We are dangerous to others
Lärmend rannten die Menschen an ihnen vorbei, beachteten sie jedoch nicht und auch sie selbst interessierten die anderen Fluggäste nicht. Eher das Gegenteil, sie nervten sie. Aber was sollte man auch anderes in einer überfüllten Flughafenhalle erwarten? Nur die Hoffnung, dass sie bald zum Check-In aufbrechen konnten - vorausgesetzt die Anderen erschienen hier irgendwann - tröstete sie.
„Sieh sie dir an!“, raunte Alena den neben ihr sitzenden Silberhaarigen zu und verengte kritisch ihre auf die Menschenmassen gerichteten Augen. „Wie Trampeltiere, sie machen Lärm, stören sich gegenseitig, interessieren sich nur für sich selbst und trotzdem heucheln sie Zusammengehörigkeit. Sie sagen, dass sie eigenständig sind und trotzdem folgen sie der Masse, nach dem Motto “ Wenn du springst, spring ich auch“. Erbärmlich oder?“
Kurz schweiften die roten Augen ihres Sitznachbarn zu ihr, wandten sich dann jedoch wieder der gerade vorbeiziehenden Menschenmasse zu, hörte das Quengeln von Kindern, das Gemecker der Eltern und die Beschwerden von anderen Fluggästen, die gerade angekommen waren. Er runzelte die Stirn leicht.
Ja, Alena hatte Recht. Wie auch ihr, waren ihm diese Menschen zuwider. Er hasste es in solchen Menschenmassen zu sitzen. Es beengte ihn, nervte ihn und ließ ihn frösteln. Wieder schweifte sein Blick zu seiner Kindheitsfreundin, doch diese hatte sich zurück gelehnt und beobachtete ein kleines Kind, das dort in der Masse stand und nach seiner Mutter schrie.
Ihr Blick sprach tausend Bände und er wusste, dass in diesem Moment seiner der Gleiche war. Nicht diese Menschenmassen waren falsch. Nein, die waren normal. Sie beide, die sie hier saßen und die Nase rümpften, waren die, die nicht hier hergehörten. Sie hatten nie dazu gehört, sie gehörten noch immer nicht dazu und würden es auch nie tun.
Und das wussten beide, doch war es einfach zu ignorieren. Wer gab schon gerne zu, ob Einzelgänger oder nicht, dass man der ewige Außenseiter war.
Leise seufzte er und schloss seine Augen. Er spürte Alenas Blick auf sich. Sie wusste, was er dachte und sie wusste auch, dass es nicht zu ändern war.
Es lag nicht an ihrer Vergangenheit, dass sie so falsch in dieser Welt waren. Nein, auch wenn diese nicht gerade die Berauschendste gewesen war, so waren Tala, Bryan oder die anderen der ehemaligen Abteikinder nicht so falsch in dieser Welt wie sie. Sie waren es schon gewesen noch bevor sie das alte, angsteinflößende Abteigebäude das erste Mal erblickt hatten.
Außenseiter von Geburt an. Sie hatten es akzeptiert, sie hatten sich gefunden, verstanden sich ohne Worte und sie hatten Freunde, denen sie ihr Leben anvertrauen würden, auch wenn es keiner von ihnen zugeben würde.
So war der Lauf der Zeit und so hatte es ihnen ihr Schicksal auferlegt, welches wohl keiner bewusst oder unbewusst ändern würde wollen.
Wieder entrann seiner Kehle ein leises Seufzen. In letzter Zeit drifteten seine Gedanken eindeutig zu weit ab und dann bei solchen Themen.
Wieder widmete er seiner Begleiterin einen Blick, die zynisch grinsend zusah, wie das Kind schreiend und tobend auf dem Boden lag. Eigentlich war es nur ihre Schuld, dass er hier hocken musste, immerhin war es ihre geniale Idee gewesen, doch weder fand er Unmut oder Zorn ins sich. Er akzeptierte es still, auch wenn er bei jedem Anderen an die Decke gegangen wäre. Seine Verbindung mit Alena war etwas, was er nicht erklären konnte und was wohl sie selbst auch nicht konnte.
