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FFVII: Blue Wanderer - In the lines

von

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Pakt mit dem Teufel

Sephiroth verbrachte die Nacht auf der Couch. Nur hin und wieder stand er auf, um nach dem Teenager zu sehen, aber jedes Mal fand er sie friedlich schlafend vor, eingekuschelt in seine Bettdecke. Ihre Gegenwart in diesem Zimmer, in diesem Appartement, war von einer solchen Unaufdringlichkeit, als habe all das nur auf sie gewartet, als gehöre das Mädchen hierher.
 

Cutter Tzimmek, dachte Sephiroth, was mache ich nur mit dir? Ich kann dich nicht ignorieren. Aber näher kommen lassen – noch näher – geht auch nicht. Also, was soll ich tun?
 

Er stellte diese Frage nicht oft, und wenn, dann war sie ausschließlich an sich selbst gerichtet. Diesmal jedoch galt sie dem gesamten Universum in all seiner Vielfalt. Denn irgendwo dort, vielleicht verborgen im tiefsten Schatten, vielleicht von Licht überglänzt, existierte eine Antwort. Das Universum – das Leben – hatte eine auf alles. Diese jedoch gehörte zu der eher schüchternen Sorte und zeigte sich nicht.
 

Sephiroth beschloss, den momentanen Zustand beizubehalten. Vorerst. Mit etwas Glück würde sich die Situation vielleicht von ganz alleine klären. Der General hatte `Glück´ bisher niemals in seine Pläne involviert, war er doch der Meinung, dass ein zufriedenstellendes Ergebnis allein von der entsprechenden Planung abhing. Und genau deshalb hoffte er auf eine einmalige Ausnahme. Vielleicht hatte sich ja schon genug `Glück´ für eine Ausnahme angesammelt?
 

Als der Morgen kam, erwachte er zur gewohnten Uhrzeit, erledigte einen Anruf und beschloss, sich im Appartement zu beschäftigen, bis Cutter von selbst aufwachte. Er war gerade dabei, ein Logikrätsel, dessen einzige Hilfestellung aus einem Satz mit 4 Wörtern bestand, erfolgreich aufzulösen, als die Schlafzimmertür aufflog und ein entsetzter Teenager in den Raum gestürmt kam.
 

„Ich hab verschlafen! Ich komme zu spät zu meiner Mission! Warum hast du mich denn nicht geweckt, Sephiroth-sama?? Guten Morgen... Darf ich kurz in dein Bad??“
 

Sephiroth hatte sich im Laufe aller jemals geführten Schlachten, egal in welcher Form, einen gewissen Ruf erarbeitet. Eigentlich sogar mehrere. Einer von ihnen lautete: `Nichts auf dieser Welt kommt an General Crescent vorbei, wenn er es nicht wünscht.´ Mit anderen Worten: Alles ließ sich, völlig unabhängig von allen Details, aufhalten. Wenn man es im richtigen Winkel erwischte. Cutter... offenbarte momentan keinen solchen Winkel. Und so nickte Sephiroth nur knapp und beobachtete, wie der Teenager ins Bad raste, dachte: Ich habe den Sturmwind in diesem Appartement zu Besuch...´ und lehnte sich milde amüsiert zurück, um die weiteren Entwicklungen abzuwarten. Lange dauerte es nicht, bis Cutter wieder aus dem Bad kam.
 

„Wo sind meine... Da!“ Sie sprintete in die entsprechende Ecke und begann hektisch ihre Schuhe anzulegen... „Ich darf doch nicht zu spät kommen... die Mission ist wichtig...!! Und überhaupt – wieso lag ich schon wieder in deinem Bett?“
 

„Weil ich dich hingetragen habe“, antwortete Sephiroth mit einer Stimme, in der irgendwo ein amüsiertes Lächeln glomm. „Du bist während unseres Gespräches auf der Couch eingeschlafen.“
 

„Oh“, machte Cutter überrascht. Gleichzeitig veränderte sich ihre Gesichtsfarbe in ein sehr verlegenes, dunkles Rot.
 

Er hat mich getragen, er hat mich getragen... Wie peinlich!! Oder doch... schön? Aber ich habe dabei geschlafen... Wie ärgerlich! Kann ich dabei nicht mal wach sein? Obwohl... vermutlich wäre das gar nicht so gut für mich...
 

Sie warf einen vorsichtigen, sehr kurzen Blick in Sephiroths Richtung und wandte ihre Aufmerksamkeit blitzschnell wieder den Schuhen zu, als sie feststellte, dass ihr Vorgesetzter sie aufmerksam beobachtete. Dieser hielt den Augenblick für gekommen, eine grundlegende Information auszusprechen.
 

„Übrigens, deine erste Mission für heute morgen übernimmt ein anderer Blue Wanderer.“
 

Der Satz erntete ein verblüfftes: „Ha?“, kombiniert mit einem doppelt so verblüfften Blick und einem dreifach verblüfften innehalten mitten in der Bewegung.
 

Da soll noch mal jemand sagen, dachte Sephiroth, dass man den Sturmwind nicht zähmen kann.
 

Gleichzeitig deutete er sachte schmunzelnd in Richtung Küche.
 

„Frühstück?“
 

Wenige Minuten später saßen sie in der Küche. Sephiroth, die dampfende Kaffeetasse in der Hand und schon satt, sah zu dem immer noch zufrieden kauenden Teenager hinüber und fragte sich a) wie man so viel Schokobrotaufstrich essen konnte, und b) ob die empfundene Entspannung von Cutter ausging und er eine Übertragung auf sich – bewusst oder unbewusst - zuließ, oder ob sie sich von ganz alleine einstellte. In jedem Fall blieb es ein eher selten empfundenes Gefühl.
 

Einmal mehr, dachte er, stellt dieses verdammte Mädchen alles auf den Kopf. Ärgert mich ihre Gelassenheit etwa? Vielleicht... ein wenig. Ich gehöre zu den tödlichsten Existenzen Gaias, und Cutter weiß das. Sie sollte in meiner Gegenwart nicht so entspannt sein. Zack ist das auch – aber bei Zack handelt es sich um einen 1st Class SOLDIER, wie ich es bin...
 

Die Nacht in der Eiszapfenregion fiel ihm wieder ein, die Schneeballschlacht, das folgende Gespräch... Cutters auf ihn bezogenes: `Ich mag ihn sehr!´
 

Das habe ich verstanden. Aber kann... darf... sollte man `mögen´ mit `vertrauen´ gleichsetzen und es so praktizieren, wie du es gerade tust? Mir geltendes Misstrauen, Angst, Vorsicht, Wachsamkeit... Damit kann ich besser umgehen als... hiermit. Überhaupt: Du solltest gar nicht hier sein (aber du bist es)! Und vor allen Dingen, Cutter Tzimmek, solltest du nicht so viel von dieser Schokocreme essen, sonst bekommst du Bauchweh. Ich denke gerade Blödsinn. Oder?
 

Auch Cutter hing ihren Gedanken nach. Sie konnte sich noch gut an ihr erstes gemeinsames Frühstück mit Sephiroth erinnern. Damals war die Auswahl auf dem Tisch absolut überschaubar gewesen. Jetzt bog sich dieser förmlich unter der Vielzahl an Lebensmitteln – und die meisten Verpackungen waren geöffnet. Kein Mensch brach gleichzeitig so viele Waren an. Es sei denn, er wollte herausfinden, ob ihm mehr schmeckte als die bereits bekannten Dinge.
 

Und das war nicht die einzige Veränderung. Auch im restlichen Appartement gab es Neues zu entdecken. Cutter wusste noch, wie begeistert sie von den großen Räumen und der hochmodernen Einrichtung gewesen war. Aber erst jetzt, nachdem Sephiroth begonnen hatte, die Wohnung zu gestalten, fiel dem Teenager auf, wie kalt und steril sie vorher gewesen war. Sie hatte etwas wiedergespiegelt. Eine Ansicht, einen Ruf, ein Idol, das Erwartungsgemäße... Aber keine Seele. Das schien sich jetzt zu ändern. Cutter hätte ihre Gedanken gerne laut ausgesprochen, aber...
 

Ich will ihm auf keinen Fall zu nahe treten! Wie er sein Zuhause gestaltet, geht mich nichts an. Aber... vielleicht wartet er auch auf eine Reaktion? Unsinn, weshalb sollte er das tun... Und wenn doch? Was oder wer ihn wohl dazu gebracht hat, diese Veränderungen vorzunehmen?
 

