Zum Inhalt der Seite

Sorglospunks forever

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Unabridged *

Kirchen waren eine tolle Erfindung. Zumindest dann, wenn man in einem reichlich chaotischen Haushalt wohnte und einen Hort der Stille suchte. Gut, eine weitere Voraussetzung war, dass die Kirche es nicht als Sehenswürdigkeit in irgendeinen Reiseführer gebracht hatte und somit von Touristen überlaufen war, aber davon war die kleine Kirche irgendwo im Schwabenland und unweit des Sorglospunks-Hauptquartiers weit entfernt. Weshalb also Nifen, die Managerin der Band, hier ungestört in ihrem Lieblingsbuch lesen konnte: ‚Stolz & Vorurteil’. Insbesondere seit sie und Chibichi sich kürzlich erst die britische TV-Miniserie ‚Lost in Austen’ angesehen hatten, konnte sie das Buch kaum mehr aus der Hand legen. Auch wenn sie sich nicht wie Amanda Price, die Heldin von ‚Lost in Austen’, an die Seite von Darcy wünschte, schließlich gehörte ihr Herz diesbezüglich einem anderen fiktiven Charakter, konnte Nifen Amandas Sehnsucht nach den Umgangsformen, der Höflichkeit und der Sprache jener Zeit nachempfinden.

Im Hintergrund knarrte mehrmals die hölzerne Kirchentür, aber die Bandmanagerin blickte nicht von ihrer Lektüre auf. Längst hatte sie sich an die örtlichen Witwen gewöhnt, die zum täglichen Gebet kamen, um so ihrer verstorbenen Lieben zu gedenken, und auch diese hatten sich an die Gegenwart der Managerin gewöhnt. Man akzeptierte einander einfach, beachtete sich sonst aber kaum.

Umso überraschter war Nifen also , als eine Gestalt auf eben jener Kirchenbank Platz nahm, auf der sie saß. Und als sie dann doch aufsah, hätte sie vor Schreck beinahe das Buch fallen lassen. Denn neben ihr saß eine junge Frau, die so aussah, als sei sie soeben einem Jane Austen-Roman entstiegen. Den ersten Gedanken an eine Cosplay-Veranstaltung in der Nähe verwarf sie sofort wieder, denn als Bandmanagerin der Sorglospunks hätte sie von einer solchen potenziellen Auftrittsmöglichkeit gewusst. Als die junge Frau neben ihr dann auch noch im besten, altmodischen Oxford-Englisch zu sprechen begann, wusste Nifen entgültig, dass hier etwas nicht stimmte. Zum Glück konnte die Managerin genug Englisch, um problemlos zu verstehen, was die Fremde sagte. International Neopets hätscheln zahlte sich eben manchmal aus.

„Ich hoffe, Sie halten mich nicht für aufdringlich, wenn ich Sie einfach so anspreche, ohne dass wir einander vorgestellt wurden, aber ungewöhnliche Umstände ließen mir keine Wahl. Wäre es Ihnen wohl möglich, die Kirchentür zu öffnen und mir zu sagen, was Sie sehen?“

Nifen nickte stumm und stand auf. Schließlich waren ungewöhnliche Vorkommnisse im Umfeld der Sorglospunks beinahe schon alltäglich, lediglich das Ausmaß des Ungewöhnlichen variierte. Einen Blick auf den Kirchhof zu werfen war also eine Kleinigkeit.

Keine Kleinigkeit aber war, als sie statt des süddeutschen Dorfes sanfte, grasbewachsene Hügel in der Ferne und ein paar niedrige weißgekalkte Fachwerkhäuser ein Stück die Straße hinunter erblickte. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, wäre Nifen glatt versucht gewesen zu sagen, die Landschaft sähe englisch aus.

„Na wunderbar“, seufzte sie und ging zu der jungen Frau zurück. Dieser genügte ein Blick in Nifens Gesicht, um ihre Vermutung bestätigt zu sehen. „Sie sehen auch die falsche Umgebung, nicht wahr? Die Häuser sind zu dicht bei der Kirche und das nächste Postamt ist erst in Meryton, nicht in Sichtweite der Kirche. Und dann diese pferdelosen Metallkutschen...“

Meryton? Nifen zog beide Augenbrauen hoch. Pferdelose Metallkutschen? „Sie meinen die Autos?“ Erkenntnis durchzuckte sie wie ein Blitz. „Ich fürchte, Sie sehen, was ich sehen sollte und ich sehe, was Sie sehen sollten...“

Tatsächlich schien die Kirche an diesem Tag ein Raum-Zeit-Multidimensions-Portal zu beherbergen, das Charlotte Lucas von Lucas Lodge nahe Meryton, Hertfordshire in England und Romanfigur aus ‚Stolz & Vorurteil’ mitten in das moderne Schwabenland und Heimat der sorglospunkigsten Punkband versetzt hatte. Doch natürlich war das noch nicht alles, denn der Zufall wollte es, dass eben dieses Portal jetzt eine Fehlfunktion aufwies und Miss Lucas als einzigen Ausgang das Schwabenland präsentierte und Nifen das ländliche England des frühen 19. Jahrhunderts. „Wie es aussieht stehen uns zwei Möglichkeiten offen: Wir tauschen vorübergehend die Plätze und Sie informieren meine Freunde über die Misere, Miss Lucas, oder wir warten hier, bis wir vermisst werden und Hilfe kommt.“

„Ehrlich gesagt, Miss Hill“, Nifen hatte es für klüger gehalten, eines der zahlreichen Pseudonyme, über die alle Sorglospunks verfügten, zu verwenden, „ziehe ich die erste Möglichkeit vor, auch wenn es schwierig sein dürfte, unseren beiden Familien die Situation zu erklären.“ Dem konnte Nifen nur zustimmen, auch wenn die Sorglospunks wohl weit weniger Probleme damit haben würden als Sir William und Lady Lucas.

Eine halbe Stunde später hatte Nifen Miss Lucas die Grundzüge der Sorglospunks und den Weg zum Hauptquartier erklärt und Miss Lucas hatte einen Brief an ihren Vater verfasst, worin sie ihm erklärte, dass sie überraschend eine Brieffreundin aus Übersee in der Kirche getroffen hätte, die auf dem Weg zu einer ältlichen Verwandten in London gewesen wäre, um dort in die Gesellschaft eingeführt zu werden, und sie beide hätten spontan beschlossen, die Plätze zu tauschen.
 

