verschüttetes wasser
Wer war er – wusste ich das wirklich? Ich dachte, ich wüsste es – dachte, ich hätte zumindest eine Ahnung. Nur einer Sache war ich mir absolut sicher gewesen. Etwas, das ich geglaubt hatte, sicher über ihn zu wissen – ganz sicher verstanden zu haben. Was wusste ich wirklich über diesen Menschen, wenn ich mich in diesem essentiellen Punkt geirrt hatte? Was für eine Art von Beziehung hatten wir überhaupt zueinander? Vielleicht hätte ich diese Fragen beantworten können, gäbe es ein Wort dafür. So viel hatte ich schon gelernt in meinem Leben – und doch wusste ich nicht mit dieser Situation umzugehen. Konnte nicht Sprechen als er mir in diesem bunkerartigen Gebäude, durch die laute Musik hindurch, unter beachtlichem Alkoholeinfluss diese zerschmetternde Frage gestellt hatte. Konnte nicht atmen, als er mich mit diesem völlig unbekannten, fremden Blick betrachtete. Konnte mich nicht bewegen, als er sich immer weiter von mir entfernte – schließlich aus meinem Sichtfeld verschwand.
Waren es Minuten oder Sekunden die vergingen? Meinen Herzschlag könnte ich hören, nur meinen Herzschlag. Was war gerade eben passiert? Dann, auf einmal stand er da. Direkt in meinem Sichtfeld, hatte die Szene beobachtet. Schmerz. Er wandte sich ab als sich unsere Blicke trafen. Hatte er davon gewusst? Ohne erbarmen schlugen die Erinnerungen auf mich ein. Die sanften Küsse, meinen Nacken entlang; die Zärtlichkeit mit der seine Hände über meine Schulter strichen, langsam meinen Träger abstreifend. Die Leidenschaft in diesem Kuss als seine Lippen endlich meine gefunden hatten. Ich erinnerte mich noch an die Geborgenheit, die absolute Sicherheit die ich spürte als er mich fest umklammerte – die Ernsthaftigkeit in seinem Blick, die Angst und das schneidende Gefühl, einen Fehler zu begehen. Das hatte er. Das hatte ich. Wir beide gemeinsam – es gab kein zurück mehr.
Verschüttetes Wasser ist schwer wieder zu sammeln.
