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fear

past - present - and no future to be seen
von

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running away from fear

Jun hatte am Abend nur einmal kurz sein Zimmer verlassen, um ins Bad zu gehen und auch in der Nacht war es ruhig gewesen, sodass Yuuki vermutete, dass die Tabletten anschlugen. Aber wenn er gedacht hatte, dass der Gemütszustand des Schwarzhaarigen sich verbessert hatte, wurde er doch spätestens am Morgen eines Besseren belehrt.

Jun kam mit aufgequollenen Augenlidern aus seinem Zimmer, als Yuuki gerade auf dem Weg in die Küche war, und der Bassist schien ehrlich erschrocken, als er seinen Bandkollegen erblickte, das sagte selbigem der verräterische Schritt zurück in Richtung seines noch abgedunkelten Zimmers.

„Morgen“, sagte Yuuki und zog die schmalen Augenbrauen zusammen. Jun sah schlimmer aus, als je zuvor.

„Morgen“, hauchte dieser stimmlos zurück und senkte unschlüssig den Blick.

„Soll ich dir schon nen Kaffee machen?“, fragte Yuuki, um diese unangenehme Stille zu durchbrechen, und Jun schüttelte den Kopf mit den Worten „Ich geh noch duschen. Oder ist jemand im Bad?“

Der Schwarzblonde zuckte mit den Schultern. „Rai rennt schon hier irgendwo rum und Tetsu ist auch schon wach, aber ich glaub, der braucht noch’n bisschen, bevor er geradeaus gehen kann.“

„Wo ist Shou?“

„Frühstück holen.“

Jun nickte und beide schwiegen eine Weile, bevor der Schwarzhaarige wieder die Stimme erhob. „Ich... geh dann mal...“ Er deutete auf die Badezimmertür.

Yuuki nickte und starrte ihm auf den Rücken, obwohl er sich dabei etwas komisch vorkam und befürchtete, dass er Jun damit zu nahe trat.

Als der Bassist gerade durch die Tür gehen wollte, rief Yuuki ihn noch einmal zurück. „Jun?“

Angesprochener wandte sich unsicher zu ihm um und blickte fragend zurück.

Yuuki zögerte einen Moment, überlegte, wie er sein Anliegen möglichst unverfänglich an den Mann bringen sollte und sagte dann nur mit gedämpfter Stimme: „Tu was, okay?“

Jun nickte und verschwand dann im Bad.

Der Schlüssel drehte sich quietschend im Schloss, aber dennoch konnte Yuuki seinen Blick einen Moment lang nicht von dem weiß furnierten Holz der Tür abwenden. Warum, verdammt noch mal, sah Jun manchmal so verzweifelt aus?

Mit einem schweren Seufzen wandte sich Yuuki zur Küche, erstarrte aber, als er Rai im offenen Durchgang stehen sah.

Der Gitarrist bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. „Seid ihr beide okay?“

Yuuki nickte, ging dann an dem Dunkelhaarigen vorbei und begann Kaffee zu kochen.

Rai sah ihm einen Moment dabei zu, bevor er sich auf die Fensterbank setzte und anfing: „Mir ist also nicht allein aufgefallen, dass was mit Jun ist.“

Yuuki sah ihn an, noch halb in seine eigenen Gedanken versunken und nickte nach einem Augenblick. „Sag nichts, ja? Es verletzt ihn, wenn man ihn darauf anspricht.“ Mit einem weiteren Seufzen starrte er in die Kaffeedose. „Es wird schon irgendwie werden.“

Rai nickte, wenn seine Neugierde auch nicht wirklich befriedigt war. „Ich werd versuchen, die Stimmung oben zu halten, falls das hilft.“

Yuuki nickte ihm mit einem leichten, aber dankbaren Lächeln zu. „Du bist echt in Ordnung.“

Der Gitarrist lachte auf. „Ich geb mir alle Mühe.“

Ein gegähntes „Morgen“ zog die Aufmerksamkeit auf den anderen Gitarristen, der mit zotteliger Frisur - falls man es denn so nennen konnte - in die Küche geschlurft kam, sich auf einen Stuhl fallen ließ und den Kopf in die Handflächen stützte. „Will mir jemand nen Kakao machen?“

Rai lachte leicht auf, hopste dann von der Fensterbank und ging zum Kühlschrank hinüber, um seinem Freund den Gefallen zu tun.

