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The House Jack Built

Supernatural / The Shining – Crossover
von

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Herzschlag

===
 

Das Apartment lag noch genauso still da, wie sie es zurückgelassen hatten.
 

Sein Knöchel schmerzte so stark, dass es sich anfühlte, als würde jemand seinen Fuß bei jedem Schritt mit lange, spitze Nadeln malträtieren. Die Tür war nur angelehnt.

Er zögerte erst und drückte sie dann so langsam auf, als rechnete er damit, dass jede Sekunden etwas daraus hervorschnellen und ihn anfallen könnte.
 

Das Grinsen auf seinem Gesicht war immer noch da, inzwischen tat es richtiggehend weh und er kämpfte gegen den schier unwiderstehlichen Drang, hysterisch loszulachen.

Immerhin hatte er gewonnen.
 

Er machte sich nicht die Mühe, die Tür wieder zu schließen und nahm die Wand zu Hilfe, um ins Wohnzimmer zu hinken. Dort ließ er sich erschöpft auf den nächstbesten Stuhl fallen, aber die erwartete Linderung trat nicht ein. Sein Knöchel schmerzte weiter, gleichmäßig und unerbittlich. Er spürte den Zorn so langsam in sich hoch kriechen wie ein Tier, das auf der Lauer lag – heiß und grell und alles andere überschattend, das er bis vor kurzem noch gefühlt hatte.

Das war nicht fair. Er hatte gewonnen. Warum hörte der Schmerz nicht auf?
 

Auf der Tischplatte vor ihm stand die Kaffeetasse, noch von gestern oder vorgestern. Wie lange war es jetzt her, dass er hier gesessen hatte?
 

-Es war einfach nicht FAIR!-
 

Mit einer ruckartigen Bewegung fegte er die Tasse vom Tisch. Sie segelte fast bis hinüber zur Couch, landete auf dem Boden und zerbrach nicht, sondern zersprang in zahlreiche Stücke. Er betrachtete sie fasziniert.

Sie hatten sich über den ganzen Boden verteilten, eine Art Muster, ein hübsches kleines Rätsel, das er nur noch zu lösen brauchte. Ein paar Splitter waren auf dem Stapel Magazine gelandet, der griffbereit neben der Couch auf dem Teppich lag. Verwirrt runzelte er die Stirn.
 

Die waren nicht von ihm. Er hatte sie nicht mitgebracht.
 

Motorräder und Mädchen in Bikinis und Rockbands... Dean?

Ja... die Zeitschriften sahen aus wie etwas, das Dean lesen würde, wenn ihm langweilig war. Zumindest nahm Sam das an. In seinem Kopf begann es zu pochen und der Drang, laut loszulachen wurde immer stärker. Ihn zurückzuhalten kostete diesmal beinahe schon körperliche Anstrengung.

Weg.
 

-Dean war weg, was also hatte sein ZEUG IMMER NOCH HIER ZU SUCHEN??-
 

Er sprang so hastig auf, dass ihm sekundenlang schwindelig wurde und klammerte sich an der Stuhllehne fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Irgendetwas rumorte in seinem Inneren, fraß sich gewaltsam durch sein Unterbewusstsein und vermischte sich mit dem Nebel in seinem Kopf.
 

Er konnte es nicht sehen. Der Nebel war zu stark, zu dicht und mehr als Umrisse konnte er nicht ausmachen. Erst jetzt bemerkte er, dass er keuchte. Der Atem verließ geräuschvoll seine Lungen, nur um gleich darauf genauso geräuschvoll wieder zurückgepresst zu werden.
 

Die Magazine mussten weg. Dean war weg, seine Sachen mussten ebenfalls verschwinden. Sofort. Sonst konnte er nicht atmen.
 

Er ignorierte den stechenden Schmerz, der sein Bein entlang nach oben schoss und hastete hinüber. Beim Aufheben knickte er beinahe mit dem verletzten Fuß um und allein der Gedanke daran ließ ihn vor Schmerzen erschauern. Er krallte sich in den Sofarücken, so fest er konnte. Es gab ein zerreißendes Geräusch, das ihm bekannt vorkam. Er hatte erst vor sehr kurzer Zeit etwas gehört, das fast genauso geklungen hatte. Zerreißender Stoff... Das Pochen in seinem Kopf wurde stärker. Fast hörte es sich an, als würde jemand gegen eine Tür hämmern.
 

