Albtraum
Langsam strich seine Hand ihre zarte Wange entlang. „Wunderschön“, die Stimme klang wie Glas, schien zu zerbrechen, sobald sie seine Lippen verließen, „du bist einfach nur wunderschön.“
Seine Bewegungen wurden härter, schneller, Verlangen machte sich in seinem Körper breit. „Du bist so schön, du sollst Mein sein, nur Mein.“
Vorsichtig näherte er sich ihr, ließ seine Lippen auf die Wange nieder und küsste sie. Erst sanft, dann gieriger, leidenschaftlicher, bis er an ihren Lippen ankam. Dennoch wachte sie nicht auf, schien gefangen in ihrem Schlaf zu sein.
„Du sollst Mein sein...“
Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, verließ er das Zimmer, schloss leise die Tür hinter sich. Plötzlich erwachte das Mädchen, riss die Augen auf und schrie wie aus einem Albtraum erwacht. Tränen flossen über ihre Wange, hinterließen nasse Spuren auf der Decke.
„Es war alles nur ein Traum, alles nur ein Traum...“
„Sie sind das Fräulein Takashi?“, der Arzt schob seine Brille zurecht, blickte auf das zierliche Mädchen vor sich, starrte dann wieder auf seine Papiere ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen.
„Nennen sie mich ruhig Hana...“, ohne jegliche Emotionen sprach sie, schaute ihn an, nicht einmal Ärger oder Wut ließ sich von ihren Lippen ablesen. Auf ihrer Schulter lag die Hand ihrer Mutter, die sie in die Klinik begleitet hatte.
„Sie mag es nicht, wenn man sie bei ihrem Nachnamen anspricht“, fügte die Mutter noch lächelnd hinzu, versuchte angestrengt freundlich zu klingen.
„Mmhm... in Ordnung...“, der Mann blickte noch einmal kurz mit gehobener Augenbraue das Mädchen an, schüttelte den Kopf, fügte dann noch hastig hinzu, „wenn sie es so möchte, können wir das auch so einrichten lassen. Würden Sie dann Hana loslassen, damit wir ihr die Anlage inklusive ihrem neuen Zimmer zeigen können?“ Auch wenn es eine Bitte war, klang sein Ton scharf, dass es eher einem Befehl glich. Erschrocken von der schroffen Art des Arztes ließ die Mutter ihre Tochter los, verabschiedete sich noch schnell mit einem Kuss auf die Wange und verließ das Gebäude.
„Wann werde ich zurück kehren dürfen?“, fragte das Kind wieder in gleichgültigem Ton.
„Sobald wir entschieden haben, dass du gesund bist.“
Kein weiteres Wort wurde zwischen den beiden Personen ausgetauscht, er schickte sie nur schnell in ein Zimmer, schloss es hinter ihr ab und sprach noch durch eine Klappe, die man öffnen konnte. „Eine Schwester wird um 15 Uhr kommen und dir Klamotten und Essen bringen.“
„Wollten sie mir nicht die Anlage zeigen?“, die Stimme des Mädchens klang zum ersten Mal unsicher, fast schon zittrig.
„Um 17 Uhr ist es Zeit für die Dusche, kannst dich also schon einmal darauf einstellen und es werden Gruppenduschen sein. Wenn du irgendwelche Probleme damit hast, ist das für uns auch in Ordnung. Wer den Drang hat zu stinken, darf das bei uns, du wirst dann jedoch nicht behandelt und eine Ausweisung wird uns schwer sein zu schreiben, wenn wir uns nicht mit dir beschäftigen können“, bei seinen Worten klang er sachlich, starrte noch immer auf seine Aufzeichnungen, schloss dann die Klappe.
Sie blieb alleine in einem weißen Raum übrig, in dem nur ein Bett, eine Uhr und eine Lampe, die ständig flackerte, standen. Nicht einmal ein Fenster gab es.