Sie griff ein weiteres Mal nach dem Glas mit dem süßen, dunkelbraunen Brotaufstrich, sah auf, begegnete Sephiroths unergründlichem Blick und lachte.
 

„Diese Schokocreme ist der Hammer!“
 

„Ich habe gehört, sie soll gut sein.“
 

„Ist sie. Deshalb lasse ich dir auch was übrig.“
 

Sephiroth schoss einen warnenden Blick in Richtung seines Gastes ab. Dieser verzog das Gesicht, entschuldigte sich und erntete ein missbilligendes Kopfschütteln.
 

„Cutter, wenn du nicht aufpasst, wird dir eine solche Äußerung eines Tages das Genick brechen!“ Und in Gedanken fügte er hinzu: `Also, pass besser auf!´
 

Cutter nickte leicht. Dann lächelte sie fast traurig.
 

„Ich glaube, wir müssen generell alle besser aufpassen. Jetzt, wo Toron...“ Sie verstummte und schüttelte den Kopf. „Ich hätte nie gedacht, dass sie es alleine schafft.“
 

Die Betonung des letzten Satzes beinhaltete die zerschlagene Hoffnung auf eine Art Selbstschutz der Lines, sowie die sich erneut bestätigende Gewissheit, dass `Sicherheit´ nur eine Illusion war und alle zukünftigen Kämpfe noch brutaler als ohnehin werden würden.
 

„Diese Weiterentwicklung“, antwortete Sephiroth, „war von Anfang an möglich. Und gerade Toron gehört zu der Sorte Kämpfer, die sich in ihr Ziel verbeißen und nicht mehr loslassen, bis sie es erreicht haben. Was auch immer sie plant – wir können es nur auf uns zukommen lassen.“
 

„Denkst du“, fragte Cutter leise, „sie wird wieder mich heraufordern?“
 

„Möglich. Aber ihr Hauptziel ist und bleibt ShinRa. Sollte sie dir dennoch begegnen, erwarte ich von dir, dass du sie entsprechend begrüßt.“ Er sah auf die Uhr, und Cutter folgte seinem Blick.
 

„Ich muss los, was? Diesmal wirklich. Danke schön für... für alles.“ Sie erhob sich, nahm Haltung an, bat um die Erlaubnis, wegtreten zu dürfen und setzte sich, nach einem knappen Nicken des Generals, in Richtung Küchentür in Bewegung... hielt aber noch einmal inne... und warf einen letzten, langen Blick zurück.
 

Der Ausdruck in ihren Augen sagte mehr, als es Worte jemals hätten ausdrücken können.
 

Nur Sekunden später verriet ein leises Klicken der Haupttür, dass Sephiroth wieder allein war. Er stellte die Kaffeetasse langsam ab und ließ sich zurücksinken.
 

Sie hat es gemerkt, dachte er. Dass ich Dinge in diesem Appartement verändert habe. Und hat nichts gesagt. Warum? Aber... wenn sie mich darauf angesprochen hätte – was hätte ich sagen können? Die Wahrheit, meine Wahrheit, geht nur mich etwas an. Oder? Veränderungen sind auch immer Signale. Und auf diese folgen unweigerlich Reaktionen. Auch Fragen. Wenn ich nicht in der Lage bin, auf diese Fragen einzugehen – darf ich dann überhaupt Signale aussenden?
 

Wieder eine Frage, die er sich nicht selbst beantworten konnte. Und wieder hatte Cutter damit zu tun! Sephiroth seufzte leise. Vielleicht... sollte er sie einfach anrufen und nach dem Grund fragen? Sie würde ihm eine ehrliche Antwort geben. Und dann?
 

Nein, dachte er. Was Cutter gerade praktiziert... es gibt ein Wort dafür. Nicht `Höflichkeit´. `Rücksicht´. In Bezug auf mich nahezu lächerlich, aber ich weiß, sie... kümmert sich nicht darum. Wenn sie nicht weiß, was sie tun soll, hört sie immer auf ihr Gefühl. Auch, wenn manchmal völlig unklar zu sein scheint, wohin das führt... Cutter, du machst mich wahnsinnig!
 

Ihre gestrigen Worte fielen ihm wieder ein.
 

„Sergeant Ryko hat gesagt, ich sei dein Blue Wanderer...“
 

Für einen kurzen Augenblick war der General fest entschlossen, Sergeant Ryko für diese Aussage zur Rede zu stellen. Dann verwarf er den Gedanken wieder. Es war allgemein bekannt, dass er für schwierige Einsätze nur die Besten mitnahm, und Cutter gehörte dazu. Auf Rykos Aussage einzugehen, wäre nur verdächtig gewesen...
 

Sephiroth schüttelte den Kopf. Ob die Dinge auf dieser seltsam fremden Ebene immer so furchtbar kompliziert waren? Schon wieder so eine Frage! Er beschloss, bis auf weiteres nicht mehr über sich oder Cutter nachzudenken, sondern seine Aufmerksamkeit wichtigeren Dingen zuzuordnen. Toron zum Beispiel! Mit Sicherheit übte sie wie eine Besessene mit den 2nd Lines, und nur die Zeit würde zeigen, wie sie ihre neuen Fähigkeiten einsetzen würde.
 

Die folgenden Tage zeichneten sich durch gespenstische Ruhe aus. Man konnte förmlich spüren, wie in der Stille eine undefinierbare Kraft an Stärke zunahm. Es glich den TV Berichten über eine noch weit entfernte Katastrophe mit direktem Kurs auf die zusehenden, bewegungsunfähigen Personen. Es ließ die Luft elektrisch Knistern, verlieh jedem Detail eine gewisse Zweideutigkeit und hielt die Menschen davon ab, ruhig zu schlafen. Midgar lag geduckt zum Sprung. Und alle konnten es spüren.
 

Sephiroth hielt die Atmosphäre mit beinahe gelangweilter Gelassenheit auf Distanz. Was immer Toron plante, es konnte unmöglich Unaufhaltsam sein. Cutter hingegen... litt. Sie wusste, dass es keine Möglichkeit gegeben hatte, diese in eine gänzlich unvorteilhafte Richtung stattgefundene Situationsentwicklung zu verhindern – aber es tröstete nicht.
 

„Dinge geschehen, wenn die Zeit reif dafür ist“, hatte Zack gesagt. „Wir sind ShinRa und müssen sowieso ständig mit einem offenen Auge schlafen, also hey, mach dich nicht verrückt.“
 

Cutter hatte zugestimmt. Was hätte sie auch sonst tun sollen? Trotzdem war sie unglücklich – und besorgt, hielt sie die Rebellenführerin doch für sehr geschickt. Mit Sicherheit würde Toron schnell auf den bereits von ihr erlangten Stand kommen, und dann? Auf wen würde sich der Angriff richten?
 

Dieser Gedanke beschäftigte sie ununterbrochen. Er besaß nicht einmal den Anstand, vor der Bürotür des Generals zu warten, während der Teenager die M.I.A. Akten bearbeitete. Immer wieder sorgte er für unerwünschte Ablenkung.
 

Hoffentlich, ließ er Cutter gerade denken, richtet sich der Angriff nicht auf Sephiroth oder Zack. Wenn sie mich direkt attackiert... damit komme ich klar. Wenn es im Laufe einer Mission passiert, kann ich versuchen, sie von den anderen wegzulocken, damit wir die Sache unter uns austragen können. Wenn ich nur wüsste, was ihr mentaler Fokus ist! Vielleicht könnte man mit ihr handeln... Wenn es ein Gegenstand ist, den sie will, und man würde ihn ihr einfach geben... Ob das die Fähigkeit, in die 2nd Lines zu gehen, einfach aufheben würde? Ich wünschte, ich könnte...
 

Sephiroths dunkle Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
 

„Cutter, du träumst.“
 

„Eigentlich nicht, Sir. Ich denke über die Situation nach, aber je intensiver ich das tue, je mehr Fragen tauchen auf, und ich habe auf so gut wie keine eine Antwort, und das deprimiert mich, um ehrlich zu sein.“
 

Der Satz barg jenen gewissen Unterton, der möglicherweise bereits den Fund einer Lösung verriet. Sephiroth griff ihn auf.
 

„Was möchtest du gegen diesen Zustand tun?“
 

Die Antwort des Teenagers kam mit der erwarteten Schnelligkeit.
 

