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Kill

von

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Deal or no deal?

Zero lehnte seinen Kopf an den Kühlschrank und begann mit einer leicht müden Stimme zu sprechen:

"Wie Sie es sicher verstanden haben, stecke ich in Schwierigkeiten. Um aus dem ganzen Schlamassel rauszukommen, benötige ich Ihre Hilfe. Daher schlage ich Ihnen einen Deal vor: Ich erzähle Ihnen alles und Sie helfen mir, aus der Sache rauszukommen. Im Gegenzug mache ich alles, was Sie von mir verlangen – natürlich in den Grenzen des gesunden Menschenverstandes."

"Und was ist, wenn ich Ihnen nicht helfen will?", fragte die junge Frau nach.

"Dann werde ich mich von Ihnen verabschieden und gehen.", erklärte er ruhig.

"Aber Sie sind doch verletzt!"

Auf den Ausruf zuckte Zero nur mit den Schultern.

"Ich will Ihnen nicht zur Last fallen, ganz gleich, ob ich nun gesund bin oder nicht. Wenn Sie aber zustimmen, mir zu helfen, müssen Sie sich bewusst sei, dass es gefährlich für Sie werden kann. Sagen Sie, schauen Sie sich gerne Actionfilme an?", wechselte er plötzlich das Thema.

Fräulein Inagawa, etwas perplex von der unerwarteten Frage, meinte darauf:

"Nein, ich ziehe Triller vor. Wieso…?"

"Stellen Sie sich vor,…", unterbrach er sie. "…das, was Sie erwartet, sei eine Mischung aus Action und einem Psychotriller hoch drei."

"Übertreiben Sie's mal nicht, Osa-san."

"Ich übertreibe nicht." Seine Stimme war ganz ruhig, seine dunkelbraunen, fast schwarzen Augen sahen sie mit einem ernsten Blick an. "Ich warne Sie vor, was Sie möglicherweise erwarten kann, wenn Sie mir helfen würden. Meine Arbeit ist auch sonst kein Zuckerschlecken und die jetzige Situation schon gar nicht. Ich möchte nicht, dass Sie sich blindlings auf einen gefährlichen Pfad begeben."

Er wollte schon weiterreden, doch ihre Hand hinderte ihn daran.

"Glauben Sie mir, ich weiss, welche Gefahren birgt die Arbeit bei der Polizei. Sie müssen wissen, ich bin Journalistin von Beruf. Daher denke ich, Sie müssen auch nachdenken, wem Sie ihre Geheimnisse anvertrauen."

Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Eine Journalistin! Das hatte ihm zu vollständigem Glück noch gefehlt. Zero seufzte. Das Schicksal meinte es wohl besonders gut mit ihm…

"Da muss ich Ihnen wohl oder übel vertrauen. Etwas anderes beleibt mir da nicht übrig. Ich kann nur hoffen, Sie werden die Informationen, die ich Ihnen mitteile, nicht für Ihre Zeitungsartikel verwenden. Vorausgesetzt, Sie stimmen meinem Angebot zu.", fügte er am Schluss noch hinzu.

Stille breitete sich im Raum aus. Die Journalistin und Wohnungsbesitzerin wiegte alle Punkte ab, um eine richtige Entscheidung treffen zu können. Der Ermittler zu seinem Teil schwieg, da er die junge Frau nicht stören und ihren Entschluss auf keiner Weise beeinflusse wollte.

Nach scheinbar unendlich langer Zeit hob das Fräulein seinen Blick und sah sein Gegenüber fest an.

"Ich bin einverstanden.", war die Antwort der Journalistin. "Aber als Erstes schlage ich mal vor, dass wir uns auf eine weniger formale Ebene begeben. Ich bin Revi." Sie streckte ihm die Hand entgegen, die er dann schwach schüttelte.

"Zero."

"Gut. Weiter im Text.", fuhr die junge Frau unbeirrt weiter. "Ich verspreche dir, Zero, dass jedes von dir gesagte Wort die Wände dieser Wohnung nicht verlassen werden. Zumindest ich werde niemandem irgendetwas sagen oder schreiben."

Erleichtert senkte er die Lieder, so dass seine Augen nun nur noch halbgeschlossen waren.

