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Schall und Rauch

Which path will you choose?
von

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Stellaione Arlet: http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-und-Rauch-Stellaione-98448346

Gelphies Besenritt:: http://i297.photobucket.com/albums/mm223/Pantherin/gelphiewow.jpg

Gelphie-Bett-Szene: http://wickedryu.deviantart.com/art/Hold-you-tight-98870027

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Kapitel 40
 

Als Accursia hörte, wie eine Kutsche auf den Hof fuhr, sah sie neugierig von ihrem Schreibtisch auf. Nachdem Londaro bei ihr gewesen war, hatte sie erst recht nicht mehr schlafen können. Ihr ging so viel durch den Kopf, dass sie es nun alles aufschrieb und auch die Rede für den morgigen Tag abermals durchging.

„Du liebe Güüüüüüüte!“, hörte Accursia eine kreischende Frauenstimme und stand gespannt auf. Durch das Fenster sah sie eine pompöse Kutsche aus schwarzem Buchenholz, verziert mit perlmuttfarbenden Türgriffen und Stufen.

‚Stellaione Arlet ist auch noch im tiefsten Schneesturm eine wirkliche Erscheinung!’, dachte Akaber amüsiert und sah zu, wie Stella versuchte, sich durch den Schnee zu kämpfen.

Ihr blondes Haar war viel kürzer, als Accursia es in Erinnerung hatte, aber vielleicht lag das auch an dem schwarzen Hut, den Stella trug. Sie trug ein schwarzes Minikleid mit blauen Akzenten oberhalb ihrer Brust und Akaber sah ihr an, dass sie entsetzlich fror.

Mit der Handtasche wedelte Stella nach irgendetwas und schnauzte laut herum.

„Schnee! Schnee! Das ist ja nicht zu glauben! Meine ganze Garderobe ist falsch! Ohhh, ich falle gleich um! HE! SIE DA! Kommen Sie her! Wissen Sie…“

Accursia musste laut lachen. Stella war zwar eine der ältesten ihrer Mädchen, aber ihr kindliches Temperament machte das Alter wieder wett. Eines musste sie der Frau jedoch lassen: Wenn es um knifflige Angelegenheiten ging, wusste Stella immer genau, wie sie bekam, was sie wollte. Sie hatte mehr Blut an ihren Fingerspitzen, als irgendeine andere Frau in ihrem Alter…

„UM WIEVIEL UHR?“, brüllte die blonde Dame nun unten im Hof, was Accursia erneut zum Lachen brachte.

„Jetzt ist der ganze Palast wach…“, schmunzelte sie erneut und überlegte kurz, ob sie Stella nicht empfangen sollte.

Dann öffnete sie das Fenster. Sofort schoss ihr ein kalter Schwall von Schneeflocken entgegen.

„Starlet!“, rief sie laut in die Nacht hinein.

‚Starlet’ drehte sich verwirrt um und suchte den Winkel, aus welchem die Stimme gekommen war.

„Aurrrrria!“, rief sie erfreut, als sie die ältere Frau am Fenster erkannte und winkte mit beiden Armen.

„Ich komme runter!“

„Und ich gehe rein!“

Schnell schloss Accursia das Fenster, schlüpfte in ihren dunkelblauen Morgenmantel und schlich die dunklen Treppen des Palastes hinunter.

Stella stand – schon wieder motzend – in der hell erleuchteten Eingangshalle. Jytte war bei ihr und machte ein schuldbewusstes Gesicht.

„Stella Arlet mein Starlet!“, sagte Akaber freudig und schloss die blonde Frau in die Arme.

Es war das erste Mal, dass Jytte ein erleichtertes Gesicht machte, in Akabers Anwesenheit.

„Ich bringe Ihr Gepäck schon mal hoch!“, meinte Jytte schnell und stieg mit den ersten drei von ungefähr 14 Reisetaschen die Treppen hoch.

„Auria, wie schön, dich endlich mal wieder zu sehen!“

„Was hast du dich denn so aufgeregt, Kindchen?“

„Ach, erst schneit es – ich habe ja die ganze Fahrt geschlafen und dank meiner Schlafbrille auch sehr gut, danke der Nachfrage und dann komme ich hier an und muss in fünf Stunden schon wieder aufstehen!“, jammerte Stella.

„Dafür kann Jytte aber nichts“, meinte Akaber in Erinnerung an den Gesichtsausdruck der Dienerin.

„Das ist mir doch egal!“, lachte Stella.

Nun musste auch Accursia lachen: „Das weiß ich wohl. Nun, dann geh mal schnell ins Bett und wir sehen uns morgen früh in aller Frische!“

Stella schnaubte nur und gab Accursia einen Kuss auf die Wange. Sie wusste, dass sie schon immer Akabers Liebling gewesen war.

„Schlaf gut, Kindchen.“

„Schlaf du auch gut, Auria. Danke, dass du für mich noch mal runtergekommen bist!“

„Ich war eh wach!“, winkte Accursia ab und stieg dann wieder die Treppen zu ihrem Zimmer hinauf.

All die Jahre ‚im Dienste’ des Zauberers hatte Accursia mit den drei anderen Frauen Kontakt gehalten und sie für ein paar hinterhältige Machenschaften engagiert. Nachdem sie ins Gefängnis gekommen war, wusste sie, dass sie dennoch auf die Unterstützung ihrer drei ehemaligen Schülerinnen zählen konnte und sie hatte sich nicht getäuscht. Stella war damals die Erste gewesen, die sie kontaktiert hatte und zwar unter dem Decknamen ‚Starlet’.

Bei dem Gedanken musste Accursia schmunzeln und schloss lautlos die Tür ihres Zimmers.

Als sie die unfertigen Papiere auf ihrem Schreibtisch liegen sah, ließ sie sich seufzend in den edlen Schreibtischsessel fallen.

Stella hatte sie mir ihrer Ankunft aus den trüben Gedanken gerissen, deren Faden Accursia nun wieder aufnahm.

Sie flog noch einmal schnell über ihre Rede, änderte nur den letzten Satz und legte das Blatt dann zufrieden weg. Danach nahm sie das andere Stück Papier zur Hand, auf welches sie länger als eine Stunde gekritzelt hatte.

Accursia las es durch, damit sie dort anknüpfen konnte, wo sie aufgehört hatte. Der erste Teil, den sie geschrieben hatte, ging um das Leben mit ihrem Emmanuel. Wie sie sich kennengelernt, lieben gelernt und getrennt hatten. Was sie alles zusammen gemacht hatten und zum Schluss hatte Accursia begonnen, Emmanuels größtes Problem zu beschreiben: seine Kinderlosigkeit.

Sie setzte erneut die Feder an und schrieb weiter:

Emmanuel hatte immer sehr darunter gelitten, dass er anscheinend keine Kinder zeugen konnte. Erst nahmen wir an, dass es vielleicht an mir läge, doch nach einer Untersuchung meinerseits war klar, dass es an ihm liegen musste. Danach war er so am Boden zerstört, dass es ein Jahr lang gedauert hat, bis wir uns endlich wieder geliebt hatten.

Mich hat es nicht gestört, dass wir in der Öffentlichkeit kein Paar sein durften. Ich verstand zwar nie, aus welchem Grund, aber ehrlich gesagt war es mir gleich. Ich wollte nur mit ihm zusammen sein.

Ich nehme an, es hätte seine Autorität untergraben, wenn er sich dann doch nach all den Jahren zu mir bekannt hätte.

Wie auch immer… Nachdem ich nach Shiz versetzt wurde, nahm unsere physische Liebe etwas ab und ich litt auch psychisch unter dieser Distanz und all die Jahre wusste ich, was unser Problem hätte lösen können: Ich hätte nur sagen müssen: Emmanuel, Ramón ist nicht der Sohn meines ersten Mannes, er ist dein Sohn. Aber das brachte ich nie über die Lippen. Ich hatte furchtbare Angst, er würde sich dann nicht mehr um mich scheren.