„Nachdem ich so lange mit meinem Bruder auf unseren überseeischen Besitzungen gelebt habe, war der Gedanke an London ein wenig furchteinflößend. Die liebe Charlotte hingegen war zu der Einsicht gekommen, dass es ihr in einem größeren gesellschaftlichen Kreis vielleicht eher gelingen könnte, einen Gatten zu finden und so ist sie statt meiner nach London gefahren. Großtante Augusta wird das gewiss verstehen“, schloss Nifen ihre Erklärung der Familie Lucas gegenüber.

„Oh Miss Hill, wie schön! Endlich wurden Charlottes Gebete erhört.“ Maria Lucas ergriff beide Hände der literaturgestrandeten Bandmanagerin und drückte sie herzlich. „Sie ist jeden Tag zur Kirche gegangen und hat dort für eine Änderung in ihrem Leben gebetet. Und dann sind Sie gekommen! Wie schade nur, dass Charlotte jetzt den Ball auf Netherfield Park verpassen wird. Denn vorhin erst kam ein Bote mit der Einladung...“
 

***
 

Schon wieder Jane Austen! Und schon wieder ‚Stolz & Vorurteil’!

Professor Severus Snape, Lehrer für Zaubertränke an der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei, war ernsthaft versucht, seine private Bibliothek mit all den Bänden über die Dunklen Künste zu durchforsten, um herauszufinden, ob es eine Möglichkeit gab, nachträglich noch bereits verstorbene Autoren daran zu hindern, ihre bekanntesten Werke zu schreiben. Schließlich verging kein Schuljahr, wo er nicht irgendwelchen irregeleiteten Schülerinnen eines dieser Werke abnahm. Vermutlich hätte er der Autorin und ihren Geschichten längst nicht so ablehnend gegenübergestanden, wenn seine Schüler nicht auf die selten unintelligente Idee gekommen wären, ausgerechnet in seinem Unterricht heimlich in diesen Büchern schmökern zu müssen. Als ob ihnen die Liebesgeschichte zwischen Elizabeth Bennet und Fitzwilliam Darcy dabei helfen würde, einen korrekten Trank zu brauen.

Wohl eher nicht!

Doch um diese Möglichkeit nicht gänzlich auszuschließen, erklärte Snape jedes Mal der betreffenden Schülerin, dass sie ihr Buch zurück bekäme, wenn sie bei den UTZ-Prüfungen ein ‚Ohnegleichen’ in Zaubertränke erzielte.

Bislang hatte er noch kein einziges Exemplar zurückgeben müssen, weshalb seine private Jane Austen-Sammlung mittlerweile nicht weniger als 23 Bände von ‚Stolz & Vorurteil’, elf Ausgaben von ‚Sinn & Sinnlichkeit’, je sieben Exemplare von ‚Überredung’ und ‚Emma’, klägliche zwei Bücher mit dem Titel ‚Northanger Abbey’ und ein vereinsamtes Taschenbuch von ‚Mansfield Park’ umfasste. „Wenn Sie also das nächste Mal in meinem Unterricht unbedingt Austen lesen müssen, tun Sie mir den Gefallen und wählen eines der bislang unterrepräsentierten Bücher“, erklärte er der unglücklichen Ravenclaw-Schülerin, ehe er das Buch in einer Tasche seiner Robe verschwinden ließ und sie anwies das Nachsitzen damit zuzubringen, Flubberwürmer auszunehmen.

Gerade als er sich an seinen Schreibtisch setzen wollte, um einen Stapel zweifelsfrei eher kläglicher Zaubertrankaufsätze zu korrigieren, drang von draußen Lärm in den Klassenraum. Es schien, als nahm die Idiotie der Schüler an diesem Tag kein Ende, denn andernfalls hätten sie sich garantiert einen anderen Korridor ausgesucht, um ihre Streitigkeiten auszutragen.

Der Anblick, der sich dem Professor bot, als er aus dem Klassenzimmer trat, ließ ihn mit den Augen rollen. Die üblichen Verdächtigen waren einmal mehr aneinander geraten – auch bekannt als das Goldene Trio von Gryffindor auf der einen Seite und Draco Malfoy mit seinen beiden treuen Schatten auf der anderen Seite.

Vincent Crabbe war von einem Incarcerus getroffen worden und lag sorgfältig verschnürt auf dem Steinboden, während Ronald Weasley Opfer eines Schockzaubers geworden war. Kurzentschlossen hob Severus Snape den Zauberstab, um alle Anwesenden zu entwaffnen, kam jedoch nicht mehr dazu, denn Gregory Goyle suchte sich genau diesen Augenblick aus, um zu versuchen, seinen Freund aus dessen misslicher Lage zu befreien. Nur dass Zauberkunst nicht gerade zu Goyles Stärken zählte (wie vermutlich keines der Fächer). Es kam, wie es kommen musste: Er betonte eine Silbe falsch, aus einem Liberatis wurde ein Literatis, und weil Draco Malfoy ausgerechnet in diesem Moment einen Schritt zur Seite machte und Goyle anrempelte, wurde Professor Snape statt Vincent Crabbe getroffen.

Als er das nächste Mal die Augen öffnete, fand er sich in einer hellen, wenn auch nicht sonderlich großen, so doch wohlproportionierten Eingangshalle wieder, die mit Hogwarts in etwa so viel gemeinsam hatte, wie die Pyramiden von Gizeh mit einer Forschungsstation am Südpol...
 

