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Please save my earth- the leader

von

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First Part of Save:

Hiiragi
 

Vom Mond aus beobachteten wir die Erde... um eines Tages auf ihr wiedergeboren zu werden...
 

Wie ein schneeweißer Milchtropfen an einem Glasrand, rutschte die Sternschnuppe lautlos am dunklem Nachthimmel herab. Wenngleich dieses sanfte Glühen vielleicht nur von einem katzenkopfgroßem Gesteinsbrocken ausgehen mochte, so war seine Wirkung doch jedes Mal beeindruckend.

Beigeistert blickte Hiiragi von seinem Fernrohr auf, um das faszinierende Schauspiel im Ganzem betrachten zu können.

"Das ist schon die dritte in einer Nacht. Ob die gute, alte Erde wohl in einen Meteoritenregen hineingerät? Seltsam... davon haben sie in den Nachrichten heute gar nichts gesagt...", geschäftig kritzelte der Junge einige Daten auf einen Ringblock und schaute dann wieder angespannt durch das Fernrohr.

Der verglühende Stern zog sonderbar träge über den mit weißen Lichtern besprenkelten Himmel. Sein Schweif musste sich bereits über einen Kilometer oder mehr hinwegziehen.

Das war allerdings wirklich sonderbar... Hiiragi stutzte.

Sonst waren Sternschnuppen eher als ein hell aufleuchtender Lichtschweif am Himmel zu erkennen, der genauso schnell wieder verschwand, wie er auftauchte.

Wahrscheinlich waren es Außerirdische, die kurz einmal über der Erde kreisen wollten, dachte Hiiragi ein wenig belustigt. Für einen kurzen Moment war er plötzlich wieder von jenem feinem Sehnen erfüllt, das ihn in letzter Zeit oft heimsuchte, wenn er nachts die Sterne beobachtete. Hier saß er nun, fast jeden Abend und schaute zu den Sternen auf. Er kannte ihre Namen und die genaueren Koordinaten der meisten, wusste über die Massen einiger besser Bescheit, als der Kursleiter des Astronomieklubs und erkannte jedes Tierkreiszeichen auf Anhieb.

Und doch... je länger der ehemalige Linguist über diese Sterne nachdachte und ihre Zahlen im Vor- und Rücklauf durch seinen Kopf laufen ließ, erschien ihm sein ganzes Wissen mit einem Mal nichtig.

War es nicht Aristoteles, der einst sagte: "Was ich weiß, gleicht einem Tropfen. Was ich nicht weiß, einem Ozean."?

Hiiragi ließ sich wieder auf den Drehstuhl vor seinem Fensterbrett sinken und blickte nachdenklich zum Himmel hinauf. Das war einfach nicht richtig!

Er war es eher gewohnt, auf die Dinge herabzusehen, ohne sie gleich als minder einzustufen. Immerhin hatte sich die Erde auch nicht immer über ihnen befunden, als die sieben Forscher sie jahrelang beobachtet hatten. Warum nur mussten die Sterne immer oben sein? Schauten sie auch auf die Erde herab, oder wollten sie auch nur beobachten...?

Hiiragi schüttelte verwirrt lächelnd den Kopf.

Welch ein Unsinn, dachte er sich selbst ein wenig verspottend. Ich sollte abends keinen Fisch mehr essen und nicht zuviel in die Sterne gucken. Es war für ihn keine sonderlich angenehme Vorstellung, als verwirrt dreinschauender Romantiker zu enden.

Vielleicht hätte ihm ein bisschen Romantik ja gut getan, aber immerhin war er eine autoritäre Persönlichkeit und hatte diesen Sack Flöhe zu hüten, der...

Hiiragi unterbrach sich selbst.

So was... er dachte ja immer noch, als wäre er der Anführer der kleinen Gruppe. Und was noch seltsamer war, dieser besagte Sack Flöhe nahm es einfach hin!

Trotzdem wusste der Junge schon jetzt, dass er es nicht so einfach würde lassen können, des nachts, wenn alles schlief, ein bisschen in die Sterne zu gucken.

Ich darf nur nicht zulassen, dass sie mein Denken zu sehr beeinflussen, nahm er sich vor. Immerhin... er kam ja von dort und deswegen war es für den Jungen ein Leichtes ihre Namen und Koordinaten herunter zu rattern!

Probeweise schloss er die Augen, atmete ein paar Mal tief durch, strecke dann willkürlich den Arm aus und deutete auf irgendeinen Punkt über sich am Nachthimmel, noch ehe er die Augen öffnete. Im gleichem Moment, wie er den Stern erblickte, schien irgendetwas in seinem Kopf einzurasten und der Junge sagte ganz automatisch:

"Stern Edasich, im Sternbild Draco, Spektralklasse gK2, Entfernung 31,0 Parsec/ 101 Lichtjahre!"

Manchmal war es wirklich so unheimlich, dass Hiiragi sich ein wenig vor sich selbst fürchtete.

Immerhin... seine Eltern hatten ihm hier den Namen "Daisuke" gegeben... aber er war eben doch Hiiragi. Und dieser Hiiragi war es, der in ihm noch weiterlebte und ihm sein Wissen gab.

"Bin ich es nun wirklich? Es scheint fast, als würde mir ein anderer seine Erinnerungen geben.", überlegte der Junge.

Mit einem tiefem Seufzer drehte er sich um und stellte voller Verwunderung fest, dass die kleine Lampe auf seinem Schreibtisch noch angeschaltet war. Die Glühbirne hatte in der letzten Zeit doch arg gelitten, sodass ihr Licht schon ein wenig zu flackern begann. Es war ein wenig unheimlich, wie rings umher die Schatten aufeinander zukrochen und einen bizarren Tanz aufzuführen begannen.

