Zum Inhalt der Seite

Shadows of the NewMoon

von
Koautor:  Caracola

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

54. Kapitel

Amanda hatte auf ihrem Handy nur die Uhrzeit ablesen wollen. Aber ihr leuchteten zwei SMS entgegen, die sie weder ignorieren wollte, noch konnte.

Eric bat erst gegen Mittag um Rückruf. Das war allerdings bereits als Anweisung zu verstehen, sich in der nächsten Stunde bei ihm zu melden. Immerhin war es schon elf Uhr vormittags.

Seth war weniger geduldig gewesen, als er um sechs Uhr in der Früh geschrieben hatte, Amanda solle sich so bald wie möglich mit ihm treffen. Es sei keine Zeit zu verlieren. Man müsse sich noch vorbereiten. Es sei nicht der Tag, um kostbare Stunden zu verschlafen.

Dass er damit auch noch Recht hatte, machte die SMS für Amanda nur noch giftiger. Mit ungehaltenem Knurren ließ sie das weiße Telefon auf den weichen Teppich neben dem Bett fallen und drehte dem kleinen Apparat den Rücken zu.

Auch wenn der Drang bereits beim Aufwachen unwiderstehlich gewesen war, wollte Amanda ihre Arme jetzt nur umso mehr um ihren Geliebten schlingen.

In dem riesigen Bett lagen allerdings so viele Kissen und außerdem die weiche, große Decke, dass sie nur deshalb erahnen konnte, wo sie Nataniel finden würde, weil ihre Beine ineinander verschlungen waren.

So gut es ging, befreite sich Amanda und ging durch Kopf- und Dekokissen auf Tauchgang.

Vorsichtig wühlte sie sich durch flauschige Schichten, bis sie auf einen muskulösen Oberarm traf, dem sie zu Nataniels Schulter folgte.

Die kleinen, weichen Härchen auf seinem Nacken rochen so gut, seine Haut schmeckte so schön herb. Wie hätte Amanda je anders handeln können, als Arme und Beine gänzlich um diesen so wertvollen Körper zu schlingen? Ein sanfter Kuss auf sein Ohrläppchen, ein weiterer auf seinen Hals.

„Wach auf, Schmusekater. Zeit fürs Frühstück...“
 

„Wenn’s vorbei zischende Kugeln gibt, verzichte ich auf das Frühstück.“, brummte er total verschlafen, ergriff aber zugleich Amandas Arme, die sich um ihn geschlungen hatten, ohne dass er es in seinem tiefen Schlaf bemerkt hätte.

Nataniel war nicht mehr wirklich müde, aber es fühlte sich so angenehm an, dass er partout nicht aufstehen wollte. Doch wenn er schon so nett geweckt wurde, sollte er zumindest einen Versuch starten, auf die Beine zu kommen.

Mit einer Handbewegung wischte er ein paar der Dekokissen vom Bett, die ihn fast zu ersticken drohten, aber vorhin noch ein sehr heimeliges Nest um ihn herum gebildet hatten und drehte sich zu Amanda um.

Sie war noch immer genauso nackt wie er, was er mit großer Zufriedenheit zur Kenntnis nahm. So konnte er mehr von ihrer Haut an sich spüren, ohne irgendwelche Hintergedanken. Die Zeit hatten sie vermutlich nicht mehr.

„Guten Morgen.“, seufzte er leise gegen ihre Lippen, ehe er einen Kuss darauf hauchte.

Langsam kam sein Gehirn wieder in die Gänge und anhand des sicherlich vorhandenen Zeitdrucks, machte er auch keine langen Umschweife. So sehr es ihm auch gegen den Strich ging.

„Bevor wir das Zimmer verlassen, sollte ich dich vielleicht noch vorwarnen.“ Nataniel machte absichtlich eine Pause, um die Spannung zu steigern. Denn irgendwie war er trotz allem relativ gut drauf. Wie könnte er auch nicht, bei der Verstärkung, die da irgendwo in den anderen Zimmern untergebracht war und nach dieser wunderbaren Nacht mit Amanda.

„Ich hab dir ein Sixpack mitgebracht.“, verkündete er mit einem zufriedenen Lächeln.

Vermutlich verstand sie kein Wort. Aber die Überraschung würde er ihr nicht verderben.

„Ich hoffe, es gefällt dir, immerhin habe ich dafür eine dicke Lippe riskiert.“ Besser gesagt eine aufgeplatzte Lippe und die hatte er nicht nur riskiert, sondern einkassiert. Aber das war nur ein geringer Preis dafür. Apropos. Vor dem Duschen würde er sich endlich die Fäden ziehen können. Was für eine Erleichterung.
 

Seine Worte trafen Amanda für eine Sekunde. Denn wenn sie es recht überlegte, lag sehr viel Wahrheit darin. Sie mochte so viel heile Welt vorspielen, wie sie wollte. Der Tag würde darin enden, dass sie wieder einmal getrennte Wege gingen. Und Amanda war sich, wohl genauso wie Nataniel, der Möglichkeit nur zu deutlich bewusst, dass sie nicht zurückkehren könnte.

Ihr Mundwinkel zuckte leicht, als sie um eine Antwort rang und ihre Augen nahmen einen dunkleren Farbton an. Sie wollte positiv denken. Vor dem Einschlafen hatte sie das doch auch noch geschafft. Keinesfalls würde sie sterben und Nataniel nie wieder sehen!

Bevor ihr schweres Herz ihr auf die Zunge wandern konnte, brachte Nataniel sie mit seiner Aussage aus dem Takt. Er musste sie vorwarnen? Stimmt. Sie hatten noch nicht darüber gesprochen, was bei seinem kleinen Shoppingtrip mit Francy heraus gekommen war. Dass er darauf hinaus wollte, konnte Amanda allerdings nur vermuten.

„Ach, noch eins?“

Mit ihren Fingern drückte sie anerkennend auf seinen Bauchmuskeln herum und sah ihn fragend an.

