Blutdurst
Lost Angel
Kapitel 18 – Blutdurst
Jemil’s PoV
Mir stieg der Geruch von frischem Blut in die Nase, als ich die Augen wieder
leicht öffnete. Irgendwann war ich wohl eingeschlafen. Langsam setzte ich mich
wieder ganz auf. Rieb mir dabei die Schläfe.
„Wieder wach?“, flüsterte Jesko. Ich spürte einen seiner Arme um meinen Bauch.
Etwas verwirrt sah ich mich um, bevor ich leicht nickte. Es war dunkel geworden.
Oder waren wir nur tiefer in diesem verfluchten Wald.
„Riechst du das auch?“, fragte da plötzlich der Werwolf. „Wenn du das Blut
meinst, dann ja“, gab ich knapp zu Antwort. Blickte nach oben. Strahlend standen
die Sterne vereinzelt am Himmel. Doch mein Blick suchte einen anderen
Himmelskörper um den ich mir viel mehr Sorgen machte.
„Der Mond ist wohl hinter den Wolken, falls es dich beruhigt.“ Als ob er gewusst
hätte, wieso ich so angestrengt den Nachthimmel absuchte. Aber es war ohnehin
nicht schwer zu erraten. Was sollte ich schon sonst wollen? Sterne beobachten
wohl kaum.
„Verflucht“, zischte Jesko, als sich das Pferd sträubte weiter zu laufen. „Es
riecht es auch“, meinte ich. Glitt von dem Tier herunter. Hielt dem jungem
Werwolf die Hand hin. „Wir gehen zu Fuß weiter. Das wird eh nicht mehr wollen.“
Als ich das letzte Wort ausgesprochen hatte sprang auch der Dunkelhaarige von dem
Huftier. Nahm ihm aber noch vorsichtig das Zaumzeug ab. „Jetzt bist du auch
frei“, meinte er noch zu ihm, bevor er ihm einen Klaps gab und es wie von Sinnen
davon lief.
„Das kommt mir wie ein Massaker vor“, meinte ich, als der Geruch immer stechender
wurde. Selbst ein gewöhnlicher Mensch hätte ihn wohl jetzt schon längst gerochen.
Krampfhaft hielt sich das Wölfchen die Nase zu. „Das ist widerlich“, knurrte er.
Je weiter wir gingen. Je schlimmer wurde es. Irgendwann wollte Jesko nicht mehr.
„Das stinkt verdammt dreckig!“ Er wollte umdrehen. Doch ich hielt ihn fest. „Wir
laufen aber dann auch nur zurück“, meinte ich. Umklammerte seine Hand. „Dann
nehmen wir doch einfach den querfeldein Weg“, schlug er vor. Doch das wollte ich
nicht. Auf dem eigentlichen Weg war man doch noch am sichersten. Weiß Gott, was
auf einen lauerte, wenn man denn nur einen Moment verlassen würde.
„Ich gehe da nicht mehr weiter.“ Er hatte wohl meinen Blick bemerkt. „Komm schon.
Es wird schon nicht so schlimm sein.“ Zaghaft versuchte ich zu lächeln. Jesko
seufzte. Spürte er, dass ich seine Idee nicht so wunderbar fand. „Sei kein
Hasenfuß“, murmelte er. Wohl eher zu sich selbst, als zu mir. Marschierte dann
schnurgerade an mir vorbei.
Ich krallte bald schon die Finger in sein Mantel – das er überhaupt einen
anhatte. Mir wurde auch verdammt kalt. Schon die ganze Zeit. Und es schien, als
ob es nur noch kälter werden würde.
Jesko blieb plötzlich stehen. Von weiten konnte man schon Licht sehen. Bis zu dem
Dorf, das dort sein sollte, war es jetzt nicht mehr weit. Aber zu dem beißenden
Blut Geruch war noch etwas anderes gekommen. Der Geruch von Feuer und verbrannten
Leichen.
„Das ist mehr als ein Massaker.“ Meine Finger bohrte ich noch tiefer in den
Stoff. Drückte meinen Kopf gegen Jeskos Schulter. Sein Blick war starr auf das
Licht, das sich leicht durch die Bäume kämpfte. Woher die Helligkeit kam, konnte
ich mir schon denken.