Schließlich hatte unsere Romanze mit einer belanglosen Affäre begonnen, noch bevor er überhaupt als Zauberer bekannt war… Das muss ungefähr zwei oder drei vor Oz gewesen sein… Danach habe ich ihn lange nicht gesehen und bekam auch Ramón ohne sein Wissen. Erst, als ich mich bei ihm im Hof um eine Anstellung bewarb, sahen wir uns wieder.

Er erkannte mich nicht direkt… ich hatte schließlich zugenommen und es dauerte wieder Jahre, bis wir zueinanderfanden.

Inzwischen machte mir Diego Avancen, auf die ich Dummkopf auch eingegangen bin. Dann bekam ich noch Aylin und das Chaos war perfekt.

Ich hielt es nicht mehr aus und erzählte Emmanuel, wer ich wirklich war. Er erinnerte sich nicht mehr genau daran, aber irgendwie haben wir wieder zueinander gefunden.

Also musste ich Diego loswerden. Niemandem habe ich es verraten, dass der Zauberer und ich wieder… zusammen waren, nicht einmal meinen eigenen Kindern!

Ich habe so viel für ihn durchgestanden und so viele Bürden auf mich genommen – NUR für IHN!

Und dann am Tag meiner Festnahme muss ich erfahren, dass er eine Tochter hat… Und diese Tochter muss auch noch ausgerechnet Elphaba sein…

Natürlich war ich sofort wütend, aber ich nahm an, das wäre alles vor mir gewesen… Doch dann habe ich zurückgerechnet und Elphaba ist nur ein oder zwei Jahre jünger als Ramón! Das bedeutet also im Klartext, nach mir hatte er noch wer weiß wie viele Frauen in Oz…

Jedes Mal, wenn ich jetzt an die Hexe denke, will ich sie tot sehen. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass sie genauso leidet wie ich und das wünsche ich auch Glinda! Nur wegen den beiden ist mein Traum in tausend kleine Scherben zerbrochen.

Ich war nie besonders offen, was Emotionalität angeht, aber das hier macht mich einfach rasend! Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, dass ich mit dieser ekelhaften Person verwandt bin! Ich bin ihre Stiefmutter! Sie ist meine… das kann ich beinahe kaum ausschreiben… ‚Stieftochter’ und Ramón ist ihr Stiefbruder.

Wären Glinda und Elphaba nicht gewesen, wäre ich heute eine glückliche Frau mit zwei erwachsenen Kindern und einem Mann, mit dem ich über Oz regieren würde.

Aber nein, so sollte es nicht sein.

Morgen… Ich verbessere mich, es ist schon nach Mitternacht: HEUTE werde ich die Grundlagen für den schrecklichsten Tod vorbereiten, den Oz je gesehen hat. Ich werde die beiden daran erinnern, wer ich bin. Ich werde mich daran erinnern, wer ich bin und ich werde mich daran erinnern, was ich will:

Ich will die beiden Frauen tot sehen!

Zufrieden ließ sie die lange Feder aus ihrer verkrampften Hand sinken und lehnte sich im Sessel zurück.

Ein Jahr lang hatte sie an dieser Sache nun geknabbert, dass Elphaba Elea Thropp ihre Stieftochter sein sollte. Als Glinda diese Tatsache ihrem Emmanuel damals im Palast vorgeworfen hatte, hatte sie nur mit dem Kopf geschüttelt und gedacht: ‚Alles nur Schall und Rauch! So ein Blödsinn!’

Doch ihr Emmanuel war damals auf die Knie gefallen und hatte sich ergeben. IHR Emmanuel hatte sich ergeben.

Noch nie war ihr im Leben ein abscheulicheres Bild in Erinnerung geblieben, bis auf das Gesicht von Elphaba. Nun war das Verlangen, die Hexe zur Rede zu stellen, erneut erwacht.

„Ja…“, murmelte Accursia auf dem Weg zu ihrem Bett, „Londaro hatte recht: Dass die Hexe lebt, ändert den ganzen Plan… Und das kommt mir sehr gelegen. Elphaba Thropp, ich finde dich. Ohne Zweifel…“
 

„Hui, Elphie… Jetzt weiß ich auch, warum mir so kalt ist.“ Glinda zitterte vor sich hin, während Elphaba mit ihren Händen über die nackten Oberarme rubbelte.

„Ich würde vorschlagen, wir fliegen jetzt aber mal ganz schnell zurück nach Kiamo Ko.“, murmelte Elphaba, noch immer vom Schnee erstaunt.

„Wie hast du vor, Fiyero gegenüber zutreten?“

„Ich werde ihm die Wahrheit sagen…“

„Die da wäre?“, Glinda drehte sich verblüfft um.

„Dass ich das Leben nicht so weiterleben kann und dass ich nicht dasselbe für ihn empfinde, was er für mich empfindet. Ich weiß, er wird nicht sehr… erfreut sein, aber ich habe das jetzt lange genug mit mir herumgeschleppt…“ Elphaba seufzte tief.

„Bis jetzt hattest du auch keinen Grund dazu, ihm das zu sagen!“

„Doch Glinda, um der Ehrlichkeit willen!“

„Dann formuliere ich das anders: Bis jetzt hattest du auch keine andere Zukunftsperspektive…“

„So sei es mal akzeptiert!“, grinste Elphaba nun Glinda an und strich einmal kurz durch die blonden Locken, aus welchen ein paar Schneeflocken rieselten. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass das alles wirklich passierte…

Seufzend stand die blonde Schneekönigin auf und zog am anderen Ende der Decke, was Elphaba in den Schnee purzeln ließ.

„Heee…“, protestierte die Hexe, als Glinda kichernd die Decke faltete.

Elphaba rappelte sich auf und griff nach ihrem Besen. Die beiden hatten während ihrer Unterhaltung immer mal wieder etwas genascht und nun war zum Glück nichts mehr übrig, was sie hätten mitnehmen müssen.

Also setzte die Hexe sich im Damensitz auf ihren Besen und murmelte leise vor sich hin, sodass er nicht weit über dem Boden schwebte. Glinda legte ihr die Decke um die Schultern und Elphaba protestierte erneut: „Nein, Glinda, nimm du die Decke!“

„Blödsinn! Ich nehme dich!“

„Was?“

Ohne zu antworten, hüpfte Glinda sanft auf Elphabas Schoß, umschlang mit ihren Armen den dünnen Oberkörper und legte ihren Kopf auf den Brustkorb der Hexe. Dann zog sie leicht die Beine an und murmelte: „Jetzt können wir…“

Elphaba blickte zärtlich auf die eiskalte Blondine auf ihrem Schoß und griff mit der linken Hand um Glindas Schultern, sodass sie guten Halt hatte.

Die Frau auf dem Schoß klammerte sich noch etwas fester an ihre Freundin und seufzte tief. Elphaba roch so gut… Müde schloss sie die Augen und fühlte den seichten Flugwind auf ihrem Rücken. Beide Kleider flatterten im Wind und der Mond ging langsam am Himmel auf.

Bis auf ein paar kleine Wolken war es nun eine sternenklare Nacht. Die beiden Frauen hatten nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war und Elphaba bewunderte den hellen und vor allem großen Mond.

Sie liebte solche Nächte und war früher oft alleine geflogen, wenn der Mond ihr genügend Licht gespendet hatte. Dabei hatte sie auch sehr oft über Glinda nachgedacht und sich manches Mal einen gemeinsamen Flug gewünscht.

Nie im Leben hätte sie geglaubt, dass es irgendwann einmal wirklich passieren würde. Aber in ihrem Leben hatte sie so vieles für unmöglich gehalten…

Elphaba musste schmunzeln, als sie Glinda leise brabbeln hörte. Das war ein unverkennbares Zeichen dafür, dass ihre Freundin eingeschlafen war.