Mit dem Wissen, dass sie sowieso nichts tun konnte, legte sie sich auf das Bett und dachte darüber nach, warum sie nun hier war und was das für ein Ort im genaueren sein konnte.
So wie es nicht anders sein konnte, kam sie zu keinen Punkt, versuchte sich sinnloser Weise durch das Starren auf die Wand abzulenken. Irgendwann hob sie ihren rechten Arm, die Ärmel ihres schwarzen Kleides fielen hinab und ließen einen Blick auf ihre weiße Haut zu, fokussierte ihren Blick von der Wand auf ihre Nägel und betrachtete sie als wenn sie das Interessanteste auf der Welt wären.
„Ach, das kann doch nicht angehen...“, genervt hob sie ihren Körper wieder hoch, atmete tief ein und schaute auf die Uhr, die in regelmäßigem Rhythmus tickte.
Fünfzehn Minuten waren nun seit ihrem Ankommen vergangen.
„Was das 'nen Scheiß?“, schnell ließ sich Hana wieder fallen, drehte sich auf den Bauch und versuchte es sich auf der harten Matratze gemütlich zu machen. „Und dann dauert's auch noch 'ne Stunde bis die olle Krankenschwester hier ankommt...“
Auch wenn es das Letzte war, was sich Hana vorstellen konnte, schlief sie innerhalb weniger Minuten in dem dreckigen Zimmer ein.
Ein Klopfen war zu vernehmen, ein dumpfes Klopfen, immer regelmäßig, mischte sich unter den Takt, die die alte Standuhr von sich gab.
Hana stand in einem Gang der sich in die Unendlichkeit zog, es war kein Ende zu sehen. Langsam machte sie sich daran einen Ausweg zu finden, rannte die Gänge entlang, strich Hier und Da mit der Hand an der Wand entlang. Irgendwann entfernte sich die Uhr so sehr, dass man sie nicht mehr sehen konnte, doch das Ticken und das Klopfen, welches mit schwang, waren noch immer zu vernehmen. Selbst als sie an ihre Grenzen kam, nicht mehr weiter laufen konnte und eine Pause machten musste, hörte sie den seltsam ungleichmäßigen Rhythmus.
Kam es ihr nur so vor, oder wurde er lauter, je weiter sie sich der Uhr entfernte?
Irgendwann mischten sich noch weitere Geräusche hinzu, alle ruckartig und abgehackt. Das Weinen eines Kindes, das Geschrei einer Mutter, das Stöhnen eines Paares, welches ihrem gemeinsamen Höhepunkt immer näher kam. Alles stieß auf sie ein, drückte sie nieder und nahm ihr noch mehr von ihrer schon so kaum noch vorhandenen Kraft.
Außer Atem stand sie an die Wand gelehnt da, hielt ihr Gewicht an den Beinen fest, versuchte das immer schlimmer werdende Schwindelgefühl abzustreifen.
„Was zum Teufel...?“, sie formte nur die Worte, sprach sie in ihren Gedanken aus, doch kein Laut drang aus ihren Mund heraus.
Das Klopfen wurde immer lauter, kam näher, zusammen mit einem hohen Geräusch, als wenn Metall an Metall schleifen würde.
Immer lauter...
„Fräulein Takashi?“, eine weiche Frauen Stimme drang an ihr Ohr.
„Hana bitte...“, schlaftrunken versuchte sie wieder hoch zu kommen, schaffte es jedoch erst mit Hilfe der Krankenschwester.