„Flug 427 aus Los Angeles hat eine halbe Stunde Verspätung. Wir bitten um Verständnis und wünschen Ihnen noch einen Guten Tag.“ Genervt stöhnte der Silberhaarige auf und lehnte sich auf der recht unbequemen Wartebank zurück. Da nervten einen schon die anderen Fluggäste genug und dann kam auch noch so eine verdammte Durchsage, die eh keiner verstand, da das Rauschen die viel zu freundliche Frauenstimme übertönte.
Schlecht gelaunt ließ der sein Kinn auf seine Brust sinken und brummelte leise etwas Unfreundliches vor sich her. Alena sah ihn nur kurz an, zog leicht die Stirn kraus und musste leicht verärgert feststellen, dass das vereinsamte Kind auf dem Boden nicht weit von ihnen seine Mutter wieder gefunden und sie selbst ihre Unterhaltungsprogramm verloren hatte.
„Nicht so freundlich Kai.“
Genervt verdrehte der Angesprochene seine Augen und blickte zu Garland auf, um diesen einen warnenden Blick zuwerfen zu können. Doch der Grauhaarige schien sich nicht daran zu stören und ließ sich auf den letzten freien Platz neben Kai sinken, seine graue Reisetasche landete vor seinen Füßen und so auch neben Kais schwarzer und seinen Krücken.
Schweigen folgte, was jedoch von den anderen anwesenden Fluggästen und einem erneut verirrten Kind, das dies auch lautstark kund tat, durchbrochen wurde.
„Wo sind die Anderen?“ Alena war es, die das Schwiegen schließlich unterbrach und nur zögernd das aussprach, was ihr auf der Zunge lag. Erstaunt über die leisen und tonlosen Worte, wurde sie von beiden angestarrt. Von Kai, da dieser überrascht war, dass die Lilahaarige überhaupt sprach - schon allein der Abend vor ein paar Tagen wo sie so viel gesagt hatte, hatte ihn überrascht. Und von Garland, weil er sie bis jetzt nur sehr durchsetzungsstark und alles andere als zögerlich kannte.
Als die Lilahaarige keine Antwort bekam, sah sie zu dem Grauhaarigen, runzelte kurz die Stirn und starrte diesen dann auffordernd an.
„Keine Ahnung. Tala und Bryan hab ich noch nicht gesehen und Brooklyn hab ich irgendwo dort verloren.“ Mit einer ausholenden Geste deutete er in die Richtung, aus der er vor kurzem gekommen war und lehnte sich dann etwas vor, um die beiden Anderen besser sehen zu können. „War schon schwer genug, euch zu finden, aber Brook taucht schon wieder auf.“
„Super“, stöhnte die Lilahaarige, stützte ihr Kinn seufzend auf ihre Hand und meinte milde hoffnungsvoll: „Vielleicht bringen Tala und Bryan ihn ja mit.“
„Oder wir suchen ihn im Blumenladen.“ Trocken, sehr trocken war Kais Kommentar, doch Alena gewann er ein leichtes Lächeln ab und Garland konnte kaum verhindern, dass sich sein Grinsen zu einem lauten Lachanfall wandelte.
Auch wenn Alena den Orangehaarigen nicht kannte, so waren Kais Kommentare schon vielsagend gewesen und Garland konnte nicht anders als Kai zuzustimmen. Die Bemerkung war einfach nur genial gewesen.
„Mein Gott, Kai. Du hast ja doch Humor, den auch normale Menschen verstehen.“ Immer noch breit grinsend sah der Grauhaarige zu dem Kleineren, doch dieser schien sich für den Anderen zu interessieren. Nur Alena wusste, auch wenn sie es nicht sah, dass ein leichtes Lächeln, ihrem nicht ungleich, auf seinen Lippen lag.