Gehetzt sah er sich um, aber sämtliche Türen um ihn herum standen offen. Da war niemand. Der Nebel in seinem Kopf war zu dicht. Er konnte die Tür nicht sehen. Er WOLLTE sie gar nicht sehen.

Er wollte Deans Sachen hier raus haben, sonst gar nichts. Das wäre alles.
 

Der Zeitschriftenstapel war unerwartet schwer und als er ihn mit zitternder Hand hochhob, fielen Porzellanstücke zu Boden. Er wankte hinüber zum Mülleimer und warf ihn hinein. Dann nahm er den grünen Plastikdeckel und verschloss den Eimer sorgfältig.
 

Das Hämmern gegen die unsichtbare Tür wurde leiser, der Schmerz in seinem Kopf ließ nach. Weg. Er hatte gewonnen.
 

-SIEGER-
 

Er drehte sich um. Die Tür zum Schlafzimmer stand ebenfalls offen.

Sein Blick fiel auf eines der beiden Betten. Es war zerwühlt, die Decke lag halb auf dem Boden, das Kissen zerknautscht am Kopfende – in Form gebracht, um sich besser dagegen lehnen und fernsehen zu können. Selbst aus der Entfernung waren auf der Matratze Krümel auszumachen. Auf der Bettkante lag die Fernbedienung.
 

Wie hypnotisiert starrte er das Bett an. Es schien ihn zu rufen.

Er konnte spüren, wie es seine Finger nach ihm ausstreckte. Es zog ihn magnetisch an, er musste in dieses Zimmer gehen. Musste einfach, konnte gar nicht anders.
 

Ein Schritt, dann noch einer. Und noch einer.
 

Sein Knöchel war vergessen, dafür setzte das Pochen in seinem Kopf wieder ein. Mit jedem Schritt, den er machte, jedem Zentimeter, den er näher kam, wurde es lauter und als er den Türrahmen erreichte, war es bereits unerträglich. Es hämmerte von innen gegen seine Schädelwand, als wollte es daraus hervorbrechen. Als hätte es Angst, in dem ganzen Nebel, der dort drinnen war, zu ersticken.

Wo war die Tür? Er konnte sie nicht sehen.
 

Tump, tump, tump

Wo war die Tür?

tump, tump
 

Wie Herzschläge, absolut gleichmäßig und ohrenbetäubend laut. tump, tump, tump

Auch dieses Geräusch kam ihm bekannt vor. Er wusste nicht woher.
 

Irgendetwas wollte ausbrechen. Wo war die die verdammte Tür? Woher kam der ganze Nebel? Das Atmen fiel ihm schwer und ihm war schlecht.

Das Pochen wurde immer noch lauter, obwohl er sich gar nicht mehr bewegte.
 

Das Zimmer begann sich zu drehen. tump, tump Der Nebel war überall.

Etwas wollte hinaus, er wollte hinaus. Wo war nur die Tür?
 

Da war das Bett, direkt vor ihm und er konnte nicht aufhören, es anzusehen. Sogar blinzeln war zu viel. Krümel. Er aß niemals im Bett. Er warf seine Decke nicht auf den Boden. Er hatte das hier nicht getan. Das Pochen war so laut, dass er das Gefühl hatte, seine Trommelfelle würden reißen tump, tump, Herzschlag vielleicht würde es ihm von innen den Schädel sprengen.
 

Das Bett. Die Krümel. Die Magazine.

Er tat so was nicht. Ihm war furchtbar übel.
 

tump, tump, tump, tump

Etwas in seinem Unterbewusstsein wollte entkommen. Wo kam nur all der Nebel her? Warum verschwand er nicht einfach?

tump

Das Bett, das Kissen, die Fernbedienung. Wo war die Tür? tump, tump, tumptumptump

Der Tisch, der Teller. tumptumptumptumptump

Die Magazine tumptumptumptumptumpTUMP!
 

Irgendetwas in ihm zerbarst, zersplitterte in tausend winzige Stücke und fegte durch seinen Kopf wie ein gleißender Blitzschlag. Schwindel erfasste ihn und er kniff die Augen zusammen.
 

Als er sie wieder öffnete, war der Nebel verschwunden. Das Zimmer war hell und klar, die Kontraste erschreckend deutlich. In seinem Mund schmeckte er bittere Galle.

Es war durchgebrochen. Was auch immer es gewesen war – die Tür war offen. Er spürte den Gedanken auf sich zukommen, wie man einen Zug auf sich zurasen sieht, schneller, immer schneller und unmöglich aufzuhalten. Und dann traf ihn die Erkenntnis mit größerer Wucht, als ein anfahrender Zug sie jemals haben konnte.
 

