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FFVII: Blue Wanderer - In the lines

von

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Rettungsmissionen

Cutter bewegte sich so lautlos wie möglich und mit fest zusammengebissenen Zähnen durch die Röhre, versuchte, die Spinnweben und huschenden Bewegungen um sich herum ebenso zu ignorieren, wie die aufsteigende Panik und sich stattdessen selbst zu motivieren.
 

Weiter! Komm schon, du kannst es! Sie sind nur ekelig, aber sie tun dir nichts. Es sind nützliche Tiere! (Auch, wenn sie furchtbar aussehen mit ihren acht Beinen und den vielen Augen und...) Nein, nein, nein, hör auf! Schokolade! Du wirst mindestens eine Tafel Schokolade essen als Belohnung, wenn du hier raus bist! Und duschen! Und... Sephiroth wird dir sagen, was er vorhin nicht sagen konnte. Was auch immer es ist. Er ist nicht sauer auf mich, ich bin so glücklich!! Wir können wieder Freunde sein! Alles wird gut!
 

Das bereits durch die entsprechende Line signalisierte Gitter tauchte vor ihr auf. Cutter wischte die davor hängenden Spinnweben vorsichtig beiseite und warf einen Blick hindurch. Der Raum war klein und leer – bis auf den (vielleicht zu) gut sichtbaren Stuhl, auf dem eine bewegungslose, in sich zusammengesunkene Person festgebunden war. Rufus Shinra, keine Frage. Sein Zustand hatte sich im Laufe der vergangenen Minuten erheblich verschlechtert, noch allerdings lebte er. Cutter überprüfte auch die restlichen Lines. Der Raum verfügte als einzige Fluchtmöglichkeit über eine weitere Tür – unverschlossen, und laut der Lines nicht an Fallen gekoppelt, aber welchen Sinn machte ein solch offensichtlicher Fluchtweg, wenn es keine üblen Konsequenzen gab?
 

Oder, dachte Cutter, sie spielt mit mir. Sie will mich verunsichern und verwirren, mich dazu bringen, mir so viele Gedanken über mögliche Fallen zu machen, dass ich die fallenlose Realität gar nicht bemerke und einen entscheidenden anderen Fehler begehe....
 

Hinter der Tür erstreckte sich ein niedriger, enger Tunnel, der abermals im Labyrinth der Kanalisation mündete, und auch hier konnte das Mädchen keine bösen Überraschungen entdecken. Dasselbe galt für den vor ihr befindlichen Raum – mit einem Gegner wie Toron jedoch war nichts unmöglich.
 

Sie will diesen Kampf um jeden Preis gewinnen und weiß, dass ich diesen Raum nur von hier aus und alleine betreten kann, die Bedingungen für einen Angriff sind also perfekt! Ab jetzt muss ich mit allem rechnen! Und darf dabei trotzdem nicht zu lange nachdenken. Und ich muss vorsichtig sein – aber nicht langsam! Also los!
 

Rufus Shinra war, wie seine Line verriet, bewusstlos, aber vielleicht würde ihn ein Geräusch aufwecken? Vorsichtig kratzte der Teenager an dem Gitter. Keine Reaktion. Von ihm war also vorerst keine Hilfe zu erwarten. Cutter sah sich die Blockade vor ihr genauer an. Keine Schrauben – aber Hinweise auf eine Drehvorrichtung. Das Gewinde sträubte sich nur kurz, offenbarte aber schon nach wenigen Sekunden ein neues Problem: Das gelöste Gitter war zu groß, um es in die Röhre zu ziehen, und es einfach fallen zu lassen schied, hinsichtlich des zu erwartenden Lärms, aus.
 

Verstehe. Du willst meine Hände blockieren. Aber das wird nicht klappen!
 

Cutter brachte sich, das Gitter fest in einer Hand, am äußersten Rand der Röhre in Position, fixierte den knapp 4 Meter unter ihr entfernt liegenden Boden an – dann warf sie das Gitter in die Luft und ließ sich fallen, rollte sich gekonnt ab fing einen Sekundenbruchteil später den zuvor geworfenen Gegenstand auf ohne hinzusehen und ging gleichzeitig in Verteidigungsstellung, bereit, ihre Materia alles und jedem entgegen zu schleudern... Aber nichts geschah.
 

Behutsam lehnte Cutter das Gitter an die Wand, dann näherte sie sich dem bewegungslosen Mann auf dem Stuhl und verzog unwillkürlich entsetzt und mitfühlend das Gesicht. Die äußerlichen Verletzungen standen den innerlichen in Nichts nach. Blut hatte den bestimmt einmal sehr hübschen Anzug durchtränkt, außerdem war er an vielen Stellen zerrissen und der in ihm steckende Körper mit gebrochenen, verdrehten Gliedern auf dem Stuhl festgebunden. Von Präsident Shinras Gesicht war nur noch eine blutende, aufgequollene und verfärbte Masse übrig. Ohne Zweifel war jemand verdammt wütend auf ihn gewesen.
 

Cutter war sofort klar, dass sie zuerst die Fesseln lösen musste, bevor sie die Materia einsetzen konnte, und sie tat genau das. Aus der unnatürlichen Position befreit rutschte der Körper augenblicklich zu Boden und blieb bewegungslos liegen. Cutter aktivierte die Materia und verfolgte angespannt mit Hilfe ihrer Augen und der 2nd Lines die Geschehnisse. Die Heilmateria entlud sich gänzlich – trickste den Tod aber einmal mehr aus. Die entsetzlichen Verletzungen verschwanden vollständig.
 

Rufus Shinra blinzelte mühsam, verhielt noch einen Augenblick bewegungslos, dann erhob er sich langsam und warf dem vor sich stehenden Teenager einen Blick zu, der... Cutter hätte mit allen möglichen Gefühlen gerechnet. Aber nicht mit einem derart kalten Ausdruck, der einen noch dazu zum Sprechen aufforderte. Instinktiv nahm das Mädchen Haltung an und salutierte.
 

„Blue Wanderer Tzimmek Cutter unter dem Kommando von General Crescent auf Rettungsmission, Sir!“
 

Rufus Shinras Laune war derzeit nicht die Beste. Mit Tendenz zur Verschlechterung. Nicht nur, dass es einer Horde Rebellen gelungen war, ihn aus seinem eigenen Büro zu entführen, Nein, sie hatten ihn auch noch in die ekelerregende Kanalisation Midgars geschleppt, ein Ort, der seiner absolut unwürdig war, und ihn hier stundenlang gefoltert. Und jetzt tauchte ein verdammter Teenager auf, um ihn zu retten?! Unter dem Kommando des einzigen Mannes, der in der Lage war, ihn zu töten?! Wo waren die Turks?? Wofür bezahlte er seine verdammten Leibwächter, wenn diese nicht bei Bedarf sofort zur Stelle waren?? Zum ersten Mal seit Jahren war der Präsident der mächtigen ShinRa Electric Power Company kurz davor, in Panik zu geraten.
 

Die Vergangenheit jedoch hatte ihn gelehrt, selbst in Extremsituationen die Nerven zu bewahren, und mit der Zeit hatten diese die Konsistenz von Drahtseilen angenommen. Äußerlich die Ruhe selbst, klopfte er seine zerrissene, blutbefleckte Kleidung ab, als ließe sich diese dadurch tatsächlich in einen besseren Zustand bringen, und erkundigte sich fast beiläufig:
 

„Wo ist General Crescent?“
 

„Irgendwo außerhalb dieses Raumes, Sir.“
 

Und vermutlich, dachte Rufus, auf der Suche nach einem zweiten Eingang.
 

„Du darfst deine... Rettungsmission... fortsetzen.“
 

Es war Cutters erste direkte Begegnung mit Rufus Shinra. Sie hatte sich durch Geschichten ein ungefähres Bild von ihm machen können und beschlossen, ihn als `undurchschaubar´ einzustufen. Jetzt fügte sie dem den Begriff `arrogant´ hinzu. Und... (sie hatte nicht damit gerechnet, vor Begeisterung erschlagen zu werden, aber ein kleines `Danke´ wäre wohl trotzdem schön gewesen) ... `undankbar´.
 

„Natürlich, Sir.“
 

Sie steuerte auf die nicht blockierte Tür zu. Nur ein Eisentor – und es ließ sich problemlos öffnen.
 

Das läuft alles zu glatt!, dachte Cutter. Obwohl sie Toron nicht orten konnte, ihre Gegenwart war deutlich spürbar. Die Rebellenführerin konnte jederzeit von überall her auftauchen und zum Angriff übergehen! Abermals begann Cutter, die Lines für die außerhalb liegende Umgebung genauestens zu überprüfen. Rufus beobachtete sie für ca. 2 Sekunden aktionslos. Zwar wusste er genau, was sie gerade tat, war aber nicht gewillt, sich länger in diesem Raum aufzuhalten. Wortlos trat er an ihr vorbei und zwang sie somit, die Überprüfung abzubrechen und ihm zu folgen.
 

Der hinter dem Raum beginnende Tunnel war so schmal, dass man unmöglich nebeneinander her gehen konnte. Cutter hätte gerne die Vorhut übernommen, aber selbst das Überholen war nicht möglich, und tief in ihr brodelte es.
 

