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Alabasta no Suna Oasis

アラバスタの砂·オアシス
von

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Wieder in Arbana

Lautes Pferdewiehern. Die Menschen fanden sich am Ortsrand der Oase Yuba zusammen, als Kebi aufgewühlt von dem Tier sprang. Er schnaufte.

„Nichts?“, hakte Bürgermeister Toto mit schwindender Erwartung nach.

„Nichts“, bestätigte Kebi, und mehr brauchte er nicht zu sagen. Verärgerte Enttäuschung machte sich breit.

Davon unbetroffen, spreizte Toto die Arme. „Beruhigt euch wieder, meine Freunde. Es ist alles in Ordnung.“

„Nichts ist in Ordnung!“, widersprach der Getreue seines Sohnes, und einige Yubaner nickten zustimmend. „Er krallt sich unseren Proviant, unser Geld, unsere Werkzeuge! Er schreckt vor den Frauen und Kindern nicht zurück und verängstigt die Tiere! Ich kann nicht einfach bloß zusehen und ihm das durchgehen lassen!“

„Vielleicht müssen wir ihm nur mal beweisen, dass jeder in Yuba willkommen ist“, meinte der Alte optimistisch. „Warum laden wir ihn nicht einfach zum Abendessen ein?“

Nicht zum ersten Mal blinzelte Kebi diesen manchmal unglaublichen Menschen mit hoffnungslosem Mitleid an. „Ist das dein Ernst?“

„Was schlägst du vor?“, wollte Okame wissen, die sich durch die Versammelten zu ihnen geschoben hatte.

„Die Aufsicht verstärken. Fallen überprüfen und überhaupt stets wachsam sein. Er kann nicht ewig davonlaufen. Das nächste Mal mache ich Ernst.“

Er hörte Toto seufzen. „Wir sind doch eine Gemeinschaft. Wenn jemand etwas haben will, so sollen wir es ihm geben.“

„Manche wollen aber nicht nur "etwas", Onkel Toto“, suchte Kebi ihn zu belehren, „manche wollen gleich alles. So sind Menschen nun mal!“

„Machen wir uns an die Arbeit!“, rief jemand aus einer hinteren Reihe.

„Ja!“, pflichtete ihm eine Frau bei. „Bauen wir neue Fallen auf!“

Und selbst die Kinder waren beflügelt, Yuba zu verteidigen. So schnell sie sich gebildet hatte, strömte die Menge nun auch wieder auseinander, bis allein drei noch an Ort und Stelle verweilten.

Seufzend stemmte der junge Mann mit der Fliegerbrille seine Hände an die Hüfte und starrte zum nordöstlichen Horizont. In der brütend heißen Ferne verschwamm die Linie der Dünen nahezu mit dem hellen Himmel. Irgendwo weit dahinter ragte die Hauptstadt Arbana aus dem Sand. „Hoffentlich kommt Leader bald zurück.“

Okame hob die Augenbrauen. „Leader? Wieso?“

Die beiden waren nur kurz in Yuba eingekehrt. Corsa hatte seine Wunde behandeln lassen und war anschließend sofort an Vivis Seite abgereist, weswegen Kebi nicht einmal zu ihm durchgekommen war, geschweige denn ein Wort mit ihm gewechselt hatte.

„Wir brauchen ihn hier. Ich habe das Gefühl, die Leute sind sich unsicher, wenn er ihnen nicht sagt, was sie zu tun haben.“ Als sie nichts erwiderte, wurde er deutlicher: „Er hat diese Art an sich, die die Menschen mitreißt! So wie damals, weißt du noch? Die Wüstenkids! Die Rebellenarmee! Er braucht nur den Arm in die Luft zu heben, und schon stehen alle hinter ihm! Aber wenn er nicht da ist…“

Sie verstand. Jedoch mehr als er beabsichtigt hatte. Amüsiert lachte sie auf. „Kebi! Du entwickelst doch nicht etwa einen Minderwertigkeitskomplex?“

„Hä?“ Verwirrt darüber, wie sie von ihrem Anführer plötzlich auf ihn kam, schaute er sie endlich direkt an, und sie meinte, dass er lange nicht mehr so ehrlich ausgesehen hatte wie in diesem Augenblick.

„Auch du stellst dich stets hinter Leader… Allerdings jedes Mal in seinen Schatten. Du bist geblendet von seinen Stärken und davon überzeugt, dass du nicht an ihn heranreichst – aber Kebi?“

Toto wandte sich an dieser Stelle zum Gehen. Viel gab es heute wieder zu tun, und er brauchte nicht zu spannen, um zu wissen, was sich die beiden jungen Menschen noch erzählen würden. Mit einem nichts bereuenden Schmunzeln entsann er sich ferner, äußerst pläsierlicher Jahre und dachte an seine Aswa.