"Danke.", flüsterte er ihr zu. Dieses Versprechen war ihm wichtig. So war er kein Verräter, hielt sich an die Justiz – nun, im gewissen Rahmen – und konnte sichergehen, dass nichts an die Öffentlichkeit gelang. Er musste zugeben, dass die junge Frau nicht nur schön, sondern auch schlau war. Besser für ihn.

"Dann fange ich mal an.", meinte der Ermittler und öffnete seine Augen wieder ganz. "Du hast sicher vom Mord an Yukio Nakamura erfahren."

Die Gefragte nickte.

"Ja, ich wurde beauftragt, einen Artikel über sie zu schreiben." Sie machte eine Pause, um dann mit einer stahlharten Stimme weiterzufahren. "Den mir mein heissgeliebter Mitarbeiter freundlicherweise gestohlen hatte."

"Lieb.", kommentierte Zero Revis Aussage, fuhr dann aber fort. "Aber wenn das so ist, muss ich nicht zu sehr ins Detail gehen.

Eine Oppositionsführerin wird nicht jeden Tag ins Jenseits befördert. Und schon gar nicht so eine wie Yukio. So hat die Regierung uns alle - also die Polizisten - auf den Kopf gestellt, dass wir ja so schnell wie möglich Yukios Mörder finden. Die Medien verfolgen jeden unserer Schritte und beklagen sich beim Volk über die schlechte Arbeit der Polizei. Glaub mir, es ist alles andere als ein Zuckerschlecken unter solchen Umständen zu arbeiten."

Er lachte leise.

"Aber belassen wir dieses Gelaber lieber. Wir sind ja schliesslich nicht so alt, dass wir uns über jede Kleinigkeit beschweren. Ich komme mal lieber zum Wesentlichen.

Ich arbeite in der Abteilung für schwere körperliche Verbrecher. So bin ich wohl oder übel ebenfalls in das Ermittlungsteam eingeteilt. Zusammen mit meinen Arbeitskollegen haben wir einige Hypothesen erstellt und sind gerade dabei gewesen, diese zu überprüfen, als da eine andere tolle Nachricht mir überbracht wurde. Jemand ist so verdammt schlau gewesen und hat mich in ein anderes Departement eingeteilt, nämlich in das für politische Verbrechen.

Allerdings muss ich sagen, dass dort auch nicht gerade komplette Idioten arbeiten. Die Jungs haben schon einiges in Erfahrung bringen können und haben mir grosszügig alles erzählt, was sie in der Zwischenzeit ausgegraben haben. Dabei habe ich erfahren, dass Yukio zwar einige Skandale verursacht hatte – wobei die betroffenen Politiker sich von ihrer Kariere verabschiedet hatten -, hatte aber noch mehr "Schuldner" auf ihrer Liste."

Revi runzelte die Stirn.

"Schuldner?" Einen Moment lang verstand sie nicht, was er damit gemeint hatte, doch dann traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag. "Sie hatte die Politiker erpresst, nicht wahr?"

Zero nickte.

"Genau. Was meinst du, auf welches Geld sie die Arbeitsbedingungen vieler Arbeiter verbessert hatte? Woher sie die Mittel dazu hatte, die Kinderheime renovieren und Krankenhäuser mit verbesserter Technik ausstatten zu können? Das alles hatte sie mit den Erpressungsgeldern ihrer "Kollegen" gemacht. Jeder hat eine Leiche im Keller und Yukio hatte eben eine Nase für das gehabt. Sie hatte einiges über die Politiker im Regierungsrat gewusst und sich dieses Wissen Zunutze gemacht."

"Eine Art weiblicher Robin Hood." Revi lächelte schief.

"Könnte man meinen. Auf jeden Fall hatten diese Aktionen zur Folge, dass das gemeine Volk auf ihrer Seite war – was Yukio eigentlich auch vorhatte. Ihr Ziel war es, die Politik des Landes zu ändern, und dafür war ihr jedes Mittel Recht."

Die Journalistin schluckte.

"Wollte sie… Wollte sie etwa eine Revolution starten?"

Das Nicken ihres Gegenübers reichte ihr als Antwort.

"Aber wie…?"

"Das gemeine Volk stand hinter ihr. Hätte man sie zwei Jahre später getötet, wäre eine Revolution ausgebrochen, welche die von 1917 in den Schatten gestellt hätte."