„Und Mr. Collins...“

„Musste leider wegen dringender Angelegenheiten für ein paar Tage nach London reisen“, erklärte Severus Snape der aufgebrachten Dame, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Jahre als Spion hatten ihre Spuren hinterlassen und nicht nur sein schauspielerisches Talent gefördert, sondern auch dafür gesorgt, dass er binnen weniger Sekundenbruchteile Situationen einschätzen konnte. Und so hatte er auch, kaum dass Mrs. Bennet ihren Namen genannt hatte, erkannt, dass Goyles missglückter Zauber ihn offenbar direkt in ‚Stolz & Vorurteil’ gezaubert hatte, wo er dem Anschein nach mit diesem aufgeblasenen Windbeutel Collins den Platz getauscht hatte. Oh ja, Severus Snape kann, Lily Evans sei Dank, den Inhalt von ‚Stolz & Vorurteil’. Und von ‚Jane Eyre’, ‚Vanity Fair’ und einer Handvoll weiterer Klassiker, die romantisch veranlagte Mädchen früher oder später als Lesemuss betrachteten und auch nicht davor zurückschreckten, ihre besten Freunde zur Lektüre selbiger zu verdonnern. Jetzt war Snape dafür annähernd dankbar – so dankbar man eben in dieser Situation und bei seiner Veranlagung sein konnte –, war es ihm doch so möglich, sein plötzliches Auftauchen einigermaßen plausibel darzustellen. Allerdings verbot sich der Professor in diesem Moment, darüber nachzudenken, was Mr. Collins in Hogwarts alles anstellen würde. Derartige Gedanken waren zu katastrophenlastig und verursachten bloß Kopfschmerzen. „Ein Schreiber bei der Erzdiözese hatte seinen Namen fälschlich auf die Liste der Missionare gesetzt, die sich nächsten Monat nach Indien einschiffen sollen. Zufällig aber war mir bekannt, dass er erst kürzlich die Pfründe von Hunsford übernommen hat. Wenn allerdings solche Fehler nicht augenblicklich und am besten persönlich geklärt werden, könnte dies für Mr. Collins unangenehme Konsequenzen haben.“

„Da haben Sie ja so recht, Professor“, sagte Mrs. Bennet und Snape konnte deutlich in ihrem Gesicht lesen, dass sie daran dachte, dass ein Mr. Collins, der zwangsweise nach Indien abkommandiert wurde, wohl kaum ihr Lizzy heiraten würde. Besser also, er klärte seine Angelegenheiten in London. „Hoffen wir, dass alles sich zum Guten wendet und er rechtzeitig zum Ball auf Netherfield Park wieder da ist. In der Tat wäre es sehr unhöflich von ihm, so lange fortzubleiben, wo wir Mr. Bingley doch bereits fest zugesagt haben. Abgesehen davon, dass Lizzy natürlich enttäuscht sein wird, wo er sie doch um den ersten Tanz gebeten hat.“

Dass ihre Tochter Collins’ Abwesenheit bedauern würde, wagte Professor Snape zu bezweifeln, aber Mrs. Bennet würde noch früh genug der Wahrheit ins Auge blicken müssen. Vorausgesetzt natürlich, es gelang Albus Dumbledore rechtzeitig den Zauber umzukehren, so dass Mr. Collins planmäßig seinen unmöglichen Heiratsantrag machen konnte.

„Sie müssen natürlich so lange unser Gast sein, Professor, wo Sie doch so zuvorkommend waren, nicht nur Mr. Collins von dem Irrtum zu unterrichten, sondern ihm auch gleich Ihre Kutsche zur Verfügung zu stellen.“

Severus Snape nahm mit einem Nicken und einer angedeuteten Verbeugung an, schließlich gab es in ‚Stolz & Vorurteil’ weder Hogwarts noch irgendwelche Magie und er hätte nicht gewusst, wo er sonst bleiben sollte.

„Wo sagten Sie noch, unterrichten Sie, Professor?“, plauderte Mrs. Bennet munter weiter.

„An einer exklusiven Schule nahe der schottischen Grenze.“

„Und sind Sie verheiratet?“
 

***
 

Tanzen! Wie hatte sie das bloß übersehen können? Ein Ball wurde schließlich exakt aus diesem Grund veranstaltet. Bloß, dass Nifen von den hier üblichen Tänzen allenfalls Walzer konnte. All die übrigen Gesellschaftstänze, die sie seinerzeit in der Tanzschule gelernt hatte, mussten erst noch erfunden werden und sich dann auf der Welt verbreiten. Gut, damals, für den Abschlussball des Grundkurses, hatten sie auch einen altertümlichen Schreittanz einstudiert, aber die Bandmanagerin konnte sich lediglich daran erinnern, dass da eine Schrittfolge vorkam, die sie mit ‚Stampf & Kick’ bezeichnet hatte. Himmel, sie wusste ja nicht einmal mehr den Namen dieses Tanzes, den sie anno dazumal mit der widerstrebenden Grazie eines albernen Teenagers auf das Parkett gebracht hatte. Sie wusste nur, dass es kein Menuett und kein schottischer Reel gewesen war, eben jene Tänze, die zweifellos zum Ballprogramm auf Netherfield gehören würden.

„Und was ist Ihr liebster Tanz, Miss Hill?“, wandte sich Maria Lucas nun an Nifen, nachdem das Mädchen die vergangenen fünf Minuten damit zugebracht hatte, den anwesenden Familienmitgliedern darzulegen, wieso ihrer Meinung nach das Menuett der schönste Tanz überhaupt war.

Nifen überlegte fieberhaft und dankte still Chi für all die gemütlichen Teestunden bei Oma, wo sie von des Teufels Großmutter viel über spontane Flunkereien und Ausreden gelernt hatte. „Der Walzer“, sagte sie jetzt, obgleich sie eigentlich lieber Rumba tanzte, wohl wissend, dass etwas Wahrheit jede Notlüge glaubhafter erscheinen ließ. Wie etwa die Existenz eines nichtexistenten Bruders und den dazugehörigen überseeischen Besitzungen. „Tatsächlich ist das der einzige Tanz, den ich überhaupt beherrsche.“ Auf die ungläubigen Gesichter ihrer Gastgeber hin, fuhr sie fort: „Sehen Sie, die Plantagen in Übersee sind so weit voneinander entfernt, dass Bälle so gut wie nie stattfinden. Auch würde man dort keinen geeigneten Tanzmeister finden, so dass Tanzen dort sträflich vernachlässigt wird. Zwar wird jeder Gast, der aus Europa herüber kommt nach der neusten Mode und den neusten Tänzen befragt, aber viele der Schreittänze enthalten Figuren, wo das Paar sich eine Gasse von Tänzern hinunter bewegt. Etwas, das sich nur schwer mit lediglich zwei Tänzern üben lässt. Walzer hingegen war ein Tanz, den mein Bruder auch alleine mit mir üben konnte.“

„Oh, Sie Ärmste!“, rief Lady Lucas aus. „Gewiss hätte Ihre Tante für die notwendigen Tanzstunden gesorgt, ehe Sie auf einen Ball gingen, aber jetzt haben wir Mr. Bingley bereits informiert, dass Sie uns begleiten werden. Komm, Maria, hole deinen Vater und deine übrigen Geschwister, so dass wir gleich damit beginnen können, Miss Hill die Grundzüge des Menuetts beizubringen.“ Und noch ehe Nifen irgendwelche Einwände hatte erheben können, war Maria bereits aus dem Raum geeilt.
 

