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Am Anfang war der Satz

Meine Oneshotsammlung für den Assoziatives-Schreiben-Zirkel
von

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Das Geräusch (Original, Satz 17)

Am Morgen, jedesmal, weckte mich ein sonderbarer Lärm, halb Industrie, halb Musik, ein Geräusch, das ich mir nicht erklären konnte, nicht laut, aber rasend wie Grillen, metallisch, monoton, es musste eine Mechanik sein, aber ich erriet sie nicht, und später, wenn wir zum Frühstück ins Dorf gingen, war es verstummt, nichts zu sehen.

Am Anfang, da war es die Neugierde, die mich trieb. Was, so fragte ich mich, ist dies, wo kommt es her, was ist die Ursache, der Grund. Ich überlegt, doch habe ich in meiner Erinnerung nichts gefunden, was mit diesem Geräusche vergleichbar, oder ihm ähnlich war, nichts, woran ich mich hätte orientieren können, keinen Ausgangspunkt, kein Anfang. So gab ich es denn auf, in einer kleinen Ecke meines Geistes aber immer noch hoffend, dass ich es eines Tages würde entschlüsseln, enträtseln können, so wie ein Problem, welches man gedanklich bei Seite legt, um dann, Tage später die Lösung als eine Eingebung zu erfahren.

Doch die Lösung blieb aus, der Lärm jedoch, er blieb da, jeden Morgen, Tag für Tag, mich reißend aus dem schönsten Schlummer, sich langsam durch mein Ohr in meinen Kopf bohrend, bis ich vermeinte ihn sogar im hellen Sonnenlichte wahrzunehmen, während der Arbeit, beim Essen, oder auch im Licht des Mondes, wenn ich noch spät an einem Manuskript las. Gar meine Träume suchte es heim, verfolgte mich in ihnen, jedoch ohne je seine Herkunft zu enthüllen, stets verborgen in einem weißen Nebel des Nichts.

Ich spürte, wie es immer wieder kehrend seine Wirkung tat, an meinen Nerven und meiner Konzentration nagte, bis beide nahezu verschwunden schienen, zerstört von diesem Geräusch, von der drängenden Sehnsucht nach einer Antwort auf seinen Ursprung.

Ich beschloss, in einer freien Woche im Sommer, genauer gesagt im Juli, es muss um dessen Ende herum gewesen sein, mich auf die Lauer zu legen, des nachts, so dass ich diesen Lärm verfolgen könnte wie die Spur eines Tieres, dass den Jäger zurück zu seinem Bau führte.

Ich bereitete mich gut vor, wusste ich doch nicht, was mich zu so später Stunde erwarten würde, noch dazu in einem Gebiet, was so menschenleer ist wie das unsere.

Eine Laterne fand als erstes ihren Weg in mein Gepäck, gefolgt von einem frisch gefüllten Wasserschlauch, welcher von einem Stück Brot begleitet wurde, denn ich wusste, ich würde Hunger bekommen, selbst wenn ich Abendbrot aß, meldete sich mein Magen doch stets in den ungünstigsten Momenten.

Auch Schwefelhölzer wanderten in eine meiner vielen Taschen, nachdem ich die Kerze damit entzündet hatte, um ein besseres Licht zu erhalten. Nicht auszudenken, was passieren würde, sollte ich mich auf dem Weg verletzten oder Schlimmeres, nur aus dem Grunde, dass ich einen Stein nicht vorher gesehen, oder dass eine Grube meinem Blick entgangen war.

Solchermaßen gerüstet, wartete ich, vertrieb mir die dunklen Stunden der Nacht, bis zum Ertönen des seltsamen Geräuschs mit dem Studium eines Buches, welches mir ein einstiger Studienkollege geschenkt hatte, ohne zu wissen, dass Bücher solch unseriöser Art normalerweise nicht zu meiner bevorzugten Literatur gehörten, ich es aber doch las, um ihm später zu mindestens einige wenige Merkmale sagen zu können, welche mir gefielen.

Bereits die erste Seite schien mir bezeichnend, also solle ich gewarnt werden mich durch dieses Werk zu quälen, als würde es versuchen mich abzuschrecken um zu verhindern, dass ich mir diese Qual weiter antat.
 

„Neugier kann, in guten Maßen,

mehr als nur die Welt bespaßen.

Doch unvernünftig eingesetzt,

Nimmt sie dir das Leben weg.“
 

Ein Vers, als hätte man den Wörtern gedroht sie zu schlagen, zu demütigen oder auf andere bestialische Art und Weise leiden zu lassen, sollten sie sich nicht den Reimen fügen, oder es gar wagen sich dem Zugriff des Autors anderweitig zu entziehen.

