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Shadows of the NewMoon

von
Koautor:  Caracola

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45. Kapitel

Die Sonne ging über dem Meer auf, als Amanda endlich wieder bei der kleinen Containerstadt im Hafen ankam.

Sie war müde und immer noch durcheinander. Etwas besorgt stellte sie fest, dass Seths Motorrad nicht an seinem Platz stand. Aber sie war viel zu müde, um sich Sorgen um ihn zu machen. Sobald er zurück war, würde sie mit ihm reden müssen. Was er hatte tun wollen, als sie auf dem Spielplatz lagen, sollte nicht zwischen ihnen stehen. Immerhin betrachtete Amanda Seth als einen guten Freund. Sie hoffte bloß, dass er akzeptieren würde, dass sie nicht frei war und sie die Freundschaft trotzdem aufrechterhalten konnten. Es hätte sie sehr geschmerzt, ihn zu verlieren.

Mit vor Müdigkeit schlurfendem Gang steuerte Amanda erstmal auf die Duschen zu und wäre beinahe unter dem heißen Wasserstrahl im Stehen eingeschlafen. Glücklicherweise war es nicht weit bis zu ihrem Zimmer und sie war schon gewohnt den Weg in Boxershorts und T-Shirt zurück zu legen. Zu den Zeiten, zu denen Amanda normalerweise ins Bett ging, war niemand mehr auf dem Gang unterwegs. Und selbst wenn, wäre es ihr jetzt vollkommen egal gewesen, wenn man sie in diesem Aufzug gesehen hätte. So sehr hatte sie sich, seit sie hier war, noch nie auf ihr Bett gefreut.

Ihre Augen tränten von dem überwältigenden Gähnen, als sie die unverschlossene Tür zu ihrem kleinen Zimmer aufschob. Sie hätte nichts, was das Stehlen lohnte und hier käme ohnehin niemand auf die Idee, unaufgefordert in ein fremdes Zimmer zu gehen. Diese Tatsache ließ Amanda umso mehr die Stirn runzeln, als sie erkannte, dass ihre Nachttischlampe brannte.

Wie in Zeitlupe setzte sich das Bild vor ihr zusammen.

Der Rucksack auf dem Boden, der an den Schreibtisch gerückte Stuhl. Ein Geräusch aus der linken Seite des Raumes. Sie hatte es wegen ihres angeschlagenen Gehörs beim Eintreten noch nicht wahrgenommen.

Dass sie die Tür nicht zudonnerte, war allein der Tatsache zu verdanken, dass ihr die Knie wegsackten und Amanda sich an der Türklinke festhielt. Ein glückliches Lachen sammelte sich in ihrer Brust, drängte nach oben in ihren Hals und hätte sich am liebsten lautstark an die Luft gekämpft.

Aber Amanda hielt es zurück. So leise sie konnte, schloss sie die Tür, schlich zu dem Bett hinüber und kniete sich davor. Eines von Nataniels Beinen stand noch auf dem Boden, als hätte er sich selbst davon überzeugen wollen, dass er jederzeit aufspringen konnte, wenn Amanda eintraf.

Trotz des leisen Schnarchens konnte sie ihren Augen kaum trauen. Amandas Herz wollte zerspringen vor Freude und klopfte laut in ihrer Brust.

Vorsichtig, als könnte eine falsche Bewegung dafür sorgen, dass Nataniel unter ihren Fingerspitzen zu Staub zerfiel, berührte sie seine Wange.

Er war kühl. Erst jetzt fiel Amanda auf, wie mitgenommen er aussah. Als wäre er krank gewesen oder kämpfte immer noch darum, wieder gesund zu werden. Mit strengem Blick tadelte sie ihn in Gedanken dafür, dass er nicht besser auf sich Acht gegeben hatte. Wobei sie gerade reden musste. Immerhin war sie diejenige, die beinahe ihr Gehör verloren hätte.

Wie fertig und müde er sein musste, bezeugte die Tatsache, dass Amanda es schaffte hinter ihn ins Bett zu klettern, ohne dass er davon aufwachte.

Sie breitete die Decke über ihre beiden Körper und schmiegte sich wohlig an Nataniels Körper. Diesmal war sie sich sicher, dass sie mit der Wärme, die er in ihr auslöste, sie beide warm halten konnte.