Dean.
 

Er fuhr herum, stürzte ins Badezimmer und übergab sich ins Waschbecken. Viel hatte er nicht gegessen, aber sein Magen schickte trotzdem alles hoch, was er vorrätig hatte. Am ganzen Körper zitternd umklammerte er den Waschbeckenrand, während er mit brennendem Rachen gewaltsam Magensäure hochwürgte und die Erinnerungen fielen über ihn her wie ein blutrünstiger Vogelschwarm.
 

„Sam...“
 

Oh Gott.
 

„Nein. Sammy, nein...!“
 

Oh Gott. Oh Gott. Ohgottohgott... das konnte nicht wahr sein. Das durfte einfach nicht wahr sein, das war unmöglich-
 

„Nein. Sammy, nein...!“

„Bye, bye.“
 

Oh Gott.
 

„Nein. Sammy, nein...!“

Deans entsetztes Gesicht.

Dean, dem die blanke Panik in der Stimme lag.
 

Tump, tump, tump...
 

Dean, der die Treppe hinterpolterte, als wäre er nicht Sams Bruder sondern irgendein lebloses, schwerfälliges Ding.
 

Er krümmte sich über dem Waschbecken, als der Würgereiz ihn zum letzten Mal schüttelte, dann stemmte er sich in die Höhe. Das beklemmende Gefühl, keine Luft zu bekommen, war weg, dafür beschleunigte Angst seine Atmung.
 

Er musste in die Empfangshalle. Er musste nach Dean sehen. Er musste-

Immer noch zitternd stieß er sich ab und fand den nächsten Halt an der Leiste der Badezimmertür. Seine Knie waren butterweich und er fühlte sich schwach und klein und erbärmlich. Seine Gedanken rasten.
 

...bitte, bitte nicht. Bitte nicht. Oh Gott, bitte nicht, das darf nicht war sein, bitte nicht, das kann nicht passiert sein, das ist nicht möglich, bitte lass ihn nicht (Er konnte das Wort nicht mal denken.) Oh Gott, bitte, BITTE!
 

Bis zur Apartmenttür schaffte er es, dann gab sein verletzter Knöchel unter ihm nach und er ging fluchend zu Boden. Der Schmerz machte ihn zornig, aber es war nicht die helle, blendende Wut von vorhin, sondern eiskalter, ohnmächtiger Zorn.

Nicht jetzt! Später, irgendwann oh bitte, bitte, mir egal wie, bitte lasst ihn nicht er konnte das ertragen, die Schmerzen waren ihm egal, aber er konnte hier nicht mitten im Flur sitzen bleiben.
 

Er rappelte sich auf und schleppte sich weiter, kroch auf allen Vieren. Die Gänge erstreckten sich endlos vor ihm, zogen sich scheinbar absichtlich in die Länge. Irgendwann auf halbem Weg kam ihm der Gedanke an eine Krücke, einen Stock, irgendeine Art von Hilfsmittel, doch dafür hatte er jetzt keine Zeit. Als er endlich die Galerie erreichte, war er schweißgebadet und sein Fuß stand in Flammen. Er zog sich am Geländer hoch und versuchte verzweifelt, einen Blick auf das Ende der Treppe zu erhaschen, aber die Stelle, an der Dean zum Liegen gekommen war, befand sich im toten Winkel.
 

Halb hüpfte, halb taumelte er vorwärts und bedachte gleichzeitig seinen verräterischen Knöchel im Geiste mit allen Schimpfwörtern, die ihm nur einfielen. Die Stufen kamen in Sicht, dann war das obere Ende der Treppe erreicht und für den Bruchteil einer Sekunde hatte er ein furchtbares Déjà-vu. Um ein Haar drehte es ihm wieder den Magen um, doch dann sah er etwas, das ihn alle Übelkeit vergessen ließ.
 

Am Fuße der Treppe lag niemand mehr. Die Stelle war leer.

Sein Bruder war weg.
 

Die Erleichterung, die ihn durchströmte, traf ihn beinahe noch vehementer als die Erkenntnis, dass er Dean die Treppe hinuntergestoßen hatte. Seine Beine wollten schon wieder nachgeben, aber er riss sich am Riemen. Dann erst bemerkte er die Gestalt, die an der gegenüberliegenden Wand der Halle bewegungslos im Schatten kauerte.
 

„Dean!!“
 

Keine Reaktion. Oh Gott, bitte nicht.
 

