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Zerspringende Ketten

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Ersehntes Aufeinandertreffen

Shishido schloss die Augen und lauschte der Gewalt der Brandung, die sich an den Klippen zu seinen Füßen stur die Zähne ausbiss. Das ohrenbetäubende Geräusch verschluckte beinah jedes Geräusch in seiner Gegenwart und er war froh, dass er sich nicht allein auf seine Ohren verlassen musste, um bedrohliche Veränderungen in seiner Nähe zu registrieren. Wenn er sich öffnete, war es ein Leichtes für ihn, Personen oder Tiere in seiner unmittelbaren Umgebung zu lokalisieren. Würde er mehr Macht investieren, könnte er sogar jedes Lebewesen auf seinem Anwesen aufspüren. Das war natürlich weitaus effektiver und bot mehr Möglichkeiten, als es der einfache Gebrauch eines hochmodernen Überwachungsapparates verschaffte. Dennoch, wie auch jede andere seiner machtvollen Fähigkeiten, war auch diese auf die Dauer ermüdend und somit zeitlich begrenzt. Letztendlich wäre dieser Einsatz auch nicht von Nöten, denn Shishido konnte sich auf seine Untergebenen verlassen, und hatte mit Arakawa, als Kopf dieses Überwachungsapparates, einen zuverlässigen Partner.

„Kaito…“, flüsterte er seufzend, als ihm wieder bewusst wurde, in was für einer unvorteilhaften Situation sich dieser gerade befand. Shishido öffnete die Augen und strich eine sich gelöste Haarsträhne hinter das Ohr, mit welcher der böige Wind bis eben gespielt hatte. Sein Blick wanderte vom Horizont hinüber zum Weg an seiner linken, wo er das Auftauchen seines engsten Beraters beobachten konnte. Überraschung und Unmut gesellten sich zur unerwarteten Entdeckung. Arakawa war noch nicht einmal ganz bei ihm, als er diesem ungeduldig seine eiserne Stimme entgegenschleuderte. „Ich hoffe du hast einen guten Grund, warum du noch hier bist und nicht, wie befohlen, am Eingang auf unsere Gäste wartest!?“ Trotz der Entfernung konnte Shishido sehen, wie sich Arakawas Miene für einen Moment schuldbewusst verdunkelte.

„Verzeiht, Shishido-sama. Ich werde gleich dorthin aufbrechen.“ Arakawa kam vor seinem Herrn zum Stehen, und sah diesen mit gemischten Gefühlen an. „Ich wollte wissen, also, was unternehmen wir wegen Sasuke?“

Shishido starrte den kaum merklich größeren Mann vor ihm an und überlegte, ob er ihn scharf zurechtweisen oder hören sollte, was dieser zu sagen hatte. „Was willst du, das ICH tun soll?“, entschied er und blickte Arakawa direkt in die Augen. Er sah Hoffnung in ihnen aufblitzen.

„Ich weiß natürlich nicht, ob Ihr schon einen Plan im Kopf habt… Aber vielleicht können wir Yuzuru gegen Sasuke eintauschen? Kagetora kommt ja nicht in Fra-“ Arakawa brach mitten im Satz ab, als er sah, wie sich Shishidos Miene augenblicklich verfinsterte. Das ungute Gefühl zurückdrängend, fasste er erneut Mut, um seinen Vorschlag bis zum Ende vorzutragen. „Es setzt natürlich voraus, dass wir Yuzuru in unsere Gewalt bringen können, aber daran hege ich keinen Zweifel. Ich würde mich um den Austausch, also um die Kontaktaufnahme mit dem Kriegsfürsten kümmern. Ihr müsst nichts weiter tun.“ Diesen Worten folgte angespannte Stille, die es den Zweifeln Arakawas ermöglichte, sich die Plätze in der vordersten Reihe seiner Gedanken zurückzuerobern.