Zufrieden küsste sie Nataniel auf den Nacken, schlang ihre Arme um ihn und vergrub ihr Gesicht in seinen Haaren. Sein Geruch war noch gar nicht ganz bis in ihr Gehirn vorgedrungen, da war sie bereits mit einem Lächeln auf den Lippen eingeschlafen.
 

***
 

Zum ersten Mal seit viel zu vielen Tagen, fror er nachts nicht mehr. Ganz im Gegenteil, als es schon längst hell draußen sein musste, spürte er, wie etwas seinen blanken Rücken kühlte. Das gleiche Etwas hatte sich um seinen Oberkörper geschlungen, atmete ihm in den Nacken und verströmte einen so wohltuenden Duft, dass er vor Freude weinen könnte.

Nataniel fürchtete sich, die Augen zu öffnen, als könne das alles nur ein Traum sein. Weshalb er vorsichtig und jederzeit damit rechnend, dass die Hand, die er mit seiner umschloss, verschwinden könnte, als er seinen Daumen darüber streicheln ließ. Langsam hob er sie an, legte sie an seine Lippen und sog tief die Luft ein. Sofort begann sein Herz zu rasen, sein Puls beschleunigte sich und sein Stoffwechsel sprang unverkennbar wieder zu alten Höchstleistungen an, weshalb wohl auch die Wärme in seinen Körper zurückkehrte, als hätte er bis dahin nur noch auf Sparflamme funktioniert. Und im Grunde war das genau der Fall gewesen.

Zitternd vor Glück legte er Amandas Hand eine Weile auf sein heftig pochendes Herz. Spürte ihre ruhige Atmung im Nacken, was ihm sagte, dass sie wohl noch schlafen musste. Vielleicht war das der Grund, weshalb er noch eine Weile so dalag und einfach nur versuchte, mit jeder Faser seines Körpers zu spüren, wie ihr Körper an seinem geschmiegt da lag. Doch schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er erkannte ihren Geruch, die Weichheit ihrer Haut, aber er musste sie sehen, um es wirklich glauben zu können. Weshalb er sich vorsichtig zu ihr herum drehte und mit fest zusammen gepressten Lippen auf ihr schlafendes Gesicht herabblickte.

Sie war es wirklich!

Selbst auf die Gefahr hin, sie zu wecken, umschlang er ihren Körper mit seinen Armen und zog sie eng an seine nackte Brust. Mit geschlossenen Augen, inhalierte er den Duft ihrer Haare, während er das vertraute Gefühl ihres Körpers an sich genoss.

Er war wieder vollständig. Er war wieder bei ihr. Nie, nie wieder wollte er sie jemals wieder verlassen. Noch einmal wollte er diese Qualen nicht durchleiden müssen. Noch einmal wollte er nicht das Gefühl, als hätte man ihm das Herz heraus gerissen, so deutlich Tag für Tag spüren und doch, wüsste er, dass sie wieder zu ihm kommen würde, er würde es ertragen. Immer wieder. Solange es sein musste.

„Ich liebe dich.“, hauchte er mit zittriger Stimme, während seine Hände über ihre Haut streichelten, als könne er es immer noch nicht fassen. Das würde wohl noch eine ganze Weile dauern, bis er den Schock des Verlusts überwunden hatte. Aber er war bereit, darauf zu warten.
 

Eigentlich hätte sie sofort hellwach sein sollen, als Nataniel sie in seine Arme zog. Aber die Erlebnisse der letzten Nacht und wohl auch sein beruhigender Duft und seine Wärme, ließen Amanda die Umarmung einfach nur genießen und sich noch gemütlicher an seinen Körper schmiegen.

"Liebe dich auch, Schmusekater.", nuschelte sie an seine Halsbeuge und tauchte für eine Weile wieder in die erholsame Traumwelt zurück.
 

Er musste geduldig gewartet haben oder war auch noch einmal eingeschlafen. Amanda wachte mit einem Glücksgefühl auf, das sich eigentlich in einem Strahlen ihres gesamten Körpers hätte spiegeln müssen. Nataniel hielt sie so fest, dass sie sich nur mit sanfter Gewalt hätte befreien können. Aber darauf würde sie dankend verzichten. Immerhin hätte sie am liebsten den ganzen Tag in seinen Armen und hier im Bett verbracht.