„Ehrlich gesagt, versteh ich kein Wort. Aber wenn du Bier meinst, muss ich dich daran erinnern, dass ich keinen Alkohol trinken darf...“

Das Zwinkern wurde von einem glücklichen Lächeln begleitet, bevor sich Amanda buchstäblich mit einem intensiven Kuss auf Nataniels immer noch gerötete Lippe stürzte.

„Entschuldige.“, sagte sie mit einem unschuldigen Lächeln und lehnte sich wieder ein wenig zurück, um ihm gebührend zuhören zu können.

„Erzähl' mir von deinen nächtlichen Abenteuern. Und wehe, du lässt was aus.“
 

Nataniel hatte gehofft, dass Amanda die Bezeichnung ‚Sixpack‘ so auffassen würde. Wie hätte sie denn auch wissen können, dass es sich hierbei um sechs Personen handelte, die zu einem willkürlichen Haufen zusammen gewürfelt worden waren, aber dennoch eine schlagkräftige Verstärkung abgaben, weil er sich sicher war, dass niemand von denen kniff?

Sie hatten nicht den Charakter dafür. Zwar mochten sie auf ihre Art gefährlich, hinterlistig und vollkommen unvertrauenswürdig aussehen, aber soweit er das mitbekommen hatte, saß bei jedem von ihnen das Herz am rechten Fleck. Zumindest bist auf Ryon.

Bei dem Kerl hätte er nicht einmal sagen können, ob er kleine Babykätzchen zuhause groß zog oder jederzeit seine Großmutter zum Frühstück verputzen würde. Falls er das nicht schon längst getan hatte. Die Ausstrahlung dieses Mannes war so glatt und schlüpfrig wie die Haut einer Schlange. Unmöglich sich daran festhalten zu können.

Als Amanda ihn küsste, zog er sie auf seinen Bauch und drehte sich selbst dabei auf den Rücken. Seine Hände lagen auf ihrem Rücken und strichen über ihr Haar, während er ebenso lächelnd zu ihr aufsah. Er mochte es, sich auf diese Weise mit ihr zu unterhalten. Das war so vertraut und intim, wie mit keinem anderen Wesen auf dieser Welt. Diese Momente gehörten ganz ihnen alleine.

„Glaub mir, dieses Sixpack ist garantiert unverträglicher als Bier. Aber ich denke, genau das könnte uns helfen.“

Noch immer waren seine Worte rätselhaft, aber um ihn wirklich verstehen zu können, würde seine Gefährtin die Truppe persönlich sehen müssen. Dann verstand sie vermutlich vollkommen. Was allerdings die Ereignisse der vergangenen Nacht anging, so wusste er nicht genau, was er ihr erzählen sollte. Dass er sich in den finstersten Winkel der Stadt herum getrieben hatte, würde ihr sicherlich nicht unbedingt gefallen und dennoch könnte er sie nicht belügen.

„Nun ja, zu aller erst haben wir versucht, die Wandler für uns zu gewinnen, von denen Francy noch wusste, dass sie unschlüssig sind. Wir haben also bei jedem von denen an die Tür geklopft. Aber in den meisten Fällen hätte man mir mit der Tür die Nase gebrochen, wenn ich nicht so schnelle Reflexe gehabt hätte und die anderen… Nun sagen wir es mal so. Die waren nicht daheim.“

Obwohl sie das sehr wohl gewesen waren, immerhin konnte man ihm nicht so schnell was verheimlichen. Aber im Grunde war das jetzt auch alles egal.

„Da ich aber nicht mit leeren Händen nach Hause kommen wollte, hab ich mich einfach weiter auf die Suche begeben. Das Ergebnis werde ich dir nachher vorstellen. Es wäre unsinnig zu versuchen, es dir zu erklären. Man muss das Sixpack selbst gesehen haben.“ Punkt.

Er würde nichts von den Bars, den Nutten, der Schlägerei und den Leichen im Abfall erzählen. Solche Details konnte man doch getrost weglassen, wenn das Ergebnis stimmte.

Um Amanda aber auch nicht die Möglichkeit zu geben, noch einmal nachzufragen, rollte er sich mit ihr zusammen nun so herum, dass sie auf dem Rücken lag und er sich über sie beugte.
 

Noch immer verstand Amanda die Andeutungen nicht. Aber das war wohl auch Sinn der Sache. Dem spitzbübischen Glitzern und dem schiefen Grinsen von Nataniel nach zu urteilen, machte es ihm diebischen Spaß, sie auf die Folter zu spannen. Da Amanda allerdings annahm, dass sie bald vor des Rätsels Lösung gestellt werden würde, ließ sie ihm den Spaß.

Außerdem war sie wirklich interessiert daran zu hören, wo er sich in der vergangenen Nacht herumgetrieben hatte. Und vor allem, ob sein Ausflug von Erfolg gekrönt worden war.

Wie er sie auf sich zog und mit ihrem Haar spielte, ließ auf einen guten Ausgang schließen. Deshalb faltete Amanda ihre Arme unter dem Kinn und sah Nataniel weiterhin in die Augen, während sie seinem Bericht lauschte.

Mehrere Male musste sie sich zusammen reißen, um nicht in aggressivem Unterton einen Kommentar einzuwerfen. Die Wandler hatten also entweder abgesagt oder so getan, als hätten sie das Läuten oder Klopfen an ihrer Haustür nicht bemerkt.

Sofort drängten sich Amanda wieder die Erinnerungen an Nataniels Rudel auf. Wie tapfer sie für ihre Familien gekämpft hatten, ohne zu wissen, was passieren würde. Und noch dazu waren sie einem neuen Führer mit vollem Vertrauen gefolgt, von dem sie nichts wussten. Außer, dass sein Vater ein guter Anführer gewesen war. Und dass er das Potential eines Alphatieres in sich trug.

Einen Moment lang überlegte Amanda, ob sie den Stadtwandlern wirklich einen Vorwurf machen konnte. Natürlich war die Bedrohung durch Nikolai sehr greifbar gewesen. Das Rudel hatte um ihr Leben fürchten müssen. Aber das war nichts im Vergleich mit dem Kaliber, das die Moonleague darstellte. Vielleicht hatten die Gestaltwandler die besseren Chancen, die sich hinter geschlossenen Türen versteckten und darauf warteten, dass andere sich um das Problem kümmerten. Aber wenn man an die Registrierungen dachte, die Datenbanken der Organisation, die so viele Wandler gespeichert hatte...

