und Flüche.

Fulligan holte tief Luft, ehe er bemüht ruhig fragte: „Also gut... Ihr sagtet, er war im Tollhaus?“

„Als Arbeiter.“, O’Hagan nickte knapp und verschränkte die Arme wieder hinter dem Rücken. Es wirkte, als würde er nun wieder langsam zu Stein werden, aber die Tatsache, dass ich es geschafft hatte, ihn aufzuregen, verschaffte mir Genugtuung. Ich erinnerte mich an Wilkinson, an meine Begegnung mit dem Gouverneur an Bord der Caroline und auch an Wilkinsons Tod. Als der Kapitän getaumelt und gestürzt war, erschien es mir, als hätte O’Hagan etwas getan, was niemand anders hätte tun können. Seine Macht, die er über uns hatte und die er ohne zu zögern auch nutzte, verlieh mir Respekt und Ehrfurcht. O’Hagans Kälte ließ ihn unnahbar, unbesiegbar wirken. Aber nun hatte er sich aufgeregt. Er war wütend gewesen, er hatte gehasst:

Er hatte Gefühle.

Ich hatte es mit wenigen Worten geschafft seine Schale zu durchdringen. Es war nicht viel, aber mehr, als andere sich trauten. Und ich würde es wieder tun und wieder. Diese Welt musste einfach endlich begreifen, wie lächerlich dieser Mann war, mit seiner Welt, aufgebaut auf Lügen und Narretei!

„Ist der Zuchtmeister anwesend?“, Richter Fulligan sah sich im Raum um, aber natürlich war da niemand zu sehen. Dann wandte sich sein Blick an O’Hagan. „Ich würde gerne mit ihm sprechen.“

„Ich lasse ihn rufen.“, ohne auf eine Antwort zu warten drehte O’Hagan herum und ging mit großen Schritten aus dem Raum. Sein Mantel wehte und wortlos rauschte er hinter uns zur Tür. Fulligan schlug laut und stark mit seinem Hammer auf.

„Dann unterbreche ich hiermit die Verhandlung!“, und während er sich verwirrt umsah, murmelte er: „Nanu? Wo ist denn der Protokollant? Nicht da? Nun, dann soll er es nachträglich mitschreiben!“

Die Rotröcke packten Robert, Black und mich und wir wurden in eines der Nebenzimmer gebracht. Wir durften uns auf zwei sich gegenüber liegende Bänke setzen, gefesselt blieben wir dennoch und die Wachen verließen nicht den Raum. Robert setzte sich neben Black, in weiter Entfernung und sah mürrisch zu Boden. Ich war froh, dass er nicht begann zu sticheln. Mit Sicherheit hatte er Angst, würde er sich aufregen, würde er zu viel reden und dann würden seine Lügen auffliegen.

Black hingegen grinste mich unverwarnt an. Er hielt noch immer das Seil in der Hand und hatte es sich um die Handgelenke gewickelt. Es sah mehr als nur provisorisch aus, aber keiner achtete auf einen alten Mann mit Glasauge und Holzbein. Nun, wo er saß, fiel mir auf, wie viel er zugenommen hatte. Nicht enorm, aber doch bemerkbar. War es im Gefängnis etwa doch besser gewesen, als im Tollzimmer? Doch ein Blick auf den abgemagerten Robert ließ mich zweifeln. Etwas stimmte hier nicht. Ganz und gar nicht.

„Aye, hat dem Kreuzkriecher ganz schön die Meinung gesagt, Son.“, zischte der Seebär mir anerkennend zu. Ich muss zugeben, dass mir dieses Lob gefiel und ich nicht wenig stolz war.

„Ich habe nur die Wahrheit gesagt.“

„Wahrheit zählt vor Gericht nicht, Junge. Nicht jetzt jedenfalls. Er sollte sich lieber um den alten Fulligan kümmern. Dass er ihn nicht hängt, das ist wichtig.“, er sah kurz zu den Wachen, dann beugte er sich vor. Ich tat es ihm gleich, um sein Flüstern zu verstehen, als er fort fuhr: „Und eines kann er mir glauben: Der alte Fulligan hängt gut und gern Piraten auf. Strick um den Hals und dann…“, er verdrehte die Augen und streckte demonstrierend die Zunge heraus, während er leise röchelte, doch sofort wurde Black wieder ernst. „Aber er hat ihn unsicher gemacht. Das ist gut. Vielleicht kann er das Ruder rum reißen, Son. Ich spüre Wind aufkommen. Er sollte ihn ausnutzen, eh die neue Flaute kommt.“, wie früher legte er mir seine Hände auf meine eigene, die ich auf mein Knie gelegt hatte. Ich spürte, wie hart und rau sie waren. Seemannshände…, dachte ich und es war mir unangenehm. Dennoch zog ich sie nicht zurück und sah ihn an. „Aye und er denkt doch an seine Mannschaft, das tut er doch?“

„Was meint Ihr, Black?“

Der Seemann grinste. Als ich seinen Goldzahn aufblitzen sah, wurde mir bewusst, wie lange es her war, dass wir miteinander geredet hatten. „Einer allein kann ein Schiff nicht segeln, Son, das weiß er doch?“

Ich musste unwillkürlich schmunzeln. „Keine Sorge, Black. Wenn ich hier heraus kommen sollte, nehme ich Euch mit. Ihr habt mein Wort.“

„So lobe ich es mir!“, Black lachte und lehnte sich zurück. „Er hat Pfiff, ich sage es immer und immer wieder. Nicht dumm der Junge, hab ich’s nicht von Anfang an gesagt?! Und wie ich das gesagt habe! Aus dem wird was!, habe ich gesagt, bei meinem Bart! An dem werden sich noch so einige die Zähne dran ausbeißen, was Robert?! Alter Scharlatan?! Feiger Hund?!“, doch Robert brummte nur und ignorierte den Seebären. Black lachte weiter und machte es sich gemütlich. Ich musste grinsen, schwieg jedoch.

Innerlich war ich aufgeregt. Ich fürchtete, sie würden den Zuchtmeister ausfragen, ohne mich anzuhören und ganz ohne meine Stellungsnahme entscheiden. Dann wäre es aus und vorbei. Ich stand kurz davor, ein Stoßgebet gen Himmel zu senden. Dann fiel mir O’Hagan ein.

Dieser gar nicht mehr stolze und starke Mann, oh nein. In meinen Augen war er falsch, verlogen und hinterhältig.

Ich werde ihn zu Fall bringen. Ich werde seine Lügen aufdecken. So wahr ich Oliver Sullivan O’Neil heiße…! Das nahm ich mir felsenfest vor. Und ich würde es in die Tat umsetzen, ganz sicher!

Wenn auch nicht heute.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Momachita
2013-06-07T12:28:54+00:00 07.06.2013 14:28
Oh man, ich hab wieder viel zu lange pausiert.
Dennoch, als ich vorhin mit dem Kapitel (Achtung: überflüssige Nebeninformation, die niemand wissen will!), auf dem Klo sitzend, begonnen habe, konnte ich wieder nicht aufhören, es zu lesen. So spannend! Ich liebe deine Charaktere einfach zuuu sehr! :D
Auch wenn ich nur unregelmäßig zum Lesen komme, bereitet es mir immer wieder ein Vergnügen, wenn ich wieder mal auf Son stoße und weiterlese. Danke dafür!


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