Unter ihrem Kuss auf seinen Hals bewegte er sich leicht und ließ seine Umarmung ein wenig lockerer werden. Seine eisblauen Augen ließen Amandas Herz so schnell schlagen, dass ihr schwindelig davon wurde. Mit einem spitzen Freudenschrei rollte sie sich auf ihn, schlang Arme und Beine besitzergreifend um Nataniels Körper und drückte ihm einen Kuss auf, der all jene enthielt, auf die sie in den letzten Wochen hatte verzichten müssen. Kein Wunder, dass sie sich schwer nach Luft schnappend erst nach einer Weile von ihm löste.

"Hi.", sagte sie grinsend, während sie sich ein wenig aufrichtete, ihn aber keinen Augenblick aus den Augen ließ.

Der tadelnde Blick kostete sie wirklich Überwindung. Neckend kniff sie Nataniel in die Seite. Selbst in der kurzen Zeit war er dünn geworden.

"Hab ich dir nicht gesagt, dass du essen sollst? Vielleicht hätte ich dir auch zu Schlaf raten sollen, hm?"
 

Der Kuss an seinem Hals weckte ihn erneut, nachdem er vor Erschöpfung und Glückseligkeit noch einmal eingeschlafen war, woraufhin er sich etwas zurückzog, um Amanda ansehen zu können.

Aber schon einen Moment stieß sie einen freudigen Laut aus und warf sich auf ihn. Er hatte keine Chance, als sich ihre Glieder um ihn wanden, als wollte sie ihn damit fesseln. Ein Kuss und es fühlte sich so an, als hätten sie sich nie voneinander getrennt. Obwohl er noch stärker seinen Anspruch auf sie spürte, erst recht, da sie kaum noch nach ihm roch.

Nataniel legte seine Arme um sie, zog sie enger an sich heran und erwiderte den Kuss, als würde ihr Leben davon abhängen. Er wollte sie gar nicht los lassen, selbst als seine Lungen vor Sauerstoffmangel brannten. Aber Amanda war eindeutig die Stärkere und schaffte es somit sie beide vor dem Erstickungstod zu retten.

Keuchend blickte er zu ihr auf. Seine Augen strahlten, während sein Herz regelrecht vor lauter Liebe für diese Frau überfloss.

„Hi, auch.“

Er lächelte zurück und berührte zärtlich Amandas Wange.

„Tja, hättest du wohl früher sagen sollen und das mit dem Schlaf wäre auch eine super Idee gewesen. Aber wehe du denkst daran, es nächstes Mal besser zu machen. Weil es kein nächstes Mal geben wird. Klar?“

Nataniel wurde ernst. Er schlang seine Arme wieder um sie und hob seinen Oberkörper vom Bett auf, so dass er sein Gesicht an ihre Brust schmiegen konnte, während sich seine Hände in das T-Shirt krallten.

„Bitte, lass mich nie wieder alleine.“, flüsterte er leise gegen ihren Körper, während der seine wieder heftig zu zittern anfing.

„Noch einmal ertrage ich das nicht.“

Wäre er ein Mensch, vielleicht hätte er seine Gefühle besser verbergen können. Aber da er das nicht war, gab es auch nichts, was er verheimlichen könnte.
 

Was war sie froh, dass er wieder so viel mehr Körperwärme ausstrahlte, als sie selbst. Sein kühles Gesicht letzte Nacht war wirklich besorgniserregend gewesen. Aber es ging ihm gut. Zumindest soweit Amanda sehen konnte.

Als er seinen Kopf an ihre Brust lehnte und sie darum bat, ihn nie mehr allein zu lassen, lag Amanda nichts ferner, als seine Sorgen mit einem Scherz zu beantworten, was sie wohl bei jedem Anderen getan hätte. Dass es Nataniel in ihrer Abwesenheit schlecht ergangen war, konnte niemand übersehen.

"Ich verspreche es dir.", sagte sie deshalb leise und meinte jedes Wort Ernst.