„Tala kommt.“ Sofort richteten sich alle Blicke kurz auf den Silberhaarigen, bis sie seinem Blick in die Menschenmasse folgten.
Und es stimmte, schon von weitem konnte man die leuchtend roten Haare des Leaders der Realm of Shadows aus dem Mopp der Masse heraus. Wenig später erkannten sie auch etwas weiter hinter dem Rothaarigen Bryan und, oh ein Wunder, erschien hinter diesem Brooklyn.
„Dazu sag ich nichts.“ War der knappe Kommentar von Kai und Alena nickte bestätigend, als sich die Drei nur langsam näherten.
„Wie die Hühner immer im Weg stehen“, grummelte Tala vor sich hin, als sie endlich, durch so manchen Fluggast behindert, bei den Anderen ankamen und ließ laut seine rote Reisetasche auf den Boden klatschen. Bryan und Brooklyn ließen ihre jeweils schwarze und weiße Tasche über ihre Schultern hängen.
Amüsiert sah der Rothaarige wie Kais Blick kurz der Reisetasche auf dem Boden folgte, dann zu seinem Gesicht wanderte und zu sagen schien „Wenn da mal nichts Zerbrechliches drin war.“
„Da seit ihr ja endlich“, nörgelte Garland gespielt los und erntete ein paar böse, genervte und sich geschlagen gebende Nicke. Das war ja so klar gewesen.
Mit Mühe und Not verkniff sich Tala einen Kommentar und meinte dann an Alena gerichtet: „Der Flug geht in einer halben Stunde, das heißt der Check-In müsste gleich aufmachen.“
Und wie bestellt kam darauf auch schon die Ansage für ihren Flug, was Kai jedoch wieder die Augen verdrehen ließ. Entweder die ließen diese Ansagen sein oder kauften neue Lautsprecher, das Rauschen hielt man doch im Kopf nicht aus.
Seufzend erhob sich der Silberhaarige schließlich und wollte nach seinen Krücken greifen, als diese ihm schon von Alena hingehalten wurden. Ein kurzer Blickwechsel und er nahm sie mit einem kurzen Nicken an. Seine Tasche hatte Tala schneller ergriffen und geschultert als er gucken konnte und so gab er sich im Stillen geschlagen. Zusammen mit Alena als Schlusslicht folgte er den Anderen und bemerkte die flüchtigen Blicke, die ihm mal von Tala und mal von Brooklyn zugeworfen wurden. Okay, mit denen stimmte wirklich etwas ganz gewaltig nicht, doch um sich darüber Gedanken zu machen, war auch später noch Zeit.
Ohne Probleme überstanden sie die Sicherheitskontrollen und waren auch kurz darauf auf den Weg ins Flugzeug.
„Da hinten sind unsere Plätze“, raunte ihm die Lilahaarige zu und steuerte diese auch schon an. Kai folgte ihr gemächlich, ließ sich neben sie auf den Sitz gleiten und riskierte einen kurzen Blick aus dem Fenster, an dem Alena saß.
Ohne großen Aufstand ließ sich auch Tala neben dem Silberhaarigen gleiten, zu Kais Verdruss hatte es dieser geschafft sich das Ticket mit dem Sitzplatz neben ihn zu ergattern. Bryan und Garland saßen direkt in der Reihe hinter ihnen und Brooklyn musste die Zeit auf einem Platz schräg gegenüber von ihnen fristen. Mit leicht wütendem Ausdruck sah er zu Kai und dem daneben sitzenden Tala. Das passte ihm ganz und gar nicht.
„Wirklich, alle beide.“
Mit gerunzelter Stirn sah der Silberhaarige zu Alena, die an ihm vorbei sah und anscheinend etwas wirklich Amüsantes sah. Langsam folgte er ihrem Blick und entdeckte Brooklyn, der Tala anscheinend mit seinen Blicken aufspießen wollte.
