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Fragmente

Kurzstory-Sammlung
von

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Heimat

Der Wachmann an den dutzenden Kameramonitoren brauchte fast eine Viertelstunde um den Eindringling das erste Mal wahrzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits bis in den dritten Verteidigungsring vorgedrungen und hätte eigentlich von Anfang an ein Dutzend Bewegungsmelder und Lichtschranken auslösen und spätestens im dritten Ring von automatischen Lasergewehren und Wachservitoren attackiert werden müssen.

Dass der Eindringling nicht nur nicht als Aschehäufchen auf einem der Wege lag sondern noch nicht einmal einen einzigen Alarm ausgelöst hatte war schon sonderbar genug.

Noch merkwürdiger war, dass er sich nicht einmal die Mühe gab, sich zu verstecken. Die Gestalt in brauner Robe schritt mitten auf den Pfaden, die der ehrenwerte Lord vor über einhundert Jahren angelegt hatte um dort mit seinen zahlreichen Geliebten in Ruhe spazieren gehen zu können. Blieb vor Statuen und Plastiken stehen, schien sie ausgiebig zu betrachten bevor er weiter ging.
 

Der Wachmann schüttelte seine Verwirrtheit ab und besann sich auf das Wesentliche: Da war ein Fremder im Familiengarten.

Er legte einen Schalter auf seiner Kontrolltafel um und aktivierte damit die Wachservitoren.
 

Zwei verzierte Gestalten auf Ketten lösten sich aus ihren Alkoven, die Zwillings-Sturmgewehre feuerbereit.

Sie fuhren über den Steinweg auf den Fremden zu und führten die Laserzielvisiere der Waffen auf den breiten Brustkorb unter der Robe. Doch anstatt die vorprogrammierte Warnung abzugeben und im Zweifel das Feuer zu eröffnen sicherten die Servitoren ihre Waffen und machten dem Eindringling sogar respektvoll Platz als er dem Weg ungerührt weiter folgte.
 

Ihre Statusmeldungen zeigten, dass ihre Biosporenscanner angesprochen und den Eindringling als Familienmitglied identifiziert hatten.

Der Wachmann schüttelte ungläubig den Kopf, drückte auf den Knopf für allgemeinen Eindringlingsalarm und griff dann zögerlich nach der schweren Schrotflinte im Waffenschrank neben ihm.
 

Marchese Chianni Mossiano schreckte aus dem Mittagsschlaf als das Pfeifen des Hausalarms in seine Ohren stach.

Er schob seine Decke aus schwerer iocanthischer Seide beiseite und horchte auf die Geräusche von draußen während er aufstand und den Morgenmantel aus kostspieligem Samt enger um seinen durch dutzende Operationen junggebliebenen Körper zog.
 

Laute, aufgeregte Rufe von draußen ließen ihn nach dem Schwert greifen, welches die Wand über dem Sofa zierte, auf dem er gelegen hatte.

Die pingelig gepflegte Klinge glitt widerstandslos aus der kunstvollen Lederscheide und er drückte zweimal auf den Aktivierungsknopf.

Nichts geschah. Ardimentoso ließ sich noch immer nicht von ihm aktivieren. Eine lächerliche Marotte des Maschinengeistes, war die Waffe doch auf sein eigen Fleisch und Blut programmiert - den Gencode seines Sohnes!
 

Aber auch ohne das Energiefeld war das Schwert noch immer eine von Meisterhand geschmiedete Waffe und dementsprechend scharf. Mit Ardimentoso in der einen und einer verzierten Laserpistole in der anderen Hand traute sich Chianni auf den Gang hinaus.

Die beiden Leibwächter, die in voller Plattenrüstung vor seinem Schlafzimmer Wache gestanden hatten, traten sofort an seine Seite: "Marchese. Wir haben einen Eindringling vor der Pforte gestellt. Bitte bleibt in Euren Gemächern während wir uns um dieses vorübergehende Ärgernis kümmern."
 

"Unsinn. Ich werde mich doch nicht in meinem eigenen Haus verstecken!"

Nein, er würde ihm in die Augen sehen und Stärke zeigen bevor seine Wachen ihn erschossen. Sollte er es überhaupt durch die massiven ceramitverstärkten Tore schaffen.

Ein Krachen und Schreie von draußen ließ die beiden Wachen ihre kompakten Gewehre enger umgreifen. Chianni atmete durch und trat auf die Balustrade hinaus um auf die Eingangstür und den Eindringling herabsehen zu können.
 

Zum Entsetzen des Marcheses stand die Tür sperrangelweit offen, ohne das geringste Anzeichen von Gewaltanwendung - und auf dem Boden verteilt lagen seine Wachen mit verbeulten Rüstungen und schmerzerfüllten Gesichtern.

Vier Wachservitoren mit ihren schweren automatischen Waffen umgaben eine riesige Gestalt in einer braunen Robe.

Der einfache Stoff wurde nur von einem geflochtenen Ledergürtel zusammengehalten und die hohe Kapuze ließ das Gesicht ihres Trägers im Schatten.