Eine Weile hielten sie sich so aneinander fest. Amanda kraulte Nataniels Nacken und genoss seine Wärme, bis sie einen kurzen Blick auf die Uhr auf ihrem Schreibtisch warf. Es war schon kurz vor Mittag und sie sollte sich unbedingt bei den Anderen melden, um zu besprechen, was sie gestern bei der Versammlung in Garten von Derek mitbekommen hatte.

Mehr als widerwillig löste sich Amanda ein Stück von Nataniel und drückte ihm noch einen Kuss auf, bevor sie aufstand.

"Ich muss leider aufstehen."

Ein Kuss musste noch sein, bevor sie sich ihre Klamotten schnappte und begann sich anzuziehen.

"Aber wenn wir uns beeilen, ist noch ein ausgedehntes Mittagessen drin, bevor die Besprechung anfängt. Was meinst du?"
 

Auch wenn sie das Versprechen vielleicht nicht halten konnte, er war unendlich froh, dass sie es ihm gab. Es nahm ihm viel von seiner Sorge, doch noch einmal von ihr getrennt zu sein und mehr brauchte er im Augenblick auch nicht.

Natürlich musste nicht nur sie aufstehen, sondern auch er und damit er ihr gleich beweisen konnte, dass er sich an die Anordnung mit dem Essen gehalten hatte, könnte er ihr beim Mittagessen durchaus seinen Willen vorführen. Außerdem hatte er gewaltigen Hunger und wie sich ein paar Tage Fasten auf ihn auswirkte, sah man an seinen locker sitzenden Kleidern. Gerade weil er auch ein Jaguar war, brauchte er immer eine gewisse Anzahl von Kalorien am Tag, sonst verlor er schnell an Kraft und Gewicht. Aber manchmal ging Essen einfach nicht. In Amandas Anwesenheit würde es dafür umso leichter werden. Also zog er sich mit ihr an und folgte ihr, während er versuchte, sich alles einzuprägen, um so schnell wie möglich eine Orientierung zu haben.
 

In dem winzigen Speiseraum war nicht viel los. Die Meisten waren noch unterwegs und würden erst gegen eins zum Essen kommen, so wie Amanda normalerweise auch. Aber eigentlich war sie ganz froh, dass sie mit Nataniel beinahe allein hier sitzen und seine Anwesenheit genießen konnte. Außerdem hing ihr der Magen schon regelrecht in den Kniekehlen.

Heute stand wie immer Salat, aber auch Fisch oder Fleisch mit Kartoffeln oder anderen Beilagen auf dem Programm. Als Amanda sich die Portion auf ihrem eigenen Teller besah, musste sie feststellen, dass sich Nataniels Appetit wohl auf sie übertragen haben musste. Schmunzelnd und mit einem leichten Schulterzucken setzte sie sich an den ersten Tisch neben der Ausgabetheke und sah Nataniel dabei zu, wie er sich sein Mittagessen auf den wohl viel zu kleinen Teller lud.

Sie ließ ihm Zeit sich zu setzen, bevor sie einen offiziellen Ton anschlug.

"Ist mit dem Rudel alles in Ordnung?"

Natürlich nahm sie nicht an, dass Nataniel die Anderen verlassen hätte, wenn dem nicht so wäre. Aber ein paar gute Nachrichten täten gerade ziemlich gut. Noch dazu, weil gerade einer von Amandas Sorgen den kleinen Raum betreten hatte. Sie verspannte sich leicht und versuchte zumindest freundlich zu lächeln. Seth schnappte sich nach einem Blick auf sie und Nataniel nur ein Sandwich und verließ mit großen Schritten den Raum.

Verdammt. Das würde schwieriger werden, als Amanda vermutet hatte. Immerhin würden sie sich nachher bei der Besprechung gezwungenermaßen im gleichen Raum aufhalten müssen. Und sie brauchte Seth nun mal für den Einsatz, der im Hauptquartier der Moonleague geplant war.
 

In dem winzigen Speisesaal war nicht sehr viel los, wofür er dankbar war. Wäre der Raum auch noch voll gewesen, er hätte wirklich Platzangst bekommen. So aber konnte er sich mit einem Berg von Essen auf einen leeren Stuhl direkt gegenüber von Amanda setzen. Das machte das Reden leichter und so hielten ihre Beine ständig Körperkontakt zueinander. Etwas, das für ihn gerade nach der langen Trennung verdammt wichtig war.