Die grüne Hexe fühlte eine warme Welle durch ihren Körper schwappen. Es war eine Art Glücksgefühl. Sie senkte ihren Kopf und küsste Glindas Locken.

Warum sie den Drang dazu spürte, wusste sie nicht, aber sie wollte nie wieder ihre innere Stimme ignorieren.

Während des Fluges dachte Elphaba darüber nach, ob es nun noch irgendwelche offenen Fragen in Bezug auf die vergangenen Geschichten gäbe, doch ihr fiel keine mehr ein. Glinda hatte ihr alle Fragen beantwortet und nun stand nichts mehr zwischen den beiden Frauen. Es waren viele Missverständnisse gewesen, die beiden das Leben sehr erschwert hatten. Elphaba war erleichtert, dass auch sie alle Fragen beantwortet hatte.

Die Hexe ließ einige Gesprächsteile noch einmal Revue passieren und hörte Glindas glockenklare Stimme, die in ihrem Kopf widerhallte: „Weißt du, Elphaba, wir hatten eine außergewöhnliche Freundschaft… Nein, wir HABEN eine außergewöhnliche Freundschaft.“

‚Oh…’, stellte Elphie schmunzelnd fest, ‚… ich habe doch noch eine Frage…’

Doch es war eine gute Frage und mit diesem Wissen flog sie etwas schneller auf Kiamo Ko zu. Sie hoffte innig, Fiyero würde ihr ruhig entgegentreten.

Es dauerte nicht lange und sie sah die Burg im Mondschein vor sich liegen. Vorsichtig verringerte sie ihr Tempo und ließ den Besen sanft auf den Hof hinabgleiten. Sie hatte gesehen, dass das Fenster zu ihrem Schlafzimmer geschlossen worden war.

„Glinda?“, flüsterte die Hexe leise. Der Schnee war auf ihrer Haut trotz der eisigen Kälte zu Wasser geschmolzen, doch sie spürte nicht einmal den leisesten Schmerz.

Als die blonde Frau keine Antwort gab, positionierte Elphaba, die noch immer auf dem Besen saß, Glindas Arme so, dass sie nun um den sonst grünen Hals lagen. Dann erst glitt sie leise vom Besen und umfasste den Rücken ihrer Freundin mit einer Hand. Mit der anderen griff sie unter die Oberschenkel.

„Und ich dachte immer, du bist federleicht!“, grinste Elphaba, doch Glinda schien das alles nicht zu interessieren. Noch immer zitternd schlief sie ruhig weiter.

Dem Besen befahl die Hexe, sich an der Wand niederzulassen und er gehorchte. In keinem der Fenster war Licht zu sehen und Elphie fragte sich auf dem Weg zur Eingangstür, ob Fiyero überhaupt zu Hause war.

An der Tür angekommen, versuchte Elphaba mit ihrem rechten Ellbogen die Klinge hinunter zu drücken, was ihr nach dem dritten Anlauf auch endlich gelang. Der große Empfangsflur lag in schwarzer Dunkelheit vor ihr. Sie kannte sich dort gut genug aus, um den Weg auch in dieser Finsternis zu finden und durchquerte dann den Wohnsaal. Auch hier brannte kein Licht und von Fiyero gab es keine Spur.

Sie musste ihn finden, doch erst sollte Glinda ins Bett. Sie zitterte noch immer in den Armen der Hexe.

Mit Bedacht nahm Elphaba Stufe für Stufe und öffnete die Schlafzimmertür abermals mit ihrem Ellbogen. Vorsichtig brachte sie Glinda um das Bett herum und legte sie dann auf ihre Seite des Bettes. Es war die Seite, auf der sie auch damals aufgewacht war.

Die Hexe wusste, wie ungern Glinda an der Tür schlief, also schob sie die Decken über den noch immer kalten Körper und suchte dann nach dem Behälter, den sie Glinda auch beim letzten Mal mit unter die Decken gelegt hatte. Sie fand ihn und füllte ihn mit warmem Wasser. Dann wickelte sie noch ein Tuch darum und die Bettdecke an Glindas Füßen abermals hoch. Behutsam platzierte Elphaba nun den Wärmespender so, dass er die zarten Füße nicht verbrannte und deckte sie dann wieder zu.

Sie selber fror auch etwas und sie wollte nichts sehnlicher, als endlich schlafen, doch erst musste sie Fiyero finden.

Also huschte sie lautlos ins Badezimmer und schnappte sich ihren Morgenmantel. Mit einem kurzen Blick in den Spiegel erschrak sie sich beinahe zu Tode.

‚Großer Oz, das bin ja ich!’, dachte sie geschockt, als sie eine normalfarbige Frau von oben bis unten musterte. Geschwind band sie sich ihren Mantel um und tastete nach der Kette.

‚Die habe ich ja völlig vergessen! Fiyero wäre ausgerastet!’, dachte sie und öffnete den Verschluss.

Als sie die Kette neben ihren Spiegel gelegt hatte und sich erneut darin musterte, schimmerte ihre Haut im Mondlicht wieder smaragdgrün.

Zufrieden nickte sie und huschte durch das Schlafzimmer zur Treppe, die sie genauso lautlos hinabstieg.

„Fiyero?“, flüsterte sie, als sie den Wohnsaal erreichte. „Flamara!“, nuschelte sie dann und einige der großen Kerzen erhellten plötzlich den Raum.

„Fiyero?“, flüsterte sie nun etwas lauter, doch sie erhielt keine Antwort. Angespannt ging sie in die Küche, doch auch dort war er nicht. Sie wusste nicht, was sie ihm sagen sollte, wenn er nun hier wäre… Aber Elphaba beschloss, sich von ihrer Intuition leiten zu lassen.

Etwas verwirrt über Fiyeros scheinbare Abwesenheit ging sie zurück in den Wohnsaal und begann erneut laut zu flüstern: „Fiyero Tiggu…“

Sie hielt mitten im Satz inne und griff nach dem Stück Papier, welches auf dem Tisch lag. Elphaba las es laut: „Bin spazieren. Bald wieder da!“

Daneben lag sein Buch über Traumdeutung, was Elphaba schmunzeln ließ. Erleichtert drehte sich die Hexe um und ging wieder zum Treppenansatz. Dort wendete sie sich in die Richtung der Kerzen, konzentrierte sich auf die Flammen und drückte dann ihre Handflächen parallel zum Boden nach unten. Es dauerte keine zwei Sekunden, bis jede Flamme erloschen war.

In der nun wieder stockfinsteren Dunkelheit tastete sich die Hexe an der Wand entlang bis zu ihrer Schlafzimmertür und schlich von dort aus ins Badezimmer. Schnell wusch sie sich ihr Gesicht und ihre Füße mit etwas Kamillenöl ab. Erst dann schlüpfte sie aus dem Kleid und in ihr Nachthemd.

Müde schlurfte sie zum Bett und ließ sich auf die dicke Matratze fallen. Die weichen Federn verschluckten jedes Geräusch.

Mit einem leisen Seufzer kuschelte sie sich unter die Decke und drehte sich auf die linke Seite, sodass sie Glindas blonde Locken im Mondschein sehen konnte. Die Freundin lag noch immer auf dem Rücken und schien tief zu schlafen.

Kraftlos schloss Elphaba die Augen und öffnete sie sogleich wieder.

Genervt stieg sie noch einmal aus dem Bett und drehte den Schlüssel an ihrer Zimmertür um.

‚Wenn Fiyero nach Hause kommt, muss er das ja nicht gleich sehen…’, dachte Elphaba und erinnerte sich an seine Worte und den Vorwurf mit Glinda.

„Elphaba?“, hörte sie Glindas Genuschel vom Bett her und war mit einer Bewegung neben ihr.