Ich sehe ein, dass er mein Boss ist! Davor habe ich Respekt, keine Frage! Aber, verdammt noch mal, er ist unbewaffnet und hat keine Ahnung, ob es weiter vorne Fallen gibt oder nicht! Ich habe Materia und die Lines. Rein strategisch gesehen, wäre es besser, wenn ich vorne gehen würde!
 

Vorerst allerdings blieb ihr nichts anderes übrig, als einfach zu folgen. Glücklicherweise lauerten keine bösen Überraschungen in dem Tunnel. Er führte zurück in die eigentliche Kanalisation – und immer noch verrieten die Lines keinerlei Hinterhalte. Ein Zustand, der Cutter mehr und mehr verunsicherte. Jetzt allerdings schien die Rettung nicht mehr fern, denn die Lines gaben den Weg an die Oberfläche ganz klar an: Erst nach rechts, ein paar weitere Kursänderungen... Im normalen Tempo (und ohne von Toron ausgehende Störungen) würde es nicht länger als ein paar Minuten dauern, bis sie dem hier herrschenden, ein wenig mehr zu `dunkel´ tendierenden Zwielicht und all den anderen unsympathischen Details den Rücken würden kehren können...
 

Neben ihr sah Rufus Shinra kurz in beide Richtungen – und wandte sich entschlossen nach links.
 

„Äh, Sir?“ Cutter hatte Sephiroths Worte nicht vergessen – konnte aber unmöglich schweigen. „Ich möchte nicht unhöflich sein, aber wir sollten besser nach rechts...“
 

Rufus hielt inne, warf einen Blick über die Schulter und lächelte halb spöttisch, halb warnend.
 

„Blue Wanderer Tzimmek Cutter.“ Der Klang seiner Stimme war zu sanft, um ernst gemeint zu sein. „Versuchst du gerade, mir einen Befehl zu geben?“
 

„Nein, Sir.“ Cutter schüttelte den Kopf. „Aber die Lines sagen...“
 

„Tatsächlich.“
 

Gleichzeitig nahm er seinen Weg wieder auf. Ganz egal, welchen Plan dieses Mädchen zu verfolgen versuchte – er würde die ihm zugedachte Rolle nicht erfüllen! Er würde sich seinen Weg selbst suchen. Ausschließlich deshalb war es ihm gelungen, sich und seinen Konzern an die Weltspitze zu befördern! Abgesehen davon richtete er sich nicht nach den Worten anderer, ganz speziell, wenn Crescent seine Hände mit im Spiel hatte – und er selbst unbewaffnet war.
 

Verblüfft und ein wenig verärgert über soviel Arroganz beobachtete Cutter, wie ihr sturer Arbeitgeben entschlossen in die falsche Richtung marschierte, und eine tiefe innere Stimme riet dem Teenager von jeglichen Versuchen, ihn davon abzuhalten, ab, und ihm einfach nur zu folgen. Cutter schnaubte leise. Als hätte sie eine andere Wahl! Ob Toron dieses Verhalten mit eingeplant und es bisher deshalb keine Fallen gegeben hatte? Weil Rufus Shinra selbst die größte Falle war?
 

Toron... Wenn du mir vorführen willst, wie hilflos ich sein kann – das ist dir, manche Punkte betreffend, gelungen. Gratuliere! Aber weißt du was? Es ist mir egal! Ich werde ihn nicht alleine losrennen lassen! Und wenn du genau das eingeplant hast, ist es mir auch egal! Tauch auf, und ich werde ich dich gebührend in Empfang nehmen, versprochen!
 

Sie beeilte sich, ihrem Boss zu folgen. Dieser bog eben entschlossen um die erste Kurve - und prallte augenblicklich zurück.
 

„Haben wir uns verlaufen, Mr. President?“ Sephiroths Stimme klang wie mitternächtliches Donnergrollen. „Oder spielen wir `Ich sehe einen Ausgang, den du nicht siehst?´ Sollte dem so sein, fange ich an!“
 

Rufus schluckte trocken, überwand seinen Schrecken und wisperte mit eisiger Stimme:
 

„Vorsicht, Crescent! Ein Wort von mir und Sie sind Geschichte!“
 

Sephiroths makogetränkte Augen glühten für einen Sekundenbruchteil spöttisch auf.
 

„Geschichten leben ewig, Mr. President. Sofern es noch Leute gibt, die sie erzählen können. Die Geschichte Ihres Ablebens würde sich in jedem Fall sehr interessant berichten lassen – mit einigen kleinen Änderungen, versteht sich.“
 

Wow, dachte Cutter. Sie war mittlerweile nahe genug, um jedes Wort zu verstehen. Die beiden mögen sich aber gar nicht...
 

So unbeeindruckt Rufus äußerlich schien – seine Gedanken rasten. Flucht oder Kampf waren in jedem Fall sinnlos. Er hatte gesehen, wozu dieser Mann fähig war. Was blieb an Alternativen??
 

„In Ordnung, Tzimmek. Du darfst den Ausgang auf deine Weise suchen.“
 

Crescent würde ihn niemals vor Zeugen umbringen! Es sei denn, er würde die Zeugen ebenfalls... Momentan allerdings machte er nicht die Anstalten dazu, sondern ließ sich eine Materia zurückgeben.
 

„Ist leer“, teilte der Teenager halblaut mit, und der Elitesoldier nickte, verstaute die Materia und erkundigte sich nach der voraussichtlich verstreichenden Zeit bis zum Erreichen des nächsten Ausganges. Aus Kostengründen waren bei der letzten Sanierung die Ein- und Ausstiege halbiert worden, was aktuell einen Fußmarsch von mehreren Minuten bedeutete.
 

Zu Rufus heimlicher Erleichterung gab Sephiroth per Handy den geplanten Ausstiegsort, sowie die angepeilte Zeit an jemanden (hoffentlich Tseng) weiter, nickte Tzimmek zu, diese marschierte ohne zu zögern los, und er folgte ihr. Rufus blieb nichts anderes übrig, als dies ebenfalls zu tun – dennoch dachte er nicht einmal daran, sich zu entspannen. Er hoffte, dass die Turks nicht einfach nur dasitzen und warten, sondern die am Telefon gegebene Richtungsangabe nutzen und ihm entgegenkommen würden (hoffentlich mit einem neuen Anzug und einer Waffe!). Zwar war er weit davon entfernt, ihnen zu vertrauen, zog ihre Gesellschaft der Crescents jedoch bei Weitem vor. Die Turks waren loyal!
 

Vorläufig allerdings machte Sephiroth keinerlei Anstalten, anzugreifen. Je nach Zustand der an den Wänden angebrachten Lampen folgte er Tzimmek durch unentschlossenes Halbdunkel und sehr entschlossenes Dunkel, wortlos, und es war für Rufus mehr als seltsam, diesen Mann anderen Anweisungen als den Seinen oder Hojos folgen zu sehen. Dennoch tat er es. Und lieferte somit einen weiteren Beweis seiner Unberechenbarkeit ab.
 

Glücklicherweise dauerte die nervliche Folter nicht lange. Cutter kündigte die sich nähernden Turks schon nach wenigen Minuten an, und das baldige Aufglühen von Taschenlampen gab ihr Recht. Bis sich die so unterschiedlichen Parteien trafen, verging nicht viel Zeit.
 

„Ab hier übernehmen wir, General!“
 

So freundlich Tseng klang, seine Augen machten mehr als deutlich, dass er bereit gewesen wäre, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um sichere Distanz zwischen seinen Arbeitgeber und den undurchschaubaren 1st Class SOLDIER zu bringen. Gleichzeitig überreicht er Rufus dessen persönliche Waffe und einen neuen Anzug, wusste er doch, wie sehr sein Boss jegliche Art von Schmutz hasste, und dieser nahm die Utensilien an sich. Entschlossene Dunkelheit senkte sich herab, als Taschenlampen respektvoll ausgeschaltet wurden, um einen ungestörten Kleidungswechsel zu gewährleisten.
 

„Rebellenkontakt?“, erkundigte sich Sephiroth mit einer Betonung, die verriet, dass er das Gespräch nur begann, um das leise Rascheln von Kleidung nicht mit demütigem Schweigen zu untermalen.
 

„Etwas“, antwortete Tseng. „Ca. 25 haben versucht, uns am Betreten der Kanalisation zu hindern. Verständigung erfolgt via Headphones – ShinRa Material, wie ich nebenbei bemerken möchte -, und sie sind bis an die Zähne bewaffnet.“
 

„General Crescent...“ Rufus Stimme klang nahe genug, um alle von dem erfolgreich beendeten Kleidungswechsel wissen und erneut Taschenlampen aufflammen zu lassen, „ich erwarte eine endgültige Klärung dieser Rebellensache zugunsten ShinRa´s!“
 

„Natürlich, Mr. President. Sobald ich die Oberfläche erreiche.“
 

Mit anderen Worten, dachte Cutter und konnte sich ein grinsen nur mit großer Mühe verkneifen, sobald du aufhörst, zu trödeln. Boss.
 