„Arakawa.“ Der Angesprochene zuckte beim Klang der Stimme zusammen. „Ich hoffe, du meinst das Gesagte nicht ernst und aus dir spricht, wie soll ich sagen, die reine Verzweiflung?“ Shishido sah, wie sich der Kopf seines engsten Vertrauten beschämt senkte. „Glaubst du ernsthaft, mein Vater würde sich darauf einlassen? Er will mich. Nun, und irgendwie auch Yuzuru, was ich mir durchaus auch zu Nutzen machen will. Aber bestimmt nicht, indem ich diesen gegen deinen Bruder eintausche.“ Shishido trat einen Schritt auf Arakawa zu. Er langte nach dessen Kinn und drückte es sanft nach oben. „Ich habe dir gesagt, dass ich einen Weg finden werde, aber zuerst muss ich mich um Kagetora kümmern. Hörst du? Und dazu brauche ich deine uneingeschränkte Aufmerksamkeit.“ In Arakawas dunklen Augen konnte Shishido die vertraute Besonnenheit zurückkehren sehen. „Wenn ich mich nicht auf dich verlassen kann, dann entbinde ich dich ab sofort von dieser Aufgabe. Es gibt durchaus die ein oder andere Person, die gerne deinen Platz einnehmen würde.“

„Nicht nötig, Shishido-sama.“, entgegnete Arakawa fest, der die Berührung seines Herrn heiß auf seiner Haut spürte. „Ich werde mich sofort auf den Weg machen, und Euch dann später, wie abgesprochen, mit unseren Gästen aufsuchen. Wenn Ihr mich also entschuldigt.“ Er war im Begriff, sich aus Shishidos Griff zu lösen, als dieser unerwartet eine weitere Berührung hinzufügte.

Die weichen Lippen lösten sich wenige Augenblicke später, und ließen einen überraschten Arakawa zurück. „Du bist hiermit entlassen.“ Shishido beobachtete, wie sich der jüngere Mann ehrerbietend verbeugte, und mit langen Schritten seiner zugedachten Aufgabe entgegeneilte – natürlich nicht ohne ihm einen letzten sehnsüchtigen Blick zuzuwerfen. Beinah lästig winkte er Arakawa weiter und wandte sich erneut dem Horizont zu, der sich dem bevorstehenden Sonnenuntergang als unfertige Kulisse anbot. Während Shishido darauf wartete, dass das Schauspiel begann und jene unspektakuläre Kulisse in ein Meer aus Rottönen getaucht würde, flogen seine Gedanken Arakawa und dessen unbedachtem Verhalten zu.
 


 

Der Wagen steuerte den Straßenrand an, und kam härter zum Stillstand als eigentlich nötig. Keine zwei Sekunden später wurde die Fahrertür aufgerissen, und ein äußerst aufgebrachter Kousaka verließ wütend die Tür hinter sich zuschlagend das Auto. Er entfernte sich mehrere Meter, und blieb dort nach seinem Handy suchend stehen.

„Glaubst du, er tut, was du verlangst?“ Naoe wandte seinen Blick von Kousaka ab, und blickte skeptisch zu den beiden Personen auf der Rückbank. „Ich bin nach wie vor der Meinung, dass dieser Schritt nicht nötig ist. Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Es ist schon heikel allein, diese undurchschaubare Person dabei zu haben. Aber dass seine Männer nun ebenfalls mit von der Partie sein sollen, macht die ganze Angelegenheit schier unkontrollierbar für uns.“

„Findest du? Ich sehe es als Vorteil. Außerdem sind sie nicht mit von der Partie, sondern sollen sich zurückziehen.“, entgegnete Takaya gelassen, der an Naoe vorbei zu Kousaka sah. „Es reicht schon, dass wir uns mit Shishido rumschlagen müssen, der auf seinem Gelände klar im Vorteil ist. Es macht es definitiv leichter zu wissen, dass wir auf unserem Rückweg nicht auch noch auf Kousakas Leute treffen müssen.“

„Und was lässt dich glauben, dass er tut, was du verlangst? Wir kennen Kousaka doch. Er macht nur das, was ihm richtig erscheint. Außerdem frage ich mich, warum er uns überhaupt beschatten lässt.“

„Für letzteres fallen mir viele Gründe ein. Aber genug jetzt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir unser Ziel erreichen. Von Kousakas Leuten mal abgesehen, gibt es keine Hinweise darauf, dass Shishido einen Hinterhalt geplant hat. Es sieht eher danach aus, dass er uns erwartet.“ Während Takaya sprach, wandte er sich Yuzuru zu, der der Unterhaltung stumm lauschte, und blickte diesen unsicher an.