„Hier, Glinda. Ich bin hier.“

„Mir ist so furchtbar kalt…“

Ohne darüber nachzudenken, schlüpfte Elphaba mit unter Glindas Bettdecke und legte einen Arm um sie. Müde lächelnd drehte sich Glinda nun auch auf ihre linke Seite, sodass ihr Rücken an Elphabas Brust grenzte und kuschelte sich in die warme Umarmung.

„Besser?“, fragte Elphaba erschöpft in die stille Nacht hinein.

„Viel…“, bestätigte der blonde Lockenkopf und dann versanken beide Frauen in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
 

„Großer Oz, es ist ja stockduster hier drinnen!“, ärgerte sich Fiyero, als er die Tür zu Glindas Zimmer öffnete und den Lichtschalter suchte, diesen aber nicht fand. Also ging er auf den Flur zurück, nahm sich eine brennende Fackel von der Wand und ging abermals in das Zimmer seiner Ex-Verlobten.

‚In den letzten Jahren…’, dachte der Scheuch verärgert, ‚…hat sich so viel in Oz getan! Wasser- und Stromnetzwerke überall, nur das Zimmer von ‚Glinda der Guten’ ist ohne jeglichen Fortschritt?’

Man hatte nach der Abreise des Zauberers ein paar merkwürdige Pläne mit der Überschrift: „Wind- und Wasserwerk“ gefunden. Mit den Jahren hatten ein paar kluge Köpfe sie auch verstanden und umgesetzt.

Die Fackel in der Hand haltend, ging Fiyero langsam durch das Zimmer und leuchtete vorsichtig jede Ecke aus. In der Gegenwart von Feuer war ihm sehr unwohl.

Hinter ihm befand sich ein großer Kleiderschrank und direkt daneben stand die Tür zum Badezimmer offen. Das Bett stand an der Wand links von ihm und er musste ungewollt grinsen, als er dieses pompöse Etwas erblickte: Es war größer als ein gewöhnliches Doppelbett und war aus weißem Edelholz extra angefertigt worden. Das konnte Fiyero mit nur einem Blick sehen, denn es gab keine Unterbrechungen in der Verarbeitung des Holzes. Nur die durcheinander liegenden roséfarbenen Bettdecken erinnerten noch an die Nacht, als seine Fae Glinda gerettet hatte.

Bei diesem Gedanken legte sich ein Schatten über sein Gesicht und er spürte erneut die Wut, die sich in ihm langsam wieder ausbreitete. Fiyero wusste ganz genau, dass er keine wirklichen Gefühle mehr empfinden konnte. Es war eine Art gesteuerter Selbstprozess von Einbildung und dieser erleichterte ihm so einiges in den letzten Tagen.

Der Scheuch wendete seinen Kopf zur rechten Seite des Zimmers. Hier gab es eine kleine Sitzecke mit zwei großen Sesseln und einem Kaffeetisch. In der Wand war ein offener Kamin eingebaut worden und direkt neben dem Kamin stand ein weiterer Kleiderschrank.

Langsam ging er vorwärts, denn im Fackelschein konnte er die gegenüberliegende Wand nicht erkennen. Als er sich der Wand jedoch näherte, konnte er die Konturen eines Schreibtisches ausmachen und rieb sich innerlich schon die Strohhände. Genau DAS hatte er gesucht.

Plötzlich flackerte das Licht der Fackel, was den Scheuch dazu veranlasste, seinen Arm reflexartig weit weg von seinem Körper zu halten.

Schon bald hatte er die Quelle des Übels gefunden: Die Balkontüre stand offen und er kombinierte, dass dies auch noch von jener Nacht gewesen sein musste, denn gleich darauf entdeckte er auch das große Loch in der danebenliegenden Fensterscheibe.

‚Nach dem Vorfall war niemand mehr hier?’, wunderte er sich.

Vorsichtig zündete Fiyero die Kerzen an, welche auf Glindas Schreibtisch standen und nachdem er auch alle anderen Fackeln in diesem Raum angezündet hatte, stellte er seine Fackel in eine dafür vorgesehene Halterung. Der Raum schien nun viel heller und Fiyero ließ seinen Blick noch einmal durch dieses warme und sehr einladende Zimmer schweifen.

Erst dann setzte er sich auf Glindas Schreibtischstuhl. Da der Schreibtisch genau unter dem zerbrochenen Fenster stand, lagen Blätter und Scherben überall verteilt, was darauf hindeutete, dass etwas oder jemand von draußen die Scheibe kaputt geschlagen haben musste. Wäre es andersherum gewesen, würde der Großteil der Scherben auf dem Balkon liegen.

Mit einer Armbewegung wischte Fiyero die Scherben und das Laub vom Tisch. Etwas enttäuscht stellte er fest, dass ansonsten nichts anderes darauf gelegen hatte.

‚Hier muss doch aber etwas drin sein…’, dachte er hoffnungsvoll, als seine Strohhände sich an der obersten Schublade zu schaffen machten. Sie enthielt nichts außer Stifte und einiger lose Blätter.

Auch die zweite Schublade war eine Enttäuschung und Fiyero merkte, wie sehr ihn das frustrierte. Aus lauter Wut und Aggression riss er die letzte Schublade auf. Mit einem Griff schleuderte er alles hinaus, was sich darin befand. Ein Regen aus weißen und unbeschriebenen Blättern, Stiften, Affenmarken, Stempeln und belanglosen Büchern prasselte auf den Teppichboden nieder.

Erschöpft ließ er sich tief in den Schreibtischstuhl versinken: ‚Es kann doch nicht sein, dass es hier kein Anzeichen gibt!’ Dieser Gedanke machte ihm beinahe schon Angst, denn er musste Beweise GEGEN Glinda finden, um seine eigenen Handlungen vor sich und seinem Gewissen rechtfertigen zu können.

‚Und auch gegen Elphaba!’, dachte er wütend, als er sich noch weiter in den Stuhl sinken ließ und die Beine langsam ausstreckte.

„Nanu?“, entwich es ihm, als er gegen die hintere Platte des Schreibtisches stieß. Er hatte seine Beine noch nicht einmal ganz ausgestreckt und es war ein recht großer Schreibtisch, also war es unwahrscheinlich, dass in der Mitte eine Platte unterhalb eingebaut worden war.

Verwundert ließ er sich auf alle viere gleiten und tastete in der Dunkelheit nach der eingebauten Wand. Was er dort fühlte, weckte seine Hoffnung noch viel stärker als je zuvor. Es war eine Art Geheimfach, denn das Schlüsselloch befand sich in der rechten Ecke ganz oben auf der Platte und hatte die gleiche Farbe wie das Brett selber.

‚Wahrscheinlich zur Tarnung’, dachte sich Fiyero und seine Vorfreude glich der eines Kindes während Lurlinachten. Doch diese Vorfreude sank, als er mit allen Mitteln versuchte, die massive Geheimtür zu öffnen, doch es wollte dem Scheuch einfach nicht gelingen.

Schnell krabbelte er wieder unter dem Schreibtisch hervor und durchsuchte erneut, nun viel gründlicher als zuvor, alle Schubladen.

„Oz im Ballon!“, fluchte er, als er nichts fand. Doch dann hatte er einen Einfall: ‚Sie ist eine Frau… Wo verstecken Frauen Dinge, die nicht gefunden werden sollen?’

Innerlich hoffte er auch, dass Glinda den Schlüssel nicht bei sich trug und fing an, ihr Zimmer zu verwüsten.

Er begann mit dem Kleiderschrank neben dem Kamin: Fiyero schmiss alles auf den Boden, was dort zu finden war. Doch nachdem sich alle möglichen Röcke, Blusen, Haarbänder, Nachthemden und jegliche Art von Unterwäsche auf dem Fußboden befanden, stellte er fest, dass es in diesem Schrank nichts zu finden gab.