Auch Rufus hatte den feinen Spott bemerkt, ignorierte ihn jedoch und nahm, flankiert von seinen Turks, den Rückweg wieder auf.
 

„Sollten wir nicht vorgehen?“, wisperte Cutter. Sephiroth schüttelte nur schweigend den Kopf. Gleichzeitig dachte er: `Wenn Rufus nicht bald jemanden erschießen kann, um sich selbst zu beweisen, wie skrupellos er ist, dreht er durch. Speziell Cutter ist hier besser aufgehoben.´
 

Und so folgten sie in einigem Abstand. Cutter hielt immer wieder inne, um ihren Weg mit Hilfe der 2nd Lines nach möglichen Angreifern zu überprüfen – aber es gab keine. Momentan waren Sephiroth, die Turks, Präsident Shinra und sie selbst die einzig lokalisierbaren Menschen in der Kanalisation.
 

Was Toron anging... Natürlich hätte sie hinter jeder Ecke auftauchen und das Feuer eröffnen können. Aber ergab das jetzt, wo Sephiroth und die Turks hier waren, um verteidigend einzugreifen, überhaupt noch einen Sinn? Langsam keimte der Verdacht eines ganz anderen Grundes für die Entführung in Cutter auf.
 

„Toron... wollte ihn gar nicht töten, oder?“, fragte sie leise. „Sie wollte Rache.“
 

Sephiroth nickte. Er hielt es ohnehin für angebracht, endlich die ganze Wahrheit zu erzählen.
 

„Hojo sollte im Auftrag von Shinra herausfinden, welche Leistungs- und Belastbarkeitssteigerungen bei Menschen möglich sind, denen man die Fähigkeit, äußerliche Gegebenheiten zu begreifen, nimmt. Rail wurde Opfer eines solchen Experimentes. Sie hat die Fähigkeit, zu fühlen, verloren.“
 

„Deshalb hat sie damals nicht auf den Elektroschocker reagiert“, wisperte Cutter entsetzt. Und dann... schwieg sie lange Zeit. Nichts mehr fühlen zu können... keine Kleidung, keine naturtechnischen Einflüsse, keine Berührungen – nichts! ... es musste grauenhaft sein. Wie nur hatte Toron all das so lange durchhalten können? Ob `Hass´ wirklich der einzige Motor gewesen war? Mit Sicherheit spielte auch `Verzweiflung´ eine große Rolle. Unter diesen Umständen zu einem Gegner ShinRa´s zu werden war... nachvollziehbar. Und Cutter konnte spüren, wie sich ihre Einstellung zu der Rebellenführerin änderte.
 

„Weißt du“, sagte sie irgendwann leise, „bisher habe ich sie fast gehasst. Aber jetzt... tut sie mir einfach nur noch Leid.“
 

„Die `Electric Power Company´ hat ihr Leben zerstört. Ihre Wut ist mehr als verständlich.“ In Gedanken fügte er hinzu: `Sogar für mich.´
 

„Was, denkst du, hat sie jetzt vor?“
 

„Da es ganz offensichtlich nicht ihr Hauptziel war, Shinra zu töten, ist wieder alles offen, und wir müssen weiterhin höchst wachsam sein. Wenn wir die Oberfläche erreichen, werden die Turks Präsident ShinRa zurück ins HQ bringen. Und du...“ Er verstummte.
 

Ich kann dich nicht kontrollieren, wie andere. In Situationen wie dieser laufen die dich betreffenden Dinge immer aus dem Ruder, selbst, wenn ich dabei bin. Darauf ist Verlass. Was also mache ich mit dir?
 

Irgendwann bemerkte er, dass der seinen Blick erwidernde Teenager... grinste.
 

„Was?“, grollte die SOLDIER Legende.
 

„Keine Sorge, Sephiroth-sama. Ich halte mein Versprechen.“
 

Wer sorgt sich hier?!, dachte der gefürchtete General entrüstet und fühlte sich für einen Augenblick seltsam durchschaut. Niemand außer Cutter hätte jemals... Wirklich, in deiner Nähe fühle ich mich immer so... lebendig. Und ich weiß immer noch nicht, warum... Wie ich dieses Gefühl beschreiben soll...
 

Er wusste es nicht. Aber auf der Oberfläche waren bereits alle nötigen Vorbereitungen getroffen worden, um diese Frage zu beantworten. Endgültig.
 

Die kleine Truppe erreichte die zum nächsten Ausstieg führende Leiter und Cutter überprüfte – diesmal unbehelligt von unüberlegten Aktionen - die Lines. Überall in den Slums wurde heftigst gekämpft – die nähere Umgebung oberhalb des Kanaldeckels jedoch war davon völlig unberührt. Zur absoluten Sicherheit suchte der Teenager nach allen ihr bekannten Waffenlines, aber es gab keine. Sie wandte sich zu Sephiroth um, zuckte mit den Schultern und schüttelte gleichzeitig den Kopf.
 

„Sauber.“
 

Tseng trat an ihr vorbei, kletterte die Leiter hinauf, zog seine Waffe, schob den Kanaldeckel beiseite und überprüfte die aktuelle Lage selbst, ehe er die Kanalisation verließ und den anderen mittels Handzeichen bedeutete, ihm zu folgen.
 

„Sie müsste da sein“, wisperte Cutter Sephiroth zu. „Müsste sie nicht da sein? Ich kann nichts verdächtiges entdecken, aber sie muss doch noch irgendetwas vorhaben?!“
 

„Hat sie“, antwortete der General. „Verlass dich drauf.“
 

Es war jene Atmosphäre, die großen Explosionen voranging. Das sich in einem See aus leicht entflammbarer Flüssigkeit spiegelnde Licht eines brennenden Streichholzes. Der Finger auf dem berühmten, roten Knopf. Eine Situation so angespannt, dass eine Steigerung kaum möglich war, untermalt von der Möglichkeit, sich im Fadenkreuz einer Waffe zu befinden.
 

Als Sephiroth die Kanalisation verließ, waren alle seine Sinne auf die Umgebung gerichtet, bereit, auch nur die kleinste Unstimmigkeit zu erfassen, korrekt zu bewerten und entsprechend zu antworten. Aber es gab keine! Die Kampfgeräusche waren deutlich zu hören, aber auf andere Straßen konzentriert, und der General wusste, was das zu bedeuten hatte.
 

Sie hat Shinras Line. Sie weiß, wo er sich befindet, immer. Und will ihn ziehen lassen. Weil sie es auf mich abgesehen hat. Oder auf Cutter. Was ist wahrscheinlicher? Die von meiner Line übermittelten Daten sind zu ungenau. Masamune hat keine Line. Cutter ist ein Blue Wanderer wie Toron selbst und besitzt keine Line... Egal, wen von uns beiden sie auswählt, sie wird uns erst finden müssen, bevor sie ihre Attacke starten kann... Und was, wenn es wieder geschieht? Wenn Cutter etwas zustößt? Und ich nichts dagegen tun kann?
 

Urplötzlich war es keine Befürchtung mehr, sondern eisige Gewissheit. Kristallklar und dennoch von der Konsistenz dicken Nebels, der einem die Orientierung raubte, sofern man das Ziel nicht innerlich klar vor Augen hatte. Sephiroths Sicht war momentan extrem eingeschränkt.
 

Ich gehe ins Zentrum der Kämpfe und kann sie unmöglich mitnehmen. Hier lassen scheidet ebenfalls aus. Und wenn ich sie doch mitnehme? Aber wenn sie ihre Materia aufgebraucht hat, ist sie wehrlos. Dieser Gefahr kann ich sie unmöglich aussetzen... Also muss sie hier weg! Sofort!
 

Er wählte die seines Erachtens nach sicherste Lösung.
 

„Cutter, hör zu! Du wirst mit den Turks gehen!“ Allein die Betonung unterband jeglichen Protest. „Tseng! Cutter ist in der Lage, Sie ohne jeglichen Feindkontakt aus den Slums zu führen. Vertrauen Sie ihren Richtungsangaben!“
 

Tseng war die Bezeichnung `Blue Wanderer´ nichts Neues, außerdem war er Zeuge gewesen, mit welcher Sicherheit der Teenager sich durch das Labyrinth der Kanalisation bewegt hatte, und ihre Angaben bezüglich der Oberfläche waren allesamt korrekt gewesen. Aber dennoch...
 

„Bei allem nötigen Respekt, General, aber...“
 

Sephiroth unterbrach ihn mit einer eindeutigen Handbewegung.
 

„Ich zweifle nicht an der Kompetenz der Turks!“
 

Tseng lächelte kaum merklich. So undurchschaubar der Mann vor ihm sein konnte – diesmal meinte er es ernst.
 

„In Ordnung, General. Aber sollten wir getrennt werden...“
 

„Keine Sorge, Cutter findet den Weg zum HQ auch ohne Ihre Hilfe.“
 

Er warf seinem Ghost Walker einen warnenden, mehr als deutlich signalisierenden: `Mach bitte keinen Unsinn!´ Blick zu. Cutters Mundwinkel zuckten kurz in jäher Erheiterung, dann erlangte sie die optische Kontrolle zurück – in ihren Augen allerdings tobte jenes vergnügte Lachen, das Sephiroth mittlerweile so gut kannte... und von dem er für einen Sekundenbruchteil fest überzeugt war, es nie wieder zu hören...
 