Er hatte gerade die Tasse mit den Kätzchen vor der Nase des sich noch im Halbschlaf befindlichen Gitarristen abgesetzt, als das Geräusch der Eingangstür verkündete, dass Shou zurück war.

Der Drummer schien gut gelaunt, obwohl Nieselregen auf seinem Haar lag, und sie deckten zu dritt den Tisch, während sich Tetsu wenigstens dazu überwinden konnte, sich in eine aufrechte Position zu begeben und seine Tasse ab und an an die Lippen zu heben.

Shou beendete gerade seine Erzählung darüber, wie er versucht hatte, die Bäckerin davon zu überzeugen, ihm ein paar Stücke der hausgemachten Sachertorte mit nach Hause zu geben, weil er noch vier andere Leute bei sich wohnen hatte, die sicher auch gerne einmal probieren wollten, als Jun plötzlich totenblass und am ganzen Leib zitternd in der Tür stand.

Seine vier Bandmitglieder starrten ihn fassungslos an und der Drummer war der Erste, der sich wieder fasste und besorgt auf den Schwarzhaarigen zustürzte.

„Gott im Himmel, Jun, was ist mit dir passiert?!“, rief er schockiert und legte eine Hand sanft an dessen Oberarm.

„Ich weiß nicht“, antwortete er und seine Stimme klang kratzig und rau und nicht annähernd so samtig wie sonst. „Mir geht’s irgendwie nicht gut.“

„Das brauchst du nicht erst zu sagen“, bemerkte Shou und strich sanft eine halblange Ponysträhne aus der Stirn des bleichen Bassisten. „Komm schon, ich bring dich wieder ins Bett. Du siehst aus, als ob du gleich zusammenklappst.“

„So fühl ich mich auch...“ Jun ließ sich ohne Widerstand von Shou in sein Zimmer bringen und so blieben Yuuki, Tetsu und Rai allein in der Küche zurück. Die Kaffeekanne knackte leise, als sich das Glas unter der Temperatureinwirkung des Gebräus ausdehnte.

„Was zur Hölle...“, murmelte Tetsu nach einem Moment und nahm einen Schluck aus seiner Tasse, während Yuuki sich wortlos eine Zigarette anzündete und am Tisch Platz nahm.

Rai lehnte sich seufzend gegen die Anrichte. „Sieht nach Probe ohne Bassist aus.“

Yuuki nickte. „Noch mal ausfallen lassen können wir echt nicht.“

„Hoffentlich kommt Jun schnell wieder auf die Beine...“, murmelte Tetsu, den Blick in seine halbleere Tasse gerichtet. „Andernfalls müsste jemand von uns die Bassparts übernehmen.“ Er blickte auf und direkt auf Yuuki, der nachdenklich auf seine Zigarette starrte.

„Er meint dich“, bemerkte Rai mit Blick auf den Sänger, der leicht nickte.

„Ich weiß.“ Er zog an der Zigarette. „Aber warten wir erst mal ab, wie es Jun heute Mittag geht.“

Es folgte einvernehmliches Nicken.

Als Shou nach einigen Augenblicken die stille Küche betrat, lagen alle Blicke auf ihm. „Kocht mal bitte jemand Tee?“ Es klang eher nach einem Befehl als nach einer Bitte. „Der kotzt sich da drüben grad die Eingeweide raus.“ Er kramte nach dem Eimer im Schrank unter der Spüle, war so schnell wieder weg, wie er gekommen war, und Rai machte sich schweigend daran, Wasser aufzusetzen, während die Hoffnung in kleine Splitter zersprang.