Mit großer Eile ging er dann zum nächsten Möbelstück über und riss alle Kissen aus den Sesseln, doch auch hier war nichts versteckt. Beinahe wäre er auf dem Weg zu Glindas Bett über eines der Bücher gestolpert, welche er eben noch aus dem Schreibtisch gerissen hatte.

Neugierig betrachtete er das Durcheinander,ging in die Hocke und las sich die Buchtitel durch: ‚Jahrestrends und Jahresflopps – Finden Sie Ihren Stil!’, ‚Romantische Poesie, Band 3’, ‚Innere Verarbeitung und äußere Erscheinung’, ‚Die Liebe am See’, ‚Regieren leicht gemacht’, ‚Emotionenguide: Bekommen Sie Ihre Gefühle in den Griff!’, ‚Komplexe Explikation - Religion: Kritiklose Übernahme oder juristische Prägnanz?’.

‚Kritiklose Übernahme oder was?’, stutzte der Scheuch in Gedanken, denn dieses Buch unterschied sich nicht nur vom Titel her von den anderen Büchern. Während die meisten Bücher noch recht neu und auch ungelesen schienen, war dieses Buch schon sehr zerfallen und hatte ein paar eingeknickte Ecken, was darauf hindeutete, dass es oft gelesen wurde.

Fiyero konnte sich an keine Zeit erinnern, in welcher Glinda sich für ein solches Thema interessiert hatte und wendete es deshalb, um auf dem Rücktext zu lesen. Dabei fiel etwas zwischen den Seiten hinaus und landete vor Fiyeros Füßen auf dem Boden. Neugierig hob er es auf. Auf der Rückseite stand in leserlicher Schrift geschrieben: „Elphaba & Galinda, Sommer; Shiz – 17 n. Oz“. Als er einen Blick darauf warf, musste er sich hinsetzen und ließ das Buch aus der Hand gleiten. Erst betrachtete er das Bild geschockt und dann teuflisch grinsend.

‚Mein erster Beweis!’, gestand er sich innerlich ein und legte das Foto der beiden Studentinnen vorsichtig auf den Kaffeetisch.

Dann machte er dort weiter, wo er aufgehört hatte und riss den ganzen Inhalt von Glindas Nachttischen heraus. Erst danach schaute er unter dem Bett nach.

Da er nichts gefunden hatte, lief er hinüber ins Badezimmer und durchsuchte jede noch so kleine Schmuckdose nach dem Schlüssel.

Auch dort erfolglos ging er wieder grübelnd in das Zimmer und sah sich noch einmal um. Bis auf den Kleiderschrank, der nun direkt rechts neben ihm stand, hatte er alles durchsucht und war nicht fündig geworden.

Mit einem letzten Funken von Hoffnung öffnete Fiyero den sehr großen Schrank. ‚Frauen…’, seufzte er belustigt, als er die unzähligen Schuhe in allen Farben und Formen erblickte. Auf den ersten Blick konnte Fiyero nichts Verdächtiges ausfindig machen. Trotzdem ließ er seinen Blick von Regal zu Regal wandern und sah sich jedes Paar Schuhe genau an: Rosane, gelbe, blaue, weiße, hohe, flache, offene, Riemchenschuhe, Stöckelschuhe…

‚Stiefel?’, erneut stutzte Fiyero, als er in der untersten Ecke des großen Schranks ein Paar braune Schnürstiefel entdeckte, die absolut nicht in das Gesamtbild der Farbenpracht passten.

Aufgeregt griff er nach dem linken Schuh und dachte: ‚Wenn mich nicht alles täuscht, dann… könnten das Elphabas Schuhe von damals sein!’ Die Strohhände drehten das Paar Schuhe hin und her.

„Das SIND Elphabas Schuhe!“, rief er aus, nachdem er die Zunge hinuntergeklappt und die Initialen „E. T.“ entdeckt hatte. Darunter war mit einem anderen Stift ein kleines Herz gekritzelt worden, doch die Schrift wie auch das Herz wiesen große Verschleißspuren auf.

Fiyero wusste, dass er fündig geworden war, nur konnte er noch nicht genau sagen, was er da eigentlich gefunden hatte. Aufgewühlt schüttelte er den Schuh und als nichts zu hören war, griff er zur Sicherheit noch einmal hinein.

‚Nichts!’, stellte er emotionslos fest und griff sofort nach dem zweiten Schuh. Auch hier war etwas auf die Innenseite der Zunge geschrieben worden, doch man konnte es kaum noch lesen. Als er nun den anderen Schuh schüttelte, konnte er durch das braune Leder fühlen, wie sich etwas im Inneren des Schuhs bewegte.

Aufgeregt griff er hinein und zog einen kleinen, silbernen Schlüssel hervor. Unverzüglich hob er den zweiten Schuh vom Boden auf, stellte dann beide Exemplare auf den Kaffeetisch neben das Bild und rannte zum Schreibtisch. Hastig ließ er sich auf die Knie fallen, robbte ein Stück nach vorn und steckte den Schlüssel ins Schloss.

‚Er passt!’, freute die Vogelscheuche sich innerlich, als sie den Schlüssel umdrehte. Die Tür sprang mit einem leisen Knacken auf.

Da es unter dem Schreibtisch noch dunkler war, als im Rest des Raumes, konnte Fiyero nicht direkt erkennen, was er dort gefunden hatte. Also griff er nach einem Stapel Papiere, Akten und Büchern, von welchem er nur die Umrisse sah. Mehr schien sich nicht darin zu befinden, doch auch hier steckte er zur Sicherheit noch einmal seine Hand in das Fach. Als er von der rechten in die linke Ecke des Verstecks fuhr, stießen seine Finger gegen etwas Nachgiebiges und ohne Zögern zog Fiyero es heraus.

Wie gebannt starrte der Scheuch nun auf Elphabas alten, schwarzen Hexenhut, den er mit seiner rechten Hand umklammert hielt.

„So ist das also…“, murmelte er nachdenklich, als er wieder auf dem Schreibtischstuhl Platz nahm und den Stapel Akten auf die Holzplatte legte. Den Hut legte er direkt daneben und machte sich dann über den Stapel her.

„Wertpapiere, Familienstammbaum, Zeugnisse…“, las er laut und warf alles, was er nicht gebrauchen konnte, einfach hinter sich. Der Stapel wurde immer kleiner und am Ende, als nur noch ein Exemplar übrig war, konnte Fiyero seinen Augen nicht trauen.

Vorsichtig nahm er das Buch in die Hand, welches in schwarzes Leder gebunden und sehr alt war. Er schlug es behutsam in der Mitte auf und sah verblüfft auf die violetten Seiten, die mit glitzernder Tinte beschrieben worden waren.

„Das ist doch das Buch, das Elphaba Glinda geschenkt hat…“, raunte er resigniert niemandem zu. Er erinnerte sich, wie er oben auf der Wendeltreppe gestanden und dieses Abschiedszenario der Frauen mit angesehen hatte.

Im Kerzenschein blätterte er einige Seiten um, doch was dort stand, konnte er beim besten Willen nicht lesen. Die Worte schienen sich vor seinen Augen immer wieder neu aufzureihen. Verärgert klappte er das Buch wieder zu und betrachtete das schwarze Leder, welches schwach schimmerte.

Auf dem Leder konnte er keine Anzeichen für einen Titel erkennen, also klappte er nur die lederüberzogene Seite um und hoffte, dass der Titel oder die Bezeichnung für das Buch auf dem Einband stehen würden.

Als er jedoch den Einband aufgeklappt hatte, fiel ihm die Kinnlade vor Verblüffung hinunter, denn die Worte übertrafen all seine Erwartungen.

„Glinda…“, las er laut, nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte. Schon bei diesem Wort konnte er deutlich erkennen, dass es Elphabas Handschrift war.

„… es gibt noch so vieles, was ich dir sagen oder dich fragen möchte, aber uns bleibt dazu keine Zeit mehr. Zu viel ist geschehen und nichts davon kann ich rückgängig machen.

