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Sinnlose Versprechen

von

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Schon früh am Morgen machte sich Jason zu Holly auf. Die ganze Nacht über hatte er kein Auge zutun können aufgrund der Nervosität, die ihn heimlich beschlichen hatte. Jedes Mal, wenn er sich im Bett umgedreht hatte, hatte er laut aufgeseufzt, und doch hatte ihn nichts zum Schlaf bewogen. Selbst die zähe Müdigkeit nicht, die immer noch in seinen Gliedern steckte. Nicht einmal das kalte Wasser, mit dem er sich unter der Dusche gequält hatte, hatte seinen Körper belebt. Mit sich schlapp anfühlenden Beinen lief er um die letzte Straßenecke, ehe er das Haus erreichte, in dem die Brünette lebte. Der weiße Gebäudekomplex wirkte wie eh und je ein wenig trostlos – lediglich Hollys Balkon war mit Blumen geschmückt-, doch die junge Frau war trotz ihrer zig Beteuerungen, sie würde es bald tun, noch nicht umgezogen. Die Haustür stand wie gewöhnlich offen und er stieg die wenigen Treppenstufen zu ihrer Wohnung hinauf. Er klingelte.
 

„Jason?“, rief Holly fragend durch die Tür.
 

„Wer würde dich sonst zu so früher Stunde stören? Eddy etwa?“, rief der Blondschopf zurück.
 

Die Tür ging auf und Holly funkelte ihn an. „Noch so ein Spruch und ich schlage dir dieses Holz“, sie wedelte mit der Tür hin und her, „ins Gesicht.“
 

„Du sprudelst heute wieder vor guter Laune.“
 

„Und du siehst aus, als hättest du drei Tage lang durchgezecht“, erwiderte sie schnippisch.
 

Er zuckte mit den Schultern und grinste. „Vielleicht ist da was Wahres dran.“
 

Laut aufseufzend packte sie ihn am Arm. „Komm doch erst mal rein.“
 

Als er den Wohnbereich betrat, stockte ihm der Atem. „Was ist denn hier passiert?“
 

Du“, fauchte sie und deutete mit ihrem rechten Zeigefinger auf ihn.
 

Völlig unschuldig sah er sie an. „Ich habe dir nicht aufgetragen, deine gesamte Wohnung zu verwüsten.“
 

„Ach nein?“ Sie stemmte ihre Hände in die Hüften. „Nur meine Beziehungen spielen lassen und den grandiosen Höhepunkt aus dem Hut zaubern!“
 

„Das war ein Witz gewesen“, lächelte er sie besänftigend an.
 

„Bitte?“, schrie sie ihn nun an.
 

Abwehrend hob er die Hände vor sein Gesicht. „Ganz ruhig.“
 

„Wie soll ich denn da bitteschön ruhig sein, mh? Da darf man wegen dir nicht ins Bett und dann kommst du mir damit, das sei einer deiner blöden Späße gewesen!“
 

„Was hast du dir denn einfallen lassen?“, fragte er neugierig nach, nahm die Hände aber nicht runter. Vorsorge war besser als Nachsorge. Prüfend schweifte sein Blick durch den großen, hellen Raum. Doch mehr als Chaos und wildes Durcheinander konnte er auf Anhieb nicht erkennen.
 

„Grrr, scher dich dahin, wo du herkommst!“

Sie verpasste ihm einen Schubs.
 

Ungewollt brach Jason in Gelächter aus und legte seine Hände an den Bauch, gab damit aber seine Deckung auf. „Tut mir leid“, prustete er und versuchte irgendwie reuevoll zu schauen. Als er eines der Sofakissen – er wusste nicht, wie sie so schnell an eines herangekommen war – entgegen flog, wusste er, dass er es nicht geschafft hatte, auch nur ansatzweise bußfertig dreinzublicken. Geschickt fing er das Kissen auf und ging auf sie zu. „Liebste Holly“, begann er einigermaßen beherrscht und insbesondere weiteres Amüsement unterdrückend.
 