Mit aller Kraft schüttelte er die düstere Vorstellung ab, dachte: `Du hast es mir versprochen, Cutter! Halte dich daran! Bitte...´ und gab ihr mit einem knappen Nicken den Start der Mission zu verstehen.
 

Die Truppe um Präsident Shinra setzte sich, angeführt vom Cutter und Tseng, in Bewegung. Sephiroth sah ihnen für die Dauer einiger weniger Herzschlägen nach... dann wandte er sich um und marschierte den Kampfgeräuschen entgegen.
 

Vielleicht war die Einstellung für einen 1st Class SOLDIER seltsam, aber im tiefsten Grunde seines Herzens hasste es Zack, andere Menschen zu töten. Diese hier allerdings ließen ihm keine andere Wahl. Selten war er auf erbitterteren Widerstand gestoßen. Was als `Rebellen vs ShinRa´ begonnen hatte, war im Laufe des Gefechtes zu einem `Slums vs ShinRa´ geworden. All die in Jahren aufgestauten Gefühle der hier lebenden Menschen schienen sich innerhalb dieser Nacht zu entladen, und ihre Wut glich einem rasenden Inferno.
 

Zack hatte Gewehrkugeln aus der Bahn gebracht und war Raketen und Steinen ausgewichen. Die Trümmer eines urplötzlich zusammenbrechenden Hauses hätten ihn fast erschlagen. Eine alte Frau war mit einem Stuhl auf ihn losgegangen, und es war ihm gerade noch gelungen, die Lady zurück in ihr Haus zu schieben und die Tür zu schließen, bevor ein Dutzend bewaffneter Gestalten das Feuer auf ihn eröffnet hatte. Dank seiner Geschicklichkeit war es Zack einmal mehr gelungen, einen Sieg davonzutragen, ohne schwer verletzt zu werden, aber all diese Menschen zu töten oder (wenn möglich) lediglich kampfunfähig zu machen, beinhaltete keinen Ruhm, denn egal, mit wem er zusammenstieß: In ihren Augen saß jedes Mal derselbe Ausdruck. Diesem immer wieder und wieder zu begegnen, war ermüdender als jede Attacke mit dem Busterschwert.
 

Sie wissen, dass sie nicht gewinnen können, dachte Zack. Aber sie geben nicht auf... Und wir müssen sie zurückschlagen, ihnen ihre Schranken weisen... Schranken, die wir aufgebaut haben und hinter denen wir sie einsperren wollten... Es ist eines der stärksten menschlichen Bestreben, frei zu sein. Wenn wir auch nur einen Funken Gerechtigkeitssinn zeigen dürften, müssten wir ihnen helfen. Aber als SOLDIER haben wir unsere Befehle und müssen sie befolgen. Gaia, manchmal hasse ich meinen Job!
 

Seine Gedanken wanderten zu Sephiroth und Cutter. Ob es ihnen gut ging? Um den General musste man sich diesbezüglich weniger Gedanken machen, aber der Teenager erlebte zum ersten Mal eine Schlacht wie diese... Zack blieb nur Hoffnung.
 

Eine gigantische Explosion einige Straßen weiter erschütterte die Nacht, und Zack rannte augenblicklich in die entsprechende Richtung. Vielleicht konnte er, nur zur Abwechslung, helfen. Aber als er um die letzte Kurve schlitterte, blieb ihm nur ein abruptes Bremsmanöver übrig. Hier war jeder Gedanke an Hilfe unnötig.
 

General Sephiroth Crescent hatte die Kampfzone betreten. Um ihn herum lagen die Trümmer eines zerstörten Hauses, überall in diesen glühte das unmissverständliche Grün des Lebensstromes, und Zack wusste: Ganz egal, wie hart der Kampf bisher gewesen war – jetzt würde er noch härter werden.
 

Die Explosion hatte auch andere Kämpfer angelockt, Menschen, die beim Anblick des Generals augenblicklich das Feuer eröffneten. Sephiroths Antwort kam schnell und gnadenlos, und er trat an den zusammengebrochenen Körpern der Angreifer vorbei, noch bevor diese wirklich ruhig lagen, und nahm direkten Kurs auf den nächsten Kampf.
 

In strategischen Lehrbüchern wurde in Situationen wie dieser geraten, die vielen kleinen `Ziele´ zusammenzutreiben, um sie danach mit möglichst geringem Kraftaufwand beseitigen zu können. Aber keines dieser Bücher war für ein Szenario wie die Slums von Midgar geschrieben worden. Es gab einfach genug Möglichkeiten für die `Ziele´, sich zu verstecken, auszuweichen oder ihre Gegner in eine Falle zu locken, außerdem war der Heimvorteil auf ihrer Seite.
 

Demzufolge wurde überall erbittert gekämpft, Mann gegen Mann oder auch in weniger vorteilhaften Konstellationen. Etwas allerdings ließ sich nicht mehr in Frage stellen: Die Bewohner der Slums hatten sich auf diesen Tag vorbereitet. Mal erwies sich das als vorteilhaft – mal nicht.
 

Im Simulatorraum hätte Sephiroth ein Szenario wie dieses hier bestenfalls zum Aufwärmen benutzt. So jedoch war es die Realität – und er spielte mit jeder einzelnen der sich ihm bietenden Situation. Wer sich in seinen Weg stellte, wie viele es waren oder deren Alter... es kümmerte ihn nicht. Kalt lächelnd attackierte er seine Gegner, bevor diese Gelegenheit zum ersten Schlag hatten, blockte die seltenen, von ausreichender Schnelligkeit durchgeführten Angriffe oder wich ihnen aus, um gleichzeitig oder nur wenige Sekunden später zum stets tödlichen Gegenangriff überzugehen.
 

Manchmal ließ er seinen Gegnern ganz gezielt den Vortritt in der Wahl ihrer Reaktion auf sein Erscheinen, indem er Masamune nur anhob und sie kalt lächelnd näherwinkte. Ob sie flohen oder blieben – ihr Schicksal war besiegelt. Der eigentliche `Kampf´ dauerte oft nicht länger als ein paar Sekunden.
 

Im Gegensatz zu Zack machte sich der General keine Gedanken um die Gefühle, Ansichten, Träume und Hoffnungen dieser Menschen hier. Sie waren Gegner (nicht die bevorzugte Sorte, aber darauf konnte er momentan keine Rücksicht nehmen) auf einem Schlachtfeld, das ihn unterforderte, aber dennoch eines war, und er selbst war momentan nichts außer dem kalten, grausamen `Silbernen Dämon´, zu stark, zu schnell für die sich ihm in den Weg stellenden Personen, und nur hier, um zu siegen.
 

Gerade erledigte er 4 seiner Gegner gleichzeitig, indem er die von ihnen abgefeuerten Kugeln mit Masamune blockierte und zielgenau zurückschickte, dann kümmerte er sich um eine Raketenwerferstellung im zweiten Stock eines nahen Hauses. Weitere Körper gingen in den Lebensstrom ein, viele würden diesen noch folgen, und davon ganz abgesehen...
 

Als das Geräusch begann, glaubte Sephiroth für einen Augenblick, sich zu verhören. Zu absurd, zu fehlplatziert war der Klang. Er gehörte einem Handy. Seinem Handy. Für einen Augenblick war der General fest entschlossen, es zu ignorieren. Jeder wusste, dass er in den Straßen Midgars kämpfte, also wer war abgebrüht genug für eine derartige Störung? Zack? („Wo bist du, was machst du, hast du mich lieb?“) Toron? („Falls du dich langweilen solltest...“) Cutter? (Bei ihr konnte ausnahmslos alles passieren.) Ein Blick auf das Display schuf Klarheit.
 

Cutter. Vermutlich rief sie an, um ihm mitzuteilen, dass sie gut in ihrem Quartier angekommen war und jetzt ruhig und brav auf seine Rückkehr wartete. Das wäre jedenfalls typisch für sie gewesen... Der General seufzte leise, nahm das Gespräch an und bog gleichzeitig in eine der zahlreichen Seitenstraßen, die durch verdächtige Ruhe bestach, ein - und scheuchte eine Gruppe auf, die gerade dabei war, sich mit neuer Munition zu versorgen.
 

„Mach´s kurz!“, befahl der General dem Teenager am anderen Ende der Leitung relativ eisig. Eine Sekunde lang blieb es ganz still – dann antwortete Cutter. Worte, die so leise waren, dass sie im Kampfgebrüll der auf ihn zustürmenden und bis auf die Zähne bewaffneten, allerdings noch recht jungen Slumbewohner, untergingen.
 

Sephiroth nahm das Handy vom Ohr, holte tief Luft...
 

„RUHE!!“
 

Die Jungendlichen bremsten ihren Angriff irritiert ab, kamen zum Stehen, warfen einander verblüffte Blicke zu. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, General Crescent höchstpersönlich zu begegnen. Noch dazu, während dieser mitten in der Schlacht telefonierte... Eben hob er das Handy wieder zum Ohr, allerdings ohne die Gegner aus den grün glühenden Augen zu lassen, und forderte seinen unbekannten Gesprächspartner auf, fortzufahren.
 