Die Treppe hinunterzukommen war reinste Folter. Er hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten, weil es ihm gar nicht schnell genug gehen konnte. Zweimal stürzte er fast selbst und als er endlich auf der letzten Stufe angekommen war, hatte er sich seine Unterlippe wieder blutig gebissen. Der Schmerz in seinem Knöchel schien sich verselbstständigt zu haben.
 

Die zusammengesunkene Gestalt rührte sich nicht.

Er versuchte es noch einmal. „Dean!“
 

Nichts.
 

Die Kälte umschloss sein Innerstes. Nein. Er kam schwankend wieder auf die Beine, durchquerte die Halle so schnell er nur konnte. Beinahe schlug er der Länge nach hin, aber er kümmerte sich nicht darum. Trotz der Schatten konnte er ihn jetzt deutlich sehen, die Stiefel, das zerrissene Hemd, die verschwitzten, dunkelblonden Haare...
 

Den großen, verdächtig rot verkrusteten Fleck an der Schläfe, die vielen Abschürfungen und bereits ins Blaue spielende Flecken, dort wo die Haut nicht von Kleidung oder Haaren verdeckt wurde. Er ging erst in die Knie, dann kroch er auf seinen Bruder zu. Sein Herz hämmerte dabei so stark, dass er dachte, er müsste jeden Moment ersticken.
 

„Dean“, brachte er heraus, es war nicht viel mehr als ein Krächzen, „Dean.“
 

Stille.
 

Fast zögernd streckte die Hand aus, weil er panische Angst davor hatte, den Puls zu fühlen. Was, wenn da nichts mehr war? Eine Sekunde lang schwebte sie unschlüssig über Deans Handgelenk, dann zog er sie hastig weg und legte sie stattdessen auf Deans Schulter.
 

Warm.

Seine Finger glitten tiefer, ein Stück nach links und- da war es.

...tump, tump, tump...
 

Er konnte seine Hand nicht wegziehen. Es war, als wäre sie festgeklebt, gehalten von jener unsichtbaren Macht, die soeben ein Wunder gewirkt hatte.
 

...tump, tump, tump...
 

Kein Zweifel, das Herz schlug. Sam blinzelte und blinzelte, sah dennoch alles verschwommen und erst nach einem Augenblick wurde ihm klar, dass da Tränen waren. Er schloss die Augen, öffnete sie wieder und erst dann wagte er, vorsichtig aufzuatmen. Wie von selbst presste er seine Hand fester gegen das beruhigende Schlagen, den endgültigen Beweis dafür, dass er-
 

Ja, was? Dass er seinen Bruder durch schieres Glück doch nicht umgebracht hatte?

Sehr beruhigend, wirklich.
 

Im nächsten Moment öffnete Dean ruckartig die Augen und zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt. Sam wurde mit einem Schlag klar, dass er das tat, um sich in Sicherheit zu bringen. Vor nicht einmal einem Tag hätte er jederzeit noch Stein und Bein geschworen, dass Dean sich bei seinem Anblick automatisch entspannen würde, dass es ihn beruhigen würde, seinen kleinen Bruder zu sehen... jetzt huschten seine Augen bei Sams Anblick hektisch zum nächstbesten Ausgang.
 

Rasch zog Sam seine Hand zurück

„Dean...“, krächzte er und hielt gleichzeitig beide Handflächen in die Höhe zum Zeichen, dass er nichts unternehmen würde, „Dean, schon gut... ich bin’s.“
 

Im nächsten Augenblick kam er sich vor wie ein mieser, dreckiger Lügner.
 

„Ich bin’s...“ Na toll.

Mann, nur keine Panik... ich hab dich bloß die Treppe runtergeworfen. Kein Grund, deswegen ’nen Aufstand zu machen.
 

Dean blinzelte benommen, betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. Sein ganzer Körper war gespannt wie eine Bogensehne und Sam war sich nicht einmal sicher, ob sein Bruder die ganze Situation überhaupt richtig wahrnahm, aber mit einem Mal konnte er nicht mehr anders. Beinahe gewaltsam brach es aus ihm heraus.
 

„Oh Gott, Dean“, es war egal, dass die Feuchtigkeit auf seinen Wangen vermutlich Tränen waren, „Dean, es... ich wollte nicht... oh Gott, es tut mir so leid, du hast ja keine Ahnung, ich wollte nicht... ich hatte nicht... oh Gott, es tut mir leid, du weißt gar nicht, wie sehr, es tut mir leid, es tut mir leid-“
 

Wie durch einen Schleier nahm er war, dass Dean die Hand hob. Er wusste nicht, wozu und es wäre ihm auch egal gewesen, wenn er ihn geschlagen hätte. Einen Moment lang hing sie in der Luft, so als wäre ihr Besitzer selbst nicht sicher, was er mit ihr anfangen sollte.

