Mitten ins Schwarze
Kapitel 3
~~Kouichi~~
„Du bist also Kouichi.“ sagte das fremde Mädchen und sah den Jungen vor sich mit
wachen Augen an. „Dein Vater hat schon so viel von dir erzählt. In den letzten
Minuten, als du noch nicht da warst.“
Viel erzählt, aha, dachte Kouichi und wollte sich lieber nicht ausmalen, was genau
das wohl für Worte gewesen waren. Wenn es um seinen Nachwuchs ging, dann
übertrieb sein Vater doch gern einmal.
Wenigstens bin ich nicht dabeigewesen, dachte der Junge und rollte scherzhaft mit
den Augen, doch davon ließ sich das Mädchen nicht abschrecken.
„Du bist der Präsident des Bogenschießclubs.“ fuhr sie im munteren Plauderton fort
und schlug dabei plötzlich die Hände vor lauter Bewunderung zusammen.
„Was macht man denn so, als Präsident des Bogenschießclubs? Bestimmt schauen
alle zu dir auf.“
„Tja.“ sagte Kouichi und musste sich erst einmal sammeln. Hatte irgendwer dieses
Mädchen auf sie angesetzt oder wirkte er von sich aus so faszinierend?
„Aufschauen ..“ murmelte er. Was soll ich ihr denn jetzt sagen? „Also, ich mache die
Trainingspläne und die bespreche ich zusammen mit meinem Vizepräsidenten.“ In
diesem Moment dachte er an Katsura. Wo er jetzt wohl war, was er jetzt wohl
machte? Ob er an ihn dachte? Am liebsten hätte Kouichi sich zurückgezogen und
allein über seine Beziehung zu dem jungen Kameraden nachgedacht. Doch das war,
dank des brillanten Einfalls seines Vaters, nun leider nicht möglich. „Und dann
setzen wir sie um. Im wöchentlichen Training und in den Trainingslagern.“ ergänzte
er.
„Wow.“ sagte sie und strahlte ihn mit ihren dunkelbraunen Augen an. „Und alle
halten sich daran und machen, was du ihnen sagst?“
„Ja.“ antwortete er. „Sonst wäre es auch nicht sinnvoll.“
„Ja.“ entgegnete Misaki und trank einen Schluck Apfelsaft. Das Mädchen war Feuer
und Flamme. Wer weiß, was man ihr angedroht hatte, sollte sie sich nicht mit mir
unterhalten, dachte Kouichi und musste schmunzeln. Bei seinem speziellen Vater
konnte er sich das durchaus vorstellen. Wo steckte er eigentlich? Ach, da hinten, bei
der Kanne mit Sake, ins Gespräch vertieft. Wer weiß, welch subtile Methoden du
angewandt hast, alter Herr. Er formte die Worte lautlos mit den Lippen, als Misaki
gerade weg und sein Vater in seine Richtung schaute. Doch als der merkte, dass sein
Sohn versuchte, Kontakt mit ihm aufzunehmen, schaute er schnell wieder weg.
Grinsend drehte Kouichi sich um und schaute zu Misaki, die sich ihm wieder
zugewandt hatte.
Es blieb ihm keine Wahl. Er musste wohl das Beste aus der Situation machen.
„Auf welche Schule gehst du denn?“ fragte er und dachte, dass sie, wenn er die
Fragen stellte, wenigstens keine eigenen stellen konnte. Er wollte nicht vom
Bogenschießen reden, denn letztendlich wäre das Gespräch irgendwann auf Katsura
gekommen und wenn es soweit wäre, könnte er sich dann genug verstellen, um
keinen Verdacht zu erwecken?
~~Yamato~~
Glatte 45 Minuten hatte Yamato Kobayakawa im Bad verbracht. Eine dreiviertel
Stunde. So lange hatte er noch nie gebraucht und selbst wenn es einmal länger
gedauert hatte, so waren höchstens zwei Drittel der heutigen Zeit das bisherige
Maximum. „Aber bisher hast du auch noch nie mit deinem besten Freund geschlafen
und hattest das Gefühl, dich reinwaschen zu müssen.“ sagte er zu seinem Spiegelbild
und drückte dabei mit seinem rechten Zeigefinger Punkte auf die beschlagene
Oberfläche.