„Ja ja, ist ja auch egal. Ich habe ihnen jedenfalls ein paar neue Klamotten und Essen mit gebracht“, kurz ließ sie abwertend ihren Blick über Hana wandern, wie sie da stand in ihrem schwarzen Kleid, welches fast jeden Teil ihres Körpers verdeckte und doch eng an den zierlichen, doch schon erwachsenen Körper anschmiegte, „so etwas kann man doch nicht tragen.“ Kurz schüttelte die blonde Frau ihren Kopf, schnappte sich den Umhang für die Patienten und lächelte Hana übertrieben freundlich an. „Ich helfe dir aus den Klamotten hinaus und in die neuen rein, dann kannst du essen. Ist das in Ordnung für dich?“
Noch immer nicht fähig richtig zu reagieren, rieb sich Hana durch die dunklen Augen, nickte nur müde und ließ alles über sich ergehen, bis die Krankenschwester wieder das Zimmer verließ und sie alleine da zurück blieb
Erst da fühlte sie sich wieder wacher, taute auf und schnappte sich hungrig die dünne und kalte Suppe mit Kartoffeln, die sie brav auslöffelte.
Nur noch zwei Stunden bis sie hier raus durfte, um zu duschen...
„Die Regeln beim Duschen sind, dass weder gesprochen noch gerannt wird. Bei Verweigerung werdet ihr schnell wieder in eure Zimmer gebracht und du weißt doch schon, was passiert, wenn ihr nicht duscht, nicht wahr?“, es war die selbe Krankenschwester, die Hana aus ihrem Zimmer vorhin abholte und nun durch die endlosen, weißen Gänge der Klinik führte. Auf dem Weg begegnete sie niemanden. Nur schwarze Flecken an der Wand, die Ruß ähnelten, kamen ihr entgegen.
„Wo sind denn die anderen Patienten?“, verwundert nicht einmal eine Tür zu sehen, wand sie sich an die freundlich wirkende Frau, die immer ein Lächeln auf den Lippen hatte.
„In einem anderen Flügel als du. Weißt du, deine Mutter hat viel Geld bezahlt, damit du auch gut behandelt wirst hier. Deswegen bist du auch in keinem Zimmer mit den Anderen“, ihre Stimme klang freundlich, doch sie blickte dabei Hana nicht an. Vor Hana sah sie nur die junge Frau mit den langen Beinen, die aus dem Krankenschwesterrock hervorlugten, wie sie sich elegant bewegte und ihren Hintern dabei im Takt hin und her bewegte.
„Au...“, Schmerz verzerrte das Gesicht des kleinen Mädchens, während sie sich die Schläfe massierte, dennoch versuchte sie nicht zurückzubleiben und der Schwester weiterhin zu folgen.
Kopfschmerzen plagten sie, nahmen ihr die Konzentration und schränkten ihre Sicht ein. Nur noch die junge Frau sah sie scharf, bevor alles schwarz wurde und sie umkippte.
Wasser wurde über Hanas Gesicht gekippt und floss über ihren gesamten Körper.
„Sie ist wieder wach“, eine unbekannte Stimme wie aus der Ferne sprach zu ihr, bevor sich ein Gesicht erkennbar machte. Eine Krankenschwester hielt sie im Arm, schüttelte sie ein wenig und hielt sie unter das Wasser, welches aus den dreckigen Duschköpfen kam.
„Na, endlich...“, hinter ihr stand eine weitere, die jedoch nur die Arme verschränkt hatte und ungeduldig auf Hana schaute, bevor sie sich wieder ab wand und aus dem kargen Raum verschwand.
„Wer... war das?“, noch immer ein wenig müde und erschöpft versuchte Hana selbst zu stehen und ihr Bewusstsein wieder gänzlich zu erlangen. Dabei musterte sie die unbekannte Frau.
Ebenso wie die Schwester, die sie abgeholt hatte, war die Frau jung, schlank und passte perfekt in ihr enges Kostüm hinein. In ihrem Gesicht trug sie viel Schminke, hatte ihre braunen Haare zu einem Dutt nach oben gebunden.
„Das war die Oberschwester“, kurz schaute sie, ob sie nun loslassen konnte, traute es sich dann, fing Hana aber wieder auf, als diese umzukippen drohte. „Sie hat sich wirklich Sorgen um dich gemacht. Jetzt darfst du aber auch nicht reden. Du kennst doch die Regeln?“
„Mmmhm...“, ermahnend schaute sie die Braunhaarige an, versuchte wieder los zu lassen und dieses Mal konnte Hana sich sogar halten.