„Du bist nur schwach und bedeutungslos, solange du dich selbst dafür hältst!“

„Wow. Danke, Okame, für dieses überrumpelnde Lob aus deinem Mund.“

Sie ließ sich nicht ablenken: „Doch dazu hast du gar keinen Grund! Ich behaupte sogar, dass du Leader würdig vertrittst. Die Rebellion hat auch auf dich Einfluss genommen… und dich stärker wie reifer gemacht.“

Doch Kebi war nicht bereit, die gezollte Anerkennung so simpel auf sich sitzen zu lassen: „Aber ich habe ihn angelogen! Ich habe meinen besten Freund betrogen und sogar Onkel Toto entführt! Hast du das schon vergessen? Und das alles nur, weil ich blind war vor Liebe zu einem Menschen, den ich nicht mal wirklich gekannt habe! Keine Ahnung, ob Leader mir das jemals entschuldigen kann…“

„Jeder macht Fehler“, hielt die junge Frau bestimmt dagegen, „und Leader weiß das. Außerdem bin ich mir absolut sicher, dass das keine Liebe war.“

„Keine Liebe? Was denn sonst? Klar war das welche…“

Okame schüttelte den Kopf. „Das glaubst du, aber in Wahrheit hast du dich bloß nach der Aufmerksamkeit gesehnt, die sie dir entgegengebracht hat. Sie hat dich gesehen – mehr in dir, als du bist – und deshalb hattest du Panik, ihre vermeintliche Gunst zu verlieren. Nichts mit Liebe!“

Er hielt an seiner Skepsis fest, doch zumindest wurde der Griff daran lockerer. „Woher weißt du das alles?“

„Hey! Ich kenn’ dich jetzt schon ewig! Du warst wie ein kleiner Bruder für mich.“

Kebi war davon überzeugt, dass sie wenigstens gleich alt waren, wenn er nicht gar älter. „"Warst"? Und jetzt bin ich es nicht mehr oder was?“

„Du bist kein Kind mehr, Kebi. Außerdem will ich nicht, dass du mein Bruder bist…“ Ehe er nachhaken konnte, schwang sie ihm ihren Arm um die Schultern. „Akzeptieren wir die Sache einfach! Onkel Toto hat sie dir ja auch schon vergeben. Was hältst du davon, hm? Wir haben doch noch was vor, wenn wir diesen Arsch von einem Dieb endlich kriegen wollen! Leader soll doch stolz auf uns sein, wenn er zurückkommt, oder?“

Er zog eine resignierende Grimasse. „Wenn er überhaupt zurückkommt. Ihm scheint’s im Palast zu gefallen, und ich bezweifle, dass das an der Architektur liegt…“

Das Gespräch endete hier für heimliche Zuhörer, da die beiden sich umschlungen entfernten. Es ist anzunehmen, dass Kebi hiernach seine langjährige Kameradin Okame auf einmal mit ganz anderen Augen sah. Aber das ist eine andere Geschichte.
 

Nachdem sie in noch nächtlichen Morgenstunden hundemüde ins Bett gefallen war, wachte Prinzessin Vivi am folgenden Vormittag voller Tatendrang auf. Die Sonnenstrahlen berührten sämtliche Winkel ihres Gemachs und ließen jene Partikel, die in ihnen umherschwebten, glitzern wie winzige Sterne des Tages. Die künftige Königin Alabastas erlaubte sich, noch einmal die Augen zu schließen, um aus diesem vielversprechenden Moment zusätzliche Energie für die bevorstehende Prüfung zu tanken, als etwas das Licht jenseits ihrer gesunkenen Lider abschirmte. Ein Schatten. Ein extrem tiefer Schatten, der sich über sie legte – über ihren Körper, ihr Gesicht. Mit eisiger Furcht schlug sie die Augen auf. Was sie entdeckte, ließ sie einen spitzen Schrei ausstoßen und an die Wand unter dem Baldachin zurückschrecken! Dort zog sie die Beine an und die Decke hoch, um ihr fließend leichtes Negligé darunter zu verbergen.

„Weshalb schläfst du mit dem Kopf am Fußende…?“

„WAS MACHST DU IN MEINEM SCHLAFZIMMER?!“, echauffierte sie sich, ohne seine Frage zu beantworten, nachdem sie Corsa als eben den erkannt hatte. Wie lange mochte er schon hier sein, fragte sie sich, und hatte er sie womöglich schnarchen gehört? Oh Gott, das wäre katastrophal!

