Desillusionen
Über der Stadt hingen schwere Wolken, und entluden ihren nasskalten Inhalt über graue
Häuserschluchten. Alte Gebäude aus längst vergangenen Tagen trotzten stolz restauriert und stur
den Wassermassen, und sicherten sich ihren Platz in der nicht mehr zu ihrer Zeit gehörenden
Gegenwart.
Autos rasten mit fremdartig monotonen und leisen surrenden Geräuschen auf den modernen
Verkehrsleitsystemen herum, und es war als würden sie sich nicht ganz entscheiden können, wohin
sie eigentlich fuhren. Der große Fluss, der sich mitten durch die alte Stadt zog floss schnurgerade
und fast ohne Wellen dahin, nur die Tropfen des fallenden Regens wühlten seine Oberfläche auf,
und brachten ein wenig unkontrollierte Bewegung in sein viel zu kontrolliertes Wesen.
Große runde bunte Scheiben flossen auf den Strassen dahin, darunter befanden sich Menschen.
Manche fluchten über das Wetter, manche blieben einfach stumm, und senkten desinteressiert den
Kopf, während sie den Griff ihrer Regenschirme umklammerten, und mit missmutigem Blick und
fast ebenso langweiligen kontrollierten Bewegungen ihrer Wege gingen.
Eine Gestalt jedoch trotzte dem Regen ohne dazugehörigem Schutzutensil, und ging, die Hände
weit in den langen schwarzen, nass glänzenden Ledermantel geschoben, an dem langweilig
begradigten Fluss entlang. An seinen Bewegungen war irgendetwas anders, sie fühlten sich
irgendwie nicht wie die der an ihm vorbeitrabenden, und ab und zu murrenden Masse an. Wäre man
gezwungen gewesen, sie in Farben zu beschreiben, hätte man unweigerlich zu dem Schluss
kommen müssen, dass diese interessante Gestalt sicherlich eine recht orange Art zu gehen gehabt
hatte, während man sich gemüßigt gesehen hätte, die anderen mit einem faaden Graublau
abzukanzeln.
Die orange Gestalt besaß schwarze kurze Haare, die durch das fehlen des Regenschirms, und des
daraus resultierenden klatschnassen Ambientes in Strähen an seinen Kopf gelegen hätten, wären sie
nicht in Ermangelung ausreichender Länge fast senkrecht von selbigem gestanden.
Er passierte eine Brücke die sich wie eine Naht über den Fluss spannte, ohne die er sich womöglich
wieder zu seiner ürsprünglichen Form ausgedehnt hätte, und wich mit geistesabwesender
Gleichgültigkeit einigen Passanten aus, die ihn abschätzend betrachteten. Er wartete nicht darauf,
bis der arrogante Blick in den Gesichtern ihm zeigte, dass die anstrengende Suche nach der
richtigen Schublade Früchte getragen hatte, und setze seinen Weg durch den regnerischen
Nachmittag fort.
Der junge, für manche Augen möglicherweise recht gutaussehende ,orange und durchnässte
Mantelträger war wie jede der sich verzweifelt vor den Wassertropfen schützenden Gestalten nur
ein kleiner Tropfen im bedächtig und zäh dahinfliessenden Fluss der Dinge. Jedoch werden Tropfen
zu Bächen, zu Flüssen und Wasserfällen. Zu Kristallen und Lawinen, wenn das Schicksal seinen
Teil dazu beiträgt.