Es hatte nicht gewirkt. Er hatte geheult, sich verflucht und war in Selbstmitleid
versunken. Dann wieder hatte er an Sous Hände gedacht, seinen Atem auf der Haut
und sehnte sich danach, ihn wieder bei sich haben. Ihn und nicht nur diesen
dämlichen Zettel, den er in seine Einzelteile verwandelt hatte, und während all der
Zeit war das Wasser durch den Duschkopf gelaufen. Damit niemand hören konnte, in
welch qualvoller Situation er sich befand.
„Vielleicht hast du dich im Schrank versteckt und springst heraus, wenn ich nackt ins
Zimmer komme.“ murmelte er vor sich hin. „Aber das glaube ich eher nicht.“ Seine
Stimme wurde wieder fester. „Na toll, jetzt führe ich auch noch Selbstgespräche.“
Elendig langsam drehte er sich um, schnappte sich eines der Handtücher, die sauber
aufgereiht an ihren Haken hingen und schrubbte damit über den Spiegel, um sich
ohne Dunstschleier betrachten zu können.
„Hm.“ ließ er seinen Lippen vernehmen. Er sah wieder etwas besser aus. Die Haare
frisch, die Augen nicht mehr so verquollen. Wenigstens würde wohl niemand
Verdacht schöpfen, wenn er nachher zum Abendessen hinunter an den Tisch kam.
„Hey, Yamato, bist du da drin?“ Eine helle Stimme drang dumpf durch die dicke
Eichentür.
Oh nein. Mein Bruder, dachte er und wurde urplötzlich rot. „Ka .. Katsura.“
„Ja, ich muss mal auf Toilette, Yamato. Ich bin schon seit zwanzig Minuten da, aber
du hälst das Bad besetzt. Ist alles okay bei dir?“
„Klar.“ antwortete er und kam sich so verlogen vor. „Ich bin gleich fertig,
Bruderherz.“
Bruderherz? dachte Yamato.
„Bruderherz?“ fragte Katsura.
„Ja, äh. Ich .. wollte nur nett sein, weil ich .. deinen .. deine .. Blase .. so strapaziert
habe.“
Mit deinem Freund geschlafen habe, mit deinem Freund geschlafen habe,
sagte er in Gedanken zu sich selbst. Sag es ihm doch gleich, Yamato. Sag es ihm
doch gleich oder willst du ihn gleich ansehen und als ein Lügner vor ihm stehen?
Schlimmer noch, als der Zerstörer seines Glückes?
"Aha." erwiderte Katsura.
Aber trägt Sou nicht auch einen Teil der Schuld? Vielleicht sollte ich zuerst mit ihm reden.
Ist es nicht überhaupt Sous Schuld?
Yamato fühlte sich verwirrt. Es war ganz anders, als beim Bogenschießen. Die Sache
mit der Liebe. Wenn er beim Schießen einen Fehler machte, konne er darüber
nachdenken. Er hatte unendlich viel Zeit, um sich der Ursache bewusst zu werden,
unendlich viel Zeit, um eine Strategie zu entwickeln. Doch hier hatte er nicht das
Gefühl, ruhig bleiben zu können oder Zeit zu haben.
Sou hatte einen Pfeil abgeschossen und mitten ins Schwarze getroffen. Aber war er
sich dessen überhaupt bewusst gewesen? Hatte er gewusst, was Yamato schon seit
Jahren für ihn empfand? Er kannte seinen Freund nun schon so lange und doch
vermochte er in diesem Moment nicht, zu sagen, was Sou sich bei der ganzen Sache
gedacht hatte. Ob er ihn lieber hatte, als Katsura oder wenigstens ihn mehr begehrte,
als seinen kleinen Bruder. Er hoffte es und fühlte sich doch schlecht.
„Ich komme jetzt raus.“ sagte er mit belegter Stimme und öffnete die knarrende Tür
nur einen Spalt breit. Katsura stand davor.
„Hey. Du kannst jetzt rein.” Er zeigte mit seinem Daumen über die Schulter hinweg
aufs Bad hinter ihm und ging davon, ohne seinen Bruder richtig anzusehen.