„Ich geh mal nen Arzt anrufen“, beschloss Yuuki und das glühende Ende der Zigarette zwischen seinen Lippen hüpfte auf und ab, als er sprach, bevor er aufstand und zum Telefon in der Diele ging. Aus Juns Zimmer hörte er dessen leises Würgen und Shous beruhigende Worte murmelnde Stimme.
 

***
 

„Eine Reaktion auf die Tabletten?“, fragte Shou und der Doktor nickte.

„Er hat sie wohl heut morgen im Bad schon genommen…“, murmelte Yuuki vor sich hin und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.

„Er sollte sich von seinem entsprechenden Arzt ein alternatives Behandlungsmittel verschreiben lassen, sobald er wieder auf den Beinen ist“, schloss der Mediziner und verstaute seine Unterlagen in seiner klischeehaften braunen Ledertasche. „Doch zuvor sollte er sich etwas ausruhen.“

„Wir werden dafür sorgen“, versicherte der kleine Drummer und nickte zur Unterstützung, bevor er sich verbeugte und hinzufügte: „Vielen Dank, dass Sie so kurzfristig kommen konnten.“

Yuuki tat es ihm gleich und sie verabschiedeten den etwas in die Jahre gekommenen, aber sehr freundlichen Hausarzt, bevor sie die Wohnungstür hinter ihm schlossen.

Shou fuhr sich seufzend mit den Händen übers Gesicht. „Irgendwie hab ich so langsam das Gefühl, dass das Schicksal gegen uns ist.“

Yuuki legte über diesen von Shou unerwarteten Pessimismus die Stirn in Falten. „Es hätte schlimmer sein können“, entgegnete er. „Immerhin ist er schnell wieder fit.“

„Na hoffentlich.“ Der Schwarzhaarige zwang sich zu einem schiefen Lächeln, bevor er wieder zu Yuuki aufsah. „Bringst du ihm noch ’nen Tee rein?“

Yuuki verstand nicht, warum Shou das nicht selber machte, aber er nickte bloß und folgte dem Kleineren dann in die Küche, wo dieser das Getränk zubereitete und dem Blonden dann die dampfende Tasse in die Hand drückte. Er warf ihm einen undeutbaren Blick zu, bevor er sich mit einem Lächeln abwandte und Yuuki so signalisierte, dass er gehen konnte.

Dieser ging langsam und nachdenklich zu Juns Zimmer und lauschte einen Moment durch die geschlossene Tür. War ganz schön still da drin….

Vorsichtig zog er die Türklinke herunter und spähte in das halbdunkle Zimmer. Außer einem Berg von frisch bezogenen Decken auf Juns Bett konnte er aber nichts erkennen. Also trat er vorsichtig ein und als er ans Bett ging, bestätigte sich seine Vermutung, dass der Bassist eingeschlafen war.

Von seiner schlechten Verfassung war keine Spur. Ganz friedlich lag er da, auf der Seite, die Knie stießen an die Ellenbogen, seine Lippen waren leicht geöffnet und seine langen Dreads umgaben ihn in einem fast kunstvollen Muster.

Völlig unbewusst ging Yuuki vor dem Bett in die Hocke und betrachtete das Gesicht des Schlafenden. Wenn man ganz genau hinsah, bemerkte man noch, dass seine Lider vom Weinen leicht gerötet waren. Auch auf seinen ungewöhnlich bleich wirkenden Wangen lag ein zarter roter Schimmer. Die Ecken seiner Schneidezähne glänzten leicht zwischen seinen Lippen hervor. Und ganz flüchtig konnte der Schwarzblonde den sanften Geruch von Juns Haar wahrnehmen.

Er zuckte etwas zusammen, als der Dunkelhaarige plötzlich die Augen aufschlug.

„Was machst du da?“, fragte er mit brüchiger Stimme und Yuuki starrte in die hellen braunen Augen.