1917… Die Oktoberrevolution in Russland… Damals, als die Bolschewiki den Winterpalast in St. Petersburg gestürmt hatten, hatte es viele Opfer gegeben, sowohl von der Seite der Regierung als auch beim einfachen Volk. Natürlich wurden die Opferzahlen nie veröffentlicht, aber man müsste schon komplett verblödet sein, dass man solch einfache Schüsse nicht ziehen konnte.

Der Beamte hatte währenddessen weiter geredet:

"Mit Mühe und Not haben wir eine Liste der Schuldner erstellen können. Uns allen ist klar, dass die Liste alles andere als vollständig ist, aber sie ist alles, worüber wir momentan verfügen. Beim Überprüfen haben wir einige Namen wegstreichen können. Zwar haben die Politiker weiterhin Rate zahlen müssen, aber sie haben mit Yukio verhandeln können. Je weiter wir nachgeforscht haben, desto kleiner ist die Liste geworden. Jetzt besteht der Kreis der Verdächtigen aus nur acht Personen. Wenn man bedenkt, dass die ursprüngliche Zahl um die fünfzig betragen hat, ist das ein gar nicht so ein schlechter Fortschritt."

"Da kann ich dir nur zustimmen.", gab Revi ihm Recht. "Aber ist es nicht so, dass ein Politiker ganz einfach einen Auftragskiller anheuern konnte?"

"Natürlich war da ein Killer im Spiel, da muss ich nicht mal zu einer Wahrsagerin gehen, um dies bestätigt zu bekommen. Aber wir haben das Motiv geprüft und es hat sich herausgestellt, dass die meisten so schlau waren, mit Yukio einen Deal zu vereinbaren. Yukio schweigt und die Politiker überweisen ihr jeden Monat einen gewissen Geldbetrag. Bei allen ihren kranken Vorstellungen einer heilen Welt war Yukio erstaunlich anständig in Sachen Geld und Versprechungen. Sie hatte nie mehr verlangt, blieb immer beim gleichen Betrag, der – erstaunlicherweise – recht tief war und hielt – wie versprochen – ihren Mund. Dennoch gab es einige Leute, die mit ihr keine gemeinsame Sprache finden konnten."

"Und diese Leute sind nun eure Verdächtigen.", schlussfolgerte die Journalistin. Sie erblickte nun eine neue Person hinter der sonst so harten Fassade der Oppositionsführerin.

Zero nickte ihr als Bestätigung zu.

"Einer meiner Agenten hatte den Auftrag, die Verdächtigen je einen Tag lang zu beschatten. Als Ergebnis seiner Arbeit habe ich ein Couvert voller Fotos erhalten. Die meisten wurden von ihm gemacht, einige aber stammen aus einer früheren Zeit. Keine Ahnung, wie er auf die gekommen war, aber der Junge hatte eine ganze Arbeit geleistet."

Er brach ab und betrachtete die Tischplatte vor ihm. Seine Wunden schmerzten ihm, aber auch die Erinnerung and den jungen, ehrgeizigen Mann, der seiner Arbeit wegen sein Leben verloren hatte. Diesen Verlust würde er, Zero, wohl nie verarbeiten können.

"Als Journalistin könntest du ihn kennen. Yoshi Kitsune. Sagt dir der Name etwas?"

Revis Augen wurden gross vor Überraschung.

"Yoshi? Aber natürlich kenne ich ihn. Er bringt mir die meisten Fotos für meine Artikel… und ich muss sagen, es sind auch die besten, die man kriegen kann."

"Bist du etwa die Miko von den Tokyo News?"

"Genau die bin ich."

"Dann fürchte ich, du musst dir einen neuen Fotografen suchen."

Das Gesicht der Wohnungsbesitzerin wechselte von angenehm überrascht zu fragend ernst.

"Wieso denn das?", wollte sie mit einer harten, angespannten Stimme wissen.

Die Trauer und der Schmerz seiner Augen liess sie das Schlimmste befürchten.

"Weil er tot ist. Er wurde gestern… nun, vor vier Tagen umgebracht. Sein Leichnam wurde vor dem Eingang in einen Wohnblock gefunden. Auf seine Bitte hin habe ich ihn dorthin gebracht, da ein Bekannter von ihm etwas gebracht hat, was in Japan nicht zu finden ist."