An und für sich war die Schrittfolge eines Menuetts nicht sonderlich schwer, aber Nifen war Linkshänderin und brachte deswegen ständig die Füße und Arme, die es zu bewegen galt, durcheinander. Und wenn sie sich darauf konzentrierte, versprühte sie den Charme und die Anmut einer Planierraupe.

Nach etwa einer Stunde gab sie genervt auf. „Schluss damit!“, sagte sie vehement und als Lady Lucas einwenden wollte, dass sie ohne solide Fähigkeiten beim Menuetttanzen ihnen allen auf dem Ball Schande bereiten würde, erwiderte die Bandmanagerin so liebenswürdig, wie sie nur konnte: „Dann werde ich eben kein Menuett tanzen.“ Und um weiteren Widersprüchen von Lady Lucas vorzubeugen, fuhr sie fort: „Wenn einer der Gentlemen mich zum Tanz auffordern sollte und es sich dabei nicht um einen Walzer handelt, werde ich ihn einfach charmant anlächeln und ihn bitten, stattdessen mit mir durch den Saal zu promenieren.“ Damit war für Nifen die Sache erledigt.

Nicht aber für Maria und Lady Lucas, die das Thema immer wieder ansprachen, bis Nifen es schließlich nicht länger aushielt und trotz des schlechten Wetters unter dem Vorwand, sich in Meryton über den Verbleib ihrer (nichtexistenten) Truhe mit Kleidern, die ihr (nichtexistenter) Bruder ihr hatte schicken wollen, erkundigen zu wollen, das Haus verließ.
 

Der Regen vom Vortag war einem anhaltenden Nieseln gewichen, was dafür sorgte, dass die Felder und Wege in ihrem aufgeweichten Zustand erhalten blieben und kaum jemand unterwegs war. Instinktiv schlug Nifen den Weg zu der Steinkirche ein, immerhin konnte es nicht schaden, nachzusehen, ob Charlotte Lucas zurückgekehrt war. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte.

Schließlich machte sie an einem großen, altehrwürdigen Baum Halt, um an dessen Wurzeln den Schlamm notdürftig von den Schuhen abzustreifen. Denn je mehr Matsch sie mit sich herumschleppte, desto schwerer wurden ihre Füße und desto tückischer wurde der lehmige Boden. Die Aussicht, darauf auszurutschen und hinzufallen war nicht gerade verlockend.

Plötzlich hörte sie von der anderen Seite des breiten Stammes jemanden fluchen: „Gebe Merlin, dass ich mich nie wieder über die engstirnigen Moralvorstellungen von Minerva McGonagall oder besserwisserischen Ravenclaws oder Gryffindors wie Miss Granger aufrege. Lieber stelle ich mich freiwillig Hagrids privatem Streichelzoo als noch eine Stunde länger in Gegenwart von Mary Bennet und ihren jämmerlich intellektuellen Flirtversuchen zu verbringen!“

Ravenclaw? Minerva McGonagall? Hagrid? Das alles kam Nifen nur allzu bekannt vor und sie lugte vorsichtig hinter dem Baumstamm hervor. Beim Anblick der mürrischen, schwarzgekleideten Gestalt entfuhr ihr ein ungläubiges „Professor Snape?“ und die Art, wie der so Angesprochene reagierte, bestätigte ihre Vermutung. Vor ihr stand niemand anderes als Professor Severus Snape, der jedoch wenig begeistert darüber zu sein schien, so unverhofft ihre Bekanntschaft zu machen.

„Wer sind Sie und woher kennen Sie meinen Namen?“, fuhr er sie ungehalten an. „Sind Sie etwa auch eine Bennet, die man mir aber bislang vorenthalten hat, in der Hoffnung, ich würde mit dann diesem langweiligen Moralapostel widmen und nun, da ich die Flucht ergriffen habe, wurden Sie vorgeschickt, mich wieder einzufangen?“ Er sah dabei so wütend, durch den Regen aber zugleich so verloren aus, dass Nifen kichern musste, während sie den Kopf schüttelte.

Snape zog nur ungehalten die Augenbrauen hoch und verfluchte stumm ein ums andere Mal, dass er in dieser nichtmagischen Geschichte gestrandet war. „Ich warte...“, sagte er schließlich grimmig und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.

„Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sagte, dass ich ebenso wenig hierher gehöre, wie Sie? Dass ich aus einer Welt außerhalb dieser Geschichte stamme?“, fragte Nifen, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte. Dass sie außerdem noch aus einer Welt außerhalb seiner Geschichte stammte, behielt sie für sich.

„Ich wage zu bezweifeln, dass Sie ebenfalls von einem missglückten Zauber getroffen wurden, den Sie einem Ihrer geistig minderbemitteltsten Schüler zu verdanken haben...“

Fasziniert erkannte Nifen, dass die Originalstimme des Professors zwar nicht ganz so Gänsehaut verursachend betörend klang, wie die von Alan Rickman, der die Rolle Severus Snapes in den ‚Harry Potter’-Filmen spielte, dafür hatte der Original-Snape aber auch nicht so ein schlaffes Puddinggesicht. Als sie hörte, was den Zaubertrankmeister hierher gebracht hatte, entschlüpfte ihr spontan: „War es Crabbe oder war es Goyle?“

Die Miene des Professors verfinsterte sich noch mehr und er baute sich bedrohlich vor der Sorglospunksmanagerin auf. „Ich frage Sie noch einmal: Wer sind Sie und woher kennen Sie mich?“