„Ich war nicht sicher, ob du schläfst“, hauchte er und bemerkte erst jetzt, wie verflucht nah er dem Bassisten eigentlich war. Mit einem Ruck, bei dem fast die Tasse überschwappte, erhob er sich und bemerkte dabei nicht einmal Juns erschrockenes Aufkeuchen. „Ich hab dir Tee gemacht“, murmelte er und hielt demonstrativ die Tasse hoch. „Eigentlich hat Shou den Tee gemacht“, berichtigte er sich dann, und wäre am liebsten mit dem Kopf gegen die nächste Wand gerannt, als er bemerkte, dass er errötete. Peinlicher konnte es doch echt nicht mehr werden…. „Egal!“, schnitt er sich den Gedanken ab und hielt Jun den Tee hin. „Trink.“

Jun setzte sich auf und nahm mit zusammengezogenen Brauen die Tasse entgegen, an der er leicht nippte. Kamille. „Warum hast du ihn mir gebracht?“, fragte er und versuchte dabei so beiläufig wie möglich zu klingen, während Yuuki auf ihn herabblickte.

„Shou meinte, ich soll ihn dir bringen“, erklärte der Sänger, der so langsam wieder Herr über seine Gesichtsfarbe wurde und steckte die Hände in die Hosentaschen, schaffte es aber, gleichzeitig mit den Schultern zu zucken. „Keine Ahnung, warum.“

Jun nickte leicht und trank seinen Tee in kleinen Schlucken, blickte dabei auf die graue Bettdecke.

„Wann geht ihr proben?“, fing er nach einer Weile wieder an und wieder fiel Yuuki auf, dass seine Stimme sehr, sehr schwach klang.

„In ’ner halben Stunde müssen wir los.“ Sein Blick wurde etwas besorgt. „Du kommst doch alleine klar, oder?“

Jun nickte, ohne aufzusehen.

„Wenn was ist, ruf an, okay?“

Wieder folgte nur ein Nicken.

Yuuki fröstelte. Warum schien die Stimmung plötzlich so verdammt erdrückend? „Ich…“, er zögerte, „…ich geh dann mal noch meine Sachen zusammenpacken.“

Wie erwartet nickte Jun nur und Yuuki verließ mit gemischten Gefühlen das Zimmer, nicht ohne beim Schließen der Tür noch einmal zu dem Bassisten, der noch immer starr auf seine Decke blickte, zurückzublicken.

Er war kaum in sein eigenes Zimmer eingetreten, als ein leises „Fuck“ seinen Lippen entkam. Den Rücken an die Tür gepresst schloss er die Augen. Was, um Gottes Willen, lief hier eigentlich? Was für ein verdammtes Problem hatte Jun? Was für ein verdammtes Problem hatte er selbst?! Er stapfte zu seinem Schreibtisch hinüber und raffte seine Notenblätter zusammen.

Einen ganzen Haufen Mist hatte er sich da zusammengeschrieben, aber es waren auch einige brauchbare Sachen dabei. Vor allem diese mistige Ballade mit dem Gitarrenintro hatte es ihm angetan. Eigentlich nicht so richtig sein Fall, und vielleicht auch etwas sehr einfach, aber vielleicht würde sich ja bei den Proben heute etwas ergeben. Für ein Lagerfeuer eignete sie sich zumindest schon mal ganz gut.

Und dennoch…. Irgendwie hatte Shou schon Recht. Sie strampelten sich dermaßen ab, doch es passierte einfach nichts. Nein, falsch, es passierte etwas, aber das waren stets nur Dinge, die sie zurückwarfen. Juns bescheuerte Tabletten. Er war doch gleich dagegen gewesen.