Dieses Buch bedeutet mir nichts, genauso wenig wie die Hexerei.

Dennoch will ich es dir schenken. Dabei ist der eigentliche Inhalt des Buches belanglos, genau wie das Buch selber.

Das, was ich dir noch mitteilen möchte, findest du auf der nächsten Seite.

Ich weiß nicht einmal, ob ich noch die Gelegenheit bekomme, dir das Grimorium zu schenken, aber sollte ich es schaffen, dann zeige die nächste Seite jemandem mit musikalischer Begabung und du wirst meine Botschaft verstehen.

Es ist alles, was ich dir noch geben kann.

Lebe wohl,

Elphaba“

Verwirrt starrte Fiyero auf die Handschrift, welche für ein ungeschultes Auge kaum lesbar gewesen wäre. Für ihn war klar, dass Elphaba dies kurz vor ihrem offiziellen Tod geschrieben und dabei nicht gewusst hatte, ob sie Glinda vor ihrem Tod noch einmal sieht.

Fiyero hatte es nie glauben wollen, doch nun war es offensichtlich: Elphaba hatte nie geplant, vor den Hexenjägern zu fliehen. Sie wäre wirklich gestorben, wenn er, Fiyero, nicht eingegriffen hätte.

Die Gedanken vertreibend, atmete der Scheuch noch einmal tief durch und blätterte dann angespannt die Seite um.

Es dauerte einige Sekunden, bis er einen Überblick über dieses scheinbare Durcheinander hatte. Es stand dort nur ein einziger Satz ganz oben am Rand: ‚No, I can’t live.’

‚Nein, ich kann nicht leben?’, rezitierte Fiyero nun noch verwirrter in seinen Gedanken den Satz. Er nahm diesen Satz als Beweis dafür, dass die Hexe wirklich hatte sterben wollen. Nur fragte er sich die ganze Zeit über, aus welchem Grund…

Dann richtete er seinen Fokus wieder auf den anderen Inhalt der Seite: Es waren eindeutig Notenzeilen. Sehr sauber war jede einzelne Linie gezogen worden und genauso sorgfältig war jede Note einzeln gemalt worden. Unter jede Notenzeile hatte Elphaba in sehr leserlicher Schnörkelschrift etwas geschrieben. Erst da verstand Fiyero, dass er ein Lied in den Händen hielt.

Ungläubig las er die erste Zeile des Liedes. Mit jedem Wort wuchs seine Wut, sein Zorn, sein Hass.

Doch nachdem er den Refrain gelesen hatte, war ihm eines begreiflicher als je zuvor: Elphaba Thropp hatte sich damals ein Leben ohne Glinda Hochborn nicht mehr vorstellen können und darum ihr Schicksal zu sterben akzeptiert.

Als er weiterlas, erkannte er auch, dass er, Fiyero Tiggular, also nie eine tragende Rolle in ihrem Leben gespielt hatte. ‚Nie…’, dachte er, als sich seine Hände um den Einband des Buches verkrampften und er sich zwang, das Lied bis zur letzten Zeile zu lesen…
 

Londaro fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Er hatte sich um fünf Uhr am frühen Morgen mit Fiyero treffen wollen, doch nun war schon eine halbe Stunde vergangen, ohne dass der Scheuch aufgetaucht war. In einer halben Stunde würde der Trupp aufbrechen, aber ohne Fiyero würde das nicht gehen, schließlich sollte er als Lockvogel in der ganzen Angelegenheit dienen.

Der Sekretär wusste, dass er Ramón unmöglich wecken konnte, denn das hatte er schon versucht. Der blonde Mann war nicht in seinem Zimmer gewesen und Londaro hatte kombiniert, dass nur noch ein Schlafgemach ausstehen würde: Penelopes.

‚Ich werde mich hüten, da noch einmal reinzugehen!’, dachte er und erinnerte sich dabei an den vergangenen Abend, als er Ramón und Penelope schon einmal gestört hatte.

Also hatte Londaro beschlossen, es wäre am Besten, Accursia über Fiyeros Abwesenheit zu informieren.

Als er den noch dunklen Flur entlang ging, an wessen Ende Accursias Schlafzimmer lag, kamen die Erinnerungen wieder in ihm hoch, als er Ramóns Mutter das letzte Mal geweckt hatten: Damals waren er und Ramón sehr früh am Morgen von einer berauschenden Party heimgekommen und die beiden waren nicht weniger berauscht gewesen. Lallend hatten sie das letzte Lied gegröhlt, welches der Mann in der Bar gespielt hatte. Doch plötzlich hatte Accursia vor ihnen gestanden. Kein Wort hatte sie gesprochen, aber bei ihrem Gesichtsausdruck waren beide jungen Männer sofort verstummt. Dann hatte sie die Arme gehoben, damit herumgefuchtelt und war wieder in ihrem Zimmer verschwunden.

Erst hatten beide Jugendlichen keine Ahnung davon gehabt, was passiert war, doch als sie Ramóns Zimmertüre geöffnet hatten, war es ihnen klar: Accursia Akaber hatte einen ‚kleinen’ Hagelsturm in das Zimmer gezaubert. Nach diesem Erlebnis hatte weder Ramón noch Londaro jemals wieder Accursias Schlaf gestört.

‚Jetzt bin ich aus dem erziehbaren Alter heraus…’, dachte Londaro und versuchte so, sich selber Mut zu machen.

Vorsichtig klopfte er an der Zimmertür und wartete geduldig ab. Als nichts passierte, klopfte er noch einmal und dabei fingen seine Hände an zu schwitzen.

Als Londaro Schritte hörte, wich er ein Stück nach hinten.

Accursia öffnete die Tür und blickte Londaro in die Augen: „Ja bitte?“ Sie sah nicht aus, als wäre sie gerade erst aufgewacht oder müde, als riss sich der Sekretär zusammen:

„Guten Morgen, Auria! Verzeih mir, dass ich dich so früh störe, aber ich kann Fiye… Fiyero?!“, rief er ohne jede Vorwarnung aus, als er die Vogelscheuche in Madame Akabers Schlafzimmer stehen sah.

Verwirrt blickte er von Fiyero zu Auria und wieder zu Fiyero.

Zu Londaros noch größerer Verwunderung lächelte Accursia ihn an: „Du kannst ihn mitnehmen. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es gleich losgeht. Du kannst ihn selber fragen, was er bei mir wollte.“

„Ja… Danke…“, stammelte der Sekretär und sah, wie Fiyero ein Buch und einen braunen Stiefel auf den Schreibtisch legte und dann auf ihn zukam. Als er an Madame Akaber vorbeiging, nickte er ihr lächelnd zu und sie lächelte zurück. „Das wird ein Kinderspiel!“, grinste sie weiter und Fiyero nickte abermals.

„Was… kannst du mir das mal erklären?“, fragte Londaro verblüfft, als die beiden Männer den Flur zurückgingen, nachdem Accursia die Tür geschlossen hatte.

Fiyero klärte ihn schnell darüber auf, was er in Glindas Zimmer gefunden hatte.

Ungläubig starrte der Sekretär die Vogelscheuche an und konnte nicht mehr weitergehen.

„Sie hat ihr ein Lied geschrieben?“, fragte Londaro atemlos. Fiyero nickte nur.

„Und darin ging es wirklich darum, dass sie ohne…“

„Jaja!“, unterbrach der Scheuch nun genervt. Er wollte sich das alles nicht noch einmal anhören.

„Ich würde sagen, da haben wir unseren Sapphismus-Beweis gefunden!“, stöhnte der dunkelhaarige Mann und setzte sich wieder in Bewegung.

„Allerdings!“ war das letzte, was Fiyero zu diesem Thema sagte.