„Komm mir nicht so“, gab sie, ihn kritisch beäugend, zurück.
 

„Ich danke dir von Herzen, dass du dir wegen mir solche Umstände bereitet hast. Nein, wirklich!“, fügte er hastig an, da sie nach einem weiteren hellblauen Kissen griff. „Das ist nicht selbstverständlich und es tut mir wirklich leid, dass ich dir deinen Schlaf geraubt habe.“

Schließlich wusste er, wie man sich ohne ihn fühlen konnte. Die Trägheit war aus seinem Körper noch nicht vollständig gewichen, obgleich er sich seit er bei Holly war um einiges vitaler fühlte.
 

Sie schenkte ihm einen geringschätzigen Blick. „Dein Glück.“
 

Eine weitere Bemerkung verkniff sich Jason tunlichst, schließlich wollte er nicht am Ende doch noch vor die Tür gesetzt werden. Außerdem war er ihr wirklich dankbar.
 

„Zwar hast du gestern angemerkt, dass du deine Wählerschaft durch mehr Einsatz deinerseits überzeugen willst, doch was ist der wahre Grund, Jason?“

Forschend fokussierte sie ihn.

„Wir kennen uns lange genug und ich bin mir sicher, dass du mir etwas verheimlicht hast.“
 

Seine Miene verhärtete sich und statt Erheiterung zeichnete sich nun herbe Enttäuschung ab.

„Lance“, meinte er kurz und bündig.
 

Doch Holly gab sich damit nicht zufrieden. „Was hat er getan, dass du kurzerhand beschließt, die ganze Stadt auf den Kopf zu stellen?“
 

„Muss das sein?“, fragte er abweisend.
 

„Ja!“, konterte sie und gab zu verstehen, dass sie ihn nicht eher wieder gehen lassen würde. „Das bist du mir schuldig.“
 

Die Augen verdrehend begab er sich zur Couch und ließ sich auf sie fallen. Zehn Minuten später hatte er ihr von den Intrigen seines Freundes berichtet, hatte erzählt, wie eisig die Stimmung zwischen ihnen momentan war. Nur die schroffe Abweisung vom Vortag hatte er geflissentlich verschwiegen. Das ging niemanden etwas an, nicht einmal Holly.
 

„Typischer Fall von Neid hätte ich gesagt, wenn ich Lance nicht kennen würde“, meinte die Brünette daraufhin. „Doch bei ihm sieht die Sache anders aus. So wie ich ihn einzuschätzen gelernt habe, verachtet er Missgunst und alles, was dazu gehört. Er hat dir nie irgendwas nachgemacht, oder?“
 

Jason schüttelte mit dem Kopf. „Nicht das ich wüsste, außer…“

Schmunzelnd tat er seinen Gedanken mit einer Handbewegung ab. Das Thema war zu ernst, um an ihre nächtlichen Spielchen zu denken, die ohnehin seiner Meinung nach viel zu weit zurücklagen. Da war es schon das ein oder andere Mal vorgekommen, dass sie ihre Bewegungen oder zukommenden Zärtlichkeiten imitierten, um den anderen noch heißer zu machen.

Zudem schmerzten ihn die Erinnerungen.
 

„Männer!“, zwinkerte sie. Jasons Mimik war eindeutig gewesen!

„Er wird sich schon wieder einkriegen, meinst du nicht?“
 

Lange sah er sie an. Lance’ gestriges Statement hatte für sich gesprochen und seitdem wollte Jason ihm klar machen, dass er auch ohne ihn blendend zurecht kam. Aus diesem Grund zwang er ein zuversichtliches Lächeln auf seine Lippen. „Ich glaube, du hast Recht. Er braucht nur ein wenig Zeit, um den Fakt zu überwinden, dass unser Privatleben bald durch den Dreck gezogen wird.“

Das würde nicht unweigerlich der Fall sein, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit würde die Presse bald in seiner Vergangenheit kramen und auch in seinem jetzigen Leben. Aber er hatte nichts zu verschweigen. Als er realisierte, dass Holly aschfahl geworden war, sah er sie fragend an. „Geht’s dir nicht gut?“
 