Er blickte auf die Noten hinab und summte leise die Melodie vor sich hin. Gut, wirklich gut. Am Anfang nur ein cooler Effekt, aber auch nicht zu sehr verzerrt. Dann ein bisschen schönes Schlagzeug, das würde Shou sicher Spaß machen. Nur eine Melodie für den Gesang fehlte noch, und etwas, was ein bisschen aus dem Schema fiel… Vielleicht wenn er nach der Strophe… oder noch besser nach der zweiten ein bisschen Abwechslung rein brachte. Vielleicht dann doch etwas sehr verzerrtes…

Und überhaupt war da nichts. Kein Punkt, an dem man sich orientieren konnte. Natürlich, irgendwann würden sie Aufnahmen machen, aber es war alles so unheimlich vage. Wie, wenn die Sonne durch richtig dicken Nebel schien. Man wusste, dass sie da war, konnte sie sich womöglich etwa vorstellen, aber da war nichts Konkretes… eigentlich ein ziemlich cooler Vergleich, wenn er so darüber nachdachte. Ein Bild für etwas wirklich Grausames. Er hatte allmählich das Gefühl, stillzustehen, obwohl er sich mit aller Macht vorantrieb. Aber egal, wie lange er lief, er konnte einfach nichts mehr vor sich erkennen. Er hatte sich so lange bemüht und selbst gequält, und kam seinem Ziel doch kein bisschen näher. Tag für Tag für Tag. Es war einfach zu weit weg.

Er zuckte zusammen, als es an seiner Tür klopfte. „Yuuki, bist du fertig?“ Eindeutig Tetsu. Spätestens beim folgenden Satz war es ihm klar. „Ich würd gern ein bisschen früher fahren, ich wollt mir noch schnell was Kleines zu Essen holen.“

„Ja, bin schon da“, erwiderte er, stopfte die Kompositionen in seine Umhängetasche, ergriff seinen verwaschenen Nirvana-Kapu, der irgendwo im Chaos auf seinem Boden lag, sowie Handy und Zigaretten, kramte ein Plektrum unter dem halb gelesenen Fool’s Mate auf dem Bett hervor und verließ sein Zimmer.

Tetsu und Shou warteten bereits auf dem Flur und nach einem Augenblick kam auch Rai aus Juns Zimmer, wo er sich offensichtlich bei diesem verabschiedet hatte, was sein aufmunterndes Winken verriet.

„Bis später, Jun!“, rief der andere Gitarrist und Shou und Yuuki stimmten ein, bevor sie die Wohnung in Richtung Auto verließen.

Rai hatte sich dazu bereit erklärt, zu fahren, weil Shou Tetsus Fahrstil beileibe nicht ertragen konnte. Und während dieser das Für und Wider von Chickenburgern abwog, saß Yuuki mit Shou auf der Rückbank und wurde immer nervöser, je weiter sie sich von ihrer Wohnung entfernten.

Irgendwann legte der Schlagzeuger seine Hand auf Yuukis Finger, mit denen er auf seinen Knien herumtrommelte und blickte ihn besorgt an. „Was ist los, Yuuki?“

Der Schwarzblonde zog die schmalen Brauen zusammen und blickte aus dem Fenster. „Nichts.“

Shou ließ seine Hand auf Yuukis Fingern liegen. Seine leise Stimme klang irgendwie traurig. „Machst du dir Sorgen um Jun?“

Yuuki nickte wortlos. Erst nach einem Moment des Schweigens sah er zu Shou hin und erklärte ebenso leise: „Er steht gar nicht drauf, allein zu sein. Ich hab irgendwie ein schlechtes Gewissen.“

„Wärst du lieber bei ihm geblieben?“

Yuuki schluckte. Irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht. „Das jetzt nicht gerade.“, antwortete er unschlüssig und kaute auf seiner Unterlippe herum, während er einen kurzen Seitenblick auf Shous Hand warf, die noch immer auf seiner lag. „Aber ihn so lange sich selbst überlassen, wo er das doch ganz und gar nicht ausstehen kann, ist auch ein bisschen gemein, findest du nicht?“

Shou lächelte leicht. „Meinst du nicht, du machst dir zu viele Gedanken?“ Er umschloss Yuukis Hand und drückte sie sanft. „Er ist jetzt sicher schon wieder eingeschlafen und bemerkt gar nicht, dass wir weg sind.“

Yuuki befeuchtete nachdenklich seine trockenen Lippen mit der Zunge. „Kann schon sein.“, murmelte er.