Dann fand sie ihren Weg in Sams Nacken – die ultimative Winchester-Geste, um Trost und Geborgenheit zu spenden. Eine Spur fester als sonst, denn Deans Finger bohrten sich in seine Haut, als suchten sie selber nach Halt und außerdem hatte er ein paar von Sams Haarsträhnen erwischt, aber keiner von ihnen beiden scherte sich darum.
 

„Sammy...“
 

Und wenn Sam gedacht hatte, bis gerade eben wäre ihm nach Heulen zumute gewesen...!
 

„Dean“, brachte er heraus, es klang klein und erbärmlich und noch dazu extrem verwässert, „Gott, es tut mir so leid...“

„Sam-“

„Ich weiß nicht, warum ich das überhaupt... warum ich... oh Gott...“
 

Umso öfter er es aussprach, desto lächerlicher klang es in seinen Ohren. Es gab keine Entschuldigung. Es gab einfach keine. Er war nicht besessen gewesen. Er hatte frei entschieden. Er hatte gewusst, was er da tat und trotzdem hatte er Dean die gottverdammte Treppe hinuntergeworfen.

Es gab keine Entschuldigung. Es würde nie ein geben.
 

Etwas drückte sanft in seinem Nacken und als er aufsah, traf er Deans festen, vollkommen klaren Blick.

„Sam“, sagte sein Bruder, „Sammy, scheiße noch mal, du siehst schrecklich aus.“
 

Das war zu viel. Sam wusste nicht, ob er loslachen oder Dean eine reinhauen sollte.

„Ich...“, würgte er mit Mühe hervor, „Ich sehe schrecklich aus? Ich sehe schrecklich aus? Sag mal, hast du sie noch alle?!“
 

Dean grinste schief. Er schien Schmerzen zu haben, aber das hinderte ihn offenbar nicht daran, dumme Witze zu reißen.

„Kannst die Wahrheit wohl nicht verkraften, was?“
 

Sam schluckte schwer.

„Dean...“, versuchte er es erneut, aber sein Bruder schüttelte vehement den Kopf.
 

Kurz wirkte er so, als würde ihm dabei schwindelig werden.

„Ich will’s nicht hören“, sagte er, „Schwamm drüber. Es war nicht deine Schuld, Sammy, also vergiss es, okay?“
 

So einfach war das.

Es war nicht das erste Mal, dass er diese Worte hörte (und was sagte es eigentlich über ihr Leben aus, dass sie oft genug in derartige Situationen geraten waren, um so etwas mit hundertprozentiger Sicherheit zu wissen?), aber es erfüllte ihn immer noch mit fassungslosem Unglauben.
 

Schwamm drüber. Vergeben und vergessen.

Kein einzelner Mensch konnte so sein. Das war doch nicht mehr normal.

Herrgott noch mal, das war schlicht und einfach nicht gesund!
 

Dean konnte seine Gedanken offenbar von seinem Gesicht ablesen.

„Sammy“, hakte er nach, „Okay? Vergiss es.“
 

Sam nickte steif.

„’kay“, murmelte er.
 

Dann erst wurde ihm klar, dass sie irgendwann demnächst verschwinden mussten. Schließlich konnte er Dean nicht hier sitzen lassen – er war verletzt und es war kalt.

Ganz abgesehen davon, dass sich inzwischen bereits seine Nackenhaare aufstellten, wenn er der Colorado Lounge nur den Rücken zudrehte. Irgendetwas war passiert. Er wusste noch nicht genau, was es war, aber es war gefährlich.
 

Das Hotel war gefährlich.
 

Sie befanden sich in feindlichem Territorium – so lächerlich das auch klang, er wusste plötzlich, dass dies den Tatsachen entsprach. Aus irgendeinem Grund waren sie hier in Gefahr. Sie mussten zurück ins Apartment. Das Apartment war warm.

Das Apartment war sicher. Wusste der Himmel, wann sich diese Idee in seinem Kopf festgesetzt hatte und wusste der Himmel, warum er dieses Zeug überhaupt dachte, aber es war die Wahrheit.
 

Er musste Dean hier wegschaffen und das so schnell wie möglich.
 