Es dauerte bis sie sich richtig bewegen konnte, hielt sich vorerst nur an der Duschstange fest, genoss dann jedoch das kühle Nass. Dass sie keine Klamotten an hatte und andere Patienten sie sehen konnte, vergaß sie in der Stille.
Keiner redete in dem Raum, nicht einmal die Schwestern, nur das unnachgiebige Ticken der Uhr war zu vernehmen, jede Sekunde von neuem.
Unbehagen machte sich in ihr breit, ließ sie plötzlich erstarren, als sie die teilnahmslosen Gesichter der Anderen bemerkte. Leblos standen sie da, bewegten sich nicht und starrten in irgendeine Richtung, ohne auch nur zu blinzeln. Ein Schauer kroch über ihren Rücken und trotz des heißen Wassers wurde ihr kalt.
Was ist hier los?
Schnell schüttelte Hana den Kopf, schaute zu den Schwestern. die alle gelangweilt an die Wand gelehnt waren und ihren Blick über die Patienten ruhen ließen. Sie passten auf, dass keiner gegen die Regeln verstieß.
Es war bestimmt alles in Ordnung, vielleicht waren sie nur in Trance von der heißen Dusche, beschäftigten sich in ihren Träumen mit etwas, dachten nach. Was sollte man sonst tun, wenn man nicht reden durfte?
Schnell duschte sich Hana noch ab, drehte dann den Wasserhahn fest zu.
„Geh nicht.“
Überrascht wand sie sich in die Richtung aus der die Stimme kam, doch sie sah Niemanden, außer noch immer tot schauenden Patienten.
„Meine Sinne müssen mich trüben...“, murmelte sie leise, erntete sich damit böse Blicke aus Seiten des Personals. Schnell, um nicht weiter Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, zog sie sich das einfache, weiße Hemd über, machte mit einem Blick der Krankenschwester klar, dass sie fertig wr mit dem Duschen. Mit großen Schritten kam die Krankenschwester, die sie schon vorhin begleitet hatte, auf sie zu, lächelte wieder freundlich, nahm einen Schlüsselbund aus einer kleinen Tasche an ihrer Kleidung und öffnete die Tür hinaus in die Gänge.
„Geh nicht, du wirst nur...“, schnell drehte sich Hana um, versuchte nach der Quelle der Stimme zu suchen, doch bevor sie ausreden konnte, schloss die Krankenschwester die Tür.
„Ist irgendwas?“, noch immer lächelte sie, schaute Hana besorgt, doch weiterhin fröhlich an.
„Nein... nichts... Ich habe mir nur eingebildet was zu hören.“
„Das passiert jedem doch mal. Komm mit, ich begleite dich zurück in dein Zimmer.“
Der Weg kam ihr doppelt so lang vor, als es der Hinweg schon war. Immer ging es gerade aus, vorbei an den selben Flecken wie sie gegangen sind, vorbei an den Lampen, die über ihnen hingen. Am Ende des Ganges war eine Metalltür zu sehen, an der ein Schild mit der Aufschrift „Notausgang für Personal“, doch statt durch diese zu gehen, öffnete die Schwester die einzige Tür links. Schnell erkannte Hana ihr Zimmer dahinter und trat hinein.
Wenn sie brav sein würde, würde sie schneller entlassen werden.
„Abendessen gibt es um 19 Uhr. Dr. Turner wird zusammen mit dir zum Speisesaal geben und dich vorher zu einem Gespräch um 18 Uhr abholen“, lächelnd schloss sie die Tür hinter sich.
Wieder war Hana alleine in dem elenden Zimmer, ließ sich auf das Bett fallen und die Zeit verstreichen. Was blieb ihr auch anderes übrig?