Rai blickte ihn aus dem Rückspiegel an. „Bring ihm doch was Kleines mit, wenn wir eh schon für Tetsu halt machen. Dann weiß er, dass wir an ihn gedacht haben.“, schlug er vor und Shou lächelte aufmunternd.

Der Sänger nickte und tastete mit der freien Hand nach seinem Geldbeutel in der Hosentasche.

Shou ließ seine Hand erst los, als sie auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums ausstiegen. Sie beschlossen, sich aufzuteilen und sich so bald wie möglich wieder am Auto zu treffen.

Tetsu rannte sofort zum Burgerschuppen, während Rai und Shou zum Drogeriemarkt gingen, weil sie beide einen ausgeprägten Faible für wechselnde Haarfarben hatten und über kastanienbraun nachdachten.

Der Schwarzblonde hingegen schlenderte ziellos und sich eine Zigarette anzündend vor den Schaufenstern umher.

Was, um Gottes Willen, sollte er Jun denn mitbringen? Süßigkeiten waren schon sehr abgegriffen und eine Flasche Hochprozentiges würde seinen Magen auch nicht beruhigen. Tee war scheiße und auch wenn er einen Augenblick lang mit einem spottenden Auflachen darüber nachgedacht hatte – andere Beruhigungstabletten würde er ihm auch nicht mitbringen. Tabletten waren scheiße. Tabletten hatten den ganzen Tag ruiniert.

Er hätte ihm liebend gern ein neues Spiel mitgebracht oder so etwas, aber er konnte sich beim besten Willen nicht merken, was Jun schon hatte oder was er gut fand. Dasselbe betraf CDs.

Er zog wütend über sich selbst und seine Einfallslosigkeit an seiner Zigarette und blickte eher beiläufig ins Schaufenster eines Spielwarenladens. Der Plüschhase war süß. Eigentlich war es eher so eine Art Schlenkerpuppe, aber so eine hatte er noch nie gesehen. Die Arme und Beine und Ohren waren unheimlich lang und das Fell sah unheimlich weich aus. Es war glänzend schwarz und die großen runden Knopfaugen hellblau, so ähnlich wie Yuukis Kontaktlinsen.

Er schüttelte lachend den Kopf. Das konnte er echt nicht machen. Oder…?

Rai starrte ihn fassungslos an, als er Yuuki von weitem mit einem Stofftier, das er schwungvoll neben sich her baumeln ließ, zum Auto kommen sah. Er wollte etwas sagen, aber Tetsu kam ihm zuvor, indem er mit vollem Mund „Gott, wie niedlich!“ schrie.

Yuukis Grinsen schien von einem Ohr zum anderen zu gehen. „Hoffentlich kommt er sich nicht verarscht vor.“, sprach er seine Hoffnung laut aus, aber Tetsu schien das nicht zu erwarten.

„Bestimmt nicht, der ist soooo süß!“ Man hatte den Gitarristen lange nicht mehr so lebhaft gesehen und Yuuki hatte alle Mühe, den Schwarzhaarigen davon abzuhalten, den Hasen mit seinen vom Burger fettigen Fingern anzufassen.

Shou öffnete lachend die Beifahrertür und schubste Tetsu mit den Worten „Wir müssen los“ auf seinen Platz und nach einigen Augenblicken waren sie tatsächlich auf dem Weg zur Probe.

Dort angekommen hatte sich Tetsu wieder beruhigt und so konnten sie ihre Instrumente schultern und den kleinen Raum mit dem riesigen Spiegel betreten.

Die Luft hier war abgestanden und durch das Oberlicht fielen nur ein paar vereinzelte Strahlen, sodass sie die Deckenbeleuchtung einschalten mussten. Die Neonröhre flackerte einige Male, bevor sie endgültig brannte.

„Dann zeig mal, was du so geschrieben hast.“, forderte Tetsu den Sänger auf, während er noch seine Gitarre stimmte und sie anschließend an jenen weiterreichte.