Die Brünette schien sehr mit sich zu hadern, bevor sie antwortete: „Mir fehlt nur ein wenig Schlaf. Und wir sollten allmählich deinen Zug gegen die alten Herren starten, sonst entschwebe ich bald dem Land der Träume.“
 

Obwohl Jason es sich nicht leisten konnte, auch noch gegenüber Holly Misstrauen zu hegen, beschlich ihn dennoch das dumpfe Gefühl, dass sie ihm eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen. Gedanklich schüttelte er mit dem Kopf. Wenn er so weiter machte, dann sah er noch die ganze Welt gegen sich. Lance hatte ihn ganz schön aus der Bahn geworfen und dafür würde er ihm noch büßen!

„Darf ich nun erfahren, was dein geniales Hirn ausgebrütet hat?“
 

„Das wirst du schon noch sehen“, speiste sie ihn ab.

Plötzlich voller Energie sprang sie vom Sofa auf und lief ans andere Ende des Zimmers.
 

„Woher nimmst du nur diese Dynamik?“ Er hingegen stand langsam auf und schlurfte ihr nach.
 

„Dabei solltest du hier herumhüpfen. Denn bist es nicht du, der Jungblut in den Stadtrat – ich brauche dich nicht daran zu erinnern, dass das Durchschnittsalter bei 55 Jahren liegt! – mischen möchte?“

Ihre Stimme klang keinesfalls neckisch, vielmehr meinte sie das so, wie sie es sagte.
 

„Ich bemühe mich schon seit Stunden um ein wenig mehr Vitalität, aber du siehst ja, worin das geendet hat.“
 

„Mit genug Koffein geht alles“, entgegnete sie gelassen. „Geh mal in die Küche.“
 

„Züchtest du dort Kaffeepflanzen?“ Er knuffte sie in die Seite, aber sie reagierte nicht darauf. Also begab er sich in den besagten Raum. Überall standen Tassen und Gläser herum. Dazu leere Colaflaschen, Kaffeekannen und Schokoladenpapiere. Zunächst staunte er nicht schlecht, doch dann griff er nach der Glaskanne im Kaffeeautomaten, suchte sich eine saubere Tasse und schenkte sich einen kräftigen Schluck ein. Darüberhinaus schnappte er sich einen Riegel Schokolade und kehrte zu Holly zurück.

„Das hast du nicht alles heute Nacht geleert?“
 

Darauf zuckte sie nur die Achseln. Sie kniete auf dem Boden und schien ein paar Unterlagen zu sortieren. „Zur üblichen Ration kam eben noch ein wenig hinzu.“
 

Jason musste grinsen. Holly bat immer neue Überraschungen. Er setzte die Tasse an seinem Mund an und trank sie in einem Zug aus. Heiß war die braune Flüssigkeit bei Weitem nicht mehr gewesen.

„Auch wenn meine Frage überflüssig sein sollte: Hast du Marvin erreicht?“

Die Nervosität kam allmählich zurück und er wollte alles in trockenen Tüchern wissen.
 

Gekränkt warf sie ihren Kopf in den Nacken und versuchte Jasons Blick zu erhaschen. „Überflüssig! Du sagst es!“
 

Da er in der Tat für ihre schlaflose Nacht und ihre daraus resultierende Laune verantwortlich war, blaffte er nicht zurück, sondern begann, unablässig im Wohnzimmer auf- und abzulaufen.

„Darf ich also mit dem ganzen Team rechnen?“, hakte er aber dennoch nach.
 

„Wenn ich etwas in die Hand nehme, dann darfst du nachher mit dem Optimum rechnen!“

Sie drehte sich in der Hocke und grinste ihn an. Das erste aufrichtige Lächeln seit er bei ihr war.

„Halbe Sachen sind nichts für mich.“
 

Auch in die Mundwinkel des Blondschopfs legte sich ein Lächeln, nur wirkte es bei ihm um viele Nuancen angespannter.

„Ich glaube, ich brauche noch mehr Koffein“, meinte er und lief sofort gen Küche.
 

„Pump dich damit voll“, rief sie ihm belustigt hinterher. „Denn so lass ich dich garantiert nicht vor die Leute treten! Da hilft ein schicker Anzug auch nichts!“
 

Jason bemerkte, wie ihn ein Zittern befiel. Bisher hatte er noch nie vor einem Fernsehteam gestanden und allein der Gedanke an ein Haufen Kameras, die alle ihn im Visier hatten, sendete unwohlige Signale an seinen Körper. Ja, er war selbst auf die Idee gekommen und hatte sie vor ein paar Stunden für überaus gerissen gehalten – was er im Übrigen auch jetzt noch tat -, doch nachdem ihn seine Beine nicht mehr halten wollten, ließ er sich auf einen hohen Küchenstuhl plumpsen. Er tat es Holly nach und schüttete eine Tasse Kaffee nach der anderen in sich hinein. Sobald ein gewisses Maß Aufputschmittel in seinen Adern flösse, würde er seine Aufregung schon im Griff haben. Zumindest versuchte er sich das einzureden.

Wenngleich er nicht viel Veränderung seines Zustandes ausmachen konnte, ging er festen Schrittes zurück zu seiner Freundin. Hoch erhobenen Hauptes und aufrechter Haltung. Denn ihm war Lance in den Sinn gekommen und damit das unlautere Motiv, weshalb er sich anschickte, nicht nur vor der versammelten Mannschaft auf dem Marktplatz, sondern zugleich im Fernsehen aufzutreten. Das Wissen, dass seine Aktion gewisse Gefahren barg, verdrängend gesellte er sich zu Holly und kniete neben ihr nieder.

„Bereit?“

Sogar das einzelne Wort entrann voller Inbrunst seiner Kehle.
 

Irritiert wandte sich Holly Jason zu, doch dann lächelte sie. „Kaffee wirkt wahre Wunder. Ja, ich bin so weit. Es kann losgehen!“, nickte sie.
 


 

Wenngleich der Blondschopf in seinen kühnsten Träumen nicht einmal gewagt hätte, den Marktplatz derart überfüllt vorzufinden, konnte er sich nun mit eigenen Augen davon überzeugen, dass wahre Menschenmassen dicht an dicht gedrängt standen. Mittendrin immer mal wieder Platz für die ein oder andere Kamera lassend. Man hätte meinen können, sie erwarteten eine Musikikone oder eine andere Berühmtheit, doch sie warteten allesamt auf ihn. Auf den jungen Mann, der sich erdreistet hatte, sich als Bürgermeisterkandidat aufstellen zu lassen. Kräftig schluckte er den Kloß in seinem Hals herunter. Es hatte nie ein Problem für ihn dargestellt, in der Schule ein Referat zu halten oder anderweitig vor Leuten aufzutreten, aber diese Flut erhitzter, allerlei Düfte verströmender Körper jagte einen Schauer nach dem anderen über seinen Rücken.
 

„Du wirst jetzt doch nicht kneifen wollen?“, vernahm er Hollys weiche Stimme.
 

Unsicher warf er einen flüchtigen Blick auf sie und versuchte anschließend weiter, die Lage zu sondieren. Drei Kameras und grob geschätzte achttausend Personen. Seine Kehle wollte sich immer weiter zuschnüren, als ihm das Ausmaß seiner Unbedachtheit bewusst wurde. In der Tat hatte er zu neunzig Prozent aus Wut respektive Rachegelüsten das alles hier angeleiert und nun musste er wohl oder übel dafür gerade stehen. Denn war das nicht zugleich seine Chance, einen bleibenden, und er hoffte inständig einen positiven, Eindruck bei der Mehrheit der Bevölkerung zu hinterlassen? Zumindest bei allen, die jetzt vor dem Fernseher saßen oder sich hier auf dem in seinen Augen für diese Masse viel zu kleinen Marktplatz tummelten?

Bis jetzt hielt er sich noch im Hintergrund versteckt, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis ihn die ersten entdeckten und diese Kunde wie ein Lauffeuer durch die Menge dröhnte. Noch hatte er die Möglichkeit auf dem Absatz kehrt zu machen und das ganze abzublasen.

„Gleichmäßig ein- und ausatmen.“

Ob er Holly gehorchen sollte oder doch lieber Lance nachgeben und sich auf immer aus der Politik zurückziehen? Vielleicht renkte sich auf diese Weise ihre Beziehung wieder ein und sie konnten wie vor seiner absurden Idee, Bürgermeister zu werden, zusammen leben.

„Wo willst du hin?“

Eine kräftige Hand packte ihn grob an der Schulter und Jason sah alsbald in ein ihm vertrautes Gesicht.

„Eddy?“, entfuhr es ihm überrascht.
 

Der Drucker lachte. „Du siehst aus, als ob du Gespenster gesehen hättest. Aber wenn ich mir das da unten“, sein Blick schweifte über die große Fläche, „ansehe, dann kann ich es dir nicht verübeln, dass du das Weite suchst.“
 

Jason wand sich unter der Berührung, denn allmählich kreiste in ihm wirklich nur noch ein Gedanke: Weg von hier!
 

„Nicht doch. Du schiebst deinen Hintern jetzt da runter und setzt dich für das ein, was dort“, Eddy tippte ihm auf die linke Brust, „begonnen hat zu erglimmen. Außerdem“, seine Gesichtszüge wurden kecker, „musst du diesen alten Knackern eins auswischen. Zeig ihnen, wo der Hammer hängt, mein Freund!“
 

Das brachte den Blondschopf zur Besinnung. Nachdem er Eddy erst noch einen Moment völlig verwirrt angesehen hatte, klärte sich sein Blick nun und er wehrte sich nicht mehr gegen die Hand des Größeren. Er horchte tief in sich hinein und nickte dann. Und als ob das das Stichwort für die Masse unter ihm gewesen sein sollte, schrie der erste aus ihr hervor: „Dort oben!“

Nun gab es kein Zurück mehr. Eine Flucht war endgültig hinfällig. Und er wollte sie auch gar nicht mehr in Betracht ziehen. Er wollte etwas auf dieser grausamen, manchmal viel zu realen Welt bewegen und solch eine Möglichkeit wie jetzt würde sich ihm mit Sicherheit nie wieder darbieten.

„Da zwischen der Frau und dem Mann!“

„Jason! Jason!“, drang es an die Ohren des Blonden. Die Jubelrufe beflügelten ihn, obgleich sich immer wieder höhnische Pfiffe darunter gesellten und oft auch die Oberhand behielten.

Wie von der Lautstärke getragen glitt er durch die eigens für ihn gespaltenen Reihen zum Podest, das neben der Plakattafel errichtet worden war. Ein solches Ereignis hatte er praktisch über Nacht - zusammen mit Holly - organisiert. Das glich purem Wahnsinn und doch zierte bald ein Lächeln seine Lippen. Egal, wie übertrieben es auch wirken mochte, er konnte nicht anders. Die ohrenbetäubenden Rufe, das einsetzende Klatschen und selbst das spöttischste Gelächter trieben ihn immer weiter voran und lösten die irrwitzigsten Emotionen in ihm aus. Sein gesamter Körper war mit einer feinen Gänsehaut bedeckt und straffte sich bei jedem Schritt. Kaum hatte er das errichtete Podest erreicht, wandte er sich kurz der bebenden Menge zu. Nun sah er auch eilig angefertigte Plakate und mit verschiedenfarbigen Eddings beschriftete weiße T-Shirts. Die angewiderten Mienen und die drohenden Fäuste glichen hingegen nur schemenhaften Zügen. Wenig später stand er über all den Menschen, die eigens wegen ihm gekommen waren. Ließ seinen Blick von rechts nach links und von links nach rechts schweifen. Heftete ihn irgendwann auf die Stelle, wo Holly und Eddy standen. Bisher hatte er sich keine Gedanken darum gemacht, woher der Drucker plötzlich gekommen war, doch Holly hatte sicherlich nicht nur dieser schreienden Masse zu seinen Füßen, sondern auch ihm Bescheid gegeben. Eigentlich hätte er gerne nach Lance Ausschau gehalten, doch nicht nur, dass es ein sinnloses Unterfangen gewesen wäre, auch sein Zorn auf ihn verwehrte ihm sogar den Versuch. Er beobachtete stattdessen, wie die Brünette und der groß gewachsene Eddy immer wieder ein paar Worte wechselten. Die Lippenbewegungen konnte er gerade einmal vage erahnen, doch aufgrund des Tumults steckten die beiden immer wieder ihre Köpfe zusammen, um sich gegenseitig die Worte ins Ohr sagen zu können.

Erst nach Minuten verebbte das Stimmengewirr und alsbald sah sich Jason mit einer Totenstille konfrontiert. Selbst das kleinste Luftmolekül schien daraufhin zu vibrieren und die Atmosphäre anzuspannen. Er war derjenige, auf den alle Ohren und Augen gerichtet waren. Er war der, von dem erwartet wurde, dass er seine Stimme erhob. Schnell räusperte er sich, ehe er das Mikrofon ergriff, das wohlweislich aufgestellt worden war. Bevor er jedoch hineinsprach, ließ er ein letztes Mal seinen Blick über die Menge streifen und besann sich an seine Ziele. An das, was er jetzt und heute erreichen wollte. Es war nicht leicht, auch nur irgendeinen klaren Gedanken zu fassen, doch er zwang sich dazu. Und nach seinen ersten Worten schien die Bühne wie für ihn gemacht. Wenigstens glaubte er das.
 

„Meine lieben Mitbürger“, begann er mit fester Stimme. „Ich danke Ihnen für Ihr zahlreiches Kommen und ich freue mich, heute unter Ihnen sein zu dürf…“
 

„Lügner!“, wurde er unwirsch unterbrochen.
 

„So einer wie du hat doch keine Ahnung von der Politik!“, stimmte der nächste ein.
 

Bald darauf schrieen alle wild durcheinander und das reinste Chaos war entfacht. Ein schriller Pfiff, der regelrecht durch die Reihen summte, brachte ihnen Einhalt. Jason konnte fürs erste nicht herausfinden, wer diesen von sich gegeben hatte. Aber er nutzte die ihm zugute kommende Pause und fuhr fort:
 

„Weiß nicht jeder selbst, was für ihn das Beste ist?“, fragte er in die versammelte Mannschaft hinein. „Warum werde ich angemaßt, nichts von der Politik zu wissen, wenn ich vorhabe Sie alle“, er machte eine ausladende Bewegung, „mit einzubeziehen? Damit Sie endlich die Möglichkeit haben, für Ihre Wünsche einzutreten!“
 

Zu Jasons Linker erklang zustimmendes Gemurmel, zu seiner Rechten entfachten erneut Buhrufe und Fäuste schnellten in die Höhe.
 

„Wir haben immer bekommen, was wir wollten!“, schrie ein bärtiger Mann in schwarz gehüllt und funkelte ihn bedrohlich an.
 

Jason beugte sich vor, nahm das Mikrofon dabei mit und raunte: „Sie“, er deutete auf eine Frau, die ihr Kind im Arm hielt. „Haben Sie sich niemals gewünscht, dass der Verkehr nachts ein wenig ruhiger ist, damit ihre Tochter schlafen kann? Und Sie“, er verwies auf einen älteren Mann. „Haben Sie sich nie gewünscht, dass mehr Fußgängerampeln die Straßen säumen? Oder Sie!“ Damit sprach er den Mann an, der ihn eben so forsch angefahren hatte. Kritisch hob dieser eine Braue an und verbarg seinen Hohn nicht, den er ganz offen in seinem Gesicht zur Schau trug.
 

„Der Kleine dort oben macht auf oberschlau“, kommentierte der Bärtige laut und viele begannen zu lachen.
 