„Und wie ist ihr erster Eindruck von ihr?“
„Mmmhm... sehr talentiert, sie lernt schnell.“
„Inwiefern schnell? Hat sie etwa schon die ersten Anzeichen gegeben?“
„Ja, sie reagierte auf leichte Impulse von Außen so wie wir es gehofft haben.“
„Schön, schön...“, eine kurze Pause, in der alle erwartungsvoll auf ihn schauten, „wenn wir das Projekt jetzt noch weiter treiben, sind wir schon kurz vor Beendigung. Bei dem Tempo sollte es nur noch ein bis zwei Jahre dauern nicht länger und wenn erst der Zeitpunkt gekommen ist, wo wir mit unseren Ergebnissen an die Öffentlichkeit gehen, steht uns der Nobelpreis sicher.“ Applaus der anderen unterbrachen ihn kurz, doch als er sich kurz räusperte herrschte wieder Stille und alle Blicke waren auf ihn gerichtet.
„Wie ich schon sagte, wäre uns der Nobelpreis sicher, schon jetzt wenn ich ehrlich sein mag, jedoch möchte ich noch weiter forschen, alleine für uns, damit wir noch mehr Erkenntnisse ziehen können und uns kein anderer zuvor kommen kann. Das Gehirn des Menschen ist ausgeprägt und eine wundervolle Erfindung, jedoch ist es schon lange bekannt, dass er nicht seine gesamte Kapazität ausnutzen kann, was nun, wenn wir den Menschen die Möglichkeit geben auch die restlichen Bestandteile zu benutzen?“ Eine Frau neben ihm schaute ihn erschrocken an, schien dabei nachzudenken, bevor sich ihre versteifte Haltung wieder lockerte uns sie lächelte.
„Ich möchte großes Vollbringen, den Menschen helfen und wäre das nicht eine Hilfe? Deswegen bitte ich euch auch weiterhin nichts von unseren Projekten und Experimenten zu erzählen, auch sie alle werden eine Belohnung bekommen, sobald wir soweit sind an die Öffentlichkeit zu treten, auch mit anderen, neuen Erkenntnissen.“
Wieder applaudierten die Anderen, stimmten ihm zu, klopften ihm auf die Schulter und verließen nach und nach den Besprechungsraum. Als er alleine zurück blieb, sich wieder seinen Aufzeichnungen widmete, klopfte es an der Tür.
„Herein?“
Eine junge Frau lugte vorsichtig rein. „Doktor? Wie sie es gewünscht haben, habe ich Frau Takashima ausgerichtet, dass sie um 18 Uhr zu ihr kommen würden, um mit ihr zu sprechen...“, ängstlich schaute sie in den Raum, wartete auf eine Reaktion des Arztes.
„Hervorragend. Sie können dann gehen und Feierabend machen.“ Kurz schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen, doch sie zwang sich dazu weiterhin ernst zu schauen, nickte dem Arzt höflich zu und verschwand wieder.
„Wenn es stimmt, dann sollte sie ideal sein.“
Lange lag Hana einfach da, genoss eine Weile die Stille, bevor sie sie in den Wahnsinn trieb. Dabei starrte sie immer auf die Wand, versuchte die Raufasern auf der Tapete zu zählen, kam jedoch immer durcheinander und musste von vorne beginnen.
„Ach, fuck...“, leise fluchte sie in sich hinein, rollte sich auf dem harten Bett ein und versuchte ein wenig zu dösen. „Noch 'ne ganze Stunde... Ich dreh' hier noch durch... Hab'n die nich' wenigstens 'n Buch oder so hier?“ Genervt drückte sie ihr Gesicht ins Kissen, dachte, ohne es selbst zu wollen, darüber nach, warum sie hier war. Die Lampe an der Decke flackerte unaufhörlich, nahm ihr jegliches Zeitgefühl, ob es nun Tag oder Nacht war. Aber was spielte das für eine Rolle?
„Wieso hast' mich hier her geschickt Mom?“, aus ihrer Stimme war deutlich die Trauer zu hören, salzige Tränen trockneten in dem kratzigen Stoff des Bettbezugs. Egal wie sie es drehte und wendete, sie kam zu keinen Punkt, fand keine Antwort auf die Frage.