Ohne mit der Wimper zu zucken oder sich von diesem Humbug einseifen zu lassen, ging Hiiragi an seinen Schreibtisch, öffnete die unterste Schublade und förderte eine Packung Glühbirnen zu Tage. Unglücklicherweise war sie leer und Hiiragi warf sie stirnrunzelnd in den Papierkorb. Er konnte sich schon gar nicht mehr erinnern, wann er die gekauft hatte... geschweige denn, wann er überhaupt die Glühbirnen ausgetauscht hatte.

Mit einer entschlossenen Bewegung legte er den Schalter seiner flackernden Tischlampe um und es wurde augenblicklich dunkel im Zimmer.

Hiiragi hatte sich noch nie vor der Dunkelheit gefürchtet. Schon als kleiner Junge hatte er keine Angst davor gehabt, sich bei einem Stromausfall in den Keller zu begeben und den Stromkasten zu finden. Dunkelheit war nichts, als die Abwesenheit des Lichtes, hatte er einmal zu Shusuran gesagt, die sich fürchterlich erschrocken hatte, als während eines Gewitters alle Lampen ausgefallen waren.

So genau hatte Hiiragi zugegebener Weise noch nie darüber nachgedacht und auch jetzt verschwendete er keinen Gedanken daran. Sein Zimmer war eigentlich immer ordentlich (was man von Shusuran's weniger behaupten konnte) und so konnte er sich auch bei tiefster Finsternis gut darin zurechtfinden, ohne sich erst blaue Flecken zu holen oder sich möglicherweise den Zeh an einem Tischbein zu holen.

Vielleicht hatte sein Vater in der Küchenschublade ja noch eine Glühbirne, überlegte Hiiragi und ging leise die Treppenstufen herunter. Die große Standuhr in der Diele tickte eintönig und für einen kurzen Moment hatte der Junge das verwirrende Gefühl, als würde er den "Tanz der Zuckerfee" aus dem Nussknacker hören. Er würde allerdings weniger mit einer Spielzeugarmee gegen ein paar zerzauste Ratten kämpfen, als eine Glühbirne zu finden. Zumindest versprach er sich das.

Seltsamerweise hörte er nicht auf an diese Melodie zu denken und es schien fast, als würde sie wirklich irgendwo ertönen.

Wann nur hatte er dieses Lied zum letztem Mal gehört? Bestimmt, als er noch ein Kind gewesen war... zu Weihnachten ertönte diese Melodie ja auch keineswegs selten.

Vielleicht war es ja sogar noch länger her...

Plötzlich war es, als verwandle sich der kurze Weg zur Küche in einen langen Gang, an dessen Wänden kühles Metall schimmerte. Auf der linken Seite jedoch waren breite, aus dickem Glas bestehende, Fensterscheiben hinter denen die Schwärze des Weltalls zu sehen war. Inmitten dieser Finsternis funkelten unzählige Sterne und besonders groß... jener Stern, der einer Christbaumkugel nicht unähnlich sah... die Erde.

Ein schmaler Lichtstreifen fiel aus der offenstehenden Tür zum Computerraum. Wahrscheinlich hatte es jemand versäumt sie ganz zu schließen. Doch hinter dieser Tür ertönte das leise Lied... "Dance of the Shugar- Plum Fairy", von Tschaikowsky... Ja, Hiiragi erinnerte sich, es heute erst auf den Hauptcomputer geladen zu haben. Es hatte Mokuren wieder besonders gut gefallen, wie vieles, was von der Erde kam.

Aus irgendeinem Grund, Hiiragi wusste selbst nicht mehr genau, was es gewesen war, hatten sie die Vorstellung abbrechen müssen.

Ob Mokuren sich heimlich in den Computerraum geschlichen hatte, um das Lied zuende zu hören? Vielleicht konnte sie auch nicht schlafen, weil Shion wieder grob mit ihr umgesprungen war...

Daisuke blinzelte etwas verwirrt. Ja... es hatte eine Zeit gegeben, da schien es tatsächlich so, als hasse Shion Mokuren von ganzem Herzen. Warum nur? Wie konnte ein Mann dieses wunderschöne Geschöpf verabscheuen?

Hiiragi blieb vor der Metalltür stehen.

Sicher, man konnte sie elektronisch auf und zu fahren, allerdings auch einen kleinen Spalt offen stehen lassen. Die Sensoren an den Türen erkannten jeden der sieben Forscher sofort und gewährtem ihnen ohne Weiteres Einlass. So ließen sich übrigens auch die Privaträume jedes Einzelnen vor ungewolltem Besuch verschließen.

Man musste nicht einmal, wie früher, die Hand auf einen Sensorpunkt legen, damit der Computer die Fingerabdrücke und Beschaffenheit der Haut analysieren konnte und dann erst den Eintritt freigeben würde.

Shion selbst hatte dieses System als "altmodisch und ungebräuchlich" verworfen und neue Sensoren entwickelt. Diese waren so präzise abgestimmt, dass sie schon die Luft um die jeweilige Person filterten und nicht erst sekundenlang analysieren mussten.

Vielleicht war es ja sogar weniger der gute Willen des Technikers, sondern viel mehr sein schlechtes Gewissen gewesen, das ihn zu dieser Entwicklung antrieb.

Shion hatte sich einmal die Hand bei der Arbeit verletzt und musste daher über eine Minute lang warten, bis der Sensor an der Tür ihn in sein Zimmer ließ. Das hieß... so weit kam es noch nicht einmal, da hatte der Techniker schon die Geduld verloren und das Gerät mit einem Faustschlag außer Gefecht gesetzt und sich dann fluchend an die Neuentwicklung gemacht.

