Kaufhäuser
"Jan! Steh auf, du kommst noch zu spät!"
Das ungefähr 200ste Mal stand seine Mutter nun schon an seinem Bett und versuchte ihn aus dem vermeintlichen Tiefschlaf zu holen. Doch schlafen konnte er schon seit gut 2 Stunden nicht und die Rufe seiner Mutter hatte er zwar gehört, jedoch gekonnt ignoriert. Er hatte schlecht geschlafen, schlecht geträumt und jetzt sollte er auch noch freiwillig aus seinem weichen Bett, nur um stundenlang gelangweilt irgendwelchen Menschen die sich „Lehrer“ nannten zu zuhören?
Nein, danke. Da konnte er sich bessere Dinge vorstellen.
Er könnte Dirk besuchen. Sie hatten sich zwar erst vor knapp 1 Monat kennen gelernt, aber so gut wie sie sich verstanden könnten das auch 10 Jahre sein. Es war wirklich unglaublich wie gut sie sich gegenseitig verstanden, genau wusste was der Andere dachte, genau fühlten was in ihnen vorging. Dirk arbeitet, mehr oder weniger, in einem Kaufhaus und jedes Mal wenn Jan vorbei kam um ihn zu besuchen, gingen sie irgendwo was kleine essen oder sie saßen auf einer Bank und tratschten, wie Mädchen es in ihrem Alter taten, über die vorbei laufenden Menschen. Ihm selbst kam es manchmal albern vor, wenn er an diese Freundschaft dachte und daran, dass sie so etwas wie Seelenverwandte waren.
Aber in Dirks Nähe war nichts albern, nicht einmal wenn sie sich gegenseitig mit Pommes bewarfen, nicht einmal wenn sie über ihre Träume später Rockstars zu werden redeten. Nein, nicht einmal wenn sie einfach nur zusammen saßen, schwiegen und Jan sich unglaublich geborgen fühlte.
„Mensch! Jetzt mach hin Jan! Der Bus fährt bald!“
Energischer als zuvor dröhnte die mütterliche Stimme an seine Ohren, ließen die Gedanken an Dirk verschwinden und holten ihn zurück in die „grausame“ Realität dieses frühen Morgens.
„Is ja jut!“ murrte er mit verschlafener Stimme in sein Kissen, wodurch seine Mutter wohl eher nur ein „Mmmh mmmh mmmmmh“ verstanden hatte.
Seine müden Lider quälten sich nach oben. Es war hell, viel zu hell für seine Augen und dazu roch es noch nach Kaffee, keine gute Mischung für einen guten Start in diesen Tag.
Schwerfällig stand er auf und als sein Blick auf den Wecker traf, rannte er ins Bad, zog sich schnell um, schnappte sich seine Schultasche und flitzte zum Bus. Gerade noch rechtzeitig erwischte er diesen, welcher Richtung Schule fuhr, vorher jedoch an einer S-Bahn-Station hielt.
Ganz gelassen stieg Jan hier aus und schlenderte die Treppen zu den Bahnsteigen rauf. Gut, er war nicht immer der Fleißigste, meistens auch extrem gelangweilt und oft abgelenkt, aber schwänzen tat er nie. Zumindest noch vor einem guten Monat.
Viel lieber verbrachte er nun seine Zeit mit Dirk, auch wenn er nur im Kaufhaus herumlungerte um ihn beim arbeiten zuschauen konnte.
Sein Gewissen beruhigte er immer wieder mit dem Gedanken, dass er in der Schule doch sowieso nicht aufpassen würde und somit auch den Stoff verpasste.. Warum dann als nicht die Zeit sinnvoll nutzen.
Langweile hatte er nie wenn er mit Dirk zusammen war, natürlich gab es ab und an mal Momente wo sie nicht wussten was sie tun sollten, aber als langweilig würde er es nie bezeichnen.
Vielmehr war es für ihn extrem interessant den Anderen anzuschauen, seine Bewegungen zu verfolgen, seine Gedanken zu erraten, oder über seine Fantasie zu staunen.
Gedankenverloren betrat er mit großen Schritten das ihm inzwischen vertraute Kaufhaus. Wahrscheinlich könnte er den Weg vom Eingang bis zur Abteilung in der Dirk beschäftigt war blind gehen. Alles hier war ihm so vertraut und obwohl er unter normalen Umständen die ganzen Artikel nutzlos und bescheuert fand, erinnerten sie ihn auf eine seltsame Weise an Dirk und genau das machte sie dann schon wieder schön.
Ein großes Lächeln zierte Jans Gesicht sobald er den Kleineren erblickte.
Der Tag konnte kommen und er würde schön werden, immerhin war jetzt Dirk bei ihm.