„Gehe ich recht der Annahme, dass Sie noch nie von der Polizei angehalten worden sind, weil sie in der Stadt zu schnell mit Ihrem Motorrad fuhren, dabei den ein oder anderen Zebrastreifen missachteten und vielleicht einmal eine rote Ampel? Dann ist es Ihnen wohl auch in Zukunft egal, wie viele Verkehrsschilder, Ampeln und Geschwindigkeitsbeschränkungen hinzukommen!?“

Lässig zuckte Jason mit den Schultern und richtete sich wieder auf.

„Meine lieben Mitbürger, Sie haben es vernommen, dass Sie sich gegen einen Gegner weniger, was Sicherheit für Ihre Kinder, aber auch deutliche Einschränkung in Ihrer Freiheit angeht, durchsetzen müssen. Ich finde, das ist eine gute Nachricht!“

Lächelnd sah er wieder zu dem Mann in schwarzer Lederkleidung, während einige noch darüber nachdachten, was sie von all dem halten sollten. Er hatte den Blick noch nicht wieder von seinem Kontrahenten abgewandt, da begannen die Leute links unter ihm zu tosen.
 

„Das ist unser Mann!“, sangen sie wenig später im Chor.
 

Erneut durchbrach ein schriller Pfiff die Rufe und brachte abermals die Bevölkerung zum Schweigen. Dann trat eine Person auf die Bühne und lief bestimmten Schrittes auf Jason zu. Der Blondschopf hatte den Mann mit den aschfahlen Haaren und der Narbe auf der linken Wange noch nie zuvor gesehen, aber schon dessen erster Blick aus kalten, hellgrünen Augen verunsicherte ihn.
 

„Willkommen“, begrüßte Jason ihn, ohne zu wissen, dass er überhaupt etwas von sich gab. Nur schwach vernahm er seine eigene Stimme und ordnete sie sich selbst zu, als der andere eine kleine Verbeugung vor ihm vollführte.
 

„Sie werden Ihre Begrüßung bald bereuen“, flüsterte er hämisch grinsend Jason zu.
 

„Wer ist das?“, kam es wieder von unten. Asht-Zero schien allmählich aus seiner Starre wieder erwacht zu sein.
 

„Darf ich mich vorstellen?“, wandte sich der Fremde an die raunende Menge. „Tyrone von Zundersby. Ein Mann, der Ihnen gleich offenbaren wird, wem Sie hier Ihre wertvolle Stimme schenken wollen.“
 

Jasons Herz verkrampfte sich. Was war das für ein Kerl und was hatte er vor?

„Sie bluffen“, fauchte er leise.
 

„Seien Sie sich mal nicht so sicher“, hauchte der andere kaum wahrnehmbar, hielt seine Augen dabei an die bebende Masse zu hunderten vor ihm gerichtet. „Jason Sartaren“, fuhr er so laut fort, dass es selbst die Leute in den hintersten Reihen verstehen konnten. Er winkte den jungen Mann zu sich heran und er leistete nur widerstrebend Folge. Beim jedem Schritt, den er machte, dachte er auf glühende Kohlen zu treten. Hilfesuchend sah er gen Holly, doch sie hielt sich nur eine Hand vor den Mund und verlagerte nervös ihr Gewicht von einem Bein aufs andere. Weder ermutigte sie ihn durch ihr Auftreten noch auf andere Art und Weise. Vielleicht hatte er sich zu viel von seiner Freundin erhofft. Doch schon der kleinste Hauch von Optimismus hätte ihm die Schwere vom Körper nehmen können.

„Wollen wir unserem Publikum hier und zuhause vor dem Fernseher nicht eine kleine Geschichte über sie erzählen!?“
 

Aus Jasons Gesicht wich jedwede Farbe. Er hatte die Kameras ganz vergessen und damit den Umstand, dass noch viel mehr Menschen das erfahren würden, was dieser Mistkerl gleich von sich geben würde. Auch wenn er keine Ahnung hatte, was aus dem Mund des Fremden dringen würde, war er davon überzeugt, dass es ihm auf jeden Fall schadete.



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