Yuuki hängte sich das Instrument um und kramte das Plektrum aus seiner Hosentasche, bevor er anfing zu spielen. Die übrigen anwesenden Bandmitglieder lauschten gespannt.

Es war prinzipiell nicht mehr als ein paar Powerchords, die er schon bei anderen Liedern benutzt hatte, aber die beeindruckte Stille, die herrschte, als er nach ein paar Takten geendet hatte, sprach für sich.

„Das war’s natürlich noch nicht.“, beeilte er sich zu sagen, als er in die Gesichter seiner Freunde blickte. „Irgendwo muss noch ein bisschen Geschrammel rein, sonst ist es wohl zu langweilig, befürchte ich. Und du“, er deutete auf Shou, „musst dir auch was überlegen, wenn du willst, zeig ich dir mal, was ich mir so vorgestellt habe.“ Er hängte die Gitarre ab, gab sie ihrem Besitzer zurück und setzte sich hinters Schlagzeug.

„Es war C#, oder?“, fragte Tetsu und griff den Akkord, spielte ihn einige Male prüfend an und nickte dann, um zu signalisieren, dass er bereit war.

Der Sänger zählte ihn ein und begann nach dem achten Takt selbst zu spielen.

Nach einer Weile hörte er auf und sah zum Drummer. „Vielleicht kannst du mit den Toms ein bisschen variieren.“, überlegte er, woraufhin der Schlagzeuger nickte.

„Und du, Jun-“ Yuuki erstarrte. Die irritierten Blicke seiner Bandmitglieder lagen auf ihm und er starrte auf den großen Bassverstärker, in dessen Nähe sich Jun für gewöhnlich aufhielt. Mit einem Schlucken stand er auf, drückte Shou die Sticks in die Hand und hängte sich den Bass, den er selbst mitgebracht hatte, um, begann mit den Grundtönen an der Stelle, wo auch Shou einsetzte, begann aber bald zu variieren, bevor er schließlich Stift und Notenblätter hervorkramte, um alles aufzuschreiben, bevor er es vergessen hatte.

„Klingt doch gut soweit“, meinte Shou und drehte ein Becken so, dass er den Schriftzug darauf lesen konnte.

Rai blickte ihn lange schweigend an, denn dass der Drummer Yuuki nicht angesehen hatte und auch sonst plötzlich sehr sachlich war, war zu auffällig, als dass er es hätte ignorieren können. Er tauschte einen Blick mit Tetsu aus und ging dann zum Sänger, der wild auf einem Notenblatt herumkrakelte, hin. „Und was mache ich?“, wollte er wissen und schaute dem Blonden über die Schulter.

„Ich hab mir überlegt“, begann dieser und schaute erst dann zu seinem Gitarristen auf, „es kommen am Anfang das Intro, dann am Besten zwei Strophen und dann ne Bridge, am besten mit den selben Akkorden…“, er blinzelte zu Rais Gitarre hinüber, überlegte es sich dann aber anders und fuhr fort: „eh… und dann noch mal ne Strophe oder zwei und dann erst der Refrain, wo du dann auch was spezielles machst, mit Effekten und so. Oder das am besten vorm Refrain.“

Rai grinste schief. „Was spezielles…?“

„Ja~“ Yuuki kratzte sich am Hinterkopf, „ich weiß noch nicht so genau. Oder du spielst die Akkorde und Tetsu macht den Solopart, was weiß ich…“ Er warf einen kurzen Blick zu Tetsu, der mit den Schultern zuckte, bevor ihm wieder etwas einfiel: „Und dann danach lassen wir es wieder mit dem Strophen-Intro-Teil ausklingen!“ Er machte eine ausschweifende Handbewegung, um das Ausklingen zu verdeutlichen.

Rai schüttelte über diese Geste lachend den Kopf. „Du bist doch völlig irre.“

„Was denn?“, empörte sich der Sänger, doch Rai winkte ab und ging wieder zu seinem Platz. „Womit fangen wir an? Maria?“

„Nein, da müsste ich slappen, das ist eher was für Jun…“, war Yuukis Einwand und Rai nickte verständnisvoll.