„In den Dschungel gehen, meine Retterin von damals finden und mit ihr sprechen. Denkst du, das könnte klappen?“
 

Sephiroth lehnte sich in seinem Sessel zurück und erwiderte den zu gleichen Teilen hoffnungsvollen wie nachdenklichen Blick.
 

„Ich denke“, sagte er nach einer Weile langsam, „der Erfolg hängt einzig und allein davon ab, ob sie sich finden lassen will. Kannst du dich noch an den Stab erinnern, den sie bei sich trug?“
 

Cutter nickte. Die Erinnerung an das sanfte, ihren Wahnsinn vertreibende Leuchten, hatte sich unauslöschlich in ihr Herz geprägt. Und eine sichere Gewissheit erschaffen.
 

„Sie war... irgendwie... mehr als ein 2nd Lines Blue Wanderer.“
 

„Genau das denke ich auch. Und, dass sie ihr Leben in der Einsamkeit aus guten Gründen gewählt hat. Vielleicht unter anderem, um sich in Geschichten wie diese hier nicht verstricken zu lassen.“
 

„Mit anderen Worten, ich kann meinen Plan vergessen.“
 

„Ich fürchte, so ist es. Was auch immer geschieht, wir können es nur auf uns zukommen lassen. Und, wenn es soweit ist, die richtigen Entscheidungen treffen.“
 

Cutter nickte langsam. Im tiefsten Grunde ihres Herzens war ihr die Undurchführbarkeit des Planes klar gewesen. Aber manchmal war eine zweite Meinung notwendig, um etwas endgültig zu akzeptieren. Warum klammerte man sich manchmal trotzdem mit aller Kraft an eine solche Idee? Vielleicht nur, um nicht in Hoffungslosigkeit zu ertrinken? Cutter wusste es nicht. Nur, dass sie sich schlagartig sehr hilflos fühlte. Und sehr, sehr müde. Letzteres war in ihren Augen mehr als deutlich zu erkennen.
 

„Cutter, es ist nach 2300 Uhr. Geh schlafen.“
 

Abermals nickte der Teenager sachte, legte die M.I.A. Akte weg, erhob sich, ging zur Tür, wandte sich noch einmal um... Sephiroth saß hinter seinem Schreibtisch, die makogrünen, alles durchschauenden Augen auf den Computerbildschirm gerichtet. Wie ein Torwächter oder ein Schutzengel, ein Fels in der Brandung – in jedem Fall aber ein Pläneschmieder und –durchführer.
 

Und einsam, dachte Cutter. Weshalb war mir das früher nie so klar? Weil es so viele Dinge gibt, die darüber hinwegtäuschen. Gute und schlechte. Absichtlich herbeigeführte und solche, die sich von selbst ergeben. Den Unterschied zu erkennen, fällt so schwer... Du bist unglaublich kompliziert! Und dennoch gleichzeitig die Gewissheit, dass alles gut wird, solange...
 

„Sephiroth-sama? Ich bin froh, dass du da bist.“
 

Dann verschwand sie blitzschnell durch die schlauerweise schon halb geöffnete Tür.
 

Hey, flüsterte Sephiroths militärisches Denken entrüstet, sie hat nicht salutiert!
 

Aber der Protest verhallte wirkungslos hinsichtlich der Ahnung, dass Cutters Aussage ein klein wenig anders gemeint war, als alles bisher in dieser Richtung gehörte. Und ehe es sich der General versah, befand er sich in tiefen, den Teenager betreffenden Grübeleien.
 

Irgendwann schüttelte er fast ein wenig ärgerlich den Kopf, füllte seine Kaffeetasse neu und griff nach dem Zucker... um festzustellen, dass der Karton leer war. Kein Grund für Hektik. Cutter hatte erst letztens neuen mitgebracht. Sephiroth ging zum Schrank, entnahm ihm das Päckchen, kehrte zum Schreibtisch zurück, begann, die Packung zu öffnen – und hielt inne. Runzelte die Stirn. Und verhielt einen Augenblick in tiefer Verblüffung.
 

Es war Zucker, ja, die Farbe stimmte, er war leicht portionierbar, würde sich mit Sicherheit schnell auflösen und süß sein... aber es war nicht die gewohnte, viereckige Form.
 

Diese Zuckerstückchen waren... herzförmig.
 

Sephiroth starrte bewegungslos auf die reinweißen Herzen. Gleichzeitig versuchte er, zu denken, aber es gelang ihm erst nach einer ganzen Weile.
 

Weshalb bringt mir Cutter... Sie sagte, er sei im Sonderangebot gewesen. Aber auf der Packung steht `Limited Edition´. Nr. 1 von 500 Päckchen. So etwas ist niemals im... Ich folge gerade der falschen Spur.
 

Langsam ließ er sich seinen Sessel sinken. Herzen. Ein Herz. Ein menschliches Herz war eine Art Motor, eine Pumpe, die das Blut in Bewegung hielt. Es bestand aus einem rechten und linken Vorhof, sowie den entsprechenden Kammern. Herzklappen sorgten für einen Fluss des Blutes in die korrekte Richtung und verhinderten einen Rückfluss.
 

Aber die Zuckerstückchen besaßen nicht die Form eines solchen Herzens. Sephiroth hatte diese halbrunden und dennoch spitz zulaufenden, perfekt gespiegelten Versionen schon oft gesehen (unter anderem auf der ersten von Cutter erfolgreich bearbeiteten M.I.A. Akte, bevor er dies unterband). Sie standen für vieles. Aber hauptsächlich für diesen seltsamen Begriff namens `Liebe´. Er schüttelte den Kopf, aber das seltsame Gefühl blieb an seinen Gedanken haften. Es fühlte sich an, als ob...
 

Als ob man mir ein in einer fremden Sprache verfasstes Buch in die Hände gedrückt hat und erwartet, dass ich es verstehe. Nein, berichtigte er sich dann selbst, Cutter... erwartet nichts. Das tut sie niemals.
 

Langsam griff er nach seinem Löffel, legte eines der Zuckerstückchen hinein und tauchte es vorsichtig in den Kaffe, beobachtete, wie sich all das Weiß mit Dunkelheit voll sog, bis nur noch ein winziges Fleckchen Weiß übriggeblieben war. Ein Herz, angefüllt mit Finsternis - bis auf eine kleine Stelle Helligkeit.
 

Vielleicht... ein bisschen... wie... mein eigenes? Und du... bist...
 

Der Zucker begann sich aufzulösen und glich somit einer der berühmten Nachrichten, die sich nach Erhalt selbst zerstörten, um keine unnötigen Spuren zu hinterlassen.
 

In Ordnung, Cutter, dachte Sephiroth während er langsam umrührte. Deine Botschaft... ist bei mir angekommen. Ich... brauche nur ein wenig Zeit, um... mir über gewisse Dinge klar zu werden. Und außerdem brauche ich...
 

„Schlaf“, murmelte der General. Die letzten erholsamen Stunden waren schon zu lange her. Dennoch arbeitete er weiter, bis die frisch gefüllte Kaffeetasse leer war. Erst dann machte er sich auf den Weg in sein Appartement.
 

In Punkto `Entspannung´ gab es kaum etwas Besseres als eine heiße Dusche. Auch dieses Mal war sie vor dem Schlafen gehen genau das Richtige gewesen. Im Grunde wollte Sephiroth jetzt nur ins Bett... aber auf dem Weg dorthin fiel sein Blick auf den Laptop. Das Gerät stand auf dem Glastisch zwischen all dem schwarzen Leder und strahlte den schlecht getarnten Wunsch aus, eine Nachricht zu übermitteln.
 

Grüne Makoaugen liebkosten flüchtig das durch die halb geöffnete Schlafzimmertür bereits gut erkennbare Bett... dann siegte die Neugier. Sephiroth klappte den Laptopdeckel hoch, und nur Sekunden später erschien auf dem Bildschirm die Einladung zu einer Videokonferenz – von einem unbekannten Absender.
 

Das Zögern dauerte nur einen Sekundenbruchteil. Dann startete der General ein unauffällig im Hintergrund laufendes Aufnahmeprogramm, machte es sich in einem der Sessel bequem und nahm die Einladung zu der Videokonferenz an. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sich das neue Bild aufbaute.
 