Oh, oh! Gar nicht gut! Nifen konnte ihm ja schlecht erklären, dass sie ihn aus sieben Büchern, derzeit fünf Filmen und unzähligen Fanfictions kannte. „Drücken wir es so aus“, formulierte sie vorsichtig, „ich habe eine Bekannte, die wiederum die magische Welt und besonders Hogwarts sehr gut kennt. Und aufgrund von einigen ungewöhnlichen Umständen, die näher zu erläutern mir nicht gestattet ist, wurde bei mir eine Ausnahme bezüglich des Statuts zur Geheimhaltung der magischen Gemeinschaft gemacht.“ Das klang doch alles schön vage, so dass sie sich jederzeit aus allem herausreden konnte, mit der gleichzeitigen Implikation, irgendwelche Behörden hätten ihr untersagt, weiter ins Detail zu gehen, was bei dem universellen Ruf von Behörden durchaus glaubwürdig schien. Nifen war stolz auf sich. Und tatsächlich sah es so aus, als würde Snape ihr glauben. „Mein Name ist übrigens Margaret Hill“, fuhr Nifen fort, ehe der Professor sie zum dritten Mal auffordern konnte, sich vorzustellen. „Zumindest hier. Schließlich will ich kein literarisches Zeitparadoxon heraufbeschwören oder so...“ Die Managerin erkannte, dass sie in nervöses Plappern verfiel und verstummte abrupt. Da der Zaubertranklehrer neben ihr nicht geneigt schien, die so entstehende Stille zu durchbrechen, wandte Nifen ihre Gedanken wieder dem zu, was sie hier hinaus und unter diesen Baum getrieben hatte: Der Ball auf Netherfield Park!

Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu Severus Snape hinüber, als sie sich vorstellte, wie es wohl wäre, mit ihm einen Walzer zu tanzen, genau so, wie es in vielen ihrer geliebten Fanfictions beschrieben wurde, und sie konnte gerade noch ein sehnsüchtiges Seufzen unterdrücken. Professor Severus Snape, Meister des Sarkasmus, war nun mal ihr unangefochtener Liebling im ‚Harry Potter’-Universum und sie hatte sich schon oft gewünscht, ihn einmal wirklich kennen zu lernen. Aber ihn hier, unter diesen Umständen, zu treffen, war selbst für den abenteuererprobtesten Sorglospunk zu viel des Guten. Überhaupt war hier einiges selbst für Nifens Maßstäbe zu sonderbar...

Ein Verdacht keimte in ihr auf und ihr entfuhr ein Fluch, von dem manch ein Seemann noch etwas hätte lernen können. Das war unmöglich... die drei waren doch...

Fragend hob Snape eine Augenbraue und sagte trocken: „Seien Sie froh, dass Sie keiner meiner Schüler sind, Miss Hill. Denn sonst hätten Sie sich dafür wenigstens einen Abend Nachsitzen eingehandelt.“

Nachsitzen? Bei Professor Snape? Jener Anteil von Nifen, der sie gerne als Mary Sue in Hogwarts sähe, hyperventilierte beinahe vor Aufregung bei dieser Vorstellung, während ihr Realitätssinn dagegen hielt, dass sie dann höchstwahrscheinlich eine so romantische Aufgabe bekäme wie Molchaugen zu sortieren oder so. Es verstand sich von selbst, dass ihr Realitätssinn in dieser Situation gewann, war er doch deutlich enger mit ihrem Überlebenssinn verbunden als ihre Vorstellungskraft.

„Wie schön für mich also, dass wir nicht in Hogwarts sind. Auch wenn Sie dort vor Mary Bennet und ihren Moralansichten sicher wären“, sagte Nifen deshalb leichthin und hoffte, den Professor so davon ablenken zu können, sie zu fragen, was sie zu dem Fluch veranlasst hatte.

„Touché, Miss Hill. Ich sehe, Sie gehören wenigstens nicht zu den Menschen, die leicht klein beigeben, sondern auch austeilen. Auch wenn der Seitenhieb auf Mary Bennet alles andere als subtil war“, zollte ihr Professor Snape widerwillig Anerkennung.

Nifen zuckte scheinbar ungerührt mit den Schultern, auch wenn sie sich innerlich riesig über das angedeutete Kompliment freute. „An Mary Bennet ist ja auch nichts Subtiles, was sich für eine entsprechende Bemerkung verwenden ließe.“

Snape ließ ein Grollen hören. „Fürwahr! Weder die Art, wie sie ihre moralischen Ansichten vertritt, noch ihre Unterhaltungskunst musikalischer Natur lassen irgendeine Raffinesse oder überragende Fähigkeit auch nur im Ansatz erahnen.“

Bei der Erwähnung der Musikvorträge war Nifen kreidebleich geworden. So bleich, dass es sogar ihrem unfreiwilligen Gesprächspartner auffiel und er sie schroff anwies: „Fallen Sie jetzt bloß nicht in Ohnmacht, Miss Hill!“

Nifen schüttelte den Kopf und zwang sich, ein paar ruhige Atemzüge zu tun. „Keine Sorge, Professor, damit es soweit kommt, müsste ich erst mehr als einen halben Liter Blut verlieren und obendrein über Stunden meinen Kreislauf strapazieren. Nein, Sie haben mich nur gerade an die zweite Foltermethode erinnert, die man gewöhnlich auf Bällen dieser Art anwendet.“

„Foltermethoden?“

„Gesellschaftlicher Art. Die erste ist Tanzen, genauer gesagt Schreittänze. Die zweite ist, die Gäste, insbesondere die holde Weiblichkeit, dazu aufzufordern, am Klavier oder auch nur gesanglich zur Abendunterhaltung beizutragen.“ Und für Nifen stand jetzt schon fest, dass sie, trotz aller Liebe zu Ace of Base, es nicht wie Amanda Price machen würde, die mit ‚Downtown’ in ‚Lost in Austen’ einfach einen modernen Klassiker zum Besten gegeben hatte.

„Ihrer Panik nach zu urteilen, darf ich darauf schließen, dass Sie nicht Klavier spielen können, aber davon ausgehen, zum Musizieren aufgefordert zu werden?“, erkundigte sich Snape spöttisch.