Gerade als Nataniel auf Amandas Frage antworten wollte, bekam er zwei Dinge gleichzeitig mit. Erstens wehte ein fremder Geruch zu ihm herüber, was ihm zusammen mit den leisen Schritten sagte, dass jemand hinter ihm den Raum betreten hatte und zugleich straffte sich Amandas Körper leicht, aber für ihn, der heute seinen Blick nicht von ihr brachte, deutlich ersichtlich.

Als er sich zu dem Mann herum drehte, konnte er nur noch dessen Rücken sehen, als er den Raum verließ. Danach sah er wieder Amanda an, verkniff sich aber jede Frage.

Wenn es etwas zu sagen gäbe, würde sie es bestimmt tun. Insofern vertraute er ihr vollkommen. Also fuhr er unbeirrt fort: „Dem Rudel geht es gut. Palia ist wirklich eine fähige Assistentin. Alle möglichen Schutzmaßnahmen, die wir treffen konnten, stehen. Es dürfte also keinem etwas passieren und wenn, erfährt es sofort das ganze Rudel und kann entsprechend reagieren. Aber…“

Nataniel ließ den Blick auf sein Essen sinken und auch die Gabel mit dem Kartoffelstück legte er auf dem Tellerrand ab.

Noch immer hatte er das Feuer vor Augen, dem sie Niela übergeben hatten. Sie war noch so verdammt jung gewesen und obwohl es gerade in diesen schlechten Zeiten geradezu eine gute Nachricht war, nur ein Rudelmitglied verloren zu haben, so war es eines zu viel. Die Gefahr eines weiteren Verrats mochte vielleicht gebannt sein, aber eigentlich war Nataniel dieses junge Leben wichtiger, als das Gefühl der Sicherheit. Gerade als Rudelführer spürte er den Verlust deutlicher, als alle anderen. Noch dazu, weil Niela keine Familie gehabt hatte, die wegen ihr trauern würde. Es schien ihm eher so, als würde das Alphatier in ihm, diese Rolle übernehmen.

Schwermütig seufzte er schließlich und zwang sich zum Weitersprechen.

„Niela ist tot. Die Moonleague hat sie geschnappt, gefoltert und vermutlich als Warnung für uns alle am Rande des Naturschutzgebiets abgeladen. Einer von unseren Leuten hat sie erst nach Tagen gefunden. Da war es aber bereits zu spät, um noch etwas für sie tun zu können. Vorgestern haben wir sie dem Feuer übergeben.“
 

Sofort als Nataniel seine Gabel auf dem Teller ablegte und dieses schwerwiegende 'Aber' aussprach, war Amanda ganz Ohr. Der sorgenvolle Seufzer konnte nur Schlimmes bedeuten und seinen traurigen Augen sah Amanda an, dass es Nataniel ziemlich berührt hatte.

Als er mit seinem kurzen Bericht zu Ende war, tat es Amanda Leid, dass sie die junge Jaguardame bis zu diesem Moment regelrecht aus ihren Gedanken verdängt hatte. Seit ihrem winzigen Zusammenstoß bei der Feier hatte sie Niela nie wieder gesehen und wäre nie auf die Idee gekommen, dass ihr etwas Derartiges zustoßen könnte.

Amanda streichelte Nataniels Hand. Auch wenn sie Niela nie wirklich gekannt oder ihr eine Chance gegeben hatte, sie zu mögen, war sie doch ein Rudelmitglied gewesen. Für Nataniel so etwas wie Familie. Und dass auch noch die Moonleague an ihrem Tod Schuld war, ließ die Sache noch schwerer wiegen.

"Es tut mir leid."

Unfähig mehr dazu zu sagen, sah Amanda Nataniel nur stumm an. Eine Vermutung stieg in ihr hoch, die Amanda aber nie aussprechen würde. Es gab nicht viele Erklärungen dafür, wie die Organisation nach dem Umzug des Rudels in das neue Lager an Niela heran gekommen sein könnte. Aber das war jetzt nicht mehr wichtig.

"Wir haben ein Nebenlager der Moonleague ausgehoben.", versuchte sie etwas zu berichten, das Nielas Tod nicht ungeschehen machen konnte, aber zumindest herausstellte, dass sie nicht umsonst gestorben war.