Einen Augenblick lang lauschte er bewegungslos. Und dann geschah etwas, womit die ihn immer noch wie hypnotisiert beobachtenden Freiheitskämpfer ebenfalls niemals gerechnet hätten: General Sephiroth Crescent, der Mann, dem man nachsagte, eine emotionslose, kaltherzige Killermaschine zu sein... lächelte.
 

„Kannst du das noch mal wiederholen?“, erkundigte er sich in einem Tonfall, der für einen Mann wie ihn viel zu sanft war. Dann schüttelte er, immer noch sichtlich amüsiert, den Kopf. „Ich komme. Bleib, wo du... Ah, ich schätze, du wirst gar keine andere Wahl haben. Bis gleich.“
 

Er verstaute das Handy wieder und wandte sich der kleinen Rebellengruppe zu – jetzt allerdings gänzlich unamüsiert. Kurze Zeit später war er wieder unterwegs, diesmal in Richtung des von Cutter angegebenen Ortes. Die Häuser, an denen er vorbeikam, waren gezeichnet von in unmittelbarer Nähe stattgefundenen Kämpfen. Menschen waren nicht zu sehen, nur ein großer schwarzer Hund lag vor einem der schwer beschädigten Gebäude wie ein Wachposten. Er fletschte die Zähne, als Sephiroth vorbeiging, aber dieser beachtete ihn nicht.
 

Äußerlich völlig ruhig, innerlich aber mit vor Aufregung wild klopfendem Herzen bog er schließlich in die genannte Straße ein, suchte sich seinen Weg durch das Trümmerfeld und hielt inne, als sich ein Schatten aus der Ruine löste und nach wenigen Schritten zu Cutter wurde.
 

Sie war über und über mit feinem Schutt bedeckt, ein weiterer Hinweis darauf, wie schnell die grob am Telefon beschriebenen Vorgänge abgelaufen sein mussten. Sogar zu rasant, um den Kopfschutz überzuziehen. In diesem Zustand einen heftigen Treffer abzubekommen...
 

Du hättest sterben können. Und es wäre mir unmöglich gewesen, dich wiederzufinden, solange ich lebe. Solange ich lebe...
 

Aber der Teenager war, wie Sephiroth mit geübtem Blick und schüchterner, dafür aber umso ehrlicher Erleichterung feststellte, unverletzt. Sie näherte sich ihm bis auf wenige Meter... und blieb stehen. Einen Augenblick lang sahen sich die beiden so unterschiedlichen Parteien einfach nur an, als warteten sie auf ein Startsignal ihres Gegenübers.
 

„Vollständiger Bericht!“, befahl Sephiroth schließlich. Und Cutter begann, zu erzählen.
 

Voraussagen – zielsichere, verlässliche Voraussagen – hätten sich in einem derart unberechenbaren Einsatz, wie die Eskortierung Präsident ShinRa´ s durch die Slums von Midgar, kaum treffen lassen können. Außerdem durfte man das Misstrauen der involvierten Personen niemals unterschätzen. Hätte jemand Cutter prophezeit, was sie gerade tat, - ihre Reaktion wäre vermutlich eine Kombination aus verblüfftem Blick, Kopfschütteln und einem restlos überzeugtem: `Das glaubst du doch selbst nicht!´ gewesen. Aber eine entsprechende Vorhersage war niemals gemacht worden. Und so musste der Teenager mit der unerwarteten Situation relativ alleine klar kommen.
 

Als die kleine Truppe aufgebrochen war, hatte Cutter angenommen, sie würden sich wie auf einer Mission vorwärts bewegen. Vorsichtig, aber dennoch zielgerichtet, jede mögliche Deckung ausnutzend, aufgeteilt, um vorrückenden Teammitgliedern Feuerschutz geben zu können...
 

Aber das genaue Gegenteil war eingetreten.
 

Rufus Shinra marschierte, flankiert von seinen Turks, völlig entspannt mitten auf der Straße.

Die dabei ausgestrahlte Überheblichkeit war fundiert durch die Gewissheit, von Personen umgeben zu sein, die jederzeit ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen würden, um seines zu schützen – verriet allerdings auch die Fähigkeit, sich problemlos selbst zu beschützen, sollte dies tatsächlich nötig sein.
 

Cutter konnte es fast nicht glauben. Sie kannte derart provokantes Verhalten von Sephiroth und 1st Class SOLDIER, die ihre eigenen Grenzen erweitern oder den Feind zu einer unüberlegten Aktion hinreißen wollten – hätte es aber niemals von jemandem wie diesem Mann erwartet.
 

Wie kann man nur so blöd und gleichzeitig so cool sein?!
 

Sie warf dem neben ihr gehenden Turk einen kurzen Blick zu. Tseng wirkte, genau wie seine Leute, völlig ruhig. Als handele es sich bei der momentanen Aktion um einen ungefährlichen Sonntagsausflug. Aber seine Line verriet die derzeitige Anspannung – verpackt in perfekter Selbstbeherrschung.
 

Innerlich schüttelte der Teenager den Kopf. Dieses Verhalten gehörte zu den Rätseln, die sich ihr immer noch nicht ganz erschlossen, und sie hatte das dumpfe Gefühl, als würde es bis zu einer Änderung noch etwas dauern. Cutter tröstete sich mit dem Gedanken, dass die Turks viel erfahrener und älter waren als sie selbst und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die objektbezogenen Lines, aber viel gab es nicht zu entdecken. Die kleine Gruppe bewegte sich zügig durch nahezu menschenleere Straßen, in denen allerdings stellenweise kein Stein mehr auf dem anderen stand. Hin und wieder säumten Blutlachen den Weg, leere Magazine, Patronenhülsen, unbrauchbar gewordene Waffen aller nur erdenklichen Art. In der Luft hing der unverkennbare Geruch einer immer noch tobenden Schlacht. All das und die Gewissheit, dass immer noch Menschen starben, schnürte Cutter die Kehle zu.
 

Mit Sephiroth hätte sie ohne zu zögern ein Gespräch darüber anfangen können. Aber er war nicht hier. Und sie wusste, dass man von ihr erwartete, die übertragene Aufgabe so professionell wie möglich zu erledigen. Fest entschlossen, den Erwartungen zu entsprechen, hielt sie sich an die Turks und schwieg eisern.
 

Hin und wieder verrieten die Lines Leben in den Häusern, aber es waren hauptsächlich alte und kranke Personen, ab und an aber auch einige Lines, deren Besitzer vielleicht in letzter Sekunde von entschlossenen Familienangehörigen eingesperrt worden waren, um dem Kampf fern zu bleiben.
 

Eine Sache jedoch hatten all diese Menschen gemeinsam: Von ihnen drohte keine Gefahr. Dasselbe galt für die wenigen, denen sie auf der Straße begegneten. Es gab nicht eine Handbewegung, die auch nur im Entferntesten als Angriff hätte aufgefasst werden können. All diese Menschen wollten leben – nicht sterben. Ihre Lines verrieten Wut, Hilflosigkeit, Angst... aber auch Stolz. Jener Stolz, der sie selbst schwer verletzt noch den Kopf heben ließ, als der Mann, der letztendlich für ihr Leid verantwortlich war, an ihnen vorbeiging. Und sie ignorierte. Auf eine Art und Weise, die mehr als deutlich machte, für wie wertlos und nebensächlich er all diese Menschen hielt. Und Cutter wurde mehr und mehr klar, dass sie ihre Kräfte in den Dienst eines Bastards gestellt hatte. Wie fest sich diese Erkenntnis im Kopf des Teenagers verankern und was sie letztendlich auslösen würde, hätte zu diesem Zeitpunkt niemand vorhersehen können.
 

Manche Entwicklungen geschahen so langsam, dass man ihnen dabei förmlich zusehen konnte. Der Punkt für Punkt stattfinde Fortschritt erlaubte es, bei Bedarf entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Und Vorgänge zu stoppen, bevor es wirklich gefährlich werden konnte. Andere Entwicklungen hingegen schienen urplötzlich stattzufinden.
 

Das Auftauchen der Frau zwischen den Trümmern ihres einstmaligen Zuhauses geschah für alle, außer Cutter, völlig überraschend. Dieser war die entsprechende Line schon früher aufgefallen, weil es eine zweite, eng angeschmiegte, gab, auf die sich jeder besorgte Gedanke der Frau fokussierte. Mutter und Kind, keine Frage. Die Line des Kindes flackerte heftig, und der Puls war hart und unruhig. Sichere Anzeichen für einen baldigen Tod.
 

Die Frau erstarrte beim Anblick der kleinen ShinRa Truppe – dann drückte sie ihr schwer verletztes Kind enger an sich, humpelte auf die Straße, der Gruppe entgegen... und fiel vor Rufus Shinra auf die Knie.
 