Nach einer Weile des Schweigens sagte Londaro: „Ich hole noch eben meine Sachen und dann treffen wir uns draußen.“

Um fünf vor sechs hatten sich soweit alle Soldaten auf dem Hof versammelt. Fiyero stand etwas abseits und wartete noch auf Londaro. Er war froh, dass er nicht alleine mit dem Trupp marschieren sollte.

Als er sah, wie der Sekretär angelaufen kam, stieß er einen erleichterten Seufzer aus. Londaro trug eine dicke Pelzjacke, Mütze und Handschuhe. Es war immer noch bitterkalt, obwohl es irgendwann in der Nacht aufgehört hatte, zu schneien.

„Was ist das?“, fragte Fiyero verwirrt, als er auf das elfenbeinfarbige Etwas in Londaros behandschuhten Händen deutete.

„Offiziell ist es das Start-Horn, aber heute ist es auch das Weck-Horn.“, grinste der Sekretär.

Den ersten Teil hatte Fiyero begriffen, aber mit der Betitelung „Weck-Horn“ konnte er nichts anfangen.

„Wen willst du denn wecken?“

„Na unsere Biester!“, lachte Londaro und setzte das Horn an seine Lippen an. Nach einem kräftigen Atemzug blies der Mann mit ganzer Kraft seinen gesamten Lungeninhalt in das Horn, welches furchtbar laut ertönte. Obwohl Fiyero keine Schmerzen empfinden konnte, hielt er sich reflexartig seine Hände an die Stelle, wo jeder normale Mensch seine Ohren hatte.

Londaro lachte atemlos: „Stella wird das ganz besonders freuen!“

Nachdem er wieder Luft geholt hatte, schrie er: „LINKS UM! … ABMARSCH!“

Wie eine kleine Armee setzte sich der Trupp in Gang, bei welchem Fiyero und Londaro das Ende bildeten. Sie hatten geplant, dass der oberste Soldat den Trupp bis zu dem kleinen Städtchen kurz vor Kiamo Ko anführen sollte. Ab dort sollte Fiyero die Gruppe führen…
 

Als das Horn ertönte, wachte Penelope erschrocken auf: „Ramón?“, sagte sie flüsternd und rüttelte den nackten Mann neben sich. „Ramón, was war das?“

„Das Weck-Horn!“, gähnte er laut.

„Das was?“ Penelope kicherte leise.

„Ich hasse Politik!“, murmelte der blonde Mann neben ihr. „Da muss man immer so früh aufstehen…“

„Oder eben nicht so spät ins Bett gehen…“, grinste Penelope in die Dunkelheit hinein. Die beiden waren vor noch nicht einmal zwei Stunden erst erschöpft eingeschlafen, nachdem sie sich unzählige Male geliebt hatten.

Penelope kuschelte sich etwas näher an Ramóns Brust und spielte mit seinen Armhaaren. Unaufhörlich zupfte sie daran, bis Ramón ein genervtes Gemurmel von sich gab: „Du weißt doch, dass ich das nicht leiden kann…“

„Genau darum mache ich es doch! Wir müssen aufstehen!“, erklärte Penelope sachlich, doch Ramón hörte den scherzhaften Unterton.

Er drehte sich spielerisch von ihr weg und schrie kurz danach erschrocken auf, als Penelope ihm in die Hüfte biss.

„Ich gebe auf!“, stöhnte er und rieb sich seine schmerzende Seite, doch Penelope war schon auf dem Weg zum Badezimmer.
 

„Seelenlos, du hassen Politik, aber komm runter!“, rief Adlerauge ihrem Lieblingsadler zu, der sich nach dem Erklingen des Weck-Horns schreckhaft in die oberen Gewölbe verzogen hatte. Als die schwarz-haarige Frau bemerkte, dass keiner ihrer Adler oder Raben freiwillig seine sichere Position aufgeben wollte, ging sie langsam zu dem Käfig mit den Mäusen und griff hinein. Mit einer gekonnten Handbewegung hielt sie vier Mäuse mit dem Pinzettengriff am Schwanz fest.

„Seelenlos!“, befahl sie und warf die erste Maus in die Luft. Wie ein schwarzer Blitz schoss der Adler durch die Luft und ließ sich mit der Maus im Schnabel auf dem Fußboden nieder.

„Nebulos!“, befahl sie als Nächstes und warf die kleinste Maus in die Luft. Der Rabe schoss im Sturzflug auf die Maus nieder und köpfte sie noch während des Fluges. Zufrieden lächelte Adlerauge.

„Finsternis, Pech!“, rief sie und hielt je eine Maus in jeder Hand mit gespreizten Armen von ihrem Körper weg. Noch ein Rabe und ein Adler schnappten der Frau gezielt die Mäuse aus der Hand und genossen das Festmahl.

Seufzend ließ die Frau aus Quadlingen sich in einen großen Sessel sinken und betrachtete ihr Zimmer. Sie war sehr zufrieden, alle ihre Forderungen waren erfüllt worden. Nach einer halben Stunde, als ihre Vögel mit den Mäusen fertig waren, erhob sich die Frau aus dem Sessel und breitete ihre Arme aus, sodass sie mit den Schultern eine Linie bildeten.

„Adlerauge jetzt auch Frühstück!“, sagte sie laut und pfiff dann kurz durch ihre Zähne. In weniger als drei Sekunden saßen die vier Vögel auf den starken Armen – zwei auf jeder Seite.
 

„WAS IN OZ?!“, schrie Stella erschrocken auf, als das Horn ertönte. Sie war schon vor einer Stunde aufgestanden und gerade dabei, sich zu schminken. Vor lauter Schreck hatte sie sich mit der Wimperntusche ins Auge gestochen und als sie dieses nun wieder öffnete, schrie sie fluchend auf: „ICH HASSE POLITIK!“

Ihr rechtes Auge war völlig mit Tusche verschmiert und es tränte ungemein. Vorsichtig wusch Stella nun noch mal alles ab und begann dann von Neuem. Dass es ein schlechter Morgen werden würde, hatte sie schon festgestellt, als ihr Wecker um fünf Uhr geklingelt hatte: „Denn wenn die Sterne nicht mehr am Himmel stehen, ist es Zeit, aufzustehen. Stella, Starlet, wach auuuf…. Denn wenn die…“

Ganze fünf Mal hatte ihr Wecker auf sie einreden müssen und erst dann hatte sie genervt ihre Schlafbrille vom Gesicht gezogen. Doch ein Blick aus dem Fenster hatte ihr bewiesen, dass die Sterne eben DOCH noch am Himmel standen.
 

Madame Akaber stand mit einem Lächeln auf den Lippen vor ihrem Fenster, als sie das Weck-Horn hörte. Sie schaute kurz von dem schwarzen Lederbuch auf, welches sie in ihren Händen hielt und sah auf den Hof. Die Truppen marschierten gerade los und es würde nicht mehr lange dauern, dann würde auch Aylin Akaber wieder im Palast eintreffen. Sie war die letzten Tage damit beschäftigt gewesen, sich um den Presseteil zu kümmern und die Politiker zu bestechen…

Doch dann richtete Madame Akaber ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Buch. „I can’t live…“, flüsterte sie kopfschüttelnd und das Lächeln auf ihren Lippen wandelte sich in schallendes Gelächter.

Accursia warf ihren Kopf in den Nacken und lachte lauthals los.

‚Das wird ein Kinderspiel!’, dachte sie unter Lachtränen. ‚Ich werde Aylin sofort wieder weiterschicken! Niemand kennt sich besser mit der Handhabung der Gerüchteküche aus als sie!’

Doch Accursia wusste, dass Aylins Talent nicht nur alleine von ihrer Arbeit als Reporterin herrührte. Denn ehemalige Opfer waren einfach immer die Besten, wenn sie auf dem gleichen Gebiet zu Tätern wurden.