„Sam...?“

Er bemerkte, dass sein Bruder ihn aufmerksam beobachtet.
 

„Ja“, sagte er mit einem Mal entschlossen, „Hör zu... wir müssen verschwinden.“
 

Dean sah kein bisschen überrascht aus. „Ich weiß“, sagte er, „Du hast es bemerkt, oder? Irgendwas stimmt da nicht...“
 

Sam schnaubte humorlos. „Ich hab dich die gottverdammte Treppe runtergeworfen... also ja, ich würde sagen, ich habe bemerkt, dass irgendwas nicht stimmt.“
 

Dann wurde er wieder ernst. Er musste sich auf das Wesentliche konzentrieren. In Selbstmitleid baden konnte er, wenn er Dean nach oben geschafft und verarztet hatte. „Wie schlimm...?“
 

Sein Bruder schloss sekundenlang die Augen und schien eine mentale Bestandsaufnahem vorzunehmen.

„Rippen“, sagte er schließlich angespannt, „Vor allem die Rippen. Zwei oder drei mindestens... aber ansonsten gar nicht mal so übel.“
 

„Was genau heißt gar nicht mal so übel?“
 

„Dass ich es überleben werde, Sam.“
 

„Toll...“, sagte Sam bissig.
 

Dean zog eine Augenbraue hoch.

„Was denn?“, sagte er, „Das nicht gut genug für dich?“
 

„So war das nicht... ach, halt die Klappe.“
 

===
 

Der Weg zurück war schlicht und einfach furchtbar. Der Fahrstuhl kam aus ziemlich naheliegenden Gründen nicht infrage, also waren sie gezwungen, die Treppe zu nehmen.
 

Es war die Hölle.
 

Dean schaffte es zwar, mehr oder weniger geradeaus zu wanken, wenn er etwas hatte, auf das er sich abstützen konnte, aber Sam war für diesen Zweck denkbar ungeeignet, weil sein Knöchel mittlerweile so wehtat, dass er kaum mehr aufrecht stehen konnte. Er hätte die Stufen vielleicht wieder auf allen Vieren geschafft, aber das ging natürlich nicht, weil Dean aufgrund der gebrochenen Rippen alleine bei dem Gedanken daran, in die Knie zu gehen, ungesund blass um die Nasenspitze wurde.
 

Sie brauchten jede Menge Pausen und als sie die Treppe endlich geschafft hatten, lagen immer noch haufenweise Gänge vor ihnen. Schließlich missbrauchte Sam einen der Schirmständer, die zu Dekorationszwecken herumstanden, als Krücke. Solange Dean sich nicht allzu schwer auf ihn stützte und sie nahe der Wand entlang humpelten, um das Gleichgewicht zu halten, war die ganze Sache tatsächlich machbar.
 

Er konnte sich nicht erinnern, jemals so erleichtert gewesen zu sein wie in dem Augenblick, in dem er endlich die Apartmenttür hinter sich zufallen ließ. Das Schloss drehte er sicherheitshalber gleich zweimal um.
 

Dean überließ die Tür ihm und torkelte durch den Flur weiter ins Wohnzimmer, wo er sich auf denselben Stuhl rettet, auf dem Sam vorhin gesessen hatte. Fast kam es ihm grotesk vor, dass das nicht einmal anderthalb Stunden her sein sollte. Es fühlte sich an, als lägen Jahre dazwischen.
 

Gut, dachte Sam und überzeugte sich gleichzeitig davon, dass die Salzlinien und das Pentagramm, das sie gleich am Tag ihrer Ankunft gezogen hatten, noch intakt waren – auch wenn er sich ziemlich sicher war, dass ihnen diese Dinge hier nichts mehr nützen würden, ja, dass sie ihnen vermutlich von Anfang an nichts genützt hatten – jetzt musste er das hier erstmal in Ordnung bringen.
 

Ihr Erste-Hilfe-Zeug lag sicher verstaut in seiner Tasche unterm Bett. Im Bad gab es zwar ebenfalls einen kleinen Erste-Hilfe-Kasten, aber der war noch weiter weg... na schön, wie also kam er ins Schlafzimmer?
 

Dean war kalkweiß im Gesicht, das verkrustete Blut bildete einen beinahe schon künstlerischen Kontrast. Seine Atemzüge waren verbissen und kontrolliert – aber als Sam auf einem Bein an ihm vorbeihüpfte, öffnete der die Augen.
 