„kyuumin.“, kam es von Tetsu, der schon daran war, den passenden Effekt einzustellen. „Wenn wir das aufnehmen wollen, müssen wir das mit den zwei Gitarren echt noch mal machen.“

Yuuki nickte zustimmend und Shou spielte den entsprechenden Rhythmus an, was wohl ebenfalls als Zustimmung erkannt werden sollte. Dann zählte er ein und die eigentliche Probe begann.
 

***
 

Naaa, das ist doch mal ein Kapitel nach meinem Geschmack. ^^

Wer sich etwas genauer mit der Band beschäftigt, weiß vielleicht sogar, welches Lied Mr.Yuuki gerade schreibt. 1_~ Der Junge scheint es auch bald an die Nerven zu kriegen.

Langsam fängt auch noch Shou an, sich seltsam zu verhalten.... Dabei schien er die ganze Zeit so objektiv. Es wird jedenfalls nicht einfacher werden - und das find ich erstmal toll.

Ich hoffe, ihr mochtet das Kapitel und bedanke mich für die Kommentare zum letzten.

Und ich werde auch weiterhin mein Bestes geben! *verneig*

-Kai



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Tattoo
2008-06-15T11:31:34+00:00 15.06.2008 13:31
oi, du scheinst ja echt ahnung zu haben, was musik/instrumente betrifft!^^
das macht die story noch professioneller und realistischer, ni so 08/15 à la 'ich hab zwar musikalisch von nix ne ahnung, aber ich schreib trotzdem mal was über ne band, die macht dann nur eben keine musik'
dass shou jetzt langsam eifersüchtig wird... also das hätte ich gar ni zu hoffen gewagt, weil ich ja ursprünglich auch ne yuuki x jun ff mit einem eifersüchtigen shou geplant hatte! aber deine is viel besser, als meine es je geworden wäre, deshab bin ich froh, deine vorher entdeckt zu haben, denn jetzt brauch ich meine doch ni schreiben!^^
hab ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich deinen hang zum detailierten beschreiben total mag?! also die erwähnung von kleinigkeiten, wie der klischeehaften braunen arzttasche zum beispiel, sowas braucht eine ff meiner meinung nach einfach ^_^
und dein tetsu is wirklich super-süß!! er verhindert durch seine kindliche art, dass die stimmung ZU düster/deprimiert wird, und bringt den leser trotz allem ab und zu zum schmunzeln ^_~
nur eins noch:
> Tetsu und Shou warteten bereits auf dem Flur
heißt doch eigentlich 'im Flur' oder?!
anyway, hab das kapitel wirklich gern gelesen, alle achtung!! X3
oh, und jun tut mir natürlich furchtbar leid! ;__;
Von:  FeenjaWesker
2008-06-14T12:24:02+00:00 14.06.2008 14:24
Ich muss Yukimi-chan zustimmen. Du hast das mit der "Lied-Entstehung" echt gut hin bekommen, respekt.

Und das mit dem Pairing seh ich genau so, aber ma schaun wie sich das ganze weiter entwickelt. Bin schon tierisch gespannt aufs nächste Pitel *freuz*
LG
Feendrache

PS: hättest du interesse bei meiner Special-Pairing-FF-Sammlung mit zumachen??
Von:  Hine-Himeko
2008-06-13T18:37:10+00:00 13.06.2008 20:37
Deine Beschreibung zur Entstehung von gate of death ist super. Das Lied würde auch toll als Soundtrack zur FF passen.

Pairing? Ich stelle mir nach diesem Kapitel einen Konflik zwischen Shou und Jun vor mit dem Thema: Wer bekommt Yuuki.

Aber mach es wie du denkst, das wird sowieso genial werden, wie ich dich einschätze. Wie du die düstere Stimmung einfängst ist einfach super und man merkt bei deinen Bescheibungen der Songentstehung, dass du dich mit Musik auskennst


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