„Du bist gekommen.“ Rail lächelte, und es wirkte ehrlich. „Ich freue mich. Halte mich bitte nicht für feige, diesen Weg der Kontaktaufnahme gewählt zu haben, aber Verbrennungen heilen nur langsam, und ich bin körperlich noch nicht ganz auf dem Damm. Das Risiko, gefangen zu werden, ist zu groß.“
 

„Ich halte dich nicht für feige.“
 

„Sondern?“
 

„Für dumm. Wie alle, die sich ShinRa in den Weg stellen. Du und deine kleine Rebellenhorde führt einen aussichtslosen Kampf.“
 

„Für die Freiheit zu kämpfen ist niemals völlig aussichtslos. Vielleicht wird irgendwann jemand anderes die Früchte unserer Arbeit ernten können.“
 

„Und wenn nicht, war euer Tod umsonst.“
 

„Falls wir sterben.... ist das möglich.“
 

„`Liberation´ wird mit Sicherheit untergehen.“ Und um völlige Klarheit zu schaffen fuhr er fort: „Nicht einmal deine neuen Fähigkeiten werden daran etwas ändern können.“
 

Das bis dahin sehr ernst wirkende Gesicht der Rebellenführerin hellte sich auf.
 

„Ah, du weißt also Bescheid. Ich frage nicht, woher du es weißt. Es interessiert mich nicht. Aber ich habe es alleine geschafft, ganz ohne die Hilfe deines kleinen Haustiers. Bist du stolz auf mich?“
 

Sephiroth hob langsam eine Augenbraue. Es wirkte zu gleichen Teilen spöttisch wie gelangweilt.
 

„Du hast diese Videokonferenz doch nicht eingefädelt, um mich etwas so nebensächliches zu fragen.“
 

„Eigentlich wollte ich dir von deiner Line erzählen.“
 

„Nicht nötig.“
 

„Verstehe. Cutter-chan war schneller. Schade. Hat sie auch erwähnt, dass man deine Line nicht...“
 

„Lesen kann? Natürlich. Ich kenne meine Line, Toron.“
 

Die Rebellenführerin seufzte leise.
 

„Ich wollte dich nicht ärgern. Diesmal. Tut mir leid.“
 

„Was ist der Grund für diese Konferenz?!“
 

„Eigentlich wollte ich nur deine Stimme mal wieder hören. Sie klingt... anders als früher, aber ich mag sie. Kannst du damit irgendetwas anfangen? Vermutlich nicht. Und ich... kann es dir nicht einmal übel nehmen. All das hier... die Umstände... ShinRa... haben nie zugelassen, dass du... Interesse an solchen Äußerungen entwickelst. Was ausgesprochen schade ist, denn es heißt, dass ich dich nicht, wie andere, mit meinem Sexappeal um den Finger wickeln kann.“
 

„Korrekt.“
 

„Ausgesprochen schade. Man kann das lernen, weißt du? Man braucht nur...“
 

„Kein Interesse.“
 

„... Vertrauen, den richtigen Lehrer und Geduld. In deinem speziellen Fall vermutlich die Geduld eines ganzen Lebens, aber...“
 

„Komm zum Thema!“
 

„... ich würde es versuchen. Ich würde es wirklich versuchen.“
 

Irgendetwas in ihrer Stimme... Sephiroth konnte es nicht definieren. Aber es hinderte ihn daran, Rail zu unterbrechen. Und so fuhr diese fort.
 

„Als wir zusammen im Labor gefangen waren, wollten wir unter anderem fliehen, damit ich dir meine Welt zeigen kann, weißt du noch? Eine Welt ohne... Gitterstäbe und Schmerzen. Das möchte ich noch immer! Inzwischen ist... so viel passiert, und ich... meine jetzt eine andere Welt. Eigentlich sogar mehrere Welten. Sie existieren noch nicht, aber das heißt nur, dass sie erst aufgebaut werden müssen.“
 

Für einen kurzen Augenblick musste Sephiroth an einen kleinen Karton mit herzförmigen Zuckerstückchen denken. Seiner Logik erschien es absurd. Sein Instinkt jedoch wisperte ihm zu, dass genau das gemeint war. Eine neue Welt...
 

„Aber alleine schaffe ich das nicht.“ Ihre Stimme klang fast verzweifelt. „Ich brauche Hilfe!“
 

Die brauchst du allerdings, dachte Sephiroth. Erscheine in meiner Nähe, und ich gewähre sie dir!
 

„Und zwar deine!“ Jetzt klang sie fast trotzig. „Ich will nur deine Hilfe!“
 

„Meine Hilfe? In Form eines Seitenwechsels?“
 

„Du hast nichts zu verlieren außer deinem Schmerz und den Demütigungen im Labor. Ich weiß, du definierst dein Wesen zum Teil auch dadurch, aber du brauchst all das nicht! Mir ist bewusst, außer Hojo gibt es niemanden, den du nicht besiegen könntest - mich natürlich ausgeschlossen – aber du müsstest nur...“
 

Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte Sephiroth das Gespräch für reine Zeitverschwendung gehalten. Nun allerdings spürte er leichten Ärger in sich aufwallen.
 

Du weißt nichts, absolut nichts von mir und Hojo! Wie kannst du es wagen...!!
 

Er beschloss, den Takt des Gespräches von nun an selbst zu bestimmen, und schon seine erste Frage zielte darauf, Rail in die Enge zu treiben.
 

„Apropos“, unterbrach er kalt, „von welcher Art waren die an dir durchgeführten Experimente?“
 

Rails Gesichtsausdruck verhärtete sich.
 

„Fragst du das als ehemaliger Käfignachbar, als Privatperson, oder als General der feindlichen Truppe?“ Ohne eine Antwort zu erwarten, fuhr sie fort: „Du hast nicht in meine Akte geguckt. Das enttäuscht mich.“
 

„Es gibt keine.“ Vielleicht wohnte seiner Stimme ein Hauch Trauer inne.
 

„Es gibt keine“, wiederholte Rail sichtlich erschüttert. „Dieser Bastard zerstört mein ganzes Leben und es ist ihm nicht mal eine Akte wert. Das ist...“
 

„Beantworte meine Frage!“, unterbrach Sephiroth befehlend.
 

„Ich will nicht.“
 

„Dann ist das Gespräch hiermit beendet.“
 

Er lehnte sich nach vorne...
 

„Wenn du mich berühren würdest...“ Rails Stimme klang bitter und traurig, „... könntest du Wärme spüren. Ich hingegen könnte mir deine Wärme nur vorstellen. Er hat meinem Körper die Fähigkeit, zu fühlen, genommen, Sephiroth. Ich bin eingesperrt in mir selbst. Weiß du, wie viele Dinge zerbrochen sind, weil ich sie zu fest angefasst habe? Oder wie viele noch zerbrechen werden? Über seelischen Schmerz könnte ich Romane verfassen, aber körperlicher existiert nicht mehr für mich! Ich bin... ein verdammter Roboter.“
 

„Verstehe. Und dafür willst du Rache.“
 

„Ich will Blut sehen, richtig. Das von Rufus Shinra, von Hojo... und deins, wenn du dich mir weiterhin in den Weg stellst. Vielleicht ist das primitiv, aber ich mag den Plan. Ich kann jetzt die 2nd Lines bewandern, großer General. Ich bin...“ Sie verstummte einen Augenblick. „Das interessiert dich alles kein Stück, oder?“
 

„Korrekt. Aber ich kann dir versprechen, dass du Blut sehen wirst. Hauptsächlich das deiner Leute – und irgendwann auch dein eigenes.“
 

„Ist das dein letztes Wort? Dann sehen wir uns auf dem Schlachtfeld wieder! Und ich rate dir, bis dahin alle verfügbaren Kräfte zu sammeln, denn der nächste Kampf wird für einige von uns der Letzte...“
 

Sephiroth beendete die Konferenz mit einem lässigen Knopfdruck, als schüttele er etwas Unerwünschtes ab. Dann lehnte er sich zurück und verharrte, tief in Gedanken versunken, versuchte, seine Gefühle zu analysieren.
 

Mitleid war nicht darunter. Dafür aber die Gewissheit, dass ein weiteres Mosaiksteinchen an den richtigen Platz gelegt worden war. Blieben, gefühlstechnisch, noch mehrere Hundert übrig. Und einige von ihnen besaßen die Form von weißen Herzen. Obwohl sie sich völlig unterschiedlich ausgedrückt hatten und seine Verbindung zu diesen beiden Personen sich kaum ähnelte – Sephiroth wusste, dass Cutter und Rail dasselbe meinten.
 