„Du wolltest weiter, also komm!“ Er zog mich einfach hinter sich her. Anfänglich
wehrte ich mich noch etwas. Doch dann gab ich es einfach auf. Im Grunde hatte er
doch Recht. Und immerhin wollte ich doch weit genug von diesem verdammten Ort
weg. Ein kleines Blutbad wäre da doch nicht so schlimm.
Durch jeden Schritt stieg mir mehr und mehr dieser grässliche Geruch in die Nase.
Es trieb mir den Geschmack von Galle in den Mund. Doch jedes eklige Gefühl
verflog auf einmal, als Jesko meine Hand ganz leicht drückte.
„Du willst mir doch nicht etwa umkippen?“, fragte er scherzhaft. Etwas verlegen
sah ich zu Boden. „Natürlich nicht“, meinte ich schließlich. „Dann komm doch. Wir
müssen doch nur durch, ab dann werden sie doch sicherlich unsere Spur verlieren.“
Etwas verwirrt sah ich zu ihm. „Wie meinst du das?“, wollte ich wissen. Er zog
nur leicht die Mundwinkel hoch. „Bei dem Blutgestank können die nie im Leben
unsere Spur wieder finden.“
Ich hörte ihm kaum noch zu. Mir lief auf einmal das Wasser im Mund zusammen. Wie
in Trance ging ich an Jesko vorbei. „Jemil?“ Es klang, als ob ich Watte in den
Ohren hätte.
Er packte mich an der Schulter. Zog mich zurück. „Was ist denn?“, fragte ich.
„Stimmt was nicht?“, erwiderte er aber nur mit einer Gegenfrage. Für einen Moment
überlegte ich. „Ich hab Durst“, antwortete ich schließlich. Und es stieg in mir
wirklich hoch. Der Geruch hatte das nur angetrieben. Plötzlich roch es auch gar
nicht mehr eklig, sondern richtig lecker.
Verwirrt sah der Werwolf mich an. „Was willst du denn? Hier müsste irgendwo ein
Fluss sein.“ Er drehte sich leicht um. Ließ mich dabei auch wieder los. „Ich will
Blut!“ So schnell konnte nicht einmal ich schauen hatte er sich auch schon wieder
umgedreht.
„Wa... Was hast du gesagt?“, stotterte er. „Ich. Will. Blut“, wiederholte ich es
einfach noch einmal ganz langsam. Trat einen Schritt auf ihn zu und legte meine
Arme um seine Schultern.
Noch nie hatte ich dieses Gefühl so deutlich gespürt. Eigentlich kannte ich es so
gar nicht. „Dann nimm meines“, meinte Jesko und drückte meinen Kopf an seinen
Hals. Ich brachte nicht einmal die Zähne auseinander, selbst wenn ich zubeißen
wollte.
„Dein Blut will ich nicht“, zischte ich und befreite mich aus seinem Griff.
Drehte mich wieder um und tapste weiter in Richtung dieses Dorfes. Es würde wohl
genügend geben, die ohnehin schon so gut wie tot waren. Ein paar mehr oder
weniger würden da schon nicht auffallen.
„Jemil! Bleib hier!“, rief er mir hinterher. Wieso hielt er mich nicht einfach
zurück? Dann würde ich ihn aber vielleicht doch beißen müssen. Das könnte ich
doch gar nicht. Ich blieb wieder stehen. Der Geruch war noch stärker geworden.
Nur noch um eine Biegung, dann würde das Dorf direkt vor mir liegen.
Ich schluckte. Das wäre ein Genuss.
Da schlangen sich plötzlich zwei Arme um mich. „Komm wieder zu dir!“ Wieder
klang es so abgedämpft. „Ich brauch es“, flüsterte ich. Versuchte mich zu
befreien. Kam aber einfach nicht mehr los.
„Bitte, Jesko. Riechst du es denn nicht auch. Dieses Süßliche. Es ruft nach mir.
Das spüre ich“ Doch er ließ mich nicht los. Egal wie sehr ich mich losreißen
wollte. Egal wie sehr ich ihn anflehte.