Nein, wenn sie nichts taten, dann würde man sie auf jeden Fall ebenso finden, wie diejenigen, die helfen wollten, etwas gegen die Bedrohung zu unternehmen. Die konnten sich selbst bei einem Misserfolg zumindest mit hoch erhobenem Haupt im Spiegel ins Gesicht sehen.

In diesen trüben Gedanken schon ein wenig versinkend, freute sich Amanda umso mehr, Nataniels Ankündigung zu hören. Er hatte also doch Unterstützung gefunden. Auch wenn sich Amanda gar nicht vorstellen wollte, wo er sie hatte zusammen kratzen müssen.

Dass er ihr keine genauen Angaben dazu machte, ließ sie nur noch mehr annehmen, dass er sich an Orten herumgetrieben hatte, die mehr als zwielichtig zu nennen waren. Auf das Sixpack war sie nun aber richtig gespannt.
 

Seine Augen glitzerten raubtierhaft, als er ihr Gesicht fixierte, als wäre sie ein köstliches Stück Fleisch. Oh und wie sie das war, aber eben auf eine ganz besondere Weise.

„Mhmmm… Frühstück…“, schnurrte er und leckte sich dabei lasziv über die Oberlippe, ehe er verwegen lächelte und dabei seine weißen Zähne entblößte.

Nataniel beugte sich zu ihrem Hals hinab, ließ sie seinen heißen Atem auf ihrer Haut spüren, ehe er seine Lippen darauf legte und leicht daran sog.

„Du schmeckst einfach zum Anbeißen gut.“

Er ließ seine Zähne sanft über ihre Haut schaben, ehe er mit seiner rauen Zunge über die Stelle leckte.

Natürlich war er sich bewusst, dass sie keine Zeit mehr für weitere Ausflüchte dieses besonderen Spiels hatten, aber er ließ es sich trotzdem nicht nehmen, sich noch einmal an ihr zu schmiegen, ihre Haut über seine streichen zu lassen und seine Arme um sie zu schlingen. Er zog sie ganz dicht an sich heran, während das Saugen an ihrem Hals kräftiger wurde.

Als er spürte, wie sein Puls langsam zu rasen begann, weil diese Frau ihn immer erregen würde, erst recht wenn sie so nackt unter ihm lag, löste er seine Lippen von ihrem Hals.

Zufrieden betrachtete er den deutlichen Knutschleck direkt an der Stelle unterhalb ihres Ohres. Selbst ein dummer Mensch würde dieses Zeichen nicht missverstehen, als hätte er es nötig, Amanda überhaupt damit zu kennzeichnen. Doch so wie sie heiraten wollte, wollte auch er immer wieder etwas von sich auf ihr wissen. Das war einfach ein natürliches Verlangen.
 

Gerade wollte sie zu neugierigen Fragen ansetzen, als Nataniel sich überraschend auf sie rollte und sie mit seinen blauen Augen regelrecht anfunkelte. Was er genau vorhatte, wusste Amanda nicht. Der vorschnellenden Zunge und diesem Lächeln war alles zuzutrauen.

Als er ihren Hals küsste, sie den Panther in ihm mit seinen Zähnen und seiner rauen Zunge zu spüren bekam, überlief sie eine prickelnde Gänsehaut. Gedanken an die Nacht blitzen durch ihren Kopf und Amanda schloss die Augen, um sich noch ein wenig zurückzulehnen. Wenn sie den Abschied vom Bett und ihrem Geliebten noch länger hinauszögern konnte, dann wollte sie das nur zu gern tun.

Erst als Nataniels Blick auf ihrem Hals ruhte und sein Mundwinkel kurz zuckte, bevor er leise seufzte, dämmerte es Amanda und sie legte leicht entsetzt ihre Finger auf die immer noch feuchte Stelle unter ihrem Ohr.

„Hast du etwa?“

Ihre Augen weiteten sich in gespieltem Entsetzen, das man ihr durchaus abnehmen konnte. Sie boxte Nataniel auf die Schulter und sah ihn strafend an.

Ein Knutschfleck... Wann hatte ihr denn zum letzten Mal ein Mann einen solchen Liebesbiss verpasst?

Amanda konnte sich nicht erinnern. Aber nach weiteren Sekunden steinernen Schweigens konnte sie nicht anders, als in Lachen auszubrechen.
 

Noch einmal küsste er ihre Lippen. Zuerst zärtlich, dann leidenschaftlich und schließlich schon fast verzweifelt, während er sich an sie presste.

Schließlich rief er sich selbst zur Ordnung und zwang sich dazu, seine geliebte Gefährtin los zu lassen. Es bereitete ihm fast Schmerzen, doch man konnte es nicht in seinem Gesicht oder an seiner Haltung erkennen. Stattdessen blickte er noch einmal auf den Bluterguss an ihrem Hals und seufzte dann leise. Es musste genügen.

„Eigentlich bin ich immer der letzte, den man als Spaßbremse bezeichnen könnte, aber es wird Zeit.“

Seine Stimme war wieder ernst. Der zauberhafte Moment dieser Nacht und dieses Morgens war endgültig verschwunden. Die harte Realität hatte wieder zugeschlagen. Wie sehr er doch manches in seinem Leben bedauerte. Doch gäbe es diesen Kampf nicht, er hätte auch Amanda niemals getroffen.

Nackt wie eh und je, stieg er ungeniert aus dem Bett, ging zu dem Kleiderhaufen hinüber, den er im Bad zurückgelassen hatte und zog sein Handy hervor. Er schrieb eine Nachricht an das Sixpack – die Nummern hatten sie kurz vor ihrem Aufbruch aus der Bar ausgetauscht – in der sie sich in einer halben Stunde im Speisesaal des Hotels treffen sollten. Es wurde Zeit, dass Amanda sie kennenlernte und hoffentlich mit der geballten Kraft an Ablenkung zufrieden war. Bestimmt würden sie nicht nur ein gutes Ablenkungsmanöver abgeben.