Wieso?
Leise drehte sie sich wieder auf den Rücken, versuchte sich wieder zu beherrschen. Der Arzt würde gleich kommen, vielleicht würde er ihr auch gleich ein paar Fragen beantworten?
„Du wirst keine Antwort bekommen, vergiss es. Er antwortet nie auf Fragen.“
Erschrocken sprang Hana auf, blickte sich um, suchte nach der Quelle der Stimme. Es war die Selbe wie im Duschraum und dies bildete sie sich nun wirklich nicht ein.
„Wer... bist du?“, Angst schwang mit, die Stimme zitterte, während Hana noch immer alles im Raum mit ihren Augen absuchte.
Die Lampe begann stärker zu flackern.
„Du kannst nicht mit mir reden. Du kannst mir nur zuhören. Ich... verstehe dich noch nicht richtig, nur einzelne Fragmente. Aber das kommt schon noch, du musst nur warten“, jetzt wo sich Hana mehr auf die Stimme konzentrierte, erkannte sie, dass es eine männliche Stimme war, warm, angenehm zu hören. Langsam beruhigte sie sich, war das die Kraft der Stimme?, während er weiter redete.
„Alles nur Halluzinationen... Ich muss den Arzt später danach fragen“, in dem sie sich das Kissen über den Kopf legte, versuchte sie die Stimme auszublenden, versuchte sich einzureden nicht verrückt zu sein, doch die Stimme wurde nicht leiser. Sie konnte sich ihr nicht verschließen.
„Du wirst mir nicht glauben, du wirst denken, du bist verrückt, ich kann es verstehen. Ich musste es auch durchmachen, musste das alles durchmachen, aber... dem ist nicht so. Du bist normal, zumindest nicht minder normal, als die meisten Menschen auf dieser Welt. Genauso normal wie ich.“
Je länger er redete, desto weniger sträubte sie sich vor ihr, gab auf, hörte neugierig zu.
„Versuch nicht mit dem Arzt über unser Gespräch zu reden, glaub mir, es ist besser so. Du wirst so oder so keine Antworten bekommen, stattdessen etwas, was du dir nicht wünschst. Was sich Niemand wünscht. Du musst...“, kurz stockte die Stimme, ein kurzer Fluch war zu vernehmen, bevor er hastig fort fuhr, „Ich muss aufhören! Hör am besten auf das, was ich dir gesagt habe.“
Und dann herrschte wieder die Stille. Nur das Ticken der Uhr war zu hören, nun lauter als zuvor, dann Schritte vor der Tür und mit lautem Quietschen wurde sie geöffnet. Im Türrahmen stand wieder der selbe Arzt, der sie am morgen, in das Zimmer gebracht hatte.
„Guten Morgen Fräulein Takashi“, seine Stimme klang angenehm, freundlich, anders als bei ihrer ersten Begegnung. Dennoch stockte sie, schaute ihn misstrauisch an, ließ es aber bleiben und verfiel in ihre gewohnte Gleichgültigkeit gegenüber anderen.
„Ich wollte dich besuchen, um mit dir ein wenig zu reden. Willst du nicht mit mir in mein Arbeitszimmer gehen? Da ist es viel gemütlicher und angenehmer als“, kurz schaute er sich um, schüttelte fast schon angewidert den Kopf, „hier...“
Sofort machte er ihr klar, dass ihr keine andere Wahl blieb, weswegen sie einfach nickte, vom Bett aufstieg und ihm Barfuß durch die endlosen Gänge folgte. Wieder dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis sie der ersten Tür begegneten, die der Doktor mit einem Schlüssel auf schloss und Hana die Tür aufhielt. „Geh ruhig vor, ich komme gleich nach. Schau dich ruhig ein wenig um.“ Dann wand er sich von ihr ab, ging den Gang wieder zurück.