„Willst du mir sagen, dass ich jetzt doch nicht mitkommen kann?“, fragte Yuzuru beinah vorwurfsvoll, nachdem sein bester Freund verstummt war.

„Natürlich nicht. Alles was ich will, ist, dass dir nichts passiert.“

„Wird schon nicht!“, rief Yuzuru zuversichtlich, dem unter Takayas ernstem Blick dennoch ein wenig mulmig zumute wurde. „Wenn es eben brenzlig wird, kann ich ja noch immer darauf vertrauen, dass meine Kräfte zum Vorschein ko-“

„Eben nicht! Gerade das soll nicht passieren!“, fuhr Takaya unsanft dazwischen. „Wir wissen nicht, was dann passieren könnte. Ich bitte dich daher, nicht bewusst auf sie zuzugreifen, auch wenn mir klar ist, dass du es nicht steuern kannst. Versuche es einfach, und bleib immer in meiner oder Naoes Nähe. Hörst du?! Und wenn es sich nicht vermeiden lässt, eben auch in Kousakas. Ich bezweifle, dass er dich tot sehen will.“ Er sah, wie Yuzuru blass um die Nase wurde und hoffte, dass seine Worte diesen nicht zu sehr verängstigt hatten. „Na komm schon. Ich passe auf dich auf! Ich will nur, dass du weißt, dass das hier keins unserer Spiele aus Kindertagen ist.“ Takaya konnte beobachten, wie sich eine Sturmfront auf dem Gesicht seines Freundes zusammenbraute.

„Für wen hältst du dich eigentlich? Glaubst du, ich hätte alles vergessen und würde es auf die leichte Schulter nehmen, was bisher passiert ist?“, rief Yuzuru aufgebracht, der seinem Unmut über Takayas Worte nicht anders Platz schaffen konnte. „Ich mag vielleicht nicht so stark sein wie du oder Naoe, aber selbst ich habe gelernt, auf mich aufzupassen. Behandle mich also nicht wie ein Schwächling, sondern gib auf dich selbst acht, denn immerhin bist es du, den Shishido haben will!“

Naoe lachte leise, während sein amüsierter Blick zwischen den beiden jungen Männern hin- und herwanderte, die sich nun betroffen ansahen. Besser hätte er es auch nicht sagen können. Yuzurus Worte hatten ihn wieder daran erinnert, wer das eigentliche Ziel Shishidos war. Das durften sie bei alle ihrer Sorge um Yuzuru und den Aktivitäten von Shishidos Vater nicht vergessen. Naoe würde Takaya um jeden Preis beschützen. Er würde selbst das Leben Yuzurus aufs Spiel setzen, wenn es sich nicht vermeiden ließe. Und damit würde er wohl endgültig seine zerbrechliche Beziehung zu Takaya zerstören.

Das Geräusch der sich öffnenden Autotür riss Naoe aus den düsteren Gedanken und ließ ihn aufblicken. Kousaka setzte sich mit mürrischer Miene neben ihn und startete den Motor. Naoe musterte das Profil des Mannes am Steuer. Kousaka war kein unbeschriebenes Blatt, dennoch war er für sie alle ein Rätsel. Niemand konnte sagen, was er als nächstes vorhatte, und ob er nicht doch für jemand arbeitete. Sie alle konnten nur äußerst wachsam sein und hoffen, dass das Wenige, dass sie durch die gefährliche Zusammenarbeit mit ihm herausfinden konnten, für sie von nutzen sein würde.