Nataniel selbst würde dabei sein und dafür sorgen, dass die Moonleague einmal zu sehen bekam, weshalb sie die Wandler eigentlich fürchteten. Mit Freundlichkeit und Frieden war es schon lange nicht mehr getan. Sie wollten Krieg und Blutvergießen haben? Das würden sie bekommen!
 

Der Moment des Frohsinns währte nur kurz, bis Nataniel ernst wurde und das aussprach, was Amanda ebenso wusste.

Es wurde Zeit.

Eigentlich hatten sie sich schon viel zu lange für einander Zeit genommen. Wenn man von der Dringlichkeit der Dinge ausging, die da draußen auf sie warteten.

Während Nataniel aufstand, sah Amanda ihm mit zusammen gepressten Lippen zu. So lange sie konnte, wollte sie zumindest noch seine Wärme in den Laken spüren.

Ihr Herz klopfte leise aber nachdrücklich mit einer Angst, die eine völlig ungreifbare Dimension angenommen hatte. Doch Amanda war noch nie jemand gewesen, der sich vor seiner Furcht versteckte. Sie musste ihr ins Auge sehen, um sie zu überwinden.

Also stand sie ebenfalls auf, zog sich an, duschte und verstaute schließlich ihr Handy in der Tasche ihrer engen Jeans. Bevor sie die Tür öffnete und sich mit Nataniel auf den Weg hinunter machte, hielt sie ihn noch einmal auf.

Ihre Hände legten sich auf seine Brust und sie sah aus ernsten Augen zu ihm auf. „Ich liebe dich.“

Mehr gab es nicht zu sagen. Keine Erinnerung, es nicht zu vergessen, denn das würde er nicht. Kein Hinweis, dass sie für immer so empfinden würde, denn das wusste er. Nur diese Worte, weil Amanda sie gern aussprach, die Wahrheit.

Der Kuss war lang und enthielt ihre Worte noch einmal in anderer Form. Doch auch wenn sie sich nicht von ihm lösen wollte, konnten sie wirklich nicht länger warten.

Im Aufzug versuchte sich Amanda darauf zu konzentrieren, dass sie gleich das berüchtigte Sixpack sehen würde.

Nataniels dauerndes Grinsen machten sie allmählich immer nervöser. Hätte sie sich vielleicht in irgendeiner Weise vorbereiten sollen? Na ja, schlecht war Amanda mit Überraschungen nicht gerade. Außerdem war es jetzt sowieso zu spät für Erklärungen. Die Türen des Aufzugs glitten beinahe lautlos auseinander und gaben den Blick in die Lobby frei.
 

Die Fäden waren schnell gezogen, während Amanda unter der Dusche stand und er versuchte, nicht hinzusehen. Denn als er es einmal getan hatte, hätte er sich mit der Nagelschere fast selbst ins Fleisch geschnitten. Seine Konzentration war noch nie die Beste gewesen, wenn er seine Gefährtin sah, zumindest vollkommen nackt und nass von oben bis unten.

Aber gerade weil ihm auch noch andere Dinge im Kopf herum schwirrten, war es nur eine kleine Gewaltanstrengung, den Blick auf die Naht gesenkt zu lassen. Somit schaffte er es unfallfrei selbst unter die Dusche, während Amanda sich anzog.

Als sie beide fertig waren, spürte er nur zu deutlich, dass der Moment gekommen war, an dem es schon bald kein Zurück mehr geben würde.

Seiner Gefährtin ging es wohl ebenso, denn bevor er aus der Tür gehen konnte, hielt sie ihn noch einmal zurück. Ihre Hände erschienen ihm in diesem Augenblick seltsam klein an seinem Körper. Fast schon zerbrechlich. Er wollte sie nicht gehen lassen!

„Ich liebe dich.“, brach sie schließlich das niederschmetternde Schweigen und schaffte es damit fast, Panik in ihm aufsteigen zu lassen. Diese Worte, sie schienen so endgültig zu sein. Wie ein Abschied für immer und verdammt, es fühlte sich auch so an.

Kein Wunder, dass sein Kuss fast schon purer Verzweiflung glich, als würde sie verschwinden, wenn er auch nur einmal nach Luft schnappte, doch schließlich war Amanda es, die sich von ihm löste. Gut so. Er hätte es nicht geschafft.

Doch noch bevor sie sich von ihm abwenden konnte, blickte auch er ihr tief in die Auge: „Und ich liebe dich.“

Damit war alles gesagt, was gesagt werden musste.

Zusammen mit all seinen schmerzhaften Gefühlen, schloss er schließlich die Tür hinter ihnen. Er würde sie nicht mehr öffnen. Ob dieser Tag nun gut oder schlecht endete, diese Tür in seinem Inneren würde versperrt bleiben. Anders hätte er es nicht ertragen.

Zugegebenermaßen war Nataniel deshalb ganz schön aufgeregt, als sie im Fahrstuhl standen. Was Amanda wohl zu seiner zusammen gesammelten Truppe sagen würde? Überhaupt, wie würden sie heute bei Tageslicht auf ihn selbst wirken? Immerhin war das gestern nach langer Suche dann doch relativ rasch gegangen, aber er war guter Dinge. Musste er einfach.

Schon als die Fahrstuhltür zur Lobby aufging, erkannte Nataniel sofort J oder Ds Stimme wieder. So genau konnte er das bei den Zwillingen nicht sagen, aber sie waren definitiv nicht zu überhören, weshalb er sich nach ihnen umsah.

An der Tür zum Speisesaal hatten die beiden wohl Delilah abgefangen, denn sie flankierten sie links und rechts, so dass sie nicht an den beiden Jungs vorbei kam.

„Oh Baby, für dich würden wir sogar den Mond anheulen.“, säuselte J.

Das konnte Nataniel an seinem Nackentattoo erkennen, das den Anfangsbuchstaben des Zwillings darstellte. D hatte ebenfalls eines.