„Und warum zwei?“ Leicht verwirrt verengte er seine Augen zu Schlitzen und sah das lilahaarige Mädchen auffordernd an. Er konnte sich im Moment wirklich keinen Reim darauf machen.
„Na Brooklyn und Tala.“ Leise, so leise, dass Kai es nur verstehen konnte, flüsterte Alena, beugte sich zu ihm und verzog ihren Mund zu einem hinterhältigen Grinsen. „Da werden Bryan und ich eine schöne Arbeit haben, dass du nicht ständig belagert wirst.“
Kurz weiteten sich die roten Augen bevor sich ihr Besitzer wieder fing und den Rothaarigen neben ihm musterte. Dieser bemerkte seinem Blick jedoch nicht, da er voll damit beschäftigt war Brooklyn ebenso giftige Blicke zuzuwerfen. Die beiden konnten sich also ganz gut alleine beschäftigen.
Betont langsam drehte er sich wieder zu seiner Freundin, die ihn fies angrinste und seinen undefinierbaren Blick zu deuten wusste. Da hatte Alena wohl doch Recht.
Leicht irritiert runzelte er die Stirn und sah sich um, doch gab es nichts zu entdecken, nur Dunkelheit und die Gewissheit, dass das hier nicht mehr im Flugzeug war. Genervt knurrte er. Wenn er schon träumte, dann warum nicht von etwas interessanterem? Nein, da gab es doch lieber das große, schwarze Nichts. Vielleicht wollte er sich ja selbst zu Tode langweilen.
Kein Geräusch entstand, als er seine Hand gegen seine Stirn schlug, doch das war ihm im Moment völlig egal. Es interessierte ihn eher, wie er diese total verkorksten Gedanken, die ohne Sinn und Logik waren, wieder los wurde.
„Ist es nicht schön, wenn sich die Gedanken verselbstständigen? Praktisch, vor allem weil Gedanken zu Tage kommen, an die man bewusst nicht denkt, die im Unterbewusstsein aber immer herum spuken. “
Leicht genervt verdrehte Kai seine Augen. War ja klar, dass die schwarze Phönixdame auch hier herum schnüffelte. „Was willst du denn hier?“
„Was ich hier will? Es ist eher die Frage, was du hier willst! Auch wenn du im Moment nicht daran denkst, aber das hier ist mein Platz.“ Leicht rauchig erklang das darauf folgende Lachen und von einem Moment zum anderen wurde Kai klar, was das heißen sollte.
Das hier war Black Dranzers Platz in seinem Kopf, seiner Seele, seinen Gedanken. Die Frage war nur, wie er hier hergekommen war.
Suchend sah er sich um, doch war nichts außer Dunkelheit zu sehen. War auch klar, immerhin war Finsternis ein Element des BitBeasts.
„Woher soll ich wissen, was ich hier mache?“, antwortete er schließlich auf die indirekt gestellte Frage des Phönix und verschränkte seine Arme vor der Brust. Wie gerne würde er auf diese Frage eine Antwort haben, doch viel ihm keine plausible ein.
Er war schon oft an solch einem Ort gewesen, doch dieser war heller, freundlicher gewesen, durch tränkt von Rot und Gold mit dem leichten Geruch von vor sich hin kokelndem Holz. Ja, Dranzers Heim in seiner Seele war so anders gewesen.