Während Naoe seine Gedanken um Kousaka kreisen ließ, vernahm er Yuzuru hinter sich. Dieser versuchte unbeholfen seinen wütenden Ausbruch zu erklären, und erntete dafür von dem besten Freund eine verständnisvolle Kopfnuss. Ein wenig neidisch blickte Naoe nach vorn auf die Straße. Er wünschte sich nichts sehnlichster, als endlich Zeit allein mit Takaya verbringen zu können.
 

Ein leises Seufzen stahl sich über Naoes Lippen, verstohlen beobachtet von einem Augenpaar. Kousaka, der noch immer wütend über Takayas Befehl war, zog ein wenig Kraft und Ruhe aus der Tatsache, dass der Mann, den er begehrte, direkt neben ihm saß. Er war so nah dran, ihn zu bekommen. Es würde nicht mehr lange dauern. Zuversichtlich konzentrierte er sich auf das, was vor ihm lag und ignorierte gekonnt die unausstehliche Person auf dem Rücksitz.
 


 

Dumpfer Schmerz ließ Sasukes Lippen beben, als er unsanft aus dem Dämmerzustand gerüttelt wurde. Er spürte eine kalte Hand an seinem Kinn, und vernahm immer deutlicher den Ruf seines Namens. Für den Bruchteil einer Sekunde überkam ihm die irrwitzige Hoffnung, sein Bruder wäre gekommen, aber das Gesicht, welches er wahrnahm, war ihm bekannt, aber alles andere als geliebt. Es gehörte Kobayashi.

Sasuke schlug stöhnend nach dessen Hand, die noch immer seinen Kopf malträtierte. Er hörte Kobayashis fies auflachen, bevor dieser ihn endlich losließ.

„Was willst du?“

„Tut der Kopf noch weh?“, kam es scheinheilig von dem älteren Mann, der sich einen Stuhl nahm, und sich damit neben das Bett des Gefangenen setzte.

„Vergeudest du damit nicht deine Zeit?“ Sasuke musterte Kobayashi, der sich nun eine Zigarette anzündete. „Der Alte hat dich bestimmt nicht geschickt. Du würdest dich sonst nämlich anders verhalten. Also, was willst du hier?“

„In der Tat. Dennoch war ich vor wenigen Minuten bei ihm. Ich könnte lügen und sagen, dass er dir herzliche Genesungswünsche schickt.“, entgegnete Kobayashi anmaßend. „Und selbst wenn, hätte ich sie dir bestimmt nicht ausgerichtet.“

Sasuke quittierte diese Aussage mit einem überlegenen Lächeln. „Und genau das ist der Grund, warum du nie mehr warst, und auch nie mehr sein wirst für den Alten.“ Er konnte beobachten, wie sich Wut auf dem Gesicht seines Gegenübers sammelte.

„Pass auf, was du sagst, Sasuke. Oder hast du schon vergessen, in was für einer Lage du dich befindest?“, zischte Kobayashi, der Mühe hatte, nicht die Fäuste sprechen zu lassen.

„Wie könnte ich? Aber die entscheidende Frage ist, ob der Alte wirklich denkt, dass er durch mich an seinen Sohn kommt. Shishi-“

„Ah ah... Wie kommst du bloß auf so etwas? Deine Arroganz ist dir wirklich zu Kopf gestiegen.“ Kobayashi triumphierte innerlich über die für einen Moment erkennbare Verunsicherung des jungen Mannes. „Nicht du bist es, sondern dein Bruder. Glaubst du, der Alte weiß nicht, wie viel du Arakawa bedeutest? Und wie viel dieser Shishido bedeutet, liegt klar auf der Hand.“

Sasuke starrte Kobayashi an, während seine Gedanken zu rasen begannen. Sein Bruder würde niemals wegen ihm Shishidos Seite verlassen. Das käme einem Verrat gleich, auch wenn er sich eingestehen musste, dass ihm dieser Gedanke warm ums Herz werden ließ. Schließlich hatte ihn sein Bruder damals ohne ein Wort zurückgelassen, als dieser sich auf die Suche nach dem verschwundenen Sohn ihres Herrn gemacht hatte. Erfolglos versuchte er diese Gedanken beiseite zu schieben, und richtete erneut das Wort an Kobayashi.