Alle Waffen der Servitoren waren gesichert und ihre grauhäutigen Köpfe respektvoll gesenkt.
 

"Ihr müsst schwere Zeiten hinter Euch haben, Marchese Chianni Vittore Cristiano Natale Mossiano", begann der Mann in der Robe mit tiefem Bass zu sprechen, "denn sonst hätte die Qualität Eures Personals nicht so sehr abgenommen, dass die Servitoren mich erkennen und Eure Wachen nicht."
 

Chianni lief es eiskalt den Rücken hinab. Seinen dritten Vornamen kannte niemand außer seiner Familie und einer längst verstorbenen Bürokratin des Administratums. Außerdem kam ihm die Stimme bekannt vor.

Wer war dieser Mann? Könnte er etwa zur Inquisition gehören, die angeblich auf alle Register des Administratums Zugriff hatte und definitiv die Ausrüstung besaß, die man brauchte um einfach durch seine Verteidigung spazieren zu können?
 

Wie an einem Marionettenfaden gezogen und nicht ohne ein leichtes Zittern hob er die Laserpistole bis der holographische Visierpunkt auf dem Brustkorb der Gestalt lag.

"Niemand kennt diesen Namen. Wer bist du? Was willst du in meinem Haus? Maledetto stronzo! Zeige mir dein Gesicht!"
 

Die Gestalt machte urplötzlich und scheinbar ohne Schwung zu holen einen Satz nach oben.

Der Fremde war riesig, weit über zwei Meter groß und fast halb so breit. Trotzdem war er mühelos die vier Meter hinaufgesprungen.

Bevor Chianni sich von seinem Schreck über die unnatürliche Bewegung erholen und reagieren konnte flog seine Laserwaffe schon im hohen Bogen durch den Raum und der Fremde hatte Ardimentosos Klinge zwischen seinen schaufelgroßen Handflächen gepackt.

Ein scharfer Ruck und auch das Schwert wurde ihm aus der Hand gerissen.
 

Jetzt erst reagierten seine Leibwächter. Der Laserschuss des einen zog eine Schmelzspur über den dichten Stoff der Robe, konnte ihn aber aus irgendeinem Grund nicht durchdringen. Der andere Wächter feuerte in Panik aus seiner vollautomatischen Schrotflinte.

Er sein Ziel komplett, denn das hatte wieder begonnen, sich zu bewegen, und einen Augenblick später ließ der krachende Einschlag des gerüsteten Mannes den Putz von einer Säule splittern.
 

Das Lasergewehr erwachte erneut zum Leben, scheiterte aber auch diesmal am armaplastfaserverstärkten Stoff der Robe. Die Riposte bestand aus der flachen Seite des gerade eroberten Schwertes, die den Wächter so hart am Helm traf, dass der Mann einfach zusammenklappte.
 

Chianni war jetzt völlig schutzlos und wich angsterfüllt vor dem Eindringling zurück bis er an die Balustrade stieß und nicht weiter konnte.

"Imperatore mio, wer oder was bist du? Was willst du von mir?"
 

Wortlos umgriff der Eindringling Ardimentoso enger; sein Finger fand den in der Parierstange versenkten Knopf und drückte ihn.

Der primitive Maschinengeist erwachte, der Biosporenleser überprüfte ob die Hand, die ihn hielt, lebendig war und verglich ihren genetischen Code mit seinem Speicher.
 

Eine Entladung zuckte über das Schwert als das Energiefeld aufgebaut wurde und die feinen Verzierungen entlang der Klinge begannen in gespenstischem Blau zu leuchten.

Das Peitschen der Elektrizität ließ Chianni ängstlich aufschreien, er versuchte panisch zurückzuweichen doch in Fluchtrichtung ihm war nur die Balustrade und der Abgrund dahinter.

"Willst du Geld? Ich gebe dir soviel du willst! Alles! Aber bitte..." Seine Stimme erstarb in einem Quieken als der Fremde ausholte.
 

Die tödliche Klinge schwang direkt auf seinen Hals zu und Chianni wartete auf den Tod.
 

Doch der Tod kam nicht.
 

Die Klinge war vor seinem Hals zum Stehen gekommen, so nah, dass er das Kribbeln der Elektrizität auf seiner Haut spüren konnte. Er wollte Schlucken doch er traute sich nicht, aus Furcht, dadurch das zerstörerische Energiefeld zu berühren.
 

Ohne die Schwertspitze nur einen Millimeter zu bewegen richtete der Fremde sich zu voller Größe auf und streifte mit der freien Hand seine Kapuze nach hinten.
 

Aus dem Schatten erschien das Gesicht eines Mannes.

Ein Gesicht, welches - bis auf die tiefbraune Hautfarbe - dem Mann auf dem riesigen Gemälde an der Wand hinter ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war.
 

"Ich bin Bruder Victor vom ehrenwerten Orden der Blazing Angels. Doch bevor ich zum Astartes wurde war ich Ansghar Chianni Vittore Natale Mossiano von Malfi. Und jetzt bin ich gekommen um zu holen was meine Familie mir in ihrem Verrat schändlich verweigert hat. Vater."



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