„Tja, dann belassen wir es dabei, dass du einfach hier bist.“ Seufzend und leicht enttäuscht - oder bildete er sich das nur ein? - erklang die Antwort und als ob sie seine Gedanken erkannt hatte, leuchteten überall in seiner Umgebung kleine grünschwarze Feuer auf und gaben diesem Ort einen leicht gruseligen und mysteriösen Eindruck. Es waren keine Wände zu erkennen, es war eher, als ob es eine weite Ebene ohne Ende war. Anders als gedacht fühlte er sich nicht unwohl, sondern mehr das Gegenteil. Er fühlte sich frei, die kühle Luft ließ ein angenehmes Kribbeln auf seine Haut zurück. Kurz keimte in ihm der Gedanke auf, dass die schwarze Phönixdame versuchte, ihn zu umschmeicheln um ihn unbemerkt beeinflussen oder gar kontrollieren zu können. Doch als er in sich rein horchte und versuchte, den schwarzen Phönix an seine Barrieren zu seiner Persönlichkeit auszumachen, fand er nichts. Er spürte sie schon, nur hier in ihrem Bereich, nirgendwo anders.
Leicht stutzte er und blickte dann in ein neugieriges, schwarzes mit grünen Flammen durchzogenes Auge. Erschrocken zuckte er zurück und starrte den mannsgroßen Phönix vor sich an. Er hatte durch der Konzentration gar nicht gemerkt, wie sich Black Dranzer ihm offenbart und genähert hatte.
Kurz blitzte Schalk in den kalten Augen auf, doch stutzte Kai wieder. Waren sie wirklich kalt? Nein, er konnte ganz genau, die unterdrückten Gefühle sehen. Die Neugierde, der Hohn und auch der... Spaß. Spaß über seine Reaktion? Ja, das war es.
Aber konnte ein Wesen wie Black Dranzer überhaupt fühlen und dann so?
Unsicherheit machte sich in seiner Seele breit. Hatte er die schwarze Phönixdame ohne Grund verurteilt?
„Es macht einem Angst, so etwas in den Augen von jemanden, den man verachtet und dem man das nicht zugetraut hätte, zu sehen, nicht wahr?“ Fragend und leicht traurig war das Gurren des schwarzen Vogels zu hören und ihn der Seele des Silberhaarigen schnürte sich etwas zusammen. Er verstand, was Black Dranzer meinte, verstand, dass sie das aus eigener Erfahrung kannte.
Und da viel es ihm wie Schuppen von den Augen. Leichter Schmerz spiegelte sich in den blutroten Augen wieder. Er wurde von interessierten, abwartenden, ebenso mit Schmerz gefühlten Augen beobachtet.
„Meine Augen.“ Nur gemurmelt, mehr brachte er nicht zustande und doch hörten die feinen Ohren Black Dranzers diese Worte und etwas wie Entzücken spiegelte sich in den Augen.
„Ja, in deinen.“ Kurz sprach sie nicht weiter und schlug unruhig mit ihren Schwarzen Schwingen. „Du bist wie ich. Du solltest nicht fühlen. Das war nie vorgesehen gewesen. Nicht geplant, weder von Boris, noch von Voltaire. Fehlgeschlagen. Genauso fehlgeschlagen wie ich jetzt. Damals ich hab dich gesehen, du warst damals im Keller, in dem Labor. Das war Jahre bevor du mich gestohlen hast. Ich habe in deine Augen gesehen. Leere, nichts als Leere. Weder Hass, noch Zorn oder Wut. Als ich dich gesehen habe, wusste ich, dass du wie ich bist und ich wusste, dass du nicht fühlst.“
Mit geweiteten, leicht panischen Augen starrte der Silberhaarige Black Dranzer an. Genau in dem Moment, wo sie gesprochen hatte, hatte er es gesehen. Er hatte die Erinnerung gesehen. Die Erinnerung, wie er die Treppen zu den unterirdischen Laboren runter gelaufen war. Er hatte den schwarzen Phönix gesehen, wie er in einem der Tanks in der hellgrünen Flüssigkeit schwamm. Er hatte die kalten, gefühllosen Augen, die sich mit einmal geöffnet hatten, als er näher gekommen war, gesehen.
Es waren Bilder, aber die Gefühle fehlten. Gefühle wie Schmerz, Hass oder Neugierde. Die Gefühle, die er bei den anderen Erinnerungen immer hatte, fehlten hier. Und auch als er sich konzentrierte, fand er sie nicht.