Das Ganze hatte sich als sehr viel weniger einfach herausgestellt, als es sich vielleicht anhören mochte: durch seinen Wutanfall hatte Shion nicht nur den Sensor seiner Tür, sondern gleich den Versorgungscomputer außer Gefecht gesetzt, sodass die sieben Forscher drei Tage lang kein Licht hatten.

Hiiragi erinnerte sich mit einigem Unbehagen an diese drei Tage. Nicht einmal der Notstrom hatte sich einschalten lassen, sodass sie wirklich im Dunkeln saßen und es ihnen nichts anderes übrig blieb als abzuwarten...

Und Gyokuran zuzuhören, der ein neues Spektrum für Verwünschungen und (weniger schmeichelhaften) Bezeichnungen für Shion neuentdeckt zu haben schien. Glücklicherweise bekam der Techniker davon nichts mit, da er mindestens in der doppelten Lautstärke in seiner Werkstatt herumwetterte. Hin und wieder musste ihm wohl der Kragen geplatzt sein, was Geräusche verrieten, die eindeutig von vor Wut an die Wand geworfenen Gegenständen stammten.

Hiiragi erinnerte sich, dass selbst die zurückhaltende Enju einmal auf Gyokuran losgegangen war und ihm versprach, ihn und Shion durch die Schleuse in den Weltraum hinauszuwerfen, wenn sie nicht endlich Ruhe gäben.

Für eine Weile wirkte diese Drohung sogar und in der Ferne ertönte nur der Lärm, den Shion veranstaltete.

Hiiragi erinnerte sich noch gut daran, wie er selbst versucht hatte, die Computer zu reparieren (was, wie er sich neidlos eingestand, Shion ohne Weiteres besser geglückt wäre).

Ja, er hatte es nach einer Weile sogar geschafft, dass sich die Luftzufuhr wieder einstellte, sodass sie wenigstens nicht elendig ersticken mussten.

Dann endlich war es soweit gewesen und Shion hatte ihnen stolz seine Erfindung präsentiert... nachdem er einen erneuten Wutanfall bekommen hatte, da der ganze Laden ja keinen Strom hatte, um überhaupt zu funktionieren. In diesem Moment hatte Shukaido energisch den Raum verlassen und war mit einer doppelten Dosis Beruhigungsspritzen auf den Techniker und Gyokuran losgegangen (wofür ihm Hiiragi und der Rest der Crew recht dankbar gewesen waren).

Anschließend war es sehr still geworden, bis mit einem plötzlichem "Plick" das Licht wieder angegangen und Shion in den Raum gekommen war.

Alle hatten anerkennend zugegeben, dass diese neue Erfindung um einiges komfortabler war. Immerhin musste man ja ab und zu schwere Gegenstände transportieren und nun musste man sie nicht erst umständlich absetzen und wieder aufheben, wenn man einen Raum betreten wollte.

Man konnte, Dank der neuen Sensoren, der Tür sogar anzeigen, wie weit sie aufzugehen hatte, sodass man selbst mit der breitesten Kiste keine Probleme mehr hatte.

Nur... warum sollte jemand die Tür hinterher nicht wieder zuschließen?

Noch immer ertönten die sanften Klänge der "Zuckerfee" im Raum dahinter und Hiiragi trat endgültig an die Tür heran, sodass sie sich beinahe geräuschlos auftat.

Daisuke blinzelte überrascht.

In der Küche schien kein Licht, bis auf das des sanften Mondscheins, der durch das Fenster hereinfiel. Auf dem Küchentisch stand ein rechteckiger Kasten, dessen Deckel hochgeklappt war und einen kleinen Spiegel auf der Innenseite hatte. In diesem Kasten stand auf einem kleinem Podest die kleine Figur einer tanzenden Puppe. Eine Ballerina mit strengem Dutt in einem roséfarbenem Kleid und engen Tanzschühchen...

Hiiragi blickte die Spieluhr wortlos an. Sie gab keinen Ton von sich, es war vollkommen still im Raum.

Kopfschüttelnd wandte sich der Junge ab und begann leise in der Schublade des Küchenschranks zu suchen. Nach kurzer Zeit hatte er eine nagelneue Glühbirne herausgekramt und hielt sie mit einem leichtem Triumphgefühl in die Höhe.

... Als der goldene Sand fließt...

Der Junge drehte sich überrascht um. Woher kamen diese Worte?

Er kannte sie... von irgendwoher...

Ach, das war schon lange her, noch bevor er die Leitung der Z- KK 101, ihrer Station auf dem Mond, übernommen hatte. Die 101 Zentrale, für KK... für die Erde!

Als der goldene Sand fließt...

Hiiragi musste nicht lange überlegen, um sich an jenen milden Tag im Frühjahr zurückzuerinnern. Es war der Tag, an dem die Sujelimaner ihrer Gottheit gedenken. Mokuren war eine von ihnen gewesen und hatte an diesem Tag das traditionelle Gewand der Priesterinnen getragen. Magnolienweiße Tücher, Schleier... Schmuck und Ketten, allerdings nicht überwiegend prunkvoll und doch... würdig zu fiesem Anlass.

Als der goldene Sand fließt, zieht der geräuschlose Traum herum.

Die rosafarbenen Blüten der Kirschbäume umher waren vom sanftem Wind sacht über die Menge der Zuschauer geweht worden. Viele hatten sich in den Gewändern und Haaren der jungen Priesterinnen verfangen und schmückten sie, als seien auch sie ein Gruß von Sujelim.

Die gesamte Crew der Z-KK 101 hatte sich zu diesem Anlass selbstverständlich versammelt, um Mokuren zuzuschauen.

Hiiragi selbst wusste nicht ganz genau, ob es nun Zufall war, dass sie an diesem letzten Tag, der ihnen noch auf ihrem Heimatplaneten geblieben war, zu diesem Fest gekommen waren oder nicht. Er hatte die alte Hohepriesterin ja im Verdacht... irgendwie hatte der junge Mann das Gefühl gehabt, dass sie es so geplant hatte.

Doch warum nicht?

Sujelim würde sicherlich erfreut über diese Darbietung sein und den Segen dieser Gottheit auf der Expedition zu haben war ein beruhigender Gedanke.

Hiiragi hörte Mokuren an diesem Tag zum aller erstem Male singen. Schon vorher war ihm die Schönheit der jungen Frau aufgefallen und er gestand sich auch ein, ein wenig in sie verliebt zu sein. Doch an diesem Tag hörte er zum ersten Mal den Gesang dieser Frau. Ihre Stimme war so rein, wie die Natur selbst.

Sie war, wie das Wasser, der Wind in den Bäumen über ihr, die sanften Blätter der Blumen... und wie Sujelim.

Hiiragi hätte es selbst nicht richtig sagen können... aber an diesem Tag war irgendetwas mit ihm geschehen, das er unmöglich beschreiben konnte.

Von diesem Tag glaubte er ernsthaft an Sujelim.

Cha-sa Fu-raa ti- rei aa... Cha-sa Fu-raa ti- rei aa...

Mokuren, du bist hier...?
 

Hiiragi wusste selbst nicht ganz, wie er in dieser Nacht zurück in sein Bett gefunden hatte, doch als er am nächstem Morgen aufwachte, lag er auf seinem zusammengeknautschtem Kissen und hatte dröhnende Kopfschmerzen.

"Nie wieder Fisch zum Abendessen!", brummte er.

Den ganzen Tag über schien der Junge nicht ganz er selbst zu sein, so sehr schweiften seine Gedanken herum. Es war fast, als hätte sich der hölzerne Deckel einer Falltür geöffnet und ließ nun etwas völlig neues, fremdes und doch so vertrautes entkommen.

Wenn er jedenfalls ein bisschen neben sich stand, so bemerkte es Hiiragi' s Arbeitsgruppe nicht. Er vertrat wieder seine typische Haltung als Anführer, gab den anderen ihre Anweisungen und sah' zu, dass er selbst fertig wurde.

Die ganze Zeit über konnte er keinen recht klaren Gedanken fassen, als wäre er nicht er selbst oder in einem Traum verstrickt.

Er wusste selbst nicht, wie er diesen Tag hinter sich gebracht hatte, doch mit einem Mal wurde Hiiragi bewusst, dass er hellwach war. Verwirrt blieb er einen Moment stehen und wurde prompt von einigen Passanten angerempelt.

"Passen sie doch auf!"

"Bitte vielmals um Verzeihung...", murmelte der Junge erschrocken und ließ den Mann und seine vier Begleiter vorbei gehen.

"He, haben wir uns nicht schon einmal gesehen?", fragte dieser plötzlich und musterte den Jungen genau.

Hiiragi hatte Mühe seine Gedanken auf die große Gestalt vor sich zu richten, doch als es ihm gelang fuhr er überrascht zusammen.

"Ja , aber sie sind doch Herr Tamura.", stellte er fest.

Tamura nickte. "Ja, jetzt erkenne ich dich wieder. Du bist doch einer von Haruhiko' s Freunden von früher, nicht wahr?"

"Mein Name ist Dobashi. Dobashi Daisuke.", nickte Hiiragi erfreut. " Wie geht es Haruhiko-kun?"

"Seine Gesundheit hat in letzter Zeit etwas gelitten.", seufzte Tamura. " Aber bitte... wenn sie Zeit haben, können wir uns auch gerne irgendwo hinsetzen."

"Aber Boss.", rief einer der vier Schlägertypen, die Tamura begleitet hatten. "Wir sollten doch dem jungen Herrn Takashi das Abendessen kochen!"

Ohne mit der Wimper zu zucken drückte Tamura dem Kerl die große Einkaufstüte, die er bisher getragen hatte, auf den Arm und drehte sich demonstrativ um.

"Es ist noch nicht sechs Uhr, ich werde rechzeitig zuhause sein.", meinte er leichthin und winkte etwas genervt ab.

"Aber Tamura-san..."

"He, bist du taub?", fragte der große Mann etwas gereizt zurück. "Ihr haltet hier nur die Leute auf; die wollen auch langsam nachhause. Also macht, dass ihr wegkommt! Wenn ich sage, dass ich pünktlich da bin, meine ich das auch so, verstanden?"

"J... ja Boss, sind schon weg!"

Hiiragi konnte sich ein überraschtes Lächeln nicht ganz verkneifen, als er die vier Männer im Schlägeroutfit vor dem eher geschäftsmännisch gekleidetem Tamura aus dem Staub machten.

"Alles muss man hier zwei Mal sagen... am besten, ich schreibe es noch in dreifacher Ausfertigung.", seufzte Tamura, nickte Hiiragi aber schon wieder freundlich zu.
 

"Man hat es nicht immer leicht mit seinen Untergebenen.", lächelte der Mann entschuldigend und schob seine Kaffeetasse etwas über den Tisch.

"Das kann ich mir gut vorstellen.", nickte Hiiragi. Was allerdings mehr der Wahrheit entsprach, als Tamura vielleicht ahnen mochte. Dieser hatte den Befehlston sofort nach dem Verschwinden der vier jungen Männer abgelegt und sprach eher freundlich zu seinem jungen Gast.

"Bestell dir, was du willst, ich lade dich ein.", hatte Tamura gleich nach dem sie sich an einen Tisch gesetzt hatten eröffnet. Und Hiiragi hatte dankend angenommen.

Ein bisschen Abwechslung konnte ihm jetzt nicht schaden, überlegte er und bestellte Mandarinentee.

"Ach ja, du fragtest nach Haru- chan...", Tamura setzte seine Tasse ab und schien kurz zu überlegen.

"Nun ja... es ging ihm schon mal besser, denke ich. Neulich hatte er wieder einen Herzanfall und seine Mutter erzählte, dass er neuerdings wieder im Schlaf spricht...", Tamura verschränkte die Hände unter dem Kinn und blickte Hiiragi nachdenklich an.

Daisuke ahnte, dass jetzt mit garantierter Sicherheit eine Frage zu dem "Moondream" (wie er selbst diese Träume nannte) kommen musste. Doch es schien, als habe Tamura sich doch noch um entschieden und beendete seinen Satz ein bisschen anders.

"Nun ja, das tut er ja von Zeit zu Zeit.", lächelte er etwas hilflos.

Hiiragi nickte nur und lächelte zu seiner eigenen Überraschung sogar etwas. "Ja, das war eine von Shukaido' s Eigenarten, kein Grund zur Sorge. Solange er nicht unhöflich von seinen Mitmenschen spricht..."

Tamura lachte leise auf. "Das wäre ihm bestimmt sehr peinlich, glaube ich."

Nach der relativ kurzen Unterredung musste sich Takashi' s Aufpasser auch schon wieder verabschieden, da er keine große Lust verspürte, eine Rockerbande vor dem Café auflaufen sehen zu müssen.

"Grüßen sie Haruhiko- kun von uns allen.", meinte Hiiragi zum Abschied und Tamura versprach es ihm.
 

Es war bereits Nachmittag , als Hiiragi das nächste Mal auf die Uhr schaute. Seine Hausaufgaben waren erledigt und er hatte sogar noch für die nächste Englischarbeit lernen können.

Trotzdem kam er sich auf irgendwie unerklärliche Weise sehr leer vor. Als hätte er hier nichts mehr zu tun, als der Zeit beim vorüberziehen zuzuschauen...

... zieht der geräuschlose Traum umher...

Plötzlich hörte Hiiragi das Telefon im unterem Stockwerk klingeln. Zuerst wollte er einfach sitzen bleiben, doch dann fiel ihm ein, dass seine Eltern ja bei Freunden zum Abendessen eingeladen waren und daher niemand, außer ihm, im Haus war.

Eilig lief er die Treppe hinunter und nahm neugierig den Hörer von der Gabel.

"Ah, Hiiragi, bist du's?", ertönte eine helle Mädchenstimme am anderen Ende der Leitung.

"Hallo, Shusuran."

"Hallo! Gut, dass du da bist, Chef. Enju und ich sind gerade zufällig in der Gegend. Hättest du nicht Lust einen Tee mit uns zu trinken?", fragte das lebhafte Mädchen.

Hiiragi überlegte nicht erst lange: das leere Haus hatte plötzlich etwas Unangenehmes an sich.

"Ja, also Tee bei mir? Meine Eltern sind nicht da und sie lassen das Haus nicht gern unbemannt zurück."

"Also gut, wir kommen.", verabschiedete Shusuran sich fröhlich und legte im nächstem Moment schon wieder auf.

Einen Moment noch hielt Hiiragi den Hörer in der Hand und blickte etwas verständnislos darauf hinab. Shusuran' s spontane Art war manchmal etwas gewöhnungsbedürftig.

Trotzdem freute sich Hiiragi auf das Treffen mit ihr und Enju, es würde ihn ein bisschen von seinen seltsamen Gedanken abbringen.

Der Junge ging in die Küche, setzte Wasser für Tee auf und fand sogar eine Schachtel Kekse, die er seinem Besuch anbieten konnte.

Er hatte gerade alles auf sein Zimmer gebracht und vorsichtshalber noch einige seiner Sachen in den Schrank gepackt (immerhin erwartete er ja Damenbesuch), als unten bereits die Türklingel ging.

Hiiragi war etwas verwundert. Hatte er wirklich so lange für diese paar Vorbereitungen gebraucht, oder hatte er jetzt jegliches Zeitgefühl verloren?

Eine Unterhaltung mit Shusuran würde ihm wohl schnell den Kopf zurechtrücken!

Zumindest aber lenkte ihn der Besuch von ihr und Enju Hiiragi gehörig ab. Hatte Issei schon immer so ein mädchenhaftes Gesicht gehabt, oder lag es daran, dass er einen ungewöhnlich langen Pony hatte?

Tatsächlich wurde die Frisur des Jungen auch wenig später ein Hauptgesprächsthema und Shusuran kam natürlich nicht darum herum, ihn damit gehörig aufzuziehen.

"Siehst' aus, wie ne' Frau!", warf sie ihm vor.

"Stell dir nur vor, Hiiragi!", wandte sie sich dann aufbrausend an den Jungen. "Neulich, als er mich einmal besucht hatte, fragte mich meine Mutter hinterher, wer denn das hübsche Mädchen gewesen sei'! Also wirklich, das wird immer peinlicher!"

"Schau dich selbst doch einmal an.", verteidigte Issei sich patzig. "Du erinnerst mich mit deinen langen Haaren eher an Enju!"

"Na und?! MIR steht es ja zu, meine Haare so lang zu tragen, wie ich will! Ich BIN nämlich eine FRAU, kapiert?!"

"Also... ihr seid hergekommen, um euch bei mir über eure Haare streiten zu können?", fragte Hiiragi etwas verwirrt.

Shusuran schnappte empört nach Luft, während Enju Hiiragi rasch einen dankbaren Blick schenkte. Offenbar war er mit der Situation eindeutig überfordert.

"Grmpf!", machte Shusuran schließlich. "Natürlich nicht. Immerhin kannst du da ja nicht viel mitreden..."

"Herzlichen Dank...", grinste Hiiragi ein wenig schief und spürte schon, wie ihm ein dicker Schweißtropfen die Schläfe herablief.

"Ich habe heute übrigens Tamura- san getroffen...", fuhr er fort, wurde allerdings sofort von Shusuran unterbrochen.

"Was, ehrlich?! Wie geht es ihm denn?", fragte sie voller Eifer.

"Gut, denke ich..."

"Aaach, hast du wieder ein Glück! Man kann diesen wunderbaren Mann ja nicht ohne dass ihn eine Meute Jakuza begleitet antreffen!"

"Nun, ich auch nicht...", meinte Hiiragi etwas verlegen. "Er hat sie heimgeschickt, um mit mir einen Tee trinken zu können."

"Hast du Glück!", rief Shusuran und schlug sich die Hände auf die Wangen.

"Na ja... es waren nur ein paar Minuten, in denen wir eher über Shu gesprochen haben..."

"Ooooh, was würde ich für eine Minute seiner kostbaren Zeit geben...", schwärmte Shusuran.

Issei bekam ein leichtes Zucken in der Schläfe.

"Und mich schreit sie an, wenn ich mal vergesse meine Haare schneiden zu lassen...", witzelte er etwas hilflos. "Hättest du bloß nicht von diesem Tamura angefangen... jetzt gibt es für die nächsten Stunden kein anderes Thema mehr für sie."

"Pf, nun tu' doch nicht so! Als wäre ich die einzige, die an einem Kerl interessiert wäre, du..."

"Ist ja gut Shusuran!", fuhr Issei auf einmal etwas energisch auf.

Hiiragi blickte den sonst so zurückhaltenden Jungen überrascht an, schwieg jedoch und begann allen Tee einzuschenken.

"Shu geht's nicht besonders, glaube ich..."

"Das wundert mich nicht.", murmelte Issei stirnrunzelnd. "Oder hat Shion ihn etwa...?"

"Ich weiß nicht. Er spricht wieder im Schlaf... aber diese Marotte kennen wir ja von ihm. Er träumt dann meist wirres Zeug aus seiner Kindheit, er ist ja schon lange krank..."

Shusuran hatte sich wieder beruhigt und nahm sehr damenhaft einen Schluck aus ihrer Teetasse.

"Als er das letzte Mal unruhig geschlafen hat, musste Issei ihn allerdings aus dem Tamagawa ziehen... um ein Haar wären sie beide ertrunken und dann kam Herr Tamura..."

"...und hat uns beide rausgezogen. Ja, ich weiß.", grollte Issei etwas genervt. "Die Geschichte setzt allmählich Staub an, findest du nicht?"

"Jedenfalls...", sagte Hiiragi hastig, um ein erneut aufzulodern drohendes Streitgespräch zwischen den beiden Freundinnen (er verbesserte sich in Gedanken: zwischen den beiden) gar nicht erst entstehen zu lassen.

"Jedenfalls, glaube ich nicht, dass er damit so ganz alleine dasteht.", meinte der Junge und räusperte sich leise.

Shusuran hob eine Augenbraue und blickte Hiiragi fragend an. "Willst du damit sagen, dass du auch neuerdings Lust bekommst, nachts schwimmen zu gehen?"

"Das nicht...", lächelte Hiiragi verlegen. "Ich schlafe nur recht unruhig in letzter Zeit... und immer, wenn ich aufwache, sehe ich vor meinem innerem Auge die Erde und starre den Mond an. Es ist... als hätte ich zum Beispiel meinen Schal irgendwo liegen lassen und müsste nun dauernd an den Ort denken, wo ich ihn verloren habe..."

Schweigen herrschte zwischen den drei Jugendlichen.

Nach einer Weile meldete Enju sich sehr zaghaft zu Wort:

"Ich ...habe auch wieder häufiger den Traum von früher... außerdem fühle ich mich irgendwie lustlos in letzter Zeit..."

Shusuran warf dem Jungen einen sehr prüfenden Blick zu, dann nickte sie jedoch.

"Und ich dachte, damit stände ich alleine da..."

"Und was ist wohl mit den anderen? Ich meine, wenn Shu... also Shukaido, Du- Hiiragi, Shusuran und Ich selbst schon so unruhig geworden sind, wie mag es dann wohl Alice- san, Shion und Jinpachi ergehen?"

"Ich schätze ähnlich.", murmelte Hiiragi und zog ein ernstes Gesicht. "Ich denke... es würde helfen, wenn wir alle uns mal wieder treffen könnten... möglichst, ohne dass gleich wieder die Fetzen fliegen."

"Soviel ich weiß, haben Shu und Shion Waffenstillstand.", meinte Shusuran stirnrunzelnd. "Und diesen Angeber Jinpachi... ja, ist gut Enju! Ich meine... dieser Blödmann wird sich wohl einmal beherrschen können, oder?"

"Wie stellst du dir das vor?", meinte Enju ein wenig verärgert. "Der kriegt doch schon das Hassfunkeln in den Augen, wenn er nur Shion' s Namen hört. Wie soll das noch einmal gut gehen?"

"Oh, wenn Mokuren dabei ist...", lächelte Hiiragi ungewohnt listig. "Ist bisher noch kein großartiger Streit aufgekommen... jedenfalls nicht hier auf der Erde..."

"Dann gilt es !", beschloss Shusuran energisch. "Enju wird ein bisschen herumtelefonieren... Gyokuran wird Mokuren informieren und dann weiß es auch Shion..."

"Ich werde mich mit Shu in Verbindung setzen.", nickte Hiiragi. "Es nutzt doch nichts, wenn wir alle nicht endlich unsere alten Fehler einsehen..."

"Ja.", nickte Enju.

Shusuran sah in diesem Moment aus, als würde ihr etwas spitzes auf der Zunge liegen, doch ausnahmsweise beherrschte sie sich einmal vorbildlich.

Keine alten Fehler mehr...

"Es dämmert schon...", murmelte Shusuran. "Und ich muss noch mein Zimmer aufräumen.", fügte sie mit einer Grimasse hinzu. "Ich schlage vor, dass wir alles Weitere zusammen besprechen."

Hiiragi und Enju nickten gleichzeitig.

"Nun ja... es ist auch schon etwas später geworden.", murmelte Issei ergeben. "Und wenn ich heute Abend noch telefonieren will, muss ich mich beeilen, bis meine Schwester nachhause kommt.", er verdrehte die Augen. "Kyoko ist manchmal echt eine Nervensäge!"

"Gut.", schaltete Hiiragi sich schließlich selbst ein. " Dann weiß ja jeder, was wir zu tun haben... wo wollen wir uns treffen? Es sollte möglichst ein Ort sein, den jeder kennt."

Shusuran überlegte kurz, dann breitete sich ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht aus. Sie blickte Enju triumphierend an und Issei nickte.

Hiiragi brauchte nun auch nicht mehr großartig zu überlegen, um den Treffpunkt nennen zu können.

"Also dann... auf dem Tokyo Tower."
 

Nachdem die beiden Mädchen (Hiiragi und die Autorin hatten inzwischen aufgegeben, sich in Gedanken zu verbessern) gegangen waren, war es im haus wieder unheimlich still geworden.

Der Junge wusch ab und räumte das Teegeschirr anschließend wieder in die Schränke.

Mutter und Vater würden wohl noch eine Weile wegbleiben, manchmal kam es auch vor, dass sie bei ihren Bekannten übernachteten. Die Familie Subaru wohnte immerhin eine ganze Ecke weit weg, von daher lohnte sich der Aufwand einer langen Anfahrt nicht für so kurze Zeit.

Wir wollen keine alten fehler mehr begehen...

Hiiragi ging auf sein Zimmer und baute ganz selbstverständlich das Fernrohr auf der Fensterbank auf. Es war ihm fast schon zur zweiten Natur geworden, dachte er etwas verblüfft.

"Ah, Theta Bootis aus dem Bärenhüter, Höhe 62°03', Azimut 109°49, ist schon gut zu erkennen.", stellte Daisuke fachkundig fest.

"Hiiragi...", murmelte er. "Bist du das, der mir diese Daten nennt?"

Wie konnte er fragen!

Er- Daisuke, war doch Hiiragi... das war sein eigenes Wissen, welches er dort anwenden konnte. Und trotzdem... es war fast, als wäre Daisuke doch noch ein anderer, dem Hiiragi wieder und wieder etwas sagen wollte, es aber nicht schaffte, zu dem anderem durchzudringen.

Da ist etwas, das ich vergessen habe... dachte der Junge nachdenklich und machte mit dem Fernrohr einen Schwenk, sodass er den Mond nun im Visier hatte.

Es ist wirklich, als hätte ich an einen Schal irgendwo liegen lassen und müsste nun immer an den Ort denken, wo ich ihn verlor.

Angestrengt beobachtete Hiiragi den Mond über sich. Dort waren die vielen runden Krater, für die manche das Bild eines Häschens bilden mochten... und dort jenes Meer der Stille...

Wenn er gewollt hätte, könnte Hiiragi jeden Hügel und jedes Tal dort oben beim Namen nennen. Er... kannte diesen Ort einfach zu gut.

Und dann war da wieder dieses feine Sehnen... diese Bitte, dieser eine Wunsch:

Ich will zurück.

Doch nein. Daisuke rief sich selbst zur Ordnung.

Keine alten Fehler mehr, das hatten sie heute gesagt. Es durfte einfach nicht alles noch mal passieren. Daisuke wusste, dass er keines Weges die volle Wahrheit über das wusste, was damals auf dem Mond geschehen war. Es gab viele Dinge, die Hiiragi hatte verdrängen müssen und lieber vergessen wollte, als sich daran erinnern zu müssen.

Doch wofür waren die Erinnerungen an ein früheres Leben gut, wenn man nicht alles wusste?

"Hiiragi...", murmelte der Junge leise. "Bitte... wenn du weiter von mir Besitz ergreifst, dann zeig' mir auch das, was du selbst nicht sehen willst."

Doch nein... Daisuke hob erschrocken den Kopf und fixierte den Mond, als hätte etwas dort oben seine Aufmerksamkeit erregt.

Ich bin doch Hiiragi... dachte der Junge verwirrt. Dann will ich selbst mich also nicht an diese schlimmen Dinge erinnern?

Doch eines wusste er... er hatte als Anführer auf dem Mond versagt.

Ihm war die Aufgabe auferlegt worden, auf die anderen Wissenschaftler zu achten, er war ich Chef gewesen und... und trotz allem, hatte er sie nicht vor dem Virus schützen können, dass sie alle schließlich dahingerafft hatte.

Hiiragi war als dritter an der Krankheit gestorben...

Es war bitter für ihn, sich erst richtig daran zu erinnern. Doch er wusste, dass es keinen anderen Weg gab... nur so konnte er endlich das richtige tun.

Wir dürfen... wir dürfen nicht... wir dürfen keine alten Fehler mehr begehen.

Daisuke erinnerte sich wieder. Und der Gedanke daran hatte dieselbe Auswirkung, als würde er in ein schwarzes Loch ohne Boden blicken.

Hiiragi war der Verantwortliche für die ganze Mission gewesen und hatte alles in seiner Macht stehende getan, um den anderen ein guter Anführer zu sein.

"Vergebens", hörte der Junge sich selbst aufschluchzen.

Auch heute noch war es bitter für ihn, sich das einzugestehen...

Er hatte die Verantwortung für die anderen sechs Forscher gehabt und sie nicht mal vor einem Virus retten können. Doch statt wenigstens bis zum Schluss ausharren zu können, war er direkt nach Shusuran gestorben und konnte Enju, Shukaido, Shion und Mokuren nicht einmal mehr Mut machen!

Er selbst war an seiner Hilflosigkeit verzweifelt und wie gelähmt unfähig geworden irgendetwas für sie zu tun.

Hiiragi erinnerte sich an einen Teil der Debatte zwischen den sieben Forschern zurück. Es hatte sich alles darum gedreht, ob man nicht vielleicht doch auf die Erde gehen könnte...

Nachdem der Interstellare Krieg ihre Heimat und deren gesamtes Sternensystem ausgelöscht hatte, war es scheinbar sinnlos gewesen, noch weiter auf dem Mond auszuharren und voller Sehnsucht auf die Erde zu schauen.

Doch er selbst- Hiiragi- hatte darauf beharrt, dass sie die Erde bis zuletzt beobachten mussten, egal was geschehen würde. Die anderen hatten ihm wieder zugestimmt... was für ein Gefühl war das gewesen, als sie ihm ihr Leben in die Hand legten. So viel Vertrauen zu ihm...

Doch dann war alles wieder von vorne losgegangen und da selbst Sujelim lehrte, dass die Fortpflanzung der eigentliche Sinn und die Pflicht eines jeden Lebewesens war, hatte man darüber diskutiert vielleicht Kinder auf der Erde auszusetzen.

Hiiragi hatte es später nicht genau sagen können, doch je mehr er darüber nachgedacht hatte, desto mehr war er zu der Ansicht gekommen, dass Sujelim selbst sie mit einer Strafe belegt haben musste.

Denn mitten in der Zeit zwischen diesen Debatten hatte sich der Erreger unter den Forschern eingenistet.

Jetzt war es undenkbar geworden auf die Erde herabzusteigen und das Leben dort durch diese Krankheit zu gefährden. Wenigstens darin war man sich völlig einig gewesen...

Daisuke stützte den Kopf schwer in die Hände.

Einmal hatte Jinpachi ihn etwas sehr seltsames gefragt: "Warum sind wir wiedergeboren worden?"

Daisuke hatte sich das auch schon oft gefragt, aber seine einzige Antwort darauf war und würde wohl immer: "Wenn wir das wüssten, bräuchten wir keinen Sujelim mehr.", gewesen.

Wir dürfen keine alten Fehler mehr begehen...

Wir dürfen einfach nicht zulassen, dass dieses neugeschenkte Leben von den Fehlern ihrer Vergangenheit aufgefressen würde.

"Doch genau das tust du ja gerade...", flüsterte eine leise Stimme in Daisuke' s Kopf.

War das Hiiragi?

Daisuke war durcheinander und blickte wieder verwirrt zum Mond hinauf. Dort oben war noch etwas, das er vergessen hatte mitzunehmen...

Plötzlich traf ihn die Erkenntnis mit der Wucht einer Dampfwalze.

Natürlich!

Er zerfraß sich selbst immer wieder mit den selben Worten: "Wir dürfen keine alten Fehler mehr begehen...", aber genau das tat er doch die ganze Zeit damit!

Er raubte sich selbst den Mut und die Hoffnung an die Zukunft, genau, wie es ihm auf dem Mond passiert war!

Anstatt zu sagen, dass sie (und vor allem er selbst!) keinen Fehler begehen durften, sollte er besser sagen: Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen!

"Wir haben noch eine Mission zu erfüllen!", sagte der Junge laut und streckte den Arm aus dem Fenster, als wolle er nach den aufgegangenen Sternen des Nachthimmels greifen.

"Stern Asterion, aus dem Sterneichen der Jagdhunde, scheinbare Helligkeit 4.32 Größenklassen, gelber Hauptreihenstern!"

Plötzlich durchströmte Hiiragi wieder das alte Wissen um seine verborgenen Kräfte und mit einem bloßem Zusammenballen der Fäuste gelang es ihm, mühelos aus dem Fenster zu schweben und unten sanft auf dem Bürgersteig zu landen.

Er blickte sich entschlossen um und rannte ohne Pause den nächsten halben Kilometer bis zur nächsten Bahnstation.

"Wie komme ich auf dem schnellstem Weg von Kawasaki nach Tokyo?!"



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  june-flower
2006-10-08T19:13:49+00:00 08.10.2006 21:13
Hey, das ist echt toll....
Ich mag deinen Stil! Besonders, wie du immer zwischen den Charakteren hin und herwechselst, das geht so fliessend und ist toll zu lesen!

Alles liebe, june
Von: abgemeldet
2002-10-22T14:15:42+00:00 22.10.2002 16:15
Hi ^_________^

Also ein ganz dickes fettes Lob an dich,diese Story ist echt klasse!!!
Ich hab ja ziehmlich lange gebraucht ehe ich endlich zeit hatte sie zu lesen, aber wie du siehst habe ich es trotzdem noch gepackt ^___^
Es war sicherlich ausgesprochen schwer über ihn zu schreiben, da er ja in der Story allgemein viel zu kurz kommt, deswegen finde ich es super das du trotzdem so gut über ihn schreiben konntest

*knuddl*
cherry


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