Trotz allem, was war – ich werde Rail aus dem Verkehr zu ziehen. Und Cutter... ich bin ihr kommandierender Offizier, mentaler Fokus und... ja. Und. Was noch? Sie sieht mehr in mir als `nur´ das. Ich konnte es ihr nicht austreiben. Vermutlich... bin ich sogar zum Teil selbst schuld an diesem Zustand. Cutter und Zack sind die einzigen beiden Personen, die mich nicht wie einen Gegenstand behandeln. Wie nur konnte ich es zulassen?! Dass man sich mir auf diese Art und Weise nähert! Ich wollte nie... Oder... wollte ich doch? Unbewusst? Cutter und Zack haben mich immer wieder dazu gebracht, über mich selbst nachzudenken. Mein Verhalten zu analysieren. Und ich... habe begonnen, mich zu ändern. Aber... hat mir das letztendlich etwas gebracht? Warum kann ich diese und alle anderen Fragen nicht selbst beantworten?
 

Er seufzte leise.
 

Ich wünschte, es gäbe jemanden, den ich fragen könnte.
 

Aber, das wusste er mit Sicherheit, es gab niemanden.
 

In ihrem Versteck starrte Rail auf den jetzt wieder schwarzen Übertragungsmonitor, in dem bis vor wenigen Sekunden noch alles gewesen war, was sie sich außer der Rettung Midgars wünschte.
 

Weißt du, dachte sie erschüttert, anfänglich wollte ich dich nur töten. Aber dann... als Tyrer mir die Informationen unseres Kontaktes in der Eiszapfenregion durchgegeben hat... dass du so gut mit Cutter klar kommst, dachte ich... Ich dachte, vielleicht bist du... einsam. Und bewusst oder unbewusst auf der Suche nach... jemandem... Ich dachte, dein Verhalten sei ein Zeichen für mich.
 

Meine Einladung... ich dachte wirklich, du würdest darauf warten. Ich wollte dir klar machen, dass ich... Meine Liebe, das weiß ich jetzt mit Sicherheit, bedeutet dir nichts. Und was du über die bevorstehende Schlacht gesagt hast... Ich weiß, du meinst es ernst. Aber ich auch! Einer von uns beiden wird diesen Kampf nicht überleben.
 

Ein halblautes Klopfen erklang, dicht gefolgt von einem in gleicher Lautstärke gehaltenen: „Rail?“ , und als auch dieses unbeantwortet blieb, öffnete sich die Tür – auf eine Art und Weise, die bei Bedarf (z.B. zielgenau geworfener Gegenstände) ein rasches Schließen ermöglichte.
 

`Liberation´s Nr. 2 streckte vorsichtig den Kopf in den Raum und betrat diesen ganz, als klar wurde, dass kein Angriff erfolgen würde. Rail saß einfach nur da, hatte die Arme auf den Tisch und den Kopf darauf gelegt und starrte bewegungslos auf den schwarzen Computerbildschirm.
 

Der Anblick, speziell die Tränenspuren auf den Wangen der Rebellenführerin, versetzten Tyrer einen Stich. Trotzdem trat er näher, wohlweißlich laut genug, um gehört zu werden, und legte der Frau vor ihm behutsam die Hand auf die Schulter. Er wusste: Sie konnte die Berührung nicht spüren. Aber vielleicht tröstete seine Nähe ein wenig. Hin und wieder, zwischen der sicheren Gewissheit, nur benutzt zu werden, hatte er das Gefühl. Ob es jetzt einer ihrer Tricks war oder nicht.
 

„Es hat also nicht geklappt“, sagte er leise. Rails Kopf ruckte hoch, suchte seinen Blick. Sie hatte über diesen Teil des Planes nicht mit ihm gesprochen! Er konnte es unmöglich wissen! Woher...
 

„Ich bin doch nicht blöd, Rail“, beantwortete er die unausgesprochene Frage ohne lauter zu werden. „Ich habe Augen, um zu sehen, Ohren, um zu hören – und Instinkte. Außerdem bist du nicht meine erste Freundin. Und ich erkenne Konkurrenten. Der hier ist allerdings entsetzlich hartnäckig, auch, wenn es ihm nicht bewusst ist. Und du... liebst ihn immer noch. Du hast nie damit aufgehört, oder?“
 

Leichtes Kopfschütteln. Tyrer seufzte leise. Ein Teil von ihm wollte Rail packen und schütteln, sie zur Vernunft bringen und jeden Gedanken an diesen verdammten Sephiroth aus ihrem Kopf verbannen – notfalls mit Gewalt. Der andere Teil von ihm wollte die Frau vor sich einfach nur trösten. Irgendwie.
 

„Ich kann es verstehen, weißt du? Aber... manchmal reicht Liebe nicht aus, um andere zu überzeugen. Und dieser Typ braucht keine. Auch deine nicht. Aber ich würde mich sehr darüber freuen.“
 

Rail sah zu ihm auf, und zum ersten Mal seit langer, langer Zeit war ihr Blick wieder frei von allen Einflüssen und gewährte einen Blick in ihre Seele, diese starke, sture, reine Seele, in die sich Tyrer verliebt, von der er sich geschworen hatte, sie vor allem Übel zu beschützen.
 

„Wenn du es die ganze Zeit gewusst hast“, sagte Rail leise, „warum bist du dann hier geblieben?“
 

„Weil ich dich liebe, du Idiotin. Reicht das nicht aus? Muss es unbedingt er sein? Du verschwendest dein Gefühl.“
 

„Ich dachte...“
 

„Nein. Rail, dieses Wesen wurde, wie du irgendwann selbst gesagt hast, erzogen, um alleine klar zu kommen. Und das tut er. Er braucht weder dich, noch irgendjemand anderen. Er ist nicht auf die Liebe anderer angewiesen. Und daran wird sich niemals etwas ändern.“ Gleichzeitig reichte er ihr ein Taschentuch. „Du weinst.“
 

„Ehrlich?“
 

„Schon seitdem ich diesen Raum betreten habe.“
 

Rail griff nach dem Taschentuch, wortlos, aber sie drückte seine Hand – hoffend, dass es nicht schmerzhaft war. Tyrer schmunzelte. Wieder einer dieser Momente. Vielleicht konnte er dafür sorgen, dass sie sich vermehrten? Sephiroths klare Absage schuf ideale Voraussetzungen. Aber zuvor...
 

„Ich habe dir was mitgebracht.“
 

Er zog eine schmale, silberne Schatulle aus der Tasche und legte sie vor Rail ab. Die lächelte zaghaft.
 

„Du bist schon fertig? Wow...“
 

„Weil ich der Beste bin.“
 

Rails lächeln verstärkte sich. Gleichzeitig öffnete sie die Schatulle, starrte einen Augenblick hinein und entnahm ihr schließlich den Gegenstand, drehte und wendete ihn, betrachtete ihn von allen Seiten.
 

„Es hat alle von dir geforderten Eigenschaften“, erklärte Tyrer. „Klein, leicht, handlich. Gefertigt aus linestechnisch unauffälligen Materialien, es wird also in der geplanten Umgebung nicht auffallen. Für die Munition gilt dasselbe.“
 

Rail verzog das Gesicht.
 

„Soll ich dich jetzt loben?“
 

Ah, dachte Tyrer, schon wieder auf dem Weg der Besserung.
 

„Hin und wieder“, murrte er und ging ganz bewusst auf das Dominanzspiel ein, „wäre das ganz schön! Ich habe mir Tage und Nächte mit diesem Ding um die Ohren geschlagen!“
 

„Das ist dein Job, mein Lieber! Ich schlafe gar nicht mehr.“
 

„Vielleicht solltest du das nachholen. Ich würde auch aufpassen.“
 

„Ich schlafe, wenn der Sieg unser ist.“
 

„Apropos Sieg, ich bin deinen Plan noch mal durchgegangen. Er ist gut, wie alle deine Pläne. Aber es gibt einen Schwachpunkt.“
 

Rail hörte auf, ihre neuste Waffe hin und her zu drehen, warf Tyrer einen warnenden Blick zu – wurde jedoch ignoriert.
 