Als er wieder in die mitleidig blickenden schwarzen Augen sah, wurde es ihm klar. Leicht schlug er sich die Hand vor seinen Mund. Er hatte keine Gefühle gehabt. Wer nicht fühlen kann, der kann auch keine Gefühle haben.
„Damals waren wir gleich. Du konntest nicht fühlen, ich konnte es auch nicht. Und dann als du Jahre später wieder kamst, mich stahlst und mich startest, hab ich dir wieder in die Augen gesehen. Ich hab dich immer gespürt, in der ganzen Zeit, in der ich einsam dort unten gewesen bin, lag meine Aufmerksamkeit nur auf dir und als ich dir damals wieder in die Augen sah, hab ich diesen kleinen Funken gesehen. Dieser kleine Funke, der dir die Möglichkeit gab zu fühlen.“ Leise seufzte der Phönix und näherte sich wieder leicht dem Jungen. Kurz zögerte sie und streckte dann ihren Kopf ihm entgegen. Mit einem leisen, zufriedenen Gurren bedankte sie sich, als er der Aufforderung nachkam und den perfekt geformten Kopf in seine Hände nahm. „Ich habe dich erkannt und doch nicht. Du warst aufgeblüht, du hast zu leben begonnen. Auch das bei der Weltmeisterschaft tut mir Leid, doch genau wie du musste ich handeln, wie es mir am besten in den Sinn kam. Hätte ich mich damals geweigert, hätte ich jeden und vor allem dich in Gefahr gebracht. ... Wir können fühlen, eine Gabe, die für andere selbstverständlich ist. Wer auch immer dir dies Gabe gab, du gabst sie damals mir. Dass du verletzt wurdest, war nicht meine Absicht.“
Stille, vollkommene Stille herrschte, doch drückte sie nicht unangenehm, sondern war eher friedlich. Lange herrschte sie, bis es der Silberhaarige war, der sich rührte, seine Wange an die der Phönixdame legte und leise sprach: „Ich spür, dass es keine Lüge ist. Ich spür deine Gefühle. Ich ...“
„Ja, ich spüre, fühle, leide wie du, aber nicht wie die anderen. Alena ist wie wir, auch in ihr ist irgendwann dieser Funke gewachsen, ein Grund warum wir zugehörig zu einander sind, uns aber zu den anderen fremd fühlen. Wir sind anders und doch gleich. Und wir sind gefährlich.“ Wieder machte das Phönixweibchen eine Pause, um Kai die Chance zu lassen alles sacken zu lassen und sprach erst weiter als sie das leichte Nicken von ihm spürte. „Wir sind gefährlich, nicht untereinander unbedingt, aber für andere, weil wir nicht wie sie fühlen, wir nehmen alles anders auf und haben keine so starke Bindung zu ihnen. Wir werden immer vorsichtig sein müssen, wenn wir sie nicht in Gefahr bringen oder verletzten wollen.“
„KAI!“
Erschrocken fuhr er zusammen, als sein Name so energisch gerufen wurde und sah sich leicht verwirrt mit verklärten Augen um. Bryan, Tala und Brooklyn waren die ersten, die in sein Blickfeld kamen. Leicht besorgt sahen sie ihn an und wechselten untereinander vielsagende Blicke.
„Was auch immer passiert ist, ein Traum war es bestimmt nicht.“ Erst jetzt spürte er die Hand auf seiner Schulter und wusste instinktiv, dass diese, genauso wie die Worte, die eben ihn sein Ohr geraunt wurden, zu Alena gehörten.