Geschockt presste die junge Frau die Handfläche auf ihre Lippen.

"Du meine Güte, wie schrecklich.", brachte sie halb flüsternd hervor.

"Ich vermute, jemand hat herausgefunden, dass er Fotos und Informationen für mich beschaffen hat… und dass er mein bester Agent gewesen ist.

Du musst wissen, es gibt drei Arten von Agenten. Zum ersten haben wird da Leute, die etwas verbrockt haben, laufen aber frei in der Gegend herum, weil wir für ihre Verhaftung nicht genug Belastungsmaterial auftreiben konnten. Diese Leute bringen wir mit unserem Wissen auf unsere Seite. Grob gesagt, wir erpressen sie, sei es wegen eines Verbrechens gegen das Gesetz oder wegen eines Vorgehens gegen die Regeln ihrer Kriminalgruppe.

Zweitens haben wir da die Rachesucht. Selbst hat man nicht genug Kraft und Macht um der einen oder anderen Person Schaden zufügen zu können. Also versucht der Beleidigte, die Angelegenheit mit Hilfe von dritten dem Schuldigen so viel Mist wie es nur möglich ist zu bauen.

Und zum Schluss gibt es da noch Agenten, die rein aus ihrem eigenen Willen mit der Polizei arbeiten. Das sind Leute, die mit deiner Einstellung einverstanden sind und sogar mehr, sie teilen deine Meinung. Wenn ein Ermittler solch einen Agenten für sich gewinnen kann, achtet der Beamte auf diese Person mehr als auf seinen eigenen Augapfel.

So war es bei mir und Yoshi. Ich war es, der ihm die Arbeit bei der Polizei aus dem Kopf geschlagen hatte. Und ich war auch derjenige, der ihm das Angebot gemacht hatte, als mein Agent zu arbeiten… und ihn somit ins Jenseits befördert."

Seine Kräfte verliessen ihn langsam aber sicher und er schloss erschöpft die Augen. Besorgt sah Revi ihren Patienten an.

"Möchtest du dich vielleicht lieber ausruhen? Du kannst mir auch später die ganze Geschichte erzählen…"

"Es geht schon.", unterbrach er sie.

Der Beamte atmete tief durch.

"Am Tag zuvor hatte mir Yoshi neben dem Couvert mit den Fotos noch einige andere Unterlagen gegeben, deren Beschaffung eigentlich nicht direkt zu seiner Aufgabe gehört hatte. Die Fotos und die Unterlagen enthalten viele wichtige Informationen, daher habe ich die Dokumente auf keinen Fall zu Hause lassen können. Jetzt bin ich sogar froh darüber, zusätzliche Papiere in meine Arbeitstasche reingestopft zu haben.

Kaum bin ich in meinem Büro angekommen, schon werde ich zum Chef gerufen. Nichts Schlimmes ahnend bin ich hingegangen und habe erfahren müssen, dass der Betrag auf meinem Bankkonto um zwei Millionen Yen zugenommen hat, der Überweiser der Summe unbekannt ist und mein bester Agent, ja, auf eine gewisse Art und Weise mein Schützling, nach unserem Treffen ermordet wurde. Und zur Krönung des wunderschönen Tages wirft man mir Korruption vor und will mich ohne grosses Gerede hinter Gitter stecken. Wie würdest du in solch einer Situation reagieren?

Ich würde mal sagen, du wärst geschockt, wie ich es gewesen bin. Und dann würdest du sehen, dass du heil davon kommst, denn im Gefängnis kannst du deine Unschuld nicht beweisen. Habe ich da richtig geraten?"

Die junge Frau nickte zur Bestätigung seiner Worte.

"Na dann wirst du doch verstehen, dass ich unter einem Vorwand das Büro verlassen und das Weite gesucht habe – wahrlich nicht ohne meine Tasche mit den Dokumenten mit zu nehmen.