„Bitte helfen Sie uns!!“ In ihrer Stimme und den Augen herrschte pure Verzweiflung. „Wir haben niemals gegen Ihr Unternehmen intrigiert und auch nichts mit den Rebellen zu tun... Mein Kind wurde beim Zusammensturz des Hauses verletzt... und es stirbt...“ Tränen begannen über ihr Gesicht zu laufen. „Bitte... bitte, Präsident Shinra, bitte helfen Sie uns!“
 

Die Vorwärtsbewegung war längst erlahmt. Alle Blicke lagen auf der immer noch am Boden knienden, in sich zusammengesunkenen Frau mit dem sterbenden Kind in ihren Armen. Es war ein kleines Mädchen, kaum älter als drei oder vier Jahre, ein niedliches Geschöpf in einem rosafarbenen, von kleinen Chocobos verzierten Kleidchen.
 

Cutter fühlte ihr Herz förmlich dahinschmelzen, gleichzeitig verrieten ihr die Lines, dass es selbst den Turks nicht anders ging. Sie, das vermittelten die Lines ebenfalls, besaßen genug Möglichkeiten, um das Leben des Mädchens zu retten...
 

Tseng wandte sich mit einem halblauten „Sir?“ an seinen Boss. Dieser reagierte nicht. Sein Blick, hart und kalt, lag auf dem sich ihm bietenden Szenario wie ein Fallbeil an einem sehr dünnen Seil, von dem niemand sagen konnte, ob es reißen würde oder nicht.
 

Rufus Shinra hatte immer noch äußerst schlechte Laune, und die aktuelle Lage wirkte nicht gerade besänftigend. Niemals gegen sein Unternehmen intrigiert! Nichts mit den Rebellen zu tun! Ha! Hier unten gab es niemanden, der sich nicht schon auf die ein oder andere Art und Weise gegen ShinRa aufgelehnt hatte! Und jetzt wagte es auch noch solch ein armseliges, schwaches Wesen, ganz bewusst seinen Pfad zu kreuzen, ihn sogar aufzuhalten... Abgesehen davon, sich für einen anderen Menschen derart zu erniedrigen war etwas, das Rufus nicht einmal amüsant finden konnte. Alles in allem hielt er die Grenze seiner Freundlichkeit für mehr als überschritten!
 

Die Waffe lag schneller in seiner Hand, als man es bei ihm hätte für möglich halten können. Laut hallten die beiden abgegebenen Schüsse von den Hauswänden wider. Rufus stieg mit einem großen Schritt über die leblosen Körper hinweg und setzte, flankiert von seinen Turks, den Weg fort, als sei nichts geschehen.
 

Cutter stand da wie erstarrt. Zutiefst geschockt beobachtete sie, wie die Körper lautlos in den Lebensstrom zurückkehrten und, als letzte Erinnerung ihrer Existenz, nur zwei Blutpfützen auf dem Boden zurückließen. Der Teenager begegnete dem Tod bei Weitem nicht zum ersten Mal. Aber das hier... war anders.
 

Unbändige Trauer begann, in ihr aufzusteigen. Und Wut, so heiß, dass Cutter glaubte, jeden Augenblick zu verglühen. Letztendlich war es auch diese Wut, die alle Vernunft, allen Respekt und alle Vorsicht beiseite fegte.
 

Der Teenager schloss binnen weniger Sekunden zu der Gruppe um Rufus Shinra auf, wutschnaubend, überholte sie, wandte sich um und fauchte den Präsidenten der Electric Power Company an:
 

„Warum haben Sie das getan?!“
 

Für einen Augenblick lang glaubte Rufus, zu träumen. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten war es jemandem gelungen, ihn aufzuhalten. Mehr noch! Man... ein Teenager aus den eigenen Reihen blockierte seinen Weg. Und schrie ihn an!
 

„Sie war völlig unbewaffnet und absolut ungefährlich! Sie wollte nur ihr Kind retten! Was gibt Ihnen das Recht, sie einfach so zu erschießen?? Das war Mord! Selbst Sie können nicht einfach so...“
 

Rufus Shinra wusste genau, wen er vor sich hatte. Crescents seltsamen 2nd Lines Blue Wanderer, ein Wesen, dessen Fähigkeiten ebenso uneinschätzbar waren wie die von Jenova Projekt 1, etwas, das er in seiner Welt nur unter bestimmten Voraussetzungen duldete – und das gerade eine absolute Grenze überschritt, mit Taten, die nur eine einzige Antwort verdienten.
 

Sein perfekt beherrschter Gesichtsausdruck veränderte sich nicht um einen Millimeter, als er zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit seine Waffe zog, auf das Hindernis vor ihm richtete...
 

Später würde niemand mehr sagen können, woher die Rakete gekommen und ob sie gezielt abgeschossen worden war oder nicht. Aber sie existierte. Urplötzlich. Kollidierte mit einem Haus in unmittelbarer Nähe, verwandelte es in ein Inferno aus meterweit umherfliegenden Trümmerstücken und ließ die Umgebung in einer Staub- und Schuttwolke versinken.
 

Es dauerte etliche Minuten, ehe sich die Auswirkungen des Raketeneinschlages weit genug gelegt hatten, um eine erste Überprüfung der aktuellen Lage vorzunehmen. Tseng erledigte dies mit gezogener Waffe und größter Genauigkeit, ehe er die Situation für stabil erklärte. Hinter ihm verließen die restlichen Turks zusammen mit Rufus Shinra das gewählte Versteck und traten nicht minder wachsam ebenfalls auf die Straße.
 

Die Rakete hatte ganze Arbeit geleistet. Das Haus war völlig zerstört, immer noch rauchende Bruchstücke wie Puzzleteile mal haufenweise, mal einzeln über die gesamte Straße verteilt. Die Nebengebäude waren ebenfalls schwer beschädigt und drohten, einzustürzen.
 

Rufus ließ den Blick über die erhebliche Zerstörung gleiten, suchte aber im Gegensatz zu den Turks nicht nach potentiellen weiteren Geschossen oder Gegnern. Letztendlich sagte er lediglich:
 

„Gehen wir!“ – aber der darin verborgene Satz war jedem Turk klar. `Die Kleine hat mehr Glück als Verstand, oder ist schlauer, als sie aussieht.´
 

Tseng hätte gerne protestiert und zwei seiner Leute hier gelassen, um nach Tzimmek zu suchen. Wenn sie unter den schweren Trümmern verschüttet war, so mit Sicherheit schwer verletzt und hilfsbedürftig. Sie in diesem Zustand zurückzulassen war... unmenschlich.
 

Andererseits, daran hatte er nach den/der eben verklungenen Aussage/n keinerlei Zweifel, würde Shinra sie nach einer erfolgreichen Bergung augenblicklich erschießen. Er duldete kein derart respektloses Verhalten ihm gegenüber. Auch nicht bei einem Teenager.
 

Dann wiederum handelte es sich bei dieser Person um Tzimmek Cutter, die über außergewöhnliche körperliche Fähigkeiten verfügte. Vielleicht war ihr doch die Flucht gelungen. Nach allem, was Tseng über das Mädchen gehört hatte, eine denkbare Alternative.
 

Einige Herzschläge lang ließ er seinen Blick über die Trümmer gleiten, suchte nach einer seine letzte Theorie bestätigenden Hinweis. Tseng war ein Profi. Ein Profi, der seine letztendlichen Ansichten aus unzähligen Details zusammensetzte. Sein Instinkt spielte dabei eine nicht ganz unwesentliche Rolle. Und diese zur Straßenseite hin zeigende, nur noch halb intakte Hauswand zog seinen Blick wie magisch an... Er setzte sich in Bewegung, wurde vor dieser etwas langsamer, passte seine Stimme der herrschenden Unauffälligkeit an...
 

„Bleib in Deckung!“
 

Der Teenager hatte sich falsch und dumm verhalten - aber mit einer derartigen Energie wissentlich gegen den mächtigsten Mann ganz Gaias vorzugehen, bewies auch großen Mut. Außerdem gehörte sie zur Truppe. Und... es gab da noch etwas.
 

Es war ihm schon in der Kanalisation aufgefallen. Dieser quirlige Teenager und der ewig distanzierte General... Irgendetwas... existierte zwischen ihnen. Zu schwach, um es näher bestimmen zu können. Aber dennoch vorhanden. Tseng hatte lange genug für ShinRa gearbeitet, um Dinge, die man besser ignorierte, als solche zu erkennen. Speziell dann, wenn sie Sephiroth betrafen. Der Mann gehörte zu den bestgehütetsten und mit Abstand tödlichsten Geheimnissen der Electric Power Company und hatte für alles, was er tat, eigene Gründe. Diesbezügliche unangebrachte Neugier war, als schaufele man sich sein eigenes Grab. Tseng plante nicht, das zu tun – würde den Beiden jedoch hin und wieder einen vorsichtigen Blick zuwerfen. Sofern Cutter wieder aus dem Grab, in dem sie `Dank´ ihrer emotionalen Aktion bereits mit einem Bein stand, würde klettern können.
 

„Und kontaktier General Crescent!“
 

Denn wenn es jemandem gelang, sie zu retten, dann nur ihm. Tseng ließ die Hauswand hinter sich zurück und war schon bald hinter der nächsten Kurve verschwunden.
 