„Ich glaube, ihr setzt euer Vertrauen in die falsche Person. Auf diese Weise werdet ihr Shishido niemals kriegen. Er wird sich nicht von Gefühlen leiten lassen. Und wenn das alles ist, was du mir zu sagen hast, kannst du jetzt ja wieder gehen. Mein Kopf könnte noch ein wenig Ruhe vertragen, und deine Anwesenheit ist da weniger hilfreich.“

„Mein Anliegen hier war zwischen den Zeilen zu lesen, Sasuke.“, meinte Kobayashi selbstgefällig, der sich erhob und auf Sasuke nieder starrte. „Und ich denke, du hast es erfasst. Du bist nicht nur eine Geisel, nein, du bist viel weniger. Du bist Mittel zum Zweck. Namenlos. Ein Nichts.“

Mit diesen Worten verließ Kobayashi den Raum, und ließ einen aufgewühlten Sasuke zurück.
 


 

Arakawa starrte zum hundertsten Male gedankenverloren auf sein Handy, in der falschen Hoffnung, dass sich Sasuke bei ihm melden würde. Er war natürlich nicht wirklich so naiv, zu denken, dass sein ehemaliger Herr seinen Bruder einfach entwischen lassen würde, dennoch ließen ihn Sasukes außergewöhnliche Fähigkeiten daran festhalten. Es würde einiges erleichtern, käme sein Bruder ohne seine Hilfe frei. Aber Arakawa durfte nicht vergessen, wessen Geisel Sasuke war. Sakamoto war als Herr durchaus gerecht gegenüber seinen Gefolgsleuten, wovon er sich in seiner Zeit unter ihm immer wieder selbst hatte überzeugen können. Als Widersacher hingegen sah es schon anders aus. Da er beide Seiten kannte, war die Angst um seinen Bruder berechtigt.

Arakawa hoffte, dass der Plan, den er mit Sasuke vor Ewigkeiten und ohne das Mitwissen seines neuen Herrn für so eine Situation aufgestellt hatte, funktionieren würde. Er war froh darüber, dass er Shishido nicht mit in die Befreiungsaktion hineinziehen musste. Die Gespräche mit ihm ließen außerdem erkennen, dass sein Herr vorerst auch nichts anderes plante. Dafür war er Kagetora beinah dankbar, denn dieser war alles, woran Shishido zurzeit denken konnte. Und die Tatsache, dass die beiden mächtigen Männer hier aufeinandertreffen würden, wo sein Herr Heimvorteil genoss, ließ ihn mit ruhigen Gewissen an seinem Plan festhalten. Ein Hauch Unsicherheit verblieb dennoch, denn Arakawa konnte nicht mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass sich Sasuke auch an ihre getroffene Abmachung erinnern würde. Viel Zeit war seit dem vergangen, und sie hatten es immer wieder versäumt, erneut darüber zu reden.

Diesen Gedanken verdrängend, steckte Arakawa das Telefon zurück in die Innentasche seines Anzuges, und blickte gespannt die schmale Straße hinab, auf der in wenigen Augenblicken das Auto ihrer Gäste erscheinen sollte. Ihm war berichtet worden, dass sich Kagetora vor 20 Minuten auf ihrem Gelände eingefunden hatte, und sich nun geradewegs auf dem Weg zu ihnen befand.

Arakawa konnte nicht sagen, was er von Kagetora hielt. Dafür hatte er bisher einfach zu wenige Berührungspunkte mit diesem Mann vorzuweisen. Was er aber mit Bestimmtheit wusste, ist, dass er dessen engsten Vertrauten dafür umso mehr hasste. Naoe erneut sehen zu müssen, auch wenn es nur für kurz war, wenn alles so klappte, wie er es geplant hatte, ließen in ihm unweigerlich Mordgelüste aufsteigen.