„ShinRa“, fuhr Tyrer fort, „verfügt über genug Möglichkeiten, auch auf diese Art und Weise durchgeführte Angriffe erfolgreich zu neutralisieren.“
 

„Diesmal nicht.“
 

„Diesmal nicht?“
 

„Nein. Denn ich werde... ein entscheidendes Element auf unsere Seite ziehen.“ Ihre Stimme wurde zu einem dunklen Flüstern. „Ihn. Höchstpersönlich.“
 

Tyrer wusste sofort, wen sie meinte, und er schwieg einen langen Moment, versuchte sich einzureden, dass Rail scherzte, seine Reaktion testen wollte, beschwor sich, ruhig zu bleiben... und explodierte.
 

„Du willst – was?! Das kann nicht dein Ernst sein! Rail, das ist Wahnsinn!“
 

„Ich weiß.“ Sie lächelte sehr zufrieden. „Und hör auf, zu brüllen! Wir sind zivilisierte Rebellen!“
 

„Ich brülle, wann es mir passt! Jeden anderen wirst du in deine Nähe lassen, aber nicht ihn! Hast du den Verstand verloren?!“
 

„Wir brauchen ihn!“
 

„Niemals! Wie kannst du... Es gibt genug andere Möglichkeiten! Ich werde etwas entwickeln! Gib mir drei, nein, zwei Tage Zeit! Rail, ich werde nicht zulassen, dass du dich in solche Gefahr begibst!“
 

„Du reagierst über!“
 

„Ich reagiere für uns beide! Bisher habe ich die Durchführungen deiner Pläne mit aller Kraft unterstützt, aber das hier ist seelischer Selbstmord! Er wird sich bei der ersten Gelegenheit gegen dich wenden! Der Mann ist ein verdammtes Monster!“
 

„Und nützlich.“
 

„Er wird dich töten, sobald er die Chance dazu bekommt! Verstehst du das nicht?!“
 

„Ich werde ihm keine Chance geben!“
 

„Ich dir auch nicht!“
 

Einen Sekundenbruchteil später schlossen sich Hände um Schusswaffen, rissen sie aus der Deckung, richteten sie auf den in nächster Nähe befindlichen Gegner. Augen starrten einander an ohne zu blinzeln, förmlich brennend vor heißem, inneren Gefühl. Fest entschlossen, zu beschützen. Fest entschlossen, sich nicht beschützen zu lassen. Zeigefinger hielten den Abzug am entscheidenden, toten Punkt. Jetzt würde jedes blinzeln die Entscheidung bringen.
 

„Weißt du, was dein Problem ist, Tyrer? Du denkst zuviel. Sonst hättest du längst abgedrückt.“
 

„Ich wollte dir nur eine etwas längere Chance geben, zur Vernunft zu kommen.“
 

„So? Aber ich habe jetzt keine Zeit mehr, und werde die Chance beenden. Verzeih.“
 

Rails Waffe besaß einen Schalldämpfer. Alle ihre Waffen besaßen Schalldämpfer. Sie sagte sich, dass es gut zu ihrem Charakter, ihrer Geschichte passte. Vor allem aber waren sie nützlich, sorgten für geminderte Aufmerksamkeit bei ungewollten Mitwissern. Und so war das Geräusch kaum mehr als ein dumpfes `Boff´, ähnlich dem einmaligen kläffen eines uralten, zahnlosen Hundes – aber mit wahrhaft durchschlagender, tödlicher Wirkung.
 

Die Rebellenführerin drehte sich nicht einmal weg, um dem Ergebnis ihrer Tat zu entgehen. Teilnahmslos beobachtete sie, wie der Körper vor ihr zusammenbrach und bewegungslos liegen blieb. Dunkelrotes Blut strömte aus der klaffenden Kopfwunde und breitete sich rasch aus. Erst der Eintritt des Körpers in den Lebensstrom beendete das grausame Schauspiel. Rail trat zwei Schritte zurück und lächelte eisig.
 

Nicht nur ein gewisser ShinRa General kam alleine klar. Auch sie würde es schaffen! Die Pläne standen. Sie waren wahnsinnig – und perfekt. Und nichts auf der Welt würde `Liberation´ aufhalten.
 

Sephiroth behielt die Videokonferenz ausschließlich für sich. Er verzichtete sogar darauf, die durch das Programm ermittelten Zieldaten zu überprüfen, wissend, dass sich Rail in einer höchst sensiblen Planungsphase befand und daher nicht den Fehler machen würde, am Übertragungsort zu bleiben.
 

Stattdessen demonstrierte er völlige Gelassenheit, indem er weder die durch Midgar ziehenden Patrouillen verstärkte, noch diese öfter durchführen ließ oder gar stärker bewaffnete. Cutter hingegen verbrachte jede freie Minute im Simulatorraum um zu trainieren – war sie doch der festen Überzeugung, die Entscheidungsschlacht würde in den Straßen von Midgar stattfinden.
 

Sephiroth zerschlug diese beengende Einsicht kurzerhand, indem er in das Simulationsprogramm eingriff und Midgar lediglich zu einer unter zahlreichen Kampfschauplätzen werden ließ. Zuerst protestierte Cutter - dann nahm sie wahr, wie die unterschiedlichen Herausforderungen ihre Flexibilität trainierten und verwendete ihre Kraft ausschließlich dafür, sich ihnen gewachsen zu zeigen.
 

Früher hatte der General das Mädchen ausschließlich beobachtet, um ihre Fähigkeiten einschätzen zu können. Das tat er immer noch, aber jetzt es schien eine Art... zweiten Blick zu geben. Und für diesen ging von jeder Bewegung Cutters, ja selbst von ihr geltenden Gedanken, ein zaghaftes, aber beständiges Leuchten aus.
 

Sephiroth konnte nichts dagegen tun. Dasselbe galt für das Gefühl von schmelzendem Eis tief in seinem Inneren. Es wurde stärker – galt aber ausschließlich ihr. Um die Veränderung zu verbergen, verhielt er sich ihr gegenüber wesentlich distanzierter als sonst, und Cutter zog entsprechende Schlüsse.
 

Er hat den Zucker gefunden und ist sauer. Hättest du dir das nicht denken können?! Wie kann man nur eine so blöde Idee in die Tat umsetzen, Cutter Tzimmek? Damit hast du alles kaputt gemacht! Nur, weil du dich wieder mal von deinen Gefühlen zu irgendwelchen schwachsinnigen Aktionen hast hinreißen lassen! Du lernst es einfach nicht mehr! Ich wünschte, man könnte die Zeit einfach zurückdrehen und Dinge ungeschehen machen... Ob es zwischen ihm und mir jemals wieder so wie früher wird? Wenn nicht... hab ich´s einfach nicht anders verdient!
 

Alles in allem fühlte sie sich entsetzlich. Zerrissen, angreifbar und angekettet zwischen allen Fronten. Sie gab sich Mühe, normal zu wirken, aber ihre Nerven lagen blank. Und das Gefühl einer sich unaufhaltsam nähernden Katastrophe wurde stärker und stärker.
 

Wer lange genug auf Gaia gelebt oder einfach immer nur aufmerksam zugehört hatte, wusste: Ein guter Plan bestand aus folgenden Zutaten: Wissen in allen nur erdenklichen Varianten, Instinkt, Flexibilität, und einem guten Ersatzplan. (Und einem Ersatzplan für den Ersatzplan.)
 

Der Planet war schon immer die Bühne unzähliger in die Tat umgesetzter Pläne gewesen, und auch, wenn Gaia so gut wie nie eingriff, sie beobachtete und speicherte mit Hilfe der Lines alle Vorgänge genauestens. Der Planet durchschaute die Vorbereitungen. Einigen aktuell getroffenen wurde mehr Aufmerksamkeit als anderen gewidmet. Allein die Zusammensetzung verlangte das. (Abgesehen davon war der Planet... neugierig.)
 

Und so war Gaia einmal mehr nur eine stumme Beobachterin, als sich einige Tage später (und mitten in der Nacht) eine kleine Gruppe aus Personen, die zwar ShinRa Uniformen trugen aber keinesfalls Teil der Electric Power Company waren, diese auf höchst geschicktem Weg betraten und nach kürzester Zeit wieder verließen – jetzt allerdings hatte sich die Anzahl der Personen um eine weitere erhöht. Und sie war nicht freiwillig mitgekommen.
 

Der kleinen Truppe, die eben die Welt unterhalb der Platte betrat, kümmerte sich nicht darum, sondern lieferten den Gefangenen in einem der hauptsächlich leerstehenden Häuser ab und ergänzten anschließend die vor dem Haus postierten Wachen.
 

In dem Gebäude überzeugte sich Rail ein letztes Mal von der Stabilität der Fesseln und Handschellen, dann griff sie nach dem bereitstehenden Eimer mit Eiswasser, zielte, holte Schwung... „Aufwachen, Bastard!“ ... und landete einen Volltreffer.
 

Hojo wusste nicht, wie ihm geschah. Eben war er noch im Labor und mit wichtigen Auswertungen beschäftigt gewesen, dann war ihm auf einmal schwindlig geworden. Er meinte sich dumpf an Schritte und das Gefühl, getragen zu werden, zu erinnern – und jetzt kippte ihm jemand Eiswasser ins Gesicht! Der Versuch, auf die Füße zu kommen, scheiterte.
 

Entrüstet wandte er sich an die ihm gegenüberstehende Frau.
 

„Was soll das?! Wer sind Sie?“ Das Wasser war kalt! Es rann seinen Rücken hinunter, durchnässte seine Kleidung und machte ihn wütend. „Binden Sie mich sofort los, sonst...“
 

Eine zweite Ladung Eiswasser traf ihn mit derselben brutalen Treffsicherheit, ließ ihn jäh verstummen und nach Luft schnappen.
 

„Hallo, Bastard! Erinnerst du dich an mich?“
 

Hojo musste einen Mundvoll Wasser ausspucken, bevor er antworten konnte.
 

„Ich habe Sie noch nie gesehen! Binden Sie mich sofort los! Wissen Sie überhaupt, wen sie vor sich haben?!“
 

„Natürlich. Einen menschenverachtenden, kranken Sadisten, ohne Moral, Hemmschwellen oder Gewissen!“
 

Ihre Stimme klang völlig ruhig. Überlegen. Und ein wenig arrogant, wie immer. Innerlich jedoch...
 

Du erinnerst dich nicht an mich, Mistkerl, weil ich für dich nur ein Körper unter unzähligen war, mit dem du nach Belieben verfahren konntest, aber glaub mir, meine Erinnerungen an dich machen das alles wieder wett! Erfüllt es einen eigentlich mit Stolz, an kleinen, wehrlosen Kindern herumzuexperimentieren? Fühlst du dich großartig, wenn sie weinen und verzweifelt nach ihren Eltern rufen oder um Gnade flehen? Es sind Kinder, du verdammter Mistkerl, was haben sie dir getan?? Was habe ich dir je getan?!
 

Jedes gedachte Wort war ein lautloser Schrei. Hojo fixiert, wie sie es einst gewesen war, direkt vor ihr, und ihr somit hilflos ausgeliefert... Rail hatte von diesem Moment geträumt. Und, wie sie sich an ihm rächte. Aber jetzt... Diesen Mann zu töten entsprach nicht mehr dem Plan. Sie brauchte ihn! Lebend! Und auf ihrer Seite.
 

Also bleib ruhig, Rail! Du kannst das Geschehene nicht mehr rückgängig machen, selbst, wenn du ihn tötest. Reiß dich zusammen! Du kannst das! Du bist stärker als er! Trotz allem!
 

„Diese Aussagen sind lächerlich, Fräulein! Ich bin nichts von all dem! Was wollen Sie überhaupt? Geld? Informationen? Oder...“ ... ein berechnendes Funkeln erschien in seinen Augen ... „möchten Sie mir etwa die Gelegenheit geben, das an Ihnen begonnene Experiment zu beenden?“
 

Mistkerl!!, dachte Rail und konnte spüren, wie ihr Körper zu zittern begann.
 

„Erstaunlich, dass du noch am Leben bist“, fuhr Hojo fort. „Alle anderen Versuchsobjekte in dieser Testreihe haben bei der ersten Gelegenheit Selbstmord begangen. Mir scheint, du wärst weitere Forschungen wert. Binde mich los und wir können gleich beginnen.“
 

Rail antwortete nicht. Sie hatte Hojos Kaltblütigkeit unterschätzt. Und dieses Thema... nicht eingeplant. Sie war unvorbereitet. Und so erwischte es sie eiskalt. So kalt, dass sie nicht in der Lage war, es zu beenden. Finstere Erinnerungen stürmten auf sie ein, lähmten alles Denken, verstärkten den Schockzustand.
 

„Meine Probanten sollten es als Ehre empfinden, von mir behandelt zu werden. Deine Flucht damals war lächerlich, denn wirklich entkommen bist du mir nie, nicht wahr? Ein Teil von dir ist für alle Zeiten in meinem Labor gefangen.“
 

Er hat Recht, dachte Rail verzweifelt. Innerlich war sie längst wieder zu dem hilflosen Kind von früher geworden. Es spielt keine Rolle, was ich tue oder wie weit ich laufe. Meine Vergangenheit... wird meine Zukunft sein, solange ich lebe. Und ich kann nichts dagegen tun. Außer...
 

„Ich wollte dir Unsterblichkeit verleihen!“, fuhr Hojo in gekränktem Tonfall fort. „In Form von weiterverwendbaren Daten. Und als Dank rennst du weg, nur um Jahre später diese absurde Entführung zu inszenieren! Wirklich, das ist... lächerlich!“
 

„Ich bin zurückgekommen“, wisperte Rail mit einer Stimme, die ihre eigene und auch nicht ihre eigene war.
 

„Nur ein weiterer Beweis für deine Inkompetenz! Was du wirklich willst – ich hätte es dir schon vor Jahren geben können! Aber ich gebe dir noch eine Chance.“
 

Gleichzeitig ließ er die Handschellen leise Klirren, ein Geräusch, das mehr sagte als 1000 Worte.

Und Rail... nickte. Aus ihren Augen war jeglicher Glanz gewichen.
 

Wie nur konnte ich mich jemals gegen dich auflehnen? Durch deine Hände zu sterben ist mein Schicksal, ich wusste es schon, seit man mich damals ins Labor brachte. Meine Flucht hat alles nur verzögert. Und mein Leid verlängert.
 

Wie in Trance nahm sie den Schlüssel für die Handschellen aus der Tasche und trat hinter den gefesselten Mann.
 

Was habe ich seit meiner Flucht letztendlich erreicht? Nichts. Letztendlich... waren alle meine Kämpfe gegen mich selbst gerichtet. Wie nur konnte ich jemals glauben, gewinnen zu können? Ich hätte niemals aufbegehren dürfen!
 

Der Schlüssel schob sich ins Schloss.
 

„Etwas mehr Tempo, wenn ich bitten darf!“
 

„Verzeihung, Professor!!“
 

Wirklich... wie konnte ich jemals glauben, stärker zu sein als du? Nicht einmal Sephiroth ist das... Sephiroth... Wir ähneln uns wirklich sehr. Beide sind wir stark – bis du ins Spiel kommst. Du hast etwas in uns zerschlagen, und wir können es nicht wieder heilen. Jede Begegnung mit dir macht uns dies deutlicher. Wir können... nicht... gewinnen. Nicht gegen dich.
 

Der Schlüssel begann sich zu drehen.
 

Und deshalb... solltest nur du es beenden dürfen. Nur dir gebührt diese Ehre.
 

Der erste eiserne Ring schnappte mit einem lauten Klicken auf. Das Geräusch ließ Rail zusammenzucken – und erweckte irgendetwas tief in ihr aus der Trance.
 

Aber was ist mit unserer Ehre? Der von Sephiroth und mir? Und allen anderen Versuchsobjekten? Unsere Ehre als Menschen, unsere Würde, die niemals jemand hätte antasten dürfen? Wer, außer dir selbst, hat dir das Recht gegeben, so mit uns umzugehen?? Unsere Seelen derart zu missbrauchen und zu vergewaltigen?
 

Und... hatte ich nicht einen Plan? Ja. Den hatte ich. Er war irrsinnig und genial, und... dich jetzt schon zu befreien war... nicht Teil davon!
 

Die Handschellen waren eine Spezialanfertigung. Das Lösen eines einzigen Ringes bedeutete nicht die sofortige Freiheit. Auch Hojo bemerkte dies nach einigem zerren, wandte ärgerlich den Kopf... und begegnete einem Blick, der förmlich zu glühen schien. Gleichzeitig griff eine Hand fest nach seiner bereits befreiten und ließ die eiserne Fessel abermals zuschnappen.
 