„Das tut ihr doch ohnehin, also zieht eure Schwänze ein und sucht wo anders nach einer läufigen Hündin. Ich bin nicht an zwei Welpen wie euch interessiert.“, konterte Delilah und schob D schließlich einfach zur Seite. Sie war zwar sehr klein und zierlich, aber offenbar hatte sie dennoch keine Probleme, sich durchzusetzen. Wenigstens trug sie heute nicht mehr ihr Nuttenoutfit.

Der kurze Rock und das viel zu knappe Top machten zwar nicht weniger den Eindruck, sahen aber mit den Erdfarben nicht so auffällig aus. Bis auf die schwarzen Lederstiefel, die bis zu ihren Knien hochgeschnürt waren und einen verdammt halsbrecherischen Absatz hatten. Außerdem war das Platinblond ihrer kurzen Haare sicher ein Hingucker.

„Wer will denn schon eine Hündin, wenn er einen Wolf kriegen kann?“, bohrte J nach und folgte ihr zusammen mit seinem Zwilling in den Speisesaal.

Nataniel sah Amanda lächelnd an.

„Darf ich vorstellen, das waren so eben die ersten drei des Sixpacks. James und Dean die Zwillinge mit den braunen Haaren und dem unsterblichen Bedürfnis dem Rock der kleinen Lady hinterher zu laufen.“

Er senkte etwas die Stimme, damit nicht jeder seine nächsten Worte hören konnte. „Die beiden sind keine Wandler sondern Werwölfe, also unterschätz bloß nicht ihre Fähigkeiten, auch wenn sie sich wie zwei unentwickelte Teenager verhalten.“ Werwölfe konnten ganz schön böse werden. Nataniel wusste das nur zu genau. Er hatte ein paar Freunde, die welche waren. Auch wenn er schon lange nicht mehr mit ihnen gesprochen hatte.

„Und die Frau, welche die beiden gerade abschleppen wollten, heißt Delilah. Sie ist tatsächlich ein Wolf. Vermutlich verstehen sich die drei deshalb so prächtig.“

Sein Lächeln wurde noch etwas breiter, während er zusammen mit Amanda nun den Speisesaal betrat.

Es war ein großer, herrlich bequem eingerichteter Raum, mit großen Fenstern, einladendem Buffet, dass sich beinahe zu biegen schien unter all diesen Köstlichkeiten und vor allem bot der Saal genügend Platz um einen großen Haufen von Menschen zu verköstigen. Selbst wenn im Augenblick nur drei ihm unbekannte Gäste ihr Frühstück zu sich nahmen. Den Rest konnte man nicht übersehen.

Delilah ignorierte die Jungs nun vollkommen, während sie sich eine anständige Portion auf das viel zu kleine Teller schaufelte. Sie machte den Gestaltwandlern mit ihrem Appetit alle Ehre. Wie gut, dass es sich bei ihr überhaupt nicht ansetzte.

Als sie damit fertig war, setzte sie sich ohne zu zögern zu den zwei kräftigsten Typen, denen Nataniel je begegnet war. Daneben wirkte sie regelrecht wie ein Kind. Aber bei Bruces und Khans Gestalt war das kein Wunder. Die beiden waren wirklich ein ganz eigenes Kaliber.

Bevor jedoch irgendeiner der Truppe ihre Anwesenheit bemerkte, sprach Nataniel rasch im Flüsterton weiter, damit Amanda sozusagen einen kleinen Vorsprung hatte.

„Also, der Typ mit den dunkelbraunen Haaren und den vielen Narben auf dem Körper heißt Khan. Er ist ein Grizzlybär, was aber anhand seines Körperbaus wohl nicht mehr wirklich überraschen dürfte.“

Obwohl Khan genauso wie Bruce schon relativ alt war, so würde man ihn jedoch niemals für harmlos halten. Allein seine Augen sagten, dass er ein Krieger war. Zwar einer, der sich liebend gerne dem Suff hingab, aber das machte bei einem Wandler wie ihm keinen Unterschied.

„Der Schwarzhaarige mit den silbrigen Strähnen darin heißt Bruce. Er ist ein Gorilla und kann ganz schön unangenehme Sachen mit diesen riesigen Händen anstellen.“

Er war es auch gewesen, der ihm die Unterlippe gespalten hatte. Bei dem Schlag hätte Nataniel schon geglaubt, ihm müsse der Schädel wegfliegen. Nein, noch einmal wollte er nicht Bekanntschaft mit dieser Faust machen.

„Und der letzte des Sixpacks heißt…“

Verwirrt hielt er mitten im Satz inne und sah sich im großen Raum um.

Wo war denn dieser fast zwei Meter große Riese hin?

„Ryon.“, beendete jemand hinter ihnen den Satz, was Nataniel sofort herumfahren ließ, so dass er auf der Stelle zwischen dem Hünen und seiner Gefährtin stand. Nicht, dass er glaubte, der Typ würde ihr etwas tun, es war einfach nur reiner Reflex.

Ryon trug heute einen schwarzen Anzug mit goldgelber Krawatte, die zu einem anderen Farbton seiner Haare passte, als die gestrige. Überhaupt schien sein Haar eine ganze Palette an Farben zu beherbergen. Vor allem diese schwarzen Strähnen passten ziemlich gut zu den ebenfalls nachtschwarzen Augen mit dem goldenen Rand um die Iris herum.

„Freut mich, Sie kennenzulernen.“

Ryon zeigte sich gänzlich unbeeindruckt davon, dass er es geschafft hatte, sich so unauffällig an jemanden wie Nataniel heranzuschleichen. Andererseits waren seine Worte so emotionslos, dass sie fast bizarr klangen, obwohl sie Amanda gegenüber höflich klangen.

„Dann wären wir ja vollzählig.“, knurrte Nataniel etwas, ehe er sich wieder vollkommen gefangen hatte.

Als er sich wieder zum Rest herum drehte, hatten sie bereits die volle Aufmerksamkeit der anderen Mitglieder des Sixpack. Also stellte er allen noch Amanda vor, wiederholte für sie noch einmal die Namen der Anwesenden, ehe sie sich setzen konnten.