"Es hat zwar nicht alles so geklappt, wie wir es und ausgemalt hatten, aber Seth und ich haben ein paar wichtige Codes beschaffen können. Mit denen werden wir die Dateien im Hauptquartier knacken und das Rückgrat der Organisation endlich brechen können."

Dass sie gestern Nacht die Zerstörung der Köpfe der Moonleague beinahe selbst übernommen hätte, ließ Amanda unerwähnt. Das und vor allem auch was danach geschehen war, brauchte Nataniel nicht zu wissen.

Würde Amanda auch nur einen Hauch mehr als Freundschaft für Seth empfinden, wäre es anders gewesen. Dann hätte sie jegliche Geschehnisse zwischen ihnen beiden nicht verschwiegen. Aber so sollte es nur ihr persönliches Problem bleiben. Und Amanda hoffte inständig, dass es Seth nicht zu einem Problem zwischen sich und Nataniel machen würde.

Erschrocken fuhr Amanda zusammen, als hinter ihr jemand einen Stuhl zur Seite schob. Dass der Mann links von ihr aufgestanden war, hatte sie nicht hören können. Etwas versonnen fuhr sie sich mit den Fingern über ihr linkes Ohr. Es pfiff inzwischen ganz leise, was Amanda als gutes Zeichen wertete. Immerhin hatte es auch so angefangen, bevor sie ihr rechtes Ohr wieder benutzen konnte.
 

Amandas Ablenkung half, auch wenn er es nicht besonders gut aufnahm, dass sie eine Aktion gestartet hatte, ohne dass er davon wusste. Aber da sie vor ihm saß, schien trotz der Probleme wohl alles gut gelaufen zu sein. Und das war doch wohl das Wichtigste.

„Warst du deshalb gestern so lange weg? Wegen der Codes?“, fragte er sie, bevor Amanda erschrocken zusammen fuhr, was er nicht ganz nachvollziehen konnte. Etwa wegen dem Mann der aufgestanden war? Den musste sie doch schon längst bemerkt haben.

Skeptisch verfolgte er ihre Geste, wie sie sich über ihr linkes Ohr strich.

„Amanda, sei ehrlich. Stimmt etwas nicht?“, fragte er, nachdem er seiner Intuition folgte, die bei ihm alle Alarmglocken schrillen ließ.

Sofort begann er sie sich gründlicher anzusehen. Sie sah auch etwas abgekämpft aus, aber ansonsten konnte er nichts Unauffälliges entdecken. Allerdings war nicht klar, ob sie vielleicht etwas unter der Kleidung verbarg. Wenn ja, würde er das sicherlich noch raus bekommen. Sie waren nicht ewig auf den Beinen und irgendwann würden sie auch wieder ins Bett gehen können. Überhaupt hatte er noch so Einiges nachzuholen, bis er wieder vollkommen ruhig sein konnte, was sie betraf.
 

Sofort nahm Amanda ihre Hand von ihrem Ohr und sah Nataniel etwas schuldbewusst an.

"Nein, das mit den Codes ist schon ein paar Tage her. Das war an dem Tag, als ich dir auf die Mailbox gesprochen hatte."

Eigentlich hatten sie sich danach gar nicht mehr gesprochen. Schon seltsam, dass die Zeit so schnell vergangen zu sein schien. Das mochte allerdings auch daran liegen, dass Amanda ein paar Tage auf der Krankenstation und dann in ihrem Zimmer hauptsächlich geschlafen hatte.

Ihr entging Nataniels prüfender Blick nicht. Sie hatte ihm das mit ihren Ohren sowieso nicht verschweigen wollen, aber dass sie so bald auf das Thema kamen, war ihr nicht wirklich recht.

"Es ist nicht so schlimm."

In einer leichten Geste winkte sie lächelnd ab, was bei Nataniel allerdings keinerlei Reaktion hervorrief.

"Wie gesagt, ist die Aktion nicht ganz so gelaufen, wie wir es geplant hatten. Es gab eine Explosion und Seth und ich sind ein wenig zu spät rausgekommen. Ich hatte mein Gehör für einige Zeit verloren, aber jetzt ist es nur auf der linken Seite noch etwas belegt. Das gibt sich bestimmt bald wieder."