Den ganzen Tag habe ich damit verbracht, ein Versteck zu suchen. Erfolglos, wie du es siehst. Und als ich dann gegen Abend an einem Wohnblock vorbeiging, habe ich einen Typen entdeckt, der mich beschattete. Einen Wohnblock später wurde ich ins Treppenhaus gezerrt und mit einem Faustschlag ins Gesicht in Empfang genommen. Kaum war ich zu mir gekommen, schon erwartete mich die nächste Überraschung: Mein Angreifer zog eine Pistole, mit einem Schaldämpfer ausgestattet, und zeigte mir alles andere als zweideutig, was in dem Moment durch seinen Kopf gegangen war. Den Rest der Geschichte kannst du dir ausmalen: ich wurde durchs gesamte Treppenhaus gejagt, zwei Mal angeschossen und dazu gebracht, es ernsthaft zu bereuen, kein Testament erstellt zu haben. Als ich mich dann an eine Tür angelehnt habe, ging diese plötzlich auf und ich landete rücklings auf dem Boden. Danach wurde alles schwarz."

Für Revi war Zeros letzter Satz wie eine Aufforderung zum Weitererzählen, um die Lücke in seinem Gedächtnis wenigstens halbwegs zu füllen.

"Ich habe komische Geräusche vom Treppenhaus gehört und bin nachsehen gegangen, was da los war. Doch kaum habe ich die Tür geöffnet, da bist du schon wie aus heiterem Himmel beim Eingang in meine Wohnung zusammengebrochen. Ohne gross zu überlegen habe ich dich reingezerrt und die Tür geschlossen. Ich bin gerade damit fertig geworden, dich an eine Wand zu lehnen, als es läutete. Im Gang ist ein Mann in Grösse eines Kleiderschrankes gestanden und hat mir ein Märchen von wegen einer Schiesserei und einem Typen, der angeblich seinen Kumpel angeschossen und sich dann in diesem Treppenhaus versteckt hat, erzählt. Ich habe ihm gesagt, ich hätte nichts gesehen, so ist er wieder verschwunden. Der weitere Verlauf der Geschehnisse dürfte wohl klar sein: ich habe dich zum Bett gezerrt und hab' dich dann verarztet."

"Arigato.", sagte Zero und meinte dies auch so. Ohne Revi wäre er jetzt ganz sicher irgendwo tot herumliegen und würde nicht einmal die Radieschen von unten betrachten können.

"Nichts zu danken.", winkte die junge Frau ab. "Mich würde eher interessieren, welche Rolle ich in diesem Stück spiele. Was erwartest du von mir? Nun ja, abgesehen davon, dass meine Wohnung dir für die nächste Zeit Schutz bieten wird."

Der Beamte öffnete zum ersten Mal seine Augen ganz und sah die Journalistin mit einem ernsten Blick an. Von der Müdigkeit fehlte jede Spur.

"Du wirst zu meinen Ohren und Augen. Ich kann mich nirgendwo blicken lassen, im anderen Fall würde ich auf dem direkten Weg im Knast landen. Am besten wäre es, wenn du Urlaub nähmest. Ich werde dich nämlich immer brauchen."

"Hmm…", machte Revi nachdenklich. "Das mit dem Urlaub wird schwierig sein. Aber, wenn ich ehrlich bin, wird es für mich gar nicht nötig sein, Ferien zu beziehen."

"Wie denn das?"

"Ich bin eine von den bestbezahlten Journalisten der Tokyo News. Ich muss nicht täglich im Büro erscheinen, um meinen Job machen zu können. Natürlich, wenn etwas passiert, wäre es für mich von Vorteil, zur Stelle zu sein, aber ein oder zwei Mal nicht dabei zu sein würde meine Karriere nicht ruinieren. Und die Artikel kann ich auch von zu Hause aus dem Redaktor zuschicken."

Zum ersten Mal seit scheinbar unendlich langer Zeit lächelte Zero.

"Das würde, natürlich, einiges erleichtern. Du kannst ruhig dem Neusten auf der Spur bleiben, ich beabsichtige nicht, dich irgendwie einzuschränken. Ich bin schon glücklich, wenn du deine Texte von hier aus publizierst. Meine einzige Bitte wäre, dass du niemandem über mich erzählst. Keine Freundestreffen bei dir zu Hause, keine Geschichten über einen Mann, der bei dir wohnt…"

"Mach dir darüber mal keine Sorgen. Ich wäre eine schlechte Journalistin, könnte ich meinen Mund nicht halten."

Erleichtert lehnte sich Zero gegen den Kühlschrank. Er hatte es geschafft, er hatte für sich eine Bleibe gefunden und sogar einen Helfer – nun, Helferin, aber der Sinn der Sache blieb der gleiche. Auf jeden Fall war all das mehr, als er es sich an dem besagten Morgen erhofft hatte.