Mit einem halblaut gemurmelten: „Das war´s“, beendete Cutter ihre Zusammenfassung und bereitete sich auf die schärfste Zurechtweisung ihres bisherigen Lebens vor.
 

Einen Augenblick lang allerdings blieb es völlig still. Von außen wirkte Sephiroth wie jemand, der die gehören Worte verarbeitete, um die logischen Konsequenzen zu wählen. Innerlich jedoch – er hätte es niemals zugegeben, aber es entsprach der Wahrheit – war er schlicht und ergreifend sprachlos.
 

Und so abgelenkt, dass er die nähere Umgebung nicht mit der sonstigen Wachsamkeit im Auge behielt. Ein extrem seltener Zustand. Und ideal für Rail, sich in die strategisch richtige Position zu bringen. Wie ein todbringender Schatten war sie Cutter durch das Gewirr der Straßen gefolgt, unaufhaltsam, unbemerkt und stets mit dem entsprechenden Sicherheitsabstand (was in diesem Fall `mehrere Straßen´ bedeutete). Ein derart leichtes Aufspüren hätte unmöglich sein müssen, denn Cutter besaß keine eigene Line... aber es gab ein Objekt, welches dieses Manko ausglich. Der Teenager hatte es immer bei sich. Es sollte sie schützen, ließ sie aber verwundbar werden. Und... sichtbar.
 

Der einzigartige und daher linestechnisch so auffällige Schutzanzug.
 

Rail hatte sich mehr als einmal gefragt, warum sich der Teenager über die Risiken, etwas so auffälliges immer bei sich zu tragen, nicht bewusst war, und, dass es sich bei `Sicherheit´ nur um eine Illusion handelte. Der Plan, sie bei Bedarf mit der Line des Anzugs aufzuspüren, bestand schon lange – und war heute zum ersten Mal in die Tat umgesetzt worden. Mit erwartetem Erfolg.
 

Und Cutter, dieser dumme, naive Teenager, ahnte von nichts! Rail lächelte. Sie war ihrem Ziel so nahe, dass sie den Erfolg förmlich schon greifen konnte. Nur noch ein paar Sekunden... Sie hob vorsichtig ihre winzige, optisch und linestechnisch unauffällige Waffe und visierte das Mädchen an.
 

„Du hast Shinra angeschrieen?“, erkundigte sich der nur wenige Meter von Rails Versteck stehende Sephiroth endlich eisig. „Ich vermute, mit dem für dich typischen Enthusiasmus!“
 

„Volle Lautstärke“, murmelte Cutter. Dann allerdings kehrte die vorher empfundene Wut zurück. „Er hatte kein Recht, diese Frau und ihr Kind zu erschießen, bloß weil...“
 

„Verdammt noch mal“, unterbrach Sephiroth mit einer Wut, die sich selbst für ihn unmöglich zügeln ließ, „hast du es immer noch nicht begriffen?! Leute wie Rufus Shinra müssen kein Recht haben! Sie nehmen es sich einfach!“
 

„Das Mädchen war noch keine fünf Jahre alt!“, fauchte Cutter unerschrocken zurück. „Sie hat ihm nichts getan!“
 

„Sie war ihm im Weg.“
 

Es lag ihm völlig fern, Rufus Shinra zu verteidigen. Aber es war ihm wichtig, Cutter verständlich zu machen, wie skrupellos der Präsident der Electric Power Company wirklich war. Für gewöhnlich hätte der Teenager dies sofort verstanden. Jetzt aber war sie in Rage.
 

„Das ist kein Argument!! Ich gehe auch nicht mit einem MG einkaufen, bloß weil ich an der Kasse gleich drankommen will!“ Verzweiflung mischte sich in ihre Stimme. „Wir arbeiten für einen Mörder, einen gewissenlosen, kaltherzigen, menschenverachtenden Bastard!“
 

In ihrem nahezu perfekten Versteck hatte Rail jedes Wort der bisherigen Unterhaltung gehört. Jetzt schloss sie die Augen und ließ den Kopf langsam auf den Stein vor ihr sinken. Lächelte gequält.
 

Ja, das ist er. Sie alle. Dass diese Erkenntnis ausgerechnet von dir kommt, Cutter-chan, wundert mich allerdings... Du hast ShinRa so treu und begeistert gedient, dass ich nicht umhin kam, dich zu hassen. Ich dachte, du hättest dich in diesen kranken Überzeugungen wiedergefunden. Aber jetzt... beginne selbst ich, daran zu zweifeln.
 

„Du hast `gierig´ vergessen“, ergänzte Sephiroth ruhig. „Willkommen bei ShinRa! Im übrigen wundert es mich sehr, dass er dich nicht hat ausgraben lassen, um dich eigenhändig zu erschießen.“
 

Vor ihm ließ sich Cutter erschöpft auf einen der Trümmerbrocken fallen und schüttelte müde den Kopf.
 

„Er wollte gerade abdrücken. Die Rakete hat mich gerettet.“
 

„Und wo befinden er und die Turks sich jetzt?“
 

„HQ.“ Abermals schüttelte sie den Kopf und wisperte dann kaum hörbar: „Das wollte ich nie! Mich so benutzen lassen. Tatenlos mit ansehen, wie andere Menschen grundlos sterben. Alles nur, weil ich diese verdammten Lines sehen kann und ShinRa auf ganz Gaia das einzige Unternehmen ist, das etwas damit anfangen kann!! Ich wünschte, ich wäre ihnen niemals begegnet!“
 

Verborgen in all dem Schutt, und mittlerweile sitzend, ließ Rail ihren Kopf hart an die Wand hinter sich fallen.
 

Cutter-chan... ich habe dich unterschätzt. Du bist nicht naiv. Du weißt, was Leid ist. Und du bist genauso unglücklich und traurig, so zerrissen, gefesselt und hoffnungssuchend wie ich. Wären wir uns unter normalen Umständen begegnet... vielleicht hätten wir Freunde werden können.
 

„Aber du bist ihnen begegnet“, hörte sie Sephiroth ruhig antworten. „Und sie dir. Damit musst du leben. Oder kapitulieren.“
 

„Niemals!“, murrte der Teenager.
 

„Dann bleibt dir nur, die Konsequenzen deiner Handlung zu tragen.“
 

„Da tue ich!“, knurrte Cutter. „In jeder einzelnen, verdammten Sekunde! Ich verrate mit jeder Mission hier in den Slums Menschen, die mir vermutlich niemals etwas getan haben, oder helfe zumindest dabei, sie zu fangen! Ich bringe Leid über Personen, die ebenso für eine Zukunft kämpfen, wie ich!“ Wesentlich verzweifelter fügte sie hinzu: „Diese Leute hier, wir, und sogar die Rebellen... Wir sind uns so ähnlich! Und ganz im Ernst: Ich kann diese Platte auch nicht ausstehen! Ginge es nach mir...“
 

„Es steht dir frei, die Fronten zu wechseln“, unterbrach Sephiroth mit beinahe beängstigender Ruhe.
 

„Ich will die Fronten gar nicht wechseln! Ich habe es nur so satt, gegen Menschen zu kämpfen, die mir höchstwahrscheinlich niemals etwas Böses getan haben. Gibt es denn wirklich keine andere Möglichkeit, Frieden in diese Stadt zu bringen, außer unserer Methode?“
 

Cutter-chan, dachte Rail, ich nehme alles, was ich jemals über dich gesagt oder gedacht habe, zurück. Du hast das Herz am rechten Fleck. Jetzt bin ich ganz sicher, dass wir, unter anderen Umständen, Freunde geworden wären. Und sieh dir Sephiroth an. Er diskutiert mit dir, statt dich scharf zurecht zu weisen. Er hat sich verändert. Vielleicht ist mein ganzer Plan völlig unnötig, und die Dinge fangen schon an, in die richtigen Bahnen zu laufen?
 

Sephiroth sah zu seinem Ghost Walker hinüber und erwiderte ihren hoffungsvollen Blick, ohne auch nur eine einzige Silbe seiner eigenen Gedanken zu verraten. Er wusste: Cutter behandelte alle Menschen so, wie sie selbst gerne behandelt werden wollte, und nichts auf der Welt fiel ihr schwerer, als ihnen unprovoziert Schaden zuzufügen. Es war einer ihrer menschlichsten Wesenszüge. Ihm hingegen fiel alles auch nur im entferntesten in diese Richtung laufende schon schwer. Und auch, wenn er dabei war, diesen Zustand zu ändern... Jetzt, mitten in einer Schlacht, war nicht der richtige Zeitpunkt dafür!
 

Das völlig unerwartete `Aaachtung!´ des Generals, bestechend durch Kälte und Härte, ließ Rail und Cutter gleichermaßen zusammenzucken. Während die Rebellenführerin blitzschnell eine Position einnahm, die ihr eine erneute Überwachung der Lage gestattete, kam der Teenager, dem vergangenen in Fleisch und Blut übergegangenen Drill gehorchend, augenblicklich auf die Füße und nahm unter dem vernichtenden Blick des sie kommandierenden Offiziers Haltung an.
 

„Ghost Walker Tzimmek Cutter!“ Sephiroths Stimme glich, obwohl er nur flüsterte, einem wahren Orkan aus Strenge und Härte. „Du bist Teil von ShinRa und stehst unter meinem Kommando! Das bedeutet: Du wirst meinen Befehlen gehorchen, bedingungslos! Kündige oder stirb – eine andere Möglichkeit, mir und ShinRa zu entkommen, gibt es nicht! Haben wir uns verstanden!“
 

In ihrem Versteck schloss Rail die Augen und lächelte gequält. Ja, dachte sie, du hast dich verändert. Aber noch nicht genug... Es tut mir nur leid um Cutter. Jetzt. Vielleicht... hätte ich einen noch besseren Plan ausarbeiten können. Aber jetzt gibt es nur diesen einen. Und ich werde ihn in die Tat umsetzen. Tut mir leid, Cutter-chan.
 

Draußen bestätigte der in die Enge getriebene Teenager, die Worte des Generals völlig verstanden zu haben.
 

„Dann entscheide dich, ob du den eingeschlagenen Weg weitergehen willst!“, befahl dieser. „Jetzt!“
 

Wenn sie jetzt kündigt..., dachte Rail, was dann? Sie weiß zuviel. Und sie braucht einen Job! Sich `Liberation´ anzuschließen, wäre die einzig denkbare Alternative. Sephiroth weiß das! Er wird es mit allen Mitteln zu verhindern wissen. Und das heißt, das er sie töten wird. Vielleicht... wenn ich ihn angreifen und ablenken würde... Cutter ist verdammt schnell. Vielleicht könnte sie flüchten... Unsinn! Niemand (außer mir) entkommt General Sephiroth Crescent! Aber... sie könnte es wenigstens versuchen...
 

In Cutters Kopf waren alle Gedanken erstarrt. Sie befand sich nicht zum ersten Mal in einer solch schicksalsentscheidenden Situation – aber wie üblich war diese zu plötzlich über sie hereingebrochen.
 

„Ich... ich...“
 

„Das hier ist das Militär, Cutter!“ Die Schärfe in der Stimme des Generals war mit nichts zu vergleichen. „Es funktioniert ausschließlich nach dem `Befehlen und Gehorchen´ Prinzip! Hör auf, so zu tun, als sei dir das nicht vollständig klar!“ Und, fügte er in Gedanken hinzu, wag es nicht, etwas anderes zu sagen als `Ich bleibe´, sonst werde ich... ich werde...
 

Vor ihm schnaubte der Teenager leise und lächelte geschlagen, traurig... Trotz aller positiver Entwicklungen – es gab nach wie vor keine Alternative zu ShinRa. Und das wussten beide.
 

„Wo soll ich denn sonst hin, Sir?“
 

„Vergiss das niemals!“ Er machte eine kurze Pause. „Dein unangebrachtes Verhalten Präsident Shinra gegenüber wird zwar keine Kündigung, aber dennoch harte Konsequenzen nach sich ziehen. Du hast Erlaubnis, wegzutreten und bis auf weiteres dein Quartier im HQ aufzusuchen!“
 

Cutter nickte, salutierte und setzte sich niedergeschlagen in Bewegung. Sephiroth sah ihr nach. Er konnte sich nur zu detailliert vorstellen, wie ihr Protest abgelaufen war.
 

Den mächtigsten Mann ganz Gaias anzuschreien... Noch dazu vor Zeugen... Allesamt Leute, die dich mit einer einzigen Handbewegung töten könnten... Wirklich, das bringst nur du fertig.
 

„Cutter?“
 

Der Teenager hielt inne, wandte sich um. Für einen Augenblick glaubte sie, sich verhört zu haben, denn Sephiroths Gesichtsausdruck änderte sich nicht – und wurde dann innerhalb eines Sekundenbruchteils zu einem fast stolzen Grinsen.
 

„Ich hätte gerne gesehen, wie du ihn angeschrieen hast!“
 

Cutter blinzelte verblüfft – dann aber erwiderte sie das Grinsen.
 

„Soll ich dich nächstes Mal vorher anrufen?“
 

„Damit ich dich davon abhalten kann.“ Er schüttelte den Kopf. „Meide auf deinem Rückweg die Lines der Turks und speziell die Shinra´s. Er würde dich augenblicklich erschießen. Am besten, du... schleichst zurück.“
 

„Auf leisen Pfoten.“
 

„Auf ganz extrem leisen Pfoten.“
 

Cutter nickte, gleichzeitig sah sie die Straße hinunter.
 

„Der Kampflärm wird wieder lauter.“
 

„Sie werden bald hier sein. Meide Kämpfe ebenso. Und jetzt verschwinde endlich!“
 

Er sah zu, wie Cutter grinste, nickte, den Weg zurück ins HQ wieder aufnahm und begann seinerseits, auf die immer näher kommende Geräuschkulisse zuzugehen. Gemessen an dieser war die Wut der Slumbewohner im Laufe der vergangenen Stunden nicht weniger geworden. Ganz offensichtlich hatten sie sich in den Kampf hineingesteigert und waren fest entschlossen, nicht aufzugeben.
 

Genau wie wir, dachte Sephiroth. Nur, dass wir definitiv siegen werden...!
 

Er hatte etwa 20 Schritte hinter sich gebracht, als er das Geräusch hinter sich hörte. In all dem sich nähernden Lärm fiel es sofort auf: Es war zu leise. Und ihm folgte ein neuer Klang, vertraut und unverwechselbar. Der eines zusammenbrechenden Körpers.
 

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Warnung/Hinweis: ** Vorletztes Kapitel **



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kiya-re
2009-08-16T23:34:03+00:00 17.08.2009 01:34
Ein neues Kapi ^^

Und du warnst einen nicht mal. *schmoll* *schnüff*

Sehpi beim telefonieren auf Schlachtfeld.... einfach zu genial. xD
Auch Rails Verhalten war sehr schön dargestellt. Ich kann das Mädel verstehen...

Vorletztes Kapitel... hm... na dann freu ich mich mal auf die noch folgenden. ^^
Ein schöner Cliffhanger. *lob*
(Aber immer noch wirklichen keine Zeicheninfos. Du bist gut. Verschlagen, aber gut. ;) *dich schon noch findet* xD)

lg Kiya
Von:  Aruna
2009-08-16T08:53:51+00:00 16.08.2009 10:53
Ist das schön, wenn man von der Arbeit kommt und sich auf deine Geschichte freuen kann :) Aber warum musst du wieder an einer so spannenden Stelle aufhören?!
Was hat Toron nur mit Cutter gemacht? Cutter kann doch jetzt nicht einfach abtreten. So leise und unspektakulär. Und Sephiroth hat ihr noch gar nicht gesagt, was er ihr sagen will. Sie darf einfach nicht tot sein. Ich weigere mich, das zu glauben. Vielleicht hat Toron ja sich selbst oder wen anders erschossen. Aber nicht Cutter!
Und was meinst du mit vorletztes Kapitel? Es gibt doch noch so viele offene Fragen. Das alles wird jetzt die ganze Woche an mir nagen.
Hab ich schon erwähnt, dass es grad wieder so richtig spannend ist? :)
lg Aruna

Von:  Jadestern
2009-08-15T14:06:27+00:00 15.08.2009 16:06
Ahhhh....toll!!!
Ich hab keinen Plan, wer da jetzt umgefallen ist. Zack? Cutter? Rail? Doch wer anders?
Mist! Klasse *g*, das wird wieder eine laange Wartewoche geben:D

Aber dieses Kapitel. Rufus hasse ich mittlerweile. Ich mochte ihn i-wie in AC. Aber egal... Mistkerl! Wollt der einfach Cutter erschießen. Joa, Seph wäre bestimmt nicht wirklich erfreut gewesen.
Weißte, welche Stelle mir am Besten gefallen hat? Mitten im Schlachtfeld telefoniert der große General mit Cutter *immer noch auf dem Boden lieg vor lachen*. Zu geil. Auf was für Ideen du kommst:D.
Er brüllt alle an, damit er kurz mit einem seiner Leute sprechen kann. Genial!

Außerdem fand ich die Reaktion von Rail wirklich gut beschrieben. Ihre Gedankengänge sind wirklich nachvollziehbar, dass gibts nicht oft in FFs^^°!!!
Auch im ganzen (JA, ich weiß, ich wiederhol mich), find ich es total schön, dass man auch von der langsamen, realitischen Veränderung der Charaktere in der Geschichte etwas mitbekommt. Nicht von jetzt auf gleich, sondern langsam. Nachvollziehbar. Und das gelingt dir wirklich super gut beim schreiben. Hut ab! *g*
Aber schon das vorletzte Kapitel?
Dann aber bitte, bitte, bitte beim nächsten Mal keinen (oder keinen ganz so bösen) Cliffhanger *bettel*!!
Sonst sitz ich wieder die ganzen Monate auf heißen Kohlen und fantasier die ganze Zeit vor mich hin*g*. Nicht unbedingt hilfreich in der Schule;)!!

Aber bis es soweit ist, ünsch ich dir wieder mal eine wunderschöne, ideenreiche und erholsame nächste Woche!!
Wir lesen uns nächstes Wochenende.
Glg
anka


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