Glücksbringer
Subaru wurde wieder einmal von seiner Schwester überrascht, die bester Laune in seine Wohnung kam und ein Päckchen mit Kuchen auf dem Küchentresen abstellte.
„Hokuto-chan, kannst du nicht wenigstens klingeln, wenn du schon nicht vorher Bescheid sagst, dass du kommst?“, seufzte Subaru und ließ sich auf einem der Tresenhocker nieder.
„Darf ich nicht einmal meinen eigenen Bruder besuchen, wenn ich Lust dazu habe?“, entgegnete Hokuto gespielt übertrieben empört, während sie dabei war, die lecker aussehenden Stücke Sahnetorte auf drei Teller zu verteilen.
„Erwartest du noch jemanden?“, fragte er sie daraufhin, denn schließlich waren sie nur zu zweit.
„Was für eine Frage, Sei-chan kommt natürlich auch!“, gab Hokuto wie selbstverständlich zurück.
„Aber er muss doch bestimmt arbeiten.“, protestierte Subaru.
„Er hat heute seinen kurzen Tag und für seinen Schatz macht auch gerne einmal früher Schluss.“, lächelte Hokuto begeistert.
„Hokuto…“.
Es war offensichtlich, dass es Subaru nicht gefiel, dass er Seishiro schon wieder belästigte. Hokuto konnte es einfach nicht lassen.
Jedoch kam er auch nicht mehr dazu, sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen, denn in diesem Moment klingelte es auch schon und Hokuto war sofort zur Tür gesprungen.
„Wieder einmal ein sehr herzlicher Empfang Hokuto-chan.“, lächelte Seishiro diese an, die ihn Arm in Arm in die Küche zu Subaru geleitet hatte, der verlegen aufgestanden war.
„Es tut mir wirklich Leid, dass du früher deine Klinik schließen musstest.“, entschuldigte er sich und verbeugte sich dabei tief.
„Aber aber.“, winkte Seishiro mit einem sanften Lächeln ab, „Wenn mein Schatz nach mir ruft, lass ich doch sofort alles stehen und liegen und eile zu ihm.“.
„Das ist die richtige Einstellung Sei-chan.“.
Hokuto und Seishiro lächelten sich beide freundlich an, während Subaru sich, erneut seufzend, wieder setzte.
„Also Hokuto-chan, was hast du nun wieder vor, damit sich Subaru-kun endlich in mich verliebt?“, fragte Seishiro sie, nachdem er sich neben Subaru an den Tresen gesetzt hatte.
„Ich habe eine grandiose Entdeckung gemacht, also Kopf hoch Sei-chan, nach dem heutigen Tag wissen wir sicher, ob du Subarus Herz erobern wirst oder nicht!“.
Seishiro lächelte zufrieden, während Subaru lieber nicht wissen wollte, worum es sich dabei handelte.
Hokuto hatte in der Zwischenzeit Kuchengabeln aus einer Schublade hervorgeholt und servierte nun ihre mitgebrachte Sahnetorte.
„Aber vorher sollten wir noch etwas essen, das steigert die Laune und die Spannung.“, meinte sie.
„Du denkst wirklich an alles.“, erwiderte Seishiro, der sich das nicht zweimal sagen ließ und sofort einen Bissen von dem gut aussehenden Kuchen probierte. Subaru folgte ein wenig zögerlich seinem Beispiel, doch schließlich mussten alle zugeben, dass die Torte hervorragend schmeckte.
Hokuto war sehr zufrieden, denn während des genüsslichen Essens hatte Seishiro von seiner Arbeit erzählt, was Subaru natürlich immer sehr interessierte. Dafür dachte er nicht mehr an Hokutos Vorhaben, weswegen der Überraschungsmoment auf ihrer Seite lag und Subaru nicht entkommen könnte.
Nachdem sie die Kuchenteller dann kurz abgespült hatte, holte sie sich noch einen Kochlöffel aus der Schublade und forderte nun die Aufmerksamkeit der immer noch plaudernden Herren.
„Ah, Hokuto-chan will uns endlich ihre Entdeckung präsentieren.“, meinte Seishiro und blickte sie gespannt an.
„So ist es.“, nickte sie bestimmt.
„Muss das wirklich sein?“, fragte Subaru und grinste zaghaft, denn wenn seine Schwester etwas vorhatte, ging das meistens nicht gut für ihn aus.
„Natürlich.“, stieß Hokuto sofort hervor und fuchtelte mit dem Kochlöffel vor Subarus Gesicht herum, „Und wenn du nicht mitmachst, gibt’s was mit dem Löffel.“.
„Aber Hokuto…“, Subaru sah seine Schwester ungläubig an.
„Kein aber. Außerdem ist Sei-chan extra hergekommen, du willst ihn doch nicht enttäuschen?!“.
Subaru stöhnte kapitulierend, er würde seiner Schwester keine Widerworte mehr geben, es würde ohnehin nichts bringen.
„Unsere Hokuto-chan weiß, wie man sich durchsetzt.“, warf Seishiro mit einem freundlichen Lächeln ein, woraufhin sie breit grinste und den Kochlöffel als ihr Machtinstrument leicht gegen ihre Schulter klopfte.
Dann begann Hokuto, in einer der Taschen ihrer Caprihose zu kramen.
„Kommen wir nun zur Sache!“, verkündete sie, als sie anscheinend den gesuchten Gegenstand in ihrer Hosentasche gefunden hatte.
Stolz holte sie einen kleinen Spielwürfel hervor, den sie präsentativ vor Subaru und Seishiro auf den Tresen legte. Die beiden blickten das Objekt mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Neugierde an.
Sollte dieser Würfel etwas Besonderes sein? Sein Äußeres war vielleicht anders als das normaler Würfel, denn dieser hatte eine lilane Farbe und war auf seiner Oberfläche überall mit Glitzer bedeckt. Die weißen Punkte, die die Augenzahl wiedergeben sollten, waren auf dieser Kombination auf den ersten Blick zwar nicht wirklich zu erkennen, dennoch blieb es ein gewöhnlicher Spielwürfel, wie man ihn von Brettspielen her eben kannte.
„Das ist meine heutige Entdeckung. Im Einkaufszentrum ist natürlich immer was los und das hier musste einfach mal ausprobieren und irgendwie müssen wir euch ja einander näher bringen.“, begann Hokuto dann zu erzählen.
„Und was macht man mit diesem Würfel?“, fragte Subaru ungläubig.
„Ich war ja auch noch nicht fertig! Also, im Einfaufszentrum gab es einen Stand mit verschiedenen Wahrsager-Spielen und zwar für alle Gelegenheiten. Ich hab mir natürlich eins ausgeguckt bei dem man feststellen kann, wie gut zwei Menschen zusammen passen.“.
Subaru wurde das Ganze immer suspekter, derweil schien Seishiro Hokuto interessiert zuzuhören.
„So, nun erkläre ich euch, was es dabei mit dem Würfel auf sich hat. Beide Spieler würfeln jeweils zweimal, je nach Zahlenkombination erfährt man dann, wie gut man zueinander passt und wie lange die Verbindung halten wird.“, erklärte sie, schielte dabei aber ab und an hinunter auf die Anleitung, die sie vor den Blicken der beiden verborgen hielt.
„Das soll wirklich funktionieren…“, Subaru war alles andere als überzeugt.
Außerdem wollte er das Ergebnis überhaupt nicht wissen…
„Lass es uns doch einfach ausprobieren.“, meinte Seishiro.
„Natürlich funktioniert es, das hat mir die Frau vom Stand mehrmals bestätigt. Außerdem kriegst du von mir eins mit dem Kochlöffel, wenn du Sei-chan bei dieser Sache hängen lässt!“, warf Hokuto sofort ein und schielte ihren Bruder drohend an.
So musste sich Subaru schließlich seinem Schicksal ergeben.
„Wer soll denn anfangen?“, wollte Seishiro dann wissen.
„Am besten fängst du an, denn du willst ja Subarus Herz erobern, also solltest du auf seine Reaktion warten.“.
„Also schön.“, damit hatte Seishiro auch schon nach dem glitzernden Würfel gegriffen.
Er rollte ihn über den Tresen und Hokuto sowie auch Subaru beobachteten gespannt, auf welcher Zahl der Würfel landen würde.
„Eine eins!“, rief Hokuto aufgeregt, „Das ist schon mal sehr gut Sei-chan, denn das bedeutet, dass du in Beziehungen für alles offen bist.“.
„Das klingt doch viel versprechend.“, meinte er, „Los Subaru, du bist dran.“.
Zögerlich griff dieser nach dem Würfel und rollte ihn zurück in Seishiros Richtung.
„Wow, eine zwei!“, Hokuto schien es kaum fassen zu können, „Das bedeutet, dass du alles für dein Herzblatt tun würdest.“.
Subaru blickte verlegen hinunter auf den Tresen. Derweil hatte sich Seishiro erneut den Würfel gegriffen.
„Und Hokuto-chan, welche Zahl muss ich jetzt werfen?“, wollte er neugierig wissen.
„Die letzten beiden Würfe sind die Entscheidensten! Bis jetzt war es im Prinzip erst einmal so, dass du Subaru eine offene Liebeserklärung gemacht hast und er sie auf die bestmögliche Weise angenommen hat. Die letzten beiden Würfe entscheiden nun darüber, ob eure Partnerschaft auch eine Zukunft hat.“, erklärte Hokuto aufgeregt, „Am besten wäre es jetzt, die Zahlenkombination fünf-sechs zu werfen, denn das würde bedeuten, das eure Liebe ewig halten wird.“.
Hokutos Stimme klang schon ein wenig schwärmerisch, es war offensichtlich, welches Ergebnis sie sich wünschte. Schließlich machte Seishiro dann seinen Wurf und direkt vor Subaru kam der Würfel auf der Fünf zum Stehen.
„Du bist der Größte Sei-chan!“, gratulierte Hokuto ihm, „OK Subaru, gib alles, es muss eine Sechs werden!“.
Subaru wurde von seiner Schwester wie gebannt angestarrt, aber auch Seishiros sanfter Blick lag auf ihm. Leicht schluckend nahm er dann den Würfel in die Hand und ließ ihn ein letztes Mal über den Tresen rollen.
Die Zeit schien in Zeitlupe zu laufen, es schien so, als wollte der Würfel nicht anhalten. Beinahe drohte er sogar, über die Kante zu rollen, doch kurz vorher kam er doch noch zum Stehen.
„Ist das zu glauben, ich wusste es doch!“, kreischte Hokuto und warf sich Subaru um den Hals.
Er hatte tatsächlich eine Sechs geworfen.
„Du und Seishiro seid einfach für einander bestimmt.“.
Subaru hatte es die Sprache verschlagen. Das war doch alles nur Zufall und vollkommen übertrieben, aber…
… es wäre irgendwie schön, wenn es so wäre.
„Das heißt also, dass ich irgendwann bei Subaru landen werde.“, lächelte Seishiro.
Endlich ließ Hokuto dann von ihrem Bruder ab.
„Ich hab dir doch gesagt, du musst dir keine Sorgen machen.“, entgegnete sie ihm, „Hach, aber willst du ihm nicht einen Kuss als Beweis deiner Liebe schenken?!“.
„Hokuto…“, Subaru war sichtlich schockiert, was schon allein die rote Farbe in seinem Gesicht verriet.
„Das wäre doch ein wirklich passender Zeitpunkt.“, schwärmte Hokuto einfach weiter.
„Du hast deine Schwester gehört und wie wir wissen, sollte man es ihr recht machen, oder?!“, kam es nun von Seishiro, der Subaru direkt anblickte.
„Sei… Seishiro-san…“, Subarus Herz raste vor Aufregung.
Das meinte er doch jetzt nicht wirklich ernst, oder? Doch schon im nächsten Moment war Seishiro von seinem Hocker aufgestanden und stand direkt vor Subaru. Er hatte keine Möglichkeit auszuweichen und kniff die Augen zusammen.
Subaru hatte erwartet, Seishiros Lippen zu spüren, doch sie fühlten sich irgendwie komisch an. Er spürte zwar einen leichten Druck, aber das Gefühl eines Kusses hatte er sich anders vorgestellt. Es kam ihm eher so vor, als würde er etwas anderes berühren, aber er konnte es nicht einordnen.
Langsam öffnete er dann seine Augen in dem Moment, als der leichte Druck nachließ. Er sah, wie Seishiros Gesicht sich von ihm entfernte, und blickte seinen Freund dann verdutzt an.
„Überrascht?“, fragte Seishiro ihn.
„Was…“.
Im nächsten Augenblick hielt Seishiro ihm ein vierblättriges Kleeblatt vor die Augen. Es war zwar schon ein wenig getrocknet, aber die vier Blätter waren sehr schön zu erkennen.
„Ich habe es auf dem Weg hierher gefunden und es hat mir wirklich Glück gebracht, wie es scheint und dieses Glück wollte ich mit dir teilen.“, sagte Seishiro mit einem sanften Lächeln und legte das Blatt in Subarus Hand.
Subaru starrte auf das zarte Kleeblatt, das nun in seiner Hand ruhte. Seishiro hatte es zwischen ihre Lippen gelegt, bevor sie sich berühren konnten, deshalb hatte es sich so merkwürdig angefühlt.
Subaru war leicht verlegen, aber dankbar für diese Geste. Seishiro war wirklich etwas Besonderes. Dieses Kleeblatt hatte diesem Tag wohl wirklich etwas Glück geschenkt.
„Ach Sei-chan, ich dachte, dass du endlich mal ernst machst.“, meckerte Hokuto ein wenig beleidigt.
„Beim nächsten Mal.“, grinste Seishiro sie an.
„Was?!“, Subaru schreckte wieder hoch.
„Natürlich, irgendwann werde ich es schaffen!“, meinte Seishiro dramatisch entschlossen.
„Sehr gut Sei-chan, mit dieser Einstellung kann einfach nichts schief gehen.“, feuerte Hokuto ihn an und beide waren wie von ihrem Ziel besessen.
Subaru seufzte nur wieder, doch er musste lächeln. Dank seiner Schwester hatte er wieder eine angenehme Zeit mit Seishiro verbringen können und irgendwie glaubte er daran, dass in ihrer Würfelweissagung wirklich etwas Wahres steckte.
Dieses Kleeblatt würde er jedenfalls in Ehren halten, denn es wäre von nun an sein Glücksbringer.
