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My way home is through you

von

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Wie resigniert betrachtete der Sänger die kreischenden Fans vor der Bühne.

Was wollten sie alle von ihm? Niemand von den tausend Menschen dort unten kannte ihn wirklich. Doch alle riefen seinen Namen, als wäre es ihre letzte Tat.

Sein Blick blieb an den leeren Augen eines Mädchens hängen. Irgendetwas in ihrem Blick war anders als in den Blicken der anderen.

Während alle schrieen sah sie nur stumm zu ihm hinauf. Kurz bevor sich ihre Blicke trafen wandte sie sich ab und verschwand in der Menge.

Die ersten Klänge der Gitarren ertönten und auch der Rest der Band begann zu spielen.

Verzerrte Gitarrenklänge und die einzigartige Stimme des Sängers übertönten die hysterischen Schreie der Fans.

Sie stand mitten unter den anderen, doch sie unterschied sich deutlich von ihnen.

Alle himmelten einen der Jungs auf der Bühne an. Kaum jemand war ausschließlich wegen der Musik gekommen. Sie schon.

Noch bevor die Musik einsetzte drehte sie sich um und ging in die nähe des Ausgangs zu den Lautsprechern.

Diese Augen ließen ihn nicht mehr los. Wenn er sang vergaß er immer die ganze Welt um sich herum. Nur diesmal nicht. Sie hatten sich in sein Gedächtnis gebrannt wie ein Mal, dass man nie wieder loswird. Sosehr er auch versuchte sich diesen Gedanken aus der Seele zu singen, er scheiterte kläglich.

Im Nachhinein würden die Reporter schreiben, der Sänger hätte gesungen, als ginge es um sein Leben.

Völlig verschwitzt kamen My Chemical Romance von der Bühne, immer noch vor Aufregung und Anstrengung keuchend. Bald würde das letzte Konzert dieser Tour sein. Bis dahin hatten sie nur noch zwei Auftritte. Danach könnte man endlich mal wieder ein paar Tage tun und lassen was man will.

Scherzend und lachend saßen sie im Tourbus, auf dem Weg zur nächsten Halle, in der sie morgen spielen sollten. Fast alle. Gee saß schweigend auf seinem Platz und war tief in seine Gedanken versunken. Bisher hatte ihn selten etwas sosehr berührt wie die Augen dieses Mädchens. „Sag mal, was issn mit dir los?“, fragte Frank ihn verwirrt. „Seit wann bist du nach nem Konzi so abwesend?“ „Hmm… Weiß nicht…“, antwortete Gee mit abwesender Stimme. Die weitere Fahrt verlief still und nach und nach schliefen alle ein. Die Anstrengung der letzten Wochen machte sich bemerkbar.

Als der Schwarze Bus mitten in der Nacht vor dem Hotel eintraf, warteten dort bereits über hundert Fans. Irgendwer hatte herausgefunden, wo die Band übernachten sollte. Gee hatte nie wirklich ganz verstanden, was die Leute dazu brachte, dass sie sich nur für jemanden, den sie nicht einmal kannten, soweit zu gehen, ihm überallhin zu folgen. Er hatte es auch nie zu verstehen versucht.

Sogar eine kleine Absperrung war errichtet worden, damit die Fans sich nicht in ihren Weg warfen. Gee´s Meinung nach steigerte dies die Hysterie nur noch.

Jeder wollte als erster von der Band bemerkt werden. Jeder wollte, dass sie ihn hörten.

Mitten in der Nacht, bei strömendem Regen, standen diese Fans auf der Straße, vor einem Hotel und schrieen sich die Stimmen kaputt.

Hatten die wirklich keine anderen Sorgen?

Unwillkürlich musste er wieder an dieses Mädchen denken.

Er konnte sich nicht einmal erklären, was an ihren Augen so anders war, aber der Gedanke an sie ließ ihn nicht mehr los.

Mithilfe des Managements kamen sie unbeschadet an der hysterischen Gruppe, mittlerweile schreiender und weinender Mädchen vorbei. Der Innenraum des Hotels war in ruhigen Farben gehallten, was im Gegensatz zu den Schreien vor der Tür beinahe schon wie Ironie wirkte.

Wieso kam ihm alles so unwirklich vor?

Er ließ sich in seinem Zimmer auf das große, wunderbar weiche Bett fallen und schloss die Augen. Lange Zeit lag er so da, bis er schließlich einschlief.

Den feindlichen Blicken der anderen Fans ausweichend bewegte sie sich so schnell sie konnte auf den Ausgang zu.