Dieser Mann hatte eine Seite von Shishido gesehen, die er nicht hätte sehen dürfen. Niemand, außer ihm selbst, sollte Shishido in leidenschaftlicher Ekstase sehen und erleben dürfen. Natürlich wusste Arakawa, dass dieser Gedanke von brennender Eifersucht verursacht wurde. Da half es wenig zu wissen, dass Shishido bisher nur wenigen Menschen solche Nähe erlaubt hatte. Neben ihm selbst gab es lediglich Houjou Ujiteru, der noch immer großen Raum in den Gedanken seines Herrn einnahm. Dieser machte ihm auch weniger zu schaffen, denn er war längst tot. Naoe hingegen lebte, und Arakawa fiel es schwer einzuschätzen, ob die besondere Behandlung, die dieser durch Shishido erfahren hatte, wirklich nur dem Zweck diente, Kagetora zu erzürnen.

Arakawa unterdrückte die aufsteigende Frustration und war über die Ablenkung, ausgelöst durch den Ruf einer seiner Männer, mehr als froh. Er konnte auch sofort den Grund für die Aufregung ausmachen. In weniger als 500 Meter Entfernung kam ein Wagen zum Vorschein, der sich ihnen mit langsamer Geschwindigkeit näherte.

„In Stellung gehen und nichts tun, bevor ich nicht ausdrücklich den Befehl dazu gebe. Wir sollen unsere Gäste unversehrt zu ihrem Gastgeber bringen.“ Die kleine Gruppe um Arakawa setzte sich in Bewegung. Den verborgenen Scharfschützen, die sich links und rechts von ihnen im Wald befanden, signalisierte Arakawa ebenfalls die Statusänderung. Mit wachsender Anspannung sah er dem Auto entgegen.
 

„Und was jetzt?“ Kousakas Frage durchbrach die Stille, die sich seit beinah einer halben Stunden ungehindert im Auto ausbreiten konnte. Er stoppte den Wagen, und sah nach hinten. Takaya blickte an ihm vorbei nach vorn zu der Gruppe wartender Autos, die von acht bewaffneten Personen flankiert wurde. Er murmelte leise eine Beschwörung und schloss die Augen.

„Kagetora?“ Naoes Stimme ließ ihn einen Moment später wieder aufblicken.

„Am Waldrand auf beiden Seiten befinden sich je zwei Scharfschützen. Wohl für alle Fälle. Dass sie mit zwei Autos warten, kann nur bedeuten, dass wir in ihrer Mitte im Konvoi fahren sollen.“ Während Takaya die anderen aufklärte, schnallte er sich ab und ignorierte Naoes fragenden Blick. „Fahr langsam an sie ran, und halt im Abstand von 20 Metern an. Naoe und ich werden wie abgesprochen aussteigen. Ihr beide werdet hier warten. Wenn es nicht so läuft, wie ich mir das hier vorgestellt habe, werden wir euch Rückendeckung geben. Sieh zu, dass du Yuzuru dann so schnell wie möglich zum vereinbarten Platz bringst und dort wartest, bis entweder wir oder Haruie auftauchen. Hast du verstanden?“ Nun sah Takaya Kousaka direkt an.

„Was gibt es daran nicht zu verstehen? Ich soll gleichzeitig Kindermädchen und Chauffeur spielen.“

Yuzuru war im Begriff, seinen Unmut über Kousakas Worte laut kundzutun, als er die Hand seines besten Freundes auf dem Unterarm spürte. Ein Blick auf das dazugehörige Gesicht ließ ihn verstummen.

„Ich sage es nur zu gern noch einmal: Wenn Yuzuru etwas in deiner Obhut zustoßen sollte, werde ich dich finden und ein für alle Mal aus der Welt schaffen. Ich hoffe, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt.“

Kousaka wollte dem Blick ihres Anführers keine Sekunde länger standhalten, und drehte sich wortlos wieder um.