Und so ging es fort, Seite um Seite, Zeugnis eines Dichters, der den Worten eine verbale Vergewaltigung anzutun schien, der vermutlich eine Art der Zufallsdichtung betrieb, in welcher er die Worte nicht nach Sinn oder Schönheit, sondern ganz allein nach Fortunas Laune, nach Glück und Schicksal, nach dem Zufalle auswählte.

Als das Geräusch kam, erschien es mir wie einer Erlösung, wie ein lang erwartetes heiliges Zeichen, ein Wunder, dass mich von den Höllenqualen dieses Buches befreite, gesandt nicht mehr, um mich zu quälen, sondern um mich zu erretten, denn gab es eine größere Qual als ein solches Machwerk, ein Buch, bei dem der Teufel selbst die Hand die es schrieb geführt zu haben schien?

Die entzündete Laterne wie einen Schutz vor mich hertragend, begab ich mich hinaus, die kalte, klare Nachtluft einatmend, die Stille genießend, welche nur von diesem seltsamen Lärm unterbrochen schien, der scheinbar aus allen Richtungen gleichzeitig kam, ohne an einem Ort zu verweilen, zu dem ich mich hinwenden konnte, so dass ich das Ziel meiner Wanderung nun willkürlich wählte.

Ich begab mich auf die alte, efeubewachsen Kirche zu, welche aus einem mir unbekannten Grunde hell erleuchtet war, flackernden Kerzenschein auf den ersten Schnee dieses noch jungen Winters warf, und mich anzog, als wäre ich ein Motte, das Licht suchend, welches ich begehrte, und welches mich doch verbrannte, wie ein instinktgeleitetes Tier konnte ich mein Augen nicht eine Sekunde abwenden, lechzte ich nach dem Licht, der Wärme, der Lösung des Rätsels, das mich nun schon zu lange gequält hatte.

Ein letzter Rest Vernunft, verblieben in einem entfernten Flecken meines Geistes, erreichte mich, befahl mir, mich dem Geschehen nur langsam zu nähren, vorher um die bröckelnden Ecken zu schauen, ob ich mich eventuelle in Gefahr begab, um im Falle desselben schnell fliehe zu können, zurück, nach Hause, in Sicherheit, ohne Antwort, aber zu mindestens unverletzt.

Ich gehorchte dieser Vernunft, doch was ich sah, als ich vorsichtig, wie ein Dieb, ein Spion, ein heimlicher Eindringling, um den rechten Flügel des großen hölzernen Portals mit den schwarzen, verschnörkelten Eisenbeschlägen spähte, sichergehend, dass mich niemand, der sich im Innern aufhalten mochte sah, da schien es als werde mir auch der letzte Rest dieses Verstandes ausgesaugt.

Im Innern der Kirche, mir wohl bekannt durch zahllose sonn- und feiertägliche Gottesdienste, war alles anders, keine Bänke mehr, welche in wohlgeordneten Reihen von der hintersten Wand bis knapp an den Altar reichten und jedem, vom Bettler bis zum Pfeffersack einen Platz anboten, hinfort der Altar selbst, üppig geschmückt mit Holzfigurinen und Bildern berühmter Künstler, alles Ausschnitte aus dem heiligen neuen Testament, welche sowohl der Erbauung als auch der Ermahnung dienten, all dies, verdrängt durch etwas, das direkt aus der Hölle stammen musste, eine Maschine, größer, als alles was ich bisher gesehen hatte, ungeachtet der Tatsache, dass ich den größten Teil meines bisherigen Lebens mit Reisen verbracht habe.

Mit rechten Dingen konnte dies nicht zugehen, denn nie wäre es möglich, allen Schmuck und sämtliche kirchlichen Ornamente so gründlich in nur einer einzigen Nacht zu entfernen, es sei denn, Luzifer selbst hätte seine Hand im Spiel, so wie es hier der Fall zu sein schien.

Und trotz einer mich eindringlich warnenden Stimme, näherte ich mich dem Apparat, wollte ihn näher betrachten, seine Funktionsweise verstehen, seine Aufgabe begreifen, und da ich niemanden sah, gab ich meine Vorsicht auf, schlenderte darum herum, als wenn es mir möglich wäre allein durch sehen zu verstehen.

An der einen Seite des Dinges, war etwas angebracht, was an eine Orgel erinnerte, verschieden große Pfeifen, die der Apparat selbst bediente und welche wohl für die musikalischen Untertöne in dem Lärm verantwortlich waren, denn sie spielten einen seltsamen, doch anziehenden Klang.