Immer wieder trieb ein leichter Wind den Geruch in meine Nase. Langsam, aber
sicher, schalteten alle meine Sinne ab. Nur der Drang nach Blut blieb. Aus
irgendeinem Grund waren auch auf einmal Jeskos Arme weg. Ich konnte mich wieder
frei bewegen.
Ich bekam nicht mehr mit, was ich tat. Nur dieses Warme in meinem Gesicht spürte
ich. Wie es sich in meinem ganze Körper ausbreitete und diesen verfluchten Durst
stillte. Bis er ganz weg war.
Ich sank zu Boden. Starrte in den Himmel. Ein Knurren riss mich wieder völlig aus
meiner Trance. Verwirrt blickte ich mich um. Alles war Blut überströmt. Kein
Zentimeter des Marktplatzes, auf dem ich saß, war nicht davon bedeckt. Und alle
paar Meter lag eine Leiche. Gelegentlich auch einmal einige auf einem Haufen.
Ich zuckte zusammen. Mein Atem begann zu rasen. War ich das gewesen? Hatte ich
sie einfach getötet?
Wieder dieses Knurren. Ich sprang auf und wirbelte herum. Sank aber gleich wieder
zusammen, als ich sah, was da vor mir stand und die Zähne fletschte. Ein Wolf.
Ein Werwolf und es war nicht Jesko. Der war doch viel kleiner. Und hatte nicht so
zerzaustes Fell.
„Jesko“, flüsterte ich. Eigentlich wollte ich es brüllen. Doch ich war nicht im
Stande dazu. Ich zitterte am ganzen Körper, als ich zurück wich. Der Wolf
verwandelte sich mit jedem Schritt, den er auf mich zutat, weiter zurück.
„Dreckiger Vampir“, zischte er, als er wieder ganz zum Menschen geworden war.
Tief dunkle Augen funkelten mich an.
„Lass ihn!“ Ich atmete fast erleichtert auf. Jesko. Wieso hatte er mich denn
nicht aufgehalten?
Der andere Werwolf drehte sich zu ihm herum. „Dieses Vieh hat aber mein
Abendessen versaut, Schosshund.“ Erst jetzt viel es mir auf. Aus meiner Angst
heraus hatte ich es wohl auch gar nicht gesehen. Seine Hände waren mit Blut
getränkt und auch an seinen Mundwinkeln klebte es. Dann hatte er das hier
angerichtet und nicht alleine ich.
„Du hast .... dieses Dorf ausgelöscht?“, fragte Jesko. Kam einige Schritte näher
und lief auch gleich um den anderen herum zu mir. Stellte sich schützend vor
mich. „Genau das habe ich, Kleiner.“ Er sah ihn herablassend an. Wieso auch
nicht? Jesko stellte sich als Wolf vor einen Vampir um ihn zu beschützen. Das war
nicht gerade eine normale Tatsache.
„Dann möchte ich mich für den Vampir entschuldigen. Er hatte nur Durst.“ Mein
Werwölfchen verbeugte sich tief. Blieb sogar einige Sekunden unten und wagte es
erst dann wieder hochzukommen.
„Du entschuldigst dich für eine Blutsauger? Hast du denn gar keinen Stolz?“ Jesko
blickte bei den Worten des anderen wieder auf den blutigen Boden. „Doch, aber
...“ Ich hörte es regelrecht, wie er sich leicht auf die Unterlippe biss.
„Dann verschwinde mit deinem Freund von hier. Lauf am besten um dein Leben, sonst
werde ich euch auch noch fressen!“ Jesko sah auf. „Danke“, murmelte er und
wendete sich zu mir. Nahm meine Hand und zog mich hinter sich her.
Erst als wir wieder aus diesem verfluchten Dorf draußen waren, ließ er mich
wieder los. „Wieso hast du das gemacht?“, fragte der Dunkelhaarige. Wendete sich
zu mir. Ich antwortete nicht. Fixierte mit den Augen einen Stein, der auf dem Weg
lag. Nur ein kleines Steinchen.