Etwas Brunchen konnte nicht schaden, vor allem wollte er noch genau besprechen, wie nun das Ablenkungsmanöver aussehen sollte. Amanda würde ihm da helfen müssen, weil er nicht genau wusste, was sie brauchen würde.

Sie mussten zwei Tische zusammenrücken, um genügend Platz zu haben. An den Stühlen hätte es nicht gelegen, sondern an der Statur von einigen Anwesenden.

Was Delilah mit ihrer zierlichen Gestalt wegmachte, brachten Bruce und Khan dazu. Auch Ryon war nicht ohne, mit diesen breiten Schultern, nur das an ihm kein Gramm Fett zu haften schien. Nataniel fragte sich wirklich, was für ein Geheimnis er in sich trug. Er musste ein Tier sein, daran bestand kein Zweifel. Aber was für eines?
 

Amanda saß hinter ihrem gefüllten Teller am Tisch, die Beine unter dem Stuhl verschränkt und sah sich die Gesichter ihrer neuen Bekannten noch einmal genau an. Die Dame, die sie vor der Tür des Speisesaals getroffen hatten, war wohl keine Anhängerin von Körperverhüllung. Ihr Top und auch das restliche Outfit zogen die Blicke fast sämtlicher anwesender Männer auf sich.

Eine Dame am Nebentisch, deren Partner sich gar nicht mehr auf sein frühes Mittagessen konzentrieren konnte, trat ihn sogar hart gegen das Schienbein, wodurch seine Gabel mit einem Scheppern auf dem Teller landete. Die leicht bekleidete Dame schien sich ihrer Wirkung mehr als bewusst zu sein und zwinkerte zu ihrem älteren Verehrer hinüber – zum Leidwesen der Ehefrau – bevor sie sich wieder ihrem Essen zuwandte.

Soweit ihr die Zwillinge überhaupt die Zeit zum Essen ließen.

Hätte Amanda nicht gewusst, dass es sich bei den beiden jungen Kerlen um Werwölfe handelte, wäre ihr Interesse an den Milchbubis schon nach dem ersten Anblick verraucht. So aber versuchte sie irgendwelche Zeichen für die versteckten Bestien in den beiden Männern zu finden.

Amanda hatte in ihrer Karriere bei der Moonleague nur ein einziges Mal mit einem Werwolf zu tun gehabt. Und da auch nur aus der Ferne. Aber bei der Vernichtungsarbeit, die der Tiermensch angerichtet hatte, war ihr das auch sehr viel lieber gewesen.

Bei den jungen Zwillingen, die sich aufführten wie nicht ganz ausgegorene Halbstarke, konnte sich Amanda beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie sich in solch blutrünstige Fabelwesen verwandeln konnten. Und dazu auch noch willentlich. Das Märchen von der Vollmondnacht enthielt nur sehr wenige Körnchen Wahrheit. Man hatte Werwölfe in jeder Nacht des Monats zu fürchten, wenn sie darauf aus waren, einem zu schaden.

Neben der Dreiergruppe saßen die beiden Männer, die Amanda für Nataniels aufgeplatzte Lippe und auch die Blessuren an seinen Fingerknöcheln verantwortlich hielt. Die beiden waren wirklich mehr als beeindruckende Gestalten. Auch wenn Amanda auf den ersten Blick nur von den körperlichen Argumenten überzeugt wurde. Die Männer schienen nicht von der gesprächigen Sorte. Oder wirkte es neben dem andauernden Geplapper der Zwillinge nur so?

Im Allgemeinen schien jeder am Tisch mehr mit seinem Teller und den Köstlichkeiten darauf, als an gehaltvoller Konversation interessiert zu sein. Ein Gorilla und ein Bär also. Da hatte Nataniel wirklich gute Arbeit geleistet, starke Gegner für die Organisation zu finden. Im Gegensatz zu den breitschultrigen, muskelbepackten Kerlen, wirkte selbst die Gestalt von Amandas Gefährten ein wenig mickrig.

Das Gleiche schien man über den letzten Mann am Tisch sagen zu können.

Ryon, wie er sich vorgestellt hatte, war ein Hüne. Hatte Nataniel überhaupt erwähnt, mit welchem Tier sie es in Ryon zu tun hatten? Der riesenhafte Mann schien jedenfalls der Einzige zu sein, der von Nataniels neuer Truppe hier in diese luxuriöse Umgebung passte. Seine Kleidung war offensichtlich maßgeschneidert und perfekt auf Wirkung ausgelegt. Die Krawatte brachte gleichzeitig seine seltsamen Augen zum Leuchten und betonte die Töne seiner bunt gescheckten Haare. Der Unbekannte mit dem guten Geschmack war auch der Einzige, der Amanda und Nataniel immer wieder ansah. Allerdings ohne irgendetwas von sich zu geben.

Amanda hatte ein ungutes Gefühl in seiner Gegenwart, auch wenn sie nicht sagen konnte, warum das so war. Vielleicht nur, weil Nataniel sich vorhin so schnell zwischen sie beide gestellt hatte, als Ryon sich in ihrem Rücken zu erkennen gab. Aber diese Reaktion konnte reiner Reflex gewesen sein. An solche Sachen hatte sich Amanda noch nicht gewöhnt und tat sich schwer, sie einzuordnen. Sie sollte wohl davon ausgehen, dass mit Ryon gar nichts faul war, sondern sie nur etwas zu extrem aufgefasst hatte.

Um sie herum herrschte nun zufriedenes Schweigen, da jeder sich mit dem Brunch beschäftigte. Amanda folgte nur zu gern dem Beispiel der Anwesenden und langte kräftig zu.

Marmeladenbrötchen. Müsli mit Früchten und dann noch ein Toastbrot mit Schinken und Käse. Danach hatte sie zwar keinen Hunger mehr, aber einen beinahe unüberwindlichen Appetit auf Schokolade. Oder Maiskolben mit viel Salz.

Mit einem Schmunzeln fuhr sie sich sanft über den Bauch und ermahnte das immer noch unwirkliche, aber heranwachsende Leben darin: Bitte reiß dich zusammen. Ich stand noch nie auf Essiggurken.

Das Schaben von Stühlen auf dem Boden und Klimpern von Besteck, ließen Amanda aus ihren Gedanken hochschrecken. Das Sixpack hatte geschlossen ihre Nahrungsaufnahme eingestellt und fixierten einen Punkt in Amandas Rücken.

Alarmiert drehte sie sich um und erblickte ein Gesicht, das gemischte Gefühle in ihr aufkommen ließ.

Seth hatte sie gesehen, blieb aber auf Abstand und nickte Amanda lediglich zu. Mehr brauchte er auch nicht zu tun. Sie wusste selbst, warum er gekommen war. Sofort schnürte sich ihre Kehle zu und ihr Herz schlug schneller. Gehetzt sah sie auf die Uhr und dann zu Nataniel, der neben ihr nur noch auf der Kante seines Stuhls saß. Er sah so aus, als wolle er jeden Moment auf den blonden Schattengänger losgehen, was Amanda nur noch nervöser machte.

Die aufkommende Spannung wurde ihr vor allem in Gegenwart der Fremden zu viel. Automatisch, aber sehr sanft legte Amanda ihre Hände auf die von Nataniel und sah ihm in die Augen.

An den gesamten Tisch gewandt, stellte sie Seth kurz vor. Eigentlich bloß, um dafür zu sorgen, dass sich das Sixpack von ihm und seiner Ausstrahlung nicht bedroht oder provoziert fühlte.

„Wir müssen leider gehen. Die Anderen und ich sollten uns mit euch zeitlich abstimmen, damit alles klappt.“
 

Während des Essens kamen sie nicht wirklich dazu, über irgendwelche Pläne zu sprechen. Die Zwillinge ließen den Rest der Truppe schon von Vornherein verstummen, sorgten zugleich aber auch für eine relativ entspannte Atmosphäre, da keiner sie wirklich ernst nahm. Erst recht nicht Delilah, der die ganzen verbalen Gebärden galten. Sie schien ohnehin eher mit anderem beschäftigt zu sein, was die Zwillinge dazu brachte, sich noch mehr ins Zeug zu legen. Wie sie es dabei schafften, trotzdem noch Unmengen an Essen hinunter zu stopfen, war Nataniel ein Rätsel. Aber er war ihnen überaus dankbar für diese Ablenkung. So musste er sich nicht mit den Dingen beschäftigen, die ihm eigentlich im Kopf herum schwirrten.

Ein eiskaltes Kribbeln im Nacken ließ ihn herumfahren, noch ehe die anderen reagiert hatten. Zielsicher fanden seine nun fast schwarzen Augen die von Seth. Dass der Kerl sich überhaupt traute, hier aufzutauchen, war wirklich ein ganzes Stück. Nataniel sollte ihm am besten gleich…

Fast schon schockiert über seine Gedankengänge rief er sich wieder zur Besinnung. Seth war hier, weil sie alle eine Mission zu erfüllen hatten. Nicht, um ihm Amanda wegzunehmen. Zumindest nicht auf die Art und Weise für die er den Kerl am liebsten umgebracht hätte. Dennoch würde sie mit ihm gehen und an seiner Seite kämpfen, während Nataniel ihr nicht einmal beistehen konnte.

Wie sehr er diesen Mann doch dafür beneidete und zugleich hasste!

Erst Amandas Hand auf seiner rief ihn wieder in die Realität zurück und beruhigte ihn etwas. Sie gehörte zu ihm. Das würde sich nicht ändern. Mehr musste er nicht wissen.

Dem Sixpack schien seine Reaktion nicht entgangen zu sein, aber offenbar bedeutete Seth für sie gesammelt keine zu große Bedrohung, weshalb sie sich auch nicht einfach so auf ihn stürzten. Erst recht nicht, nachdem Amanda ihn vorgestellt hatte. Trotzdem blieben ihre Mienen verschlossen und teilweise sogar unergründlich, bis auf Delilah, die Seth gedanklich gerade auszog. Zumindest ihrem verführerischen und zugleich verwegenen Lächeln nach zu urteilen.

„Ich begleite dich noch zur Tür.“, war alles an Antwort, die er Amanda gab, als sie ihm mitteilte, sie müsse jetzt aufbrechen.

Natürlich würde er noch mit ihr telefonieren, vor allem um sie nach der Zustimmung für das geplante Ablenkungsmanöver zu fragen. Er hatte sich dabei überlegt, die Moonleague ganz offen abzulenken, in dem sie wie Hooligans – danach sahen einige des Sixpacks auch eindeutig aus – einfach in das Gebäude einbrachen und ordentlich für Unruhe sorgten. Da es mitten in der Stadt lag, konnte man nicht gleich offen auf sie feuern, ohne Passanten auf der Straße oder die Leute der umliegenden Gegend auf sich aufmerksam zu machen. Irgendjemand würde das bestimmt hören und die Polizei rufen. Was zusätzlich noch mehr Ablenkung bedeuten würde, weshalb diese sogar willkommen wäre. Hoffentlich hatte die Moonleague nicht auch noch bei den Gesetzeshütern ihre Finger im Spiel.

Draußen vor dem Eingang zog Nataniel Amanda noch einmal in seine Arme. Es war ihm dabei vollkommen egal, wer ihnen dabei zusah. Am liebsten hätte er sie sogar vor aller Augen mit leidenschaftlicher Verzweiflung geküsst, aber das hätte ihm den Abschied nur noch schwerer gemacht.

Wenn alles gut ging, würden sie morgen früh ohnehin wieder alleine sein, um sich noch stundenlang zu küssen. Der Gedanke tröstete ihn etwas. An alles andere, wollte er gar nicht denken.

„Pass auf dich auf.“, flüsterte er ihr noch leise zu, während seine Finger über ihre Schläfe streichelten und dann noch einmal ihr weiches lockiges Haar berührten.
 

Amanda stolperte einen halben Schritt nach vorn, als Nataniel sie schnell in seine kräftigen Arme zog.

Sie drohte nicht zu fallen, auch wenn es ihr nichts ausgemacht hätte, an seiner warmen Brust zu landen. Kaum dass sie sich berührten, schien Wärme in ihr hochzusteigen, die sie nicht spüren wollte. Denn Amanda wusste, dass es Angst war, sich hier nie wieder anlehnen zu können. Ihre Finger wollten sich in seine Seiten krallen und sie wollte sich nur an ihn kuscheln. Sich vor dem verstecken, was sie tun musste. Aber es war nun einmal ihre Schuld gewesen. Jetzt konnte sie sich der Verantwortung nicht entziehen. Dann hätte sie das Schicksal unzähliger Wandler auf dem Gewissen gehabt. Das wog so viel mehr als ihr eigenes, dass ihr die Tatsache beinahe Flügel verlieh. Auch wenn Amanda es hasste, dies beim Anblick von Nataniels eisblauen Augen auch nur in Erwägung zu ziehen... Es wäre trotz allem besser für ihn und alle anderen Gestaltwandler, wenn Amanda bei dem Versuch starb und ihr Ziel erreichte, als wenn sie alle unter dem Joch der Moonleague leben mussten.

Trotzdem brauchte sie nicht lange darüber nachzudenken, Nataniel das Versprechen zu geben, das er ihr abnehmen wollte.

„Du aber auch.“

Ihre Blicke klebten immer noch aneinander, auch wenn Amanda Seth bereits ungeduldig hinter ihr hin und her laufen hörte. Eindringlich grub sie nun doch die Finger ein wenig in Nataniels Shirt, um sicher zu sein, dass er die Dringlichkeit ihrer Worte auch so verstand.

„Und was auch passiert. Nataniel, bitte versprich mir, dass du dich nach dem Ablenkungsmanöver in Sicherheit bringst.“

Ihr war klar, dass sie nicht von ihm verlangen konnte, dass er zur Farm seiner Eltern zurückkehrte. Auch wenn ihr das am allerliebsten gewesen wäre. Sollte der Plan scheitern, war er dort zumindest fürs Erste aus der Gefahrenzone.

Das winzige Zittern, das sie in seinen Augen sehen konnte, ließ ihr Herz schmerzhaft mitten im Schlag aussetzen.

Es tut mir so leid.

Immerhin konnte sie nur allzu gut nachvollziehen, wie er sich fühlte. Sie selbst hatte Nataniel zu einer Mission aufbrechen sehen, die ihn das Leben hätte kosten können. Das Gefühl der brennenden Haut, der verzweifelten Wut, die sich beim Warten immer weiter sammelte, hätte sie ihm zu gern erspart. Aber sie konnte es nicht. Deshalb machte sie es lieber kurz, als ihn noch länger mit ihrer Anwesenheit und der drohenden Trennung zu quälen.

„Eric wird dich später wegen eurer Pläne anrufen. In vier Stunden bin ich in dem Gebäude. Gebt uns eine Stunde Zeit, unbemerkt reinzukommen und die Codes einzugeben.“

Mehr um gegen ihre eigenen klettenden Wünsche anzukommen, schob sie sich ruckartig von ihm, küsste ihn nur kurz auf die Lippen und versuchte dann ein Lächeln.

„Wir sehen uns später.“

Endlich machte sie sich ganz von Nataniel los und drehte sich zu Seth um, der mit einer Grabesmiene neben dem Springbrunnen auf sie wartete.

Erstaunt bemerkte Amanda, dass sein Blick an ihr vorbei zielte. Als sie sich noch einmal umwandte, sah sie, dass Seth und Nataniel anscheinend eine non-verbale Absprache trafen, die sie selbst nicht verstand. Aber nachdem Seth kurz genickt und Amanda mit einem Arm auf der Schulter in Empfang genommen hatte, schien Nataniel seltsam ruhig in den Speisesaal zu verschwinden.

„Lass' uns gehen.“, kommandierte Seth gelassen und seine Augen verrieten nicht, was er empfand.

Auch als sie das Hotel verlassen und mit dem Taxi außer Sichtweite waren, sagte der Blonde lange nichts und richtete seinen Blick aus dem Fenster auf die vorbei gleitende Stadt. Dabei wäre es Amanda gerade jetzt recht gewesen, wenn er sie etwas von dem Gedanken abgelenkt hätte, der sich wie eine Leuchtreklame in ihrem Hirn einfach nicht abschalten ließ.
 

Nataniel versprach ihr nicht, sich nach der Aktion in Sicherheit zu bringen, egal was kommen würde. Er konnte es nicht versprechen. Genauso gut hätte er versuchen können, einen Tag lang die Luft anzuhalten. Es war einfach wider der Natur und dagegen würde er sich nicht wehren. Wenn es sein musste, er würde bis zum bitteren Ende ausharren, bis sie beide entweder dabei draufgingen oder er seine Gefährtin in Sicherheit wusste. Erst dann würde er sich um sich selbst kümmern. Amanda ging vor. Das würde sie immer tun.

Das machte Nataniel auch Seth klar, als sie sich von ihm gelöst und ihm den Rücken zugekehrt hatte. Ein einziger Blick genügte, um dem blonden Kerl mitzuteilen, an wen die Rechnung ging, sollte Amanda auch nur irgendetwas zustoßen. Der Panther war ein mörderischer Eintreiber, wenn es um den Begleich von Rechnungen ging. Man sollte sich lieber nicht mit ihm anlegen.

Um seiner Gefährtin nicht auch noch beim Wegfahren zusehen zu müssen – denn das würde noch tiefer in der Wunde schmerzen – riss Nataniel sich mit einem Ruck los und kehrte ins Hotel zurück, mit dem einzigen Gedanken, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren.

Er würde den beiden Schattengängern exakt eine Stunde geben, um die Codes einzutippen. Danach gab es kein Zurück mehr. Es wurde ohnehin an der Zeit, dass die Moonleague dem Dämon einmal ins Auge blickte, den sie schon seit so vielen Jahren jagte und zu unterwerfen versuchte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück