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Shadows of the NewMoon

von
Koautor:  Caracola

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13. Kapitel

Als Nataniel so tief im Wald und so weit weg vom Naturschutzgebiet wie möglich war, ohne dass man ihn hören würde, ließ er seine Emotionen freien Lauf. Es fühlte sich tatsächlich so an, als würde es ihn fast zerreißen.

Mit lautem Brüllen fiel er über einen umgestürzten Baumstamm her, schlug seine scharfen Klauen hinein, riss die Rinde ab, biss ganze Stücke von Holz heraus und versuchte dabei an nichts als seine Wut zu denken, die er nun ungezügelt rauslassen konnte.

Nataniel stellte sich nicht vor, er würde auf diese Weise einen Menschen verletzen und töten, oder einen feindlichen Gestaltwandler. Er hatte noch nie jemanden umgebracht, bis auf die Tiere, die er gejagt und gefressen hatte. Das war ein Unterschied.

Wenn er tötete, dann zum Leben und nicht zum Spaß.

Alles, was er im Moment brauchte, war ein lebloser Gegenstand, dem sein Ausbruch nichts ausmachte. Der Baumstamm war dafür perfekt. Noch nicht morsch genug, um unter der kleinsten Berührung zu zerbrechen und auch nicht zu klein. Genau richtig, um zu Holzspänen verarbeitet zu werden.

 
 

***

 

Nataniel lehnte seinen Kopf gegen die warmen Fliesen, während der heiße Wasserstrahl ihm den Dreck vom Körper wusch. In zwei Stunden würde die Sonne aufgehen, doch das war nicht wichtig. Er war müde und angenehm erschöpft. Seine Wunden taten nicht einmal annähernd so sehr weh, wie sie es sollten. Es war, als hätten die vielen Bewegungen ihm gut getan. Als wäre seine ganze Haut und seine Muskeln geschmeidiger denn je, da er sich schon lange nicht mehr so gefahrlos hatte verausgaben können.

Erst als der Baumstamm nur noch im Umkreis von unzähligen Metern Fetzenweise herumgelegen hatte, war Nataniel zufrieden zurückgelaufen. Die Wut war verraucht, die Aggressivität verschwunden. Natürlich waren da noch der Schmerz und der Zorn, aber er hatte seine Gefühle im Griff und war wieder in der Lage, ohne roten Schleier zu denken.

Jetzt war es an der Zeit, dass es ihm leidtat, wie er Amanda behandelt hatte. Er war sich sicher, dass sie nichts von alledem gewusst hatte, genauso wenig, wie er eine Ahnung davon gehabt hatte. Sie konnte nichts dafür, denn das alles hätte schon vor seiner Geburt ein Ende haben können. Vielleicht war das Morden sogar nur einmal geschehen, da es so gründlich durchgeführt worden war.

Amanda musste noch jünger als er sein, wie hätte sie das alles also wissen können? Es passte auch nicht zu dem, was er von ihrem Charakter wusste. Ihr schien die Familie ebenfalls wichtiger zu sein, als die Organisation und der Panther wies ihn gründlich daraufhin, dass sie ihm schließlich ausreichend mit Essen versorgt hatte, ohne darum gebeten zu werden. Etwas, das er wohl nicht oft genug erwähnen konnte.

Außerdem hatte sie für ihn getötet, um ihn zu retten. Zum ersten Mal, wie sie ihm mitgeteilt hatte.

Mit einem lautlosen Seufzen drehte er das Wasser ab, stieg aus der Duschkabine und trocknete sich ab. Danach ging er in sein Zimmer, ließ das Handtuch fallen, schob leise das Bett wieder an den richtigen Platz zurück und sah sich noch einmal im dunklen Zimmer um. Dabei blieb sein Blick an der Stelle hängen, an der er Amanda erwischt hatte.

Den Geschmack ihrer Haut würde er nie wieder vergessen und wie weich sie sich unter seinen Lippen angefühlt hatte. Genauso wie ihre Wärme und das beruhigende Gefühl auf seiner Wange, als sie sich berührten.

Es war absurd, sich an eine Fremde zu richten, um das Defizit an Berührungen auszugleichen, dem er seit Wochen ausgesetzt war. Wenn er wüsste, dass er bald wieder in den Schoß seiner Familie zurückkehren würde, könnte er es durchaus noch länger ertragen. Aber die Sache hier war noch nicht zu Ende. Vielleicht würde er seine Familie nie wieder sehen.

Um dem Gedanken zu entgehen, dass er die kleine Lucy vielleicht niemals aufwachsen sehen würde, riss er die Tagesdecke vom Bett und schlüpfte nackt unter das Laken, das er sich bis zu den Hüften hochzog, ehe er mit beiden Armen das weiche Kissen umschlang und seinen Kopf darin vergrub.

Morgen oder besser gesagt in ein paar Stunden würden harte Zeiten auf ihn zu kommen. Noch immer sah er Amanda und sich als Partner an, während sie ihren Bruder suchte und er unbedingt wissen musste, was genau in diesem Kaff hier vor sich ging.

Also würde er versuchen müssen, den ohnehin schon breiten Graben zwischen ihnen irgendwie zu überwinden, damit sie weitermachen konnten. Nataniel glaubte immerhin nicht, dass Amanda die Sache so einfach vergessen würde. Wer könnte schon einen tobenden Gestaltwandler vergessen?

Wütend auf sich selbst, schloss er die Augen und versuchte noch etwas zu schlafen, bevor er sich der Begegnung stellte.

 

Amanda hatte noch voll bekleidet auf dem Bett gelegen und den PDA sogar nach einer Weile in die Hand genommen, um einen eventuellen Anruf von Clea nicht zu verpassen. Aber diesbezüglich rührte sich nichts. Nicht einmal eine SMS oder E-Mail ging bei ihr ein, was Amanda halb wahnsinnig machte.

Sie wollte unbedingt wissen, was passiert war, bevor sie Nataniel wieder unter die Augen trat. Wenn sie ihm je wieder unter die Augen treten sollte. Er war verschwunden und auch um drei Uhr morgens noch nicht wieder aufgetaucht.

Amanda hätte seine Schritte auf der Treppe nicht überhört, da war sie sich sicher. Vielleicht war er weggerannt, um nicht wiederzukommen. Sie hätte ihm durchaus zugetraut, dass er sich in seiner aufgestauten Wut aufgemacht hatte, um den Tiger zu suchen und allein gegen ihn anzutreten. Welche Chancen er auch immer dabei haben mochte. Auf eine gewisse Weise wäre es ihr lieber gewesen, wenn er nicht zurückgekommen wäre. Dann hätten sie den Vorfall nicht besprechen müssen.

Als sie aus einem milden Halbschlaf hochschreckte, weil die Dusche im Bad anging, schlug ihr Herz seltsam aufgeregt in ihrer Brust. Sie horchte auf die Geräusche mit offenen Augen und angehaltenem Atem, bis sie Nataniel ins Nebenzimmer gehen hörte. Ihr Blick traf den Schlüssel, der im Türknauf steckte und diesmal hielt sie nichts davon ab, noch einmal aufzustehen und ihn herumzudrehen, damit die Tür verriegelt war.

Ihre Augenlider waren so schwer wie ihr gesamter Körper, weswegen sie sich immer noch in allen Klamotten wieder aufs Bett fallen ließ, den PDA in ihre Hand schloss und einschlief.

 
 

***

 

Kaum dass er die frische Morgenluft riechen konnte, während der Tau von den Sonnenstrahlen verschlungen wurde, war er wieder wach. Es fiel ihm unglaublicherweise sehr leicht, aufzustehen, sich ohne Probleme anzuziehen und seine Frisur zu richten. Während Nataniel das tat, konnte er den sprunghaften Heilungsfortschritt seiner Verletzungen erkennen, den er sich nicht erklären konnte. Seine verunstaltete Gesichtshälfte sah wesentlich besser aus und statt der dunklen Augenringe strahlte seine Haut pures Leben aus. Dabei hatte er einen Hunger, der sich gewaschen hatte.

Vermutlich war er nur so sehr übermüdet, dass er sich das alles nur einbildete. Auch wenn er sich kein bisschen müde fühlte.

Verwirrt über sich selbst, verließ er sein Zimmer, um in den Speisesaal hinunterzugehen.

Mrs. Cauley war bereits wach und mitten in den Frühstücksvorbereitungen, als hätte sie gewusst, dass er gleich mit einem riesigen Hunger hinunterkommen würde.

Während er ihr half, den Tisch zu decken, entschuldigte er sich schon im Vorfeld dafür, dass er die Nachttischlampe zertrümmert hatte. Als Erklärung gab er an, dass er einen unruhigen Schlaf hatte und sie wohl irgendwie im Traum vom Nachttisch geschupst haben musste.

Die ältere Frau winkte lediglich ab, als wäre das nicht weiter schlimm, noch bevor er ihr mitteilte, dass er ihr den Schaden natürlich bezahlen würde. Sie war wirklich eine seltsame Dame.

 

Sie wachte auf, weil ihre Gürtelschnalle sie unangenehm in den Bauch drückte und sie sich ein wenig beengt fühlte. Normalerweise trug sie zum Schlafen gar nichts außer einem Slip und war das Gefühl von Jeans und anderem Stoff auf ihrer Haut, der sich förmlich um sie gewickelt zu haben schien, nicht gewohnt.

Leicht murrend kämpfte sie sich auf Hände und Knie und ihre Locken, die sich aus dem Pferdeschwanz gelöst hatten, fielen ihr um das Gesicht.

Um ungefähr zum hundertsten Mal seit ihrem Anruf bei Clea auf den PDA zu sehen, hockte sich Amanda auf ihre Fersen und hielt sich die freie Hand vor den Mund, als ein langes Gähnen aus ihr herausbrach. Immer noch nichts. Inzwischen war sie wirklich kurz davor noch einmal anzurufen, bloß um sich zu vergewissern, dass mit ihrem PDA alles in Ordnung war, und Clea die Akten nicht schon längst geschickt hatte und sie Amanda bloß nicht erreicht hatten. Aber das war natürlich Schwachsinn. Auf Clea konnte man sich verlassen. Sobald sie etwas herausfand, würde sie sich melden.

Wenn sie niemand davon abhält, dachte Amanda und ein Schatten legte sich über ihr Gesicht. Vielleicht hätte sie ihre Freundin da nicht mit reinziehen sollen.

Um den Gedanken abzuschütteln, schälte sich Amanda aus ihren Klamotten, hüllte sich in ein großes Badetuch und ging erstmal duschen.

Das kalte Wasser weckte zwar ihre Lebensgeister, brachte aber auch die Erinnerungen an letzte Nacht in allen Details wieder zurück. Gänsehaut legte sich über ihren gesamten Körper und sie zitterte leicht vor Kälte, als sie das Wasser abstellte und einfach an die gekachelte Wand vor sich starrte, ohne sich wieder in das Badetuch zu wickeln.

Sie wollte ihn nicht sehen. Da waren diese ganzen Vorwürfe, die er ihr an den Kopf geworfen hatte. Sein Zorn diesbezüglich konnte noch nicht verraucht sein. Und Amanda war sein einziger diesbezüglicher Katalysator. Wenn sie Pech hatte, würde er wieder einen Ausbruch erleiden, wenn er sie auch nur sah.

Allmählich wurde ihr so kalt, dass sie zuerst ihre Arme um ihren Körper schlang und sich dann doch abrubbelte, während sie weiter über Nataniel nachdachte. Er hatte sie nicht angegriffen. Es hatte so ausgesehen, als wäre er im Begriff gewesen, es zu tun. Aber dann hatte er sich doch anders entschieden. Ganz anders.

Amanda beschloss, den kleinen Ausrutscher seiner Lippen auf ihrem Hals einfach zu ignorieren. Wahrscheinlich wusste er gar nichts mehr davon und selbst wenn …

 

Eine Viertelstunde später kam sie in den Frühstückssaal hinunter, in dem Mrs. Cauley und Nataniel zusammen an einem der Tische saßen. Am liebsten hätte Amanda die ältere Dame weggeschickt. Eine Unbeteiligte machte das Ganze nur noch komplizierter.

Ihre Augen verrieten keine ihrer Emotionen, als sie den Raum betrat und kurz Nataniels Blick auf sich spürte. Als Mrs. Cauley sich umdrehte und ihr ein strahlendes Lächeln zuwarf, änderte sich das allerdings sofort.

„Guten Morgen.“

„Ach, sind Sie auch schon wach? Wir dachten schon, Sie möchten uns gar keine Gesellschaft leisten.“

Wollte sie auch nicht. Tausend Dinge schienen ihr auf einmal einzufallen, die so viel besser gewesen wären, als in diesem Augenblick hier zu sein. Ein Haikäfig rangierte ganz oben in den Top Ten.

Amanda lächelte der älteren Dame nur zu und winkte ab, als diese aufstehen wollte, um zum Buffettisch hinüberzugehen und ihr etwas zu Essen zu geben.

„Ich kümmere mich selbst darum, danke. Bleiben Sie nur sitzen, Mrs. Cauley.“

Zu allererst schnappte sich Amanda die größte Tasse, die sie auf dem Tisch finden konnte, und füllte sie bis zum Rand mit schwarzem Kaffee und warf anschließend zwei Stück Zucker hinein. Die fast überschwappende Tasse stellte sie auf dem Tisch neben dem leeren Teller ab und vermied es, Nataniel in die Augen zu sehen. Dazu würde er sie noch früh genug zwingen.

Mehr zur Wahrung der Show als aus Hungergefühl lud sich Amanda zwei Rosinenbrötchen, Butter und Orangengelee auf ihren Teller und kehrte dann an den Tisch zurück, um sich zu setzen.

 

Gut, dass Nataniel schon den größten Teil seines Hungers gestillt hatte, ehe Amanda den Speisesaal betrat. Mrs. Cauley hatte es sogar mit einem zufriedenen Lächeln hingenommen, dass er so riesige Mengen verdrückte wie kein Anderer. Zumindest hatte sie ihm das so gesagt.

Jetzt aber verkrampfte sich sein ganzer Magen, als er sie sah und er musste sich total zusammenreißen, seinen ganzen Körper nicht zu verspannen. Das wäre sicher die vollkommen falsche Botschaft gewesen, denn eigentlich war er erleichtert, dass er sie sah.

Eine Weile hatte er sogar befürchtet, sie würde abhauen, während er nicht da war und er könnte sie nie wieder sehen.

Mehr denn je waren der Panther und er sich einig, dass DAS schlimmer gewesen wäre, als die Tatsache, dass Amanda zur Organisation gehörte. Trotzdem konnte er nicht einfach so tun, als wäre nichts gewesen. Weshalb er schwieg und auf den richtigen Zeitpunkt für ein Gespräch wartete.

Statt das restliche Spiegelei auf seinem Teller zu essen, hielt er sich an seinem Orangensaft fest, als wäre er sein Rettungsanker und nippte nur deshalb ab und zu daran, um den Schein von Normalität zu wahren.

„Schon satt Mr. Hunter?“, fragte Mrs. Cauley ihn freundlich, woraufhin er die ältere Dame anlächelte.

„Oh ja, vielen Dank. Ich kann doch nicht den ganzen Inhalt Ihrer Speisekammer aufessen.“

Die Besitzerin des B&B winkte ab.

„Machen Sie sich keine Gedanken darüber. Ich muss sowieso gleich einkaufen gehen. Irgendwelche speziellen Wünsche?“

Die Frage richtete sie nicht nur an Nataniel, sondern auch an Amanda.

Er antwortete nur deshalb ruhig und mit fast schnurrender Tonlage, damit den wachsamen Augen von Mrs. Cauley nicht sofort auffiel, das etwas nicht stimmte. Aber bestimmt hatte sie den Eindruck schon längst erhalten. Sie war viel zu scharfsinnig, als dass ihr die seltsam aufgeladene Atmosphäre entgangen sein könnte.

„Gibt es in dieser Stadt auch Schokoladenmousse?“

„Aber natürlich, Schätzchen. Sogar selbstgemacht.“

Sie zwinkerte ihm zu, nahm ihr Geschirr und verzog sich in die Küche.

Schweigen breitete sich aus, als Nataniel mit Amanda alleine war.

Er konnte sie nicht ansehen, weil er sich so sehr schämte, darum starrte er auf sein kaltes Spiegelei, als wäre es hochinteressant.

„Es tut mir leid, Amanda“, flüsterte er schließlich kaum hörbar und meinte es mit bitterem Ernst, während er sich dazu zwang, seine Finger vom Saftglas zu lösen, damit er es nicht zerbrach.

 

Amanda hatte den beiden gar nicht zugehört und deshalb nicht auf Mrs. Cauleys Frage geantwortet, ob sie einen speziellen Essenswunsch hatte. Ihr wäre auch nichts eingefallen. Sie hörte das leise Klappern des Geschirrs und das Geräusch der schwingenden Küchentür, als Mrs. Cauley verschwand und nippte an ihrem Kaffee.

Die Stille breitete sich über den Tisch aus wie zähe Flüssigkeit, die unaufhörlich in ihre Mitte tropfte und von der Tischdecke aufgesogen wurde. Amanda saß nur auf der Kante ihres Stuhls, die Füße fest auf dem Boden und jede Faser in ihrem Körper angespannt, damit ihr so etwas wie gestern Nacht nicht wieder passieren konnte.

Ihre rechte Hand lag so, dass ihre Fingerspitzen das Messer ihres Gedecks bereits berührten.

Beinahe hätte sie sein Flüstern nicht verstanden, da sie gar nicht damit rechnete, dass er irgendetwas sagen würde, das nicht in einem Tobsuchtsanfall endete. Daher überraschte es sie umso mehr, als er sich entschuldigte.

Ihre hellbraunen Augen flackerten zu seinem Gesicht hinüber und ihre Kaffeetasse verharrte unberührt von ihren Lippen in der Luft.

Ruhig stellte sie die Tasse auf dem Untersetzer auf der Tischplatte ab, nahm ihre Hand aber nicht vom Messergriff. Ihre Fingerkuppen rutschten sogar ein Stück an dem Metall hinauf, während sie ihm nun direkt ins Gesicht sah. Sollte er auch nur wagen, ihr ein Stück zu nahezukommen, würde auch dieses Buttermesser reichen, um ihm zumindest eins seiner blitzend blauen Augen zu nehmen, bevor er Amanda in Stücke riss.

„Was genau tut dir denn leid?“

Es interessierte sie wirklich.

Die Vorwürfe, der Hass, den er sie hatte spüren lassen? Oder die Tatsache, dass er sie an die Wand gepresst und wie ein Stück Beute anderer Art behandelt hatte, bevor er wieder zu Sinnen gekommen war. Bei dem letzten Gedanken bildete sich ein kleiner Kloß in Amandas Hals, den sie zwar hinunterschlucken konnte, der sich aber dafür wie eine Schraubzwinge um ihr Herz zu legen schien.

 

Nataniels Blick zuckte nur einmal ganz kurz zu ihrer Hand, die sich halb auf das Buttermesser gelegt hatte. Danach blickte er ihr in die Augen und sah auch nirgendwo anders mehr hin, ehe er seine Hände nun doch um das Orangensaftglas legte, damit Amanda sie sehen konnte und dass er nichts vorhatte. Immerhin entging seinen Instinkten absolut nicht, dass sie alles andere als hier mit ihm am Tisch sitzen wollte.

Wie gut er das doch verstehen konnte. Am liebsten wollte er weglaufen, um das hier nicht durchziehen zu müssen. Aber das war keine Lösung. Außerdem stand er für seine Taten gerade. Das tat er immer.

„Ich hätte gestern nicht so mit dir reden dürfen. Ich kenne dich nicht, aber ich … glaube, dass du nicht das Monster bist, für das ich die Organisation halte.“

Das war zwar nicht gerade die nette Art, es so auszudrücken, aber er war so nervös und angespannt, dass er froh war, überhaupt einen Ton herauszubekommen.

„Trotzdem wollte ich sichergehen, dass du nichts von dem weißt, was ich erfahren habe. Ich hätte nicht …“

Er zögerte einen Moment und zwang sich weiterhin dazu, in ihre hellbraunen Augen zu sehen.

„Ich hätte nicht weitermachen können, wenn du es gewusst hättest und trotzdem für solche Leute arbeitest. Immerhin wirft man uns vor, wild und zügellos zu sein, aber wir würden niemals die Kinder unserer Feinde töten. Kein geistig gesunder Gestaltwandler würde das tun. Die Jungen haben nichts mit der Fehde der Erwachsenen zu tun.“

Deshalb fand er es so entsetzlich, was alles passiert war.

„Außerdem tut es mir leid, dass ich dir Angst gemacht habe.“

Nun sah er doch weg. Das war der Teil, für den er sich am Meisten schämte. Seine Schwäche.

„Es war nicht absichtlich. Ich bin nun einmal, was ich bin und das lässt sich nicht immer hinter einer menschlichen Fassade verbergen. Aber ich habe mich beruhigt. Das schwöre ich.“

Das Einzige, für das er sich nicht entschuldigte, war die Berührung. Er hatte sie gebraucht. Dringend. Aber das konnte sie nicht wissen.

 

Obwohl er es eigentlich gegenteilig meinte, fühlte sich Amanda durch seine Worte doch angegriffen. Die Moonleague als Monster? So weit waren sie noch nicht. Noch konnte sich all das, was man ihm erzählt hatte, als Lüge rausstellen.

Ihre Kiefer pressten sich noch härter aufeinander, als er ihr sagte, dass er ihr nicht hätte helfen können, wenn sie von den Untaten der Organisation gewusst und trotzdem für sie gearbeitet hätte.

Gerade wollte sich eine Stimme in ihr einen Weg nach draußen bahnen, um ihm zu sagen, er solle sich hier nicht wie der große Wohltäter aufführen, als er ihr mit seinen Worten jeden Wind aus den Segeln nahm. Ja, sollte das mit den Kindern stimmen, war das wirklich unvorstellbar grausam. Amanda zweifelte immer noch aus tiefstem Herzen daran, aber sicher konnte sie sich erst sein, wenn Clea sich gemeldet und etwas herausgefunden hatte.

Sie war 26 Jahre alt, aber trotzdem hätte sie sich wie ein Kind gefühlt, das die ganze Zeit in einer Familie von Mördern gelebt hatte und dem der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, sollte stimmen, was Nataniel erfahren hatte. Ihr Leben kam ihr bereits jetzt wie ein Luftschloss vor, das jemand mit einem einzigen Nadelstich zerstören konnte.

„Meine Nachforschungen laufen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich aus sicherer Quelle Bestätigung oder Widerlegung für das erhalte, was du gehört hast.“

Was immer auch die Nachrichten waren, Amanda würde sich einer wichtigen Entscheidung gegenübersehen. Sollte die Organisation keinem der Kinder ein Haar gekrümmt haben, würde sie Nataniel das vermutlich nicht beibringen können. Er würde ihr nicht glauben, weil sie nun mal der Feind war. Und der Feind log.

Auf der anderen Seite müsste sich Amanda gegen alles stellen, was Zugehörigkeit für sie bedeutete, wenn er Recht hatte. Noch wurde ihr davon nicht angst und bange, sich bald den Informationen stellen zu müssen. Amanda war gut darin mit Dingen direkt umzugehen, wenn sie sich ihr in den Weg stellten. Jetzt konnte sie sowieso nichts tun.

Gerade wollte sie Nataniel fragen, wie sie weiter vorgehen sollten. Immerhin hatte sie eine Spur von Eric gefunden, der sie unbedingt so bald wie möglich nachgehen wollte, bevor sie noch kälter wurde, als sie sowieso schon war.

Doch auf seine letzte Bemerkung hin schoss ihr Puls vor Wut in die Höhe. Sie zischte ihn an, während sich ihre Hand um den Messergriff verkrampfte.

„Sei nicht so verdammt überheblich.“

Das Schlimmste war, dass sie ihre Angst nicht leugnen konnte. Bestimmt hatte er es riechen können.

„Töte mich einfach das nächste Mal, wenn du das Bedürfnis hast.“

Anstatt mich zu behandeln, wie ein Spielzeug, an dem du deine Phasen ausleben kannst, fügte sie in Gedanken giftig hinzu.

„Entschuldige mich.“

Mit einem Ruck stand sie vom Tisch auf, ließ ihren immer noch vollen Teller stehen und ging zurück in ihr Zimmer, wo sie die Tür hinter sich verschloss und dagegen gelehnt stehen blieb.

Sie hob das Gesicht zur Decke und atmete tief durch, während sich alles in ihr so anfühlte, als bestünde sie aus Schmirgelpapier. Dass sich Tränen in ihren Augen zu sammeln drohten, machte sie nur noch wütender.

 

Ihre Wut war scharf und stechend in seiner Nase, noch bevor sie ihm ihre Worte entgegen fauchte.

Das hatte gesessen, aber das konnte sie noch nicht einmal sehen, da sie auch schon den Raum verließ, ehe Nataniel auch nur ein Gefühl herauslassen konnte.

Eine geschlagene Minute blieb er reglos sitzen, bis er schließlich aufstand und den Tisch abräumte. Danach packte er die restlichen Sachen vom Buffet in Plastikbehälter und stellte sie in den Kühlschrank.

Selbst während er die Treppe zu seinem Zimmer hochging, in aller Ruhe die Tür leise schloss und in seinem Seesack herum kramte, gestattete er sich keine Gedanken. Denn wenn er es täte, er müsste sich eingestehen, dass Amanda Recht hatte.

Er hätte sie gestern Nacht töten können, aber er hatte es nicht getan. Außerdem war der Panther noch immer der Meinung, dass er sie lieber beschützen als verletzen würde. Egal was es ihn kostete.

Nataniel selbst wusste überhaupt nicht mehr, was er denken sollte. Vielleicht hätte er ihr nachgehen sollen, vielleicht aber auch nicht, immerhin war sie gegangen. Darum ignorierte er den unruhigen Jaguar in seinem Kopf, stattdessen zog er sich eine Jogginghose an, schnallte sich sein Handy in einem extra dafür gemachten Gurt um den Oberarm und verließ wieder sein Zimmer.

Unten auf der Straße blickte er sich noch einmal zu der Fensterfront um, dort wo er Amandas Zimmer vermutete, danach begann er loszulaufen, und zwar in Richtung toter Leopard.

Nataniel wollte Amanda in Ruhe lassen. Er hatte nicht das Recht und sicher auch nicht das Feingefühl dafür, sie zu besänftigen, so wie er es mit einer Frau seiner eigenen Rasse getan hätte.

Sie war trotz ihrer Gabe ein Mensch und somit vollkommen neues Gebiet für ihn. Also würde er das tun, was sie gestern auch getan hatte. Weiter an den Nachforschungen arbeiten, weswegen sie beide hier waren.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2011-06-19T16:53:33+00:00 19.06.2011 18:53
Hallihallo!
Jetzt melde ich mich hier auch einfach mal. Vielen Dank für die lieben Kommis und Daumen hoch für Darklover, die unsere Kapitel immer so regelmäßig online stellt! :D
Und keine Sorge: Amanda kommt schon noch aus ihrem Schneckenhaus. ;)
Liebe Grüße!
-maneki-neko-
Von:  mausi-caro
2011-06-19T01:28:25+00:00 19.06.2011 03:28
achja echt schade das ihr bis jetzt noch keine kommis habt -.- denn ich finde die story bis jetzt klasse, mal was anderes und es scheint das mal eine richtige geschichte draus wird und noch nur so 5 kapis storys ;)

musst ich grad noch los werden ;D
Von:  mausi-caro
2011-06-19T01:26:08+00:00 19.06.2011 03:26
also ich verfolge die geschichte nun schon seit längerer zeit und bin irgendwie nicht dazu gekommen endlich mal einen kommentar abzugeben ...
also hol ich das nun nach :)
erstmal ein dickes lob das neue kapis immer sehr schnell und regelmäßig on kommen das gibts nicht sehr oft und ich finds toll :)
sehr positiv finde ich auch das es wohl eine längere geschichte wird ...find ich super ^.* anstatt nur 10 kapis oder so was leider oft der fall ist und die ich an einem tag durchgelesen habe ...;)
am anfang fande ich hat sich die geschichte irgendwie ein bisschen gezogen bis amanda und nataniel(sorry falls ichs jetzt falsch schreibe ;) ) endlich mal richtig aufeinander getroffen sind ;) aber ich wollt trotzdem wissen wies weiter geht und es hat mich trotzdem neugierig gemacht...bei nataniel find ich gut das seine innere katze auch ein eigenleben hat und oft was anderes will wie er und immer auf amandas seite steht :) amanda könnte langsam auch offener zu ihm werden ;) hehe
super finde ich das sie sich nun endlich näher zu kommen scheinen, da wart i schon die ganze zeit drauf ^.* hihi
und wie immer kann ichs kaum erwarten die nächsten kapis zu sehen und zu schaun wies weiter geht...

also seit bitte wieder so schnell, denn jetzt kann ichs erst recht kaum erwarten :))

lg caro


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