„Sammy, was zum...?“
 

Was denn? Irgendwie musste er sich ja fortbewegen und das hier sah vielleicht bescheuert aus, aber es war wenigstens eine Option. Und es war gar nicht mal so schlimm, abgesehen von dem Umstand, dass sein Knöchel bei jedem Ruck, der durch seinen Körper ging, vor Schmerzen aufzuschreien schien.
 

„Ich will’s nicht hören“, keuchte er und war froh, als er den Türrahmen erreicht hatte, um sich festhalten zu können, „Irgendwie muss ich ja an Verbandszeug kommen.“
 

Er fiel mehr aufs Bett, als dass er tatsächlich stehen blieb, zerrte die Tasche hervor und stellte fest, dass er die falsche erwischt hatte. Ungeduldig stopfte er sie wieder zurück, bekam die richtige zu fassen und als er sich wieder aufrichtete, fiel sein Blick wie durch Zufall auf den Spiegel.
 

„Sammy, scheiße noch mal, du siehst schrecklich aus.“
 

Dean hatte Recht gehabt. Um ehrlich zu sein, er hatte noch untertrieben. Beinahe verblüfft starrte Sam sein Spiegelbild an. Er sah aus wie jemand, der in jeder Krankenhaus-Notaufnahme auf der Stelle an die Reihe gekommen wäre, weil das Personal befürchtet hätte, er könnte bewusstlos in sich zusammensacken.
 

Er war grün und blau, seine Wange war angeschwollen und die gesamte untere Gesichtshälfte war dunkel vor getrocknetem Blut – obwohl, so getrocknet war es gar nicht, denn seine Unterlippe glänzte immer noch verdächtig rot. Er hatte gar nicht mehr mitbekommen, dass er sie den ganzen Weg über immer weiter zerbissen hatte. Der restliche Teil seines Gesichts war weiß wie eine Wand, seine Haare nass vor Schweiß und seine Augen saßen tief in ihren Höhlen.
 

Du lieber Himmel.
 

Aber immerhin fühlte er sich nicht ganz so mies, zumindest nicht körperlich. Bis auf den Knöchel und die dumpfe Übelkeit, die einherging mit seinen hämmernden Kopfschmerzen, ging es ihm sogar ziemlich gut. Eigentlich konnte er sich nicht beschweren... er war schon weitaus schlimmer dran gewesen.
 

Unwillig riss er sich von der Erscheinung im Spiegel los.

Mal ehrlich, das war gar nichts. Peanuts.
 

Und jetzt im Moment hatte er ohnehin Wichtigeres zu tun.
 

===
 


 

Gnargh! >___<

Wenn das nächste Kapitel noch kursiver wird, kaue ich mir die Finger ab!

Ist es möglich, ein Weichei zu sein, wenn man ganz eindeutig weibliche Geschlechtsmerkmale aufweist?



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2009-08-03T23:18:55+00:00 04.08.2009 01:18
Ich fühl mich total scheiße wenn ich sehe wie viel alle andern schreiben.... aber ich bin sprachlos:S
Von:  genek
2009-07-16T18:42:31+00:00 16.07.2009 20:42
Oh, und ich habe vergessen zu sagen wie toll ich das mit der ultimativen Winchester-Gesete für 'alles in Ordnung' fand. Und überhaupt.
Von:  genek
2009-07-16T18:41:51+00:00 16.07.2009 20:41
o.O
Sa~adisti~in! Aber wirklich!
Und ich habe gar kein Mitleid für dich! Immerhin hat mich dein "tumptumpTUMP" ziemlich Nerven gekostet, das kann ich dir sagen! Und ich habe schon befürchtet, dass Dean jetzt versucht Sam anzugreifen. (So wie ich dich einschätze ist noch lange nicht alles ausgestanden.)
Und weibliche Merkmale? Hmm... bist du überhaupt erstmal menschlich? :D
Also lass die beiden nicht so lange leiden!
Von:  blumenpups
2009-07-16T09:37:01+00:00 16.07.2009 11:37
Who.
*atmet tief durch*

Okay, das war ganz eindeutig mal wieder nichts für schwache Nerven.
*Drahtseilnerven auspack*
Gedanken ordnen...Gedanken ordnen...Gedanken ordnen Gedanken ordnen GedankenordnenGedankenord--

Ach, Scheiß was drauf.
HAMMERGEILES KAPITEL.
Frag meine Nackenhaare, die wissen Bescheid.
Dean lebt, Sammy ist wieder klar im Kopf, beide sehen scheiße aus und was auch immer mit dem Hotel nicht in Ordnung ist, sobald die beiden sich erste Hilfe geleistet haben, geht's dem an den Kragen.
Aber so was von! Darauf bestehe ich!
Und die ultimative Winchester-Geste zum Trost spenden... *_______*
Ich war hin und weg!
Ich BIN hin und weg!
Und deshalb...mach schnell weiter, wie immer, ja?
Lass mich bloß nicht lange warten, du kannst dir ja so ungefähr vorstellen, was dir dann blüht! (ich nehm Mandy als Geisel, jawoll ja!)