Leicht wandte er sich zu ihr und sah ihr in die leicht verengten, lilanen Augen. Leicht verspannt stand sie in der Sitzreihe, hatte sich zu ihm runter gebeugt und die andere Hand auf die Sitzlehne abgestützt. Dass ihre Gesichter nur ein paar Zentimeter trennten, fiel ihm erst jetzt auf. Ein leichtes Nicken war seine Antwort und für einen Augenblick gab es die anderen nicht. Für einen Augenblick waren sie zu dritt. Alena, Black Dranzer, die sich wieder ihn seinem Kopf regte, und er selbst. Mit einmal wurden ihm die Worte des schwarzen Phönix wirklich klar. Black Dranzer hatte Recht. Sie waren, auch wenn sie es nicht wollten, gefährlich für andere und das wussten sie.
Schweigend liefen sie durch die Halle des Moskauers Flughafen und steuerten, wie Alena es ihnen befohlen hatte, den Hauptausgang ein. Die Sache im Flugzeug wurde von keinem der Anderen mehr angesprochen und der Silberhaarige gab es offen zu, dass ihm das sogar sehr lieb war.
Kalte, schneedurchtränkte Luft schlug ihnen entgegen, als sie die Flughafenhalle verließen und sich kurz umsahen. Viel konnte man jedoch nicht erkennen, da das Schneegestöber immer stärker wurde.
„Und jetzt?“ Bryan war es, der schließlich aussprach, was fünf von sechs dachten.
„Warten wir auf Nadeschda“, war die grinsende Antwort der Lilahaarigen, was Bryan jedoch nur an seinem Weltbild zweifeln ließ. Alena und grinsen? Das passte zusammen wie Eis und Hitze. Na Prost Mahlzeit.
„Wenn wir schon so schön beim Unterhalten sind und diese Nadeschda noch nicht da ist, könntest du so nett sein und uns erzählen, wo wir untergebracht sind?“ nahm schließlich der andere anwesende Grauhaarige den Faden wieder auf, was jedoch ein hinterhältiges Grinsen auf den Zügen Alenas zur Folge hatte.
„Ihr werdet begeistert sein. Nadeschda und ihr Mann leben etwa 6 Stunden Fahrt von hier entfernt bei gutem Wetter. DerHof liegt am Rybinsker Meer, fast mittig zwischen Cherepovets und Rybinsk. Es gibt ein kleineres Dorf in der Nähe. Fast wie Urlaub, so schön ist die Gegend dort.Es gibt keinen Strom und das Wasser wird aus einem Brunnen in der Nähe gepumpt. Das heißt, dass es erst durch einen Gasbrenner erhitzt werden muss. Jeden Abend muss Feuerholz geschlagen werden und auch so werden wir auf dem Hof helfen. Das heißt neben dem Training wird im Haushalt geholfen, bei der Gartenarbeit und mit den Tieren.“ Sie hätte loslachen können, als sie sah wie die Gesichter von Brooklyn, Bryan und Garland entgleisten. Talas blieb wie immer ausdruckslos, doch kannte sie ihn gut genug um zu wissen, dass dieser sich am liebsten auf sie gestürzt hätte. Nur auf dem Gesicht von Kai zeigte sich ein leichtes Grinsen, zum einen, weil er so etwas geahnt hatte und zum anderen, weil diese Vorstellung ihm im eigentlichen ganz gut gefiel. Gerade wollten die anderen, nachdem sie sich wieder gefangen hatten, etwas sagen, doch da sprach Alena schon weiter - noch bevor die Anderen ihres Teams etwas heraus gebracht hatten. „Bevor ihr euch beschwert, erstens hättet ihr vorher fragen können, zum zweiten wir können da kostenlos wohnen solange wir wollen und solange wir helfen und zum dritten ist es doch gutes Vortraining.“
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~Ende~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Rybinsker Meer: Ein Stausee in dem tausende Dörfer, Kirchen und vieles mehr( klingt markaber O.o) untergegangen sind, als dieser entstand. Wir umgangssprachlich Meer genannt aufgrund seiner Größe, zweit größter Stausee Europas.
Update 23.10.2012:
Nach mehr als 4 Jahren hab ich Inspiration bekommen diese FF weiter zuschreiben :)