Der Ermittler wurde abrupt aus seinen Gedanken rausgeholt, da seine jetzige Helferin aufgestanden war.

"So, da wir nun alles geklärt haben, schlage ich mal vor, wir bringen dich wieder ins Bett."

"Die Couch wird reichen.", versuchte der junge Mann sich schwach zu wehren, was allerdings scheiterte.

"Spiel hier nicht den noblen Ritter in kunstvoller Rüstung. Du bist immer noch verletzt und wenn du nicht vorhast, über längere Zeit in deinem jetzigen Zustand zu bleiben, wirst du gefälligst das tun, was ich dir sage. Du kannst dich ohne fremde Hilfe ja kaum bewegen. Und über die Schlafplatzverteilung reden wir später mal."

Zero seufzte ergeben.

"Kann ich wenigstens auf die Toilette gehen?"

Da musste Revi grinsen.

"OK, diesen kleinen Umweg gönn' ich dir noch."

Es dauerte sicher um die zwanzig Minuten, bis der Beamte wieder im Bett lag. Ganz schön lange in Anbetracht dessen, dass normalerweise er für all dies allerhöchstens fünf Minuten gebraucht hätte. °Ich brauche wirklich noch viel Ruhe.°, dachte er missmutig. Der Gedanke an seine Hilflosigkeit und das Gefühl, auf jemanden angewiesen zu sein, machte ihn halb wahnsinnig!

Bevor er einschlief, fragte der Ermittler seine Helferin noch:

"Sag mal, hast du einen Freund? Versteh' mich nicht falsch, ich will nur nicht, dass mitten in der Nacht ein zwei Meter grosser Kleiderschrank ins Zimmer reinplatzt und ich einen Abflug durch das Fenster machen muss."

Die junge Frau lachte.

"Keine Sorge, ich bin solo. Auf eine wie mich beissen die Männer nicht."

Sie bemerkte zu spät, dass ihr mehr rausgerutscht war, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte.

Natürlich fragte der Beamte, nun sichtlich neugierig, weiter nach.

"Und was für eine bist du?"

"Was bringt dir, dies zu wissen?", lautete die Gegenfrage.

"Nichts. Ich bin einfach ein neugieriger Mensch."

Die Wohnungsbesitzerin ging vom Bett weg und blieb stehen. Dann seufzte sie.

"Ich bin eine erfolgreiche Journalistin, bin alles andere als hässlich und habe keine lebenden Verwandten mehr. Jeder will solch eine haben… wenn man Probleme mit den Finanzen hat. Für die meisten Männer dieser verdammten Welt bin ich nur ein Stück Fleisch ohne Verstand und Seele.

Zwei Mal bin ich in diese Falle getappt, ein drittes Mal wird es nicht geben."

Während sie sprach, stand Revi mit dem Rücken zu Zero, so dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Aber das war eigentlich auch nicht nötig. Ihre Stimme wurde von solch einer Bitterkeit gezeichnet, dass es ihm schwer fiel zu atmen. Es war so, als hätte jemand sein Herz in eine eiserne Hand geschlossen.

"Revi…", sprach er leise ihren Namen aus.

Da realisierte die junge Frau, was sie da eigentlich erzählte. Wie von einer Tarantel gestochen fing an, sich hektisch im Zimmer zu bewegen. Was hatte sie da nur geritten, diesem Beamten alles zu erzählen? Was war bloss in sie gefahren? Sie wusste es nicht. Was sie aber wusste, war, dass sie nun schleunigst aus dem Raum verschwinden sollte.

"Du sollst jetzt schlafen!", rief die Journalistin aus und schloss hinter sich die Tür. Zurück blieb nur ein total verwirrter Zero. Dem Armen blieb nichts anderes übrig, als doof zu gucken und überrascht zu blinzeln.

"Was hat denn sie gebissen?", fragte er sich selbst, doch es war dummerweise niemand da, der ihm diese Frage beantworten konnte. Also entschied er sich dazu, der Aufforderung Folge zu leisten und sich schlafen zu legen. Dies war nicht sonderlich schwer, da er wirklich noch ganz schwach war. Kurze Zeit später war in dem Zimmer nur sein gleichmässiger Atem vorzunehmen.



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