Hau in die Tasten!
Und einen wunderschönen guten Tag noch ^.~
Von:  Engelchen_Fynn
2009-07-15T13:25:58+00:00 15.07.2009 15:25
Ich habe ... gequietscht.
Ich gebe es offen und ehrlich zu, ich habe tatsächlich gequietscht. O~kay, ich bin ein Mädchen, ich darf das, aber trotzdem gebe ich ganz allein dir die Schuld daran, dass ich es nicht zurückhalten konnte.
Aber als ich gesehen habe, dass ein neues Kapitel on ist, musste ich einfach ... quietschen.

So viel dazu.

Tja ansonsten war das Kapitel - natürlich - der absolute Wahnsinn. Ich hab mich zwischendurch dabei ertappt, wie ich die Luft angehalten habe.
Sam's Gedanken, als ihm bewusst wurde, was er getan hat ... Wow. Und auch eigentlich schon davor, als sich bereits ankündigte, dass er wieder normal wird waren hammermäßig rübergebracht.

Gott, ich liebe deine Geschichte, gerade wegen Kapitel wie diesem. Ich weiß gar nicht so genau, was ich sonst noch sagen soll...

Ach so, ich bin natürlich froh, dass Dean so glimpflich davon gekommen ist, obwohl ich ja eigentlich ein hurt!Dean Girl bin. Ich liebe den Kerl, keine Ahnung, warum ich ihn so gerne leiden sehe. *hust* Ich sollte Tabletten dagegen nehmen...

Wie auch immer, ich freu mich schon wahnsinnig auf dein nächstes Kapitel. Aber erstmal *erleichtertaufatme* , weil alles - erstmal - ein gutes Ende genommen hat.

Freu mich auf mehr.
Cu ^-^
Von: abgemeldet
2009-07-15T12:46:42+00:00 15.07.2009 14:46
oohhhh das war wirklich schnell
gott sei dank, sammy ist wieder bei besinnung.
ich hätte sonst dean voll unterstützt, wenn er auf den gedanken gekommen wär ihn mal etwas verstand mit einem rouqe-schläger einzuprügeln. und jetzt soll der sich mal ordentlich um seinen großen bruder kümmern, dean könnte innere blutungen und sonst was haben -.-
merkt man das ich ihn immer noch nicht ganz verziehen hab? aber ich bin nahe an einem "vergeben-und-vergessen"...
bei den ersten paar herzschlägen hatte ich die ganze zeit im hinterkopf das gleich die heckentiere um die ecke springen könnten... und als dean auch nicht gleich zusehen war... (oh gott, die löwen haben ihn gefressen, oder noch schlimmer, der hund!)
und nun muss ich dir sagen, dass ich die ganze zeit hier gelitten habe. und mein hund fand das so toll mit anzuschauen, dass er mir die ganze zeit in den fuss beißen musste. blödkopf. ich bin jedesmal voll zusammen gezuckt.
du schreibst toll, ist egal ob du mit dem kursiv nicht zufrieden bist, du schreibst toll (doppelt hält besser). und ein weichei bist du erstrecht nicht, wer kann den schon von sich behaupten, dass seine leser ohne unterbrechung mitfiebern, hm?
bis zum nächsten, faith
p.s. hast dir ne apfelkuchen belohnung verdient, weil dean so glimpflich davon gekommen ist :P
Von:  diab67
2009-07-15T07:18:43+00:00 15.07.2009 09:18
Hey,
haha das ging ja jetzt schneller als ich dachte hab doch fast das neue übersehen.

Puuhhh erst mal bin ich erleichtert das Dean wieder da ist
und noch mehr das Sammy im Moment wieder klar zu sein scheint.

Oh man...
Die Beziehung der Beiden hast du auch super hin bekommen. Ach ja.. seufz.
Die sind echt so süß mit einander.

So jetzt werden erstmal Wunden geleckt und dann weiter.
Die sollten sich mal über den Jungen unterhalten... den sie immer sehen.
Bye Dia


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