„Ich interpretiere dies als ein Ja. Und nun fahr.“
 

Der Wagen kam ein weiteres Mal zum Stehen und Arakawa beobachtete, wie Bewegung in dessen Inneren entstand. Einen Augenblick später stiegen zwei Personen aus, von denen er die eine sehr gut kannte. Von der anderen nahm er an, dass diese Kagetora sein musste. Er musterte diesen Menschen eingehend und kam nicht umhin festzustellen, dass Shishido mit der zu den Fotos zusätzlichen Beschreibung nicht übertrieben hatte. Vor ihm stand in der Tat ein junger Mann, dessen machtvolle alte Seele ihn beinah ehrfürchtig werden ließ. Er sah Kagetoras Augen golden funkeln, während dieser einige Schritte, dicht gefolgt von Naoe, auf ihn zutrat und dann stehen blieb.

„Kagetora-dono, nehme ich an?“ Arakawa sah, wie sich Naoe bei seinen Worten für einen Moment versteifte. „Wenn es Ihnen recht ist, würden wir Sie und Ihre Gefolgsleute ab hier zum Haupthaus geleiten. Mein Herr erwartet Sie dort bereits.“ Die Anspannung, die in der Luft lag, war bis zum Zerreißen gespannt und Arakawa hatte das Gefühl, dass daran hauptsächlich Kagetoras engster Vertrauter schuld war. Dieser sah ihm mit unverhohlenem Hass entgegen.

„Wir hätten den Weg auch allein gefunden.“, entgegnete Takaya kühl.

„Daran hege ich auch keinen Zweifel. Aber es ist der Wunsch meines Herrn, dem ich nachkommen mö-“

„Dein Herr hat ziemlich ausgefallene Wünsche, wenn ich mich recht erinnere.“, fiel Naoe Arakawa ins Wort, der mit diesen Worten für rote Wangen sorgte.

„Naoe, lass gut sein. Dann sollten wir wohl aufbrechen, um deinen Herrn nicht warten zu lassen, nehme ich an?“

Arakawa drängte die Wut über Naoes Bemerkung zurück und nickte zustimmend. „Wir werden Sie und Ihren Wagen eskortieren. Wenn Sie dies Ihrem Fahrer bitte mitteilen würden.“

„Werde ich.“, sprach Takaya, der sich damit auf den Weg zurück zum Wagen machte. Erst als er bemerkte, dass sich Naoe nicht neben ihm befand, sah er alarmiert zurück. Dieser stand noch an gleicher Stelle und beobachtete mit bitterer Miene, wie Arakawa und dessen Männer wachsam ihre Autos bestiegen.

„Naoe?!“

Als der Angesprochene seinen Namen hörte, drehte er sich schuldbewusst um, und traf auf den fragenden Blick seines Herrn. Er setzte sich umgehend in Bewegung, um aufzuschließen.

„Shishido scheint wirklich an einem Gespräch mit dir interessiert zu sein.“ Naoe sah über das Auto hinweg zu Takaya, der ihn mit einem seltsamen Blick bedachte. „Was?“

„Beim nächsten Aussteigen werden wir Shishido gegenüber stehen. Kann ich mich auf dich verlassen?“

Naoe empfand diese Frage als Schlag ins Gesicht, obwohl er nachvollziehen konnte, warum sein Herr jene stellte. Warum blieb er auch gedankenversunken stehen, und sah dem Gegner hinterher.

„Natürlich. Entschuldige.“, antwortete er zuversichtlicher als er sich fühlte, während er selbst einstieg.
 


 

Shishido blickte zufrieden von seinem Handy auf und verließ einen Augenblick später seine Räume, um seine Gäste an der Eingangstür zu empfangen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  MASTAH
2011-08-29T00:25:29+00:00 29.08.2011 02:25
yay mal wieder gut :3


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