Jesko drückte meinen Kopf mit Gewalt hoch, sodass ich ihn ansehen musste.
„Antworte! Wieso?“
Irgendetwas änderte sich gerade zwischen uns. Doch wirklich wissen, was das war,
wusste ich wohl bis jetzt noch nicht.
„Ich hatte einfach solchen Durst.“ Meine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern.
„Dann nimm das nächste Mal meines!“ Ich spürte den scharfen Unterton. „Das könnte
ich nie“, murmelte ich. Wie sollte ich das je tun?
„Weißt du wie weit es bis zum nächsten Dorf ist?“, fragte ich. Krallte die Finger
in den Stoff seines Mantels. Während er die Arme um meine Schultern legte.
„Einen guten halben Tagesmarsch, würde ich sagen. Bis morgen früh konnten wir
dort sein.“
Leicht seufzte ich. „Dann beeilen wir uns.“ Jesko hielt mich jedoch fest, als ich
gehen wollte. „Was ist denn?“, fragte ich. „Nimm meines das nächste Mal, auch
wenn du nicht kannst. Bitte!“ Ich zog die Augen zusammen. Das wollte er doch gar
nicht tun. Und ich auch nicht. Lieber würde ich sterben wollen, bevor ich ihn
beißen würde.
Das Gefühl wurde wohl schlimmer. Ich wendete mich noch einmal zu dem Werwolf, als
der mich einfach nicht gehen lassen wollte. „Ich mag dich“, meinte ich. Vor
Schreck ließ er mich sofort los.
„Nicht mehr“, fragte er, als er sich scheinbar wieder von seinem leichten – ganz
leichten – Schock erholt hatte. „Vielleicht“, erwiderte ich knapp, „wie ist es
denn bei dir?“ Er zog nur die Schultern hoch. Zog den Kopf gleichzeitig ein. Was
sollte das denn jetzt heißen?
„Weiß ich nicht.“ Er löste sich wieder aus seiner Starre. Lief schließlich auch
einfach an mir vorbei. Ich sah ihm nur verwirrt hinterher.
„Warte!“, rief ich und sprintete hinter ihm her. Bis ich mit ihm wieder auf
gleicher Höhe war. Legte schlussendlich auch meine Finger um sein Handgelenk. Er
blieb abrupt stehen. „Du weißt es“, hauchte ich ihm ins Ohr. Und ich doch auch.
Er 'lie' mich nicht. Er liebte mich. Nur das er es nicht aussprechen konnte, weil
er über meine Gefühle nichts wusste. So verdammt herablassend, wie ich ihn aber
auch schon behandelt hatte. Es wäre nicht ungewöhnlich, wenn er sich nie trauen
würde.
Aber jetzt hatte er doch schon einmal einen kleinen Anhaltspunkt dafür. Ein
bisschen mehr wusste er doch über das, was ich spürte. Bei ihm.
„Ich denke, dass wohl irgendetwas schon ist“, murmelte er. Ich legte meinen Arme
um ihn. „Vielleicht wird es noch etwas mehr.“ Leicht berührte ich mit meinen
Lippen seinen Hals. Meine Lippen kribbelten für wenige Sekunden. Das fühlte sich
gut an. Das wollte ich noch einmal spüren. Vorsichtig kam ich seiner Kehle wieder
näher. Berührte sie erneut. Wieder dieses Prickeln. Ich kaute auf meiner
Zungenspitze herum.
„Gefällt dir das? ... Wenn wir uns nicht beeilen müssen wir wieder tagsüber
laufen. Ich denke nicht, dass dir das gut bekommt.“ Wollte er von mir weg. Es
schien fast so. Jetzt wo wir wohl so gut wie nicht mehr unter den Fittichen von
irgendwelchen Vampir-Werwolf-Verhältnissen standen konnten wir eigentlich tun und
lassen was wir wollte. Nur das wir solche Kreaturen waren sollten wir wohl
niemanden sagen. Viele Menschen glaubten zwar nicht mehr an uns, aber es würde
wohl immer noch vereinzelt welche geben. Und ich wollte nicht einen Fackel
schwingenden wütenden Menschen-Mopp hinter mir haben.