Er hob entwaffnend die Hände. „Beruhige dich, Vivi.“

Es gelang ihr gerade noch. Sie ließ die fünf Kissen, mit denen sie sich mittlerweile für die erwartete Schlacht gewappnet hatte, allmählich sinken, bemerkte nebenbei, dass er bereits tipptopp hergerichtet war – in jener weißen Uniform, die ihm – zugegeben – ausgezeichnet stand – und bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. „Du solltest doch schlafen!“

„Das habe ich ja“, entgegnete er.

„Wie lange? Zehn Minuten?“

„Ich sagte doch, dass wir uns heute Morgen sehen werden.“

„Nein, Leader – du hast gefragt, und ich habe geantwortet, dass ich wohl noch viel zu tun habe.“

„Viel zu tun? Eher lange zu schlafen.“ Ein warmes Lächeln akkompagnierte seinen schon herausfordernden Ton, und bald belohnte sie ihn mit einem schüchternen Gelächter, in das er mit einstimmte. Sie war erleichtert, ihn so guter Dinge zu erleben. Die Schnitte durch Miss Easterbunnys Dolche waren zwar versorgt worden, doch der Blutverlust zeichnete sein Gesicht selbst noch unter der dick aufgetragenen Kosmetik. Trotz des sicher unangenehmen Rittes hatte er sich nicht davon abbringen lassen, sie nach Arbana zu begleiten. Offensichtlich wusste er genau, was für die Königsfamilie auf dem Spiel stand, und nahm die Audienz mit den Sachverständigen entsprechend ernst.

„Leader. Du bist so ruhig. Bist du gar nicht aufgeregt?“

„Möchtest du mir einen Anlass dazu geben?“

Sie verneinte, verschwieg ihm aber nicht, dass sie selbst noch etwas Unsicherheit empfand.

„Damals kanntest du doch auch keine Scheu, als du die Rebellion aufgehalten hast“, versuchte er sie zu ermutigen. „Du hast dich zwischen die tobenden Fronten gestellt, mit einem der Sieben Samurai angelegt und dich in seine Mafia geschleust. Wie oft hätte dir etwas Schlimmes passieren können? Und wie wahrscheinlich ist es, dass dieses Treffen heute auch nur annähernd so gefährlich wird wie irgendeine deiner mutigen Taten?“

„Mein Ziel war es, die Rebellion zu stoppen, bevor sie eskaliert.“ Ihr Haupt wurde auf einmal so schwer, dass sie es hängen lassen musste. „Viele Menschen sind gestorben, ehe ich zurück in Alabasta war. Gestorben mit dem Gedanken, dass ihr König sie im Stich gelassen hat.“

Corsa legte eine resolute Hand an ihr Kinn und hob es wieder an. „Das stimmt nicht. Ich habe viele dieser Menschen sterben sehen, und kein einziger von ihnen zweifelte im Augenblick seines Todes an dem König oder der Prinzessin.“

Sie beäugte die Farbe seiner Iriden. „Ich wünschte so sehr, ich könnte dir das glauben, Leader.“

„Du kannst es sogar sehen“, erwiderte er zuversichtlich. „Deine unbeugsame Hoffnung hat die Leute angesteckt. Weil du nicht aufgegeben und an den Frieden geglaubt hast, arbeiten die Menschen jetzt wieder.“

Sie erinnerte sich an den positiven Eindruck, den sie von der einst verwüsteten Oase Yuba gewonnen hatte.

„Das ist dein Volk, Vivi. Es steht hinter dir. Selbst wenn heute alles daneben geht. Vertrau Alabasta und sei, wie du bist – denn das repräsentiert wiederum dein Land. Und ich weiß, dass niemand es besser vertreten könnte als du.“

Sacht glitten seine Finger von ihrem Gesicht, das nun in seiner aufrechten Position verblieb.

„Und jetzt: Lächelt, Eure Hoheit. Denn mit Eurem Lächeln habt Ihr zumindest die Hälfte dieser Herausforderung bereits für Euch entschieden.“

„Corsa…“ Sie war gerührt von seinen Worten. So gerührt, dass sie schon wieder jene gewisse Enge in ihrem Hals verspürte, welche für gewöhnlich ihren Tränen vorausging. Gerade wollte sie sich bedanken, da klopfte es energisch, und der nächste Besucher stapfte in ihr Privatgemach.

„Öchö, öchö. Mi-mi-mi-miiiiiiiiii!“ Es war der königliche Berater, Igaram, doch als er den unpassenden Zeitpunkt seines Auftrittes zur Notiz nahm, drehte er sich flugs um. „Bitte verzeiht, Prinzessin! Ich wollte Euch keineswegs irgendwobei unterbrechen!“

„Ist schon in Ordnung, Igaram! Ich stehe jetzt sowieso auf.“

Selbstbewusst wandte er sich ihnen wieder zu. „Gut, das zu hören, Vivi, denn die Zeit läuft dir davon. Du musst dich baden und ankleiden; wir haben die Herren ja wohl lange genug warten lassen!“

„Das ist wahr“, gab sie betreten zu, obwohl sie für den aufhaltenden Zwischenfall nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte.

Corsa erhob sich von der Bettkante. „Wir sehen uns später.“

An den Türen begegnete er jedoch der imposanten Erscheinung König Kobras, welcher seinem geplanten Vize-Heerführer ein joviales Lächeln schenkte. „Sieh an, sieh an: Noch ehe die Finger der Sonne Alabastas an es reichen, ist mein liebes Kind schon vereint mit seinem trauten Beistand.“

Ihr seid Eurer Tochter doch bereits der "vertraute Beistand", Majestät, oder etwa nicht?“

„Nicht ganz, Corsa. Am Bankett werden drei kultivierte Herren teilnehmen, die streng und allesamt in ihrem jeweiligen Fach spezialisiert sind. Damit Vivi aufgrund dessen nicht allzu nervös wird, muss ich ihr jemanden zur Seite stellen, der wenig, wenn nicht gar überhaupt keine Ahnung von angemessenem Benehmen sowie gutem Ton hat und durch sein Fehlverhalten den Argwohn der Gäste von ihr auf sich zieht. Du bist der Einzige, der mir da eingefallen ist.“

„Ist das Euer Ernst?!“, ereiferte der Gemeinte sich.

König Kobra brach in ein Gelächter aus. „Nein, war nur Spaß!“

„Hat sich aber nicht so angehört“, warf Igaram misstrauisch ein.

Als immer noch niemand mit ihm lachte, fing sich das Staatsoberhaupt prompt wieder. „Was ich damit auszudrücken bezwecke, ist Folgendes: Vivi ist es noch nicht gewohnt, vor ausgebildeten Kritikern zu brillieren. Ich kenne meine bezaubernde Tochter“ – dabei zwinkerte er der Geschmeichelten liebevoll zu – „und vermag mir ohne viel Fantasie vorzustellen, wie ihr Bestreben, alles richtig zu machen, ihren natürlichen Charme beeinträchtigen wird. Darum habe ich dich ausgewählt, Corsa. Vivi und du, ihr kennt euch schon sehr lange, und ich glaube daher – nein – deshalb bin ich überzeugt, dass du der Einzige bist, der ihr in dieser herausfordernden Situation Sicherheit geben kann.“

„Schaffst du das auch?“, fragte die Thronerbin ihren Freund bekümmert. „Du musst es nicht tun, wenn es dir nicht gut geht.“

„Mach dir mal keine Sorgen um mich“, begütigte er sie mit verräterischer Hautfarbe. „Ich werde ja wohl kaum kämpfen müssen.“

„Mit Verlaub“, schaltete sich König Kobra ein. „Bist du verletzt, mein Junge?“

Bevor Vivi bloß ein Wort über die Lippen kam, machte der Gefragte eine den Ernst herunterspielende Kopfbewegung. „Ein geringfügiger Unfall während der Arbeit, weiter nichts. Ihr könnt heute sicher mit mir rechnen.“

Lügner, wollte Vivi sagen. Mein Vater wird dir die Aufgabe schon nicht entziehen, wenn du es einfach zugibst. Sie hätte es auch gesagt. Aber in diesem Moment schob er sich bereits an Terrakotta vorbei, die nicht folgenlos erzürnt über die beiden Alten im Zimmer der Prinzessin ihre Arme gegen die Hüfte stemmte.
 

Nicht mehr lange. Endlich entspannt marschierte Prinzessin Vivi durch den Korridor Richtung Konferenzsaal. Ihr in Wellen fließendes, azurblaues Haar trug sie offen, verziert mit einem blitzenden Diadem, und auf den Lippen ein mutvolles Lächeln. Chopper, Sanji, Lysop, Nami, Zorro, Ruffy… Perlen schmiegten sich rings um ihre Handgelenke, und auch in den Rubinen ihrer Ohrringe reflektierten sich verliebt die Sonnenstrahlen. Der pastellrote Umhang über ihrem gleißend weißen Kleid verlieh ihrem Gang den erstaunlichen Eindruck, sie würde schweben – den Augen der Wachen nach, als wäre sie der Geist Titi Nefeltaris. Seitdem der erste Tropfen Regen vor wenigen Monaten Alabastas Leid ertränkt hatte, hegte sie keine Scham mehr davor, jene kostbaren Stoffe und Geschmeide zu tragen. Dankbar spürte sie die Blicke auf sich, bis die Türflügel hinter ihr zufielen.

Der sich vor ihr erstreckende Saal spiegelte in seinem Stil die friedliche Eleganz des angestrebten Königsduktus wider, welche für den gesamten Palast bezeichnend war. Fehlende Statussymbole ließen viel Raum für einzeln postierte Pflanzen, um zu gedeihen. Hohe Fenster luden das Tageslicht ein, der dezenten Dekoration des Tisches den letzten Schliff zu geben. Ihr Vater sowie Corsa hatten bereits Platz genommen, doch da sie zu ihnen kam, fuhr Letzterer unerwartet auf, um ihr den Stuhl zurückzuziehen. Ein Kichern unterdrückend, setzte Vivi sich.

„Bittet die Gäste herein!“

Die Türen spreizten sich, und die Sachverständigen schritten hindurch. Drei waren es; einer auffallender als der andere – allein das Tragen eines dunklen Anzuges hatten sie untereinander gemein. Der Erste des Trios: Ein gar riesiger, bullenhafter Mann ohne Haare, dessen plattes Konterfei wie aus Stein gehauen schien. Der Dritte bückte sich unter dem Gewicht seines ballonförmigen Leibes; zwei weiße Büschel waren ihm von seinem Haupthaar geblieben, die – an den Schläfen platziert – beinahe aussahen wie kuschelige Ohrenwärmer. In der Mitte schließlich: Freluquet.

König Kobra erhob sich und begrüßte jeden mit einem beherzten Händedruck. Angesichts jener für einen Monarchen ungewöhnlich modernen Geste erhellte sich das Antlitz zwischen den Ohrenschützern. Offensichtlich schaute es nicht nur physisch, sondern ebenso im übertragenen Sinn zu dem Herrscher Alabastas auf. „Darf ich mich vorstellen, Eure Majestät? Mein Name ist Theodore Chubby; ich richte meine Aufmerksamkeit besonders auf die soziale Lage sowie das Wohl Eures Volkes.“

„Glazkov“, klatschte ihnen der Hüne gleichgültig auf den Tisch, sodass Vivi vor Schreck zusammenzuckte. „Verantwortlich für das Urteil über die Pläne zur Reorganisation und Rehabilitation.“

„Eure ehrwürdigen Hoheiten von Alabasta? Junger Bauer? Crétin Freluquet, meines Zeichens nach Fachmann für Wirtschaft und Finanzen.“ Eben dessen Blick legte sich auf die Erscheinung der Thronerbin. „Die Prinzessin und ich hatten bereits das Vergnügen.“

„Und wer ist dieser junge Herr dort, der uns heute mit seiner charmant ungeduldigen Anwesenheit beehrt?“, wollte Theodore Chubby unverhohlen neugierig erfahren und drückte sich über die Platte, um Corsa, der ihm gegenübersaß, genau ins Monokel zu nehmen. Der senkte den Blick. Er fühlte sich hilflos ausgeliefert, seitdem ihm förmlich verboten wurde, die Brille zu tragen.

„Dabei muss es sich wohl um Corsa Kahira von Yuba handeln“, wusste Freluquet.

Chubby betrachtete ihn daraufhin noch eingehender. „"Kahira"? Etwa wie der Sohn von…?!“

König Kobra am Kopf des Tisches schwenkte rasch die großen Hände. „Nein, nein, nein. Corsa kommt von der Oase Yuba im Westen Alabastas. Er ist der Sohn des dortigen Bürgermeisters.“

„Ahhh – das junge und bedeutende Handelskreuz Yuba“, entsann sich der Alte mit den kleinen Schäfchen über den Ohren und rückte endlich wieder zurück. Corsa zupfte an dem engen Kragen seines Uniformrocks und fragte sich, was hier eigentlich geprüft werden sollte!

Floskeln folgten. Um der nach ihr greifenden Anspannung für je Sekunden zu entfliehen, hefteten sich Vivis Augen immer wieder an Corsa, der dies zu spüren schien – denn kaum lugte sie zu ihm, gab er ihr wortlos den Halt, den sie brauchte, indem er ihren Blick fest erwiderte.

„Auf Eure Gesundheit sowie die Eures Landes!“ Chubby hob seinen Kelch, und die anderen stießen mit ihm an. Beim Absenken registrierte Vivi über den Rand des ihren hinweg den herausfordernden Blick, welchen Freluquet ihr über seinen sandte. Er saß ihr gegenüber, weswegen sie gezwungen war, ihn anzuschauen, so sie sich nicht zur Seite abwenden oder das Haupt senken wollte, was sich für eine würdevolle Prinzessin nicht ziemt. Sie hatte mitbekommen, wie er Chubby sogar verdrängt hatte, um jenen Stuhl auf der anderen Seite zu besetzen. Nicht bereit, sich einschüchtern zu lassen, blickte sie ihm wacker in die Rabenaugen, während sie die Trinkgefäße abstellten. Es war bestimmt kein Zufall… Auf der anderen Seite vermochte sie sich nicht vorzustellen, was er damit bezweckte.

Bald jedoch entwickelte sie eine geradezu gruselige Vermutung.

Mit dem Voranschreiten der Konversation – während sie sich bemühte, sich auf die Fragen und Antworten der anderen Prüfer zu konzentrieren – wurden seine Blicke häufiger, intensiver. Sie wollte ihm keine Aufmerksamkeit schenken, aber immer wieder ertappte sie sich dabei, wie sich ihre Augenpaare trafen, was er offenbar zu seinen Gunsten auslegte. Die Konsequenz war, dass es nicht bei diesem nebulösen Kontakt blieb: Stumm schrak Vivi auf, als sie unvermittelt einen Druck auf ihrem Kleid spürte, und verlor keine Zeit, um unter die Tischplatte zu linsen. Was sie dort entdeckte, ließ ihre Augen weit werden – es war das spindeldürre Bein dieses Casanovas an dem ihren!

Der erboste Blick von ihr spornte ihn bloß an. Er hegte sichtliches Gefallen daran, in ihre Privatsphäre zu dringen. Erst da ihr nichts ahnender Vater ihn in das Gespräch verwickelte, schnellte sein Fuß zurück. Vivi blies ihren Atem hinaus. Er würde nicht riskieren, ertappt zu werden, oder etwa doch?

Um den Horror unter dem Tisch verdrängen zu können, wandte sie sich Corsa zu. Zu ihrem Erstaunen führte er aktuell ganz auf sich gestellt eine Diskussion mit Theodore Chubby über die Relevanz Yubas für Alabastas Zukunft, verwendete dabei gehaltvolle Argumente und die Diktion eines ehrlichen Diplomaten. Sein einziges Problem war – und dies schmälerte Vivis Lächeln zunehmend – dass er ständig an den Fragen seines Gesprächspartners vorbeiredete, nur halbherzig auf sie einging, weil er so versessen darauf war, von seiner Heimat zu überzeugen. Hoffentlich ginge das gut… Herr Chubby machte zumindest keinen unzufriedenen Eindruck. Bei Herrn Glazkov konnte sie das schlecht beurteilen, denn der hatte seine Miene seit Ankunft kein einziges Mal verändert.

Ihr Herz machte Sprünge, während sie ihn so reden hörte. Der ehemalige Anführer der Rebellen… Corsa nahm mehr und mehr die Rolle eines yubanischen Botschafters ein, die ihm auch noch zuzusagen schien, und er spielte sie gut. Und sie war mehr denn je inspiriert, es ihm gleichzutun. Gemeinsam hatten sie die Wüstenkids angeführt, gemeinsam ihr geliebtes Land retten wollen, und nun sollten sie es gemeinsam repräsentieren. Sie verspürte ein sonderbares Gefühl im Bauch, wenn sie daran dachte, was sie schon alles zusammen erlebt hatten und was sie noch erleben würden – es war nicht unangenehm. Erstarkt wollte sie sich wieder an der Unterhaltung beteiligen – doch: Ein Druck an ihrem Bein…

Säßen sie nicht inmitten einer wichtigen Konferenz, hätte sie vermutlich laut aufgeschrien, aber sie saßen nun mal in einer. Zornigen Blickes stieß sie den Fuß fort. Freluquet schien dies als kokette Aufforderung zu verstehen und setzte ihn wieder dorthin. Dann eben anders! Unter der Deckung des Tisches stupste sie einen Finger gegen Corsas Ärmel. Er wandte sich von ihrem Vater ab, welcher verbal von Freluquet zu Chubby gewechselt war, und stattdessen ganz ihr zu. Mit minimalen Pupillenbewegungen wies sie auf ihr Gegenüber. Ihr Freund verstand sofort. Unauffällig glitt er mit dem Stuhl wenige Zentimeter zurück, um unter die Platte spähen zu können, und siehe da! Günstigerweise hatte Freluquet eben in diesem Moment die Kralle an seinem langen Arm vorgeschoben. Gespannt beobachtete Corsa deren Aktion, doch da sie sich gerade auf eine Stelle platzieren wollte, an der sie entschieden nichts zu suchen hatte, hatte er genug. „Fass sie nicht an!“, bellte er, begleitet von einem Schlag seiner Hände auf den Tisch, der das Geschirr klappern ließ, ehe er sich hinüberneigte und den schmierigen Typen an dessen bis dahin akkurat liegendem Hemdkragen zu sich zog, sodass der Gutachter seinen heißen Atem auf dem Riechkolben spüren konnte.

„Corsa!“, stieß König Kobra irritiert aus. Natürlich wunderte es die Unbeteiligten, weswegen sich der junge Mann, der sich bisher so vorbildlich verhalten hatte, auf einmal zu solch einer Tat gezwungen sah.

Vivi befand sich in einer Bredouille: Eigentlich wollte sie die Sache aufklären, um Corsas Ehre zu retten und sich selbst vor diesen widerlichen Berührungen. Andererseits würde dies gewiss nur mehr Verwirrung stiften und das ganze Treffen ruinieren.

Corsa war es, der ihr die Entscheidung abnahm. Sein Griff um den Kragen des Schnösels löste sich, sodass dieser erleichtert auf seinen Platz plumpste und sich mit der Serviette den Schweiß von der hohen Stirn tupfen konnte. „Verzeihung…“

Vivi ahnte, dass er sich die Entschuldigung abringen musste. Mit geschlossenen Augen setzte er sich.

Freluquet hingegen sprang sofort auf, nachdem er sich von seinem Schock erholt hatte. „Frechheit! Eure Majestät, das werdet Ihr ihm doch sicher nicht einfach durchgehen lassen! Dieser Junge ist wild und impertinent; er gehört hier nicht her!“

„Er hat seinen Fehler eingesehen und sich entschuldigt“, entgegnete der König stoisch. „Wegen solch einer Lappalie lasse ich ihn doch nicht gleich vor die Türen setzen.“

„Lappalie?“, wiederholte Freluquet und wurde hysterisch. „Das nennt Ihr eine Lappalie?!“

Nefeltari nickte. „Sie haben es doch gehört.“

Er lief scharlachrot an, warf krächzend den Stuhl um, auf dem er gesessen hatte. „Ich bin ein hoher Staatsgast und verlange eine mir angemessene Behandlung!“

Auch Corsa hielt sich da nicht länger zurück: „Eine Ihnen angemessene Behandlung können Sie sofort haben, Sie perverser Snob!“

„Was haben Sie gesaaaagt?!“

„Soll ich’s Ihnen auf eine Teleschnecke sprechen?“

„Jetzt reicht’s!“ Kurzatmig stelzte er Richtung Ausgang. „Glauben Sie mir, meine Herren: Das wird ein Nachspiel haben – ein bitterböses Nachspiel!“

„Wir sind noch nicht fertig!“, rief Corsa und wollte ihm nach, anscheinend direkt über den Tisch, doch Vivi hielt ihn zurück.

„In der Tat!“, pflichtete Freluquet ihm diesbezüglich bei. „Ich werde die Behörde darüber informieren! Dieser ganze Staat ist doch für nichts zu gebrauchen!“

„Moment“, mischte sich da König Kobra ein, der den Zusammenhang zwischen Corsas Verhalten und dem Königreich nicht nachvollzog.

„Seht Euch doch nur um! Ein Rebellenanführer als Landesvertreter, ein König, der dies auch noch bereitwillig duldet und sich nicht einmal behaupten kann! Eure Heeresführer: Irgendwelche… Kreaturen jenseits des Menschenmöglichen! Opfer der Teufelsfrüchte! Und dergleichen stellt Ihr ein als Leibwächter der Prinzessin?!“

„Ich setze vollstes Vertrauen in meine Kommandanten und hatte niemals einen Anlass, das zu bereuen.“

„Spricht der König eines Landes, das sich selbst bekriegt hat?!“

„Der Rebellion lag eine Finte Sir Crocodiles zugrunde!“, fuhr Vivi dazwischen.

„Auch das noch!“ Freluquet lachte verächtlich auf. „Ein blutiger Aufstand – und auch noch umsonst? Was für ein armseliges Land! Was für ein erbärmliches Volk!“

„Lassen Sie das Volk aus dem Spiel“, drohte Corsa. „Wenn hier jemand armselig ist, dann Sie. Sind Beleidigungen das Einzige, was den Bereich hinter Ihrer Stirn füllt?“

Die Aufmerksamkeit des Frackträgers widmete sich nun wieder ihm. „Sie sind derjenige, der die Leute zum Aufstand angestiftet hat, nicht wahr? Schuld an den Toden ungezählter Menschen, welche ihrem Herrscher trotz allem loyal geblieben sind oder Ihnen einfach widersprochen haben, und dennoch sitzen Sie nun hier ungescholten an der Seite der Prinzessin. Wer kann mir dieses Phänomen erklären?“

„Corsa hat sich für die Interessen des Volkes eingesetzt!“, verteidigte Vivi ihn.

„Von welchem Volk sprecht Ihr, Prinzessin? Von dem, das in seinen Häusern ausgeharrt und seine Männer, Väter und Söhne an den Wahn eines blinden Beleidigten verloren hat?!“

Ein Stuhl knarrte, und Chubby richtete sich verlegen auf. „Meine Dame, meine Herren, ich bitte Sie. Kommen Sie zur Vernunft. Das führt uns doch nicht weiter.“

„Sagen Sie das denen!“, echauffierte sein Kollege sich. „Ich setze hier lediglich meine Rechte durch!“

„Schon gut, aber…“

„Nichts "aber"!“

„Aber er hat Recht“, sprach nun König Kobra einen Machtsatz. Mahnend blickte er auf den aufsässigen Beamten sowie auf seinen Schützling Corsa hinab. „Es mag Ihnen schwerfallen, den Tisch mit einem ehemaligen Rebellen zu teilen, doch ich kann Ihnen zu Ihrer Besänftigung versichern, dass der Konflikt zwischen mir und ihm geklärt und beigelegt ist. Sein Motiv war schlicht verzweifelter Natur – und meinen Sie nicht auch, dass jeder Mensch eine weitere Chance verdient hat, insbesondere von seinem König?“

Corsa, der nicht begreifen wollte, weshalb man ihm für seine Taten eine "weitere Chance" hatte geben müssen, zügelte sich angestrengt.

„Ich kenne Ihre Geschichte, Crétin“, fuhr der Regent fort; die Augen des Angesprochenen reagierten auf diese Äußerung. „Es gehört zu meiner Art, jemandem, der seinen Besuch unseres Landes ankündigt, Respekt zu zollen, indem ich mich im Vorfeld über ihn informiere.“

Für Sekunden schien es, als hätte Chubby vor, auf seinem Sitz wie ein Pudding in der Wüste zu zerlaufen.

„Worauf willst du damit hinaus, Vater?“, hakte Vivi nach. Ihr schwante etwas: Sie kannte diesen Kerl. Die Erkenntnis wurde immer klarer.

Kobra ließ etwas Zeit verstreichen. Freluquet warf sein langes Gesicht von einer Seite auf die andere; seine komplette Miene drückte ein einziges "Bitte nicht" aus. Wäre eine andere Wahl von jenem mitleiderregenden Wesen überhaupt zu erwarten gewesen? Der König schloss die Augen. Dass Freluquet trotz seines Leidensweges eine derart beachtliche Position anvertraut worden war, versetzte ihn zwar fürderhin in Überraschung, aber nun hatte er sich von dem dafür Verantwortlichen – Theodore Chubby – ein Bild machen dürfen. Niemand sollte aufgrund seiner Fehler für den Rest seines Lebens bestraft werden.

„Lass es gut sein, Vivi, das ist Privatsache. Wir sollten an dieser Stelle mit der Sitzung fortfahren, schließlich steht für uns alle heute noch viel auf dem Plan.“

Freluquet harrte vor den Türen aus. Er hatte sich nicht nur nicht gegen einen Bauern behaupten können, sondern sich dazu eindrucksvoll blamiert – nun war er unentschlossen, ob er sich unter diesen Umständen wirklich an einem fachlichen Gespräch beteiligen sollte.

„Sofort hierher“, dröhnte Glazkovs Stimme schließlich. „Setzen Sie sich an den Tisch, Crétin Freluquet.“

Augenblicklich hastete die schmale Gestalt zu ihnen zurück. Jedoch kam sie nicht weit, denn Vivi schoss in die Höhe, ehe sie ihren Stuhl wieder aufgehoben hatte, und starrte sie fassungslos an.

„Leader…“, murmelte die Prinzessin völlig eingenommen. „Leader – das ist Fretin! Das ist Mister Six!“



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