„He!“, protestierte Hojo. „Was...“
 

„Oh, du Mistkerl!!“, wisperte es in sein Ohr. „Fast hättest du mich soweit gehabt! Aber ich bin nicht Sephiroth! Ich bin...“
 

„Eine dumme, nichtsnutzige Närrin!“
 

„... Toron Rail, Anführerin der Rebellenbewegung `Liberation´ in Midgar! Und nicht mehr eines deiner kleinen Versuchsobjekte!! Ich kämpfe für die Zukunft!“
 

„Ich bin deine Zukunft!“
 

„Nein, Hojo.“ Ihre Stimme war erfüllt von spöttischem Mitleid. „Du bist nur ein nasser, gefesselter Irrer auf einem Stuhl vor mir. Mit anderen Worten: Du bist mir hilflos ausgeliefert. Also... sei brav!“
 

Sie ging an ihm vorbei, lehnte sich an den Tisch vor ihm, verschränkte die Arme und versuchte, ihr wie wild schlagendes Herz zu beruhigen. Ihr war bewusst, wie nahe die Eskalation der Situation gewesen war und fest entschlossen, die Kontrolle kein zweites Mal zu verlieren.
 

„Du hast mich vorhin gefragt, was ich will. `Zukunft´ ist schon ein gutes Stichwort. Aber hierbei geht es nicht um deine oder meine. Sondern um die unseres speziellen Freundes.“
 

„Wer soll das sein?!“
 

„Ich dachte, du bist ein Genie? Komm doch bitte selbst drauf.“
 

„Jen... Sephiroth?!“
 

„Sehr gut, ich bin begeistert! Weißt du, - du bist ein Bastard. Aber Sephiroth schlägt dich noch um Längen. Er hat meine Pläne einmal zu oft durchkreuzt, aber ich komme weder direkt an ihn, noch an den Teil, den ich zerstören will, heran. Du hingegen schon. Und deshalb habe ich dich herbringen lassen. Ich weiß, du hast ihn schon auf alles mögliche getestet, aber... jemals auf jemanden, den er mag?“
 

Hojo kicherte.
 

„Sephiroth besitzt solche Schwächen nicht.“
 

„Oh, ich denke nicht, dass es ihm wirklich bewusst ist. Aber es gibt eine solche Person. Ihr Name ist...“
 

Ihr Name?! Eine Frau?!“
 

Rail verpasste dem Stuhl einen heftigen Tritt.
 

„Ruhe, solange ich rede!! Ihr Name ist Tzimmek Cutter. Sie ist einer von Sephiroths Blue Wanderern, und irgendwie kommen er und sie gut miteinander klar. Frag mich nicht nach dem Grund oder Beweisen, glaub mir einfach. Ich weiß nicht, wie es dir geht...“ ... sie lächelte ... „aber ich sehe hier die Grundlage für ein absolut einzigartiges Experiment!“
 

Einen Augenblick lang blieb es ganz still. Dann verengten sich Hojos Augen zu schmalen Schlitzen.
 

„Sprich weiter!“
 

Rails lächeln wurde intensiver.
 

„Sephiroth ist immer Herr der Lage. Aber was, wenn er die Kontrolle verliert? Wenn er hilflos mit ansehen muss, wie etwas, sagen wir... stirbt, an dem er sehr hängt, ohne es zu wissen? Könnte das nicht neue und äußerst interessante Reaktionen hervorrufen?“
 

„Das wäre zu erwarten, in der Tat. Aber Shinra verfügt über gewisse Hilfsmittel, die Fremdeinwirkungen... erschweren.“
 

„Ich bin sicher, Sie können diesen Einfluss austricksen, verehrter Professor Hojo.“
 

„Ich werde etwas Zeit brauchen.“
 

Rail schob ein Stück Papier in die Brusttasche des Laborkittels.
 

„Meine Handynummer. `Liberation´ ist bereit, wenn Sie es sind! Meine Leute werden Sie jetzt zurück ins Labor eskortieren. Oh, und bevor ich es vergesse...“ Das Skalpell tauchte urplötzlich in ihrer Hand auf, legte sich blitzartig an die Wange des gefesselten Mannes. Hojo versuchte, auszuweichen, aber die fest an seinen Kopf gedrückte, zweite Hand hinderte ihn daran. Langsam senkte sich die Spitze des Skalpells in seine Wange, versichernd, dass jede unerwünschte Bewegung höchst unerfreuliche Konsequenzen nach sich ziehen würde, ließ Hojo vor Schmerz aufkeuchen und bewegte sich unaufhaltsam weiter durch Haut und Fleisch.
 

„Versuch nicht, mich reinzulegen, Bastard!“ Rails Stimme war nur ein bedrohliches Flüstern. „Ansonsten endest du auf meinem Untersuchungstisch!“
 

Das Skalpell zog sich aus dem weichen, blutenden Fleisch zurück. Rail hätte mit hasserfüllten Blicken gerechnet, aber stattdessen begann Hojo in der für ihn typischen Art und Weise zu kichern. Er verstummte erst, als einer von Rails Männern ihn wieder in den vorherigen Trancezustand schickte.
 

Es verging weniger als eine Stunde, ehe die Welt aufhörte, sich zu drehen, und Hojo sich im Labor wiederfand, am Boden liegen wie etwas benutztes und weggeworfenes. Mühsam kam er wieder auf die Beine. Für einen Moment war er sich nicht sicher, ob er nicht nur geträumt hatte – dann setzte der Schmerz auf seiner Wange ein.
 

Heiterkeit von ungeahntem Ausmaße stieg in dem Wissenschaftler auf, und nahm noch zu, während er die Wunde mit Materia heilte. Dieses neue Experiment versprach, interessant zu werden, und er verspürte... Vorfreude. Dennoch galt es, die Vorbereitungen mit aller Vorsicht zu treffen. Kein Problem für ein Genie wie ihn. Nichts war für ihn ein Problem.
 

Er begann, entspannt vor sich hin zu summen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  SilverReader
2010-12-02T18:05:31+00:00 02.12.2010 19:05
Ja die Herzchen in Zuckerform. Süß. Aber ich bin froh das es Seph jetzt endlich raus hat ^^
Rail macht mir jedoch Sorgen. Wie sie Seph angerufen hat, das war schon recht süß, aber dennoch Hojo davon zu erzählen...
Aber ich muss sagen Hojo war wie immer Top XD
*ihn anlüf*
Hach ja. So stell ich ihn mir vor, bei bei mir geht er noch einen Schritt weiter mit Seph, aber egal XD

Ich bin jetzt nur NOCH mehr gespannt... *hibbel*
Bekomm schon Magenkribbeln vor Aufregung ^^
Von:  Jadestern
2009-08-03T16:53:27+00:00 03.08.2009 18:53
Och nöööö!!!!
Ich hab gerade ne Scene im Kopf, wo Sephiroth auf dem "Behandlungstisch" festgekettet ist und Cutter ihm gegenüber gefoltert wird *schauder*. Hoffentlich wirds nicht ganz so schlimm...
Das mit den herzförmigen Zuckerstückchen war echt ne süße Idee *g*. Hatte mir schon gedacht, dass Zuckerbringen allein nicht alles war:D! Das Sephiroth die Nachricht wirklich verstanden hat, bezweifel ich zwar, aber immerhin weiß er auch nicht genau, was er fühlen soll.

Diesmal hat mir der Anfang des Kapitels total gut gefallen. Gut vorstellbar. Sephiroth sitzt in aller Ruhe auf seinem Platz und Cutter macht sich verrückt, während er sich innerlich einen ablacht *kopfschüttel*.
Schade das Tyrer jetzt tot ist. Der war i-wie die bessere Hälfte von Rail. Also bis zu einem gewissen Teil zumindestens.
Aber hey *strahl* ich hatte doch recht mit dem "Gefühle ausschalten" *vor sich hingrins*.
Ich freu mich wieder aufs nächste Wochenende und wünsche dir wie immer viele gute Idee fürs nächste Kapitel.
Glg
Anka
Von:  Aruna
2009-08-03T06:16:02+00:00 03.08.2009 08:16
Ha! Es ist einfach göttlich!
Ich denke gerade Blödsinn. Oder?
Die Sache mit den Zuckerherzen war so süß. Ich hätte gern Sephiroths Blick gesehen, als er die Packung geöffnet hat :) Und er weiß immer noch nichts mit seinen und Cutters Gefühlen anzufangen anzufangen. Der Arme.
Die Tatsache, dass sich mit Hojo und Toron zwei Irre zusammengetan haben, beunruhigt mich irgendwie. Da kann doch nichts Gutes bei rauskommen.
Bin gespannt wie es weitergeht.

lg Aruna



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