„Scheisswetter. Das Wort des Tages.“,
dachte Salem, als er langsam und missmutig am Ufer der Salzach Richtung Staatsbrücke ging. Seit
dem Einsturz im Jahre 2156 und dem nachfolgenden Wiederaufbau hatte dieser Übergang
irgendwie seine Wichtigkeit verloren. Nach der Begradigung des Flusses, und der Verlegung der
Solstufe an den jetzigen Stadtrand war auch Platz für größere Brücken gewesen. Salem war dies nur
recht, denn auf dem alten Steg stand er gerne, schaute über die immer weniger werdenen alten
Gebäude, die immer noch im Kern der Stadt standen, und wunderte sich über die Dummheit
mancher Leute. Er wunderte sich gern über Dummheit anderer Leute. Im Prinzip war das nach
den japanisch-österreichischen Übersetzungen,mit deren Anfertigung er sich seinen Lebensunterhalt
mehr schlecht als Recht verdiente, seine Lieblingsbeschäftigung. In letzter Zeit waren das aber fast
nur noch irgendwelche Hentai Mangas die man sich aufgrund des offensichtlich drastisch
angestiegenen Bedürfnisses nach exzessiver Perversion fast nicht mehr ansehen konnte. Im letzten
Monat waren wohl die meisten von ihm übersetzten Wörter Variationen von Bezeichnungen für
Geschlechtsteile und abartige Sexpraktiken gewesen. Salem kratzte das wenig. Er bekam seine
Aufträge, und machte was man ihm auftrug. Vorausgesetzt man bezahlte dafür auch ordentlich,
denn seit den fehlgeschlagenen Klonprogrammen der japanischen Regierung gab es nur mehr
wenige japanischstämmige Übersetzer, und die waren alle zusammen sehr sonderbar.....
So sonderbar, dass man sich immer besser fühlte, je mehr Raum man zwischen sich und deren
verquere Sicht der Welt brachte. Manchmal fühlte sich Salem im Gespräch mit einem der in
Salzburg arbeitenden Asiaten an einen Klassiker der Filmgeschichte erinnert... Es ging um ein
Raumschiff, und eine Rasse die sich Borg nannten... doch er wusste es nicht mehr genau.
Langsam ging er den leichten Anstieg hinauf, und lies seinen Blick über die Linzer Gasse und die
neue Antigrav Plattform schweifen, die jetzt über dem Platzl schwebte, und auf die man wegen dem
vermehrten Verkehrsaufkommen die ortsansässigen Geschäfte verlegt hatte. Das pulsierende
Summen der in den Boden des Platzes eingelassenen Generatoren, die die Plattform an ihrem Platz
hielten, wirkte immer sonderbar beruhigend, sofern man nicht daran dachte dass ein einziger dieser
Ungetüme in einer Stunde soviel Energie verbrauchte, wie ganz Wien am Ende des 20. Jahrhunderts
in einer Woche.
„Andererseits hätten die neuen Tamsweger Kaltfusionskraftwerke sonst ja auch zuwenig zu tun...“,
dachte er gehässig, und stieg die paar Stufen zum Platzl hinauf, um dann rechts auf die angesteuerte
Brücke einzubiegen. Wenn er daran dachte, dass diese Kraftwerke, diese „Eurofighter“, 60% des
Haushaltsbudgets der nächsten 10 Jahre verschlangen wurde ihm immer noch schlecht. Warum man
solch eine vollkommen sinnlose Investition „Eurofighter“ nannte wusste er nicht, das hatte wohl
mit wenig erfreulichen Ereignissen vor seiner Zeit zu tun.
Den Kopf schüttelnd, um die depremierenden Gedanken beiseite zu wischen, betrat er die Brücke,
und sein Gemüt hellte sich ein wenig weiter auf, je weiter er sich der Mitte des großen Überganges
näherte. Das Summen hinter ihm verklang immer mehr, und verschwand schlieslich in den
Geräuschen der Autos, dem Klackern von Absätzen auf hartem Plasphalt, und dem Raunen der
Menschen, die sich über für ihn belanglose Dinge unterhielten während sie für ihn belanglosen
Orten zustrebten. Er stellte sich ans Geländer, und starrte auf den ruhig und wellenlos unter ihm
dahinfliessenden Fluss. „Wellenlos...Willenlos wäre wohl der Bessere Ausdruck dafür.“, überlegte
er sarkastisch schmunzelnd... „Und willenlos wie immer trieb er dahin, bis zu seinem Ende...“
„Was für ein beschissener Alltag.“ sagte er laut, und trat eine kleine Resoplast Verpackung von der
Brücke in den Fluss, die platschend in das trübe graugrüne Wasser fiel und sofort versank.