Und noch etwas weiter sah ich eine Tür, eingelassen in dieses Meisterwerk der Metallbearbeitung, verziert mit ähnlichen Mustern wie die Kirchentür, nur anders, abstoßender, als würden es nicht nur verschnörkelte Linien sein, sondern andere Dinge, Dinge die das menschliche Auge nicht erfassen konnte, nicht erfassen wollte.

Gleichzeitig angewidert und fasziniert näherte ich mich dieser Tür, welche bei näherem Hinsehen an das geöffnete Maul eines Raubtieres erinnerte, geduldig auf Beute wartend, die von seinem ungewöhnlichem Äußeren angelockt werden würde.

Wie aus der Ferne vernahm ich eine Stimme, welche mich warnte, mich zurückhalten wollte, mich anflehte es nicht zu tun, und nach einiger Überlegung, meine Gedanken schienen dabei schwer und träge wie Blei, erkannte ich, dass die Stimme aus mir selbst kam.

Kaum hatte ich dies realisiert, wollte ich davon laufen, hinfort von diesem monströsem Metallungetüm, fort von der in dieser Nacht so unheilig wirkenden Kirche, nur weg, weg, nach Hause, wo ich nur noch unter die Bettdecke kriechen würde um bis zum Morgen nicht einmal meine Nasenspitze hinaus zu stecken.

Doch meine Beine, sie waren nicht mehr die meinen, nur Stelzen, die meinen Körper trugen, einem fremden Willen unterworfen, welcher ihnen befahl, sich der Türe zu nähren, ebenso wie dieser fremde Wille meinen Händen befahl, dieselbe zu öffnen.

Sie taten es und quietschend, schreiend, als würde sie Qualen leiden, schwang diese Tür auf, gab den Blick frei auf einen tiefschwarzen Schlund, der das Licht selbst zu verschlucken schien, alles einsaugend, ungeheuer anziehend, doch so grausam kalt, als wäre es der Tod oder gar schlimmeres was einen erwartete.

Ich hörte einen Schrei aus meiner Kehle dringend, laut, wild, als wenn er nicht von mir, sondern von einem wilden in die Enge getriebenen Tier stammte, und langsam, mit jedem Fuße den ich mich dem Schlund näherte, wurde dieser Schrei bettelnder, flehender, verzweifelter, bis es ein einziger hoher Ton des Grauens war.

Und als mein Fuß die Schwelle übertrat und ich spürte wie eisige Kälte und grausiges Nichts mich umfingen, kam mir ein einzelner Gedanke, der mich selbst erstaunte, hätte ich doch nicht gedacht, zu solch einer Aussage noch fähig zu sein, zu solcher Ironie, solchem Sarkasmus, in Erinnerung an die Aussage des ersten Verses des Buches, welches ich wohl nie zu Ende lesen würde: Neugier brachte einen um. Oder besser: Neugier brachte mich um.

Das Donnern der Tür, als dieselbe hinter mir ins Schloss fiel, verdrängte auch diese letzte trotzige Regung meines Selbst, bevor es von den Qualen verschlungen wurde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Bombadil
2009-09-10T14:56:06+00:00 10.09.2009 16:56
Ich habe demletzt eine Sammlung von Geschichten von H. P. Lovecraft gelesen. Und jetzt merke ich, dass ich doch öfter daran erinnert werde. Gerade bei solchen Geschichten.

Und dann erinnert mich das noch daran, dass ich der Meinung bin, dass nicht die Geschichte an sich, die Ideen etc. wichtig sind, sondern dass man auch eine noch so hohle Grundidee (die in diesem Fall nicht vorliegt, keine Sorge) mit gutem Erzählstil zu einem Meisterwerk machen kann. Anderrum wohl eher nicht.

Aber ehe ich jetzt weiter sinnloses Geblubber subjektiven Geschwätzes ausspucke, meine Meinung zur Geschichte: ^__^

Krasse Sache. Man weiß nicht was los ist, was passiert, es werden allgemein kaum Hintergründe erklärt. Und dann gehts einfach BÄM! Es gibt viele Fragen, aber keine, die ich stellen würde. Die ganze Geschichte macht einen sehr vollkommenen Eindruck, passender Stil, passendes Ende. Ich kann wirklich nichts bemängeln, außer...

Vielleicht war es etwas ZU vollkommen. *grins*
Von:  Ito-chan
2009-08-25T22:59:20+00:00 26.08.2009 00:59
Ich kann dazu eigentlich nicht viel sagen, außer WOW...
Die ganze Story ist so mittreißend geschrieben, dass ich den Eindruck hatte, darin zu versinken. Hast du gut gemacht.


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