‚Noch bevor die Zeremonie heute Abend beginnt, wird ganz Oz…’, setzte sie in Gedanken an, doch der erneute Schwall von Gelächter machte es ihr unmöglich, den Gedanken zu Ende zu führen.
 

Noch immer müde öffnete Meredith die Augen. Im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie war und warum sie trotz geöffneter Augen nichts als Dunkelheit sah. Sie vernahm leises Getuschel und langsam erinnerte sie sich. Ein merkwürdiges Geräusch hatte sie geweckt.

„Was war das eben für ein Geräusch?“, fragte sie in das Gemurmel hinein, welches von Elanora und Gideon kam.

„Ah, Guten… Da ich nicht weiß, welche Uhrzeit es ist: Hallo Meredith! Wie hast du geschlafen?“, fragte Gideon aufheiternd.

„In Anbetracht unserer misslichen Lage ganz gut. Aber ich habe einen grausamen Hunger…“

„Den haben wir wohl alle…“, stimmte Elanora zu.

„Seid ihr schon lange wach?“, fragte Meredith aus Angst, etwas Wichtiges verpasst zu haben.

„Nein, auch erst seit eben…“, meinte Gideon.

„Um mal zu deiner Frage zurückzukommen…“, erklang Orez Stimme, „Das Geräusch war das Start-Horn…“ Er hatte schon einige Male miterlebt, wie der oberste Soldat damit immer wieder einen kleinen Übungstrupp angeführt hatte.

„Du meinst, DAS Start-Horn? Für die Soldaten?“, fragte Meredith verblüfft.

„Ja.“

„Was um alles in Oz geht da draußen vor… Aber… Moment mal… Die Übungstrupps starten doch sonst immer vom Palast aus… Ich bezweifle zwar, dass es sich hierbei um eine Übung handelt, aber… Aber das würde bedeuten, wir sind NICHT im smaragdischen Gefängnis. Wir sind…“

„…mittendrin…“, meinte Elaine trocken, die nur den letzten Teil des Gespräches aufgrund ihres festen Schlafes mitbekommen hatte.

Während der Rest der Gruppe sich nun angeregt über die Bedeutung des Aufenthaltsortes unterhielt, rief Meredith immer und immer wieder leise Resedas Namen. Doch ihre Frau reagierte nicht.

Ohne jede Vorwarnung wurde auf einmal die Tür aufgerissen und Kwen stand im hellen Licht, dass nun in den dunklen Raum geworfen wurde.

„Schönen guten Morgen, alle zusammen!“, meinte er fröhlich und lächelte in die Runde.

„Kwen, bitte hilf Resi. Bitte, ich flehe dich an!“ Meredith war am Rande der Verzweiflung, als sie Resedas blasses Gesicht im Licht sah.

„Später, später…“, winkte der ehemalige Sekretär ab, ging eilig auf Orez zu, band ihn los und führte ihn vor die Tür.

Es vergingen keine fünf Minuten und Orez saß wieder auf seinem alten Platz.

„Was war das denn jetzt?“, fragte Elaine verwundert, als Kwen zur Tür herausgerauscht war.

„Ich habe ihm lediglich erklärt, dass ich nichts heraus finden konnte.“

„Und dann hat er dich einfach so gehen lassen?“ Gideon konnte das nicht glauben.

„Nach einem Tritt in den Unterleib und einer Morddrohung… ja…“, seufzte Orez und versuchte, die Schmerzen im Unterleib zu unterdrücken. „Er hat auch gesagt, dass er in zehn Minuten noch mal herkommt… Keine Ahnung, was er vorhat. Ich hoffe, er kümmert sich dann um Reseda!“

„Das hoffe ich auch…“, sagte Meredith tonlos. Sie hatte große Angst um ihre geliebte Frau… Resi war stark, aber nach beinahe zwei Tagen ohne Wasser und Licht waren sie alle etwas angeschlagen.

„Sie haben diese Soldaten, von denen ihr eben gesprochen habt, bestimmt geschickt, um unsere Galinda zu suchen…“ Elanora fiel es gar nicht auf, dass sie den richtigen Namen ihrer Tochter benutzte. Gideon bemerkte es und wusste, dass seine Frau ihre Tochter nur so nannte, wenn sie sich Sorgen machte oder aber wenn sie mit großer Liebe von ihr sprach. Der gebürtige Name hatte sich bei beiden Elternteilen als ein Synonym für das Kind in Glinda manifestiert.

„Ja, das denke ich auch… Vor allem müssen wir im Palast sein, denn Kwen würde es nie und nimmer in zehn Minuten vom Gefängnis bis zum Palast und wieder zurückschaffen…“, argumentierte Orez.

Das war der Auslöser für eine Diskussion der momentanen Lage und Möglichkeiten, bei welcher Meredith ganz still blieb. In ihrem Kopf schaltete sie alles um sich herum aus und versuchte, ihre Gefühlsebene mit der ihrer Frau zu verbinden. Doch sie schaffte es nicht… Sie empfing nicht mal einen Funken Gefühl von ihrer Frau, was ihre Sorge noch um einiges steigerte.

Es dauerte nicht lange, bis Kwen wieder auftauchte und diesmal zum Erstaunen aller, Elaine mitnahm.

Kurz darauf wurde sie wieder zurückgebracht und Kwen nahm Orez mit.

Als die beiden Männer weg waren, erzählte Elaine, dass sie hatte essen, trinken und auf die Toilette gehen dürfen. Sie musste ein paar Fragen beantworten in Bezug auf Glinda und dann hatte Kwen sie zurückgebracht. Das gleiche berichteten auch Orez und Gideon, als sie erst raus und dann wieder reingebracht worden waren.

Elanora war die nächste und wurde von Kwen abgeführt. Als sie nach kurzer Zeit, genau wie alle anderen zuvor, wiederkam, band Kwen Reseda los und musste sie aus dem Raum tragen, da sie nicht mehr ansprechbar war.

„Oh Oz… ich sterbe gleich…“ Meredith Stimme war mehr ein Flüstern. Sie fühlte sich schrecklich… Es gab keine Worte, die ausgereicht hätten, um ihre Gefühlslage zu beschreiben. Diese verschlechterte sich enorm, als Kwen ohne Reseda wiederkam und dennoch Meredith losband. Dann führte er sie unsanft aus dem Raum.

„Was hast du mit Resi gemacht?“, fauchte die Rothaarige ihren ehemaligen Sekretär an, als sie den Flur entlang gingen. Ihre Hände waren noch immer auf dem Rücken gefesselt und Kwens linke Hand hatte ihren rechten Oberarm in einem festen Griff.

Kwen machte sich nicht einmal die Mühe, ihr zu antworten.

Genauso wortlos betraten sie dann ein kleines Zimmer. Es hatte zwei Fenster, doch Meredith befand sich am anderen Ende des Raumes und konnte nichts von der Außenwelt erkennen.

Ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen stand direkt vor ihr. Kwen platzierte sie auf dem rechten Stuhl und band ihre Hände an der Stuhllehne fest.

„Erst essen oder erst reden?“, fragte er ohne jegliche Regung und setzte sich dabei auf den anderen Stuhl, der gegenüber von ihr stand.

„Erst reden!“, antwortete Meredith. Beim besten Willen hätte sie jetzt keinen Bissen runtergekriegt.

„Gut. Ich mache es dir einfach, du hast die Wahl.“ Dann machte er eine dramatische Pause.

„Nun sag schon!“, schnauzte Meredith und hätte ihn am liebsten erwürgt, doch ihre Hände waren so fest an den Stuhl gebunden, dass ihre Handgelenke schon zu schmerzen begannen.

„Entweder du erzählst dem Volk von Oz heute Abend genau das, was wir dir sagen oder deine Frau wird sterben.“

„Wie bitte?“, fragte Meredith tonlos und Kwen genoss es, in den Augen seiner ehemalige Chefin das erste Mal so etwas wie Angst zu entdecken.



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