Ob sie mit ihrem schnellen Redeschwall bewirkt hatte, dass Nataniel sie entweder nicht verstand oder ihm egal war, was passiert war, bezweifelte Amanda stark. Mit tapferem Lächeln wartete sie auf seine Reaktion, während sie ihre Gabel zwischen den Fingern hin und her drehte und die Kartoffeln auf dem Teller herum schob.
 

Als er diesen ganzen Haufen von neuen Informationen um die Ohren gehauen bekam, blieb ihm fast das Herz für einen Moment stehen. Statt Amanda deswegen nur entgeistert anzustarren, wurde sein Blick regelrecht dunkel und seine Pupillen weiteten sich etwas. Irgendwie konnte er nicht fassen, was er da hörte.

Explosion? Gerade noch so davon gekommen? Amandas Gehör hatte gelitten? Sonst noch was, oder durfte er sich von diesen Schlägen erst einmal erholen?

Erst als die Zinken seiner Gabel über den Teller kratzten, wurde ihm bewusst, dass er sie mit dem Daumen vollkommen verbogen hatte, so angespannt war sein ganzer Körper und das tiefe Knurren in seinem Brustkorb machte es auch nicht besser.

Doch anstatt sofort das zu sagen, was ihm eigentlich schon regelrecht von der Zunge zu springen drohte, senkte er den Blick und bog sein Besteck wieder gerade. Danach legte er es zur Sicherheit gleich ganz weg. Der Appetit war ihm ohnehin vergangen. Außerdem hatte er so wenigstens ein paar Sekunden Zeit gehabt, sich etwas anderes zu überlegen, was er dazu sagen könnte.

„Geht es dir sonst gut?“, fragte er schließlich mit so ruhigem Tonfall wie möglich, aber es war nicht nur Sorge, die in seiner Stimme mitschwang. Gegen den rauen Unterton konnte er grundsätzlich nichts tun.

Verdammt noch mal, sie war seine Gefährtin! Selbst wenn sie nur einen Kratzer in seiner Abwesenheit abbekam, würde er schon deswegen an die Decke gehen. Das war einfach ein angeborener Instinkt, der sich gerade in diesem Augenblick nur sehr schwer hinunter schlucken ließ. Daher glich es führ ihn schon einer Meisterleistung, dass er noch so ruhig auf seinem Stuhl sitzen blieb.

„Wenn das mit den Codes schon ein paar Tage her ist, wieso warst du dann gestern solange weg, oder gehört das zu deinem Tagesablauf?“

Auch diese Frage stellte er so unschuldig wie möglich, obwohl er sich dem Gedanken nicht erwehren konnte, dass seine Frage mehr als nur berechtigt war. Immerhin, wenn sie wirklich verletzt worden war, sollte sie sich doch schonen, oder etwa nicht?
 

Amanda war nicht sicher, gegen wen sich Nataniels Wut in diesem Moment genau richtete. Aber dass er ein wenig außer sich war, konnte man an dem verbogenen Besteck ablesen, das er gerade in sicherer Entfernung ablegte. Und das Knurren war ihr ebenfalls nicht entgangen.

"Ja, mir geht's gut. Keine weiteren Verletzungen. Und wenn es wirklich schwerwiegend gewesen wäre, hätte sich jemand deswegen bei dir gemeldet."

Sie hatte doch bloß nicht gewollt, dass er sich unnötig Sorgen machte. Immerhin hatte sie gerade vor ein paar Minuten erfahren, dass er mit seinem Rudel und Niela mehr als genug um die Ohren gehabt hatte. Da wäre Amandas Unfall bloß noch ein Stein mehr auf seiner Seele gewesen. Außerdem hatte sie sich schon nach ein paar Tagen wieder erholt. Kein Grund also, deswegen jetzt auszuflippen.

Genauso ruhig wie Nataniel begann Amanda auf seine zweite Frage zu antworten. Sie wollte so ehrlich wie möglich zu ihm sein, ohne ihn aber noch weiter aufzuregen. Bilder von der Gartenparty, von Seth, der auf ihr lag und wie sich sein Gesicht auf sie zu bewegte, blitzten in Amandas Geist auf. Die Verwirrung in ihr nahm wieder zu und gleichzeitig brannte wieder ein wenig der Wut in ihr hoch, die sie in der letzten Nacht verspürt hatte, bevor Seth sie davon abhielt, sich in die Schatten zu werfen und ein Blutbad anzurichten.

"Gestern Nachmittag saß ich bei Clea und habe mir die Meldungen von Moonleague-Aktivitäten angesehen. Genau zu dem Zeitpunkt schien ein Treffen im Villenviertel vorzugehen. Ich kannte das Haus."

In einer kleinen Pause überlegte Amanda, wie sie die folgenden Sätze formulieren sollte. Es war eine regelrechte Kurzschlussreaktion gewesen, zu dem Treffen zu fahren. Sie hatte noch nicht einmal gewusst, ob es sich überhaupt lohnen würde oder ob sie am Ende in eine Falle hinein rannte.

"Die Gründer der Organisation waren versammelt. Wir konnten ein wenig ihrer Unterhaltung belauschen."

Frustrierender Weise war nicht viel dabei herausgekommen.

Halb nervös, halb peinlich berührt, weil ihr diese Tatsache jetzt erst auffiel, strich sich Amanda eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr.

"Sie wissen nicht, dass ich hier bin. Einige nehmen an, dass du oder jemand Anderes aus dem Rudel mich getötet hat. Was immerhin gute Nachrichten sind. Sie nehmen die Bedrohung aus dem Untergrund keinesfalls ernst."

Amandas Augen zogen sich aus Wut zu engen Schlitzen zusammen. Sie hätte diese Bastarde erledigen können.

"Wir werden völlig überraschend über sie hereinbrechen und sie fertig machen." Ihre Stimme war so leise und dabei schneidend geworden, dass sie keinesfalls verhehlen konnte, wie viel Emotionen in Amanda hoch kochten. Warum hatte Seth sie abgehalten?! Dafür schuldete er ihr noch eine verdammt gute Erklärung!
 

Nataniel war es egal, ob es keine schwerwiegenden Verletzungen waren, er hätte gerne davon erfahren, dass sie überhaupt verletzt worden war. Natürlich hätte er deshalb nicht alles stehen und liegen lassen können, aber … aber er hätte es einfach wissen wollen. Insofern war er noch immer aufgebracht, was sich aber bei Amandas weiteren Worten legte.

Seltsamerweise wurde er immer ruhiger, je aufgebrachter sie selbst zu sein schien. Was auch immer genau dort in dem Villenviertel vorgefallen war, es musste sie aufgewühlt haben. Dabei war es doch eine ziemlich gute Nachricht, wenn man sie für tot hielt und den Untergrund nicht ernst nahm. Das konnte nur zu ihrem Vorteil sein, auch wenn der Gedanke absolut absurd war, er oder das Rudel könnten ihr etwas getan haben. Aber das konnte diese verdammte Organisation natürlich niemals nachvollziehen.

„Ja, das werden wir.“, gab er ihr beruhigend Recht, damit sie sich nicht mehr so aufregen musste. Obwohl er gerade selbst fast an die Decke gegangen wäre. Aber wenigstens einer von ihnen beiden, sollte immer kühlen Kopf bewahren. Was passierte, wenn sie gleichzeitig auf Touren kamen, kannten sie ja. Dann endete es in einen dicken Streit der wiederum in einer noch engeren Bindung endete. Zumindest war es so gewesen, bevor er sie als seine Gefährtin angesehen hatte. Jetzt konnte es unmöglich eine noch engere Verbindung zu ihr geben. Das hielt er für ausgeschlossen.

„Allerdings wirst du mich dafür noch über so einiges informieren müssen. Ich hab gestern zwar schon mit einigen Gestaltwandlern geredet, aber wie wir weiter vorgehen wollen, hat man mir nicht gesagt. Was mich nicht ganz wundert. Keiner kennt mich hier, außer Eric und du.“

Was ihm wieder das Gefühl gab, völlig fehl am Platz zu sein. Die Stadt war wirklich nichts für ihn und obwohl er es früher niemals geglaubt hätte, fühlte er sich irgendwie unsicher, so ganz ohne sein Rudel. Wäre Amanda nicht, er hätte nicht wirklich genügend Gründe, um hier zu sein.

„Also, was denkst du. Können wir schon zu der Besprechung gehen, oder sind wir zu früh?“



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