„Ja, leider befürchte ich genau das“, gab Nifen seufzend zurück. „Schließlich bin ich neu in dieser Nachbarschaft und man wird neugierig auf mich sein. Genauer gesagt, will man einschätzen, wie ich in Konkurrenz zu den hiesigen Töchtern, Nichten und anderen ehemannsuchenden Damen stehe.“ Dann aber hellte sich ihre Miene auf. „Meinen Sie, man würde es mir abkaufen, wenn ich erklärte, ich könne leider nur Ophikleide spielen?“

„Ophikleide?“

„Ein Vorläufer der Tuba.“

„Können Sie denn Ophikleide spielen, Miss Hill?“

„Nein“, erwiderte sie nun schon wieder gelassen, „aber wie groß wird schon die Wahrscheinlichkeit sein, dass es auf Netherfield Park eine Ophikleide gibt und man sich dann auch noch die Mühe macht, sie extra für mich zu holen, wo es genügend andere junge Damen gibt, die begierig sind, ihr musikalisches Können zur Schau zu stellen?“ Hier zwinkerte Nifen dem Professor kurz zu, dessen Miene sich entsprechend verdüsterte, dachten sie doch beide diesbezüglich an die gleiche junge Dame. „Ich werde einfach erzählen, meinem Bruder sei es zu riskant erschienen, ein Klavier so weit mit dem Schiff zu transportieren, aber als er von der Erfindung der Klappentrompete gehört hätte, hätte er zwecks meiner musikalischen Ausbildung eine solche bestellt. Leider habe es aber auf dem Weg über den Atlantik eine Verwechslung gegeben und so sei stattdessen eine Ophikleide auf unserer Plantage gelandet.“

„Plantage? Bruder?“ Ungläubig starrte Snape Nifen an.

„Nun, irgendwie musste ich doch meinen amerikanischen Akzent und meine teilweise ungeschliffenen Manieren erklären, vom Verbleib Charlotte Lucas’ ganz zu schweigen“, erläuterte die Bandmanagerin, als sei es das Natürlichste auf der Welt. Und gewisser Weise war es das ja auch, schließlich hatte Snape selbst ein ziemliches Gewirr an Ausreden gebraucht, um seine plötzliche An- und Mr. Collins’ Abwesenheit akzeptabel erscheinen zu lassen, wie er sich eingestand.

„Für wen sind Sie eigentlich hier, Professor?“, fragte Nifen da, als hätte sie seine Gedanken gelesen, und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, als sie von dem Platztausch mit Mr. Collins erfuhr. Auch der Zaubertrankmeister konnte sich der Ironie der Situation nicht ganz entziehen, weshalb er zwar nicht in Nifens Lachen einstimmte, aber einen Ausdruck spöttischer Belustigung nicht ganz unterdrücken konnte.

„Nun, immerhin können wir uns somit ungestraft unterhalten, ohne uns um zusätzliche Literaturparadoxe Gedanken machen zu müssen“, meinte Nifen fröhlich, nachdem der Lachanfall vorüber war.

„Und wer sagt, dass ich das will?“, verlangte der Professor ungehalten zu wissen.

„Die Logik“, erwiderte Nifen schlicht. „Ich mag Ihnen zwar beizeiten wie eine nervig plappernde Besserwisserin vorkommen, aber verglichen mit den Alternativen derer, die Ihnen Gesellschaft leisten wollen, bin ich so etwas wie der Einäugige unter den Blinden!“ Es schmerzte sie zwar in diesem Moment zu erkennen, dass sie in seinen Augen wohl wirklich in diese Kategorie der Nervensägen fiel, aber das Leben bei den Sorglospunks hatte sie gelehrt, dass man eben nicht alles haben konnte.

Snape verzog das Gesicht und grollte. „Ich hasse Logik!“

Nifen verkniff es sich, ihn darauf hinzuweisen, dass er nicht die Logik im Allgemeinen hasste, sondern nur Logik, die zu seinen Ungunsten ausfiel. Stattdessen sagte sie: „Schön, nachdem das nun geklärt wäre, sollte ich wohl meinen Weg nach Meryton fortsetzen. Denn wenn eine der örtlichen Klatschtanten den Lucases hinterbringt, dass ich, obwohl ich doch genau mit dieser Absicht das Haus verlassen habe, mich nicht nach meiner nichtexistenten Truhe erkundigt habe, werden mir meine Gastgeber kein Wort mehr glauben und das könnte meinen Aufenthalt hier reichlich schwierig gestalten.“ Als Sorglospunk hatte man eben auch gelernt, den örtlichen Dorfklatsch nicht unbeachtet zu lassen. „Vielleicht sehen wir uns morgen in der Kirche? Ich würde mich jedenfalls über die Gelegenheit schon vor dem Ball offiziell Ihre Bekanntschaft zu machen, freuen“, verabschiedete sich Nifen. Doch sie war noch keine fünf Schritte gegangen, als Snape sie wieder eingeholt hatte.

„Wenn Sie gestatten, würde ich Sie gerne begleiten. Als ich vorhin in Longbourn House erklärte, ich wolle trotz des schlechten Wetters nach Meryton gehen, wurde ich darum gebeten Schuhrosetten zu besorgen. Was auch immer das ist...“
 

***
 

Natürlich hatte Nifen nichts dagegen gehabt, dass der Professor sie begleitete. Und sie schaffte es sogar erfolgreich gegen den Drang, ihn sinnlos zuzutexten, anzukämpfen.

Wie vorgeschlagen, waren sie sich am darauffolgenden Tag beim Gottesdienst begegnet und dann auch offiziell einander vorgestellt worden, wo gleichzeitig die Neuigkeit, dass sowohl Charlotte Lucas als auch Mr. Collins überraschend und zur selben Zeit nach London gereist waren und statt ihrer zwei Neuankömmlinge in der Nachbarschaft weilten, überall für Aufregung gesorgt hatte.

„Irgendwie fühle ich mich rein gar nicht beobachtet“, hatte Snape mit einem kaum unterdrückten Anflug von Sarkasmus gemeint, als er unbehaglich und unter den wachsamen Augen der Gemeinde auf der Kirchenbank Platz genommen hatte. „Als würden sie nur auf einen Fehler von mir warten, was angesichts der Tatsache, dass ich mit der Liturgie absolut nicht vertraut bin, nicht ganz auszuschließen ist.“ Letzteres war nur noch ein leises Raunen gewesen, das einzig Nifen, die neben ihm gesessen hatte, hatte hören können.

„Stellen Sie es sich ähnlich wie eine Todesserversammlung vor. Sie stehen auf, wenn alle aufstehen, Sie knien sich hin, wenn alle sich hinknien und singen (oder tun zumindest so), wenn alle singen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass der Pfarrer vorne auf der Kanzel Sie nicht wie Voldemort mit dem Cruciatus-Fluch belegt, wenn Sie nicht schnell genug sind, oder den Ton nicht richtig treffen“, hatte sie grinsend erwidert.

„Danke auch für Ihre aufmunternden Worte!“ Der Spott in Snapes Stimme war nicht zu überhören gewesen, aber das hatte Nifen nicht gestört. Wie auch, war es doch einer der Züge, der ihr schon immer an dem Zaubertrankmeister gefallen hatte.