Nach hause konnte sie um diese Uhrzeit nicht mehr. Was sollte sie jetzt machen? Das Konzert war sein einer halben Stunde vorbei, und sie war eine der letzten, die die Halle verließen. Während alle anderen gelacht, gescherzt, oder geweint hatten, war sie nur völlig in Gedanken da gestanden und hatte der Musik zugehört.

Die, die in den vorderen Reihen gewesen waren, erzählten sich gegenseitig, dass sie sich sicher währen, Gee hätte ihnen in die Augen geschaut, oder sie angesehen. Sie schnaubte verächtlich und fand nun endlich den Ausgang der Halle. Erleichtert trat sie in die Nacht heraus. Nicht, dass sie das Konzert nicht genossen hätte, nein, das nicht, aber die anderen „Fans“ waren einfach nicht auszuhalten. Sie schrieen, als hinge ihr Leben von diesen Minuten ab.

Mit schnellen Schritten entfernte sie sich in die Dunkelheit. Nach kurzen überlegen entschied sie sich dafür, im Park zu übernachten. Würde sie jetzt noch nach hause gehen… Sie wollte gar nicht erst darüber nachdenken.

Trotz der Tatsache, dass sie bereits siebzehn war, hatte sich an ihrer Situation seit fünf Jahren nichts geändert. Sie blieb lieber nachts auf der Straße und fror, als nach hause zu gehen. Aber es machte ihr mittlerweile nichts mehr aus. Man kann sich an alles gewöhnen.

Als sie die Straße zum Park überqueren wollte, blendeten sie die Scheinwerfer eines schnell näher kommenden Autos. Mit quietschenden Reifen hielt das Auto neben ihr an. Ihr Vater schrie: „Steig gefälligst ein, und wage es nie wieder auch nur das geringste Verbot zu missachten! Das werde ich dir schon noch austreiben!“

In dem Moment in dem sie losrennen wollte, packte er ihren Arm und zerrte sie grob in den Wagen.

Sie verspürte die Schmerzen der ersten Ohrfeige kaum, doch sie wusste, wenn sie nichts verändern würde, würde er dasselbe mit ihr machen wie gestern und vorgestern. Und wie die Tage und Jahre zuvor. Seit ihre Mutter gestorben war, gab er ihr die Schuld an ihrem Tod.

In ihrem Kopf schallten die Worte wieder, die er gesagt hatte, bevor er sie das erste Mal vergewaltigte: „Du bist schuld an ihrem Tod, also musst du auch dafür sorgen, dass ich mich nicht einsam fühle.“

Damals war sie fast noch ein Kind gewesen, aber diesen Satz hatte sie bis jetzt nicht vergessen können.

Er fuhr auf den Parkplatz neben der kleinen Mietwohnung, die sie seit einem Jahr bewohnten.

Mit gesenktem Blick schritt sie auf das düster wirkende Haus zu.

Sie zog vor der Tür ihre Schuhe aus, rannte in ihr Zimmer und wollte die Tür hinter sich abschließen. Doch er war schneller. Sie wich ängstlich vor ihm zurück. Ihre schwarzen Haare hingen ihr über die Augen, sodass sie seine Hand nicht rechtzeitig wahrnahm. Sie zuckte zurück und sein Schlag traf sie nur seitlich am Hals.

Plötzlich klingelte es an der Haustür. Mit wutverzerrtem Gesicht drehte er sich um und ging zur Tür. Sie nahm ihre Tasche, rannte an ihrem Vater und dem anderen Mann am Eingang vorbei und lief so schnell sie konnte in Richtung Park davon.

Als Gee um genau fünf Uhr erwachte, hatte er gerade mal zwei Stunden geschlafen. Doch es reichte ihm. Er war froh wenn er überhaupt einmal schlafen konnte. Zeitweise plagten ihn schreckliche Alpträume, und manchmal wachte er auf, hatte das Gefühl, etwas von ihm sei soeben gestorben, doch er konnte sich nicht daran erinnern. Er bestellte sich beim Zimmerservice einen Kaffee und lies sich seufzend auf einem kleinen Sessel in der Zimmerecke nieder. Heute Abend waren wieder alle Plätze ausgebucht. Genau wie die Konzerte davor, und für die darauf folgenden.

Nachdem er seinen Kaffee getrunken hatte, blieb er einfach auf dem Sessel sitzen und starrte gedankenverloren ins Leere.

Als es an der Tür klopfte, schrak er erstaunt auf. Wer kam um diese Uhrzeit bitte auf sein Zimmer? „Herein“, rief er, und blickte zur Tür. Mikey trat ein und schloss die Tür hinter sich.

„Hey! Was war denn gestern mit dir los? Nach dem Auftritt warst du voll neben der Spur! Da konnte man echt Angst kriegen! Nicht mal über die ganzen Leute vorm Hotel hast du dich beschwert!“, entrüstete sich Mikey. „Erstmal sollte ich dich fragen, was du um die Zeit schon hier machst? Ich dachte ihr wolltet gestern noch was trinken?“, entgegnete Gee.

„Wieso um die Uhrzeit? Es ist halb acht! Sag mal, wo bist du mit deinen Gedanken?“, fragte Mikey verwirrt. Was? Schon halb acht? Er konnte doch nicht schon so lange hier sitzen, oder?

Doch. Ein Blick auf den kleinen, schwarzen Wecker neben dem Bett bestätigte Mikeys Worte. Schon kurz nach halb acht. Wie hatte er es geschafft, hier so lange seinen Gedanken nachzuhängen? Um seinen Kaffee zu trinken hatte er gewiss keine zweieinhalb Stunden gebraucht! „Wann haben wir unseren ersten Termin heute?“, lenkte Gee schnell vom Thema ab. „Um zehn müssen wir zum Interview, aber wo und mit wem weiß ich nicht“, antwortete Mikey.

Das war immer so. Gee konnte froh sein, dass Mikey überhaupt einen Plan von ihren Terminen hatte. Normalerweise setzte er sich einfach ins Auto, und lies sich überraschen, wohin man ihn fahren würde. Er war keiner der Menschen, die lange nachfragten, wo man sie hinbrachte. Im Gegensatz zu seinem Bruder. Gee wollte immer alles unter Kontrolle haben. Und genau wissen was er wann für Termine hatte. Er hasste es, wenn er in einem Interview keine Antwort auf eine Frage hatte. Mikey ging wieder, ohne auf eine Antwort auf seine eigentliche Frage zu warten. Er hatte wohl bemerkt, dass seinem Bruder nicht nach reden war.

Da er gestern Abend, bzw. heute Morgen einfach in seinen Klamotten geschlafen hatte, zog er sich um, und Suchte nach der Telefonnummer des Managers.

„Hmm, was gibt’s?“, meldete dieser sich verschlafen aus dem altmodischen Telefonhörer. „Hey, ich bins, Gerard. Ist das Interview um zehn heute wichtig, oder kann ich es absagen?“, meinte Gee verlegen. Sofort hellwach entgegnete der Mann am anderen Ende der Leitung: „Wie oft willst du dieses Interview eigentlich noch absagen? Das letzte Mal hattest du auch kurzfristig etwas anderes zu tun!“ „Ich weiß, ich weiß, aber ich brauche einfach nur ein paar Stunden für mich, ich fühle mich nicht so gut, und wir haben heute Abend noch einen Auftritt!“, entschuldigte Gee sich sofort. Wie geplant sprang sein Manager auf diese Lüge an: „Na gut, ich sage den Termin ab, aber versprich mir, dass heute beim Konzert alles wieder OK ist.“ „Bis dahin bin ich wieder in Ordnung“, versprach er, und legte, sichtlich erleichtert auf. Warum hatte er den Termin abgesagt? Er wusste es selbst nicht genau. Ihm war nur nach ein paar Stunden Ruhe.

Nach einer halben Stunde, die er gedankenverloren aus dem Fenster gesehen hatte, machte er sich auf, sich ein wenig in der Stadt umzusehen.

Die Sonnenbrille, die Gee als Verkleidungsersatz gewählt hatte, erwies sich als Fehlschlag. Mit ihr erregte er nur noch mehr Aufmerksamkeit. Warum? Weil jemand, der völlig schwarz gekleidet war, schwarze Haare hatte, und zu allem Überfluss noch eine schwarze Sonnenbrille mit getönten Gläsern trug, schlicht und einfach auffiel. Und noch dazu bei einem, durch Wolken ergrauten Himmel.

Also gab er nach kurzer Zeit seine „Tarnung“ auf, und lief ziellos durch die Straßen. Den ganzen Morgen über, hatte er es geschafft, nicht über das Mädchen nachzudenken. Doch als er in einem kleinen Cafe einen Kaffee trank, wurde ihm schlagartig bewusst, was mit ihren Augen nicht gestimmt hatte: Es war keine Leere, die er in ihnen gesehen hatte, es war eine Mischung aus Schmerz, Furcht und Trauer gewesen. Nur keine Wut. Die meisten Menschen, die Schmerzen hatten, oder sich vor irgendetwas fürchteten, waren entweder wütend auf sich selbst, oder gaben dem Rest der Welt die Schuld an ihren Problemen.

Mit einem Kopfschütteln verdrängte er endgültig diesen Gedanken, zahlte und ging.

Auf dem Weg zurück ins Hotel, bemerkte er zwei Mädchen, die ihm kichernd folgten. Genervt beschleunigte er seine Schritte. Endlich angekommen, wurden die Mädchen vom Sicherheitspersonal an der Tür aufgehalten.

Gee ging in sein Zimmer und fing an seine Sachen für den Abend zu packen. In einer dreiviertel Stunde musste er beim Soundcheck sein. Aus reiner Langeweile begab er sich in Franks Zimmer, um zu schauen, was die anderen so machten. Der Rest der Band saß gelangweilt um einen kleinen Tisch auf dem Boden von Franks Zimmer und spielte Karten. Als Gee zur Tür hereinkam, rief Mikey: „Mann! Na endlich! Die Leute, denen die Halle gehört, in der wir heute spielen, haben angerufen, und gemeint, wir sollten schon etwas früher zum Soundcheck kommen. Warum haben sie nicht gesagt…“

Somit machten sie sich (Natürlich im Tourbus) auf den Weg zur Halle. Der Soundcheck verlief problemlos, und es stellte sich heraus, dass sie nur früher kommen mussten, weil die Halle noch nicht geputzt war(…)

Endlich gingen alle Lichter an. Es war wie immer. Die Menge schrie, die Band wartete auf ihren Einsatz, und eine unheimliche Ruhe durchflutete Gee. Dies war seine Welt. Auf der Bühne konnte er alle Probleme und Sorgen vergessen. Hier konnte er tun und lassen, was er wollte.

Gees stimmte durchflutete die Halle, als er die Fans begrüßte. Für einen kurzen Moment nahm die Lautstärke ab, nur um gleich darauf wieder anzusteigen. Alle jubelten, schrieen und kreischten durcheinander. Gee begann zu singen.

Als er sie inmitten der schreienden Menge entdeckte, hatte er fast aufgehört zu singen.

Ihre Augen waren nicht mehr dieselben. Schmerz, Angst und Trauer wahren einer erschreckenden Entschlossenheit gewichen.

Sie hatte die Nacht trotz der beinahe schon winterlichen Temperaturen im Park verbracht.

Das einzige, was sie in ihrer Tasche hatte, waren ein neues T-Shirt, einen Fünf-Euro-Schein und eine Karte für das MCR Konzert am nächsten Abend.

Als ihr die ersten Sonnenstrahlen in die Augen fielen, wachte sie auf.

Ihr tat alles weh, was nach einer Nacht auf einer Bank kein Wunder war. Gähnend streckte sie sich, und fühlte sich trotz der Schmerzen relativ gut.

Sie war ihm entkommen, und sie würde mit Sicherheit nicht mehr zurückkommen.

Mit der Tasche über der Schulter lief sie stundenlang ziellos durch die Stadt. Wie immer, wenn sie nicht nach hause konnte.

Nachdem sie eine alte Frau nach der Uhrzeit gefragt hatte, wusste sie immerhin, dass es erst sechs Uhr war. Ohne sich weiter zu fragen, was die Frau um diese Zeit hier tat, ging sie zur nächsten Bäckerei und kaufte sich erstmal ein trockenes Brötchen.

Wenn sie in den Tagen und Nächten, die sie bisher auf der Straße verbracht hatte eines gelernt hatte, dann war es, sparsam mit ihrem Geld umzugehen.

Man konnte nie wissen wann man neues bekam. Und diesmal konnte es eine Weile dauern.

Der Rest des Tages verlief kaum erwähnenswert, bis auf ein kurzes treffen auf zwei Polizisten, die sie mittags ansprachen, nachdem sie sich aus Langeweile und Müdigkeit auf eine Parkbank gelegt hatte, und eingeschlafen war:

„Junge Dame, sollen wir sie nach hause fahren? Sie sehen erschöpft aus. Wir könnten ihnen auch auf dem Revier einen Kaffee anbieten.“, schleimte der jüngere der beiden, während der ältere interessiert auf eine kleine Spinne schaute, die gerade seinen Donut entlang krabbelte.

Er aß sie einfach resigniert mit. Mit belustigter Stimme sagte sie: „Nein danke, ich erwarte jemanden, und er dürfte innerhalb der nächsten Stunde hier auftauchen.“ Scheinbar waren die Polizisten mit dieser Antwort zufrieden.

Warum waren die Bullen heute so extrem freundlich? Ohne eine Antwort zu finden, drehte sie sich um und schlief einfach weiter.

Als sie aufwachte drohte die Sonne bereits damit, unterzugehen. Seufzend machte sie sich auf den Weg zur Konzerhalle. Gott sei Dank spielten MCR heute zum zweiten Mal in dieser Stadt! Aber das lag einfach daran, dass das erste Konzert nach wenigen Stunden ausverkauft gewesen war.

Die Halle war ein riesiges, mit vielen Kleinigkeiten geschmücktes, relativ junges Gebäude.

Der Park war ihr Lieblingsplatz in der Stadt, da er genau zentral lag. Von hier aus konnte man jedes Ende der Stadt in einer halben Stunde erreichen.

Bereits auf der Hälfte des Weges hatte die Sonne den Horizont berührt und alles in ein orange-goldenes Licht getaucht, doch kurz nach ihrer Ankunft verschwand sie völlig.

In zwei Stunden würde das Konzert beginnen. Doch schon jetzt hatten sich um die hundert Fans vor dem Eingang versammelt, und ihre Zahl stieg stetig.

Ihr Magen knurrte. Genervt von dem leeren Gefühl im Magen, zog sie ihr Restgeld aus der Tasche und zählte es. Vier Euro und Fünfundvierzig Cent. Nicht viel, aber noch genug.

Eine billige Packung Kekse später gesellte sie sich zu den wartenden Fans. Diesmal wollte sie sich nicht wieder als Außenseiter fühlen. Davon hatte sie genug.

Sie hatte von allem genug. Im laufe des Tages war ihr klar geworden, dass sie zwar vor ihrem Vater fliehen konnte, aber nicht vor der Erinnerung an ihn und das, was er ihr angetan hatte.

Sie hatte sich immer für stark genug gehallten, alles auszuhalten, bis sie endgültig aus dieser Hölle entkam.

Sie hatte nie jemandem etwas erzählt, alle blauen Flecken versteckt, überschminkt, alle Schmerzen ignoriert. Doch jetzt war sie zu schwach die Erinnerung zu ertragen?

Ja. Wie kann man vor einer Erinnerung fliehen? Es geht nicht.

Doch. Ein kaltes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

Niemand konnte sie jetzt noch von ihrem Entschluss abbringen.

Es war zu spät.

Mittlerweile standen mindestens fünfhundert Menschen auf dem Vorplatz der Halle, und warteten darauf, dass sie eingelassen wurden.

Was jeden Moment geschehen würde.

Die Türen gingen auf und die Fans stürmten auf sie zu. Mit gesenktem Kopf ging auch sie auf den Eingang zu, zeigte ihr Ticket vor und betrat die hell erleuchtete Halle.

Da sie noch eine der ersten gewesen war, stand sie ganz vorne. Eine erwartungsvolle Spannung erfüllte die Halle, und diesmal wurde sogar sie davon erfasst.

Warum auch nicht? Jetzt hatte sie nichts mehr zu verbergen und zu verstecken. In ein paar Stunden würde sowieso alles vorbei sein.

Endlich setzte die Musik ein, und Gee begann zu singen. Ganz kurz schoss ihr der Gedanke: „Wie kann jemand nur so eine Wahnsinns Stimme haben?!“, durch den Kopf, doch sie verdränge ihn gleich wieder. War doch egal, oder? Dieses Mal war das letzte Mal, dass sie überhaupt jemanden live singen sah.

Sie würde es einfach genießen, und danach in der Hölle davon träumen.

Wo anders würde sie sowieso nicht landen, wenn man davon ausging, dass es überhaupt so etwas wie ein Leben nach dem Tod gab. Sie glaubte nicht daran. Die Musik war so laut, dass sogar die schreie der anderen übertönt wurden.

Sie blickte hinauf auf die Bühne. Einen kurzen Moment lang hatte sie das Gefühl, Gee würde sie ansehen. „Verdammt, fange ich jetzt auch schon damit an?“, murmelte sie leise vor sich hin und wandte den Blick von Gee ab und ließ ihre Augen durch den Raum schweifen.

Doch lange hielt sie es nicht aus, und ihre Augen ruhten auf Gee, der am Mikrophonständer stand und gerade die letzten Zeilen von `Sleep` sang.

Das Konzert war vorbei. Die Zugaben waren gespielt. Ihre Tage waren gezählt.

Er sah in ihre Augen, sie sah weg.

Hatte sie seinen Blick bemerkt, oder war es Zufall?

Diese Entschlossenheit machte ihm fast noch mehr Angst als die Leere, die er beim letzten Mal in ihren Augen gesehen hatte.

Wieso machte er sich um ein einziges Mädchen solche Gedanken?

Er wusste es nicht, doch die Gedanken ließen ihn auch nicht los.

Er suchte ihren Blick, doch fand ihn nicht. Es war als wich sie ihm absichtlich aus.

Die Zugaben waren noch länger geworden, als die letzten Male, Gee und der Rest der Band waren völlig außer Atem, als sie endlich von der Bühne kamen.

„Gehst du noch mit, einen trinken? Naja, ne Coce oder so?“, fragte Mikey seinen Bruder, der gerade damit beschäftigt war, sich einen neuen Pullover über den Kopf zu ziehen.

Sichtlich dankbar über die Ablenkung stimmte Gerard zu.

In der Bar angekommen, bestellten sie sich erstmal ihre Drinks, und redeten lange über die Show. Sie redeten über die Fans aus den ersten Reihen, wer am lautesten geschrieen hatte, über die Schilder, die einige Mädchen über ihre Köpfe gehalten hatten, die Glücklichen Gesichter.

Eine ganze Weile redeten sie über die Show, aber insgeheim waren alle froh, das dies der letzte Auftritt der Tour gewesen war.

Als die anderen lachend und scherzend um den Tisch saßen, stand Gerard auf, und ging in Richtung Toilette. Er lies die Kabinentür hinter sich ins Schloss fallen, und lehnte sich an die Wand.

Nicht einmal jetzt konnte er sie vergessen. Verzweifelt, und unfähig, an etwas anderes zu denken, stand er da. Wie lange wusste er nicht.

Schweigend ging er zurück zu den anderen. Diese beließen es bei einigen fragenden Blicken, sagten aber nichts. Gee lies sich auf seinen Stuhl fallen, und seine Gedanken schweiften wieder ab. Konnte er nicht einfach Mal vergessen, was er in ihren Augen gesehen hatte?

Konnte er nicht Mal mehr mit seinen Freunden reden und lachen wie sonst immer?

Unruhig blickte er von einem zum anderen. Alle waren in ihre Gespräche vertieft.

Mikey redete über irgendetwas mit Bob, und Toro und Frank lachten über etwas, dass Gerard nicht mitbekommen hatte.

Er fühlte sich verloren. Unschlüssig, was er tun sollte, holte er sich einen weiteren Drink.

Er rührte ihn jedoch nicht an. Er betrachtete einfach nur die kühle Flüssigkeit in dem Glas, als könnte diese ihm bei der Lösung dieses Problems helfen.

Plötzlich sprang er auf. Ohne die anderen anzusehen, stürzte er in die Nacht hinaus.

Er hatte das Gefühl, wäre er länger dort drinnen geblieben, wäre er innerlich ertrunken.

In seinen eigenen Gedanken.

Er wusste nicht warum, aber er wusste, dass er es tun musste.

Wo sollte er suchen? Und überhaupt: Warum machte er das alles eigentlich?

Er wusste weder das eine, noch das andere. Trotzdem zog er seine Mütze tiefer ins Gesicht. Das letzte was er wollte, war, erkannt zu werden.

Dafür hatte er keine Zeit.

Nur vereinzelte Passanten kreuzten seinen Weg durch die dunkle Stadt. Ohne eine Ahnung, wohin er lief, ging er einfach weiter. Vorbei an verfallenden, alten Häusern, leuchtenden Supermärkten, und bunten Spielplätzen.

Vergeblich suchte er nach ihr. „Das hätte ich mir gleich denken können! Wie komme ich auf die Idee, dass ich sie hier finden würde? Verdammt!“, fluchte er mehr oder weniger laut.

Aber niemand bemerkte es.

Mit gesenktem Kopf trat sie hinaus in die Kälte der Nacht. Sie wusste nicht genau, wie sie es tun würde, aber sie wusste, DAS sie es tun würde. „Ich werde mich ein letztes Mal hier umsehen, und dann ist alles vorbei…“, murmelte sie leise vor sich hin, als sie den Weg in Richtung Stadtmitte einschlug.

Ein letztes Mal alle Gedanken und Gefühle ordnen, sich ein für alle Mal von der Welt verabschieden, zu der sie nie wirklich dazugehört hatte. Von der Welt, in der niemand ihre Schreie gehört, niemand ihre Tränen gesehen, niemand ihre Verzweiflung erkannt hatte.

Eine Welt, in der sich alle umdrehten, wenn man sie um Hilfe anflehte.

Eine trostlose, kalte, hoffnungslose Welt.

Nicht mehr ihre Welt, es war nie ihre gewesen.

Einfach nur noch weg…

Sie bemerkte die Tränen, die heiß über ihre kalten Wangen rannen nicht. Sie lief weiter, und es begann zu schneien. Sie blickte in den Himmel hinauf, und ließ sich die Schneeflocken ins Gesicht fallen, wie sie es als kleines Kind immer getan hatte, wenn sie mit ihrer Mutter im Winter spazieren gegangen war.

Ohne jede Überraschung registrierte sie, dass die Erinnerung an ihre Mutter nicht mehr wehtat. Vielleicht, wenn es keinen Himmel und keine Hölle gab, würde sie sie ja wieder sehen?

Die Schneeflocken und die Tränen bedeckten ihr ganzes Gesicht. Sie fröstelte, und steckte ihre Hände in die Jackentaschen. Sie zuckte zurück, als sie einen leichten Schmerz in den Fingern einer Hand verspürte, und fühlte, dass warmes Blut in den Schnee tropfte.

Sie zog die Rasierklinge aus der Tasche, und betrachtete sie lange.

Fast wie jemand, der im Museum vor einem Relikt vergangener Zeiten steht, und es von allen Seiten bestaunt, drehte sie sie zwischen ihren Fingern hin und her, dann schloss sie die Hand fest um sie herum.

Der Schnee färbte sich Rot unter ihr, und sie schob die Hand wieder in die Tasche.

Es war zu riskant. Auf diese Art und Weise konnte sie gerettet werden, wenn sie jemand rechtzeitig fand. Das war das letzte was sie wollte.

Unbewusst war sie in Richtung der großen Brücke gelaufen, und plötzlich wusste sie, wie sie es tun würde.

Sie war noch ca. einen Kilometer von der Brücke entfernt.

Ein Kilometer bis zum Tod.

Unwillkürlich musste sie kichern. `Ein Kilometer bis zum Tod`, das klang eindeutig nach einem zweitklassigen Horrorroman.

Immer noch kichernd lies sie sich auf eine Bank fallen, und drehte sich auf den Rücken.

Es hatte wieder aufgehört zu schneien, und sie blickte lange Zeit hinauf zu den Sternen.

Das Blut an ihrer Hand war mittlerweile getrocknet, als sie wieder aufstand, um ihren Entschluss endgültig in die Tat umzusetzen.

Ihre Tasche ließ sie einfach achtlos auf der Bank liegen. Sie würde sie ja eh nicht mehr brauchen.

Schritt für Schritt in eine neue Welt. Oder auch in keine.

Er hatte das Gefühl, als wäre er bereits Stundenlang umhergeirrt, als er einen kleinen Park erreichte.

Um ihn herum erhellten drei kleine, mit vielfältigen Schnörkeln und Ranken verzierte Laternen, auf kleinen Sockeln, das große, alt aussehende Tor, dass auf einen kleinen Weg durch den Park führte. Der Weg war auf beiden Seiten von grauen, beinahe schon unheimlich wirkenden Bäumen gesäumt. Ein leichter Schauer von Ehrfurcht durchfuhr ihn, doch er schob das lästige Gefühl beiseite.

„Gerard, verdammt, du hast wirklich besseres zu tun, als dir zu denken, wie schön alt und ruhig hier alles aussieht!“ rief er sich selbst in Gedanken zurecht.

Ohne weiter auf seine Umgebung zu achten, eilte er mehr oder weniger ziellos weiter. Irgendetwas tief in ihm, sagte ihm, dass dies die richtige Richtung sei. Gee wusste nicht wieso, aber er war sich sicher.

Mit gesenktem Kopf, um den Schneeflocken zu entgehen, die seit einiger Zeit auf sein Gesicht fielen, lief er geradeaus.

Sein Atem stieg in kleinen, weißen Wolken über ihm in die Luft, und verlor sich in der schneeweißen Ewigkeit über ihm.

Seine Füße waren kalt, seine Finger taub, und seine Lunge brannte, als hätte er Nadeln verschluckt.

Er hätte sofort umdrehen können, sich in seinem Hotelzimmer einen Kaffee bestellen, und sich aufwärmen können. Doch irgendetwas hielt ihn zurück.

Auf einmal kam ihm der Gedanke, was wäre, wenn er sich geirrt hätte? Wenn das Mädchen längst zuhause war, und in Ruhe schlief?

Er blieb stehen. In seinem Kopf drehten sich tausend Gedanken: Hatte er sich geirrt? Wie konnte er denken, dass er sie in dieser Stadt, um diese Zeit ein einziges Mädchen finden konnte? Hatte er doch recht, sollte er auf sein Bauchgefühl hören?

Ohne es zu merken, hatten sich Gees Füße wieder in Bewegung gesetzt, und er trat aus dem kleinen Park heraus. Er hatte angefangen zu suchen, und jetzt würde er die Suche auch beenden. Er ignorierte die Kälte, Atmete tief ein, und sah sich um. Ca. 20 Meter neben ihm schien eine Straße zu liegen. Von Laternen beleuchtet, fuhr hin und wieder ein Auto vorbei. es War keine Wohngegend, schien aber auch kein Einkaufsviertel zu sein. Er tippte auf ein altes Industrieviertel, aber das war ja nun wirklich unwichtig!

Bei jedem Schritt fraß sich die Kälte tiefer in seinen Körper.

Als kurz vor ihm eine Parkbank auftauchte, gab er auf, setzte sich auf die Bank, und entdeckte die Tasche. Aus reiner Neugier warf er einen blick hinein. Dank einer Straßenlaterne direkt hinter ihm, konnte er den Inhalt genau sehen. Ihm stockte der Atem. Eine Karte für das Mcr Konzert von heute! Neben der Karte befand sich nur noch ein einfaches, schwarzes T-Shirt

In der Tasche. Er sprang auf, und entdeckte das Blut neben der Bank im Schnee. Ihr Blut. Da war er sich sicher.



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Kommentare zu dieser Fanfic (10)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Pfeffersosse
2007-10-06T21:24:06+00:00 06.10.2007 23:24
wow ... spannend geschrieben, ich bleibe ganz sicher dran ... freu mich schon auf das nächste kapi
winkewinke
Von: abgemeldet
2007-10-06T13:50:32+00:00 06.10.2007 15:50
tolles kapitel! zwar kurz, aber ich mag deinen schreibstil, da kommt die spannung richtig rüber.
hoffentlich ist es noch net zu spät, wenn er sie findet/finden sollte...

büdde schnell weiterschreiben ^^
Von: abgemeldet
2007-10-04T14:58:08+00:00 04.10.2007 16:58
uii~ jetzt wirds spannend U_Uv schreib bitte schnell weiter~ das kapi is jo a so kurz T.T
freu mi scho drauf~ +_+
Von: abgemeldet
2007-08-14T07:03:42+00:00 14.08.2007 09:03
also ich bin ehrlich gesagt hin und weg T-T
du hast echt nen guten stil - und du legst meiner meinung nach auch auf details wert, die der ff das gewisse etwas geben *-*
... und außerdem trifft die story deiner ff genau meinen geschmack XD

bin echt gespannt auf die nächsten kapitel +_+v
Von: abgemeldet
2007-08-11T11:36:51+00:00 11.08.2007 13:36
sooo...ich hab mir jetzt mal alles durchgelesen.
find ich echt gut die ff, aber sie soll sich net umbringen! gerard soll sie mal bloß finden und davon abhalten.
hoffentlich postest du bald nen neuen teil, bin mal gespannt wie´s jetzt weitergeht.

Von: abgemeldet
2007-07-31T22:17:06+00:00 01.08.2007 00:17
T.T
traurig, aber sie ist ja noch nicht tot
oder?
Von: abgemeldet
2007-07-15T23:53:31+00:00 16.07.2007 01:53
alsoooooo ich bin um das erstmal vorweg zu sagen der Meinung von Tempelmeister & Kathan ^^
und du kannst echt großartige Texte schreiben und einen in den zeilen die Gefühle miterlben lassen. Weiter so :D
Von: abgemeldet
2007-07-08T19:53:56+00:00 08.07.2007 21:53
Mach weiter so ich hoffe das es noch nicht das ende war
Von: abgemeldet
2007-07-03T12:00:40+00:00 03.07.2007 14:00
ich habe alle kapitel gelesen und bin zu faul, zu jedem einzelen was zu schreiben, also hier meine zusammenfassung! *hihi*

mir gefällt es sehr gut, wie du mal gerard's sicht schreibst und dann ihre! Ich bin richtig gefasst von ihr.. und sehr gespannt!

Hoffe du schreibst bald weiter... warte gespannt.

Kathan
Von: abgemeldet
2007-06-13T20:40:55+00:00 13.06.2007 22:40
Sehr schon geschrieben,
mir gefällt wie du dich ausdrückst!
Schreib weiter, ich bin gespannt wie es weiter geht.
Du meintest doch zu mir wird nicht viel, es ist doch schon was.
Ich psck es mit zu meinen Favos.


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