Kurz schaute Hana ihm noch nach, zuckte dann jedoch mit ihren knochigen Schulter und betrat sein Arbeitszimmer. Hinter sich schloss sie behutsam die Tür, bevor sie sich der Erkundung des Zimmers widmete.
Es war still, vollkommen still und nichts störte ihn als er sich ihr näherte, zu ihr ins Bett kroch und sich an ihrem Körper wärmte. Sie war weich, sie war so warm, warm... Sein Herz wurde von der angenehmen Wärme umschlungen, wärmte ihn von innen, während er seinen Körper an ihren drückte.
Doch egal was geschah, was er mit ihr machte und tat, sie erwachte nicht, gab keinen Laut von sich. Als wenn sie gefangen wäre in ihrem Inneren, nicht mehr hinaus kommen könnte.
„Weißt du wie schön du bist?“ Mit seinem Handrücken strich er über ihre Wange, umschlang sie mit seinen Armen, um mehr von ihrem Körper an seinem zu spüren.
Irgendwann drang sein Blick an die Uhr, Wehmut machte sich in seinem Blick breit, bevor er sich wieder zurück zog, dem Mädchen noch einen letzten Kuss gab.
„Es ist Zeit für mich zu gehen mein Darling. Du wirst nie verstehen können, wie schön du bist...“
Ganz leise schloss er hinter sich die Tür, drückte sie zu und nichts von ihm blieb zurück. Nur ein seltsames Gefühl, welches das Mädchen aus ihrem tiefen Schlaf riss, ihr einen Schrei entlockte.
Es war, als wäre er nie da gewesen und doch noch immer anwesend.
Das Zimmer sah wie ein normales Arbeitszimmer aus, auch wenn ein wenig dunkel. In der Mitte war ein Tisch, auf dem aller mögliche Kram zu sehen war. Tausende Zettel, Stifte, Aufzeichnungen, die sie nicht verstand, einige Fotos, wo der Arzt zusammen mit einer Frau abgebildet war.
„Wahrscheinlich seine Frau“, eines der Fotos nahm sie in die Hand, betrachtete es von nahem. „Sie sehen glücklich aus“, stellte sie überrascht fest.
An den Wänden waren überall Regale aufgestellt, die mit Büchern voll gestopft waren. Alle möglichen Arten von Büchern. Fachliteratur, Medizinbücher, Technik, Bücher mit religiösen Inhalten, auch normale Romane konnte sie entdecken in dem Wirrwarr, der in den Regalen herrschte.
Als sie sich alles ihr wichtig erscheinende angeschaut hatte, setzte sie sich in den Sessel, der vor dem Tisch stand. Es war ein großer Ledersessel, der ein wenig nachgab, sobald sie sich hinsetzte.
Kaum hatte sie es sich gemütlich gemacht und sich vorgenommen ein wenig zu dösen, öffnete sich die Tür wieder und der Arzt kam eilig in den Raum geeilt.
„Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat“, ein wenig außer Atem setzte er sich schnell auf den Platz ihr gegenüber hin, kritzelte ein wenig auf die Rückseite eines schon beschriebenen Stück Papiers, bevor er sich ihr widmete.
„Also. Du und ich werden jetzt ein Gespräch führen. Wegen der Zeit musst du dir keine Sorgen machen, wenn es länger dauert, und das befürchte ich, bekommst du auch später noch dein Abendessen.“ So freundlich wie es ihm möglich schien, lächelte er sie an, doch sie sah es nicht. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass in der Zeit, wo sie sich im Raum umgeschaut hatte schon eine weitere Stunde vergangen ist. Die Zeit schien mal schneller mal langsamer zu vergehen als es ihr lieb war.
„Ja, ja. Aber dann hören sie auch auf mich bei meinem Nachnamen zu nennen“, erwiderte sie nur kurz in einem gleich bleibendem Ton.
„Kein Problem“, wieder schrieb er sich etwas auf, richtete seine Brille und wand sich an sie.
„Dann fangen wir doch einmal an.“