Was vielleicht auch erklärte, wieso sie es sich jetzt, wo sie im Ballsaal von Netherfield Park waren, nicht wirklich verkneifen konnte, ihn ein wenig zu necken: „Sie wissen, Professor, dass die Rolle des Stoffels in dieser Geschichte bereits vergeben ist? Und sogar Mr. Darcy wird heute Abend wenigstens drei Mal das Tanzbein schwingen.“

„Drei Mal?“, fragte Snape mit hochgezogener Augenbraue. „Mir ist nur von einem Tanz bekannt.“

„Weil im Buch nur einer beschrieben wird. Aber Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass er darum herum kommt, nicht wenigstens einmal mit Mrs. Hurst und einmal mit Miss Bingley zu tanzen. Zusammen mit Elizabeth mach das dann drei Tänze“, klärte die Managerin ihn auf.

„Das mag auf Darcy zutreffen, aber ich bin nicht Mr. Darcy“, meinte der Professor abweisend.

„Zum Glück!“, entfuhrt es Nifen und auf seinen fragenden Blick hin, erwiderte sie ernst: „Auch wenn Sie es vielleicht nicht glauben, wünsche ich mir gar nicht, dass Sie jemand anderes als Sie selbst sind.“

„Soll das ein Versuch sein, mich dazu zu bringen, Sie zum Tanzen aufzufordern?“, fragte Snape argwöhnisch.

Nifen schüttelte heftig den Kopf. „Bloß nicht. Im Moment sind nur Schreittänze dran, ich kann aber nur Walzer tanzen. Und der erste Walzer wird frühestens in einer halben Stunde gespielt.“

„Dann muss ich für die nächste halbe Stunde Mr. Darcy wohl oder übel den Rang als Stoffel, wie Sie es ausdrückten, ablaufen, Miss Hill“, meinte Professor Snape trocken und bekannte dann: „Ich kann nämlich ebenfalls nur Walzer. Wie wäre es also, wenn Sie mir eben jene Tänze für den restlichen Abend versprächen? Auf diese Weise wäre der Pflicht Genüge getan und keiner von uns liefe Gefahr, sich durch moderne Schrittfolgen bei einem der hiesigen Tänzer einen Fauxpas zu leisten.“

So einleuchtend die Erklärung auch klang, schüttelte Nifen augenblicklich wieder den Kopf. „Das wäre höchst schockierend, Sir. Wissen Sie denn nicht, dass mehr als ein Walzer oder generell mehr als zwei Tänze mit der selben Dame an einem Abend einer Heiratsabsichtserklärung gleichkommt? Wenn Sie die hier Anwesenden beobachten, werden Sie sehen, dass Darcy keinen zweiten Tanz mit Miss Bingley riskieren wird, weil er weiß, dass sie das bei ihrem offenkundigen Besitzanspruch auf ihn sofort falsch auslegen würde. Und sogar Mr. Bingley wird Jane Bennet nur zweimal auf die Tanzfläche führen, auch wenn er sonst noch möglichst viel Zeit im Gespräch mit ihr verbringen wird und jeder in dieser Nachbarschaft es nur noch für eine Frage der Zeit hält, ehe die Hochzeit stattfindet, wie uns mein werter Gastvater Sir William später noch vorführen wird.“

„Die Anzahl der Tänze pro Dame ist also streng reglementiert?“ Unglaube und Belustigung hatten sich in Snapes Stimme gemischt.

Nifen nickte.

„Woher zum Kuckuck wissen Sie das alles eigentlich? Ich habe ‚Stolz & Vorurteil’ zwar auch gelesen, aber an ein Kapitel über die Schicklichkeit und Fallstricke auf der Tanzfläche kann ich mich nicht erinnern. Man könnte fast meinen, Sie hätten ein Lexikon mit Benimmregeln für diese Zeitepoche verschluckt, aus dem Sie jetzt genauso freigiebig zitieren, wie Miss Granger aus ‚Hogwarts, A History’!“ Der Tonfall des Professors hatte einen ätzenden Klang angenommen, doch Nifen zeigte sich davon wenig beeindruckt. Stattdessen grinste sie nur und sagte: „Exzessiver Schmachtfetzenkonsum. Quasi als Ausgleich zu den Spammails, die ich regelmäßig durchforsten darf. Und da nicht wenige der historischen Romane hier in der Regency-Zeit spielen...“

„Dann muss Ihnen dieser Trip ja wie eine Reise ins Märchenland vorkommen.“

„Mitnichten!“, widersprach die Bandmanagerin. „Denn erstens sieht es im Märchenland ganz anders aus und zweitens ziehe ich es vor, in einer Zeit zu leben, wo Strom, WCs und Supermärkte allgegenwärtig sind. Ich glaube, einer der Gründe, weshalb die holde Weiblichkeit hier meist so schlank ist, ist der, dass der Gang zum Stillen Örtchen einer Tortur gleicht.“ Sie zupfte unwillkürlich an den, ihrer Meinung nach, viel zu vielen Lagen Stoff, die ihre, zugegeben, wunderschöne, Ballrobe besaß.

Snape bedachte sie mit einem spöttischen Lächeln. „Das ist kein angebrachtes Thema für eine Unterhaltung auf einem Ball“, tadelte er sie. „Das weiß sogar ich.“

„Ja, ja“, grummelte Nifen und wandte sich nach einem kurzen, finsteren Blick in dessen Richtung von dem Zaubertranklehrer ab, um den Ballsaal und die übrigen Anwesenden genauer in Augenschein zu nehmen. Da entdeckte sie plötzlich etwas, dass ihr schier den Atem stocken ließ. „Murphy!“, hauchte sie erkennend, dann packte sie den Arm des Professors. „Schnell, helfen Sie mir! Wir müssen den Kater dort fangen.“ Und sie deutete aufgeregt auf die andere Seite des Saals, wo sich tatsächlich die geflügelte Katzengestalt Murphys zwischen den Beinen der Ballgäste herumtrieb.

„Sind Sie jetzt vollkommen übergeschnappt?“, herrschte Severus Snape sie an.

„Professor, das ist vielleicht unsere einzige Chance, wieder heimzukommen“, bat Nifen inständig.

Professor Snape zog eine Augenbraue hoch. „Eine Katze...“

„Ein Kater“, verbesserte sie. „Genaugenommen ein Dämonenkater mit Namen Murphy, nach dem die gleichnamigen Gesetze benannt wurden. Außerdem höchstwahrscheinlich die Ursache dafür, dass wir hier sind. Zumal ich weder Poe noch Grinsekater hier sehe, aber gut, die beiden sind ja auch noch nicht geschrieben“, plapperte Nifen nervös, während sie Murphy im Auge behielt. „Doch selbst wenn Murphy unschuldig sein sollte, können wir über ihn mit Chi Kontakt aufnehmen und auf diese Weise wieder nach Hause zurückkehren. Vermutlich ist er genau deswegen hier...“

„Ich habe zwar nicht im Ansatz verstanden, was Sie da alles gefaselt haben, Miss Hill, aber sehe ich das richtig: Wenn wir diese Katze, pardon, diesen Kater dort nicht einfangen, könnte es uns passieren, dass wir hier bis zum Sankt Nimmerleinstag festsitzen?“, erkundigte sich der Professor.

„Ja“, nickte Nifen knapp. „Entweder wir fangen den Kater oder wir dürfen Lady Catherine davon überzeugen, dass Mr. Collins tatsächlich als Missionar nach Indien gegangen ist und uns gebeten hat, uns an seiner Statt um die Pfarre von Hunsford zu kümmern.“

„Lady Catherine?“, fragte Snape irritiert.

„Sie wissen schon: Sanftmütiges Auftreten wie Minerva McGonagall, zurückhaltend wie Albus Dumbledore und Feingefühl wie Tom Riddle junior. Als Platzhalter für Mr. Collins und Charlotte Lucas wird uns die Strömung dieser Geschichte früher oder später in diesen Teil Kents treiben, es sei denn natürlich, Sie ziehen es vor, Mary Bennet zu heiraten. Doch selbst dann wäre nicht garantiert, dass Sie nicht doch in Kent landen – mit Mary an Ihrer Seite...“
 

***
 

Es genügt wohl zu sagen, dass die Aussicht auf den literaturörtlichen Voldemort und einen dauerhaften Cruciatus-Fluch in Form eines Moralapostels als Ehefrau für Severus Snape eine ausreichende Motivation dargestellt hatte, Nifen bei der Jagd nach Murphy zu helfen.

Natürlich hatte es der Kater den beiden nicht gerade einfach gemacht, so dass die wilde Jagd durch den Ballsaal Miss Bingley ausreichend Gelegenheit gegeben hatte, sich über die ungehobelten Landmanieren auszulassen. Doch nachdem der kleine Dämon erst einmal gefangen war, war alles ganz einfach. Dank HPS war es für Chibichi ein Leichtes, die vermisste Bandmanagerin und den gestrandeten Zaubertranklehrer zu orten, auch wenn letzterer für den Teufel im ersten Moment eine Überraschung darstellte, hatte sie doch nicht damit gerechnet, dass das Chaos weit größere Ausmaße hatte, als sie angenommen hatte.

Charlotte Lucas hingegen war wenig begeistert, in ihr trostloses Dasein zurückkehren zu müssen. Tatsächlich hatte sie den Sorglospunks irgendeine abwegige und somit für die Band vollkommen glaubhafte Geschichte über den Verbleib der Managerin aufgetischt und dann einfach ihr neues Leben genossen. Vermutlich wäre sie auch weiterhin damit durchgekommen, hätte Murphy nicht so argwohnerregend selbstzufrieden ausgesehen, als er Chi beim Einkauf im WWWB-Markt begegnet war. Doch da er, wie alle Dämonen, vertraglich verpflichtet war, dem Teufel gegenüber alle Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten, erkannte Chibichi nur zu schnell, welches Chaos der Dämon angerichtet hatte. „Es ist nämlich so“, erklärte sie den Sorglospunks, die nun, mit ihrer Managerin, wieder komplett waren, „dass einmal alle 666 Jahre jeder Dämon eine gute Tat vollbringen muss, indem er einem Menschen einen geheimen Wunsch erfüllt. Andernfalls verliert er seine Dämonenlizenz und muss ins Engel-Boot-Camp in den Himmel. Bei Murphy war letzte Woche dieser ‚Wünsch-Dir-Was-Tag’ und offenbar hatte er sich Nifen als Opfer auserkoren.“

Snape, der noch zu Besuch war, weil Dimensionsübergänge literarischer Art für fiktive Charaktere nach einem längeren Aufenthalt in einer fremden Fiktionsdimension immer nur mit Pausen zwischen den einzelnen Dimensionsübergängen möglich waren, ohne dass der fiktive Charakter Schaden nahm, blickte Nifen finster an. „Also war es doch Ihre Schuld!“

„War es nicht!“, protestierte diese. „Hätte Murphy genauer hingesehen, hätte er erkannt, dass mein Wunsch nach Strom und all den anderen Annehmlichkeiten der Moderne überwiegt. Wir wären dann allenfalls auf einer ‚Stolz & Vorurteil’-Cosplay-Veranstaltung gelandet, wo die Sorglospunks einen Auftritt hätten haben können und Sie sich dann gleich mit zehn Mary Bennets hätten herumschlagen dürfen.“ Hier grinste sie ihn herausfordernd an.

„Sie...“, knurrte Severus Snape und überraschte dann die versammelte Mannschaft, indem er Nifen kurzerhand mit einem leidenschaftlichen Kuss zum Schweigen brachte.
 

Seit jenem Tag entbrannte wieder ein heißer Kampf zwischen Nifen und Chris um die Nutzungsrechte des schnellen Computers im Sorglospunks-Hauptquartier. Denn wenngleich die Chancen, dass der Professor und die Bandmanagerin sich jemals wieder in der Form wiedersehen würden (also auf nicht-platonische Art), verschwindend gering war, hinderte das die beiden nicht daran, eifrig trafficlastige Briefe über den Spamordner von Nifens E-Mailfach auszutauschen. Schließlich hatte Chibichi doch diesen Ordner mit dem Flohnetzkamin in Professor Snapes Quartier in Hogwarts verlinkt, als Wiedergutmachung für Murphys naturgemäß katastrophal schiefgegangenen Versuch im Wünscheerfüllen. Was zugleich noch den netten Nebeneffekt hatte, dass der Dämon seine Lizenz behalten durfte und nicht zum Wolkendrill musste.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück