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Sinnlose Versprechen

von

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Wild umkreisten sich ihre Zungen, forderten sich gegenseitig immer wieder heraus und stupsten sich zwischendurch einfach nur an. Pure Leidenschaft begleitete ihren Kuss und erhitzte sofort die beiden Gemüter.

Jasons Hände verfingen sich in den schwarzen Haaren und zogen Lance näher zu sich heran. Währenddessen spürte er, wie Lance’ Rechte unablässig seinen Rücken auf- und abfuhr, die Bandage dabei nur vorsichtig abtastend. Die andere Hand hatte sich wiederum bestimmt in seinen Nacken gelegt und übte dort immer mehr Druck aus, um ihre Münder zu einer wahren Einheit zu verschmelzen.

Alsbald pressten sich ihre Leiber eng aneinander und Jason keuchte in die feuchte Höhle hinein, die ihm willig dargeboten wurde. Vor allem entgingen ihm die Erregung des anderen nicht und die Hitze, die sich auch bei ihm zu zentrieren schien. Mit geschlossenen Augen ertastete der Blonde jeden einzelnen Zahn von Lance und verhakte sich dann mit ein paar von seinen in dessen Unterlippe; biss sanft in das warme Fleisch und befeuchtete sie heilerisch mit seiner Zunge.
 

Als Lance den Kuss abrupt löste und seine Lippen nahe an sein Ohr brachte, atmete Jason laut aus. Obwohl er fest mit einer nur so vor Spott triefenden Bemerkung rechnete, vernahm er ganz andere Worte. Worte, die ihn die Augen weit aufreißen ließen.
 

„Ich liebe dich“, raunte der Schwarzhaarige in sein empfindsames Organ hinein.
 

Die Welt schien still zu stehen. Selbst sein Herz schien ausgesetzt zu haben. Erst als er in lüsternes Blau blickte, spürte er wieder das unkontrollierbare Pochen in seiner Brust. Und ehe er wieder zu Sinnen kommen konnte, forderte Lance einen weiteren Kuss ein. Überaus begehrend und völlig hingebungsvoll.

Für diesen Moment vergaß Jason alles. Sogar jedweden Zweifel, den er an seinem Freund hegte. Er wollte nichts außer den Schwarzhaarigen zu schmecken und ganz für sich alleine zu haben. Ihn zu fühlen und von ihm berührt zu werden.
 

Keuchend sahen sie sich eine Ewigkeit später an und sein Blick wanderte irgendwann zu Lance’ leicht geröteten und geschwollenen Lippen. Unwillkürlich begann er zu lächeln und hauchte viele kleine Küsse auf die geschundene Haut. Derweil schob Lance sein T-Shirt an und befreite ihn aus ihm. Als der Ältere jedoch bedächtig über seine in weißen, engen Stoff gehüllte Brust strich, konnte Jason den ersten, klaren Gedanken fassen, seit er in die Küche getreten war. Unwissentlich versteifte er sich und sah seinen Freund vermutlich ein wenig zu provozierend an.
 

„Gibst du endlich deine Pläne auf?“, kam auch schon Lance’ Frage.
 

Wenngleich sie weder befehlerisch noch bedingungslos klang, trat Jason unmittelbar einen Schritt zurück. Und mit einem Mal erinnerte er sich auch wieder daran, weshalb er so unwirsch über seinen Freund hergefallen war. Sein Vater war tatsächlich Father Dest und in den Augen der Stadt ein Verbrecher. Und er, Jason Sartaren, war ihm nicht im Mindesten unähnlich.
 

„Das kann ich nicht“, antwortete er ihn scharf visierend.

Er erklärte sich nicht weiter. Er konnte es einfach nicht. Jemandem direkt ins Gesicht zu sagen, dass er der Sohn des allseits am meisten verhassten Menschen von Asht-Zero war, insbesondere wenn es sich dabei um die für ihn wichtigste Person handelte. Dabei spielten die Absichten, die hinter den Mahnungen gesteckt hatten, keine Rolle. Lance war von Beginn an gegen seinen Eintritt in die Politik gewesen und diese Information würde ihr Zusammenleben gewiss nicht erleichtern.
 

Als Lance sich jedoch von ihm abwenden wollte, ergriff er grob seinen Arm und zog ihn an sich.

„Ich bin…“, setzte er erstickt an, aber weitere Worte drangen nicht aus seinem Mund.

Er hatte die Wahrheit selbst noch nie ausgesprochen und ein dicker Kloß hinderte ihn daran, es erstmalig zu tun. Während er verzweifelt gegen seine Unfähigkeit ankämpfte, krallte er sich an Lance’ Schulter und Haaren fest. Er konnte seinen Freund nicht erneut gehen lassen. Nicht jetzt. Nicht nachdem jener gestanden hatte, er würde ihn lieben.
 

„Ich weiß“, meinte Lance.
 

Das war wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Denn Jason war sich sofort darüber im Klaren, dass jener das meinte, was er ihm hatte sagen wollen. Abrupt erschlafften seine Finger und Lance brachte ein wenig Abstand zwischen sie beide.
 

„Aber…“

Nicht nur Irritation plagte Jason, auch unbändiger Groll.

„Und du hast es mir nie gesagt?“, rief er aufgebracht.

Aus einem unerklärlichen Grund war er plötzlich überzeugt, dass der Schwarzhaarige das schon vor ihm gewusst hatte.
 

„Darf ich euch unterbrechen?“, kam es laut von links.
 

Herrisch funkelte Holly Lance an. Völlig durch den Wind sah Jason von einem zum anderen. Was ging hier vor sich?
 

Unschlüssig kaute der Blonde auf seiner Unterlippe. Die plötzlich eingetretene Stille lastete schwer im Raum und die Atmosphäre war mehr als nur angespannt. Selbst die kleine Funkuhr auf der Mikrowelle schien mit einem Mal ihren Dienst zu verweigern, denn die Sekunden zählten nur noch in Zeitlupe hinauf.

Lance’ Gesichtsausdruck konnte er nicht deuten, ebenso wenig Hollys. Aber die beiden stierten sich förmlich an, ihn dabei gänzlich außer Acht lassend. Dunkles Blau gegen ein eher mattes Grau-Grün.
 

„Lance“, presste er hervor. Auch er fokussierte seine Augen nun fest auf seinen Freund. Trat in das Blickfeld der Brünetten, als der Schwarzhaarige ihm weder antwortete noch anderweitig beachtete.

Zwanghaft erwiderte Lance den herausfordernden Blick.

„Woher weißt du es?“, fragte er hart.
 

„Jason“, wandte sich Holly an ihn. „Wir haben noch viel vor uns, wenn wir deinen Ruf wiederherstellen wollen.“
 

„Mit dir habe ich eben nicht geredet“, schnaubte der Blonde und würdigte sie keines Blickes, selbst dann nicht, als sie direkt neben ihm stand.
 

Lance’ Blau war immer noch unverwandt auf ihn gerichtet. Lange sahen sie sich an, die Luft knisterte.

Obwohl Jason inständig hoffte, dass sein Freund ihm doch noch antworten würde, geschah dies nicht. Stattdessen legte Lance sanft eine Hand auf seine Schulter, übte leichten Druck aus und schlich sich dann an ihm vorbei. Mit gesenkten Lidern horchte er auf die sich entfernenden Schritte.
 

„Es tut mir leid“, vernahm er die Stimme der Brünetten.
 

Verächtlich stieß er die Luft aus. „Deswegen hast du unser Gespräch unterbrochen, wie glaubwürdig!“
 

„Das war keine Absicht.“
 

„Lüg’ mich nicht an!“, schrie er nun und funkelte sie dabei an.

Natürlich merkte er, wie sie zusammenzuckte, doch es kümmerte ihn nicht. Er vergrub seine Hände in den Hosentaschen und zauberte ein überhebliches Lächeln auf seine Lippen.

„Ich komme gut ohne euch alle zurecht“, meinte er fast schon beiläufig und ließ Holly stehen.
 


 

Diesen Satz sollte er bisweilen eigentlich bereuen. Und doch gab er sich keiner Buße hin. Das würde ihm nicht im Traum einfallen. Dabei war es völlig egal, was er bis jetzt erreicht hatte und was nicht – und die Betonung lag auf nicht.

Er verteidigte sich in seiner inneren Zwietracht immer damit, dass er nicht bei Sinnen gewesen war. Schließlich hatte er erst erfahren gehabt, dass er das Blut eines vermeintlichen Verbrechers in sich trug. Da war es doch verständlich, Dinge zu tun oder von sich zu geben, die übereilt und insbesondere unbedacht waren.

Doch nun würde er sie gewiss nicht wieder zurücknehmen. Sie waren ausgesprochen und seit Tagen beherzigt. Seit gut 90 Stunden hatte er keinen Kontakt mehr zu Holly aufgenommen und war Lance aus dem Weg gegangen. Ihre Lippen hatten sich nicht mehr berührt, nicht einmal die kleinste Liebesbekundung in Form von Zärtlichkeit oder Worten hatte es mehr gegeben. Und das schmerzte, zumal Lance ihm an diesem Abend seine Liebe bekundet hatte. Eine Begebenheit, die nicht allzu oft in ihrer Beziehung vorgekommen war, aber auch niemals einfach so dahergesagt worden war.

Schon wieder zog sich Jasons Herz zusammen und schon wieder versuchte er das unangenehme Gefühl in Unmengen von Kaffee zu ertränken. Er wollte das Koffein durch seine Adern rauschen spüren, den ausgelösten Energieüberschuss in seinem Körper fühlen und nichts weiter als die aufkeimende Nervosität in sich empfinden. Alles war besser als das Gefühl, Lance’ Hände herbeizusehnen, die mal wild mal bedächtig seine Brust auf- und abstrichen. Alles war erträglicher als Lance’ Lippen herbeizuwünschen, die ihm den Verstand rauben konnten.
 

„Mist!“, fluchte er und donnerte das Porzellan, das bis eben noch in seiner Hand verweilt hatte, gegen die Wand. Die Tasse zersprang mit einem lauten Scheppern in Stücke und gesellte sich zu den anderen Scherben, die sich bereits auf dem Boden tummelten.
 

Aber er bereute seine Entscheidung nicht. Denn im Grunde seines Herzens fühlte er sich hintergangen. Von den Menschen, die er als seine Freunde erachtet hatte. Holly hatte durch ihre Recherchen wohl mehr erfahren als sie preisgegeben hatte. Und Lance hatte von seiner Herkunft gewusst. Überaus tolle Freunde, das musste er zugeben.

Mit verkniffener Miene schenkte er sich aus einer silbernen Thermoskanne in eine weitere Tasse heiße, braune Flüssigkeit ein. Aromatischer Geruch stieg in seine Nase, die diesen aber schon gar nicht mehr richtig wahrnahm. Kaffee war zu seinem Hauptnahrungsmittel geworden und damit zu einem Bestandteil seines kümmerlichen Lebens, dem keine sonderliche Beachtung mehr gezollt werden musste. Man sah Jason leider an, dass er sich nur noch spärlich ernährte und jedweder frischen Luft entsagte. Aber er brauchte unbedingt einen Plan, ehe er sich wieder unter Menschen wagte. Unter Lebewesen, nach denen es ihn nicht wirklich dürstete.

Leise seufzte er. Er war wirklich an einem Punkt angelangt, an dem er sich selbst in den Hintern treten musste, um nicht vor lauter Lethargie einzugehen.

Er sah von der Tasse zum Chaos aus Papier auf dem Schreibtisch und wieder zur Tasse, die er dann unberührt wegstellte. Noch immer hatte er ein Ziel vor Augen, so winzig und unerreichbar es in der Ferne auch wirken mochte. Auch wenn er sich spontan auf der Arbeit krank gemeldet hatte, konnte er den Gedanken, Bürgermeister zu werden nicht für nichtig erklären. Er musste schier verrückt sein, jetzt noch an solchen absurden Ideen festzuhalten, aber momentan war es das einzige, das ihn davor bewahrte durchzudrehen. Und dazu bedarf es in der Tat nicht mehr viel.

„Kein Bedarf!“, rief er, als es an der Bürotür klopfte. Und doch wurde sie geöffnet und Lance kam herein.

„Ich habe zu tun“, fügte Jason genervt an.
 

Ohne ein Wort zu sagen stellte der Schwarzhaarige ein Tablett neben ihn auf den Tisch. Es war voller belegter Brote und aufgeschnittenem Obst.
 

„Kein Hunger, sagte ich doch“, murmelte der Blonde und bedachte den anderen keines Blickes.
 

„Du musst was essen“, wurde an sein Ohr gehaucht und Jason spürte sehr wohl die Gänsehaut, die ihn sofort beschlich.
 

„Mit solchen Nichtigkeiten gebe ich mich nicht mehr ab“, meinte er abfällig, um seine Unruhe zu überspielen.
 

„Du magerst mir noch ab“, kam es leise und ebenso kühl zurück.
 

Jason hatte alle Mühe, nicht zu erschauern. Fest presste er seine Lippen zusammen und versuchte seinen Herzschlag zu zähmen. Es konnte nicht wahr sein, dass die leiseste Nähe schon solche Folgen nach sich zog.

„Kann dir doch egal sein, wie ich rumlaufe“, erwiderte er geringschätzig.
 

„Ist es auch.“
 

Während Jason glaubte die Hand des anderen auf der Schulter zu spüren, hörte er die Tür schlagen. Lance hatte ihn nicht berührt, so sehr er es sich auch eingebildet haben mag. Seine Worte waren derart ernüchternd gewesen, dass er die Lider senkte und sich wünschte, er wäre ein wenig nachsichtiger gewesen, zumal sein Freund selten solche Anwandlungen hatte, ihm Essen zu bringen.

Er nahm die volle Tasse in die Hand und schleuderte sie zu den anderen. Dass sich der Kaffee nun großzügig über das Parkett verteilte, realisierte er mit einem lauten Stöhnen. Missmutig stand er auf, ging in die Küche und holte sich einen Lappen. Als er jedoch wieder das Büro erreichte, stieß er auf seinen Freund. Wie eine Mauer versperrte er den Durchgang.
 

„Der Boden geht kaputt“, wollte sich Jason an ihm vorbeidrängen. Doch sein Versuch, an dem anderen vorbeizukommen, misslang auf ganzer Linie. Vielmehr fand er sich alsbald zwischen zwei Armen auf der Türschwelle wieder, die ihn dicht an die Wand drängten.

„Was willst du, Lance?“, fragte er gereizt.
 

„Wenn du so weiter machst, packe ich dir eigenhändig die Koffer.“

Lance’ Stimme war leise, bestimmt und völlig unterkühlt.
 

„Du willst mich rausschmeißen?“
 

„Wenn es sein muss“, zuckte der Schwarzhaarige mit den Schultern.
 

„Gut“, presste Jason hervor.
 

„Gut“, kam es genauso gleichgültig zurück.
 

Anschließend ließ Lance Jason frei, der ins Zimmer ging und damit begann, den Kaffee aufzuwischen.

Nach wenigen Sekunden aber brach er in sich zusammen und krampfte seine Arme um seinen Körper. In seinen Augen standen stumme Tränen.
 

Es dauerte eine ganze Weile, ehe er sich wieder beruhigt hatte. Auf allen Vieren wischte er das Parkett sauber und fuhr sich anschließend über die Wangen. Er hasste es zu weinen.

„Ich soll also gehen“, hauchte er vor sich hin.

Hart biss er sich auf die Lippe. Ein kleiner roter Faden spann sich einen Weg sein Kinn hinab. Wenn, dann musste Lance schon wirklich eigenhändig seine Koffer packen. Eher würde er hier nicht verschwinden. Seine Sturheit würde er auch jetzt nicht ablegen. Mit bitterer Miene brachte er den Lappen zurück in die Küche, wusch ihn notdürftig aus und verbarrikadierte sich für den Rest des Tages im Büro.
 

Stunden verbrachte er damit, mit melancholisch schlagendem Herzen an einem Artikel zu arbeiten. Eddy würde ihn schon veröffentlichen, dessen war er sich zwar nicht ganz sicher, aber er hoffte es. Wenn sich schon die Zeitungen fast nur noch mit ihm beschäftigten, dann hatte er das Recht inne, sich auf demselben Wege zu verteidigen. Zwar hätte man meinen können, dass die Reporter und die Bewohner von Asht-Zero irgendwann genug von ihm hätten, aber anscheinend lieferte rein seine Existenz schon genug Grund, sich mit seinem Leben zu beschäftigen. Aber hatte er seine Privatsphäre nicht selbst dargeboten?

Gut, dann hatte er eben kein Privatleben mehr. Das war ohnehin zerstört. Aber er wollte immer noch den Ruf seiner Familie retten, falls dies irgend möglich war. Für die Taten seines Vaters konnte er nichts. Und je mehr er über sie nachdachte, desto mehr hieß er sie gut. Ja, das tat er wirklich. Irgendwie. Manchen Menschen musste man eben ein Zeichen setzen, dass sie zu weit gingen. Und das würde er Kelvin Sartaren mit seinem Artikel gleichtun! Nicht umsonst war er sein eigen Fleisch und Blut.

Nur war das nicht so leicht. Jason zerknüllte bereits den x-ten Zettel und schmiss ihn in den Papierkorb. Der quoll bereits fast über. Sich über die Stirn wischend sah er auf die wenigen Sätze, die er auf einem Extrablatt notiert hatte.
 

‚Kelvin Sartaren – weder Robin Hood noch Zorro und dennoch ein Hüter der Gerechtigkeit?
 

Emotionslose Mahnungen, berechnende Taten und doch keine sinnfreien oder rein mutwilligen Handlungen. Wer glaubt das? – Ich, Jason Sartaren, sein Sohn. Obwohl ich wohl der einzige bin, der von diesen gemutmaßten Verbrechen nichts wusste. Auch das wird mit Sicherheit angezweifelt werden. Völlig nachvollziehbar. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich kopfnickend meine Kandidatur niederlegen…’
 

„So ein Schrott!“, fauchte er und zerriss auch dieses Blatt.
 

Wenn er nur ein wenig mehr bei Verstand gewesen wäre. Jedweder klarer Gedanke hatte sich mit Lance’ Worten verabschiedet.
 

Vielleicht sollte er einfach das schreiben, was er fühlte. Vielleicht sollte er weniger darauf achten, was die Leute lesen würden. Davon mal abgesehen, dass es sich wahrscheinlich eh keiner zu Gemüte führen würde.

Tief durchatmend nahm er erneut einen Stift zur Hand und blickte das weiße Papier an, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag.
 

„Und los“, murmelte er.
 

‚Es ist wie ein Schock zu erfahren, dass der eigene Vater ein Verbrecher war. Ich habe den Reportern vor meiner Haustür beteuert, dass ich nichts von dieser seiner Identität gewusst habe, und das entspricht tatsächlich der Wahrheit. Das ist unvorstellbar, ich weiß. Aber ich habe nicht wie viele andere in Asht-Zero zuhause gelebt, während ich allmählich erwachsen wurde. Und als Kind hätte man seinem Vater niemals angemerkt, welche Taten er plante. Wie sollte ich es also können, wenn ich nicht mal anwesend war? Ihn selten sah? Und ihn kaum sprach? Wie oft wünsche ich mir in letzter Zeit, ich wäre nicht weggegangen. Vielleicht hätte es Father Dest dann niemals gegeben. Vielleicht hätte ich es verhindern können, dass auch nur ein Bürger zu Schaden kam. Doch ich war nun mal nicht hier. Ich war weg und habe von all dem nichts mitbekommen. So leid es mir tut.

Und doch muss ich meinem Vater ein wenig Rückendeckung bieten. Ich höre schon Ihre Schreie und Protestrufe, aber tief in meinem Herzen heiße ich seine Taten sogar gut. Grotesk! Abstrus! Ist es das wirklich? Hat sich auch nur irgendwer darüber Gedanken gemacht, wie er sich seine vermeintlichen Opfer erwählt hat? Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen offenbare, dass es sich um Menschen handelte, die nicht besser waren als er selbst? Gewaltverbrecher, Dealer, Schläger! Attentäter, die die Stadt ebenso in Schrecken versetzen. Doch warum geht man gegen sie nicht mit dem gleichen Enthusiasmus vor? Warum genießen sie immer noch völlige Freiheit? Und warum steht nur meine Familie im Mittelpunkt des Hasses? In etwa jeder Dritte, der Ihnen begegnet, könnte sich als Vergewaltiger entpuppen, als Dieb oder als Kinderschänder. Je mehr Sie sich den Mund über mein Leben zerreißen, desto größer wird die Anzahl der Bagatellen, aber auch schlimmeren Verbrechen. Die Gewalt nimmt keinesfalls ab, auch wenn Sie Ihr den Rücken zudrehen. Und was habe ich Ihnen getan, außer das Blut meines Vaters in mir zu tragen? Habe ich etwa den Briefkasten vor Ihrer Haustür in die Luft gesprengt, Ihre Frau zusammengeschlagen oder Hand an Ihr Kind gelegt? Selbst mein Vater hat sich nie direkt an Menschen vergangen!

Werfen Sie den einen oder anderen Blick zur Seite oder hinter sich, wenn Sie durch die Straßen laufen. Überall, auch dort, wo man es am wenigstens erwartet, könnte sich gerade jemand an einem Mädchen zu schaffen machen oder ein Messer zücken, das alsbald Ihnen an die Kehle gehalten wird. Und wenn Sie eine solche Szene erblicken oder miterleben, rufen Sie sich bitte ins Gedächtnis, dass mein Vater bereits tot ist und ich lediglich als Bürgermeister kandidiere.

Und vergessen Sie nie, sich selbst mal an die Nase zu fassen. Perfektion gibt es nicht. Fehler sind natürlich. Das Leben besteht aus Lernprozessen und permanenter Weiterentwicklung. Auch ich habe noch einen weiten Weg vor mir und werde niemals alles begreifen, was auf der Welt vor sich geht. Aber eines weiß ich bereits jetzt: Der Angeklagte ist solange unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist! Und welche Schuld trage ich in Ihren Augen neben denen, die ich bereits erwähnt habe?... Rechtfertigt diese Schuld Ihren unbändigen Hass?’
 

Kopfschüttelnd legte Jason den Stift beiseite. Am liebsten hätte er auch diesen Zettel dem Erdboden gleich gemacht, aber es war das einzige, was er nun in den Händen hatte. Emotionales Geschreibsel, das keinen interessierte.
 

„Verdammt!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  inulin
2007-07-28T14:14:54+00:00 28.07.2007 16:14
Die Dramaqueen hat zugeschlagen... *lol*

Armer Jason.
Ich mag ihn am liebsten in den Arm nehmen und trösten. Q_Q
Erst schaut zu Anfang so aus, als ob Lance seinen Freund einfach nur bei sich haben und spüren will und dann dauert es nicht allzu lange und sie gehen wieder auseinander. Dieses Mal wesentlich friedlicher, als sonst - das Liebesbekenntnis war einfach nur süß! - aber genau so, dass man einfach nur heulen könnte.
Und ich war wirklich fast davor, wie Jason den Artikel geschrieben hat.
Ich find den zwar, wie er auch, sehr emotional, aber er ist wohl genau das was seine Situation ausdrückt. Und ich denke, dass er einen besseren nicht verfassen könnte.
Lance' Ultimatum - ich nenn es mal so - fand ich auch heftig. Einerseits ist so lieb und kümmert sich auch weiterhin um seinen Freund, aber dann will er ihn tatsächlich rausschmeißen. Zu dem Zeitpunkt wo er genau sieht, dass es ihm nicht gut geht.

Wie viele Kapitel hast du eigentlich noch in Planung? Das soll jetzt nicht heißen, dass es hoffentlich bald zu Ende geht... Nein, nein... ich mag gern wissen wie lang ich diese Story noch lesen kann und mich immer wieder neue, so tolle Kapitel erwarten.


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